Debattenfriday: Beck – Popstar oder Prediger?

Der Flokati-Verführer

Das neue, mittlerweile 12. Album von Beck ist musikalisch eher langweilig, wirft aber die Frage auf, ob eine Mitgliedschaft bei einer Sekte wie Scientology Auswirkungen auf Sound und Botschaft seiner Songs hat. Die Antwort: Leider nein, sonst gäbe es auf Morning Phase wenigstens irgendetwas, das zum Nachdenken anregt.

Von Jan Freitag

Was Worte sagen, ist vorurteilsfrei betrachtet nicht viel mehr, als die Summe ihrer Einzelteile. Buchstabensalat mit oberflächlichem Sinndressing. Nehmen wir „Fühlen“ – was da alles drinsteckt! Die ergreifende Herzensangelegenheit etwa oder doch bloß sensorische Sinneswahrnehmung. Als Emotion kann Fühlen den Lebenswillen rauben, als Empfindung auf der Haut verpuffen. Weil zwischen Euphorie und Juckreiz alles drin ist, kommt es da umso mehr auf den Kontext an. Das sollte man sich kurz vor Ohren halten, bevor der scheinbar arglos dahin gehauchte Imperativ „See only what you feel“ hindurchrauscht wie ein Hitparadenrefrain der Marke Sommerhit 2014.

„Sieh einzig, was du fühlst“ – von einer aufgebrezelten Vortänzerin des globalen Pop gesungen, wäre so ein Satz ja bestenfalls Begleitung seifigen Chartgedudels. Aber was, falls es einer singt wie Beck? Jener kindchenschemasüße Kalifornier mit Nachnamen Hansen; ein Singer/Songwriter, der Folkpop und Hip-Hop vor 20 Jahren zum Schnodderigsten kompilierte, was der Independent bis heute zu bieten hat?

Dann haben wir ein Problem.

Wenn jener Beck irgendwem auf dem neuen Album Morning Phase in seiner tiefenentspannten Art aufträgt, ausschließlich das zu sehen, was man fühlt, hören kritische Gemüter dahinter nämlich L. Ron Hubbard sprechen: Apostel, Gott, Prophet der Scientology-Sekte in Personalunion. Vor knapp zehn Jahren wurde ruchbar, dass Beck nach seiner Hochzeit mit einer Schauspielerin namens Marissa Ribisi (Some Girl) Hubbards dubioser Kirche beigetreten sei. Und so was Grundlegendes ist in der öffentlichen Wahrnehmung kaum vom künstlerischen Werk zu trennen. Juliette Lewis, John Travolta, Kirstie Alley, ja sogar (stellvertretend für dessen Synchronstimme Nancy Cartwright) Bart Simpson und natürlich Scientologies strahlendster PR-Stern Tom Cruise – sie alle gelten ja nicht nur als Mitglieder einer inkriminierten Religionsgemeinschaft, sondern ihr kreatives Schaffen gleich mit. Noch jeder Travolta-Film erntet Boykottaufrufe, um Scientology nicht zu finanzieren. Und wann immer Cruise auf der Leinwand auftaucht, fürchten viele die Indoktrination der Zuschauer. Davor ist auch Beck nicht gefeit; da kann er seit seinem spirituellen Outing noch so oft „it’s a personal thing“ beteuern

Das ist es so wenig, wie die Existenz Prominenter generell als Privatsache aufgefasst wird. Im Selbstverständnis bunter Medien und ihres Publikums sind Stars nicht nur öffentliche Personen, sie sind Gemeineigentum. Jedes Wort, jede Tat, jeder noch so intime Habitus gerät in die Deutungsmaschinerie des Boulevards. Und wenn ein Beck im Spiegel-Interview „Antennen“ an sich verortet, mit denen er „Schwingungen der Luft“ aufnehme, mutiert das knuddeligste Lausejungengesicht zur Fassade. Zumal ein Künstlerkind aus dem liberalen Los Angeles, aufgewachsen im Umfeld von Andy Warhols Factory, garantiert zu klug ist, um verführt zu werden. Im Umkehrschluss hieße das: Beck – der Verführer. Durch seine Texte, die Musik, ihr PR-Potenzial. Das neue Album heißt Morning Phase? Damit kann folglich nur der erwachende Morgen scientologischer Weltherrschaft gemeint sein. Morgen? Morgenland? Islam? Islamismus? Klingelt’s?

Es klingelt. Aber vor allem im Verstand. Dass jemand, der einer Sekte angehört, von ihr vollends durchdrungen ist,  nicht in der Lage, sich unabhängig davon zu artikulieren, folgt ja einer doppelten Unterstellung. Allerdings wirft sie die berechtigte Frage auf, wie viel Einfluss Herkunft, Sichtweise, Umfeld und Wesen eines Künstlers grundlegend auf dessen Kunst haben. Am Westküstenidiom von Boy verweist kein Akzent auf die Deutschsprachigkeit des Duos und acht von zehn Amerikanern halten die Scorpions für Landsleute. Es gibt schwarzen Country, weißen Gangsterrap, tuntigen Straightpop, kernigen für Schwule, es gibt die alterslosen Madonna oder Birdie und selbst wenn Texte offenbar eine Richtung vorgeben, sagt das noch nichts über die Musiker aus. Oder hält jemand AC/DC wegen höllischer Wortspiele für Satanisten? Kurzum: Was übers Klangerlebnis hinaus nicht explizit als Meinungsäußerung deklariert wird wie im Agitprop der Art von Rage Against The Machine oder Patriotenstuss der Marke FreiWild, ist zunächst mal nur: Musik.

Und weil Beck nun mal „Musiker, kein Prediger ist“, wie er unablässig insistiert, sollte man auch die seine abseits aller Religiosität analysieren. Allein: Zum Vorteil gereicht ihr das nicht. Denn dieser ewige Slacker, der dem Pop mit Songs wie Loser und Platten wie Odelay eine ungehörte Lässigkeit verpasste, hat mit 43 den Turnaround ins Alter vollzogen und klingt nun, wie gereifte Rebellen oft klingen: bemüht. Hatte er sich nach dem Erstlingswerk Mellow Gold bis zum vorletzten Album Modern Guilt eine nonchalante Aufsässigkeit gegen alle Popmechanik bewahrt, klingt Morning Phase, als träfe Eddy Vedder Cat Stevens auf der Altersheimveranda zum Besingen besserer Tage.

Nicht dass alles schlecht wäre; es sind schöne Lieder, die Beck da vorträgt. Lieder, die erneut von Liebe, Freundschaft, Abschied und Leuten in seltsamen Situationen handeln. Doch keines davon reibt sich daran klanglich. Schon im Opener Morning webt Beck einen Flokati aus Geige, Orgeltupfen, Mundharmonika unter seine Neofolkprosa, die sich den ironischen Tonfall von einst so sehr verkneift, bis John Denver durchschimmert und schlimmer noch: jener Späthippie, den Beck auch optisch längst verkörpert. Nach elf Studioalben des verzögerten Erwachsenwerdens liefert sein 12. keinen Soundtrack mehr für Zyniker, die sich ihr richtiges Leben im Falschen nicht durch Moral vermiesen ließen. Es ist Einschlafmusik für Zivilisationsgestresste. Mehr steckt nicht dahinter, nicht mal die kleinste Scientologyreklame. Als Fan bedeutsamer Musik muss man fast sagen: Leider.

Mehr Text, Bilder, Sound und Kommentare unter http://www.zeit.de/kultur/musik/2014-02/beck-hansen-morning-phase

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Katastrophenfilme: Pomp & Pompeji

pompejiKatastrophale Filme

Wenn der Vesuv ab heute mal wieder Pompeji im Kino einäschert, zeigt sich wie so oft die Anziehungskraft des Untergangs aufs Publikum. Eine kleine Werkschau des Katastrophenfilms und was das über uns als Zuschauer aussagt

Von Jan Freitag

Und dann explodiert er doch. Es hat sich ja bereits eine Weile angekündigt, wie es sich eben immer eine Weile ankündigt, in diesem Genre: Ein einsamer Wanderer versinkt in aufgerissener Erde. Die Natur ringsum macht zusehends seltsame Geräusche. Überall qualmt, brodelt, zischt es. Und irgendwann, unvermeidlich wie der Kuss des Helden, beginnt im Glas der Wein zu zittern. Beim gängigen Katastrophenfilm heißt das: Jetzt geht’s los. Der Untergang nämlich. Diesmal mit der Mutter aller Katastrophenfilmopfer im Würgegriff der Mutter aller Katastrophenfilmtäter: Vesuv, Pompeji, mal wieder.

Schon in der Ursuppe laufender Bilder finden sich schließlich viele vom Vulkanausbruch anno 79. Allein bis Anfang der Sechziger wurde die sündhafte Stadt knapp ein Dutzend Mal fiktional dem Erdboden gleich gemacht. Heute kommt also die nächste Version ins Kino, zeitgemäß in 3D versteht sich, mit Kit Harington (Game of Thrones) als heroischer Sklave im Kampf um den schönen Klassenfeind (Emily Browning) und ihrer aller Überleben im Feuerhagel. Umgeben von Profitgier, Habsucht, Eitelkeiten spielt das handelsübliche Liebespaar sein gewohntes Spiel desaströser Dramaturgie und erneut zeigt sich: Es gibt viele Wege nach Armageddon, aber alle sind ähnlich beschildert.

Denn ob die Natur zuschlägt oder irgendeine Nemesis, ob sie einzelne Gruppen straft oder die ganze Spezies – meist läuft es doch so: Einsamer Mahner stemmt sich gegen die Ignoranz der Masse und rettet im Team mit blitzgescheitem Unterwäschemodel und noch klügerem Nerd erst seine Familie, dann den Rest der Stadt/Nation/Erde vor dem, was unsere Art zu konsumieren, siedeln, zu leben für Risiken mit sich bringt. Gut – in Pompeji fehlt vieles von dem, was zeitgenössische Disaster Movies mit sich bringen und am Ende sind alle tot. Doch auch hier geht es um Schicksal, Hybris und vor allem: um Angst.

Die ist ja nicht nur ein Gefühl, sondern eine Geschäftsidee, mit der sich seit jeher gut verkaufen lässt: Heilslehren, Sagrotan, Sicherheit, Psychopharmaka, Faltencremes – und Filme. Der moderne Medienmensch hasst Gefahr so sehr, dass er den Thrill liebt, sich davor risikofrei zu fürchten. Besonders am Bildschirm zeigt sich dabei: Die Angst hat Konjunkturen. Apokalypsenfilme, schreibt das Lexikon der Filmbegriffe, sind „Seismographen ihrer Zeit“, thematisieren also „politische, kulturelle und moralisch-ethische Problemkonstellationen“ der aktuellen Nachrichtenlage. Die aufkeimende Fortschrittsskepsis der Siebzigerjahre sorgte so für einen ersten Boom des filmischen Zusammenbruchs. Mit Hollywoodbombast wie Erdbeben oder dem Fernsehspiel Smog von Wolfgang Petersen. Die waffenstarrenden Achtziger ergänzten das Sujet um Atomkrieg (Day After), die globalisierten Neunziger um grenzenlose Erreger (etwa beim RTL-Comeback der Pest), die umweltbewegten Neunziger ums Klima (Day After Tomorrow). Stets geht es um den Fortbestand des Ganzen, symbolisiert durch Einzelschicksale auf begrenztem Raum. Zunächst meist im Kino, nach dem 11. September, als die Krise vom Ernstfall zur Regel wurde, zusehends am Bildschirm.

Das Prinzip Paranoia wirkt. Besonders, wenn die Auslöser unsichtbar waren wie Keime auf der Klobrille oder islamistische Schläfer im Flieger. Als sich Anfang des Jahrhunderts Fälle von Meningitis häuften, schickte Sat.1 seine Task-Force D.I.K. los. Als die Vogelgrippe wütete, drehte Pro7 seinen Epidemiethriller Faktor 8, als sie zur Pandemie geriet, infizierte das TV-Drama Pandemic die Bildschirme mit dem Influenzaerreger H3N7. Als SARS Lungen entzündete, reagierte das ZDF mit der Mobilen Einsatzgruppe Tropenmedizin. Ein Versuch, wie der damalige Unterhaltungschef Claus Beling sagte, „Wirklichkeit, die uns schneller einholt, als uns lieb ist, ins Vorabendprogramm zu holen“.

Noch mehr versucht es jedoch Sat1. Erst machte der Sender den europaweiten Blackout 2006 zu Der große Stromausfall, wo fiese Generatoren arglose Elektriker im grollenden Funkenregen verspeisen. Fünf Jahre später führte die Laufzeitdebatte zum AKW-Drama Restrisiko mit einer Schaltzentrale im Stile feindlicher Raumschiffe. Und dass beim Schwesterkanal Pro7 2009 ein Passagierflieger auf Berlin rast, hat seinen Ursprung in Flug 587, der Jahre zuvor auf New York gestürzt war. Dichtung oder Wahrheit – Angst ist ein guter Programmdirektor.

Das belegt jedes noch so weit entfernte Zugunglück, das es in die Tagesschau schafft. Das belegt vor allem die Exportquote. Eigenproduktionen von Tornado – Der Zorn des Himmels bis Inferno – Flammen über Berlin verkauften sich im Ausland so gut, dass der TV-Kritiker Christian Buß 2007 das „neue deutsche normierte Industrieprodukt namens Katastrophenfilm“ beschrieb. Seither geben besonders die Privatsender Gas. Vor drei Jahren inszenierte Sat1 den porös geförderten Ruhrpott zum Abgrund, während RTL die Eifel für neun Millionen Euro unterm explodierenden Vulkan begrub und am Einheitstag drauf gar ein Schwarzes Loch unterm Teilchenbeschleuniger CERN kreierte, das Deutschland nach allen Regeln der Katastrophenfilmkunst von unten aufzufressen drohte. Hätte es da nicht eine Handvoll attraktiver Helden gegeben, die dem knisternden Supergau ein Ende bereiteten. Stets vorn dabei: digitale Effekte von VFX bis CGI, stereotyp vermittelt durch die schöne Wissenschaftlerin plus schicker Held vs. gieriger Unternehmer, den der deutsche Koproduzent 2014 in Gestalt eines skrupellosen Gladiatorenzirkus-Betreibers sogar auf Pompeji ansetzt.

Mehr Text, Bilder, Kommentare auf http://www.zeit.de/kultur/film/2014-02/pompeii-katastrophenfilme


Christoph Maria Herbst: Stromberg & Mensch

Ich liebe Stromberg

Mit der crowdfundingfinanzierten Kinoadaption des Büroberserkers Stromberg scheint die Figur endgültig auserzählt. Ihr Darsteller Christoph Maria Herbst über seinen Markenkern, Fieslingschubladen, die Kunst des Stand-up und was Hans Moser, Dieter Hallervorden, Helmut Kohl und Adolf Hitler in seiner Film- und Fernsehwelt gemeinsam haben.

Interview: Jan Freitag

freitagsmedien: Herr Herbst, kennen Sie das Spiel, auf Fragen nicht mit Ja, Nein, Schwarz, Weiß antworten zu dürfen?

Christoph Maria Herbst: Klar.

Wir ergänzen das um Stromberg und Kreutzer, okay?

Was passiert, wenn ich doch was davon sage?

Kriege ich eine Rolle in Ihrem nächsten Film.

Und falls ich gewinne?

Kriegen Sie eine in meinem nächsten.

Oh mein Gott! Also los!

Wurden Sie je auf eine bestimmte Rolle reduziert?

Ich lasse mich nicht reduzieren. Es wird immer wieder versucht, aber dagegen stelle ich mich einfach so breitbeinig auf, dass man den Fokus nicht nur auf eine meiner Figuren legen kann.

Anderseits spielen Sie selbst mit der Reduktion, wenn Sie in einer Folge Pastewka sich selbst spielen und am jemand ständig „Herr Stromberg“ zu Ihnen sagt.

Ich bin humorvoll genug für ein gerüttelt Maß an Selbstironie. Und die Prominenten, die sich bei Pastewka selbst spielen, nehmen sich nun mal gern auf die Schippe.

Werden Sie ansonsten schon mal mit einem anderen Namen als Herbst angesprochen?

Mit Maria! Und ich bin doof genug, drauf zu reagieren. Meine Agentin nennt mich übrigens seit 15 Jahren so, weil sie so viele Christophs in der Kartei hatte.

Wurden Sie schon mal mit Kreutzer angesprochen?

Der Name ist bislang noch nicht gefallen.

Gut gemacht, Sie können nun mit vollem Vokabular beantworten: Ist es ein Gütemerkmal, mit einer Filmfigur identifiziert zu werden, oder Ausdruck von Übersättigung?

Es ist ein quantifzierendes Element, kein qualifizierendes. Das hat mit der Präsenz der Figur zu tun. Aber natürlich auch mit ihrer Unartigkeit.

Arschlöcher haben eine enorme Anziehungskraft.

In der Tat, von diesen gesellschaftlichen Katalysatoren haben wir zu wenige mit Anspruch im Fernsehen, obwohl sich das Publikum an denen am liebsten abarbeitet.

Aber als Mensch sind Sie doch gar nicht so oder?

Wie Bernd Stromberg? Sicher nicht, sonst würde mir die Rolle nicht so gut gelingen. Weil es das Schwierigste ist, sich selbst zu spielen. Je weiter die Figur vom Schauspieler weg ist, desto besser gelingt sie. Sofern man das richtige Talent hat.

Und das haben Sie.

Bei aller Bescheidenheit – ja. Vom lieben Gott gegeben. Mehr jedenfalls, als von allem, was Arschlöcher ausmacht.

Muss von denen nicht dennoch etwas in einem stecken, um Bernd Stromberg glaubhaft zu machen?

Nein, die intellektuelle Leistung, sich in so einen hineinzudenken, gehört zum Talent zwingend hinzu. Anthony Hopkins musste für seine Rolle im Schweigen der Lämmer ja keine menschlichen Körperteile kosten, solchen Aufgaben kann man sich wie Strombergs Attributen rein kognitiv nähern.

Welche wären das?

Machismo und Fremdenfeindlichkeit, auf den eigenen Vorteil bedacht sein, leutselig tun, aber egoistisch sein – all das habe ich nicht mal in homöopathischen Dosen. Aber das Format hat eine Menge mit mir zu tun, der schwarze, zynische Humor darin, auf intelligente Weise von hinten durch die Brust ins Auge. Das ist aber keine Frage meiner Figur, sondern des Genres.

Ist es noch Komödie? Das Lachen bleibt einem ja zusehends im Halse stecken…

Davon abgesehen, dass das meine liebste Humorebene ist, habe ich dieses Label „Komödie“, oder schlimmer: Comedy nie verstanden. Ein Begriff, mit dem ich zu leben gelernt habe, der aber mit Stromberg nichts zu tun hat. Und spätestens in dieser Staffel ist es auch nur noch Tragedy, mit dem shakespearehaften Antihelden Stromberg.

Der nur Täter oder auch Opfer ist?

Auch Opfer, bei aller Täterschaft. Opfer seiner Versicherung, von Strukturen, Arbeitsabläufen, Äußerlichkeiten. Diese Uniformität hab ich schon in den 80ern während meiner Lehrzeit bei einer großen Bank kennengelernt; der tägliche Trott färbt auf alles ab – Sprache, Aussehen, das Verhalten.

War Ihre Banklehre Inspiration für Stromberg?

Absolut. Stromberg ist das Alter Ego mehrerer meiner Chefs bis hin zu seinem Klobrillenbart, den in meiner Abteilung irgendwann drei, vier Leute hatten, um sich optisch an sie heranzuwanzen. Damals habe ich unglaubliche Dinge beobachtet, ohne zu wissen, dass sie mir mal in einer Rollengestaltung dienlich sein könnten. Jetzt kann ich mir das ein oder andere Trauma von damals durch meinen Stromberg fortventilieren.

Auch, dass Systeme wie Strombergs Versicherung unfähig sind, sich solcher Angestellter zu entledigen.

Vielleicht. Aber genau da dürften wir die Schraube nicht noch weiter anziehen. Was Stromberg sich im Laufe dieser Staffel leistet, erreicht Höhepunkte, die zwangsläufig zum Fall führen müssen, um glaubwürdig zu bleiben.

Klingt nach dem Ende nach dem Kinofilm…

Wir haben vertikal wie horizontal eigentlich alles erzählt. Bei einer 6. Staffel müssten wir intensiv beraten, was aus der Konstellation noch rauszukitzeln ist. Und auch ich muss mich immer wieder aufs Neue hinterfragen, ob ich mich auf diese Figur weiter einlassen will.

Dann ginge allerdings Ihr Markenkern verloren.

Und doch wäre ich bei einem Sender, der sich diesen Seriensolitär ohne Quotendruck leistet, in der Luxusposition, Stopp rufen zu können: Macht mal ohne mich weiter! Was natürlich nicht geht. Die ernorme Qualität der Bücher bestärkt mich aber immer wieder darin, weiterzumachen. Da ist mir der Stempel auf meiner Stirn ziemlich egal.

Sie fühlen sich in der Fieslingsschublade wohl?

Immer noch. Und weil ich mich die größte Zeit meiner Karriere nicht mal in einer Kommode befunden habe, sollte ich darüber auch nicht lamentieren. Aber stimmt schon: mittel- bis langfristig wäre es mir eine große Freude, mehr Schubladen zu füllen. Mir werden zwar überwiegend Strombergs kleine und große Brüder angeboten, aber ich hab’s ja in der Hand, abzulehnen, was ich samt und sonders tue – mir fehlt halt jede Lust, mich selbst zu kopieren. Unterm Strich hat mir Stromberg aber mehr Türen geöffnet als geschlossen. Ich spiele ja Nichtarschlöcher, obwohl die keinesfalls spannender sind.

Aber häufiger, also lukrativer.

Trotzdem mache ich nichts Pilchereskes. Ich habe lieber Ecken als Sympathien. Wenn ich die letzten Jahre Revue passieren lasse, gehen meine Rollenprofile zwar überwiegend in Richtung negativere Charaktere wie in „Hände weg von Mississippi“. Allerdings hat Detlef Buck angeboten, dass ich mir eine Rolle in dem Kinderfilm aussuche. Und das war eben der fiese Albert Gansmann. Aber das schließt ja freundliche Charaktere wie König Julius bei Hui Buh oder Don Quixote nicht aus. Kabinettstücken wie der Ermittler Kreutzer: Ein echter Exzentriker.

Vor allem aber ein Soziapath, wenngleich ein brillanter.

Auf die Kombination stehe ich: Realität so weit strapazieren, dass man es so grad eben noch glauben möchte.

Darf man das Paraderolle nennen?

Nicht wenn das heißt, sie sei mir auf den Leib geschrieben. Ralf Husmann hat Stromberg ja lange vorm Casting geschrieben, in dem ich mich eben durchgesetzt habe. Und Kreutzer lag sechs Jahre beim Autor, bevor es mit mir realisiert wurde. Ich durfte mich beiden Figuren unvoreingenommen nähern.

Haben Sie die bei aller Kälte darin dennoch lieb gewonnen?

Selbstverständlich, sonst könnte ich Rollen nicht spielen. Ich ertappe mich oft dabei, mich wie eine Lämmermama vor Stromberg zu stellen, wenn man ihn madig macht; das tut mir persönlich weh. Ohne Liebe würde ich ihn kabarettistisch verfremden, also vorführen, mit erhobenem Zeigefinger Brecht’schen Theaters. Meine Aufgabe ist es, hinter der Figur zu verschwinden. Alles andere wäre doch peinlich. Ich liebe jede meiner Rollen, besonders Stromberg. Und wissen Sie, warum noch?

Warum noch?

Weil er, weil die Serie Menschen bewegt. Ich kriege viele Mails von Leuten, die einen Ernie im Büro haben, eine Tanja, Chefs wie Stromberg. Einer hat seinem eine Staffel geschenkt, die der gesehen hat und seither sein Verhalten besser reflektiert. Ist doch fantastisch, wenn Fernsehen Einfluss aufs Miteinander hat. Das sorgt bei mir fast für missionarischen Eifer und zeigt mir: Stromberg ist politische Unterhaltung mit Strahlkraft.

Ist die denn planbar?

Bei Stromberg war da nichts geplant. Und falls doch, wär’s in die Hose gegangen.

Taugen Sie eigentlich fürs Parodistische wie bei Switch Reloaded?

Schon. Ich habe ein Talent zur Imitation, allerdings eher Klassiker, die fast jeder beherrscht: Hans Moser, Dieter Hallervorden, Helmut Kohl, Adolf Hitler. In dieser Reihenfolge.

Stellen Sie sich dafür bei Partys auf den Stuhl?

Ich bin zwar kein Komiker, der seinen Hocker immer dabei hat, aber unter Gleichgesinnten, wenn die richtige Atmosphäre herrscht, kann so was schon passieren.

Verbrennt Sie dieser Hang zur Pointe nicht auch für wirklich ernste Rollen?

Den lustigen Herrn Herbst gibt’s bislang nur als Schauspieler, nicht als Castingagent, Produzent oder Redakteur. In meiner Berufsbezeichnung „Freischaffender“ schwingt zwar die libertäre Vorsilbe mit, aber ich werde von anderen besetzt. Immerhin habe ich mit Annette Frier gerade den Tod gespielt, die zwar skurril, aber nicht komisch war. Und Kreutzer spiele ich ja auch nicht augenrollend; dem versuche ich große Ernsthaftigkeit zu verleihen, was aber auf Komödie insgesamt verweist: Man spielt sie am besten, indem man die Figuren darin total ernst nimmt.

Bastian Pastewka sagt, wahrer Humor entsteht in der Pause.

Billy Wilder sagt, Komödie ist Tragödie mit einem Lächeln. Und Woody Allen: Comedy ist Tragedy with Timing. So halte ich auch.

Schönes Schlusswort.

Danke. Und Sie schicken mir dann Ihr Drehbuch.


Der echte & der falsche Wulff

Werbung, RFT Color 20, FernseherDie Gebrauchtwoche

17. – 23. Februar

Wenn man mal Revue passieren lässt, was vorige Woche medial vor sich ging. Wenn Facebook zum Beispiel für den Messaginservice WhatsApp mit seinen 50 Angestellten aberwitzige 19 Milliarden Dollar zahlt, wofür sich Wladimir Putin gleich noch Olympische Sommerspiele ins nördliche Sibirien bauen könnte. Wenn die Übertragung der (endlich) beendeten Winterspiele verdeutlicht, wie egal selbst ernstzunehmenden Sendern so lästige Randaspekte wie Demokratie, Menschenrechte, Umweltschutz werden, wenn es eine dufte Rodelrennquote zu erzielen gibt. Wenn also Unterhaltung in all ihren Facetten von der Realität Besitz ergreift. Dann dürfte selbst dem privatesten Stammpublikum klar werden, wo die öffentlich-rechtliche Kernkompetenz liegt: in der Nachrichtenlage. So gesehen waren die furchtbaren Tage der Ukraine wunderbare für ARD und ZDF.

Besonders das Erste liefert seit der Eskalation am Dienstag ja vorbildliche Arbeit aus dem russischen Einflussgebiet. Gut, die Berichterstattung pendelt meist leicht einseitig Richtung Revolte, aber sie tut es mit einer Seriosität und Bildgewalt, dass jeder Brennpunkt zum Paradebeispiel informativen Niveaus wird. Mit einem frischen Gesicht zudem, das auf dem Weg zum echten News-Star ist: Golineh Atai. Die ARD-Korrespondentin hatte zuletzt famose Reportagen über den Irrsinn von Sotschi gemacht. Nun steht seit vielen Tagen sie so eloquent wie kundig auf einem Kiewer Hotel und schildert in schusssicherer Weste, was auf dem umkämpften Maidan tief unter ihr passiert.

Das ist TV-Journalismus vom Feinsten. Von dem sich der zu den drei anderen Topthemen dieser Tage ein Scheibchen abschneiden könnte. Die Causa Edathy ist schließlich das derzeit absurdeste Fest moralischer Schizophrenie; die Causa Lanz erlebte diesbezüglich vorgestern nur eine weitere Wettsofa-Etappe (vor erstmals weniger als sechs Millionen Zuschauern); und da ist noch nicht mal von Christian Wulff die Rede, der Donnerstag sein Urteil erwartet. So falsch es nämlich war, während der akuten Skandalphase ohne Reflexion und Gnade auf dem Ex-Präsident einzudreschen, so falsch ist es nun, ihn publizistisch ohne Wenn und Aber freizusprechen, nur weil es die Gesetzeslage tut.

Rein juristisch mögen also nur entkräftete Vorwürfe der zur Vorteilsnahme umgedichteten Bestechlichkeit vor Gericht gestanden haben; das gesunde Rechtsempfinden lässt eben doch mehr als 753,90 Euro bei einem Oktoberfestbesuch an Christian Wulff kleben. Wer zu schnell Auto fährt, wird schließlich auch nicht nur für den Standort des Blitzens bestraft, sondern fürs Schnellfahren insgesamt. Und Christian Wulff ist zu schnell gefahren – als Bürger, der sich an den Honigtöpfen der Mächtigen berauschte, als Politiker, dem jede Distanz zur Wirtschaft fehlte, als Staatschef vor allem, der in seinem Kleinmut so präsidial war wie ein Landrat beim Bau überflüssiger Umgehungsstraßen durch die Firma seines Bruders. War halt das beste Angebot, lautet es da oft.

TV-neuFrischwoche

24. Februar – 2. März

Und wie man genau diese Haltung fiktional anspruchsvoll versinnbildlicht, bringt morgen ein Schauspieler zum Ausdruck, von dem es wohl kaum jemand außer Sat1 erwartet hätte: Kai Wiesinger. Der Romanzenstar spielt auf dem Romanzensender nämlich eben jenen Christian Wulff, der schon dadurch Authentizität verspricht, dass er in Der Rücktritt auch so heißt. Dieses Versprechen löst Wiesinger mit einem furiosen Spiel zwischen Larmoyanz, Selbstbetrug und Trotz ein. Ohne treffsicheren Klamauk wie bei der Guttenberg-Groteske Der Minister auf gleichem Kanal. Ohne staubige Parteinahme wie beim Kanzlerporträt Der Mann aus der Pfalz 2009 im ZDF. Ohne Überhöhung oder Untertreibung gerät Der Rücktritt also mit anschließender Dokumentation zum Besten, was das kommerzielle Programm 2014 bereithalten dürfte. Prädikat: grandios.

Eher grottig dagegen ist heute Die Flut ist pünktlich geraten. Mit Darstellern von Jürgen Vogel über Ina Weisse und Bernadette Heerwagen bis hin zu August Zirner ist das Nordseekrimibeziehungsdramairgendwas zwar exzellent besetzt, aber so öde, dass all die betörenden Naturaufnahmen bloß einschläfern. Also in etwa dasselbe tun, was die närrische Zeit am Bildschirm liefert, würde es dabei zwischendurch nicht ständig donnernde Tuschs hageln. Bis Aschermittwoch holen die das knopfdruckfröhliche Publikum Abend für Abend aus dem Sekundenschlaf vorm Fernseher, stets zur besten Sendezeit, abwechselnd in ARD und ZDF, in den Ausprägungen Franken, Hessen, Köln, Düsseldorf und natürlich das unvermeidliche Mainz bleibt Mainz am Tag nach der größten aller Maskeraden, dem Wiener Opernball 2014, Donnerstag ab neun auf 3sat.

Wer’s mag … mag heute ab 21.15 Uhr womöglich auch den selbstverliebten Steffen Henssler als Ersatz für den uneitlen Restauranttester Christian Rach bei RTL. Oder Til Schweiger als Kandidat bei Gottschalks Klassentreffen Back to School auf gleichem Kanal am Freitag. Wer’s mag, mag dafür mit großer Wahrscheinlichkeit eher nicht: Die morgige Arte-Doku Versenktes Gift über verklappte Chemiewaffen in den Weltmeeren. Oder tags drauf, ebenfalls Arte, das moderne Märchen Baikonur über einen kasachischen Jungen, der sich in eine herabgestürzte Kosmonautin verliebt. Oder Freitag, wieder Arte, das Mundartstück Die Kirche bleibt im Dorf, mit der wunderbar schwäbelnden Karoline Eichhorn im dörflichen Nachbarschaftsstreit. Das ist ebenso großartig wie die Tipps der Woche: Mittwoch, halb elf auf Servus TV: das schwarzweiße Melodram The Man Who Wasn’t There von den Coen-Brüdern. Und Mary Poppins, am Donnerstag auf dem Disney-Channel.


Songwriterfriday: William Fitzsimmons

Meine Musik ist Therapie

Man muss schon ganz genau hinhören, um William Fitzsimmons zu verstehen. Auch auf seinem sechsten Album Lions haucht der Singer/Songwriter aus Pittsburgh seine melodramatischen Texte über all die Alltagsschmerzen seiner 35 Jahre so leise über die Akustikgitarre, dass man meinen könnte, er sei tief verletzt. Ist der junge Vater aber gar nicht. Im Gegenteil, wie er im Gespräch beweist.

William Fitzsimmons: Hi, wie geht’s dir?

freitagsmedien: Gut danke, und selber?

Großartig, danke.

Deine Stimme klingt gesprochen viel kräftiger als gesungen. Ist das überhaupt dieselbe wie auf deinen Platten?

Nein, die lasse ich grundsätzlich von einem kleinen Jungen singen, der meine Songs so dünner klingen lässt. Das verkauft sich einfach besser (lacht). Nein, ernsthaft: meine Mutter hat mir eigentlich beigebracht, mit einer männlichen Stimme zu singen. Das ist so ziemlich das Einzige, was ich mir von ihren Ratschlägen offenbar nicht zu Herzen genommen habe.

Ansonsten hattest du das perfekte Elternhaus für eine Karriere als Sänger?

Absolut, meine Eltern sind beide Musiker, es gab bei uns eigentlich immer Musik, ob aus den Boxen oder der Orgel meines Vaters. Deshalb finde ich an meiner Stimmer auch gar nicht so seltsam, dass sie so leise ist, sondern dass ich so unsauber intoniere, nicht aus der Brust, sondern aus dem Kopf. Aber keine Sorge – ich könnte auch lauter singen, wenn ich wollte.

Warum klingst du dann so fragil, verletzlich?

Das bringt die Tiefe meiner Gefühle beim Singen zum Ausdruck. Ich mochte auch bei anderen Künstlern schon früh diese Art, sich auszudrücken. Wenn man als junger Mensch die Musik entdeckt, neigt man ja noch zum Imitieren; so hab auch ich mir das angewöhnt, und es passt auch einfach gut zu ruhigen Folksongs wie ich sie mache.

Hast du deshalb zur neuen Platte gesagt, wer sie wirklich begreife, würde verstehen, dass ich nicht bloß ein weiterer depressiver Junge mit Bart bin?

Absolut. Ich würde mich sogar als alles bezeichnen lassen, was davon das Gegenteil ist. Es gibt in jeder Person diese zwei Seiten der Seele: eine dunkle, eine helle. Bei mir dominiert zurzeit jeweils die letztere.

Aber woher rührt dann bloß diese melodramatische Stimmung auf deinem neuen Album, in dem es ständig um Trennungsschmerz geht oder wie im Titelstück um „Lions between us / which cut us to pieces“?

Das sind Teile meiner Erfahrungen, die ich einfach musikalisch mehr zulasse, je älter ich werde. Ich bin jetzt Mitte 30, da lässt man auch die negativen Erinnerungen zu und beschäftigt sich mit ihnen. Ich will das nicht überdramatisieren, aber in meinem Alter hat man einfach schon einige Verletzungen hinter sich, die es wert sind, thematisiert zu werden. So was passiert dir dein Leben lang und es gibt nichts Schlimmeres, als die schlechten Erfahrungen in sich hineinzufressen. Da habe ich Glück, sie sogar singen zu können.

Klingt wie eine Therapie.

In gewisser Weise ist es das auch. Aber weißt du – ich bin jetzt Vater einer kleinen Tochter und erlebe gerade erstmals das Gefühl, von jemanden bedingungslos gebraucht zu werden. Das ist ziemlich seltsam und lässt mich völlig neu aufs Leben blicken.

Hat es dich auch musikalisch beeinflusst?

Auf jedem Fall, im Vergleich zu vielen Songwritern bin ich nicht mehr so auf mich selbst bezogen, auch wenn das in meinen Songs manchmal so klingt. Man ordnet die eigene Bedeutung in bestimmten Momenten einfach anders ein, wenn ein Baby schreit; dann geht es nicht um dich. Daher singe ich nicht ständig ich, ich, ich. Und immer nur darüber zu singen, wie dreckig man sich gerade fühlt, wird auf Dauer ohnehin langweilig.

Verstecken sich in Lions womöglich sogar fröhliche Momente, die ich nur noch nicht entdeckt habe?

Die gibt es. Ich würde es aber nicht Fröhlichkeit nennen, eher Freude. Sie findet sich immer wieder auf diesem Album. Ich weiß, das klingt merkwürdig, aber weil es sich so echt anfühlt, was ich singe, macht es mich auch fröhlich. Ich lese gerade ein Buch von F. Scott Fitzgerald und er schreibt darin, „Glück ist die ersten 20 Minuten nach dem Unglück“. Mir gefällt dieser Gedanke, denn Glück ist eben nicht immer nur, vor Freude durch die Gegend zu hüpfen, sondern den Moment zu genießen. Nicht möglichst viel Geld zu verdienen, sondern die schlimmen Dinge des Lebens überstanden zu haben und nach vorn zu blicken.

Entsprechend stark weicht deine Stimmung auf der Bühne von der auf den Platten ab?

Stimmt. Denn der da auf der Bühne – das bin ja ich. Ein glücklicher Mensch, der auch die traurigen Seiten seines Lebens zulässt, die Wellenbewegungen der Gefühle. Viele meiner Zuhörer empfinden das als seltsam, aber noch mehr als bereichernd.

Und am Ende ist dieses Wechselbad der Gefühle das bessere Entertainment.

Richtig. Gutes Entertainment kennt nie nur eine einzige Gefühlsregung. Die Suche nach dem umfassenden Glück führt ohne Umweg in die Langeweile. Mein Glück zum Beispiel ist nicht die Abwesenheit von Unglück, sondern die Herausforderung, in Richtungen gestoßen zu werden, in denen ich mich womöglich unwohl fühle. Nochmals: Das ist auch ein Teil des Erwachsenwerdens, mit dem man ja nie ganz fertig wird. Glück ist nicht Schmerzvermeidung.

Hat es denn mit Erfolg zu tun?

William: Das spielt eine Rolle, womöglich mehr als es sollte. Mein Bedürfnis im Zusammenhang mit dieser Platte ist allerdings bereits befriedigt: Dass sie überhaupt existiert. Ob sie sich gut verkauft, ist zweitrangig; dass es sie gibt, macht mich froh. Früher habe ich mir bei meinen Alben mehr Gedanken darüber gemacht, wie Publikum und Kritiker sie aufnehmen; bei dieser hier ist das anders. Trotzdem berührt einen natürlich jede Kritik, das ist nicht zu vermeiden. Aber ich werde diese Platte auch lieben, wenn sie in sechs Monaten niemand gekauft haben wird.

Was ziemlich unwahrscheinlich ist, angesichts des Erfolgs, den deine vorige Alben und Auftritte hatten.

Vielleicht, ja.

William Fitzsimmons – Lions (Groenland); das ganze Interview ist erschienen bei: http://www.musikblog.com/2014/02/glueck-ist-nicht-schmerzvermeidung-william-fitzsimmons-im-interview/


Iris Berben: Diva, Mutter, Superstar

Jenseits der Optik

Iris Berben ist ein Phänomen. Sie altert nicht sichtbar, umschifft Durchschnittsfilme, ist nicht nur als Schauspielerin wahrnehmbar und  macht sogar Simmelverfilmungen sehenswert. Jetzt spielt sie im ZDF-Melodram Der Wagner-Clan (Sonntag, 20.15 Uhr) die Gattin des Großkomponisten. Porträt einer Diva, die keine ist.

Von Jan Freitag

Wie sie so vor einem sitzt, im barocken Mobiliar eines Hamburger Luxushotels: Strahlend, strahlend schön vor allem, die Beine übereinander geschlagen wie vom Glamourmagazin drapiert, die Schuhe daran so halsbrecherisch, als bräuchte man fürs unfallfreie Tragen artistisches Basiswissen, das Haar schwarz wie frisch vom Färben, die Mimik etwas angespannt und zweifellos in intensiver dermatologisch-kosmetischer Behandlung, aber nie maskenhaft – diese Frau soll über 60 sein? 60 Jahre? 60 Jahre alt?

Iris Berben lächelt, als sie sich ihre Zeit auf Erden kurz vor Augen hält, aber sie lächelt nicht zwanghaft, es ist kein PR-Lächeln, Magazincover-Lächeln, Showbühnen-Lächeln. Eher so eines der Art, sehr genau zu wissen, was sich bei der Promotionsarbeit für einen Film eben geziemt, ohne die seltsame Etikette des globalen Filmmarketings überzubewerten. Es ist kein Schalter-Lächeln. Und so kann diese Schauspielerin, deren alterslose Attraktivität für permanentes Raunen in der Klatschpresse sorgt, auch sehr schnell mal aufhören zu lächeln.

Ob sie eine Diva sei? Wie abgeglitten von glattem Fels rutschen ihre Mundwinkel da abwärts. „Ich tauge nicht zur Diva“, antwortet sie ernst, zeigt sodann leicht gönnerhaftes Verständnis für eine Viertelmillion Google-Treffer ihres Namens in Kombination mit dem mythischen Siegel der weiblichen Filmbranche und erklärt gleich mal, warum das trotzdem alles Blödsinn sei, dieses Diva-Gefasel, dem sie so oft ausgesetzt sei. „Die Verschmelzung des Privaten mit dem Beruf, ein ganzes Leben in allen Facetten für den Film, der ihr Selbstwertgefühl vollends bestimmt“, so fasst sie die Funktionsweise divenhafter Persönlichkeiten zusammen. „Für Beziehung, Kinder, Freunde ist da kaum Platz.“

Was also soll das mit Iris Berben zu tun haben, die bei aller beruflichen Belastung ihren Lebtag Zeit für Beziehung, Kinder, Freunde und sogar Nebenbeschäftigungen hatte, für politisches Engagement also, soziales Engagement, gegen Rassismus, pro Israel, zur Wiederwahl der SPD? „Nichts!“ Erwidert sie selbst, und dann lächelt die Berben wieder ihr Berben-Lächeln und es ist ein strahlend schönes, mildes, beinahe weises, ein Antidivenlächeln: „Aber was ist privat, was ist beruflich?“

Ja, was ist privat, was beruflich, in ihrem Metier, dieser Glasmanage im Erregungszirkus Filmbranche? Privat wird beruflich und umgekehrt, könnte man ihr entgegnen, wenn Iris Berben, sagen wir: in einer Verfilmung von Johannes Mario Simmel mitwirkt. Das hat sie unlängst getan, ausgerechnet die ewig junge Alt-68erin half also den Großinquisitor bürgerlicher Moral verfilmen. Weil der Mario, wie sie ihn zärtlich nennt, gar nicht so war. Weil er ihr Freund gewesen sei, den sie spät, dann aber richtig kennenlernen durfte. Weil sie sein Interesse für echten Liberalismus, die deutsche Versöhnung mit den Juden, Freiheit selbst normfernster Meinungen, fürs Große Ganze geteilt habe. Da könne man den Chefliteraten des abflauenden Wirtschaftswunders ruhig mal ins Fernsehen bringen.

Und dass Iris Berben daran beteiligt war, ist dabei weit weniger bemerkenswert, als die Tatsache, dass sie es ist, die einen guten Film daraus gemacht hat. Das ZDF will eine ganze Reihe von Simmel-Schinken adaptieren. Es sind schwere Literaturvorlagen, nicht unbedingt dramaturgisch, eher physikalisch: Dicke Wälzer, die in Ludwig Erhards „formierter Gesellschaft“ wohl in jedem zweiten Haushalt die Statik der Bücherregale herausforderten. Die erste Verfilmung war ein Desaster, „Und Jimmy ging zum Regenbogen“, betuliches Problem-TV mit Heino Ferchs einzigem Gesichtsausdruck, irgendwo zwischen maskulin und melancholisch. Iris Berben dagegen hat die baugleich manirierte Handlung von Niemand ist eine Insel mit der gleichen Lebendigkeit gefüllt, wie am Sonntag die Rolle der Großkomponistengattin Cosima im ziemlich berechenbaren Kostümmelodram Der Wagner-Clan.

So wie sie nun überhaupt manch eventtauglichen Filmstoff belebt. Im öffentlich-rechtlichen Kosmos macht sie das zu einer Art Defibrillator, der das ergraute Stammpublikum mit Intensität und Güte aus ihrem herbeigepilcherten Wachkoma reißt. Ausgerechnet die Gastwirtstochter aus Detmold, die mit heutzutage sonderbar verklärter Brachialcomedy von Zwei himmlische Töchter bis Sketchup einst zu ulkiger Popularität gelangte, darf mittlerweile Betsy Buddenbrook und Bertha Krupp, Kolonialherrinnen und Exterroristinnen, ansehnliche Serienkommissarinnen und menopausengeplagte Hausfrauen, auf der großen Leinwand oder am kleinen Bildschirm spielen.

Das macht die Quereinsteigerin ohne Schauspielausbildung mehr als 40 Jahre nach ihrem Kameradebüt spürbar stolz und der Stolz wird noch spürbarer, wenn Iris Berben schildert, wie ihr Talent dafür erst die Hürde der Optik überspringen musste. „Ich werde heute in einem sehr charakterlichen Fach wahrgenommen, in dem man sich über Äußerlichkeiten weit weniger Gedanken machen muss“, schwindelt sie ein bisschen, denn die meisten Regisseure besetzen da ja doch noch eine ziemlich gut aussehende Frau mit der beneidenswerten Eigenschaft, kein Gramm zuzunehmen. Doch statt Filme, die sich nur eine glitzernde Fassade an die Bühnenkante holen, und da endet die Schwindelei, „mache ich erwachsene Filme, die sich parallel zur Entwicklung des eigenen Alters und dessen Gefühlslage, Erkenntnisse, Erfahrungen und Verluste abspielen“.

Reale Figuren, thematisch vielleicht auch deshalb so dicht an der eigenen Lebenswelt, weil sie zusehends vom eigenen Sohn Oliver produziert werden, jedenfalls „eins-zu-eins besetzt in vertrauenswürdigen Rollen“, wie sie es nennt, also im Wesentlichen in einer Lebensphase, wo man, wie zuletzt geschehen, schon mal den Bayerischen Filmpreis fürs Lebenswerk entgegennehmen kann, ohne sich dafür auch ein bisschen schämen zu müssen. Warum, das sieht, wer ihr mal live gegenübersitzt. Altern sieht anders aus.


Sabine Postel: Tatort & Traumschiff

Inga und ich

fast 60 Jahren hat sich Sabine Postel in aller Stille die Top Ten der meistermittelnden Tatort-Kommissare erklommen. Dank der Bodenständigkeit ihrer Filmfigur Inga Lürsen. Und der eigenen. Zu Brüder, ihrem 29. Fall im 16. Jahr als Kommissarin erklärt Postel, was sie mit ihrer wichtigsten Filmfigur zu tun hat – und was nicht.

Von Jan Freitag

freitagasmedien: Frau Postel, Sie wirken in Ihrer Rolle als Kommissarin Inga Lürsen meist ungemein geerdet, sachlich und nüchtern. Sind Sie selbst so norddeutsch wie Sie spielen?

Sabine Postel: Ja, absolut sogar. Ich bin ja auch gar nicht so weit von meinem Einsatzort geboren. Man bringt eben – nur so als Hausnummer – immer um die 50 Prozent eigener Persönlichkeit ein in die Rollen. Mit Inga Lürsen geht das soweit, dass unsere Überschneidungen bisweilen zur Deckungsgleichheit führen.

Und im Internet geht es so weit, diese Bodenständigkeit mit „ideale ewig patente Mama aus der Werbung“ zu umschreiben.

Um Gottes Willen!

Das geht zu weit?

Meilenweit! Das ist ja frech. Welcher Idiot hat das denn geschrieben?

Jemand, der ihre Integrität womöglich nur optisch griffig umschreiben wollte.

Aber Integrität ist doch eine positive Eigenschaft, kein Attribut einer Waschmitteltante aus der Gardinenreklame. „Ewig patent“ heißt ja wohl eher, nur vorzugeben, für alles eine Lösung zu haben, aber im Grunde nur bemüht zu sein, die Hindernisse des Lebens ohne Ecken und Kanten, ohne Schwachstellen und Restmüll zu umschiffen. Aber das tue ich weder im Privatleben noch in der Tatort-Rolle. Insofern ärgert mich diese Umschreibung maßlos. Inga und ich sind beide gern mal ruppig, machen Fehler, verstoßen gelegentlich auch mal gegen Vorschriften, sind dabei aber eigentlich völlig uneitel, was nun wirklich nichts mit dem Klischee der weiblichen Werbehausfrau gemein hat, die vor allem Fassade ist und schafft.

Uneitle Schauspielerin klingt allerdings auch nach einer PR-Strategie in eigener Sache.

Na ja, ganz uneitel wäre auch gelogen. Ich glaube niemandem der behauptet, es interessiere ihn nicht, wie er beim Blick in den Spiegel morgens aussieht. Aber privat halte ich es dennoch ungeschminkt, mit Jeans und T-Shirt.

Sind Sie denn eitel genug für Minderwertigkeitskomplexe?

Minderwertigkeitskomplexe haben auch was mit Selbstkritik zu tun. Und einen Mangel daran kann ich mir eigentlich nicht vorwerfen. Warum fragen Sie?

Weil Sie längst in den ewigen Top Ten der langlebigsten Tatort-Kommissare sind. Stört es Sie da, dass selbst dienstjüngere Kollegen häufig mehr im Rampenlicht stehen, während Inga Lürsen so ein wenig am Rande der Popularität dümpelt?

Wir sind halt gut, aber bescheiden. Das stört mich überhaupt nicht, da bin ich völlig neidlos. Aber Marketing hat ja nicht unbedingt mit Qualität zu tun; außerdem haben wir im Vorjahr nur einen Tatort gesendet, während etwa der WDR vier aus Köln gezeigt hat. Da ist es kein Wunder, dass Schenk und Ballauf stärker im Publikumsgedächtnis haften bleiben. Und die neuen Kommissare haben den Vorteil, dass sehr viel mehr Wirbel um ihren Einstieg veranstaltet wird wie bei dem aus Hamburg. Bei uns gab’s das kaum. Ich war eben die Neue aus Bremen und fertig. Man schlich sich so rein, thematisiert wurde höchstens mein Geschlecht, da ich damals erst die zweite weibliche Ermittlerin war.

Gibt es einen Konkurrenzkampf unter den Tatort-Kommissaren, wer populärer ist, wer mehr Auftritte hat, wer den besseren Ermittlungsort kriegt?

Das Gefühl habe ich nicht – weder unter den Darstellern noch den Redaktionen. Letztere könnten sich meiner Meinung nach aber schon mal mehr koordinieren, um etwa Themendoppelungen zu vermeiden. Es gab zum Beispiel drei Ehrenmordfälle in kürzester Zeit, die auch noch allesamt von Frauen aufgeklärt wurden – Ulrike Folkerts, Maria Furtwängler und ich. Da sollte man vielleicht besser miteinander reden. Aber von Konkurrenzkampf kann auch deshalb keine Rede sein, weil wir alle meistens gute Quoten haben. Ich hatte neulich achteinhalb Millionen…

Die Münsteraner – Jan Josef Liefers, Axel Prahl – haben mehr.

Es ist ihnen zu gönnen, sie verfügen auch über ein geniales Konzept mit ihrem humoristischen Ansatz. Das geht mehr in Richtung Entertainment, fast ein anderes Format als unseres. Die schweren Stoffe, die wir haben sind natürlich sperriger, damit weniger familienfreundlich also nicht jedermanns Sache. Wobei ich genau für diese Schwere kämpfe, denn der „Tatort“ ist in der komfortablen Position, ein massentaugliches Forum für Themen zu bieten, mit dem sich viele Zuschauer ansonsten nicht belasten wollen. Unsere Fälle drehten sich z.B. um Satanisten oder einen Mord auf hoher See, die beide einen realen Hintergrund hatten. Und mit Fällen vor sozialkritischem Hintergrund muss man sich mehr Mühe geben als bei den völlig fiktiven Familienfehden. Deswegen mögen Inga Lürsen und Oliver Mommsen als Kommissar Stedefreund zwar charakterlich unspektakulär daherkommen, inhaltlich haben sie konsequent brisante Stoffe zu behandeln.

Erwartet man vom Bremer Tatort diese sachliche Nüchternheit, weil es dem Klischee des Norddeutschen mehr entspricht als dem Metropolitischen Berlins, dem Münchner Glamour oder der sozialdemokratischen Aura an Rhein und Ruhr?

Das zu beurteilen wäre eher Aufgabe von Meinungsforschern. Insgesamt sind die Morde im privaten Umfeld bei anderen Tatorten eindeutig in der Mehrzahl. Aber wenn politische Brisanz mittlerweile von uns erwartet wird, hätten wir es ja immerhin geschafft, eine Marke zu werden mit bestimmten Attributen.

Muss das nicht jeder Tatort – sich als Marke etablieren?

Unbedingt sogar. Abgesehen von den großen historischen Mehrteilern der jüngeren Vergangenheit gibt es als durchgehendes Format ja nur Lovestorys und den Krimi, da ist es zwingend erforderlich, dass sich jede Serie mit ihren jeweiligen Ermittlern Alleinstellungsmerkmale verschafft, Unterscheidungskriterien, Wiedererkennbarkeit.

Und was unterscheidet Bremen vom Rest?

Schwer zu sagen, wir spielen ja alle in der ersten Liga.

Aber da gibt es ja auch Meister und Absteiger.

Vielleicht ist es das Authentische, eine Art Sturmstärke, diese norddeutsche Gradlinigkeit, das Unauffällige und dabei doch Bemerkenswerte, wie die Süddeutsche uns mal gelobt hat, weder spekulativ noch spektakulär. Es gibt Leute, bei denen merkt man sofort, ob sie authentisch, sie selbst sind, oder sich nur so geben. Wenn ich auf meine Rolle angesprochen werde, hebt man in der Regel besonders das Realistische hervor, das Normale. Und normal empfinde ich hier als Kompliment.

Sonst nicht?

Sie etwa?

Eher nicht. Mit der Norm ist es nun mal schwerer aus der Masse hervorzustechen.

Sehen Sie. Die Quotenzählerei ist zwar eigentlich doof und hängt von vielen Faktoren ab, wie dem Wetterbericht, was die Konkurrenz macht, wo gerade Schulferien sind oder Fußball gespielt wird, aber letztlich entscheidet das über den gehobenen oder den gesenkten Daumen für das ganze Projekt. Bei uns geht er meistens nach oben und wenn das mit dem zu tun hat, was sich als Normalität beschreiben lässt – warum nicht?

Ist es denkbar, dass diese Normalität in Zeiten der Krise, wo alles drunter und drüber geht und Billionensummen verzockt werden, an Popularität zunimmt – so wie das Geld unterm Kopfkissen?

Fernsehen funktioniert eigentlich eher andersherum. Natürlich könnte man denken, mit Bodenständigkeit kommen wir jetzt insbesondere bei denen gut an, die sich an der Börse verzockt haben oder darunter leiden, dass es andere getan haben. Aber gerade in der Krise hat sich immer wieder gezeigt, dass die Leute von der Realität im Fiktiven weniger wissen wollen. So gesehen sollte eigentlich der Gärtner als Mörder Konjunktur haben wie bei Inspector Barneby aus der englischen Provinz, dessen Fälle von Leichen gepflastert sind, die aber alle zwischen hübschen Blumenrabatten liegen, über denen die Bienen summen. Der Drang zurück zu Entertainment und Märchen ist für uns also eher Gefahr als Chance, gerade bei älteren Zuschauern. Man will sich nicht noch mehr belasten, als es der Alltag ohnehin schon tut.

Aber wächst mit dem Zusammenbruch tradierter Wertesysteme nicht auch der Bedarf nach Verlässlichkeit wie sie die Normalität scheinbar bietet?

Was das Personal im Tatort betrifft, vielleicht. Was die Inhalte betrifft, eher weniger. Vielleicht eignet sich der Begriff Kontinuität da besser. Ich hoffe so oder so, dass wir unsere brisanten Stoffe mit starkem Realitätsbezug noch lange durchsetzen können. Wenn mir auf der Straße jemand sagt, ich sei privat ja so normal wie im Fernsehen, hat mich das früher geärgert; mittlerweile weiß ich das aber zu schätzen, weil der Schwierigkeitsgrad mit fremden Texten Authentizität zu erzeugen, die normal wirkt, natürlich höher ist, als mit blumigen Worten Märchen zu erzählen.

Ist Normalität härtere Arbeit als Exzentrik?

Absolut.

Auch als Leichtigkeit.

Ja.

Sie spielen durchaus beides.

Na ja, wir haben alle diesen Beruf ergriffen, um nicht immer das Gleiche zu tun. Nichts ist schließlich langweiliger als die Wiederholung. Vor einigen Jahren hab ich auch Traumschiff gedreht.

Das ist wie Urlaub, hört man oft von den Darstellern.

Nicht wirklich, aber die Reisen sind natürlich toll. Und auch hier wird man mit hochkarätigen Kollegen konfrontiert, die alle mal Lust auf diese Art zu arbeiten haben. Das geht hin bis zum großartigen Harald Schmidt. Ich hatte Heinz Hönig als Filmmann. Das war gottvoll!

Harald Schmidt hat es wenigstens mal zugegeben, dass er die Rolle vor allem wegen des Geldes und der kostenlosen Kreuzfahrt gespielt hat.

Endlich mal einer, genau. Aber trotzdem muss man auch bei solchen Drehs natürlich arbeiten und liegt nicht nur faul in der Sonne.

Und dann kehrt man zurück nach Norddeutschland, ins kühle Bremer Umland und dreht Krimis mit realitätsnaher Schwere. Warum ist der Norden so überrepräsentiert als Tatort-Drehort.

Lassen Sie uns mal rechnen: einmal Hannover, einmal Kiel, zweimal Hamburg und wir – sind das mehr als im Westen oder Süden?

Im Verhältnis zur Einwohnerzahl allemal.

Mag sein, aber die nördlichen Tatorte sind alle viel zu verschieden, um Rückschlüsse auf unsere Standorte zuzulassen.

Versuchen Sie’s doch trotzdem.

Vielleicht sind die Menschen in ihrer Nüchternheit krimitauglicher. Aber nehmen Sie mal den Hamburger: Das ist doch eher 24 als Tatort, also im Grunde ein anderes Genre als unseres und tut, was dieses Format immer getan hat: Marken setzen, dramaturgisch wie filmtechnisch.

Gab’s bei Ihnen auch schon mal einen Splitscreen oder Zappelschnitte zu Techno?

Nee, noch nicht. Das würde vielleicht auch ein bisschen aufgesetzt wirken. Wenn ich nun ständig über Brücken springe und dazu stampft die Musik im Hintergrund, machen wir uns doch lächerlich. Das würde echt nicht passen.

Wie wäre es mit der, dass Sie den vielen beziehungsunfähigen Kollegen anderer „Tatorte“ mal entgegen wirken und einen Mann finden?

Das fordere ich doch seit langem! Warum müssen alle meine Kollegen frustrierte Singles sein? Gut, für Liebesgeschichten gibt es genügend andere Genres als den Krimi, aber jetzt muss mal Schluss sein, dass sich Inga Lürsen immer nur allein am Rotweinglas festhält. Deshalb krieg ich demnächst mal wieder einen Lover.

Herzlichen Glückwunsch.

Danke.


Rodelmillionen & Klittergeschichte

Werbung, RFT Color 20, FernseherDie Gebrauchtwoche

11. – 17. Februar

Es ist immer erfrischend, wenn Anspruch, Sinn, Bedeutsamkeit vom Bildschirm Besitz ergreifen und Aufregung, Entertainment, Effekthascherei kurz mal in ihre Schranken weisen. Vorige Woche hätte es mal so weit sein können. Da dominierte der Verrat straffrechtlicher Geheimnisse über vermeintliche Vergehen des SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy so anhaltend die Nachrichten, bis politisch Köpfe rollten. Zu dumm, dass es dabei um den Erwerb kinderpornografischer Bilder ging; da haben es Anspruch, Sinn, Bedeutsamkeit schwer, gegen Aufregung, Entertainment, Effekthascherei zu bestehen. Und so gibt es dieser Tage ein Paradebeispiel, wie unsere mediale Gegenwart funktioniert. Denn ob Edathy irgendetwas von dem getan hat, was ihm der Pöbel samt seiner Leitorgane besonders lautstark zur Last legt, ist eigentlich auch egal. Als öffentliche Person ist der Politiker tot. Mausetot. Denn vor dem faktischen Ableben beginnt heutzutage das mediale – da können sich seriöse Medien von Tagesschau bis Süddeutsche noch so um Ausgewogenheit bemühen.

Dabei war darunter sogar ein Medium, das frisch von den Toten auferstanden ist: Die Frankfurter Rundschau. Die einstmals größte deutsche Tageszeitung schrieb nämlich nach der zwischenzeitlichen Insolvenz erstmals wieder schwarze Zahlen. Gut – dieser „Erfolg“, beklagten hessische Gewerkschafter, basiere auch darauf, dass zwei Drittel der Redakteure untertariflich bei einer Leiharbeitsfirma angestellt sind. Aber so sieht sie eben aus, die schöne neue Medienwelt, in der Festanstellungen selten werden und das beruflich prekäre Nomadentum zur Regel.

Womit wir beim Tatort wären, der nach den Pensionierungsabgängen früherer Tage längst Ermittler verschleißt wie Nick Tschiller Platzpatronen. Nun also wird das ungewöhnlich langlebige Berliner Duo Ritter/Stark nach kaum 13 Jahren ausgetauscht. Gegen Meret Becker und Mark Waschke, die ab 2015 als „waschechte Berlinerin mit Herz und Verstand“ plus „Mann und zwei Söhnen im Wedding“ beziehungsweise „Single und ehemaliger Jurastudent aus Pankow“ ermitteln, wie die ARD mitteilte. Dass das eine Verjüngungskur sein dürfte, belegte der sterbenslangweilige Abschlussfall ihrer Vorgänger in spe am vorvorigen Sonntag. Umso mehr erstaunt dessen Quote auf Münster-Niveau. Was allerdings mit 9,99 Millionen nur ein paar Tausend Zuschauer weniger hatte als ein Rodelrennen in Sotschi.

Doch darüber wollen wir nun wirklich mal den Mantel des Schweigens hüllen und uns wichtigeren Dingen widmen, wenn es schon um Sport geht. Die Rückkehr von Monica Lierhaus zum Fernsehfußball zum Beispiel, der Sky einen Interviewformat zur anstehenden WM angeboten hat – was aus sportlicher wie menschlicher Sicht ja nun mal eine gute Nachricht ist

TV-neuFrischwoche

18. – 24. Februar

Eine bessere jedenfalls, als die Übertragung des Champions-League-Achtelfinals Arsenal gegen Bayern am Mittwoch, dessen Ausgang noch weniger überraschen dürfte als die neue Aufgabe für Christian Rach. Der Fernsehkoch ist nämlich ab Donnerstag als – richtig Fernsehkoch. Nur diesmal fürs ZDF, wo er unseren Ernährungsgewohnheiten auf den Grund geht. Staatsauftrag erfüllt, könnte man sagen, zumindest teilweise. Ebenso wie das Erste am Tag zuvor. Weiter als der Ozean ist die geruhsam erzählte Doppelgeschichte einer Psychologin (Rosalie Thomass) und eines Meeresbiologen (Robert Gwisdek), deren Schicksale sich auf überraschende Weise kreuzen. Ein Mittwochsfilm eben.

Diese Woche allerdings überzeugt ja sogar der Freitagsfilm an gleicher Stelle namens Immer wieder anders, wo Katharina Wackernagel und Barnaby Metschurat ein wirklich erfrischendes Beziehungsgeflecht verhandeln. Ja, selbst Sat1 liefert morgen gute statt seichte Unterhaltung, wenn Annette Frier unterm denkbar dämlichen Titel Achtung Arzt! als eben solche(r) im Karnevalsstress heilt. Und auch das Zweite legt parallel zum faden Bremer Tatort am Sonntag mit einem opulenten Stück biografischer Opulenz nach. Oliver Berbens Wagner-Clan hingegen weist mit Mama Iris, Heino Ferch, Lars Eidinger, solchen Kalibern zwar reichlich Topstars auf, lässt im präzisen Porträt der Komponistensippe nach dem Tod des Meisters indes eine entscheidende Phase außen vor: Den Nationalsozialismus. So bleibt ein Stück Geschichtsklitterung am Drama kleben.

Das passt zum vorgezogenen Tipp der Woche: Morgen zeigt der Bayrische Rundfunk nämlich die Dokumentation Im Schatten von Jud Süß über dessen umstrittenen Regisseur Veit Harlan, gefolgt von Oskar Roehlers Entstehungsdrama des faschistischen Propagandafilms schlechthin mit Moritz Bleibtreu als Joseph Goebbels (22.45 Uhr). Schade, dass so etwas nicht früher läuft, im ZDF etwa, am besten beides. Schade auch, dass dort mit Ripper Street zwar die nächste Adaption des Jack-the-Ripper-Stoffs aus England läuft, aber erst freitags um 23.45 (ab heute immerhin schon knappe zwei Stunden früher auf ZDFneo). Schade auch, dass sich Jay Leno heute von der Tonight Show auf NBC verabschiedet. Ersetzt wird der legendäre Whitehead nach 22 Jahren durch den weit jüngeren Jimmy Fallon. Und um an Ende nicht gar nichts von Arte empfohlen zu haben: Donnerstag startet dort der französische Achtteiler Rani um eine kämpferische Adlige aus dem 18. Jahrhundert. Das ist solide Historienunterhaltung, die nur einen besseren Untertitel als Herrscherin der Herzen verdient hätte. Ja sind wir denn bei RTL2?


Reportage: Frauenknast Bützow

Unter Verschluss

Frauen werden immer häufiger straffällig. Vor allem aber häufiger schwer. Ilka P. zum Beispiel saß wegen Totschlags in der JVA Bützow bei Rostock. Ein Tag im Leben einer Gefangenen zwischen Arbeit, Langeweile, tausend Schlössern, der Grübelei, wie es dazu kam, und dem Blick nach vorn.

Von Jan Freitag

Klackklackklack. Als ein großer Satz Schlüssel begann, den Alltag von Ilka P. und Jens K. zu beherrschen, waren sie um die 20. Heute nimmt Ilka P. es kaum noch wahr, wenn Jens K. ihn benutzt. Und das tut er schon so lange, ein Vierteljahrhundert fast, dass auch Jens K. sein klackendes Geräusch ignoriert. Dennoch haben beide manchmal genug vom ewigen Schließen in der Justizvollzugsanstalt Bützow. „Abends tut mir oft die Hand weh vom Drehen“, sagt Jens K., den man gern beim Namen nennen kann; schließlich verlässt Herr Kötz das Gefängnis bei Rostock jeden Tag nach Dienstschluss. „Ich träume häufig, die Türen hätten keine Schlösser“, meint dagegen Ilka P., deren Name erfunden ist. Ilka P. ist eine Strafgefangene, Jens Kötz ihr Vollzugsbeamter. Zwei Menschen, deren Leben nicht verschiedener sein könnten. Und doch zwei, die sich näher sind, als ihnen lieb ist.

Ilka P. hat jemanden umgebracht und dafür fünf Jahre Haft gekriegt. An sich zu Recht, gesteht die Täterin leise. Aber in der Höhe doch zu viel, fügt sie lauter hinzu. Geständigkeit ist für einen Freiheitsentzug in Würde unerlässlich, betonen Gefängnispsychologen. Doch die Würde selbst braucht dabei auch ein wenig Widerstand gegen das Schicksal hinter Gittern. So formuliert es Jens Kötz, ihr Wärter, der so nicht genannt werden will. Das klinge ihm zu sehr nach Sühne und Verwahren, der alten Strategie des Straffvollzugs.

Weil er bis ins 18. Jahrhundert rein destruktiver Natur war, um Häftlinge erst aus den Augen, dann aus dem Sinn zu schaffen, hat ihn der Philosoph Michel Foucault in seinem Buch Überwachen und Strafen als repressives Kräfteverhältnis beschrieben. Die moderne Haft dagegen sei Teil einer „Disziplinargesellschaft“, in der das bloße Wegsperren durch produktive Rehabilitation ersetzt wurde. Auch wenn das die Bild mit ihrer Hetze gegen Fernseher, Freigang und Frohsinn in der Zelle gern anders sähe, meint Jens Kötz. „Dabei heißt es Freiheitsentzug, nicht Freudenentzug.“ Der Beamte spricht gern in geflügelten Worten. Und so ist die Zeit im Knast eben kein Akt sinnloser Rache, sondern einer geordneten Abfolge von Belohnung und Regeln, Rechten und Pflichten, Arbeit und Langeweile. Von letzterem stets ein wenig mehr.

Einer der klobigen Bartschlüssel an seinem Bund scheppert ins Schloss. Wie jeden Morgen geleitet er Ilka P. und die anderen Azubis vom kleinen Frauentrakt zum Ausbildungsplatz. Klackklackklack. Umdrehen, aufziehen, durch, zuziehen, abschließen – ein Ritual, das wenige Meter weiter stets aufs Neue erfolgt. Und wieder. Und wieder. Es war sechs Uhr, als Ilka es an diesem Wintertag geweckt hat wie an jedem anderen. Als Morgenmuffel ist das eine Strafe für sich, doch sie hat sich auch damit arrangiert. „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“, sagt die zierliche Frau mit den verspielten Farbsträhnchen im dunklen Haar und reibt sich nervös den Hals mit dem Kruzifixkettchen. Das tut sie immer dann, wenn die Gedanken um ihr neues Leben kreisen. Vor gut zwei Jahren, als sich das Tor zum einstigen „Zuchthaus Dreibergen“ hinter ihr schloss, da dachte sie, „das überleb ich nicht“ und wünschte sich, die Zeit zurückzudrehen.

Vor diesen einen Moment, jenen Kurzschluss. Klick, den Verstand abgestellt. Klick, alle Adrenalin-Hähne offen. Klick, vor ihr lag das Leben wie es war in Trümmern. Und nicht nur ihres: eines war ausgelöscht. Und das einer Familie, eines Dorfes, einer Region irgendwie gleich mit. Wäre sie damals nicht… Hätte sie doch nur… Ihre Tat passt zum Trend, dass die Härte weiblicher Straftaten noch schneller steigt als deren bloße Zahl.

Sie ist zwischen 1996 und 2006, dem Jahr, als Ilka durchdrehte, um gut ein Fünftel auf 110.000 gestiegen. Schwere Delikte von Raub über Körperverletzung bis hin zum Mord aber haben sich mehr als verdoppelt. Gut 7000 sind es heute und gerade Gewaltverbrechen legen weiter stetig zu. So enden immer mehr Frauenbiografien zwischenzeitlich im Knast, ein Bruch, der nicht selten bis an ihr Ende reicht. Allen Resozialisierungsgelöbnissen zum Trotz, klagt Karin Greifenstein, „schädigt die Haft Körper und Seele“. Als Seelsorgerin in Frankfurt-Preungesheim betreut sie einen von bundesweit sieben Frauenknästen. Doch weil es allerorten an Personal und Bewährungshelfern fehle, würden viele Insassinnen nur verwahrt. So geht der Trend hinter Foucault zurück. Viele Inhaftierte, so Greifenstein, „verlassen die JVA zerstörter, als sie reingekommen sind“.

Ilka P.s Gedanken an die Zeit danach füllen Zelle 201 mehr als das Klo hinterm rosafarbenen Vorhang, die schmale Pritsche gegenüber, das Mobiliar mit JVA-Siegel, die Bilder die Erinnerungen an draußen auf acht Quadratmetern. Zu lange spielte die Vergangenheit der jungen Frau im Konjunktiv und so beschloss sie, nach vorn zu blicken, statt übers Geschehene zu grübeln. Das, was Soziologen Prisonisierung nennen, den Prozess der Anpassung an die Gefängniskultur, es wirkte auch bei ihr.

Denn Ilka P. hat Arbeit. Und das ist nicht die Regel. Wie draußen, im strukturschwachen Mecklenburg-Vorpommern, ist die Erwerbslosigkeit der JVA gigantisch, um die 40 Prozent, gibt die Anstaltsleitung zu. Dennoch: theoretisch hat jede der 25 Frauen, jeder der 526 Männer in Bützow Anspruch auf einen Job. Es ist eine Chance, sagt Jens Kötz. Wer keine Lehre vom Tischler bis zur Gebäudereinigerin macht, wer die Bildungs-, Hilfs- und Jobangebote ablehnt, wer sich sogar dem freiwilligen Putzen der Gänge im Wechsel verweigert, habe selber Schuld, so Kötz. Beschäftigung ist das einzige Mittel gegen die Eintönigkeit, Nichtstun macht lethargisch, faul, einige gar aggressiv. „Wer sich beschäftigt, beschäftigt nicht uns“ – noch so ein Bonmot des Sicherheitsbeauftragten. Niemand werde zu irgendetwas gezwungen, nicht zum Schaffen, nicht zur Therapie, nicht zu Freundlichkeit, geschweige denn Reue. Aber wer kooperiert, darf vier Stunden im Monat Besuch empfangen statt einer. Bekommt mehr als die üblichen 30 Euro Taschengeld für Stromkostenbeteiligung und Telefon, für Tabak, Kaffee oder Deo im Knastshop. Erhält womöglich einen Abschluss. Kann gar auf Haftlockerung hoffen, auf vorzeitige Entlassung.

Ilka kriegt nicht nur alle 14 Tage vier Stunden Besuch, sie stattet ihn zuhause ab. Sie erhält fast 100 Euro Lohn und macht demnächst ihre Prüfung zur Friseurin. Sie zählt nicht nur auf Bewährung im Sommer, sondern schon vorher auf echten Urlaub. Ihre Augen leuchten: „Mit Übernachten!“ Bei der Familie und Missy Elliott, ihrer Katze. Gemeinsam mit Freunden, Popstars und einer Siegerurkunde im Torwandschießen pflastern sie ihre nikotingelben Zellwände, zwischen all dem Mädchennippes, den Putzmitteln unterm Handstein, einem winzigen Fernseher neben der Tür. Über Nacht – das heißt auch länger als ihre Telefonate. Alle zwei Tage, im Ringen mit 24 Traktgenossinnen um den einzigen Apparat der Abteilung. Immerhin – viele Länder gewähren ihren Gefangenen weniger Freiräume als das ehemals rot-rot gegierte Küstenland. Ilka P. trägt sich meist für den Nachmittag in die Telefonliste ein, kurz vor sieben, wenn die Zellentür zugeht. Hinter ihr.

Dann sieht sie fern, bis tief in die Nacht, am liebsten US-Krimiserien wie „C.S.I.“. Und – es klingt wie ein Treppenwitz: „Prison Break“. Ein Foto der fiktiven Knastausbrecher hängt an ihrer Pinnwand. Sie muss selber darüber grinsen. Drei, vier Stunden Schlaf, das reiche ihr. „Keine Ahnung, warum.“ Jetzt lacht Ilka, herzlich sogar. Das tut sie häufiger, als man von einer Frau im Bau denken würde. Nur morgens um sechs ist ihr nie danach zumute. Eine Stunde hat die gelernte Altenpflegerin zum Aufstehen. Duschen am Ende des langen Gangs voll uralter Holztüren in giftgrün, Frühstück auf Zelle, Graubrot und Aufschnitt, nicht trocken und mit Wasser, aber doch eher schlicht. Dann kurz aufräumen. Um acht beginnt die Arbeit.

Auf dem Weg dorthin herrscht Schweigen. Zu sehr ist das halbe Dutzend Frauen mit ihren Zigaretten beschäftigt, die sie hastig einatmen. Ilka P. winkt zwischen zwei Zügen zaghaft zu einem der unzähligen Fenster im schönen Klinkergebäude gegenüber. Unter Gefängniskennern ist die Fassade berühmt für ihren pittoresken Jugendstil, fast zu malerisch für diesen Zweck. Vor einem Dreivierteljahrhundert galt der Neubau als vorbildlich, mit seinem Fenster zu jeder Zelle. Heute sind die Gemäuer auf dem riesigen Gelände vielerorts zu alt für die Stromversorgung eigener Kühlschränke hinter Gittern. Vorbei an Milchtüten und Margarine grüßt ein Insasse zurück. Man kennt sich, man begegnet sich sogar beizeiten. Männer und Frauen leben getrennt, aber sie werden es nicht, nicht strikt.

Dennoch dürfen die Herren nicht in den Salon HAARscharf. Leider, sagt Ausbilderin Ines Schröder vom regionalen Bildungsträger. „Die Damen sollten das volle Programm lernen.“ Also frisiert Ilka eine Kollegin, mal wieder, wie jeden Tag. Oder sie leitet eine andere an. Ilka ist die Erfahrenste. „Und die Beste“, flüstert die Meisterin, eine Externe, wie man hier sagt. Deshalb durfte Ilka mal auf einen Lehrgang in die Landeshauptstadt und zur Friseurmesse nach Rostock. Privilegien wie jene Leistungspunkte, die Ines Schröder für besonderen Einsatz verteilt. Sie bringen bares Geld. Ilka hat sich dafür Fachliteratur gekauft, obwohl es die auch in der Anstaltsbibliothek gibt. Um darin herumkritzeln zu dürfen, schließlich will sie als Friseurin weiterarbeiten. Draußen. „Das hier drin soll sich ja auch ein bisschen lohnen.“ Ein Satz wie aus dem Lehrbuch für effizienten Strafvollzug.

Derlei Ehrgeiz erfordert Selbstüberwindung, aber die lohnt sich. „Ich mache das nicht für meine Akte“, sagt Ilka. Trotzdem weiß sie natürlich, dass die 20 Betreuer vom Sozialtherapeuten bis zur Schließerin alles darin vermerken, Negatives wie Positives. Ilkas Akte sieht gut aus, betont Jens Kötz. Ihre Arbeit wird geschätzt. Doch statt echter Kunden stets die gleichen Köpfe, das ermüdet. Herr Kötz war zwar bereits unter ihrer Schere, die sie aus Sicherheitsgründen nur gegen Unterschrift erhält. Aber selbst das JVA-Personal kommt selten, trotz des günstigen Preises von ein paar Euro. Und so kriecht die Zeit bis zur Pause um elf. Sie vergeht auch nach der hastigen Mahlzeit aus Schwein, Kartoffeln und Bohnen auf Zelle kaum rasanter, doch sie steht wenigstens nicht wie bei jenen, die „vor der Playstation festwachsen“, so nennt es Jens Kötz.

Ilka hat ihre zuhause gelassen. „Sonst käme ich gar nicht zum Schlafen.“ Stattdessen treibt sie Sport, dreimal die Woche, im öden Fitnessraum, in dem drei der vier Geräte haken. Und sie tanzt. HipHop, alle 14 Tage. Sogar ein Auftritt beim Sommerfest im selbst gestalteten Frauengarten kam dabei heraus, zwischen der lautstark piepsenden Volière und einer selbstgebauten Brücke überm Ententeich. Dazu die freie Zeit im Gang zwischen Aufschluss und Einschluss, vom Feierabend bis zum Abendessen, wenn die Tür offen ist und Zeit zum Treffen, zum Austausch, zur Interaktion. Bei Ilka ist es meist nur viel, sehr viel Kaffee mit einer Freundin von nebenan. Danach gibt es statt echter Gesichter nur noch 30 Programme. Knastmonotonie.

Das ist nicht Teil der Strafe, aber ein Aspekt. Und am Wochenende fällt auch noch der Zeitfüller Arbeit weg. „Früher hab ich die Tage gezählt bis ich rauskomme“, erinnert sich Ilka P. Heute räumt sie lieber permanent ihre Zelle um, zuletzt die Woche zuvor. Das machen fast alle so, zumindest jene, die noch genug Kraft zur Veränderung haben. Irgendwann wird sie auch ihr restliches Leben umräumen und neu beginnen. Und ihre Jahre im Knast? Entmündigend und destruktiv, wie es die Knastseelsorgerin Greifenstein beschreibt, oder doch produktiv und sinnvoll im Sinne des modernen Strafvollzugs? Es klingt nicht ganz ehrlich oder besser: zu ehrlich, mehr nach Selbstvergewisserung und, ja: Schönfärberei, was Ilka P. antwortet: „Die war’n auch was wert.“ Trotz Langeweile und, sie zögert: „Zickenkrieg“. Trotz Liebesentzug und, hier stockt Jens Kötz: „Knasthierarchie“. Trotz Gewissensbissen und Gehorsam, Enge, Mauern, Einsamkeit. Und trotz all der Schlüssel. Sie selbst hat nur einen einzigen. Ilka P. lächelt: „Zu meinem Kühlschrankfach“. Wenigstens ein Klack, das nach Freiheit klingt.


Indiefriday: Ja, Panik & Die Nerven

Ja, Panik

Freiheit – schon dieses Wort. Scheußlich, grauenhaft. Und wie hohl es geworden ist. Freiheit, das ist nur noch die des Bleifußes. Diejenige, falsche Parteien zu wählen oder das richtige Deo. Zur Promiskuität, zum Einkauf, zu weniger Hautirritationen und mehr Abwechslung im Fertiggerichteregal. Die Freiheit von einst wurde zur Unfreiheit von heute, und daran ändert auch der nichts, der sie maskiert. Als Liberalität zum Beispiel. Oder Libertatia, wie das neue Album von Ja, Panik.

Dieser Freiheitsbegriff klingt zunächst mal auch dann fahl, ja falsch, wenn ihn Andreas Spechtl verwendet. “Wo wir sind, ist immer LIBERTATIA“, krächzt der Berliner Poesiepopper aus Österreich durchs Auftaktstück der fünften Platte. Und er tut es gewohnt mehrsprachig für “unsere brothers and sisters“, für alle “not sans papiers, but sans patrie“, die er “worldwide befreit von jeder Nation”. Es ist ein heiteres Revoltieren, das Ja, Panik da praktizieren. “One world, one love: LIBERTATIA.” Sollen wir ihnen das abkaufen wie der Werbung ihre Glücksversprechen oder der FDP den Steuern-Runter-Liberalismus? Ja, denn Spechtls zum Trio gerütteltes Quintett entwickelt hier einen ganz eigenen Begriff von Freiheit. Libertatia, so geht die Legende, war das fiktive Refugium flüchtiger Piraten vor den Kriegsschiffen königlicher Flotten, ein Freibeuterparadies Entrechteter am Nordrand Madagaskars, in dem allein Herkunft, Stand und Netzwerk zum besseren Leben befähigten. Eine Welt, gar nicht so fern von der, die Ja, Panik 300 Jahre später besingen, im Turbokapitalismus Berlin-Mitte.

Ja, Panik – Libertatia (Staatsakt); mehr Text’n’Sound’n’Kommentare: http://blog.zeit.de/tontraeger/2014/01/31/ja-panik-2_17470

Die Nerven

Ihr Debütalbum Fluidum wurde vor zwei Jahren bis ins anspruchsvolle Feuilleton positiv aufgenommen. Jetzt legt das schwäbische Noise-Trio Die Nerven den Nachfolger FUN vor und ist zwar weiterhin ziemlich wütend, aber noch melodiöser und ausgefeilter. Ein Gespräch mit Sänger, Bassist und Songwriter Julian Knoth über schlechte Laune, Misserfolgsaussichten, den Punkstandort Stuttgart und was er für den Sound darin bedeutet.

Interview: Jan Freitag

freitagsmedien: Guten Morgen Julian, du wirkst müde?

Julian Knoth: Das täuscht, ich bin schon lange auf. Frühaufsteher.

Punkrock und Frühaufstehen ist kein Widerspruch mehr?

Mein Tagesablauf ist jedenfalls geregelter.

Umso schwieriger ist es, gleich nach dem Frühstück eure neue Platte „FUN“ zu hören, die für diese Tageszeit doch reichlich düster ist.

(lacht) Das kann gut sein.

In einer Zeile von Und ja singst du „es geht mir besser als ich aussehe“. Warum solltest du denn schlecht aussehen?

Das müsstest du in diesem Fall Max fragen. Normalerweise schreiben wir unsere Texte getrennt voneinander. „Und ja“ ist dagegen komplett im Studio von uns beiden entwickelt worden und diese Zeile stammt von ihm.

Sie klingt auf jeden Fall wie so oft in euren Songs ungemein schlecht gelaunt. Seid Ihr das wirklich oder ist das nur der Ausdruck eurer Musik?

Unsere Musik hat immer auch persönlich mit uns zu tun, aber man muss dennoch klar differenzieren zwischen dem, was wir spielen, und was wir sind. So schlecht gelaunt unsere Stücke also auch klingen mögen – wir selbst sind drei Freunde, die sich und anderen gegenüber meist herzlich und humorvoll sind. Die Nerven ist da eine ziemlich normale Band, deren Humor nur manchmal hinter den Stücken verborgen bleibt.

Steckt denn auch in der Musik selbst irgendwo ein verborgener Humor?

Er steckt vielleicht nicht auf den Platten, zieht sich aber durch den Rest unserer Band hindurch. „FUN“ enthält trotz des Titels zugegeben kaum Spaßelemente, trotzdem kann es auf unseren Konzerten heiter zugehen. Das erklärt sich daraus, dass unsere Musik auch ein Ventil ist, um uns abzureagieren und als Personen hinter ihr zu verschwinden.

Ein Ventil wofür – Wut?

Ganz sicher. In unserer ersten Phase ab 2010, wo wir – damals noch mit anderem Schlagzeuger – mehr Projekt als richtige Band waren, war diese Wut noch ausgeprägter. Da haben wir eher Kinderzimmernoise gemacht, in dem wir alles rausgelassen haben.

Kinderzimmer im Sinne von LoFi, nicht produziert, sondern mitgeschnitten.

Genau. Durch unsere feste Struktur ist diese Wut dann zwar milder geworden, nicht mehr so auf den Moment bedacht, aber es gibt sie noch. Das steckt tief in unserer Musik.

Welche Rolle spielt euer Standort Stuttgart dabei – ist Wut auf die Verhältnisse womöglich größer, wenn sie in einer Stadt stattfindet, die so bieder ist wie ihr Ruf?

Sie spielt eine Rolle. Aber eher durch ihre Kessellage als das Biedere. Sicher ist in Stuttgart vieles spießig, vor allem aber ist alles sehr begrenzt und damit eng. Zumal sich die Wut durch Stuttgart 21 bekanntermaßen bis in bürgerliche Schichten gefressen hat.

Stichwort Wutbürger.

Genau. Stuttgart ist Städten wie Hamburg allerdings nicht nur wegen der Proteste ähnlicher geworden. Die Räume für Kreativität werden ja auch in den Metropolen weniger, nur dass es in Stuttgart keine so lange Geschichte freier Räume wie in Berlin etwa gibt, das derzeit nach und nach gentrifiziert wird. Stuttgart war schon immer gentrifiziert; andererseits zeigt die Entwicklung des HipHop bei uns ja, dass es offenbar früher auch schon solche Freiräume gegeben haben muss. Aber ich fühle mich wohl hier. Und sich Räume zu erkämpfen ist oft schwierig, aber wir finden immer wieder welche.

Zum Beispiel?

Am Nordbahnhof, wo wir unsere ersten Konzerte in alten Waggons gespielt haben. Das ist jetzt allerdings weg seit einem halben Jahr.

Und was ist da jetzt?

Na nichts. Aber als uns diese Fläche 1999 zur Verfügung gestellt wurde, war bereits klar, dass wir sie ab einem bestimmten Bauabschnitt des neuen Bahnhofs wieder zurückgeben. Das war vorigen Herbst der Fall.

Dann seid ihr von Stuttgart 21 ja quasi körperlich betroffen.

Ja, aber in gewisser Weise auch positiv. Ohne Stuttgart 21 hätte es diesen Kulturort womöglich nie gegeben.

Das klingt schizophren.

Das ist schizophren. Deshalb haben wir uns neue Biotope gesucht und auch gefunden. Aber das macht ja die Musikszene in Stuttgart so schön, weil sich die verschiedenen Projekte und Bands auf so engem Raum immer wieder treffen. Das ist fast wie Weilheim.

Das Notwist-Dorf.

Nur eben nicht so provinziell.

Das ganze Interview steht unter http://www.musikblog.com/2014/02/wir-mussten-unseren-unhoerbaren-noise-zum-erfolgserlebnis-erklaeren-die-nerven-im-interview/

Freiheit – schon dieses Wort. Scheußlich, grauenhaft. Und wie hohl es geworden ist. Freiheit, das ist nur noch die des Bleifußes. Diejenige, falsche Parteien zu wählen oder das richtige Deo. Zur Promiskuität, zum Einkauf, zu weniger Hautirritationen und mehr Abwechslung im Fertiggerichteregal. Die Freiheit von einst wurde zur Unfreiheit von heute, und daran ändert auch der nichts, der sie maskiert. Als Liberalität zum Beispiel. Oder Libertatia, wie das neue Album von Ja, Panik.

Dieser Freiheitsbegriff klingt zunächst mal auch dann fahl, ja falsch, wenn ihn Andreas Spechtl verwendet. “Wo wir sind, ist immer LIBERTATIA“, krächzt der Berliner Poesiepopper aus Österreich durchs Auftaktstück der fünften Platte. Und er tut es gewohnt mehrsprachig für “unsere brothers and sisters“, für alle “not sans papiers, but sans patrie“, die er “worldwide befreit von jeder Nation”. Es ist ein heiteres Revoltieren, das Ja, Panik da praktizieren. “One world, one love: LIBERTATIA.” Sollen wir ihnen das abkaufen wie der Werbung ihre Glücksversprechen oder der FDP den Steuern-Runter-Liberalismus?