Gewaltfragen & Ballermannboote

Die Gebrauchtwoche

24. – 30. August

Gewalt, das begriff der norwegische Sozialwissenschaftler Johan Galtung schon vor Jahrzehnten, herrscht nicht nur, wenn Kugeln oder Fäuste fliegen, sie kann als „vermeidbare Beeinträchtigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse“, also strukturell anstatt physisch verletze. Dem Bedürfnis nach Gesundheit und Überleben zum Beispiel, nach Wohlstand und Wahrheit, von Demokratie ganz zu schweigen.

Wenn diverse Medien vor, während, nach der Querdenken-Demo berichtet haben, die 38.000 – pardon, 38 Millionen Teilnehmenden seien am Samstag friedlich durch Berlin marschiert, zeugt das demnach von einer Ignoranz im Umgang mit den Fakten eines Menschenauflaufs, dessen kollektive Weigerung zu Abstand und Maske plus angedeutetem Reichstagssturm gewaltsam Gesundheit, Überleben, Wohlstand, Wahrheit attackiert haben.

Dafür muss man noch nicht mal nur Faktenfinder zurate ziehen, die saftige Lügen der Lügenpresse-Krakeeler offenbaren. Eindrucksvoll ist auch, wie massiv eine Bild-Reporterin von Querdenkern bedrängt wurde. Das Schwesterblad BamS jedoch hielt der Angriff auf Person und Pressefreiheit nicht davon ab, die Gewaltfrage flugs nach links zu rücken und auf der ganzen Titelseite vom vermeintlichen (und unvollendeten) RAF-Anschlag auf den Schweine-Blockwart Clemens Tönnies zu faseln. Für die Corona-Demo blieb da leider nur ein Hinweis am Rand übrig.

Dafür bekam der geistige Bild– und BamS-Buddy Björn Höcke am Dienstag Gelegenheit, seinen Future-Faschismus beim MDR in Watte zu packen. Eine Offenheit, die der Muttersender hoffentlich nicht meint, wenn er seine Tagesthemen ab morgen um fünf, freitags gar 15 Minuten verlängert. „Für einen intensiveren Blick auf die Regionen“, wie es ARD aktuell-Chef Helge Fuhst ausdrückt, „auf die Heimat unserer Zuschauer“.

Die Frischwoche

31. August – 6. September

Bleibt zu hoffen, dass sich sein ehrwürdiges Format damit nicht der weit weniger ehrwürdigen Konkurrenz von stern TV angleicht, die ab Mittwoch 30 Jahre lang Skandale menschelt oder Menschen skandalisiert. Am selben Tag springt das gebührenfinanzierte ZDF aufs Ballermann-Boot privater Rekordjagden und engagiert den Grüßaugust Elton für die „Quizshow“ Einfach super!, in der Kinder (Fee, Max, Lukas) mit Promis (Neureuther, Lombardi, Santos) irgendwas Egales inszenieren, damit aber mehr Zuschauer als jedes Nachrichtenmagazin erreichen.

Würde man das Publikum entsprechend konditionieren, könnte das auch für die Langzeitstudie des Fuldaer Hochhaus-Ghettos Aschenberg gelten, das ein ZDF-Team monatelang unter die Lupe nahm. Statt Primetime gibt es dafür ab Mittwoch allerdings nur die Mediathek, wo sie sich mit Streamingdiensten von weit größerer Zugkraft messen muss. Prime zum Beispiel zeigt ab heute die vierteilige Doku The Last Narc über einen Drogenboss der Achtziger, begleitet von All or Nothing, das parallel die Tottenham Hotspurts porträtiert.

Na, hoffentlich biedert sich die Fußball-Doku dem Club nicht so an wie Arte zugleich Toni Kroos. Gewiss aber dürfte sie würziger sein als MasterChef Celebrity, womit Sky die globale Kochshow montags auswalzt. Wobei Kochshow: eigentlich ist der Herdstreit eine Dauerwerbesendung für Produkte von Food-Magazin bis IT-Girl. Allerdings keine so plumpe wie Lego Masters, mit denen RTL seinen PR-Partner ab Freitag unverblümt in den Mittelpunkt stellt und damit neben dem (zusatzkostenpflichtigen) TV-Start des Kinofilms Mulan auf Disney+ VIP das PR-Programm der Woche bildet.

Ohne Kaufempfehlung ratsam ist hingegen die Fox-Serie Mrs. America, in der Cate Blanchett ab morgen auf Sky die leibhaftige Anti-Feministin Phyllis Schlafli zur Hauptfigur einer sensationellen Siebziger-Revue macht, bevor Netflix Mittwoch das erste deutsche SciFi-Drama Freaks mit Cornelia Gröschel als Superheldin wider Willen zeigt. Nicht neu, sondern eine Wiederholung der Woche ist dagegen Die Blechtrommel (Samstag, 23.45 Uhr, RBB) von 1979 in Volker Schlöndorffs Director’s Cut. Und in Schwarzweiß: Henri Verneuils Politdrama Der Präsident von 1961, heute um 22.10 Uhr auf Arte.

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Sharik Khan & Viktor Marek, Pippa, Metallica

Khan & Marek

Mitte der Neunziger, Berlin hieß noch Bonn, durchwummerte ein Sound die Metropolen, der sich Oriental Dub nannte und es schaffte, exotisch zu klingen, ohne kolonialistisch zu sein. Zeitgenössischer Techno wurde darin so elegant mit dem Sound des Nahen und Fernen Ostens verwoben, dass die Hinterhof-Raves nur so schunkelten. Wenn man dem elektrophilen Grenzgänger Viktor Marek 25 Jahre später dabei zuhört, wie er die suprakulturelle Melange mit dem pakistanischen Sitar-Star Ashraf Sharif Khan verfeinert, wird diese Zeit wunderbar präsent.

Zehn Jahre lang hat der Hamburger Nischenkünstler und Mitbetreiber des Golden Pudel Club angeblich mit seinem Kollegen aus Lahore am Duo-Debüt Sufi Dub Brothers gearbeitet. Das Ergebnis ist eine Tanzmusik, der man die interkontinentale Brückenbildung zwar anhört. Die interkontinentale Soundsprache steht jedoch stets im Schatten einer Eigendynamik, die sich von jeder kulturellen Aneignung emanzipiert. Dass Khans pulsierende Sitar ein asiatisches Element ist, geht in den technoiden Vives von Marek so unter, als kämen beide ursprünglich von dort, wo sie vereinigt wurden. Einem kleinen Studio in Hamburg.

Ashraf Sharif Khan & Viktor Marek – Sufi Dub Brothers (Fun In The Church)

Pippa

Alles egal. Wer so etwas singt, könnte als prinzipienlose Nihilistin gelten. Und wenn ihr dann auch noch alles mit einer derart sedierten Stimme egal ist wie bei Pippa, verbirgt sich dahinter womöglich die Überzeugung der Generation Eurodance, im Grunde zählt nur der Moment und selbst das nur, wenn die Pillen wirken. Alles falsch! Denn die sehr junge, sehr hippe, sehr lässige Wienerin mag auf ihrer zweiten Platte zwar käsig nölen, “wer du bist, was du denkst, wo du stehst, das ist alles egal” – dahinter verbirgt sich ein musikalischer Geist von kolossaler Anteilnahme.

Auf Idiotenparadies versteckts sie die halt nur unterm musikalischen Mix des anything goes, in dem nicht nur das Vokabular scheinbar ziellos durchs Überall irrt. Mal mit radebrechenem Neunziger-HipHop versetzt, mal mit elektronischem Lala-Pop der Nuller, mal pianobetupft klassisch, mal zappelig technoid, pflegt Pippa zwar oberflächlich den Gestus der Prokrastination. In der Tiefe ihrer Kompositoinen aber glitzert purer Enthusiasmus – auch wenn er gelangweilt wirkt. “Läuft / ich pack mein Leben nicht / aber I love it / alles random hier”.

Pippa – Idiotenparadies (LasVegas Records)

Hype der Woche

Metallica

Wenn irgendwas im Pop hingegen nicht random ist, dann der Erfolg des Heavy Metal. Breiter Schritt, dickes Brett, orchestrales Pathos, heiliger Ernst – damit haben es auch Metallica zum Perpetuum Mobile ihrer Selbstreplikation gebracht. Seit gefühlt 500 Jahren macht die dänisch-amerikanische Zackengitarrenband, was sie mit mehr oder weniger langem Haar schon immer verlässlich auf Top-1-Kurs macht. Das dürfte also auch S&M2 (Blackened Recordings) widerfahren, mit dem James Hetfied und Lars Ulrich als Koproduzenten die Klassik-Version ihrer Hits mit dem 80-köpfigen San Francisco Symphony von 1999 fortsetzen. Dem Gesamtwerk fügen sie damit zwar nichts Neues hinzu, aber auch das knattert durchs Gehirn wie der zugehörige Konzertfilm von Regisseur Joe Hutching, der demnächst weltweit in 3.700 Kinos läuft. Für Fans unerlässlich, für alle andern, tja, irgendwie auch.


Racial Profiling & Save Me Too

Die Gebrauchtwoche

17. – 23. August

Racial Profiling? Gibt’s nicht! Und Horst Seehofer weiß auch warum: Weil es verboten ist. Gegenteiliges zu behaupten wäre daher eine Verunglimpfung, schlimmer noch: Beleidigung, in jedem Fall aber Pauschalverurteilung der deutschen Polizei, die in 1000 Jahren bekanntlich noch nie gegen irgendein Gesetz verstoßen hat. Dass ein uniformierter Scharfschütze in einer Satire des funk-Moderators Aurel Mertz jemanden mit dunkler Haut nur deshalb erschießt, weil er sein Fahrrad aus Sicht zweier Kollegen womöglich nicht aufschließt, sondern -bricht, gilt in konservativen Machtzirkeln daher als ausgeschlossen.

Umso entrüsteter twitterte ein gewisser Sven Schulze, das Video, „finanziert mit Gebührengeldern von #ARD& #ZDF“, sei ein „Schlag ins Gesicht aller Polizisten“. Sachsen-Anhalts CDU-Generalsekretär kündigte an, sein Landesverband werde die anstehende Beitragserhöhung deshalb „verhindern“. Schwer zu sagen, ob Schulze und einige Unionsmitglieder, die ihm flugs zustimmten, bewusst war, dass dies einen Bruch des Rundfunkstaatsvertrags darstellt. Der nämlich verbietet, dass die Länder ihr Plazet an Senderinhalte koppeln. Tatsache ist allerdings, dass sein Tweet Brennstoff pressefreiheitsfeindlicher Tendenzen ist.

Zumal #ARD& und #ZDF auch nicht alles richtig gemacht haben, um ihnen den Sauerstoff zu entziehen. Zu Beginn der Corona-Pandemie etwa, das ergab eine Studie der Uni Passau, wurde die öffentliche-rechtliche Berichterstattung in fast 100 Sondersendungen so massiv auf Covid-19 zugespitzt, bis ein kollektiver „Tunnelblick“ aufs Infektionsgeschehen herrschte. Medial betrachtet hatte der anschließende Lockdown aber noch andere Auswirkungen, die sich gerade im Fernsehprogramm äußern – und damit ist gar nicht mal die aktuelle Maskendebatte gemeint, der RTL durch seine Weigerung, in der neuen Show I Can See Your Voice Abstandsregeln einzuhalten.

Die Frischwoche

24. – 30. August

Die Produktionsflaute vom ersten Halbjahr schlägt nämlich gerade so durch, dass die ARD im zweiten Halbjahr weder am feuilletonistisch wichtigen Film-Mittwoch noch am geriatrisch wichtigen Degeto-Freitag Erstausstrahlungen zeigt. Selbst Streamingdienste wirken ein wenig ausgedünnt, weshalb die Fortsetzung der fabelhaften Krimi-Serie Save Me mit Lennie James am Donnerstag auf Sky einer der wenigen Highlights dieser Woche ist.

Ein Grund mehr sich der Politik zu widmen: Rund sechs Wochen nach dem unsäglichen Interview des RBB mit dem AfD-Nazi Andreas Kalbitz, wagt sich der MDR am Dienstag an ein Interview mit dem AfD-Nazi Björn Höcke. Gut fünf Monate nach dem Ausbruch der Pandemie zum Beispiel arbeitet die ARD heute um 22.45 Uhr den Zug der Seuche um die Welt auf. Fünf Jahre nach Angela Merkels legendärem Satz Wir schaffen das, begibt sich Jochen Breyer am Mittwoch um 22.50 Uhr im Zweiten an den Puls Deutschlands.

Und 19 Jahre nach ihrem Debüt als Kommissarin Lucas, wird am Samstag sogar die dienstälteste ZDF-Polizistin Ulrike Kriener nicht nur ein bisschen feministisch, sondern zeigt mit einem Twist ins Tönnies-Thema Fremdarbeiterausbeutung präpandemischen Weitblick. Apropos TWIST: so heißt auch das neue Kulturmagazin, mit dem Arte ab Sonntag um 16.20 Uhr Kreative aus ganz Europa auf ihrem Weg durch die Krise begleitet. Und damit wären wir auch schon bei den Wiederholungen der Woche.

Diesmal das einflussreiche Meisterwerk Papillon (Freitag. 22.25 Uhr, 3sat) von 1973 mit Steve McQueen und Dustin Hofman als Häftlinge eines mörderischen Gefängnissystems. Und ausnahmsweise mal zwei Tatorte: morgen um 22.15 Uhr zeigt der WDR das Berliner Debüt von Dominic Raacke und Boris Aljinovic anno 2001, Freitag widerfährt Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär im Ersten das Gleiche mit ihrem Auftaktfall Willkommen in Köln von 1997.


Dummnoranz & Biohackers

Die Gebrauchtwoche

10. – 16. August

Ob es nun Dummheit ist oder Ignoranz, an der die Demokratie und deren Zivilisation zugrunde gehen, ist sozialwissenschaftlich ungeklärt. Doch wie Dieter Nuhr und Lisa Eckart Intelligenz und Bildung gerade auf dem Altar populistischer Clickbaits opfern und das als Kunstfreiheit verhökern, schafft sich das Kabarett eine Mischform, nennen wir sie Dummnoranz. Denn während ersterer die Krise seines welken Geschlechts mit Angriffen auf alles beantwortet, was ihm von Greta über Corona bis MeToo in den misogynen Testosteronspeicher funkt, zeigt letztere mit klischeehaftem Pipikacka-Humor, dass Frauen die schlimmeren Männer sein können.

Umso vehementer fordern empathiebegabtere Kollegen wie Shahak Shapira, als Satire getarnte Menschenverachtung zu ertragen, statt die geschichtsbewährte Spezialität deutschen Ordnungssinns – Cancel-Culture – zu betreiben. In der Süddeutschen macht Jens-Christian Rabe daher den klugen Vorschlag, Thomas Bauers diskursfreundliche „Ambiguitätstoleranz“ auch mal in arschlochkritische „Eindeutigkeitsintoleranz“ zu verwandeln. Was Konservative als linke Cancel Culture brandmarken, sei auch aus Sicht der Komikerin Sophie Passmann schließlich oft nur der „freundliche Hinweis, dass es anständig wäre, aus Menschen nicht ständig Pointen zu machen und den Gratismut, den es dazu braucht, dann nicht auch noch zur Selbsterhöhung als Grenzgang zu bezeichnen“. Leider ist der Gratismut überaus erfolgreich.

Dank ihrer geldwerten Dauerattacke auf (Mainstream-)Medien und Wissenschaft, gehen die Zugriffe der gegenseitigen Erregungsbeschleuniger Nuhr/Eckart von Twitter bis Facebook durch die Decke – und helfen mit, dass Mark Zuckerbergs Netzwerke sieben Milliarden User haben, rein rechnerisch also bald jeder Mensch von seiner digitalen Meinungsmacht indoktriniert werden kann. Dass der erste TikTok-Chef Deutschlands Tobias Henning von Springer zur chinesischen Datenkrake wechselt, ist da auch eher keine so gute Nachricht.

Die Frischwoche

17. – 23. August

Ob es eine gute News ist, dass Donnerstag mit Pia Stutzenstein nach 24 Jahren Cobra 11 erstmals eine Frau am – besser: neben dem Steuer explodierender RTL-Limousinen sitzt, wird man entscheiden, wenn Testosteronserien wie diese geholfen haben, die Welt in den Abgrund zu rasen. Menschen mit nachhaltigem, aber massenbewährtem Fernsehgeschmack werden schon diesen Montag bei UniversalTV/Sky mit dem Medical Drama Nurses versorgt, in dem fünf junge Krankenpfleger*innen Tod und Teufel einer kanadischen Notaufnahme durchleben.

Ebenfalls konventionell, aber sehenswert ist die heutige Sky-Serie Lovecraft Country über den kollektiven Rassismus der USA in den Fünfzigerjahren oder parallel dazu das achtteilige Biopic Arde Madrid um die junge Ava Gardner auf RTL Passion. Gleiches gilt Donnerstag für die realdystopische Magenta-Serie DEVS um Machenschaften eines Tech-Konzerns. Tags drauf stellt der Starzplay-Sechsteiler White House Farm Murders einen Fünffachmord im England der Achtziger nach, derweil A Very English Scandal am Samstag alle drei Folgen am Stück auf Tele 5 einen real existierenden Mordfall von 1979 mit Hugh Grant als tatverdächtigem Politiker nachstellt und Netflix zwischendurch die Thriller-Serie Biohackers mit Jessica Schwarz als sinistre Forscherin aus dem Giftschrank holt, wo sie im Frühjahr wegen der Corona-Pandemie gelandet war.

Nur dem Titel nach wissenschaftlich klingt die Coming-of-Age-Erzählung Chemical Hearts mit Lili Reinhart und Austin Abrams in sehr, sehr seltsamer Liebe, Freitag bei Prime. Und während die ARD am Sonntag erneut erfolgreich mit quotenstark verwechselt und einen Wunsch-Tatort aus der Kiste holt, ist die schwarzweiße Wiederholung der Woche Rosen für den Staatsanwalt von 1959 (Montag, 20.15 Uhr, Arte) in jeder Hinsicht so sehenswert wie Der Gendarm von Saint-Tropez (Dienstag, 20.15 Uhr, Nitro), mit dem Louis de Funès 1964 seinen Durchbruch feierte.


Elis Noa, Go Go Gazelle, Whitney

Elis Noa

Wenn der Opener eines Debütalbums beginnt wie eine vertonte Kunstinstallation auf der Documenta X., wenn Satzfragamente der Art von “How does it feel to be afraid” – Fiepdiedeldiziep – “to be my muse” darin Kreissägengeräusche durchbrechen, wenn ein Opener, der ja zum Verweilen einladen soll, so eklatant mit Hörgewohnheiten bricht wie die Wiener Band Elis Noa auf What Do You Desire?, dann erwartet man alles Mögliche, aber nicht den feinporigen Electropop, der sich die nächsten zehn Stücke ins Ohr ergießt wie ein Strom warmen Glücks.

Was wir begehren, fragt die verstörend schöne Keyboarderin Elisa Godino da mit oktavensprengender Kellerbarstimme zu Aaron Haders Synths, und wer sich seit Jahren schon über die Profanisierung des Charaktergenres R’n’B aufregt wie dieser Blog, antwortet da nach dem langsamen Erwachen aus diesem Tagtraum: genau so, wie diese eleganten Bigbeat-Minimalismen, oberflächig eingekremt, tiefgründig zerkratzt, ein irrsierend schönes Halbschattenensemble aus Harmonie und Dissonanz, so erhaben wie seit Jahren schon kein Album mehr aus dieser Ecke des Pop.

Elis Noa – What Do You Desire? (LasVegas Records)

Go Go Gazelle

Weil Harmonie und Dissonanz auch in weit weniger elganten Ecken populärer Musik prima miteinander klarkommen können, machen wir an dieser Stelle einen Schwenk in die Mainstreamversion dessen, was viel zu oft als Punk missdeutet wird. Die Augsburger Rockband Go Go Gazelle hat nach zwei EPs eine LP aus dem Studio geprügelt, die in ihrer eins-zwei-drei-vier-Abfahrt-Dynamik zwar nichts mit der nihilistischen Schule anno 1977 zu tun hat. Aber die unbedingte Bereitschaft des Trios zur Selbstüberholung mit Stil, macht halt einfach echt Spaß.

 

Gut, Refrains wie “Immer wenn es regnet / muss ich einen trinken” sind subtil wie geschrubbte D-Dur-Riffs, aber egal – wenn Ska-Gewitter hier mit voller Wucht auf Alternativefolk treffen und Captain Planet auf Knorkator, wenn in den diffizileren Momenten Turbostaat durch die Uptempo-Stücke blinzeln und auch in den Mitgrölpassagen ein fröhlicher Drang, niemandem gefallen zu wollen, wünscht man sich das Ende der Konzertsperre nur umso sehnlicher herbei. Flaschenpost an Morgen: Go Go Gazelle wären da der perfekte Festivalopener auf Bühne 4.

Go Go Gazelle – Falschenpost an Morgen (Gute Laune Entertainment)

Whitney

Über die begnadeten Westküstenrocker Whitney sollte man hier eigentlich gar nichts mehr sagen müssen außer: Kaufen, Hören, Glücklichsein. Dummerweise ist selbst ein so einschmeichelnder, butterbeschmierter Wohlfühlsound wie der des Minaturorchesters aus Chicago noch immer so nischenhaft, dass es nicht mal einen Eintrag bei der deutschen Wikipedia hat. Andererseits: Behalten anspruchsvollere Fans vom Mainstream dieses Juwel halt für sich und der Rest hört halt Passenger.

Dabei klingt das dritte Album der Band um Gittarist Max Kakacek und den singenden Drummer Julien Ehrlich – Hand aufs Herz – nur in Nuancen anders als die beiden Vorgänger. Mittelwestliche Slideguitars treffen da auf unbedingt lebensbejahenden Falsettgesang und saftige Sixties-Surf-Klaviaturen, dass die Beach Boys glücklich über die Düne blinzeln. Aber in seiner ultraharmonischen Arglosigkeit ist Candid halt schon deshalb was Besonderes, weil darauf zehn Evergreens wie Country Roads oder Strange Overtones gecovert werden. Ach ja – und liebe SZ: das Cover ist richtig grandios!

Whitney – Candid (Secretly Canadian)


Dokumentarfilme: Nacht & Nebel

Im Fernsehmeer des Firlefanz

Wer das Programm früherer Tage betrachtet, findet darin nicht nur deutlich mehr, sondern auch weitaus komplexere, leisere, bessere Dokumentationen zur allerbessten Sendezeit. Ein Hilferuf gegen die Banalisierung des Dokumentarischen – mithilfe seiner fortschreitenden Fiktionalisierung.

Von Jan Freitag

Wer Volker Herres von der ARD zuhört, könnte meinen, er sei gar keinem Staatsvertrag verpflichtet, sondern nur den Sehgewohnheiten des Publikums. Die könne man zwar „ein Stück weit prägen“, sagte der Programmdirektor mal zur Kritik am nächtlichen Asyl dokumentarischer Formate, „aber niemanden überlisten, geschweige denn nötigen“. Und weil Fernsehen „in hohem Maße daraus“ bestehe, was die Zuschauer davon erwarten, müsse sich auch seine Planung daran orientieren. Herres‘ Tipp an Sachfilmer, die solcherlei Liebedienerei monieren: „Schuster bleib bei deinen Leisten.“

Klingt forsch, klingt resolut, klingt auch ein wenig arrogant. Wonach es indes weniger klingt, ist realitätsfremd – zumindest, wenn man das Jahr 2020 zugrunde legt, in dem sein gereiftes, Spötter korrigieren: greises Kernpublikum Krimis, Krimis, Krimis und abseits des omnipräsenten Live-Sports noch Heimatfilme plus Volksmusik goutieren. Reist man jedoch zurück in jenes monopolistische Zeitalter, als ARD und ZDF das TV-Programm der Gegenwart kalibrierten, waren die Sehgewohnheiten noch andere als, sagen wir: vorigen Freitag zur besten Sendezeit.

Im Ersten lief da der ortsübliche Alpenkitsch vom Schnulzenhof Degeto, bevor nach den Tagesthemen ein uralter Tatort folgt. Das Zweite öffnet derweil Konserven von Fall für zwei und SOKO Leipzig, weshalb hinter heute-journal und True Crime à la Aufgeklärt erst um 23.15 Uhr Zeit fürs Kulturjournal Aspekte blieb. Und die Dritten? Verfüllten ihre Primetime wie immer mit Standort-PR von Expedition in die Heimat bis 50 Gründe, Südtirol zu lieben. Magazine, Reportagen, Dokus vor zehn? Fehlanzeige! Und übers parallele Angebot der Privatsender hüllen wir an dieser Stelle lieber den Mantel des Schweigens. Ganz anders dagegen ein Freitag, vier Jahrzehnte zuvor.

Als Pro7, Youtube, Netflix allenfalls Illusionen marktradikaler Strategen im erstarrten TV-Betrieb waren, zeigte das Erste um 20.15 Uhr das Dokumentarspiel Manzanar über die Internierung amerikanischer GIs in Pearl Harbour, gefolgt von Plusminus und den Tagesthemen. Das ZDF sendete nach Der Alte ein geistreiches Porträt des Komikers Jerry Lewis, aber stolze 55 Minuten früher als heute Aspekte. Und die Dritten? Adelten ihre Primetime mit Sachfilmen über den NATO-General Gerd Schmückle und ein Schulprojekt in Nizza.

Gewiss, es war die Epoche dreier Kanäle. Den Feierabend diktierte die „Hörzu“ und Rosamunde Pilcher wirkte noch fast so fern wie Stefan Raab, LED-Wände oder Game of Thrones. Trotzdem waren die Zuschauer vorm dualen System, das sie bald darauf lückenlos mit Rot- und Blaulicht versorgte, keineswegs anspruchsvoller, belesener, gar intelligenter als jene von heute, denen Programgestalter wie Volker Herres vorm Anbruch der Müdigkeit fast vollumfänglich leichte Kost meist mit, selten oder Mörder vorsetzt; sie besaßen nur – Obacht – andere Sehgewohnheiten. Fritz Wolf würde womöglich sagen: bessere.

Voriges Jahr hatte der Medienjournalist im Auftrag des Branchenverbandes AG Dok eine Studie zur Lage des Sachfilms am Bildschirm veröffentlicht und beim Deutschlandfunk grollend untermauert. Ganze sieben Prozent der untersuchten Formate, so Wolf, „behandeln gesellschaftspolitisch relevante Themen“, nur drei von 100 nähmen Bezug auf „Wissenschaft und Technik“. Falls sich der Kernbestand informationeller Grundversorgung doch mal ins öffentlich-rechtliche Abendprogramm verirrt, dann bei Nischenkanälen von 3sat bis Arte oder im engen Korsett normierter Reihen wie „Menschen hautnah“ und 37°, wo die goldene Regel form follows function durch universelle Normenkotrolle ad absurdum geführt würde. Weil das Äußere also zusehends wichtiger werde als aller Inhalt, sei die künstlerische, schlimmer noch: die journalistische Freiheit der Kreativen massiv eingeschränkt. Mit Folgen auch fürs Publikum.

Anders als in Zeiten von Alexander Kluge, Edgar Reitz oder Harun Farocki, deren experimenteller Stil bis tief in die Achtzigerjahre hinein trotz sperriger Dramaturgie Topquoten erzielte, müssen sich ihre Nachkommen nicht nur ästhetisch am fiktionalen Film orientieren, um die Aufmerksamkeitsschwelle in Sichtweite zu behalten. Bei Terra X wähnt man sich daher im Actionthriller, während selbst die einst so betulichen Tierfilme meist scheppern wie von Hans Zimmer vertont. Ob Elefanten, Tiger & Co. oder ZDFzoom: Autoren, beklagt Fritz Wolf, seien „kaum mehr als Erfüllungsgehilfen eines Konzepts“, das eher aggressiv ergreifen soll als informativ berühren.

In dieser Art Firlefanz-Fernsehen gehen kompliziertere Dokus, stillere zumal, naturgemäß unter. Immerhin: es gibt sie noch. Das reflexive Medienstück „Wie Holocaust ins Fernsehen kam“ etwa erhielt Anfang des Jahres ebenso den begehrten Grimme-Preis wie die ausgezeichnete Seenotretter-Begleitung SeaWatch3. Bis zum (coronabedingt ohnehin gedimmten) Rampenlicht in Marl allerdings, mussten sich beide mit Erstausstrahlungen nahe Mitternacht begnügen – die Primetime von WDR und NDR war mit standardisiertem Infotainment belegt. Kein Platz also für Berichte mit Irritationspotenzial. Was übrigens selbst dann gilt, wenn Irritation das Grundgefühl einer ganzen Fernsehnation zu sein scheint.

Als Wladimir Putin für die Winterspiele mit tyrannischer Brutalität das subtropische Sotschi skisporttauglich gewalzt hatte, gab es durchaus kritische Abrechnungen mit der Vergewaltigung aller olympischen, demokratischen Werte. Doch während die akribische ARD-Studie „Putins Spiele“ fünf Tage vor der Eröffnungsfeier im Spätprogramm versteckt wurde, lief kurz danach inmitten der einschaltstarken Primetime die süßliche Tierschau „Wilder Kaukasus“. Fernsehen, sagte Volker Herres seinerzeit vorm Beginn der Selbstbeweihräucherung Top of the Docs in Berlin, wo sich die ARD jedes Jahr für monatlich gut 750 Sachfilmstunden aller ARD-Kanäle feiert, Fernsehen bestehe eben „einfach in hohem Maße aus Sehgewohnheiten“. Und der Montag sei halt Naturfilmzeit. Punkt.

Dass ihm die Gäste im prächtigen Meistersaal jeden Applaus verwehrten, während der Regisseur Arne Birkenstock für seine Forderung, „mal 90 Minuten Primetime pro Woche für unformatierte Dokus freizuräumen“, stehende Ovationen bekam, ficht den Hauptverantwortlichen dabei ebenso wenig an wie der gewaltige Bedarf nach seriöser Berichterstattung im Zuge von Covid-19. Über Wochen hinweg perforierten reichenweitenstarke Sondersendungen und Reportagen spielend jedes Programmschema. Dennoch dürfte dieser Bruch aller Sehgewohnheiten folgenlos bleiben. Während der kommerzielle Teil des dualen Systems Wirklichkeit ohnehin nur noch simuliert, sitzen dem bildungsbeauftragten schließlich die Streamingdienste im Nacken, deren Ästhetik global verwertbar sein muss.

Weltmarktführer Netflix zum Beispiel wird aus Sicht des Branchenkritikers Wolf „nur das verwenden, was sich monetarisieren lässt und kommerziell nutzbar ist“. Mit anderen Worten: formatierte Blockbuster-Ästhetik, aufgebaut wie Melodramen, geschnitten wie Thriller, orchestriert wie Musicals, gerne mit Tieren und Mördern oder wie im Fall der sensationell erfolgreichen Netflix-Doku Tiger King mit beiden. Die Fiktionalisierung der Sachlichkeit – wenn Sender wie ARD oder ZDF nicht bald mal gegensteuern, ist sie in Sichtweite der Zuschauer kaum noch aufzuhalten.


TikTok-Wahlkampf & Berben-Sommer

Die Gebrauchtwoche

3. – 9. August

Der Teufel scheißt bekanntlich gerne auf die größten Haufen. Diverse Verschwörungsidiologen in aller Welt mögen Bill Gates gerade als Gottseibeiuns verteufeln, der uns das Blut aussaugen und durch Chips ersetzen will. Nachdem der Microsoft-Gründer die Entwicklung sozialer Medien vollständig verschlafen hatte, greift ihm nun ausgerechnet der wahrhaft Leibhaftige unter die Arme und serviert ihm den Messenger TikTok quasi zum Frühstück.

Dabei hat Donald Trumps Ankündigung, die chinesische Konkurrenz amerikanischer Tech-Konzerne nur noch im heimischen Besitz zu dulden und bei der Gelegenheit nach dem Mobilfunkanbieter Huawai gleich noch Lokalrivalen wie Tencent aus den USA zu verbannen, nichts mit Politik, ja im Grunde nicht mal mit Protektionismus, sondern ausschließlich mit Wahlkampf zu tun. Ein Wahlkampf, in dem er sich nun sogar an Unternehmen liberaler Multimilliardäre ranwanzt – sofern es nicht solche sind, die wie Facebook und Twitter zaghaft ein paar seiner Lügen entlarven.

Dass Donald Gates eine Chance gibt, konterkariert natürlich aufs Absurdeste, mit welcher Innbrunst Trumps 1,3 Millionen deutsche Gesinnungsgenossen vor acht Tagen in Berlin gegen den Computerkönig demonstriert haben. Oder waren es doch fünf Millionen, wie Atilla Hildmann behauptet? Falsch! Der Postillion hat den einzig wahren Wert errechnet: 19 Trilliarden. Doch ob mehr Menschen vor der Siegessäule waren, als dort rechnerisch Platz finden, oder mehr als Moleküle im Universum: die Stars der Talkshowrepublik haben darüber diskutiert – und dürfen das auch weiterhin tun, nachdem die ARD ihre Verträge verlängert hat.

Das mag man beklagen. Angesichts der Macht globaler Medienkonglomerate ist es allerdings ratsam, mit Information zu punkten. Disney zum Beispiel, dessen Aktienkurs vorigen Montag trotz Verkündung katastrophaler Quartalszahlen aufwärts ging. Unter anderem, weil durch die Austragung der NBA-Playoffs im Disneyland weiter Geld in die Kassen fließt. Und weil mit Disney+ ein lukrativer Markenzweig gepflanzt wurde, auf dem die Mutter nun doch den Kino-Ausfall Mulan zeigt. Noch bis Mitte September widmet die ARD dagegen Deutschlands international angesehenstem Regisseur zum 75. Geburtstag eine Werkschau aller Filme von Wim Wenders.

Die Frischwoche

10. – 16. August

Fünf Jahre jünger wird am Mittwoch Iris Berben, wofür ihr das Erste um 20.15 Uhr ein melancholisches Geburtstagsgeschenk macht: Als erfolgsverwöhnte Familienunternehmerin entflieht sie in Mein Altweibersommer dem Alltagstrott und beginnt als verkleideter Zirkusbär zu arbeiten. Zwei Tage zuvor spielt die Jubilarin in Nicht tot zu kriegen eine alternde Filmdiva, die vor einem Stalker beschützt werden muss. Beides ist auf unterschiedliche Art autobiografisch, beides ohne Pathos anrührend, beides allerdings für alle unter 50 womöglich ein bisschen zu bieder.

Aber gut – die gucken ohnehin, wenn überhaupt, dann gestreamtes Fernsehen, dessen Angebot dieser Tage mal wieder recht abwechslungsreich ist. Universal TV etwa zeigt ab Dienstag die Roadtrip-Comedy Upright, Freitag folgt Netflix mit der Scheidungsserie Dirty John und der (realen) kolumbianischen Banküberfallserie Der Jahrhundertraub, während sich (kauft nicht bei) Amazon (Prime) zeitgleich RTL annähert, wenn dort das zehnteilige Abenteuer-Rennen World’s Toughest Race startet.

Der lineare Originalsender beweist auf seinem Ableger RTLzwei tags drauf übrigens Gespür für Suspense und zeigt die atmosphärisch dichte Fantasyserie Taboo aus dem kolonialistischen England vor 200 Jahren. Als Wiederholungen der Woche empfehlen wir bei so viel Geschichte ausnahmsweise zwei Schwarzweißfilme: Montag um 20.15 Uhr reist Arte zurück ins Jahr 1958, als Das Mädchen Rosemarie für Schnappatmung in Wirtschaftswunderland sorgte. Mittwoch (23.30 Uhr) begleitet der BR The Beatles dokumödiantisch durch A Hard Day’s Night von 1964. Und wenn Jack Lemmon am Dienstag um 22.05 Uhr in Ein seltsames Paar (22.05 Uhr, ServusTV) an Walter Matthau gerät, sollten sich das Leute mit akuter Sixties-Nostalgie auch nicht entgehen lassen.


Beyoncé Knowles & Howard Ashman

Die Gebrauchwoche

27. Juli – 2. August

Am Samstag war es mal wieder so weit: Die selbsterklärte Bohème der einzig wahren Durchblicker in Sachen Corona riefen zur großen Aufklärungsdemo nach Berlin und zeigten nicht nur der Wissenschaft, was ‘ne Verschwörungsharke ist, sondern auch der „Lügenpresse“. Etwa dem RBB, dessen Kameramann bespuckt wurde. Und natürlich Dunja Hayali. Wie so oft in Zeiten steiler Debatten, stellte sie sich tapfer all jenen, die sie verachten – bis diese Verachtung so aggressiv wurde, dass sogar der eigene Sicherheitsdienst zum Rückzug riet.

Die zweite Corana-Welle gesellt sich also nahtlos zur ersten des Stumpfsinns und bereitet damit der dritten einer rassistischen, reaktionären, misogynen Infodemie den Weg, gegen die offenbar kein Impfkraut gewachsen ist. Da erhofft man sich von einer meinungsstarken Feministin wie Beyoncé natürlich umso lautere Statements. Statements, die über ihr visuelles Album Black Is King hinausgehen, mit dem sie ihren Soundtrack zu The Lion King in eine Art BiPoC-Manifest verwandelt, dessen Sozialkritik jedoch nur mit Mühe dechiffrierbar ist. Und irgendwie wäre es auch wünschenswert, der Superstar würde sie nicht ausgerechnet bei Disney+ äußern, wo das Stück seit Freitag läuft.

Andererseits erreicht Beyoncé auf der Weißen Entertainmentplattform ein Publikum für Schwarze Selbstermächtigungsmusik, das seine Informationen ansonsten oft eher bei Fox News bezieht. Außerdem hat es dank der gigantischen Werbewirkung bessere Chancen bei den Emmys 2021. Ein Jahr zuvor gibt es dort gleich zwei Rekorde zu vermelden. Ende September geht Netflix mit 160 Nominierungen – und damit gleich 53 mehr als der bisherige Spitzenreiter HBO ins Rennen. Acht davon – auch das beispiellos – für Maria Schraders deutsche Miniserie Unorthodox um eine New Yorker Jüdin auf der Flucht nach Berlin

Die Frischwoche

3. – 9. August

Nachdem mit The Mandalorian erstmals ein Format von Disney+ nominiert ist, muss man auch Produkte wie das Porträt des frühzeitig an Aids verstorbenen Filmkomponisten Howard Ashman auf der Rechnung haben, dem Disney+ am Freitag ein interessantes Porträt widmet. Ungewohnt wortkarg ist heute Nacht um 0.20 Uhr Valeska Grisebachs Western, in dem sie einen deutschen Bautrupp nach Bulgarien schickt. Ungewohnt schlecht ist auch die Sendezeit von Jan Bonnys Psychodrama Wir wären andere Menschen, in dem Matthias Brandt als traumatisierter Fahrlehrer am Donnerstag um 23.15 Uhr (ZDF) Rache an Polizisten nimmt.

Rache ist überdies ein Motor der Reality Show Just Tattoo Of Us. Ab heute dürfen typische RTL-Zuschauer montags beim Online-Ableger TV Now Leute tätowieren, die sie eigentlich mögen, aber vor laufender Kamera verunstalten. Dann doch lieber zeitgleich die Rache der Rechten an allem, was ihnen fremd ist, in der Netflix-Doku Immigration Nation. Oder fiktional gewendet: die Fortsetzung der gefeierten Dramedy Ramy. Während sich der reale Stand-up-Star in der ersten Staffel um sein Liebesleben bemühte, sucht er Donnerstag auf Starzplay sein Heil im Islam – und kollidiert dabei heftig mit seinem Heimatland USA.

Heiterer geht es Dienstag in der Sky-Serie Breeders von und mit Martin Freeman zu, der sein Leben im Griff familiärer Zwänge darin mit zynischem Frohsinn schildert. Und mit einem Arte-Schwerpunkt Japanisches Kino, der heute (22.05 Uhr) mit dem Nachkriegsmelodram Sehnsucht von 1964 beginnt, sind wir bei den Wiederholungen der Woche, die zwei Stunden zuvor an gleicher Stelle mit dem Familiendrama Die Erbin beginnt, für das die jüngst verstorbene Olivia de Havilland 1949 den ersten Oscar erhielt. Farbig geht es dort Sonntag mit David Lynchs SciFi-Horror Dune – Der Wüstenplanet von 1983 mit Kyle MacLachlan weiter. Und der Tatort entführt uns morgen (22 Uhr, NDR) ins Jahr 1979, als MAD-Leutnant Delius (Horst Bollmann) mit dem ostdeutschen Freund Gregor seinen Debütfall hatte.