Christines Schneider & Roccos Brüder
Posted: July 10, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen | Leave a commentDie Gebrauchtwoche
3. – 9. Juli
„Wie Ihr wisst, zieht das ARD-MiMa 2024 nach Leipzig. Ich werde die Sendung dann leider nicht mehr moderieren. Laut MDR-Chefredakteurin soll die künftige Moderation einen ost- deutschen Hintergrund haben. Das muss ich so akzeptieren und wünsche den Kolleg*innen viel Erfolg“ – so haben Nadia Kailouli und Aimen Abdulaziz-Said ihren Rausschmiss beim Mittagsmagazin wortgleich getwittert.
Da werden ja wohl nur linksgrünversiffte Woke-Faschisten das Gefühl nicht los, exotisch klingende Nachnamen hätten die Trennung, zumindest – hüstel – nicht gebremst. Was für die ARD spricht: Sie trennt sich parallel von der sehr, sehr ostdeutschen Bäckereifachverkäuferin Sanftleben, deren Tina Mobil vor zwei Jahren grimmepreis-prämiert durch Brandenburg rollte. Folge: Aus nach Staffel 1. Ihr Aus nach fast zwölf Jahren heute-show dagegen kam für die Komikerin Christine Prayon freiwillig.
Hundertfach hat sie als Außenreporterin Birte Schneider bundesdeutschen Realwahnsinn kommentiert. Jetzt wurde der Komikerin Oliver Welkes linksgrünversifftwoke Querdenkenfeindseligkeit zu viel, was man inhaltlich nicht gutheißen, angesichts der Gegenwinde, die einer AfD-affinen Stimme aktuell entgegenschlägt, aber respektabel finden sollte. Immerhin droht ihr für so viel Offenheit hierzulande nicht das Schicksal von Jelena Milaschina.
Die russische Investigativ-Journalistin wurde in Tschetschenien Opfer eines brutalen Angriffs, der sogar dem Regime ihrer Heimat womöglich ein gaanz klein wenig zu weit ging. So weit sind wir hier nicht. Noch nicht. Denn was es mit der Demokratie anstellt, wenn – wie der Medienverband BDZV prognostiziert – bis 2025 zwei von fünf Kommunen in Deutschland keine eigene Zeitung mehr haben, könnte es langsam eng werden für den Meinungspluralismus.
Bereits heute zu eng wurde es für Zero One Film, die mit Formaten wie 24h Berlin oder Kulenkampffs Schuhe Fernsehgeschichte geschrieben haben. Jetzt meldet die Produktionsfirma Insolvenz an und hinterlässt Lücken, die schwer zu füllen sind. Schon gar nicht mit Importen, die oft so fürchterlich übersetzt werden, dass man gute Transkriptionen wie Peripherie oder The Marvelous Mrs. Maisel, die zurecht den Deutschen Synchronpreis 2023 erhalten hat, lange suchen darf.
Die Frischwochen
10. Juli – 6. August
Da kann man ja nur froh sein, dass die Fortsetzung der RTL-Serie König von Mallorca im Originalton laufen kann. Vorm Qualitätsabfall der ersten Staffel allerdings bewahrt das den Ballermann-Historismus allerdings ab Dienstag auch nicht. Ähnliches gilt – mal ganz abgesehen von der lausigen Synchronisation – fürs Apple-Drama The Afterparty, das ab Mittwoch ebenfalls weitergeht.
Zeit der Fortsetzungen also, unter anderem fürs ebenso epische wie originelle SciFi-Monument Foundation, mit dem Apple voriges Jahr für Aufruhr gesorgt hatte und nun Freitag neue Folgen feiert. Ähnlich nebulös, aber vollkommen im Hier und Jetzt angesiedelt ist hingegen die italienische Mysteryserie Survivers um Überlebende eines Schiffsunglückes mit allerlei Geheimnissen (Sonntag, ZDF-Neo).
Und damit zur Realität, besser gesagt: ihrer Auslegungssache. Während die SR-Doku Rocco und seine Brüder am Mittwoch das gleichnamige Guerillakunst-Kollektiv bei der meist illegalen Arbeit über und unter Berlin verfolgt, was von dialektischer Wahrhaftigkeit ist, gaukelt uns Paramount+ zwei Tage später das klebrige Surrogat der Wirklichkeit vor, wenn dort The Family Stallone startet.
Offiziell eine Homestory vom schlagkräftigen Sylvester und seinen drei Töchtern, ist die zehnteilige Reality-Show eine derart durchschaubare, bedingungslos kapitalistische, auf drollige Art reaktionäre PR-Sause, dass man doch lieber das Original der Kardashians schauen sollte. Und weil freitagsmedien drei Wochen Urlaub macht, ebenso viele Abschlussempfehlungen stichwortartig:
- Juli, ARD-Mediathek: Die nettesten Menschen der Welt – Mysteryserie, die unsere inneren Ängste so wirr und zugleich schlüssig in sechs Anthologien verzahnt, als käme es gar nicht aus Deutschland.
- Juli, ZDF: Karen Pirie, nächste Reihenermittlerin aus UK (Schottland), die auf der Jagd nach einem Cold Case nicht nur auf Mörder, sondern gläserne Decken stößt.
- August, ARD-Mediathek: 37 Sekunden, Dramaserie um die Rammsteinaktuelle Frage, ob sich Vergewaltigungen zweifelsfrei nachweisen lassen – und wie dies Verneinung politisch missbraucht wird.

