Karin Baal & Tankstellenwitze

Die Gebrauchtwoche

23. – 29. Juli

Karin wer, bitteschön? Das dürften sich viele der rund zwei, drei Dutzend Zuschauer unter 65 gefragt haben, die das lineare Fernsehen frei von beruflichem Interesse auch hinter den Kulissen verfolgen, als der ersten Götz-George-Preis in Berlin verliehen wurde. Karin Baal, bitte sehr, lautet die Antwort. In der Zeit wöchentlicher Wallace-Verfilmungen ein Nachwuchsstar mit Bravo-Starschnitt, hangelt sich die 77-Jährige tapfer durch ein Spätwerk aus Episodenrollen mit mehr oder weniger Niveau. Vor acht Tagen taugte sie dennoch zur ersten Premierenträgerin einer Trophäe, die die heillos überalterte TV-Welt in etwa so dringend braucht wie noch mehr Chauvi-Scherze am Bildschirm.

Weil die das männlich dominierte Comedy-Genre indes nach wie vor mit tyrannischer Intelligenz-Verachtung dominieren, verpasst ihr das außergewöhnliche Comedy-Talent Sophie Passmann im aktuellen Zeit-Magazin eine Breitseite, die direkt im offenen Hosenstall von Mario Barth gelandet sein müsste. „Der Selbstanspruch großer deutscher Comedians ist es, beschämend viel Geld zu verdienen und ohne größeren intellektuellen Kollateralschaden durch ihr Programm zu kommen“, ätzt das Ensemblemitglied der humoristischen Revoluzzer vom Neo Magazin Royale und schiebt angemessen angepisst hinterher, der hiesige Zotenhumor sei mitverantwortlich dafür, „dass die kommerzielle Comedy-Szene in Deutschland in der kulturellen Belanglosigkeit vor sich hin krebst“.

Doch das hat sie, also die Szene, am Ende mit der kommerziellen Nachrichten-Szene gemein, die es geschafft hat, eine Schar verschütteter Jungs aus Thailand über Tage bis in die ehrenwerte Tagesschau hinein zur Top-News zu machen – obwohl nur ein paar Elendsquartiere abseits der Höhlenbuben Millionen Gleichaltrige in bitterer Armut verenden. Allerdings erst, nachdem sie noch rasch die Billigklamotten unseres Wegwerfwohlstands genäht haben. Aber gut, so funktioniert nun mal die mediale Auf- und Erregungsgesellschaft, in der mit #MeTwo nach #MeToo nun der nächste kurze Wirbel um Benachteiligte verpuffen wird wie ein bedächtiger Wortbeitrag im Talkshow-Getöse.

Die Frischwoche

31. Juli – 5. August

In dieser Atmosphäre findet dann auch überdrehter Internet-Trash wie Tanken seinen Weg ins Regelprogramm von ZDFneo. Ab Dienstag simuliert die Sitcom nach dem lausigen Drehbuch von Gernot Griksch und Julia Drache zwölf Teile lang Interesse an der Belegschaft einer Tankstelle im urbanen Randgebiet. Was ulkig gemeint sein soll, ist wöchentlich um 22.45 Uhr aber bloß spottbilliger Pennälerhumor auf Kosten Unterprivilegierter von fettleibig bis dement, unterläuft damit selbst das Niveau der Lochis spielend und wirft die Frage auf, warum sich ein Schauspieler wie Ludwig Trepte für solchen Müll hergibt.

Lohnenswert ist an gleicher Stelle dagegen die zweite Doppelfolge der sehr französischen Krimi-Serie Art of Crime am Freitag um 21.45 Uhr, in der nicht frei von Stereotypen, aber inhaltlich ungewöhnlich in der globalen Kunstszene ermittelt wird. In der globalen Hacker-Szene spielt dagegen heute (22.15 Uhr) im Rahmen des ZDF-Montagskinos Baran bo Odars Gegenwartsdystopie Who I am. Für Qualität sorgen dabei allein schon die Darsteller: Tom Schilling, Elyas M’Barek, Hannah Herzsprung und Wotan Wilke Möhring.

Morgen dann wird es tagespolitisch, wenn die ZDF-Doku Russlands Rückkehr von Stefan Brauburger und Christian Frey um 20.15 Uhr Russlands Rückkehr? weniger infrage stellen, als es das Satzzeichen suggeriert. Anderthalb Stunden später konstatiert die ARD ganz ohne solche Satzzeichen, dass wir Mit Vollgas in den Verkehrskollaps steuern. Arte steuert derweil aufs Finale ihres diesjährigen Sommerschwerpunkts zu, der sich Summer of Lovers nennt und einerseits belegt, dass sich dieses Konzept langsam totzulaufen scheint. Andererseits hat es aber noch immer tolle Formate in petto.

Freitag zum Beispiel um 21.44 Uhr ein umfangreich recherchiertes, schillernd präsentiertes Porträt von Freddy Mercury, gefolgt von der schwer skandalisierten und schon deshalb unfassbar zugkräftigen Doku In Bed with Madonna, die dem damaligen Superstar 1990 live und auf Platte Verkaufsrekorde einzufahren half. Am Sonntag dann endet die Wochenration Liebhaber zur besten Sendezeit mit einem seinerzeit ebenfalls skandalträchtigen Stoff: Ang Lees Western-Schwulen-Drama Brokeback Mountain von 2005. Und weil er am Sonntag aus der Sommerpause zurückkehrt, sparen wir uns die Wiederholung des Tatort und empfehlen den neuesten aus der Schweiz, der im Stile Hitchcocks daherkommt: Die Musik stirbt zuletzt ist ungeschnitten, also in einem Take aufgenommen. Theaterfernsehen. Schauen wir mal…

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Denzel Curry, Pram, Ebony Bones

Denzel Curry

Die große, ziemlich seltene und darum unendlich kostbare Kunst, zeitgenössischen Mainstream von musikalischem Belang zu machen, besteht tendenziell darin, Tradition und Moderne so miteinander zu verrühren, dass es niemand so richtig merkt und doch jeder hören will. Denzel Curry gelang dieser Spagat bereits im Alter von 18 Jahren, als sein Debüt den 2013 noch weit weniger verbreiteten Trap mit dem Oldschool-HipHop der Bronx mischte. War Nostalgic 64 seinerzeit allerdings noch ein bisschen hippelig und auch der gefeierte Nachfolger Imperial ein wenig zu aufgeplustert, so packt TA13OO seine Raps nicht immer alle in einen Track, sondern schichtet sie nun Stück für Stück auf.

Zu sperrigen Texten über Kindesmissbrauch oder Nahtoderfahrungen, Hatespeech seiner eigenen Branche und die Angst, die ihm der Hass allerorten macht, klingt sein Florida Sound demnach wie ein fein austariertes Kompendium zeitgenössischen Sprechgesangs. Während er in TABOO betulich vor sich hinschlängelt und in BLACK BALLOONS sodann Arrested-Delelopment-Schwung aufnimmt, wird es in Cash Maniac zunächst autotunepoppig, bevor es mit SUMO experimentell wird, also zunehmend ruppig statt gefällig. Dank der Wandelbarkeit von Currys Stimme ist TA13OO allen Motherfucker und Niggaz im Text zum Trotz ein großes Stück emanzipativer Selbstermächtigung im Deppenbiz des geldwerten HipHop.

Denzel Curry – TA13OO (Caroline)

Pram

Wenn Musik ohne allzu viel Text Bilder im Kopf erzeugt, muss sie so einiges richtig gemacht haben. Die Gruppe Pram hat diesbezüglich seit 30 Jahren nahezu alles richtig gemacht. Als die Experimentalband Ende der Achtziger in Birmingham entstand, konnte (oder wollte) keines der vier Gründungsmitglieder richtig singen. Was schon darum auffiel, da es bis auf ein antiquiertes Vorläufermodell des Synthesizers auch kein richtiges Instrument gab. Dennoch erzeugen Samantha Owen und Matt Eaton im luftleeren Zwischenraum des klanglich Denkbaren Töne, die wie Soundtracks ohne Film funktionieren.

Akustische Epen ohne Struktur, aber von einer rhythmischen Schönheit ohnegleichen. Zwölf Personalwechsel später hat sich das Instrumentarium nicht nur erhöht, sondern multipliziert. Das erste Album nach elfjähriger Studiopause wirkt daher verglichen mit früher fast orchestral. Im Kreise reitendes Zirkusklavier mischt sich mit Sirenengesang, Räuberhöhlenposaune, Krautrockgitarren und Zaubersamples zu derart ergreifenden Psychopopserenaden, dass man intuitiv die Augen schließt und in Across The Meridian abtaucht, als vertone es einen Tagtraum. Selbst Taktstrukturen gibt’s mittlerweile. Manchmal. Film ab!

Pram – Across The Meridian (Domino)

Ebony Bones

Wenn Künstler auch ohne Musik Bilder im Kopf erzeugen, sollte man hingegen nie dem ersten Eindruck glauben. Wer etwa Ebony Bones vor Augen hat, dürfte ein irres Pop-Esperanto aus Björk und Bonaparte auf Finnisch und Koks erwarten. Tatsächlich macht die Produzentin aus London das exakte Gegenteil ulkigen Mash-ups. Nach dem Intro aus militärischen Drums und Trauermarschbläsern verhallt ihr drittes Album Nephilim im getragenen TripHop des Titelstücks, den leiernde Geigen eher vorwärts quälen als treiben. Und wenn die 35-Jährige am düsteren Bass vorbei traurig schön übers schwere Kreuz singt, das auf ihr lastet, wird das karnevaleske Outfit aus zitronengelbem Afroturm und tausendfarbigen Gaultier-Kostümen vollends dialektisch.

Zur Mitte hin nimmt das Album zwar eine Menge Fahrt und reichlich Furor auf. Wenn Ebony Bones jedoch in Kids of Coltan das Leid schwarzer Minenarbeiter für unsere jährlich wechselnden Smartphones beklagt oder „there’s no black in the Union Jack“, täuscht auch das gesteigerte Tempo nie ganz darüber hinweg, wie die schrille Optik mit der politischen Wucht im Umfeld eleganter Elektroflächen kontrastiert. Wenn du deine Gegner nicht besiegen kannst, meinte der kluge Kater Garfield einst, verwirr‘ sie. Hoffentlich wirkt es.

Ebony Bones – Nephilim (1984 Records)

 


Mourn, Adrian Younge/Ali Shaheed, Immersion

Mourn

Vergleiche können nicht nur in der Musik, aber besonders dort ziemlich schmeichelhaft sein, vergiftet oder schlicht unvermeidbar. Wer Jazz Rodríguez Bueno hört, kommt jedenfalls kaum umhin, darin Corin Tucker zu erkennen. Mitte der Neunziger hatte sie Sleater Kinney einen halsstarrigen, wutentbrannten Tremolo verpasst, der die Tonlage dessen, was seinerzeit Riot Grrrls genannt wurde, auf ein noch zornigeres Niveau hob. Fast 25 Jahre später klingt die Sängerin der Garagenpunkband Mourn aus Barcelona ganz ähnlich wie die Wegbereiterin weiblicher Selbstbehauptung auf der männerdominierten Rockbühne – und das hat durchaus seinen Grund.

Als sie 2015 mit ihrer jüngeren Schwester Leia, der Gitarristin Carla Perez und Antonio Postius am Schlagzeug kaum volljährig ein aufgebrachtes DIY-Debüt veröffentlichte, nahm die männliche Konterrevolution grad so herrisch Fahrt auf, dass neuer Bedarf nach einer feministischen Gegenrevolte aufkam. Dennoch ist das dritte Album Sorpresa Family nicht grundlegend politisch. Die englischen Texte sind reizbar, aber nie parolenhaft. Der Furor entspringt eher den filigranen, vielfach messerscharfen Riffs, die das Schlagzeug mit mathematischer Präzision zerwühlt. All dies macht Mourn auch abseits des Gesangs bemerkenswert. Und angemessen sauer.

Mourn – Sorpresa Family (Captured Tracks)

Adrian Younge & Ali Shaheed

Falls es einen Referenzrahmen zeitgenössischer Popmusik gibt, dessen Einflüsse nicht einmal annähernd ausgeschöpft, geschweige denn erschöpft sind, ist es die Black Music der Sechzigerjahre. Ohne deren Soul wären weder Funk noch Dance, weder House noch Rap denkbar, also auch nicht Adrian Younge und Ali Shaheed Muhammad. Als Mitglieder von Hip-Hop-Legenden wie Ghostface Killah oder A Tribe Called Quest haben beide stets gierig im Fundus ihrer Ahnen gewühlt. Nun geben sie ihnen ein bisschen was davon zurück und erweisen zugleich den Ahnen der Ahnen Respekt: The Midnight Hour.

So heißt ihre Hommage an die Historie schwarzer Subkulturen seit der Zwischenkriegszeit. Unterstützt von gut einem Dutzend höchst verschiedener Kollegen an der Seite des studioeigenen Linear Lab Orchestra in L.A. schlägt es 20 Stücke lang den Bogen vom Jazz der Harlem Renaissance in unserer Gegenwart. Die vielfach fast filmmusikalisch beschwingte Mischung aus Hammondorgel, Querflöte, Synthesizer, Percussion und einem Satz Bläser mit modernem R’n’B, klingt jedoch selten nostalgisch, allenfalls hochachtungsvoll. Und in jeder Sekunde so elegant, wie wir uns die Sixties wünschen.

Adrian Younge & Ali Shaheed Muhammad – The Midnight Hour (Linear Labs)

Immersion

Instrumentelle Musik hat es auch nicht leicht. Fehlender Gesang wird, zumindest jenseits von Techno und Klassik, rasch als Mangel wahrgenommen. Da besonders Pop-Texte vielfach von erschreckender Schlichtheit sind, fragt sich allerdings: was bringt die Stimme zum Ausdruck, das Gitarren, Keyboard, Synths nicht besser können? Beim Hören der neuen Platte des Krautrockduos Immersion lautet die Antwort: Nichts. Wie zuletzt vor fast 20 Jahren walzt die israelische Universalkünstlerin Malka Spigel an der Seite ihres britischen Mannes Colin Newman analog und digital eingespielte Soundfragmente zu einer Fläche aus, die keiner sprachlichen Vertiefung bedarf.

Noch elektronischer als auf den ersten drei Alben in den Neunzigern, erinnert Sleepless an eine Art generalüberholten Jean-Michel Jarre. Ständig fiept und raunt und pluckert es vielgestaltig über der mal sägenden, mal sanften Gitarre. Konsolengeräusche der Videospielära untermalen Spigels blubbernden Bass. Jazzige Rockdrums wechseln sich ab mit hitzigen Breakbeat-Sequenzen. Dicht am Rande der Überfrachtung fließt alles ineinander, bis das Artifizielle naturalistisch klingt und umgekehrt. Gesang wäre da exakt ein Instrument zu viel.

Immersion – Sleepless (Swim ~ )