Neumann-Hass & Sinky Röver

Die Gebrauchtwoche

18. – 24. Juli

Über Tote, so besagt es der Volksmund, ohne dass er uns sagen würde, warum das bitteschön so ist, über Tote also soll man bitteschön nicht schlecht reden. Wie gut, dass VIVA noch nicht tot ist, sondern seinen Tod nur fürs Ende des Jahres verkündet hat. Dann nämlich stellt die Konzern-Mutter Viacom, der schon MTV sein langanhaltendes Sterben zu verdanken hat, den Sendebetrieb des einstigen Musiksenders ein, der mit Musik mittlerweile noch weniger zu tun hat als die CSU mit Begriffen wie christlich, sozial, geschweige denn Union. Wenn VIVA also am 31. Dezember letztmals sein bedeutsames Erbe von 1993 verachtet, als er die Bedürfnisse der Jugend hierzulande als erster Fernsehkanal überhaupt wirklich mal ernst nahm, gibt es schon lange nichts mehr zu betrauern.

Für Menschen, die ein paar Tage lang den Abschied der Trump-freundlichen Rassistin Roseanne Barr als Trump-freundliche Proletarierin Roseanne Conner beim Disney Channel betrauert haben, bietet ABC nach deren Absetzung schon vorher Ersatz an – ohne die Hauptdarstellerin, dafür aber mit mehr Verantwortungsbewusstsein, Ethos und Moral. Alles Attribute übrigens, von denen keine überwältigend große, aber überwältigend laute Schar Internet-Nutzer so wenig haben wie – ach, siehe CSU.

Gemeint sind all jene, die Claudia Neumann gerade dafür jedes WM-Spiel in den Shitstorm jagen, dass sie ihre Arbeit macht – nämlich Fußball-Spiele zu kommentieren. Dass macht sie nicht herausragend gut, sie macht es aber auch keineswegs unterirdisch schlecht. Für viele Zuschauer indes, könnte sie auch permanent journalistische Weltklasse abliefern – ihr Testosteron-Überschuss würde die Frau im Männergeschäft dennoch zur Hölle wünschen. Als Strafe für so viel ignorante Boshaftigkeit gäbe es eigentlich nur eins: pro Hass-Post 24 Stunden zwangsweise Dauerbeschallung mit Béla Réthy am Mikro. Oder wahlweise die gleiche Zeit GZSZ am Stück. Obwohl: wenn die RTL-Soap nun auch in Frankreich ausgestrahlt wird – vielleicht ist da ja doch was dran…

Die Frischwoche

25. – 31. Juli

Trotzdem wollen wir sie aber auch in dieser Woche nicht als Alternativ-Angebot zur Dauerbeschallung mit Weltmeisterschaftsfußball empfehlen. Um 20.15 gäbe es Montag den ARD-Thriller Tödliche Geheimnisse, der vor zwei Jahren ungeachtet seines bescheuerten Titels einen wirklich gelungenen Blick in die Verstrickungen von Medien und Wirtschaft warf. Tags drauf dann darf sich der lange Zeit schwer unterschätzte Mark Walberg im US-Drama The Gambler von 2014 auf P7Maxx als Spielsüchtiger beweisen. Am Mittwoch bietet sich in dieser Rubrik abgesehen vom zweiten Teil der Tödlichen Geheimnisse 25 Jahre nach den tödlichen Schüssen von Bad Kleinen ein langer Themenabend auf ZDFinfo zum Thema RAF an. Und Donnerstag zeigt Tele5 Das Kabinett des Dr. Parnassus, eine der unzähligen Kamikaze-Groteske des Monty Pyhton Terry Gilliam von 2009.

Weil die Vorrunde damit vorbei ist, gibt es am Freitag auch keine Ersatzwiederholung der Woche. Stattdessen feiern wir die wenigen Neuveröffentlichungen der aktuellen Innovationsdürre: Heute startet Arte die fünfteilige Reportage-Reihe Neuland, in der sich Andreas Korn bis Freitag um jeweils 17.10 Uhr auf die Suche nach menschlicher Kreativität in Europas Provinz sucht. Den Anfang machen findige Waldschützer in Rumänien. Und das ist wirklich liebenswert. Morgen dann setzt die ARD ihr FilmDebüt im Ersten mit der sensationellen Geschlechter- und Gesellschaftsstudie Dinky Sinky fort, in der Katrin Röver als Mittdreißigerin mit verbissenem Kinderwunsch brilliert – allerdings zur deprimierend ignoranten Sendezeit um 1.25 Uhr.

Nur gut ein Stündchen früher wirft das ZDF am Mittwoch unterm Titel Kampfbereit einen verstörenden Blick in Russlands Hooligan-Szene. Aber ganz ehrlich – bis auf die 2. und allem Anschein nach noch bessere zweite Staffel der Siebzigerjahre-Wrestlerinnen-Serie Glow ab Freitag auf Netflix, gibt es echt nix Neues von Belang am Bildschirm. Weshalb am Ende auch der Tatort-Tipp steht: Liebeswirren, ein zehn Jahre alter, gewohnt sehenswerter Fall der 2008 auch schon nicht mehr blutjungen Ermittler Batic und Leitmayr, am Montag (22.15 Uhr) im RBB.

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Washington, Melody’s Echo Chamber, Whyless

Kamasi Washington

Jazz, tja. Für Spätgeborene ohne Studienrat in der Anrede oder Zeit-Abo ist das ein komischer, staubiger, schwer greifbarer, jedenfalls nicht allzu anziehender Begriff. Jazz, das mögen Eltern, Tendenz Großeltern. Aber Kinder, gar Enkel? Sollten sich zur Erweiterung ihres Horizonts unbedingt mal Kamasi Washington anhören. Der Saxofonist aus Los Angeles hat vor drei Jahren mit The Epic ein Debütalbum produziert, das auch außerhalb seines Fachbereichs hymnisch gefeiert wurde. Nun legt er den Nachfolger vor, der es ebenfalls schafft, die Grenzen zwischen alter und neuer, schwerer und leichter Musik zu durchlöchern, ohne sie vollends zu sprengen.

Geteilt in die Sphären “Himmel und Erde” fliegen sie förmlich durch die Stratosphäre des Sounds und streifen dabei Pop, Soul, Funk und manchmal gar Punkrock ohne E-Gitarre. Begleitet von Kollaborateuren wie Thundercat, Terrace Martin, Ronald Bruner, Jr., Cameron Graves, Brandon Coleman, Miles Mosley, Patrice Quinn oder Tony Austin, die eher in Kamasis Genre ein Begriff sind, erhebt er den Jazz dabei zu einer orchestralen Größe, die auch ohne Gespür für einzelne Noten fasziniert. Heaven & Earth ist Brückenbauer-Musik der allerfeinsten Sorte, oftmals verwirrend, vielfach erhellend, ein Lichtblick im gleißenden Dunkel des Crossover.

Kamasi Washington – Heaven & Earth (Young Turks)

Melody’s Echo Chamber

Einatmen, ausatmen, alles gut? Ach, wären die Wege zu nachhaltigen Lockerung unserer heillos überspannten Zeit doch immer so einfach, wie Melody Prochet es auf ihrer neuen Platte empfiehlt. „Breathe In, Breathe Out“ singt sie auf dem zweiten Stück und fleht sodann mit verhallender Engelsstimme, „there must be some kind of light to come“. Wie auf ihrem Debüt fünf Jahre zuvor ist das schwedische Hippiemädchen bis in tiefere Schichten ihrer Batik-Kleider optimistisch, dass es nun aber wirklich bald Licht werde im Dunkel dieser zerrütteten Tage.

Nur Sekunden, nachdem sie im Opener Cross My Heart bereits Querflöten, Scratching, Breakbeats, Gitarrensoli und Geigenteppiche zu einer mehrsprachigen Collage sommerlicher Zuversicht verwoben hat, mag das vielleicht naiv klingen. Zum einen jedoch ist Bon Voyage kein allzu weltliches, sondern planvoll entrücktes Album. Zum anderen hat Prochet die Indierocker Dungen ins Studio geladen. Sie drängeln ihre Landsfrau immer mal wieder mit einer sanften Tracht Krautprügel aus dem Blumenkinderland. Das Ergebnis ist ein Psychopop, der sein friedliebendes Publikum mit allerlei Wendungen von Gebrüll bis Autotune gelegentlich zum Hyperventilieren treibt. Feueratem nennt sich das im Eso-Fach. Soll sehr befreiend sein.

Melody’s Echo Chamber – Bon Voyage (Domino)

River Whyless

Ist Paul Simon eigentlich noch gut zu Fuß und hat sich kürzlich ein paar hochwirksame Aufputschmittel besorgt, um damit ins Sonic Ranch Studio nach Tomillo/Texas zu fahren? Der fröhlich durcheinander scheppernde Folkpop von River Whyless klingt nämlich so spürbar nach dem Spätwerk ihres Urahnen, als wäre er bei der Herstellung dabei gewesen. Mit ungezügelter, ethnisch aufgeblasener Spielfreude wirbeln Ryan O‘Keefe, Halli Anderson, Daniel Shearin und Alex McWalters auf Kindness, A Rebel die Referenzen alter Country-Helden und neuer Cowpunks so durcheinander, dass es sich abgesehen von ein paar schräg schönen Western-Balladen gelegentlich selbst überholt.

The Feeling of Freedom zum Beispiel klingt mit einem Herb-Alpert-Sample zu Beginn, als habe Paul Simon The Mamas and the Papas exhumiert, um mit ihnen eine Art hochgepitchten Squaredance anzuleiten. Anders als der vorwiegend beschwingte Sound suggeriert, sind O’Keefes Texte zu Andersons oft entfesselter Fidel aber oft von eindringlicher Mitteilungsbedürftigkeit übers Unrecht in der Welt und all die Krisen darin. Schön, dass man sich in diesem Fall davon nicht andauernd belehrt fühlt.

River Whyless – Kindness, A Rebel (Roll Call Records)

 

 


Oliver Kalkofe: SchleFaZ & Wixx-Akten

Aus Scheißfilmen Partys

Schon Anfang der Neunziger hat sich Oliver Kalkofe (Foto: kalkofe.de) im brachialen Frühstyxradio einen Namen als Unterhaltungsberserker gemacht, der auch in Sendungen wie Kalkofes Mattscheibe tüchtig austeilt. Jetzt wiederholt Netflix nicht nur seine WiXXer-Parodien, sondern plant eine Fortsetzung der Reihe. Ein Gespräch über Scheinheiligkeit im Fernsehhumor, lieblosen Mist und wie viel Wut noch in ihm steckt.

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Oliver Kalkofe, Sie haben nach der Schule eine Ausbildung zum Fremdsprachenkorrespondenten gemacht…

Oliver Kalkofe: Und Wirtschaftsdolmetscher. Ich wusste einfach nicht was ich sonst machen sollte, aber als ich fertig war, wusste ich sehr genau, dass ich das nicht machen wollte.

Wie ist 30 Jahre später Ihr Englisch?

Wenn ich es in der Praxis anwenden muss, fange ich wie alle erstmal an zu stammeln, komme aber zumindest so gut durch, dass ich mir alle Serien im Original ansehen kann.

Dann machen wir einen kleinen Vokabeltest: Was heißt scheinheilig oder heuchlerisch auf Englisch?

Das ist leicht: Hypocritical.

Ist das womöglich ein netteres Wort für Ihre Art Fernsehen, mit dem Sie seit fast 25 Jahren das Fernsehen anderer beurteilen und nicht selten verurteilen?

Im Vergleich zu heuchlerisch schon. Meine Art, übers Fernsehen zu urteilen, ist jedoch eine Art Recycling: Ich nehme was Überflüssiges und erzeuge daraus etwas Verwertbares, mache also aus einem Scheißfilm ‘ne Party. Wenn ich jetzt selber jeden Mist mitmachen würde, wäre das sicher scheinheilig. Aber obwohl auch bei mir Fehltritte dabei waren, habe ich 90 Prozent aller Angebote abgelehnt und Sendungen gemacht, von denen ich überzeugt war. Deswegen trifft überkritisch es besser. Aber man kann ja auch an schlechten Dingen Freude empfinden.

Heißt das, eigentlich mögen Sie all die Sendungen, über die Sie sich oft in scharfem Tonfall erheben?

Man darf sehr wohl schätzen, was man kritisiert. Für die Haltung wird man hierzulande generell gern missverstanden. Ich liebe Fernsehen und bin großer Fan von guter Unterhaltung. Das Belehrungsfernsehen der Siebziger war zwar furchtbar, noch viel weniger möchte aber allerdings verarscht werden. Und genau das tut lieblos gemachter Müll von heute, der mir leidenschaftslos vor die Füße gerotzt wird.

Hingabe reicht Ihnen als Gütemerkmal?

Nein, aber wenn ich bei SchleFaZ bin.

SchleFaZ?

Die Schlechtesten Filme aller Zeiten. Wenn ich da merke, etwas wurde zwar schlecht, aber aus Überzeugung gemacht, weiß ich das durchaus wertzuschätzen. Beim Trash meiner Kindheit wie King Kong gegen Godzilla, mit dem ich die August-Reihe eröffne, spürt man das Herzblut der Macher. Die wollten einen guten Film machen, hatten aber nicht die Möglichkeiten dafür. Ich mag alles, das liebevoll verhunzt wurde wie das meiste von Ed Wood.

Das kann man von der Volksmusik nicht behaupten.

Zu Beginn von Kalkofes Mattscheibe war das völlig zu recht das Hauptobjekt meines Spottes. Aber selbst das hat sich zum Schlimmeren verändert. Und wenn ich mir das Marionettentheater heute ansehe, war das verglichen mit Scripted Reality fast warmherzig. Damals war mieses Programm oft scheinheilig, heute ist einfach nur zynisch. Aus meiner Sicht war Fernsehen früher ein Fluchtpunkt, heute ist es eher Fluchtursache.

Wenn man heute 1000 Leute befragt, mit wie viel Herzblut oder Zynismus Ihre WiXXer-Filme gemacht sind, würde sich das Urteil vermutlich die Waage halten…

Was heißt die Waage: Mattscheibe oder SchleFaZ finden ganz sicher mehr Menschen furchtbar als toll. Aber als Kritiker ist man stets Teil des Kritisierten, sonst fehlt die Eignung zur Kritik. Das legt die Messlatte an mich zwar hoch, aber selbst Meisterwerke werden von Teilen des Publikums geliebt und von anderen verflucht. Mein Ziel ist es, den gewünschten Ausschnitt der Zuschauer zu bedienen. Alle stellt man eh nie zufrieden.

Das klingt jetzt, als sei Ihr Humor eine Art Dienstleistung am Kunden?

Natürlich ist jeder Unterhalter auch Dienstleister. Sonst könnte ich mich auch in Garten stellen und mir selber Witze erzählen. Der Unterschied zu meinem Ansatz besteht darin, dass es mir nicht um Masse geht – sonst hätten wir nicht so etwas Altmodisches wie Edgar-Wallace-Filme persifliert, die Jüngere kaum kennen. Mit dem WiXXer haben wir uns daher nie auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt, aber zugegeben: Weil damals zu viele reingeredet haben, um genau den zu finden, bin ich im Nachhinein mit dem ersten Teil eher unzufrieden. Da war die Angst vorm kommerziellen Misserfolg schon spürbar. Mir ist wichtig, einen Humor zu finden, über den auch ich lachen kann.

Gelingt Ihnen das immer?

Na ja, man lacht über die eigenen Witze schon deshalb irgendwann nicht mehr, weil man sie ja schon kennt. Hinzu kommt, dass ich meine Pointen im Nachhinein oft verbesserungswürdig finde. Aber die grundsätzliche Richtung entspringt schon meinem eigenen Humor. Witze, die ich nicht mag, könnte ich gar nicht erzählen, das wird unglaubwürdig.

Finden Sie die Wixxer-Filme oder auch das Frühstyxradio, mit dem Sie Anfang der 90er Jahre Ihre Laufbahn begonnen haben, heute noch witzig?

Also den zweiten Teil vom Wixxer auf jeden Fall. Und weil Netflix dieses Universum einem jüngeren Publikum zugänglich macht, werden wir es als WiXX-Akten in Form einer Mini-Serie weiterentwickeln.

Ließe sich auch das Frühstyxradio fortsetzen?

Dafür hören die Menschen längst zu wenig Radio. Außerdem wäre das, was damals als unflätig galt im Vergleich zum heutigen Tonfall völlig harmlos. Damals sind Jugendliche freiwillig sonntags um neun aufgestanden, um uns gemeinsam mit ihren Eltern zu hören. So gesehen hat das Frühstyxradio wie auch die WiXXer-Filme Generationen vereint. Und zwar ohne – das ist mir witzig – bloß Randgruppen-Klischees auszuwalzen. Die Bully-Komödien, so unterhaltsam die auch sind, haben ihre Witze zu einem großen Teil über Schwule gemacht.

Wenn man sich jetzt mal Ihre eigenen Generationen betrachtet – was steckt vom jungen Radio-Berserker noch im reifen Fernseh-Veteranen?

Eine Menge. Natürlich werde ich älter, das merk ich vor allem körperlich. Aber wenn ich mir neue Staffeln von Mattscheibe oder SchleFaZ ansehe, bin ich weder sprachlich noch inhaltlich grundsätzlich softer geworden. Auch bei mir stellt sich eine gewisse Altersmilde ein, aber es ist immer noch genügend Wut und Leidenschaft in mir, um ordentlich raufzuhauen.


Personalien & Crash Test Promis

Die Gebrauchtwoche

18. – 24. Juni

Football? What Football! So sehr die Weltmeisterschaft der Despoten, Millionäre, Korruption und Wir-bringen-der-Menschheit-Frieden-Verlogenheit auch alle Medien beherrscht, stehen zumindest hierzulande gar nicht so sehr die Fußballer im Fokus. Es ist unter anderem einer, der ansonsten über sie berichtet. Hajo Seppelt nämlich, dem DFB und Auswärtiges Amt davon abgeraten haben, seinem Beruf in Russland nachzugehen, weil Putins Russland Journalisten als Feinde betrachtet. Oder auch der WDR-Spielfilmchef und Tatort-Koordinator Gebhard Henke, dem sein Arbeitgeber nun endlich gekündigt hat, nachdem die Zahl angeblich sexuell belästigter Mitarbeiterinnen zuletzt abermals angestiegen war.

Fünf Erregungsstufen tiefer findet sich das Coming-Out des RTL-Moderators Jochen Schropp, der diesen Schritt so lange gescheut hatte, weil ihm seine sexuelle Orientierung allen Ernstes auch im 21. Jahrhundert noch beruflich geschadet hätte. Vorstandschef Conrad Albert hat derweil die Entlassung von 141 Mitarbeitern der ProSiebenSat1 Media AG bekannt gegeben, was weniger ist als befürchtet, aber mehr, als der Fernsehbranche gut tut. Und auch die Personalie Trump darf in solch einer Liste natürlich nicht fehlen. Der nämlich hat seinen kleinen Medienkrieg mit dem nationalen Kartellamt verloren. Das nämlich gestattet gegen die Twitter-Tiraden des Pressefreiheitsfeindes die Mega-Fusion der Kommunikationskonzerne AT&T und Time Warner.

Dabei hatte der US-Inhaber seiner Welt gemeinsam mit dem Philanthropen Kim Jong-un doch gerade für immer und ewig Frieden, Liebe und Glückseligkeit geschenkt. „Historisch oder hysterisch“ hatte die Süddeutsche zum bizarrsten Politgipfel aller Zeiten getitelt – was das Personalkarussell doch noch mal zum Sport drehen lässt. Unterm ganzen Dutzend Reportern, die für Deutschlands beste Tageszeitung von der WM berichten, ist exakt eine, in Zahlen 1 Frau. Und Birgit Schönau berichtet, nein, nicht aus Russland, sondern aus Italien und was die armen Tifosi während des Turniers eigentlich so machen…

Die Frischwoche

25. Juni – 1. Juli

Weil die meisten Sender während dieses Turniers unabhängig von Geschlechterfragen kaum Neues verschleudern. Die Wiederholungen der Woche sind diesmal daher Alternativangebote zum jeweiligen Abendspiel. Am Montag um 20.15 Uhr empfehlenswert: Francois Truffauts Gaunerinnenkomödie Ein schönes Mädchen wie ich von 1972 auf Arte. Dienstag auf Nitro, ebenfalls aus Frankreich, ähnliche Zeit, andere Welt: Balduin der Heiratsmuffel mit Louis de Funès als Louis de Funès. Am Mittwoch, keine Wiederholung und doch derselbe Mist wie immer: Crash Test Promis, ein zweiteiliger Testosteron-Rausch auf RTL in vier Disziplinen wie gegen Wände laufen.

Donnerstag mal something completely different auf Arte: Macbeth aus der Berliner Staatsoper mit Placido Domingo in der Titelrolle. Und bevor 3sat dem Vorrundenspiel der Deutschen am Samstag mit Franz Lehárs Operette Das Land des Lächelns aus Zürich vermutlich kaum Zuschauer abnehmen dürfte, wildert Sat1 tags zuvor im Revier der Tierfreunde: 111 völlig verrückte Viecher! kompiliert „Die witzigsten Tiere der Welt“, gefolgt von 111 krasse Kollegen. Tja. Zum Glück gibt’s abgesehen vom 58 Jahre alten Schwarzweiß-Tipp Jack Lemmon und Shirley MacLaine in Das Appartement (Sonntag, 16.30 Uhr, 3sat) und dem Bremer Alt-Tatort: Abschaum von 2004 (Montag, 22.15 Uhr, RBB) noch ein paar echte Innovationen.

Heute um 19.30 etwa feiert Kevin James zehn Jahre nach der Comedy-Legende King of Queens sein Comeback in der 24teiligen Serie Kevin Can Wait, für die man James und Sictoms allerdings schon ganz schön grundsätzlich mögen muss. Am selben Abend um 23.55 Uhr folgt dann jedoch ein echtes Highlight. Zum Start des ZDF-Vierteilers Auf der Flucht begleitet der junge Filmemacher Jakob Preuss (23.55 Uhr) einen Flüchtling bei seiner Odyssee von Kamerun nach Brandenburg. Als Paul über das Meer kam ist eine hinreißende Hommage an die Menschlichkeit – und ein guter Anlass einer Debatte darüber, wie sehr sich ein Berichterstatter mit seinem Berichtsgegenstand gemein machen darf/kann/soll.

Noch eine Doku von herausragender Intensität, wenngleich mit weniger dramatischem Thema: Nowitzki. Der perfekte Wurf (Mittwoch, 22.45 Uhr, BR), Sebastian Dehnhardts gelungenes Porträt des besten deutschen Basketballers seit der vorvergangenen Eiszeit. Und als krönender Abschluss: Morris aus Amerika, Chad Hartigans grandiose Coming-of-Age-Erzählung eines dicken, farbigen, eigenbrötlerischen New Yorkers, der sich am Dienstag im Rahmen des ARD-FilmDebüts (1.10 Uhr) mit HipHop und Eigensinn in der Heidelberger Fremde durchboxt.


Balkausky & Fuhrmann: WM & Tyrannei

10 mit Sternchen

Genau 40 Jahren nach Argentinien, findet die Fußball-WM seit dieser Woche in einer Autokratie mit Tendenz zur Diktatur statt. ZDF-Sportchef Thomas Fuhrmann und sein ARD-Kollege Axel Balkausky erklären im Doppel-Interview, welche Anforderungen das mit sich bringt, was der Sportjournalismus zur Völkerverständigung beiträgt und wie man ein Turnier aus 2000 Kilometern Entfernung moderiert.

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Herr Balkausky, Herr Fuhrmann – auf einer Skala von 1 bis 10: welche Bedeutung hat eine Fußball-Weltmeisterschaft für Sie im Terminkalender eines Lebensjahres?

Thomas Fuhrmann: 10.

Axel Balkausky: 10.

Und daran ändert der Umstand, dass diese WM in einer Autokratie am Rande der Diktatur stattfindet, nichts?

Thomas Fuhrmann: Nein, im Gegenteil. Die Tatsache, dass die WM für politische Zwecke eingespannt werden könnte, macht sie aus meiner journalistischen Sicht nur noch relevanter. Wir sind besonders herausgefordert. Also eher 10 mit Sternchen.

Axel Balkausky: Genau aus dem Grund liegt mein eigenes Interesse an dieser Veranstaltung mehr denn je am obersten Rand jeder Skala – egal, ob sie bis 10 oder 100 geht. Und sportlich ist die WM in Russland nach den Olympischen Winterspielen von Pjöngjang ohnehin das mit Abstand wichtigste Ereignis 2018.

Fuhrmann: Gerade weil diese Weltmeisterschaft auch in politisch so brisanten Zeiten und im Rahmen einer globalen Krise stattfindet, empfinde ich ihre Bedeutung als besonders hoch, was meine Vorfreude und Aufmerksamkeit noch weiter steigert.

Heißt das, durch die politische Komponente gewinnt der Sport auch journalistisch an Bedeutung hinzu?

Fuhrmann: Ein solches Großereignis ist grundsätzlich ein inhaltlicher Leuchtturm, der auf alle anderen Programmpunkte abstrahlt. Dankder Strahlkraft der WM haben wir die Möglichkeit, viele Zuschauer für ein Thema zu gewinnen, die sich ansonsten möglicherweise nicht für Russland interessieren würden.

Balkausky: Umgekehrt wecken wir aber auch das Interesse rein politisch interessierter Menschen fürs Sportereignis. 20 oder 25 Millionen, Richtung Finale sogar noch mehr Zuschauer vorm Bildschirm zu versammeln, das geht nun mal nur noch mit Fußball.

Fuhrmann: Anders als für ein kommerzielles Unternehmen, dient unser Geschäftsmodell der Berichterstattung, aber nicht der größtmöglichen Renditemaximierung. Gerade deshalb ist es wirklich gut investiertes Geld, dem Publikum mithilfe des Sports andere Länder, Systeme, Gesellschaften nahe zu bringen. Schon weil der Fußball im Zuge der Vergiftung des Doppelspions Sergej Skripal und seiner Tochter aktuell Gefahr läuft, politisch instrumentalisiert zu werden, können wir als Sportjournalisten nicht einfach sagen, wir sind für Spiele und Spieler zuständig, alles andere wird an die Politikredaktionen delegiert.

Ist es aus Ihrer Sicht geradezu Aufgabe, wenn nicht gar Verpflichtung von Sportjournalisten, die Aufmerksamkeit des Publikums an den Begleitumständen des Sports zu wecken?

Balkausky: Ach, Sport und Politik lassen sich doch schon lange nicht mehr so scharf trennen, vielleicht war das sogar nie vollends möglich. Je mehr beides wie jetzt gerade durch Doping, Korruption oder die Austragungsorte ineinander verschwimmt, müssen die Reporter vor Ort darauf natürlich eingehen. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass Sportreporter zunächst mal dazu da sind, über den Sport zu berichten.

Fuhrmann: Und wir wollen unseren Kommentatoren auch ganz gewiss nicht die Freude am Spiel, ihre Begeisterung dafür nehmen, aber darüber geht ihre Arbeit halt immer mehr hinaus.

Balkausky: Was allerdings zunehmend ein Spagat ist. Bei Sportjournalisten kommt schließlich erschwerend hinzu, dass sie gern als Fans mit Mikrofon betrachtet werden.

Fuhrmann: Weil bei diesem Turnier nochmals mehr als je zuvor weit übers Ergebnis und dessen Zustandekommen hinaus berichtet werden wird, sind wir diesbezüglich gut beraten, uns die Olympischen Winterspiele von Sotschi ins Gedächtnis zu rufen: Eine perfekte Inszenierung der Spiele und unmittelbar darauf die Annektierung der Krim. Die klassische Ressorttrennung ist also aufgehoben. Schon lange.

Aber wird diese Ressorttrennung nicht dennoch insofern weiter eingehalten, als die Berichterstattung übers politische Randgeschehen eher in den politischen Magazinen zwischen den Fußballspielen stattfindet, wie es zuletzt oft der Fall war?

Fuhrmann: Natürlich erwarten die Zuschauer im Zweiten erstmal, dass wir ein Fußballspiel professionell und kompetent übertragen. Sie wollen vom Kommentator vor allem erfahren, was da gerade wieso auf dem Platz passiert, nicht das Drumherum – und zwar völlig unabhängig davon, ob da Marokko spielt, Brasilien oder Deutschland.

Balkausky: Das ist bei unseren Zuschauern nicht anders. Unsere Reporter sind in einem Land wie Russland gewiss ganz anders gefordert als zuhause, aber das ist situationsabhängig. Am Ende bleibt das Spiel immer noch das Spiel.

Fuhrmann: Und keine Sorge – wir werden auch jenseits der politischen Magazine ausreichend übers Umfeld berichten. Genau dafür hat das ZDF für die Dauer des Turniers den Kollegen Andreas Kynast aus dem Hauptstadtstudio ausgeliehen, um Land und Leute vorzustellen. Ein exzellenter Russland-Kenner, kein Fußball-Experte, der dem Publikum Orientierungspunkte fürs Verständnis des Landes liefern wird.

Haben Sie andersrum manchmal das Gefühl, die klassischen Sportfans fühlen sich von dieser Art ganzheitlicher Berichterstattung ein wenig infiltriert?

Fuhrmann: Diesem Vorwurf setze ich mich gerne aus. Gerade von Ihnen, also der Presse, kriegen wir ja eigentlich immer eher das genaue Gegenteil vermittelt: Wir seien eindimensional interessierte Sportfreaks, denen der Rest der Welt herzlich egal sei, solange der Ball rollt, und machen uns schlimmstenfalls auch noch mit den Protagonisten unserer Berichterstattung gemein.

Balkausky: Dennoch gibt es gewiss auch beim Publikum unterschiedliche Auffassung darüber, wie viel Politik der Sport verträgt. Einige goutieren die Aufklärung der Dopingskandale, andere wollen davon unbehelligt bleiben. Unsere Aufgabe ist es, fast eine Kunst, kein Informationsbedürfnis unbefriedigt zu lassen, auch wenn man dabei nicht den Geschmack aller treffen kann.

Sprechen sich Ihre Sender dabei auch inhaltlich ab oder bleibt es bei der technischen Kooperation?

Fuhrmann: Wir reden viel miteinander, sind also in ständigem Austausch. Zugleich allerdings befinden sich ARD und ZDF in einem fairen, gesunden Wettbewerb ums beste Programmangebot, das unsere Kommentatoren, Moderatoren und Experten auf journalistisch eigenständige, möglichst hochwertige Art und Weise machen wollen.

Balkausky: Und da wir diesmal so eng zusammenarbeiten wie nie zuvor, gewinnt die redaktionelle Eigenständigkeit sogar nochmals an Bedeutung. Der Ehrgeiz, exklusiv zu berichten, bleibt trotz unserer technischen Kooperation völlig ungemindert. Dennoch stellen wir exklusives Material der ARD nach unserer Berichterstattung gern zur Verfügung, so wie es das ZDF umgekehrt auch täte.

Fuhrmann: Umso wichtiger ist es, Technik und Knowhow zu teilen. Nur so bleibt genügend Freiraum, inhaltlich Akzente zu setzen. Gerade, was die gemeinsame Infrastruktur betrifft, ist das Turnier in Russland ein echter Quantensprung.

Worin zeigt der sich genau?

Fuhrmann: Darin, was in unserem Jargon centralized production genannt wird. Im gemeinsamen Landesstudio des SWR in Baden-Baden poolen wir in einem Ausmaß Equipment, das hat es zuvor noch nie gegeben. Beide Sender haben ihre Stärken, wobei wir in der Aufgabenteilung von ARD und ZDF seit vielen Großereignissen für das internationale Fernsehzentrum zuständig sind, da ist unsere Expertise einfach größer. Es findet ein enormer Wissenstransfer statt.

Balkausky: Der bis tief ins Personal reicht. Alle Techniker arbeiten auch für den jeweils anderen Sender, da geht es überhaupt nicht mehr um Zugehörigkeit, sondern einzig und allein um die Effizienz.

Kann man die Personaleinsparung beziffern?

Balkausky: Für den Aufbau des Sendezentrums in Baden-Baden brauchen wir zunächst sogar mehr Leute. Weil wir während des Turniers allerdings mit weit weniger Personal vor Ort in Russland sind als vor vier Jahren in Brasilien, dürfte die Einsparung insgesamt bei 25 bis 30 Prozent liegen.

Fuhrmann: Wie viel Personal schon allein dadurch eingespart wird, dass das ZDF kein komplettes Team vor Ort hat, ist noch nicht genau abzusehen. Finanziell jedoch spart jede Anstalt nach der bisherigen Kalkulation einen deutlich siebenstelligen Betrag.

Wirkt sich die räumliche Distanz zwischen Sendezentrum und Austragungsort nicht negativ aufs journalistische Ergebnis aus?

Fuhrmann: Bei der EM 2016 hat unser Duo aus dem Internationalen Fernsehzentrum berichtet und war nicht in den Stadien. Die Stimmung in Paris, in Frankreich haben sie natürlich schon mehr wahrgenommen, als das jetzt der Fall sein wird. Aber bei unseren Kommentaren und Reportern ändert sich nichts; die sind weiter im Land des Gastgebers. Zu einem Teil sind wir aber auch Getriebene der technischen Entwicklung.

Balkausky: Und der Confed-Cup hat voriges Jahr ja gezeigt, wie gut das mittlerweile funktioniert, wie die technischen Möglichkeiten die personellen quasi vor sich hertreiben. Für den Zuschauer ist die Überbrückung solch großer Distanzen jedenfalls kaum spürbar

Fuhrmann:Ich würde mich davor hüten, zu sagen, so machen wir das jetzt immer; die Nähe zum Land, dessen Atmosphäre zu schnuppern, bleibt für alle Beteiligten nach wie vor unersetzlich. Zugleich aber müssen wir uns in Zeiten des Sparzwangs nach der Decke strecken.

Balkausky: Selbst euer Moderator Oliver Welke sagt ja, dass es für einen Großteil seiner Arbeit nicht so wahnsinnig wichtig sei, ob sie nun in einem Medienzentrum am Stadtrand von Moskau stattfindet oder eben in Baden-Württemberg. Umso mehr glaube ich, dass es richtig war, in Brasilien vor Ort zu sein. Die Leidenschaft für Fußball ist dort einfach eine ganz andere, das wirkt sich auch auf die Berichterstattung aus.

Zumal der Gastgeber damals ein absoluter Turnierfavorit war und der diesjährige aller Voraussicht nach bestenfalls die Vorrunde übersteht

Fuhrmann: Das steht zu befürchten.

Drücken Sie Russland bei aller gebotenen Objektivität die Daumen, möglichst weit zu kommen, damit die Stimmung im Land gut bleibt?

Balkausky: Davon abgesehen, dass es auf die gebotene Objektivität keinerlei Einfluss hat, wem ich die Daumen drücke – beim Confed-Cup im vorigen Jahr durften wir erleben, dass die Menschen in Russland extrem gute Gastgeber sind.

Fuhrmann: Und als Südafrika bei der WM 2010 ebenfalls ungewöhnlich früh ausgeschieden ist, war die Stimmung weiterhin grandios. Natürlich ist an Ihrer These etwas dran, dass es sich positiv auf die Stimmung auswirkt, wenn der Gastgeber lange im Turnier bleibt. Aber eine Hammergruppe hat Russland ja jetzt auch nicht gerade erwischt.

Balkausky: Und selbst, wenn Russland früh ausscheidet, glaube ich nicht an den Ausbruch einer kollektiven Depression. Zumal man sich dort ohnehin keiner allzu großen Illusion hingibt, dass es ihr Land allzu weit bringt im Turnier.

Fuhrmann: Ich mag da jetzt Äpfel mit Birnen vergleichen, aber wie Südafrikaner und Brasilianer sind auch die Russen ein fußballverrücktes Volk, das sein Land gewiss auch nach dem Ausscheiden als Schaufenster für die ganze Welt präsentieren will. Denken Sie da nur mal an 2006.

Das sogenannte Sommermärchen in Deutschland.

Fuhrmann: Da hat unser Land in den Augen der Welt auf äußerst positive Art und Weise überrascht. Vor der Heim-WM galten wir als grimmige, kleinkarierte Besserwisser, danach hat man uns plötzlich Frohsinn und Feierlaune attestiert. Das war global betrachtet ein echtes Erweckungserlebnis. Vielleicht könnte diesmal Russland positiv am Image basteln.

Balkausky: Selbst wenn es nicht den 3. Platz erreicht.

Also nochmals auf einer Skala von 1 bis 10 – wird es ein sportlich erfolgreiches Turnier, bei dem Russland der Welt und insbesondere Deutschland wieder etwas näher kommen wird?

Balkausky: Das ist deutlich schwieriger als die Skalierung der Vorfreude. Ich hoffe jedenfalls sehr, dass eine WM und der Sport insgesamt noch immer zur politischen Entspannung beitragen können.

Fuhrmann: Wenn ich sehe, wie gut Berichte über das Gastgeberland, die verfahrene Situation dort, all die Missverständnisse und Konfrontationen schon im Vorfeld der WM eingeschaltet werden, bin ich – bei aller gebotenen Skepsis – jedenfalls recht guter Dinge. Das Interesse beider Nationen und Bewohner füreinander ist ja offenbar doch groß.

Balkausky:Und wie groß genau, werden wir abgesehen vom Fußball journalistisch sehr genau beobachten.

Fuhrmann: Und weil wir das Turnier in seiner Gesamtheit mit fachlich guter, ausgewogener Berichterstattung begleiten, kann auch die Sportberichterstattung da ein Brückenbauer sein.

Der Text ist vorab im journalist erschienen

Talk-Alarmismus & Fußball-Entspannung

Die Gebrauchtwoche

4. – 10. Juni

Und wenn man denkt, es könne nicht mehr viel schlimmer werden, wenn man denkt, die öffentlich-rechtlichen Sender seien dem absoluten Tiefpunkt bedrohlich nahe, wenn man denkt, das ZDF habe seine Staatsauftrag bereits deutlich untererfüllt – dann machen die Mainzer ein Format über Ahnenforschung und lassen es von, Achtung: Thomas Anders moderieren. Ab Herbst klettert der sonnenbankgebräunte Schulterpolsterveteran in Du ahnst es nicht! auf die Stammbäume der Republik und ob es furchtbar wird oder schrecklich, kann vorab nicht seriös beurteilt werden. Allein die Tatsache jedoch, es RTL gleichzutun und ein Mitglied des Deppenpopduos Modern Talking zum Ho(r)st zu machen, ist von so berechnender Niveauverachtung, dass wir uns dennoch vorsorglich für furchtbar schrecklich entscheiden.

Weil das in etwa auch die Adjektive sind, mit denen der Deutsche Kulturrat das deutsche Kulturgut Talkshow belegt, riet der überparteiliche Verein ehrenamtlicher Unterhaltungskritiker kürzlich dazu, dem ganzwöchigen Dauergerede am Bildschirm eine 365-tägige Sendepause zu verordnen. Konkreter Anlass waren in diesem Fall gleich zwei Ausgaben der Vorwoche, in der erst Frank Plasberg, dann Sandra Maischberger taten, was seit Jahren in hiesigen Laber-Runden Usus ist: schon im Titel alarmistisch auf Krawall zu bürsten.

Die lustigste Pointe lieferte dabei wie so oft Plasberg: Erst plagiierte dessen Namensgeber den paranoiden Blut- und Bodenpopulismus der AfD, indem er deren These vom gefährlichen Ausländer zur suggestiven Talkshow- Überschrift „Junge Männer, geflohen aus Krieg und archaischen Gesellschaften – für viele hierzulande Grund zu Sorge und Angst. Können solche Flüchtlinge überhaupt integriert werden?“ machte, dann sperrte der volksnahe Frank das Original solch kruder Thesen in Gestalt von Alexander Gauland für künftige Sendungen aus. Andere Gestalten kaum besserer Art sind hingegen weiter willkommen. So wie sexueller Missbrauch – das legt zumindest der nächste Fall beim vermeintlichen Familien-Konzern Disney nahe – offenbar systemisch zur Film- und Fernsehbranche gehört, zählt Populismus eben zum Kernbestand des deutschen Talkshow-Unwesens. Die Frage nach der Henne oder dem Ei am rechten Rand stellt sich daher seit einer gefühlten Ewigkeit aufs Neue. Woche für Woche für Woche.

Die Frischwoche

11. – 17. Juni

Für fast vier davon geben solche Debatten jetzt aber erst a’mal a Ruh! Ab Donnerstag ist Fußball-WM. Schon um sich nicht selbst Konkurrenz zu machen, reduziert das Regelprogramm die Zahl seiner Erstausstrahlungen da fast auf Null, sogar Streamingdienste halten sich mit Neuware spürbar zurück, es rollt der Ball, sonst wenig. Und die viel gepriesene Nebenberichterstattung von einem Gastgeber am Rande der Tyrannei und was dem Sport sonst noch so auf der Rasenseele lastet? Gibt‘s heute um 23.30 Uhr in Das Milliardengeschäft, einer ARD-Doku über Deutschlands merkwürdige Kooperation mit dem aufstrebenden Fußballzwerg China. Und am Sonntag folgt dann – natürlich erst nach den Gruppenspielen und deren Zusammenfassung – Matthias Fornoffs ZDF-Reportage über Russlands Geheimnisse.

Weil auch die Privatsender gegen den Quotenkrösus Fußball keine teuren Fernsehprodukte vergeuden wollen, hält sich das Angebot ab Donnerstag daher in Grenzen. Zuvor aber zeigt das Zweite am Montag um 20.15 Uhr immerhin noch das Debüt von Catalina Molina, einst eine Musterschülerin des Regiestars Michael Haneke. Drachenjungfrau ist zwar abermals nur ein Krimi. Weil er aus Österreich stammt und überdies den grandiosen Manuel Rubey („Im Knast“) zum Ermittler macht, ist dieses Erstlingswerk aber doch sehenswert. Was es mit einem anderen gemeinsam hat: Polder – Tokyo Heidi von Samuel Schwarz.

Die KI-Dystopie mit Christoph Bach als Opfer seines selbstentwickelten Computerspiels ist zwar schwer zugänglich und daher am Dienstag um 00.35 im Ersten ganz gut aufgehoben Trotzdem entfaltet die experimentelle Ästhetik einen ungeheuren Sog. Das hat sie tags drauf um 23.05 Uhr auf Arte mit einem Zeichentrickfilm gemeinsam. Klassisch gezeichnet skizziert April und die außergewöhnliche Welt eine erstaunlich hoffnungsfrohe Gegenwart ohne Strom und Autos, in der ein Mädchen nach ihrer Katze sucht. Da ist George Orwells Genre-Klassiker Animal Farm von 1955 zuvor an gleicher Stelle schon bedeutend pessimistischer.

Der Tatort am Sonntag gehört dann wegen der besonders frühen Sommerpause bereits zu den Wiederholungen der Woche. Es ist ein vergleichsweise junger Fall aus Köln namens Durchgedreht von 2016, der genau das eigentlich nicht ist, sondern ziemlich konventionell. Aber das mögen Fans von Ballauf und Schenk ja. In jeder Hinsicht unkonventionell war vor nunmehr 38 Jahren der farbige Tipp am Sonntag um 20.15 Uhr auf Tele5: Wenn der Postmann zweimal klingelt, ein erotischer Skandalfilm von 1980 mit Jack Nicholson als Geliebter, der den Mann seiner Loverin mit ihrer Hilfe töten will. Versprochen: Fußball kommt darin nicht vor.


Snail Mail, Foè,

Snail Mail

Will man das eigentlich – weit, wirklich sehr weit jenseits der Volljährigkeit noch dabei zuhören, was eine Songwriterin, die gerade erst von der Highschool abgegangen ist, so von ihrer ausklingenden Jugend zu berichten hat? Ist es für den etwas älteren Geschmack nicht ein bisschen arg melodramatisch, drängend, unreif, hitzig und entrückt, wenn Teenager ihre Sorgen und Nöte mithilfe nölenden Indie-Pops schildern? Das ist es, klar. Und bei Lindsey Jordan ist es das sogar vom ersten bis zum zehnten Track ihres Debütalbums lang. Nur: es ist halt auch genauso genau richtig und gut.

Lush strotzt zwar in der Tat nur so vor Melodramatik, Drang, Unreife, Hitze und Entrückung. Gepaart mit einem erstaunlich ausgefuxten Instinkt für verstörende Harmonien wird es aber gerade dadurch zum charmantesten Karrierestart des Jahres. Wie kurz zuvor schon die ähnlich jungen Fazerdaze oder Soccer Mummy schafft es die Sängerin aus Baltimore mit der schlaffen Kraft ihrer beiläufig gelangweilten Stimme, emotional zu klingen, aber nicht pathetisch. Lindsey Jordan ist spürbar bewegt von allem, was sie hier über ihr kompliziertes Gefühlsleben zum Ausdruck bringt. Aber es mündet nicht in sülzigen Folk, sondern Indierock, der sich auch mal ein verschrobenes Gitarrensolo gönnt oder schredderige Drums. Wie alt war sie nochmal? Ach, egal…

Snail Mail – Lush (Matador Recordss)

Foè

Und wo wir bei Nachwuchsmusikern sind, denen wirklich was auf dem Herzen brennt: Der Franzose Foé ist gerade mal zwei Jahre älter als Lindsey Jordan, wie sie bereits eine Weile im Geschäft, aber dabei natürlich immer noch von unübersehbarer Jugend. Nur: dem Debütalbum des Komponisten und Co-Produzenten spürt man dieses Inbrunst in jeder Note an. Îl hat absolut nichts von der schnodderigen Leichtigkeit seiner Kollegin aus den USA. Alles daran ist irgendwie getragen und schwer und voluminös. Das hat zwei Gründe: Foès Sehnsucht nach Tiefe im flachen Fahrwasser des Pop. Und sein bevorzugtes Instrument – das Piano. Es macht sein Timbre noch ein wenig dunkler und den Wave etwas dazu getragener, vor allem aber macht es ihn außergewöhnlich.

Gemixt mit Synthesizern und Electronica, mit Elementen aus HipHop, Folk und ein paar saftigen Dance-Einsprengseln verströmen die elf Songs einen discoesken Klassizismus, der manchmal für Gänsehaut sorgt (La Machine), manchmal schlicht haarsträubend ist (Mommy), aber durchweg Überraschungspotenzial hat. Gewiss, man muss schon einen Hang zur großen Oper haben, um Îl von Anfang bis Ende zu genießen. Es reicht aber auch ein Gespür dafür, wie viel Energie in Grenzgängern wie diesem ruht, die oft nur musikalisch entfesselt werden kann. Als hätten sich Jacques Brel und Claude Débussy mit Phoenix zum After-Rave getroffen. Es brennt lichterloh in Foè, wenn er über Liebe, Tod und Teufel sind. Lodern wir doch ein bisschen mit.

Foè – Îl (Embassy of Music)

 


Roseannes Ende & Successions Anfang

Die Gebrauchtwoche

28. Mai – 3. Juni

Wenn sich Schauspieler selbst spielen, ist das dramaturgisch oft von untergeordneter Bedeutung, sorgt aber für eine seltsam wahrhaftige Form der Fiktionalität. Bastian Pastewka zum Beispiel spielt in Pastewka ohne Bastian davor eine Figur, die so ungeheuer authentisch wirkt, dass sie kaum etwas anderes als echt sein kann. Ist sie aber natürlich nicht. Im Gegenteil. Das Gleiche gilt für all die Larry Davids, Luke Mockridges, Sarah Silvermans der – meist komödiantischen – Fernsehwelt: Auch der Klarname täuscht nie darüber hinweg, das Fernsehcharaktere eben genau das sind.

Fernsehcharaktere.

Dummerweise ist das bei Roseanne Barr anders. Die unverstellt beleibte und deshalb unverschämt beliebte Darstellerin spielt ihren einfach gestrickten, spürbar populistischen Trump-Fan gleichen Namens nicht nur; sie ist auch im echten Leben einer. Und so kommt ihr Tweet, mit dem sie eine Beraterin Barack Obamas rassistisch beleidigt, keinesfalls unerwartet. Unerwartet kam hingegen, dass ABC die unlängst reanimierte Quotenkönigin sofort vom Sender nahm. Das ist letztlich konsequent, am Ende aber natürlich Futter für die Hass-Kanonen anderer Trump-Fans, Trump eingeschlossen.

Wobei der sich seine Realität ohnehin selber bastelt – wie 3000 Zitate zeigen, mit denen der US-Präsident laut einer dankenswerten Recherche der Washington Post die Realität seit seinem Amtsantritt wissentlich verbogen oder gar falsch wiedergeben, vulgo: gelogen hat. Wenn Journalisten wie der ukrainische Korrespondent Arkady Babchenko, der kurz nach seiner angeblichen Ermordung durch Putins Russen von den Toten auferstanden ist, jedoch weiterhin Trumps Märchen von der Lügen-Presse füttern, dann können seriöse Zeitungen noch so lange zählen…

Wir zählen derweil die Tage bis zur WM, und was uns dort von Reporterseite erwartet, legte das ZDF beim Testspiel am Samstag gegen Österreich nahe. Nach Abpfiff fragte Boris Büchler den Nationalspieler Marco Reus folgendes: Ob er sich nach zwei Jahren Länderspielpause über die Rückkehr gefreut habe und heiß aufs Turnier in Russland sei. Danke Boris, du investigativer Bluthund. Aber gut – it’s just football. Oder wie Bertie Vogts bei der WM 1978 in der argentinischen Folterdiktatur sagte: Ich hab keine politischen Gefangenen gesehen.

Die Frischwoche

4. – 10. Juni

Weil das vielen Fußballfans so geht, schenkt ihnen die ARD nach dem Testspiel gegen Saudi-Arabien am Freitag von 23.30 Uhr an fünf Stunden lang die Höhepunkte der Nationalmannschaft seit dem 30-jährigen Krieg. An der realen Wirklichkeit versucht sich indes ausgerechnet RTL2. Donnerstag um 20.15 Uhr beleuchtet die Reportage Hartes Deutschland fast zwei Stunden, wie es sich am Rande eines stinkreichen Landes lebt. Wie es sich an der Spitze eines gespaltenen Landes lebt, macht HBO ab heute auf Sky zu einer der besten Drama-Serien dieser Tage. Mit Wackelkamera und großer Intensität skizziert Succession, wie die Familie eines greisen Medien-Tycoons das Erbe aufteilt, während Logan Roy (Brian Cox) noch auf der Intensivstation liegt, und dabei mehr noch als bei Denver und Dallas im eigenen Machtsumpf versinkt.

Wie es sich an den Konfliktherden lebt, zeigt an selber Stelle die Doku-Reihe Augenzeugen. Produziert von Michael Mann berichten vier Kriegsreporter ab morgen an gleicher Stelle von vier Schlachtfeldern. Starker Tobak ist auch das Drama Im Todestrakt (Donnerstag, 22.15 Uhr, Arte), mit dem der deutsche Regisseur Oliver Schmitz nach wahren Begebenheiten im südafrikanischen Apartheid-System ein Fanal gegen die Todesstrafe setzt. Kaum milder, aber schlichtweg genial ist der Mittwochsfilm im Ersten: Unterwerfung. Nach der umstrittenen Islamisierungsdystopie von Michel Houllebecq kompiliert Titus Selge den gefeierten Bühnen-Monolog seines Vaters Edgar zu einem furiosen Theaterfilm.

Bei so viel Härte ist es vielleicht mal an der Zeit für was Leichtes: Helena Hufnagels ARD-FilmDebüt etwa, das Dienstag um 22.45 die Nöte der Mittzwanzigerin Isi (Luise Heyer) ins Zentrum einer hinreißend flapsigen Komödie stellt. Und das ist noch gar nichts gegen die wunderbare Hipster-Abrechnung The Last O.G. über einen Ex-Gangster, der am Donnerstag auf TNT und Sky nach 15 Jahren Knast humorvoll ins gentrifizierte Brooklyn zurückkehrt. Noch ein Tipp vor den Wiederholungen der Woche: in seinem Biopic The Program entlarvt Stephen Frears den Radprofi Lance Armstrong (Ben Forster) am Dienstag um 20.15 auf 3sat als Teil eines verbrecherischen Doping-Syndikats. Jetzt aber: Die Hexen von Salem (Montag, 21. 55 Uhr, Arte), eine schwarzweiße französisch-ostdeutsche Koproduktion von 1958, ist nach einem Drehbuch von Jean-Paul Sartre auch 60 Jahre später noch ein verstörendes Werk über die Ursprünge des Puritanismus in den USA.

Das Regiedebüt Moon von David Bowies Sohn Duncan Jones (2009) brilliert demgegenüber heute um 0.05 im WDR farbig mit Sam Rockwell als vereinsamter Astronaut im Weltraum. Und der sächsische Tatort entführt uns am Mittwoch um 22.05 Uhr im MDR mit dem Gespann Sodann und Ehrlicher in Ein ehrenwertes Haus von 1995.


Nemec/Wachtveitl: BR-Tatort & Reichsbürger

Hast du grad Kollegen gesagt?

Fast 80 Fälle in 6541. Jahren – Miroslav Nemec & Udo Wachtveitl ermitteln schon so lange im Tatort, dass ihnen kaum noch etwas Neues widerfahren dürfte. Freies Land (Foto: Hendrik Heiden) allerdings führt sie dieses Wochenende ins Milieu der Reichsbürger. Ein Gespräch über ihr Odd-Couple Batic/Leitmayr, wie sie unter karnevalesken Nazis zurechtkommen und wie lange das Team noch beieinander bleibt.

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Herr Nemec, ganz am Anfang von Freies Land korrigiert Kollege Wachtveitl ihren Satz, etwas mache Sinn grantig mit „ergibt Sinn“.

Udo Wachtveitl: Wenn Sie ein Tatort-Enzyklopädist wären, wüssten Sie, dass das schon ein paarmal vorgekommen ist.

Miroslav Nemec: Wir haben das irgendwann mal als eine Art Spiel eingeführt, deshalb macht der Franz das ständig.

Wachtveitl: Und zwar völlig zu Recht! Ich finde diese Verunstaltung auch privat furchtbar, aber im Film geht es ja nicht eigentlich um Grammatik. Es geht um darunterliegende Emotionen und Charakterzüge, Besserwisserei oder angespannte Stimmungen zwischen den beiden. Wenn es auch noch szenisch was hergibt, umso besser.

Nemec: Interessanterweise ertappe ich mich jetzt auch selber dabei, mich zu korrigieren, sobald ich etwas wie „macht Sinn“ sage. Ich leide also auch privat unterm Franz (lacht).

Wachtveitl: In unserem Tatort steckt zwar so wenig Privates und so viel Persönlichkeit wie möglich. Aber wenn es mal passt und den Figuren dient – warum nicht …

Dringt das Persönliche nach 78 Fällen in 27 Jahren organisch ins Spiel ein oder folgt es stets dem Drehbuch?

Nemec: Das Persönliche dringt durch uns ins Drehbuch ein, um dann bei der Umsetzung das organische Spiel zu ermöglichen.

Wachtveitl: In diesem präzise aufeinander abgezirkelten Apparat müssen sich bis hin zum Ton-Mann, der die Mikro-Angel hält, alle darauf verlassen können, dass wir wiederholbare Abläufe einhalten. Beim Proben wird schon mal improvisiert, aber dann wird „eingeglast“.

Und wie viel polizeilicher Naturalismus steckt in diesem Odd-Couple des Krimis?

Nemec: Wir informieren uns natürlich an zuständiger Stelle über Sachverhalte, aber wir setzen nicht den Polizei-Alltag um. Es bleibt Fiktion.

Wachtveitl: Unsere Ermittlungsarbeit muss ja ein bisschen interessanter anzuschauen sein als in der Realität. Wenn man 90 Minuten bei der echten Polizei am Tatort ist, sind vermutlich 80 davon  ohne den geringsten Schauwert.

Nemec: Im strammen Dienstplan der Polizei stehen nicht unbedingt die privaten Befindlichkeiten der Handelnden im Vordergrund.

Wachtveitl: Unser Realismus besteht darin, wie wir miteinander reden, streiten, interagieren. Man muss den Figuren glauben können, dann kauft man auch so manches, was nicht im dokumentarischen Sinne dem Polizeialltag entspricht.

Nemec: Der Rest ist größtmögliche Verdichtung, sowohl im Dialog, als auch im Szenischen.

Wachtveitl: Und für die richtige Prise Naturalismus sorgen oft auch Komparsen, da sind nämlich regelmäßig echte Polizisten zu sehen.

Nemec: Von den Kollegen …

Wachtveitl: Hast du grad Kollegen gesagt?

Nemec: War das jetzt Amtsanmaßung…? Also von denen lernt man echtes Handwerk. Wie man Verdächtige richtig ins Auto schiebt, wie man die Waffe hält, Zeugen korrekt anspricht, aber auch juristische Grenzen.

Meistens ist Batic dabei der Impulsivere, während Leitmayr zur Ruhe neigt. Wieso ist es im Fall renitenter Reichsbürger umgekehrt?

Nemec: Weil sich Leitmayr in seinem juristischen Rechtsempfinden angegriffen fühlt, während es bei mir oft ein impulsiver Gerechtigkeitssinn ist, den Batic in diesem Fall versucht, nicht hochkochen zu lassen.

Wachtveitl: Hier passt es ganz gut, weil Leitmayr einen idyllischen Landausflug erwartet und plötzlich mit Leuten konfrontiert wird, die sein gesamtes Staatsverständnis herausfordern. Da fühlt er sich persönlich angegriffen.

Nemec: Wobei wir nicht sicher waren, ob man seine Wut erst außerhalb oder noch innerhalb des Münchner S-Bahn-Bereichs ansetzen sollte. Wir haben uns dann entschieden, dass es an dieser Reichsbürgerfestung beginnt.

Wachtveitl: Da wird er wirklich missionarisch.

Hätten Sie diesen Eifer gegen den Staatsboykott der Reichsbürger auch privat?

Nemec: Vermutlich. Da wäre ich dann eben auch impulsiver, weil mir diese Leute so realitätsfern vorkommen.

Wachtveitl: Und zugleich gibt es ja auch den karnevalistisch absurden Aspekt, aber das hören die vermutlich nicht gern. Klar ist: Wo das Gewaltmonopol des Staates in Frage gestellt wird, da gibt‘s kein Vertun, das muss sanktioniert werden.

Nemec: Mir macht der Gedanke dieser völligen Rechtsstaatsverweigerung auch Angst, weil Kriegsverbrecher wie Milosevic und Karadzic vorm Strafgerichtshof in Den Haag ganz real so vorgegangen sind.

Wachtveitl: Wobei deren juristische Munitionierung von anderer Qualität war als die der Reichsbürger.

Würden Sie persönlich mit solchen Totalverweigerern überhaupt noch reden?

Nemec: Nur, wenn’s was bringt. Und bei unseren Reichsbürgern im Film bringt’s eigentlich nix mehr.

Wachtveitl: Ich bin grundsätzlich immer für Gesprächsangebote. Aber wenn es um die Sanktionierung strafrechtlich relevanter Dinge geht, ist die Zeit des Redens vorbei.

Nemec: Das beginnt ja schon damit, Geldbußen nicht zu zahlen, weil man die StVO ablehnt.

Wachtveitl: Wehret den Anfängen. Unser Grundgesetz ruft seine Bürger aktiv dazu auf, das Gemeinwesen, die Rechtswirklichkeit kritisch zu verbessern, aber nur, wenn sie die Grundlage nicht infrage stellen. Wer an diesem Ast sägt, disqualifiziert sich für den Diskurs.

Werden die Reichsbürger im Film deshalb nicht wertfrei dargestellt?

Nemec: Werden sie das nicht?

Sie halten sich ständig im Umfeld steinalter, staubumnebelter Sperrmüllmöbel auf und gruppieren sich beim Essen zu einer Art christlichem Abendmahl …

Nemec: Das ist absolut gewollt, dieses Messianische, und eben auch verdichtet bis zur Kenntlichkeit.

Wachtveitl: Wir nehmen uns da die Freiheit, Partei zu ergreifen. Aber die haben die Reichsbürger ja auch und können mit uns das Gleiche tun.

Nemec: Machen sie ja!

Wachtveitl: Wobei es auch in diesem Spektrum unterschiedliche Leute gibt. Es gibt ja durchaus Beispiele, wo Staatsgründungen im Staate durchaus eine andere Note haben sind. Nehmen Sie Christiania in Kopenhagen oder Polit-Clownerien wie Staatsgründungen auf verlassenen Bohrinseln. Aber diese hier sind gefährlich!

Nemec: Grad weil sie so rechtskundig, manchmal gar gewitzt agieren. Die Sache mit dem „Personalausweis“ zum Beispiel, der uns zum „Personal“ einer BRD-GmbH macht.

Stimmt eigentlich der Eindruck, dass ihre Figuren dem durchschnittlichen Alterungsprozess widersprechen und nicht alterskonservativ werden, sondern altersprogressiv?

Nemec: (lacht) Nein, wir waren eigentlich immer schon so. Das hat auch damit zu tun, dass Franz aus kleinen Münchner Verhältnissen stammt und ich aus dem jugoslawischen Sozialismus.

Wachtveitl: Wir werden auch nicht unbedingt progressiver, sondern erkennen die Segnungen des Rechtsstaats. Ist eigentlich ein alter Hut, aber wenn Sie das inzwischen wieder als progressiv wahrnehmen… Ivo ist emotionaler, Franz analytischer.

Nemec: Es gab mal die Tendenz, dass ich laxer mit dem Recht umgehe und Franz buchstabengetreuer.

Wachtveitl: Trotzdem hab ich zuletzt schon mal jemanden eine verpasst.

Nemec: Und im Wüstensohn habe ich einen Araber im Affekt mal „Kameltreiber“ genannt, was ich privat nicht täte. Aber mit dem Alter hat all dies glaube ich nicht so viel zu tun.

Apropos – seit Sie im Dienst sind, spielt jeder 10. Tatort in München. Ist da ein Ende absehbar?

Wachtveitl: Vom Ende weiß man bisher nur, dass es kommen wird. Irgendwann.

Nemec: Unsere Redaktion hat schon Stoffideen für uns über das Tatort-Jubiläum im Jahr 2020 hinaus.

Sind Sie nach so langer Zeit eigentlich auch privat befreundet?

Wachtveitl: Na ja, alles andere wäre ein bisschen merkwürdig, oder? Andererseits haben sich unsere Lebensentwürfe auseinanderentwickelt. Miro lebt jetzt in einer langweiligen Vorortsiedlung mit Frau und Kind, ich bleibe ein wildes Großstadtkind.

Nemec: Urban und schmutzig. Wir waren allerdings schon bei meiner Familie in Istrien. Was ich wirklich vermisse, ist, dass wir mal zum Charles einen trinken gehen.

Wachtveitl: Aber keine Sorge, wir verbringen noch genug Zeit miteinander. Schon, weil wir, anders als viele Tatort-Kollegen am Set, im selben Wohnmobil hausen.

Nemec: Aber wir haben getrennte Betten.

Wachtveitl: Das kürzen die uns auch noch, wirst sehen.


Danger Dan, Moffat & Hubbert, McGowan

Danger Dan

Wenn man auf der richtigen Seite steht, also bei den Guten, den Klugen, den Reflektierten, dann darf man auch schon mal Blödsinn verzapfen. Kraftklub zum Beispiel haben der Ex eines Mitglieds auf ihrer letzten Platte kürzlich als “verdammte Hure” zur Hölle gewünscht, was von, sagen wir, fast jeder anderen Band schwer verachtenswert gewesen wäre. Jetzt haut der Berliner Conscious-Rapper Danger Dan auf seiner Solo-Platte erst jemandem aufs Maul (womöglich sich selbst) und glorifiziert danach (ein bisschen) Heroin – aber hey, wer mit der Antilopen Gang zuvor den deutschen HipHop gerettet hat und damit ein bisschen uns alle, der darf das.

Zumal der multiinstrumentell begabte Grenzgänger auch sonst ein Album von hinreißender Polarisationslyrik hingelegt hat, das dem Genre einen wirklich wunderbaren Crossover-Pop verpasst und uns allen dabei lebenslustig, aber durchaus ernst in die zivilisationsmüden Seelen blickt. Es heißt daher nicht umsonst Reflexionen aus dem beschönigten Leben. Ach, klänge klassenbewusster Rap doch immer so fröhlich verkopft, so sachlich enthemmt, so kraftvoll emanzipiert und dabei ulkig. “Es ist uns eine Ehre / mit euch verfeindet zu sein”. Love it!

Danger Dan – Reflexionen aus dem beschönigten Leben (Check Your Head)

Aidan Moffat & RM Hubbert

Was große Erfahrung, noch größere Gelassenheit und grandiose Virtuosität auch aus Stimmen heraus kitzelt, die weder singen noch rappen, sondern einfach so vor sich hin erzählen, belegt eine Band der betagteren Art: Aidan Moffat, allenfalls Nischenkundigen vom Slowcore-Duett Arab Strap bekannt, hat sich mit seinem schottischen Landsmann RM Hubbert zusammengetan, der zumindest daheim in Glasgow als einer der besten Indierock-Gitarristen unserer Zeit gilt. Gemeinsam machen die zwei Mittvierziger einen Sprechgesang, der in seiner musikalischen Verschwiegenheit ganz stumm macht – obwohl er einiges zu berichten hat.

Wie Spukgeschichten düster und rau brummt Moffat verschrobene Poesie über die Narben des Lebens und die Liebe als Balsam über die Inselgruppen seines meisterhaften Pickings. Oberflächlich gehört ist das – schon wegen des ortsüblichen Idioms – so unzugänglich, dass man die Texte eher als Grundraunen wahrnimmt. Dank der eindrücklichen Aura aus Geigen, Drones, Percussion und dem feenhaften Gastgesang von Siobhan Wilson, wird Here Lies The Body jedoch zum Manifest der maximalen Wirkung durch minimalen Einsatz. Ein Album zum Absinken.

Aidan Moffat & RM Hubbert – Here Lies The Body (Rock Action)

Seán McGowan

Wer es als Erfüllung eines ganz großen Traumes bezeichnet, den unverzagten Klassenkämpfer Billy Bragg auf Tour begleitet zu haben, der offenbart zwei Dinge von sich: Offenbar steht er noch am Anfang seiner Karriere. Und er trägt das Herz am linken, also rechten Fleck. Die Rede ist von Seàn McGowan, ein Mittzwanziger aus dem südenglischen Southampton, der seinem bald dreimal so alten Idol in vielerlei Hinsicht ähnelt, ohne ihm zu gleichen. Schon der Titel seines Plattendebüts Son of the Smith verströmt eine proletarisch geprägte Streitlust, die anders als hierzulande eher durch galligen Folkrock Gehör verschafft als im artigen Bergmannschor.

Doch wie ihr Mentor beschränkt sich Seán McGowans Band nicht darauf, parolenhaft die Verhältnisse anzuprangern. Mit Fiddel und Krach und Melancholie und, ja, gehöriger Wut macht sie daraus eine Art folkloristischen Spaßpunk, der nicht nur wegen des breiten Cockney-Slangs an Jamie T und die Levellers erinnert. Liebeskummer hat darin ebenso viel Raum wie Gerechtigkeitsfuror. Und zu beidem kann man Arm in Arm von einer besseren Welt träumen oder entfesselt durch den Club hüpfen. Billy wäre entzückt.

Seán McGowan – Son of the Smith (Xtra Mile Recordings)