Lizenzgebühren & Kohlrabenschwärze
Posted: June 5, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen | Leave a commentDie Gebrauchtwoche
29. Mai – 4. Juni
Man stelle sich vor, es ist Fußball-WM und niemand schaut zu. Was bei einer mit Männern nicht nur undenkbar, sondern absurd erscheint, könnte bei jener mit Frauen nun Realität werden. Denn wenige Wochen vorm Start ihrer Weltmeisterschaft ist noch immer kein Fernsehsender in Deutschland bereit, die relativ geringe Lizenzgebühr zu erwerben, seit die FIFA sie von der Herren-WM abgekoppelt hat.
Man stelle sich parallel vor, die Umfragewerte einer rechtsextremistischen Partei klettern auf alphabetisch symbolträchtige 18 Prozent und Friedrich Merz twittert, „mit jeder gegenderten Nachrichtensendung, gehen ein paar Hundert Stimmen mehr zur AfD“, anstatt mal darüber nachzudenken, wie viele Tausend Stimmen seine Partei seit Wochen durchs Wiederholen populistischer Bild-Schlagzeilen von „Habecks Heiz-Hammer“ in rechtsextreme Arme treibt.
Man stelle sich des Weiteren vor, Sat1 könnte durch die Übertragungsrechte der Bundesliga-Relegation für drei Stunden ein klein wenig seiner Bedeutung längst vergangener ran-Jahre zurückerlangen und vermasselt es im Rauschen fehlerhafter Live-Bilder vom Hinspiel Stuttgart gegen den HSV (das dort heute fortgesetzt wird). Zu guter Letzt stelle man sich vor, mit Bravo-Girl ginge ein Stück Printkulturgeschichte verloren, während mit dem kolportierten Ende des Bild-Talks Viertel nach acht ein Stück Onlinekulturgegenwart hinterherspringt.
Was bliebe im Angesicht so verwirrender News aus dem Maschinenraum der Medienlandschaft noch an Halt und Ankern? Gestandene Audiofans schlügen da womöglich die neue Folge vom Fernsehpodcast Och eine noch! vor, um der Woche wieder Struktur zu verleihen. Videofans dagegen könnte eine schriftliche Auswahl empfehlenswerter Serien, Shows und Filme der Woche weiterhelfen.
Die Frischwoche
5. – 11. Juni
Zum Beispiel die oberflächenorientierte Musikindustrie-Milieustudie The Idol mit der Hollywood-Drama-King-Tochter Lily-Rose Depp als strauchelnder Popstar, der es mithilfe des realexistierenden Abel „The Weeknd“ Tesfaye ab heute bei Sky (HBO) zurück an die Spitze der sexiest woman alive schaffen will. Oder die ähnlich kostümselige, dabei aber tiefgründig drollige Serienporträtfiktion Flaming Hot (ab Freitag, Disney+) über den Erfinder der Cheetos genannten Chili-Snacks.
Über die 2. Staffel der Paris Police 1905 (Donnerstag, Sky) oder das achtteilige Frau-klärt-Tod-ihrer-toten-Schwester-und-gerät-dabei-in-Schwierigkeiten-Psychodrama SaintX zuvor bei Disney+ hinaus aber werden dieser Tage eher Menschen porträtiert als getötet. Richard Branson etwa, den Sky ab Freitag viermal 50 Minuten lang durch die letzten zwei Wochen vor seinem Weltraumflug begleitet. Oder Arnold Schwarzenegger, dessen Dasein Netflix ab Mittwoch drei Teile lang Revue passieren lässt.
Und dann wäre da noch eine Fluchthelferin namens Aracy de Carvalho, die das wundersame Kunststück vollbrachte, als brasilianische Konsulatsangehörige im nationalsozialistischen Hamburg so viele Jüdinnen und Juden zu retten, dass Arte ihr am Donnerstag eine Dokumentation widmet. Das ist trotz des irreführenden Titels auch The World’s Most Dangerous Show. Prime Video begibt sich darin Mittwoch sechs Teile lang auf Weltreise zu den Hotspots des Klimawandels.
Host Joko Winterscheidt sorgt allerdings dafür, dass der Fatalismus in heiterer Weise hoffnungsfroh klingt – etwa, wenn er sich über sein eigenes Greenwashing lustig macht oder nach Lösungen zwischen Technik und Natur sucht. Bevor sich Negah Amiri zwei Tage drauf in der ARD-Mediathek als Stand-Upperin von Never Ever fünfmal Gedanken übers Dasein migrationsvordergründiger Frauen macht, aber noch zwei echte Überraschungen.
In der Paramount-Serie Kohlrabenschwarz kämpft ein Quartett um den Polizeipsychologen Schwab (Michael Kessler) oder seine Ex (Bettina Zimmermann) ab Donnerstag gegen materialisierte Märchenmonster – und padautz: die Horrorkomödie von Tommy Krappweis (Regie: Erik Haffner) ist ebenso gut wie die Apple-Serie Crowded Room um den Verdächtigen einer Schießerei in New York, worüber man nicht mehr sagen darf, als dass alles anders ist als vermutet – mehr darf man über den grandiosen Psychothriller nicht verraten.
Spiegels Hähne & Obamas Arbeit
Posted: May 29, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen, Uncategorized | Leave a commentDie Gebrauchtwoche
22. – 28. Mai
Es ist ja im Grunde gut, wenn alte Medien nochmals die neuen erhitzen. Der Spiegel, den es – Ältere erinnern sich – noch immer in nennenswerter Zahl auf Papier gibt, trennt sich vom Chefredakteur, und selbst online wird auch deshalb darüber berichtet, weil Steffen Klusmann das frühere Flaggschiff der Demokratie gewinnbringend durch den populistischen Sturm unserer Tage gesteuert hatte.
Abseits der Ursachen, die viel mit Machtkämpfen und wenig mit Führungsstärke zu tun haben, bleibt also zweierlei vom geplanten Überraschungsflug übrig: In Dirk Kurbjuweit wird das Blatt erstens wieder von einem maximal analogen Print-Fossil geleitet, das zweitens kein weiblich gelesener Journalist ist. Und so bleibt es bei 17 Männern seit 1947 – auch wenn die vierköpfige Chefredaktion des 61-Jährigen mit Melanie Amann eine Frau enthält.
In der ARD hingegen denkt man da ein wenig zeitgemäßer und ersetzt die scheidende Talk-Moderatorin Anne Will durch ihre Kollegin Caren Miosga, was der Fernsehstreitkultur definitiv besser tut als Markus Lanz. Seine Idee, zur Debatte über den Klimaschutz den energiepolitischen AfD-Sprecher Steffen Kotré einzuladen, war ja durchaus mutig, artete aber in einem völlig willkürlichen Redezeitmanagement aus, das der fachlich inkompetente, aber dramaturgisch besonnene Rechtsextremist zu seinem Vorteil nutzen konnte.
Das wäre womöglich auch Ron DeSantis gelungen – hätte er seinen Wahlkampfauftakt nicht ausgerechnet bei Twitter gestartet. Bis zu Elon Musks Übernahme ein funktionsfähiger Mikroblogging-Dienst, hat ihn sein Besitzer in kürzester Zeit so heruntergewirtschaftet, dass der rechtsextreme Präsidentschaftsbewerber kaum zu hören war, sofern die Übertragung denn überhaupt mal funktionierte.
Und so durfte Donald Trump dabei zusehen, wie sich sein Mitbewerber fast 60 Jahre nach dem Mord an John F. Kennedy quasi selbst erledigte. Genau 60 Jahre wird Samstag das aktuelle sportstudio im ZDF. Und es ist zwar nur noch für jene interessant, die schon bei der Erstausgabe schulpflichtig waren, aber immerhin fußballbegeisterter als der Streamingdienst Sky, der Borussia Dortmund ein Public Viewing vorm Stadion untersagte, um mehr Zugriffe beim irrwitzigen Bundesliga-Finale zu erzielen.
Die Frischwoche
22. – 28. Mai
Am Samstag nun wird auf gleichem Kanal das DFB-Pokalfinale übertragen, was allerdings außerhalb Leipzigs und Hessen kaum jemanden interessiert. Und damit zum Rest eines Fernseh- oder Streaming-Angebots, das leicht unterm Radar des Massengeschmacks funkt, weshalb es kaum Fiktionales anzupreisen gibt. Am – buchstäblich – bemerkenswertesten wäre da noch die Netflix-Doku Arbeit: Was wir den ganzen Tag machen.
Als Doku über Werktätige in den USA gedacht, bietet sie vor allem dem Gastgeber ein Podium zur Selbstdarstellung. Offiziell steigt Barack Obama drei Teile in ökonomische Maschinenräume. Am Ende aber geht es nur um den Ex-Präsidenten und seinen Kontostand, den Netflix weiter hebt. Dafür porträtiert die Arte-Mediathek morgen einen Mann, den vermutlich fast niemand kennt: Adolf Kanter.
Was für ein scheußlicher Name, dessen Story (Buch & Regie: Claus Räfle) als Teil einer deutsch-deutschen Spionagestory im Licht der Flick-Affäre aber hochinteressant ist. Zwei Tage später zeigt die ARD-Mediathek den Vierteiler Frontman, der Rockopas wie Ozzy Osbourne oder David Lee Roth je 90 Minuten widmet. Ungleich jünger sind die Protagonist:innen der dreiteiligen Doku Dirty Little Secrets, in denen der BR an gleicher Stelle das turbokapitalistische Ausbeutungssystem Spotify analysiert.
Mittig zwischen Sach- und Spielfilm befinden sich das Arte-Dokudrama Die rote Fini mit Adele Neuhauser als Wiener Polit-Ikone (Donnerstag, Mediathek) und das Browser Ballett (Mittwoch, ZDF-Mediathek) auf längerer Strecke. Am Ende daher drei Fiktionen: Die japanische Endzeitserie The Days (Donnerstag, Netflix), die österreichische Mysterykrimi-Serie Der Schatten (Freitag) und die sechsteilige Dating-Persiflage Einsame Herzen mit dem Youtuber Freshtorge (Sonntag, beides ZDF-Mediathek).
Neumanns Finale & Platonische Liebe
Posted: May 22, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen | Leave a commentDie Gebrauchtwoche
15. – 21. Mai
Manche Gerichtsentscheidungen sind von einer Bedeutung, die weit über den medialen Rummel darum hinausgeht. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs zum Beispiel, das öffentliche Interesse an Tagebucheinträgen des furchtbaren Warburg-Bankers Christian Olearius in der Süddeutschen Zeitung zum Cum-Ex-Skandal sei größer als die Schutzwürdigkeit seiner Privatsphäre, stärkt Pressefreiheit und Pluralismus in einer Weise, die ihr gar nicht so heimlicher Feind Mathias Döpfner stinken dürfte.
Dessen Anwälte versuchen ja weiter, die Publizierung menschen- und demokratieverachtender Chats in der Zeit zu kriminalisieren, während seine Propagandamaschine gegen die Grünen heiß und heißer läuft. Am Sonntag prangerte Bild am Sonntag den zu langsamen Ausbau nachhaltiger Energiegewinnung als Wind-Wahnsinn an, während Springers Kampfblätter ansonsten blöken, er ginge zu schnell. Muss heiter zugehen, am Rudi-Dutschke-Platz.
Besonders, falls die Jagd auf alles links der Rechten funktioniert. Dass Robert Habeck seinen Staatssekretär Patrick Graichen (endlich) entlassen hat, zeigt schließlich, wie erfolgreich der FDP-hörige Kampagnenjournalismus ist. Nächstes Opfer in spe: Claudia Neumann, die das Finale der Champions League im ZDF kommentiert und den Hass der sehr alten, sehr weißen Männer im Bild-Hades so auf sich ziehen wird, dass Döpfners publizistische Pitbulls bereits die Zähne fletschen.
Ungeschoren bleibt dagegen eine Cashcow wie Heidi Klum, deren geplanter Auftritt beim Bergdoktor schon deshalb wohlwollende Aufmerksamkeit bei Bild/BamS/Glotze erlangen wird, weil sie das traditionelle Geschlechterbild männlicher Ausbeutung des weiblichen Körpers zu sehr viel Geld (und tollen Halbnacktbildern hypersexualisierter Teenies) machen kann.
Die Frischwoche
22. – 28. Mai
Was Medien dieser Stoßrichtung hingegen gar nicht verstehen: dass Mann und Frau auch einfach nur gute Kumpels auf Augenhöhe sein könnten. Ein Zustand, den die Apple-Serie Platonic mit Rose Byron und Seth Rogan am Schauplatz L.A. durchspielt. Zehn Teile lang versuchen ihre Großstadtcharaktere ab Mittwoch eine Freundschaft ohne Sex oder Liebe zu pflegen, was dank der beiden Hauptdarsteller:innen auf organische Art komisch ist und nebenbei die Prüderie der amerikanischen Mehrheitsgesellschaft entlarvt.
Womit schlichte Gemüter eher was anfangen können, ist die Fantasy-Serie Der Greif. Das eingespielte Tatort-Duo Erol Yesilkaya (Buch) und Sebastian Marka (Regie) will seinem Kindheitsidol Wolfgang Hohlbein damit Freitag bei Prime Video ein Denkmal setzen. Dummerweise verliert es sich bei aller Bildgewalt und eigensinniger Schauspielriege allzu oft in einer Form nachlässiger Effekthascherei – die Genrefans allerdings herzlich egal sein dürfte.
Dass seine Protagonisten in ein Gewitter ohne Regen geraten oder Kostüme wichtiger werden als ihre Umgebung, passiert einem der ganz Großen des deutschen Film- und Fernsehens eher selten. Auch deshalb widmet Warner dem German Genius ab morgen eine Art dadaistischer Mockumentary, in der die sich Kida Ramadan als Kida Ramadan spielt, der über Toni Hamadis Schatten weg Produzent werden will und dabei das System dahinter entlarvt, dessen Stars von Volker Schlöndorff bis hin zu Ricky Gervais Cameos haben. Selten ist mittlerweile auch Arnold Schwarzenegger sehen, weshalb es durchaus erwähnenswert wirkt, wenn ihn die Netflix-Serie Fubar am Donnerstag als CIA-Agent aus der Rente holt.
Ob ein NS-Erbe-Splatter-Film an gleicher Stelle tags drauf sehenswert ist, muss sich noch zeigen. Dass Nazis bei der wilden Jagd nach Blood & Gold endlich mal nicht nur Ausnahmen im unschuldigen Tätervolk sind, darf man Autor Stefan Barth und Regisseur Peter Thorwart schon mal zugutehalten. Samstag folgt ein weiteres Prequel der voluminösen Paramount-Serie Yellowstone Kevin Costners Rancher-Dynastie Dutton achtmal ins Jahr 1923. Und RTL+ reist ein paar Jahre weniger zurück, um ab Mittwoch den Fall Uwe Barschel(s) – Untertitel: Der rätselhafte Tod eines Spitzenpolitikers – zu erkunden.
Musks Yaccarino & Mauffs Mapa
Posted: May 15, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen | Leave a commentDie Gebrauchtwoche
8. – 14. Mai
Okay, wir haben es verstanden: Im Westen nichts Neues von Edward Berger ist ein echt guter Fernsehfilm mit Kino-Intermezzo und damit durchaus vieler Preise wert. Aber ihm gleich neun Lolas ins deutsche Eichenregal zu stellen – nur in der Königskategorie von Das Lehrerzimmer geschlagen – ist dann vielleicht doch ein bisschen viel fürs Remake eines Remakes mit belangloser Politikflankierung, lückenhafter Dramaturgie und bisweilen leicht selbstreferenziellem Splatter.
Alles Themenaspekte übrigens, die auch im medialen Aufreger der Vorwoche stattfanden: Patrick Graichen, Staatssekretär in Habecks Wirtschaftsministerium, hat die Mammutaufgabe Energiewende mit Verwandten besetzt und damit Oppositionszorn erzeugt – namentlich der CSU, die auf Vetternwirtschaft ein Copyright hält, was die Enkel des korrupten Diktatorenkuschlers Franz-Josef Strauß freilich nicht daran hindert, auf jeder sozialen Plattform gegen Grüne zu schießen.
Auch auf Twitter, versteht sich, dem Elon Musk mit der Werbestrategin von NBC Universal ein echtes Verkaufstalent an die Spitze setzt. Der Trump-Fan Linda Yaccarino dürfte schließlich vor allem Wachstum im Kopf haben, um Musks Propagandadienst in die Gewinnzone zu bringen. Lappalien von Demokratie über Debattenkultur bis Pressefreiheit dürften da bestenfalls vierte Geigen spielen.
Letztere ist übrigens hierzulande weiter schwer unter Beschuss, weshalb Deutschland im Pressefreiheitsranking um drei Plätze auf Rang 16 abgerutscht ist – was allerdings weniger an staatlicher Repression als privatem Hass von rechts zu verdanken ist. Dass der MDR in dieser Atmosphäre sein Boulevardmagazin Live nach Neun streicht, dürfte darauf nur bedingt Einfluss haben, zeigt allerdings, dass der demokratierelevante öffentlich-rechtliche Rundfunk auf die RBB-Katastrophe weiterhin mit Sparen am Programm reagiert.
Die Frischwoche
15. – 21. Mai
Dass es dort wie anderswo wenig erbauliche Neuveröffentlichungen zu vermelden gibt, hat damit aber wohl nichts zu tun. Bemerkenswert immerhin: die zweite Staffel von Mapa, der abermals wunderbaren Erzählung vom viel zu jungen Witwer Metin (Max Mauff), der sein kleines Kind auch weiterhin ohne Mutter großkriegen muss, aber ab Donnerstag in der ARD-Mediathek wenigstens ein eigenes Liebesleben entwickeln darf.
Das sechsteilige Erbschaftsfolgendrama Am Ende von Andreas Prochaskas Sohn Daniel, ab Mittwoch im ZDF, ist hingegen kaum der Rede wert, weshalb die Tipps der nächsten sieben Tage vor allem dokumentarischer Art sind. Bereits abrufbar: Still, das großartige Netflix-Porträt von Michael J. Fox, der wenige Jahre nach seinem Durchbruch mit Zurück in die Zukunft an Parkinson erkrankte und seither zeigt, wie Beharrungsvermögen und Humor der Hoffnungslosigkeit trotzen.
An gleicher Stelle nicht unbedingt anspruchsvoll, aber kontrovers: Queen Cleopatra, Gina Gharavis Serienporträt der ägyptischen Königin mit, Achtung: der Schwarzen Adele James als Titelheldin der Reenactment-Elemente eines überaus feministischen Blickwinkels auf die Antike. Das bringt Rassisten aller Herren Länder verlässlich auf die Palme jahrtausendealter Privilegien. Und Netflix PR, die sich der Streamingdienst kaum erkaufen könnte.
Am Donnerstag geht der weiße männliche Talkshow-Host Markus Lanz erstmals seit seiner Südpol-Reportagen vor 13 Jahren wieder fürs ZDF auf Reisen – zunächst nach Moldawien ungeschminkt. Der oberste Artenschützer des Zweiten dagegen lässt andere reisen. Bei seinem RTL-Abstecher schickt Dirk Steffens (mit Sonja Zietlow) ab Samstag Menschen verschieden niedriger Prominenzgrade um die Welt, um im Auftrag der Umwelt ein Quiz im Stil von Joko & Klaas zu improvisieren.
Das ist zwar nur bedingt unterhaltsam, dient dem F1-Sender RTL aber gehörig beim Greenwashing – und dank der Kanäle des feindlich übernommenen Zeitungsverlags Gruner + Jahr auch beim Quotensammeln. Empfehlenswerter: die vierteilige Sky-Doku Juan Carlos – Liebe, Geld, Verrat von Christian Beetz, der den spanischen Ex-König tags drauf als gewissenloses Schwein im Diktatorendienst entlarvt. War noch was? Ach ja: der ESC. 18 Millionen LED-Lampen, 18 Punkte Deutschland, letzter. Wie immer.
Charles’ Blase & Apples Fire
Posted: May 8, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen | Leave a commentDie Gebrauchtwoche
1. – 7. Mai
Die Krönung von Queen Elisabeth II., selbst Ältere erinnern sich vermutlich nur noch dunkel, war schon deshalb ein Live-Ereignis mit hundertprozentiger Einschaltquote, weil es seinerzeit exakt einen Fernsehsender für vielleicht 5000 Apparate gab und auch darüber hinaus viel weniger Freizeitbeschäftigungen als heute. Juni 1953 halt. Genau 70 Jahre später jedoch ist die Welt derart voll von Entertainment, dass sogar epochales hart um Aufmerksamkeit kämpfen muss.
Schwer zu sagen, wie epochal die Krönung von King Charles am Samstag wirklich war. Aber die bis zu 250 Millionen Pfund teure Selbstinszenierung einer erzreaktionären Eliteninzestblase stundenlang auf vier (vier!) Sendern zu übertragen, ist eine zutiefst dubiose Monarchiehudelei und erinnert daran, was Constantin Film mit ihrem selbst- und schnapsbesoffenen Goldesel Til Schweiger macht. Oder Österreich mit dem rechtspopulistischen Getränkedosenmilliardär Dietrich Mateschitz, dessen Propagandakanal Servus TV vorm Aus steht.
Antwort: Stiefellecken, bis die Spucke versiegt. Also ein ähnlicher devotes Verhalten, das Patricia Schlesinger jahrelang beim RBB zuteilwurde und nun dazu führt, am Programm zu sparen, aber nicht am Personal. Deshalb gibt der RBB die Schirmherrschaft des MiMa an den MDR weiter, der vorige Woche maßgeblich an den 23. Medientagen Mitteldeutschland beteiligt war, bei denen es vordringlich ein Thema gab: Den Rundfunkbeitrag.
Dessen erhoffte Höhe hatten ARD, ZDF, Deutschlandradio fünf Tage zuvor offiziell bei der KEF eingereicht und hoffen nun auf angemessene Steigerung. Dann könnten sie vielleicht auch endlich mal ihre Kreativen abseits der Rampenlichter anständig bezahlen. Nur so bliebe Deutschland womöglich ein Autoren-Streik erspart, der das US-Fernsehen über Monate hinweg Content kosten dürfte. Und damit auch gelungene Serien, über die seit Freitag die neue Folge Och eine noch! Der Fernseh-Podcast diskutiert.
Die Frischwoche
8. – 14. Mai
Ein vorgestelltes Format darin, wenngleich kein gutes: Der Sechsteiler Zwei Seiten des Abgrunds, ab heute bei RTL+ abrufbar – sofern man aber auch echt nichts Besseres zu tun hat. Seine Füße anschauen zum Beispiel oder ein Schlammloch beim Vertrocknen… Anno Sauls „Thriller“ genanntes Machwerk über den Rachefeldzug eines haftentlassenen Ex-Mörders ist von so klischeegesättigtem Pathos, dass die großartige Anne Ratte-Polle viereinhalb Stunden spürbar rätselt, ob sie davon nun unter- oder überfordert wurde.
Keines von beidem trifft auf die wirklich wunderbare, weil unverkrampft lustige Bundesbiedermeier-Milieustudie Doppelhaushälfte zu, deren zweite Staffel Dienstag nach dem Mediatheken-Start im ZDF nun auch bei Neo läuft. Ihr größtes Pfund: heiterer Realismus auf Messers Schneide der Groteske, aber nie ganz darüber hinaus. Abzüglich der Heiterkeit gilt das auch für den bedingungslos authentischen Grenzgänger Kida Khodr Ramadan, dem die ARD-Mediathek ab Mittwoch ein dreiteiliges Porträt widmet.
Auch ein Porträt, wenngleich kein echtes, ist das Musical Muppets Mayhem. Im Stil baugleicher Fake-Reportagen der Leningrad Cowboys oder Spinal Tap bis hin zur deutschen Fantasieband Fraktus, begleitet ein Stab echter Rock’n’Roll-Legenden ab Mittwoch bei Disney+ die Wiedervereinigung der Muppet-Show-Kapelle um Drummer „Das Tier“, als wäre Jim Henson Biologe, nicht Puppenspieler. Großartig!
Ungefähr so wie die zehnteilige Literaturverfilmung Fire in the Sky aka City on Fire – da ist sich Apple TV+ ab Freitag im eigenen Titel nicht so ganz einig. Tatsache bleibt: das Drama um einen Mord im Central-Park kurz nach 9/11, dessen Täter(innen)suche in anarchistische, kapitalistische oder ideologiefreie Gewalt ausfranst, ist allein schon durch den grandiosen Soundtrack aus dem New York der Strokes-Periode fantastisch anzusehen und anzuhören, ohne je in Überwältigungston- oder -optik abzugleiten. Ob das auch für den Netflix-Film The Mother mit Jennifer Lopez als ebendie gilt – schaut es selbst…
Friedrichs Informant & White House Plumbers
Posted: May 1, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen | Leave a commentDie Gebrauchtwoche
24. – 30. April
Am Freitag war es wieder so weit. Da haben ARD und ZDF ihren Finanzbedarf bei der KEF angemeldet, der vermutlich ein paar Cent über den aktuellen 18,37 Euro liegt, von denen die 16 Mitglieder ein paar weniger bewilligen, worauf Volkszornseismographen wie Markus Söder und Rainer Haseloff abermals zur Endschlacht um AfD-Fans blasen, was das Bundesverfassungsgericht nach etwas Aufruhr Boulevardblätterwald kassieren wird, und in zwei Jahren wiederholt sich das unwürdige Schauspiel aufs Neue.
Und Neue… Und Neue… Und Neue…
Wäre das nicht die Realität, würde Sat1 darüber womöglich eine Daily-Soap machen und vor oder nach der frisch verkündeten namens Die Landärztin senden, was definitiv einer Revolution des Fernsehvorabends gleicht. Zur Konterrevolution hat unterdessen Jan Fleischhauer im FDP-Fanzine Focus geblasen, wo der rechtsgedrehte Ex-Journalist seinen geistig-ideologischen Bewegungsbuddy Mathias Döpfner als Gesocks- und Demokratie-Verächter in Schutz nimmt und damit voll auf Linie von dessen Verlegerkollegen Holger Friedrich ist.
Der wiederum hat nämlich Julian Reichelt beim Springer-Chef dafür verpfiffen, dass dessen früherer Bild-Chef vertrauliche Informationen über Döpfners Gebaren an Friedrichs Sextoy Berliner Zeitung durchgestochen hatte, und zeigt mit diesem Bruch des Informanten-Schutzes eindrücklich, was ein IM wie er einst bei der Stasi über Pluralismus und Pressefreiheit lernen konnte. Dass Springer gegen Reichelt Strafanzeige erstattet hat, dürfte da nur die Nebenrolle spielen.
Es sagt aber viel aus über einen Sumpf, in dem auch Horrorfrösche wie Tucker Carlson quaken. Der – nicht mehr nur rechtsradikale, sondern amtlich faschistoide – Dampfplauderer ist ohne Angabe von Gründen bei Rupert Murdochs Sturmgeschütz Fox News rausgeflogen und könnte aus Rache womöglich gegen Donald Trump antreten. Ob dessen heimlicher Fan Til Schweiger hierzulande gegen Robert Habeck antritt, bleibt vorerst offen, aber falls der durchschlagskräftige Produzent eine Partei gründet, könnte sie AdF heißen: Auf die Fresse.
Die Frischwoche
1. – 7. Mai
Wie man jenseits von Politik Politik betreibt, könnte der alkoholaffine Set-Berserker dann ja ab Dienstag in der famosen Realsatire The White House Plumbers lernen. Leider nur fünfmal 50 Minuten erzählt uns Sky im Stile technicolorbunter Heist-Movies, wie Richard Nixons CIA-Truppe um G. Gordon Liddy (Justin Theroux) und E. Howard Hunt (Woody Harrelson) in der Watergate-Affäre versagt haben. Ein brüllend komisches Manifest des staatstragenden Dilettantismus.
Lustig soll auch Queen Charlotte sein, wenn das kombinierte Pre- und Sequel der Netflix-Serie Bridgerton ab Freitag eine Randfigur der spätbarocken Kostüm-Party ins Zentrum stellt. Für Fans von seriösem Kitsch ein absolutes Muss, für solche origineller Emanzipationsfiktionen irgendwie auch, aber wer es noch immer eher bescheuert als woke findet, dass der britische Hochadel vor 200 Jahren voller PoC ist, sollte abermals das Weite suchen.
Gleiches gilt für jene, denen Der Pass schon in den ersten zwei Staffeln zu dark, pathetisch, selbstreferenziell war. Andere aber dürften die neuerliche Grenzerfahrung von Julia Jentsch und Nikolas Ofczarek tags zuvor bei Sky gewohnt virtuos und fesselnd finden – auch und gerade, weil die Ritualkillerthematik mal wieder unerträglich schön ausformuliert wurde. Ähnlich bedrückend, ähnlich berückend ist die nächste Postapokalypse bei Apple TV+.
Freitag finden sich darin 10.000 Endzeit-Überlebende in einem Silo genannten Bunker mit rigider Geburten- und überhaupt totaler Kontrolle, die sich allerdings gar nicht so totalitär anfühlt, weil alle hier Schicksalsbegünstigte zu sein scheinen – bis die kernige Mechanikerin Juliette (Rebecca Ferguson) hinters Geheimnis der unterirdischen Insel kommt und dagegen rebelliert. Zehn Teile hat Showrunner Graham Yost Hugh Howies Roman-Trilogie ein opulentes SciFi-Märchen gemacht, das optisch überwältigt und inhaltlich unterwandert.
Der Wochenrest in Stichworten: Paramount+ macht den gleichnamigen Eighties-Thriller Fatal Attraction ab heute zur Serie. Parallel startet im ZDF die Dokureihe Am Puls mit Presenter:innen wie Jana Pareigis. Morgen wird Anne Franks Helferin bei Disney+ (Ein Funken Hoffnung) zur Serienheldin, während die ARD-Mediathek in Skate-Evolution drei Teile lang Deutschlands Rollbrettkultur Revue passieren lässt und die Arte-Doku Wanted einen Waffenhändler porträtiert.
Funkes Schumi & Krens Kobold
Posted: April 24, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen, Uncategorized | Leave a commentDie Gebrauchtwoche
17. – 23. April
Was am Boulevard so absolut irre ist, sind gar nicht so sehr die Lügen, Rufmorde oder Kampagnen. Wirklich verrückt, also im Sinne von wahnsinnig, ist ihr Versuch, all dies sporadisch mit Seriosität zu verkleistern. Das absurdeste Manöver vollzog nur Tage nach Mathias Döpfners öliger Schubumkehr in Sachen Ossi-Hass und FDP-Liebe die Funke Mediengruppe. Am Samstag feuerte der Essener Konzern Anne Hoffmann, weil sie als Chefredakteurin der aktuelle ein KI-Interview mit Michael Schumacher aufs Titelblatt gehoben hatte.
Schon drollig: da verkaufen die Lügenbarone von Bauer– bis Jahreszeiten-Verlag ihrer leichtgläubigen Kundschaft wochein, wochaus ausnahmslos lieblos halluzinierten Unfug über Promis wie den verunglückten Rennfahrer. Und wenn sie den Betrug endlich mal kenntlich machen, fliegt die Verantwortliche raus? Das wäre fast, als hätte die Bild ihr neues Führungsduo Robert Schneider und Marion Horn für erste Schlagzeilen wie diese entlassen:
„Bundesgartenschau: Auftrittsverbot für Rentner mit Mexikaner-Hut“
„Naddel: Wieder Sozialhilfe“
Wie immer ist an keiner davon auch nur das geringste Fünkchen Wahrheit, aber es knallt halt, wie es bei der Bild zu knallen hat. Dass Mathias Döpfners geistig-ideologischer Zwilling Rupert Murdoch für Fake-News über den Wahlmaschinen-Hersteller Dominion 779 Millionen Dollar Schadenersatz zahlen muss, fand hingegen – so unter Krähen – leider keinem Platz im Blatt. Auch das Desaster um kostenpflichtige Twitter-Haken von Döpfners Guru Elon Musk blieb offenbar unerwähnt.
Dafür gab es das übliche Bashing öffentlich-rechtlicher Medien auf der Titelseite, die ARD wolle „328 Millionen mehr Zwangsgebühr für Digital-Projekte“, womit die Redaktion aber mal alles durcheinanderbringt, was daran richtig sein könnte, aber egal: Boulevardjournalismus ist kein Bällebad, weshalb wir auf der Suche nach dem bildaffinsten Fernsehformat dieser Woche unwillkürlich bei Amazon Prime landen.
Die Frischwoche
24. – 30. April
Dort startet am Freitag eine Actionserie namens Citadel. Und an der ist wirklich alles testosterongesteuerter Bullshit, also passgenau für Döpfners springerhochhausgroße Prostata. Im sechsteiligen Spionage-Thriller erwachen zwei Unterwäschemodels nach acht Jahren aus einer Amnesie, retten gemeinsam die Welt, werden dutzendfach rückstandslos vermöbelt, sehen aber stets spitze aus und erreichen fiktional somit das intellektuelle Niveau Oliver Pochers, also immer noch doppelte Höhe vom Boulevard-Publikum.
Citadel ist also ungefähr so realistisch wie die Fantasy-Serie Sweet Tooth um fabelhafte Mischwesen einer postapokalyptischen Zukunft, bekennt sich anders als in der zweiten Staffel bei Netflix allerdings nicht dazu, surreal zu sein. Hyperreal ist hingegen die Miniserie Sam – Ein Sachse. In der deutsch-deutschen Mini-Serie erzählt Disney+ ab Mittwoch die spektakuläre Story von Samuel Njankouo Meffire nach, einst der erster Polizist dunkler Hautfarbe in Ostdeutschland und damit eine Art Kronzeuge von Döpfners wilder Rassisten- oder Kommunisten-These.
Parallel dazu startet die ARD-Mediathek das nächste kleine Meisterwerk von Marvin Kren, der anders als in 4 Blocks oder Freud auch mal humoristisch auf die Kacke hauen darf. Handlung? Ebenso schwer zu erklären wie ihr Titel Der weiße Kobold, aber irgendwas mit Drogen, Österreich, Ganoven und einem Frederick Lau in Bestform, also ähnlich sehenswert wie Poker Face, wenngleich auf ganz andere Art.
In der mystischen Sky-Serie kann die hinreißende Natasha Lyonne – Fans von Orange is the New Black als drogensüchtige Nicky Nichols bestens bekannt – unterbewusst Lügen erspüren, was sie einerseits fünf Folgen lang zur Hobbydetektivin eines ziemlich liebenswerten Crime-Formats macht. Anderseits wären derart telepathische Fähigkeiten ja vielleicht auch für den Springer-Konzern verwertbar, just so…
Döpfners Ossis & Laudes Deutsche
Posted: April 17, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen | Leave a commentDie Gebrauchtwoche
10. – 16. April
Eine Überraschung kennzeichnet gemeinhin das Unerwartete, weshalb der New Scientist sie als „Wechsel der Erwartung aufgrund des Eintreffens neuer Daten“ definiert. Wen es da überrascht, dass sich der milliardenschwere Springer-Chef Mathias Döpfner, dessen Verlag kontinuierlich die Zersetzung demokratischer, humanistischer, rechtstaatlich-pluralistischer Prinzipien in Richtung einer rechtslibertären Oligarchie mächtiger Männer betreibt, dürfte Wladimir Putin für einen lupenreinen Demokraten halten.
Döpfner, so zeigen geleakte Chats in der aktuellen Zeit, findet Ostdeutsche nicht nur dann „eklig“, sofern sie Merkel heißen, er verachtet auch alle Westdeutschen, falls ihnen das Klima, die Wissenschaft, der linksgrünversiffte Unfug menschlicher Werte wichtiger ist als ein Wirtschaftssystem zum Wohle Superreiche wie ihn. Kein Wunder, dass Döpfner den sexuell gewalttätigen Bild-Boss Julian Reichelt dazu aufforderte, die FDP zu fördern.
Alles Propaganda, pöbelte der Beschuldigte zurück, geriert sich wie unter Rechtspopulisten üblich als Opfer der eigenen Elite, entschuldigt sich dennoch, ohne um Verzeihung zu bitten, und belegt damit, der angeblich so verhassten AfD näher zu sein als Grundgesetz und Ethik. Damit ist Döpfner Gauland minus Judenhass und auf ideologisch auf Linie von Elon Musk, der Twitter in X umbenannt hat, damit er die BBC dort frei vom Ballast früherer Liberalität als staatlich finanziert verunglimpfen kann, und ein Moratorium der KI-Forschung unterstützt, um alle GPU-Prozessoren aufzukaufen.
Vielleicht ist es da gar ein gutes Zeichen, dass das größte US-Datenleck seit Edward Snowden zunächst mal nicht in die Öffentlichkeit gezwitschert wurde, sondern über Gaming-Chats wie Discord Verbreitung fand. Ein schlechtes Zeichen: der mutmaßliche Täter war kein Whistleblower, sondern offenbar ein rechtsnationaler Rassist und damit ideologisch ganz auf Linie Mathias Döpfners, dem – Obacht Ironie – Alfred Hugenberg der neurechten Bohème.
Die Frischwoche
10. – 16. April
Zugeben – nicht ganz leicht, den Bogen ins aktuelle Fernseh- und Stremingangebot zu spannen, aber vielleicht bietet es ja Ablenkung von der geplanten Machtübernahme moralisch verkommener Oligarchen wie diesen. Para zum Beispiel, Fortsetzung der hinreißenden Erzählung von vier Berlinerinnen beim Versuch, die kriminelle Energie hypermaskuliner Nachbarn aus 4 Blocks ab heute bei Warner TV zu kopieren, ohne dabei ständig Leute plattzumachen.
Eine Kopie ist auch die Web-Serie Almania, in der Phil Laude – einst ein Drittel der Pimmelwitzbrigade Y-Titty – Bernd Stromberg quasi zum Lehrer einer Problemschule macht. Nach zwei Pilotfolgen vor zwei Jahren geht die Mockumentary Freitag als Achtteiler auf die ARD-Mediathek und trotz aller Abklatschansätze: das ist manchmal schon auch lustig, ohne platt zu sein. Ohne jeden Humor tiefgründig ist dagegen die Überraschung der Woche: Drops of God.
Auf Basis japanischer Mangas verfilmt Apple darin das Duell einer Französin, die mit dem Ziehsohn ihres verhassten Vaters um dessen Erbe kämpft: Wein im Wert von 148 Millionen Euro. Die Serie zeigt aber nicht nur einen Wettstreit aus dem bizarr bildgewaltigen Milieu der Önologie. Achtmal 55 faszinierende Minuten lang handelt die doppelte Familiensaga ab Freitag auch vom Kulturclash der sinnlichen Provence im aseptischen Tokio. Während die französisch-japanische Serie ihr eigenes Thema ständig mit Wendungen überrumpelt, setzt das deutsche Fernsehen auf Altbewährtes.
In der ARD-Krimireihe Mordack etwa spielt Mehmet Kurtulus Donnerstag nicht wie einst beim Tatort einen verdeckten Ermittler, sondern – nee: doch einen verdeckten Ermittler. Auch das ZDF betritt mit Die Spur ausgetretenes Terrain, obwohl es das Format Mittwoch als erste deutsche forensische Real Crime Serie bezeichnet. An gleicher Stelle geht zwei Tage zuvor die forensische Fiktion Im Schatten der Angst mit der famosen Mercedes Müller weiter. Aber wenn Netflix mit Diplomatische Beziehungen ab Donnerstag ebenso wie Apple tags drauf (Ghosted) RomComs absondert, ist lineare Hausmannskost allemal statthaft.
Janolis ESC & Beckers Boom
Posted: April 10, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen | Leave a commentDie Gebrauchtwoche
3. – 9. April
Da wachse also zusammen, was zusammengehört? Jahrelang haben Jan Böhmermann & Oli Schulz in ihrem Podcast Fest & Flauschig förmlich darum gebettelt, Moderatoren anstelle des Moderators zu werden, also Peter Urban beim ESC abzulösen. Da weder der berufsfröhliche LiLaLaune-Bär Frank Beckmann noch sein stocksteifgeschlagener NDR-Vorfahre Thomas Schreiber als Unterhaltungsverantwortliche für so viel Anarchie empfänglich waren, gehen Janoli allerdings ins Exil und moderieren beim ORF.
Zumindest in dessen Mediathek und beim österreichischen Jugendradio wird der, nun ja, „Gesangswettbewerb“ folglich modernisiert, während der NDR vermutlich darüber nachdenkt, Peter Illmann dafür aus der Rente zu holen. Von dort also, wo die Führungskräfte öffentlich-rechtlicher Sendeanstalten finanziell so gut ausgestattet werden, dass sie fast schon an privatwirtschaftliche Privilegien-Träger (seltener: Trägerinnen) heranreichen, die aber schon zu Arbeitszeiten fürstlich entlohnt werden.
Das zeigte zuletzt ein Bericht des Bundesanzeigers über Boni-Zahlungen bei der Axel Springer SE. Jenem Konzern, dessen niederträchtige Belegschaft am Niedergang von Demokratie und Rechtsstaat herumschlagzeilt, dafür aber eher Kündigungen als Anerkennung erntet. Doch während Mathias Döpfner auf dem Rücken seiner Leute spart, gönnt er sich und seinesgleichen Sonderzahlungen in dreistelliger Millionenhöhe. Na ja, so funktioniert halt der Turbokapitalismus, dem Bild und Welt das Wort schreiben.
Dass die Regenbogenkonkurrenz von Burda dem RTL-Spielzeug G+J nacheifert, sieben Magazine streicht und gelegentlich gar schwangere Redakteurinnen feuert, ist da schon kaum noch der Rede wert in einer Branche von vollumfänglich verlotterter Moral und Ethik. Deshalb kurz zu jemandem, der verglichen mit Shareholder-Verlegern von – man beachte die Diversität ihrer Vornamen: Martin Weiss bis Thomas Rabe geradezu heilig ist.
Die Frischwoche
10. – 16. April
Seit Freitag läuft bei Apple TV+ die dreistündige Doku Boom Boom! The World vs. Boris Becker, und obwohl das Porträt des hochgestiegenen, tiefgefallenen Tennisspielers filmästhetisch eher konventionell geraten ist, erschafft Oscar-Preisträger Alex Gibney (Taxi zur Hölle) damit ein Meisterwerk personalisierter Beobachtung – und gewährt nebenbei Einblicke in die Abgründe des profitorientierten Spitzensports, die auch eine Sky-Doku kennzeichnen.
Sechs Jahre, nachdem ein irrer Spekulant den Dortmunder Teambus mit Nagelbomben angriff, um Kursverluste der BVB-Aktie zu provozieren, erzählt Der Anschlag mit einer erlesenen Auswahl Beteiligter, was er mit Mensch, Maschine, Fußball angestellt hat. Dazu passt abzüglich der Detonation die vierteilige ARD-Doku Tech-Titanen, worinndas Erste ab morgen in seiner Mediathek alles umwälzende Alpharüden der Marke Elon Musk porträtiert.
In deren Galerie wiederum hängt ab morgen auch die 4. Staffel der tollen Netflix-Serie Succession um eine ebenso rücksichtslose wie zerstrittene Mediendynastie, die nicht zufällig an Rupert Murdochs erinnert. Irgendwie mit Medien hat auch Irgendwas mit Medien zu tun, einer achtteiligen MDR-Mockumentary, die ab Freitag in der ARD-Mediathek der GenZ dabei zusieht, im Stromberg-Stil am Leistungsdruck der Multioptionsgesellschaft zu scheitern.
Und während sich die Sky-Serie A Town Called Malice Mittwoch mit surrealer Innbrunst aus der legalen in die illegale Wirtschaftskriminalität einer britischen Gang wechselt, die Mitte der Achtziger mit viel Musik versucht, an der Costa del Sol Fuß zu fassen, kopiert sich RTL tags zuvor selber und lässt statt (Christian) Rach als Restauranttester (Tim) Raue als Restaurantretter auf marode Küchen los. Kreativer zeigt sich daher mal wieder Apple.
Dort lugt Jennifer Garner als Star des Familienthrillers The Last Thing He Told Me ab Freitaag aus der Versenkung. Sieben Teile gibt es zwar keine Leichen, aber eine Zweitfamilie ihres verschollenen Mannes, den sie mithilfe seiner Tochter sucht. Zeitgleich eifert die neunjährige Jane dem gleichnamigen Vorbild Goodall nach, rettet gefährdete Tierarten und schwimmt damit ebenso am Rande des Mainstreams wie die deutsch-italienische ZDF-Serie The Gymnasts (Samstag, Mediathek) um junge Turnerinnen auf der Suche nach sich selbst.
Schweigers Kleber & Kempters Android
Posted: April 3, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen | Leave a commentDie Gebrauchtwoche
27. März – 2. April
Man muss die Jubiläumsfeste feiern, wie sie fallen, und heute fällt eines aus dem Hintergrund der Erinnerungskultur, das den Vordergrund geprägt hat wie kaum ein anderes der vergangenen 50 Jahre: am 3. April 1973 telefonierte der Motorola-Ingenieur Martin Cooper als erster Mensch mobil. Das New Yorker Ortsgespräch mit Riesen-Handy war inhaltlich zwar trivial, hinsichtlich der globalen Kommunikation allerdings weltbewegender als Mondlandung und Mauerfall zusammen.
Oder im Bedeutungsranking von Til Schweiger: fast so wichtig wie die Geburt dieses querdenkenden Manta-Manta-Mannomannes, dessen Ego gerade mal wieder auf Stierhodengröße angeschwollen ist. Er würde Klimakleber von der Straße reißen, pöbelte er in der Bild. Gut, vermutlich nicht seine eigenen, die er trotz weitestgehender Talentlosigkeit schauspielerisch fördert wie Adolf Hitler einst den Bau von Schweigers heißgeliebter Autobahn.
Einen Sascha Lobo würden beide nach seiner jeder Art von Machtergreifung für dessen Kritik an der Defensive deutscher Impf-Befürworter vermutlich ins Arbeitslager schicken. Und eine Laura Wontorra, die statt wie für deutsche Mädels schicklich Kind und Kegel zu hüten, auch noch als DSDL-Moderatorin arbeitet, gleich mit. In Schweigers schöner alter Film- und Fernsehwelt sollten Frauen, die nicht Schweiger heißen, aber ohnehin nur Posten als Bond-Girl oder Ansagerin kriegen.
Schon damit letzteres kein undeutsch entmannter Riccardo Simonetti machen muss – wie zum 60. Geburtstag des ZDF. Jenem Sender also, dem der RBB parallel das Studio fürs gemeinsame MittagsMagazin gekündigt hat, weil – tja… Til Schweiger würde, falls ihn AfD oder Bild fragen, sagen: solche kostenlosen Synergie-Effekte für den zwangsgebührfinanzierten Staatsfunk ebenso wenig Geld sparen wie ein Tempolimit Emissionen. Was also würde der schauspielerisch erfolgreichste Querdenker im Land von heute an sehenswert finden?
Die Frischwoche
3. – 9. April
Die Erstausstrahlung von Dominik Grafs Kästner-Adaption Fabian ab sofort in der ZDF-Mediathek wohl schon deshalb nicht, weil ihm der Schriftsteller zu linksgrünversifft ist und der Regisseur zu ignorant – bucht der ihn doch in totaler Missachtung seiner Brillanz nie für seine Dramen. Auch die Krimi-Reihe mit Franziska Hartmann als psychisch labile Kripo-Beamtin Katharina Tempel im Zweiten ist nix für Schweiger – zu klug, zu woke, zu emanzipiert.
Gut gefallen könnte ihn hingegen die Arte-Reihe Evangelikale, würde sie den reaktionär-profitablen Christenkult nicht so kritisieren. Die Serien-Version der Eighties-Schnulze Grease, ab Freitag bei Paramount+, aber passt vermutlich schon deshalb in Schweigers Ideologie, weil Frauen damals noch nach der Pfeife echter Kerle wie ihm getanzt haben. Damit aber mal Schluss mit dieser Jammergestalt überkommener Traditionen und hin zu richtig guter Unterhaltung.
Tender Hearts zum Beispiel mit Friederike Kempter, die sich ab Donnerstag bei Sky über acht Folgen hinweg in einen Liebesroboter verliebt und dabei mehr über unsere Gesellschaft erzählt als – einmal noch! – Schweiger in seiner Gesamtsendezeit seit der Lindenstraßen. Die Comedy-Serie Ziemlich beste Schwiegermutter zeigt Mittwoch in der ARD-Mediathek, warum Fernsehen aus Frankreich selbst banale Themen gehaltvoll macht. Und Netflix beweist tags drauf mit der zehnteiligen Dark Comedy Beef über verbissene Streithammel, warum ähnliches für Südkorea gilt.
Eine kleinere Enttäuschung ist demgegenüber an selber Stelle der Achtteiler Transatlantic, in dem Anna Winger der deutschen Geschichte nach Deutschland 83/86 und Unorthodox rückwärts nach Marseille folgt, wo sie eine real existierende Fluchtorganisation beim Retten jüdischer Intellektueller anno 1940 beobachtet. Gut gemeint, aber zu rührig. Blieben stichpunktartig noch folgende Neustarts.
Free Vee zeigt ab Freitag die Mockumentary Jury Duty um Geschworene eines britischen Gerichts, die bis auf einen gecastet sind. In der Arte-Mediathek ist Desirée Nosbusch ab Donnerstag als Topanwältin Anna Conti aktiv. Funk schickt parallel dazu die Mystery-Serie Feelings bei Youtube online. Und wenn das ZDF am Sonntag einen Dr. Neiss als – tihi – Dr. Nice ins Herzkino schickt, ist dessen drolliger Name mal wieder wichtiger als aller Inhalt.