Reportageinterview: Karl Ludwig Schweisfurth
Posted: November 30, 2013 Filed under: 6 wochenendreportage Leave a commentSchmecken, fühlen, riechen
Bis Karl Ludwig Schweisfurth vor 30 Jahren nach einem Fasterlebnis über Nacht zum Biobauern wurde, war er Europas größter Fleischfabrikant. Sein „reformiertes Handwerk“ will seither nicht nur Nutztieren ihre Würde zurückgeben, sondern auch den Menschen, die sie verarbeiten. Eine Begegnung mit einem Bekehrten
Von Jan Freitag
Wer Karl Ludwig Schweisfurth daheim trifft, kann kaum glauben, dass hier ein Pionier deutschen Industriefleischs lebt. Wie aus der Zeit gefallen wirkt sein sanierter Katen im oberbayrischen Glonn. Der Weg dorthin führt über einen Hof, wie er auf Milchtüten kaum schöner sein könnte: Bienen surren übers Blumenbeet, eine Katzen streunt hindurch, Efeu umrankt das Haus, aus dem der weißhaarige Mann mit Strickpulli und Filzhut tritt, ein Miniaturkotelett über der Krempe. Wäre es keine Anstecknadel, das Fleisch stammte fraglos von seligen Schweinen, denn Karl Ludwig Schweisfurth hat seiner Vergangenheit schon 1984 abgeschworen. Damals wird aus dem Fabrikanten ein Bauer und aus dem Milliardär ein Missionar, aus Massenproduktion „reformiertes Handwerk“ und aus Herta-Wurst Öko-Ware. Karl Ludwig Schweisfurth stellt grünen Tee auf den rustikalen Küchentisch, gleich neben ein paar historische Schlachtmesser. „Ich liebe Fleisch“, er lacht, „sofern ich weiß, wo es herkommt“. Und hier, wo Schweisfurth vor 27 Jahren die „Herrmannsdorfer Landwerkstätten“ voll artgerechter Tiere, klarer Prinzipien und guter Vorsätze gründete, weiß er es genau.
freitagsmedien: Herr Schweisfurth, Sie sind vom Saulus der Fleischindustrie zum Paulus des „reformierten Handwerks“ geworden. Was genau ist da passiert?
Karl Ludwig Schweisfurth: Eine Rückbesinnung auf bewährte Handwerkskunst mit moderner Technik. Das Wissen des Meisters, überliefert von Generation zu Generation, statt bloß Erkenntnisse einer Lebensmittelwissenschaft, die vor meiner Zeit noch gar nicht existiert hat. Ich will weg von der automatisierten Tötungsindustrie, in der Hackfleisch eine Woche haltbar gemacht wird. Das hätte ich noch vor zehn Jahren für Utopie gehalten.
Halten Sie es heute für umkehrbar?
Ich will das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen. Aber während Hühner von Bauernhöfen verschwinden und sich die Zahl der Schweine in den letzen zehn Jahren halbiert hat, schlachten große Fleischfabriken 25.000 Schweine täglich und 25.000 Hühner pro Stunde. Aber nicht durch Schlachter, sondern verlängerte Werkbänke, die bloß einen Handgriff ausüben. Ich gebe ihm sein Handwerk zurück, um zum Wesentlichen, zu Ethik, Moral, sich selbst zurückzukehren. Die Würde des Tieres bedingt die des Menschen und umgekehrt, da setze ich Handwerk gegen die Lidlisierung des Konsums und seiner Befriedigung.
An der Sie ja nicht unschuldig sind.
In den ersten 30 Jahren meines Berufslebens habe ich die Automation der Fleischverarbeitung an vorderster Front gefördert und dem technischen Fortschritt mit Begeisterung gehuldigt.
Hätte es ohne Sie überhaupt eine deutsche Fleischindustrie gegeben?
Ganz sicher, ich war nur wie in so vielem der erste. Auch ohne mein Zutun wäre handwerkliches Wissen verschüttet worden. Von Warmfleischschlachtung übers Abhängen bis hin zum dörflichen Schlachtfest als soziales Ereignis. Damit ging der Schlachter als Experte verloren. Er wurde vom eigenen Beruf entmündigt. Und zwar im Kampf gegen den einen Feind.
Den Mangel.
Genau. Es gab nach 1945 zwei Sorgen: Nie wieder Krieg, nie wieder Hunger! Das waren auch die Maxime meines Handelns.
Das Land liegt in Trümmern, als der Metzgerlehrling vom westfälischen Herten aus erst den elterlichen Betrieb, bald die ganze Branche umwälzt. Voll Elan besucht er die Schlachthöfe in Chicago, doch was Upton Sinclair 1903 angeekelt zum Buch Der Dschungel trieb, treibt den jungen Schweisfurth zum Fortschrittsgläubigen. Aus dem Inferno von sozialem Elend, hygienischem Desaster und verachtetem Tier importiert er das Fließband ins Wirtschaftswunderland. Schweifurth macht aus der Metzgerkette einen Konzern, er führt die Vakuumverpackung ein, das Mindesthaltbarkeitsdatum, die Inhaltskennzeichnung. Herta wächst, Herta expandiert, 1964 auch ins Ausland. Schweisfurth ist ganz oben. Erst Anfang der Achtziger, als seine drei Kinder ergrünen, kommen ihm Zweifel. „Papa, wie lebst du eigentlich?“, fragen sie. Ja wie? „Ich habe keine Schuldgefühle“, sagt Schweisfurth als alter Biobauer und haut bei jeder Silbe auf den Tisch. „Menschen machen Fehler“. Bambam. „Es war eine Pionierzeit“. Bambambambam. Und sie hat nicht nur die Lebensmittelherstellung verändert, sondern auch die Arbeitsbedingungen.
Was kann der Biobauer Schweisfurth seinen Fließbändern von einst heute abgewinnen?
Herta war qualitativ absolut Spitze. Nicht nur, weil wir die neueste Technik hatten, auch wegen des sozialen Klimas. Während die Branche immer steriler wurde und die Fabriken lebloser, habe ich Kunst in die Fabrikhallen gehängt und Fenster mit Blick ins Grüne eingebaut.
War das nicht bloß ein Feigenblatt?
Nein, anständige Arbeitsbedingungen liegen mir seit jeher am Herzen. Deshalb tu ich was für meine Leute und sorge dafür, dass die Fabriken nicht nur zweckmäßig, sondern schön sind.
Ist das Ihre Form der Corporate Social Responsibility?
Den Gedanken hatte schon mein Vater lange, bevor der Begriff entstand. Trotz der automatisierten Abläufe lag Herta ein guter Umgang mit dem Personal am Herzen, das Wort der Meister wurde hoch gehalten; es waren Respektspersonen und ich kannte jede mit Namen. Aber sie haben eben arme Schweine aus intensiver Haltung am Fließband verarbeitet.
Hat ihre Technologiegläubigkeit seither gelitten?
Die Maschine sollte dem Menschen dienen, aber es ist längst umgekehrt. Und wo einmal eine Maschine steht, kommt nie wieder ein Mensch hin. Nur in meinem Metier gelingt es manchmal, Bauern mit Handwerkern zu regionalen Gemeinschaften zusammenzubringen, in denen noch keine industrielle Automation herrscht.
Für andere Branchen gilt das nicht?
Autos und Handys werden doch besser maschinell produziert, aber in Teilen der Wirtschaft halte ich die Rückkehr zu verstehbarer, humaner Tätigkeit für möglich. Unsere 25 Metzger töten auch stundenlang Tiere, sind aber keine Räder einer Maschine, sondern Herz und Hirn. Spezialisierungen finden auch hier statt, aber jeder, ob Geselle oder Meister, kann im Prinzip alles. Wir beschäftigen 140 Leute, alles stolze Handwerker, ihrer fünf Sinne gewahr. Das nenne ich CSR.
Welchen Einfluss nehmen Sie noch?
Da mein Sohn Karl das Unternehmen leitet, rede ich zwar nicht ins Tagesgeschäft rein, setze aber noch immer all meine Kraft daran, dass es in 20 Jahren weiter Bauern, Metzger, Bäcker, Käser gibt. Dass unser Weg gezielt übers Bewusstsein der Lebensmittelhandwerker führt, ist heutzutage geradezu innovativ.
Was sie innovativ nennen, gilt am Markt als Standortnachteil, vor allem überteuert.
Im agroindustriellen System ist mit Innovation stets technische Innovation gemeint, zu selten soziale und kulturelle. Wie wir Landwirtschaft betreiben, das hat mit dem lateinischen Wortursprung colere, also wohnen, pflegen, verehren, nichts mehr zu tun. Da hilft ein Buch wie Tiere essen von Jonathan Safran Foer, das sogar einen Fleischesser wie mich zum Nachdenken bringt. Ich bin Vegetarier, sobald ich nicht weiß, wo mein Essen herkommt.
Wer Visionen hat, empfahl einst Bundeskanzler Schmidt Schmidt, soll zum Arzt gehen. Karl Ludwig Schweisfurth hat eine Vision, als er während des jährlichen Fastens erwacht und seiner zweiten Frau Dorothee sagt, „wir fangen noch mal ganz von vorn an“. Männer um die 50 spüren manchmal diesen Drang nach Brüchen: Neue Liebe, alte Zöpfe – Wege aus der Midlifecrisis sind vielfältig. Doch mit so großer Klinge wie Schweisfurth kann wohl nur ein Metzger ins Leben schneiden. Mit 54, kaum zwölf Monate nach dem Fastenerlebnis, verkauft er sein Wurstimperium, mit 5000 Mitarbeitern und 1,6 Milliarden Mark Umsatz Europas größtes, an Nestlé. Vom Erlös erwirbt er 1984 ein altes Gut, 40 Kilometer östlich von München, wo bald darauf die Schweisfurth-Stiftung zur Förderung seiner Ideale entsteht. Ein Vierteljahrhundert später führt ihr Gründer seelenruhig Gäste durch die Stallungen, begrüßt die Verkäuferin im quirligen Hofladen mit Vornamen, lädt zum Kotelett ins gutseigene Restaurant, stapft durch knöcheltiefen Morast. „Dreck ist Leben“, ruft er und schildert den Traum der symbiotischen Landwirtschaft, wo Mensch und Tier eine Einheit bilden, kein Wirtsverhältnis. 1000 neue Herrmannsdörfer – das ist seine neue Vision.
Im Rahmen der Expo 2000 ist schon das zweite Herrmannsdorf gescheitert.
Das hat wehgetan. Ich wollte zu perfekt sein, aber man muss scheitern können, um zu lernen. Fang ruhig mal klein an, bescheiden. Wachsen kann man immer noch.
Ihr Sohn Georg, Gründer der Bioladen-Kette Basic, hat es mit dem Wachstum übertrieben und eine Kooperation mit Lidl vereinbart.
Und da hat Karl gesagt, wenn dieser Geist bei Basic einzieht, liefere ich nicht mehr. Das war richtig, weil Lidl seine Lebensmittel zwar wie andere Discounter produzieren lässt, aber wie Schlecker auf dem Drogeriemarkt zudem eine extrem aggressive Preispolitik auf dem Rücken der Mitarbeiter betreibt. Der Druck bei Lidl gehört zu den härtesten. Lebensmittelchemisch ist da alles in Ordnung, sozial weniger.
Trotzdem hat auch Lidl Ökoprodukte im Regal.
Schon. Aber Industriebio mag ökologische Mindeststandards einhalten – die Methoden sind geprägt vom agroindustriellen System: Arbeitsteilung, Automation, Masse. Da finde ich die Hofladenecken bei Edeka nachhaltiger, auch wenn die Waren nicht biologisch entstehen.
Regionale sind wie biologische Waren weiter Nischenprodukte. Macht es einen Überzeugungstäter wie Sie nicht verrückt, dass die Masse wieder besseren Wissens isst?
Den Spruch, Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun, müsste man heute umdrehen: Herr vergib ihnen, denn sie tun nicht, was sie wissen.
Das klingt missionarisch.
Wer was verändern will, kommt zum Missionieren, ob er will oder nicht. Aber ich verkünde keinen Glauben, das ist der Unterschied. Ich verkünde den gesunden Menschenverstand.
Kurz nach der Fleischindustrie verlässt Karl Ludwig Schweisfurth auch die Kirche. Weil sie ihm zu anthropozentristisch sei. Vom Katholizismus zum Buddhismus bekehrt, geht er nach erstmal in den Himalaya. Abschalten, Loslassen. Schon immer war der 83-Jährige ein Mann großer Schritte und tiefer Schnitte. Sein reformiertes Handwerk ist wohl nicht sein letzter.
Claudia Michelsen: Schauspiel & Realität
Posted: November 28, 2013 Filed under: 3 mittwochsporträt Leave a commentPorzellan und Granit
Ohne Glitzerrollen und eitles Getue hat sich Claudia Michelsen ins erste Glied des deutschen Films gespielt. Warum sie dort hingehört, hat sie erst gestern im famosen Melodram Grenzgang bewiesen, aber auch in der Tellkamp-Verfilmung Der Turm, die der WDR am Samstag wiederholt
Von Jan Freitag
Wahre Schönheit, so sagt man, bedarf ein paar kleinerer Makel. Claudia Michelsen besitzt davon gleich mehrere. Ihre Nase hat diesen kleinen Höcker, der sie für Frauenmagazine im Grunde unabbildbar macht. Auch die Augen sind nicht ganz harmonisch, der Mund scheint ebenfalls leicht schief geraten, das ganze Gesicht weist eine leichte Unwucht auf. Schön ist sie ja, gar bildschön, aber eben nicht titeltauglich. Eigentlich. Dass es sie dennoch gerne mal auf Deckblättern diverser Zeitschriften rund um Fernsehen, Glamour, Pesonality verschlägt, muss also andere Gründe haben.
Gründe wie gestern in Grenzgang, wo die 44-Jährige wie schon im grandiosen Fernsehmelodram Und dennoch lieben wir auf gleichem Kanal oder in der versierten Tellkamp-Verfilmung Der Turm kurz darauf auf atemberaubende Weise zeigt, wie gewisse Schauspielerinnen aus gewiss guten Filmen besondere machen, besser: wie besonders diese hier mit ihrer unnachahmlichen Mischung aus Empathie und Distanz, Leidenschaft und Gelassenheit fernstehtaugliche Rührstücke zu vielschichtigen Dramen adelt, die auch auf der Leinwand bestehen könnten. In allen drei Filmen wie in so manchem zuvor tut sie es als augenscheinlich sprödes, unterschwellig jedoch höchst attraktives Mauergewächs, das Claudia Michelsen auf sehr subtile Weise zwischen Austrocknung und neu Erblühen bewässert.
Wie die Mutter zweier Töchter (vom Schauspielerkollegen Anatol Taubman) der Verzweiflung zwischen Trotz und Abwehr ein Gesicht verleiht; wie sie langsam bricht, ohne durchzubrechen, und aufsteht, ohne sich wirklich grade zu mache; wie sie als nahezu einzige Schauspielerin im fiktionalen Primetimefilm sogar in flachen Schuhen begehrenswert sein darf und ihre strickjackenbewehrte Normalität doch wie eine Monstranz vor sich her trägt – das ist einzigartig, zumal im Fernsehen, diesem Medium, das im Grunde viel zu klein ist für eine wie sie. Das sie allerdings dennoch Jahr für Jahr mit mehreren Beiträgen bereichert.
Seit die Absolventin der Berliner Schauspielschule Ernst Busch 1989 erstmals vor die Kamera trat und parallel „aus politischer Erwägung“, wie sie betont, aufrührerisches Osttheater spielte, seit der Mauerfall den „revolutionären Impuls der Bühne“ in den „Leerlauf banaler Unterhaltung“ riss, Claudia Michelsen legt in solchen Momenten selbst Fremden bekräftigend die Hand aufs Knie, seither spielt sie alles Mögliche: Tatort-Episoden und Historienschinken, TV-Melodramen, US-Produktionen, Kinderfilme, selbst eine Serienkommissarin (Flemming). Auch ein Abstecher in Richtung Hollywood war dabei. Doch je älter, reifer, je besser und bekannter die einstige Max-Ophüls-Preisträgerin wird, desto häufiger sind es eben stille Filme mit Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs. Nicht, dass dies eine bewusste Entscheidung wäre. „Aber dieses Erwachen“, sagt sie dann, „dieses Gegenangehen“, es fasziniere sie schon.
Und so erwachen ihre Figuren regelmäßig aus seltsam wattierten Wohlstandswelten. Als Mutter einer Ausreißerin in Sieben Tage, als Frau eines DDR-kritischen, aber geölt mitlaufenden Schwerenöters in Der Turm, zuletzt als Frau zwischen Nebenbuhlerin und Ehe im ARD-Film Und dennoch lieben wir oder nun eben in der hessischen Provinz-Studie Grenzgang, wo sie mit einem anderen Großstadtflüchtling (Lars Eidinger) verbissen um ein Stück Geborgenheit im räumlich-sozialen Abseits kämpft. Fast ausnahmslos wirken diese Charaktere in Werken zur besten Sendezeit, fast immer öffentlich-rechtlich und zusehends mit Claudia Michelsen auf dem ersten Rang der weiblichen Besetzungsliste.
So selten wie möglich begibt sich die gebürtige Dresdnerin dort allerdings in Zonenrollen. Auch aus Angst vor falschen Bildern. „Es gibt ja nicht die eine Sicht auf die eine DDR“, erklärte sie diese Scheu zum Start vom Turm im vorigen Frühjahr. Zumal ihre „Berührungspunkte“ zum System „eher Freunde und Bekannte, die Stasi-Kontakte hatten“ waren als eigene Kontakte. „Ich bin die Glücksgeneration, knapp 20 als die Mauer fiel“. Und falls sie sich doch mal vom Klischee besetzen lässt, DDR lasse sich am besten DDR-sozialisiert verkörpern, wird daraus garantiert ein preisgekröntes Vorzeigedrama wie 12 heißt: ich liebe dich, wo sie sich als Stasihäftling in ihren Verhörer verliebt. Auch so eine Geschichte vom Zerbrechen und Aufwachen. Claudia Michelsen Paradedisziplin, die sie nicht sucht, aber findet. Auf die man sie geradezu buchen könnte. Aber eigentlich kann sie fast alles.
Gätjen & Co: Hoffnungen & Enttäuschungen
Posted: November 21, 2013 Filed under: 3 mittwochsporträt Leave a commentAusgestrahlt
Das Fernsehen ist voller Karrierehoffnungen. Auch Steven Gätjen oder Oli Geissen waren mal welche. Heute moderiert der eine leicht ölig Eventshows wie Stefan Raabs Turmspringen (diesen Samstag), der andere gelangweilt Chartshows (fast jeden Freitag). Inhaltlich banal, finanziell erfolgreich, jenseits früherer Träume von Relevanz – damit sind beide nicht allein.
Von Jan Freitag
TV-Karrieren haben was Hybrides. Gerade im Moderatorenfach verläuft zwischen Anspruch und Erfolg, Seriosität und Ruhm ein breiter Graben. Den Spagat drüber hinweg schaffen eigentlich nur die Schmidts, Jauchs, Gottschalks. Auch Anke Engelke und Matthias Opdenhövel kommen durchaus schichten-, geschlechter-, gar altersübergreifend an. Doch schon die Talkonkels von Kerner bis Lanz polarisieren so wie Moderationsfassaden der Marke Marco Schreyl, der vom Castingpöbel vergöttert, keinem Fernsehpleb ins Haus käme. Welcher RTL-Gucker hat andererseits je von Klaus Kleber gehört, welcher GZSZ-Fan von Francis Fulton-Smith?
Gut, auch ohne Visum zur anderen Seite lässt es sich diesseits der Gräben leben. Doch in der Nische zu stecken, geduldet von Millionen, gehasst vom Rest, hat etwa Oliver Geissen, der seit 16 Jahren wegmoderiert, was ihm das Massenmedium übrig lässt, kaum gewollt. Man sieht ihm die geplatzte Illusion einer nachhaltigen Karriere in jeder Ultimativen Chartshow, an. Einst als echter Entertainer gehandelt, langweilt er sich selbst noch mehr als die Zuschauer. Das Gleiche gilt – sogar mehr noch – für Steven Gätjen. Geboren in Phoenix, volontiert in Hamburg, studiert in LA, auf der Liste seriöser Redaktionen – für den 31-Jährigen Doppelsprachler leuchtete was am TV-Himmel. Tief darunter macht er heute nur privates Müllfernsehen à la Sommermädchen, das bei Schlag den Raab immerhin lukratives Müllfernsehen ist. Und so erscheint sein hoffnungsvoller Laufbahnbeginn doch nur ziemlich kurzes Wetterleuchten.
Und damit ist er keineswegs allein:
Pilotin, blond, schlagfertig, Pressdekolletee – im Grunde bringt Sonja Zietlow viel für solide Unterhaltungsbekanntheit mit. Kultiviert aber bloß noch ihren Zynismus im Dschungelcamp und wartet in der Billigshow Die 10… nur noch darauf, sich bei den 10 verschleudersten Moderatorinnen auf Platz 4 nennen zu müssen.
Ehrlich – Birgit Schrowange galt Ende der 80er im WDR als neue Dagmar Berghoff, gilt heute aber eher als neue Marianne von Michael. Glaubt wohl selber, der Promi-Unrat, den sie in Extra oder Life! runterleiert, besäße so was wie Sinn. Weil dem nicht so ist, bleibt ihr relevantester Medienbeitrag: ein Sohn mit Markus Lanz
Schon mit Ende 20 ein gefragter ZDF-Außenpolitiker, kommt Normen Odenthal auch mit Anfang 40 nicht über Nachtjournale, Mittagsmagazine, Frühstücksfernsehen hinaus. Wurde bei letzterem sogar vom unsäglichen Wulf Schmiese ersetzt. So bleibt der Nachwelt vor allem die putzige Schreibweise seines Vornamens erinnerlich.
Mann, war die schön, Mann, war die klug, Mann, war die kühl. 1988 hat sich Dr. Privatfunk eine neue Mrs. Nachrichten kreiert: Maria Gresz. Sah so die Zukunft der Politmagazine aus? Nein, aber die Gresz ist exakt so blond wie damals. Und sie nuschelt auch wie einst, nur von Spiegel TV zu Spiegel TV belangloseres Zeugs.
Noch so ein öffentlich-rechtliches Talent. Steffen Hallaschka war frisch volljährig, als er im HR gutes Radio machte. Mit Mitte 20 machte er bei 3sat gutes Jugendfernsehen. Um die 30 ging er zu Polylux, sogar Arte. Jetzt oberhalb der 40, sieht aus wie immer, leitet das politfreie Politmagazin Stern TV und hofft weiter aufs heute-journal.
Cherno Jobatey kennt man. Ist das nicht der Farbige vom Morgenmag in Turnschuhen? Ja! Er war aber auch Stipendiat, Politologe, Zeit-Autor, Showmaster (Verstehen Sie Spaß), Schauspieler (Isch kandidiere), ein Vorbild vieler Migranten. Nach 20 Jahren ist er immerhin noch: der Farbige vom Morgenmag in Turnschuhen.
Als Susanne Kronzucker ZDF-Auslandskorrespondentin wurde, galt die 20-Jährige als Erbin ihres Vaters Dieter, kam aber über RTL-News nie hinaus. Immerhin machte sie ab 2007 das emanzipierte Magazin Mona Lisa. Mit annähernd 50 ist die Ex-Vorzeigefrau dem Vernehmen nach Mutter, und ihr Mann, ein Anwalt, verdient das Geld.
Kennt noch wer Caroline Beil, Carsten Spengemann, Susan Stahnke? Erstere galt als extrem variabel, bis sie nur noch Soaps machte. Letztere verließ die Tagesschau vergebens für eine Hollywoodkarriere. Mittlerer klaute lieber einen Ring, als weiter DSDS zu moderieren. Was sie alle heute eint? Besuche im Dschungelcamp.
Reise: Surfen vor Irland
Posted: November 16, 2013 Filed under: 6 wochenendreportage Leave a commentBeifang im Schnee
Vier Surfer, eine alte Feuerwehr, 13 Boards und ein windsicherer Herbsttrip nach Irland – eigentlich war für vier Norddeutsche alles für den perfekten Surfurlaub gerichtet. Eigentlich.
Von Jan Freitag
Wer solche Bedingungen hat, flüchtet sich schon mal ins Philosophische. „Wir sind immer auf der Suche nach dem großen Fisch“, Christian Tesche krault sich versonnen im Kinnbart, „und dabei kriegen wir eine Menge Beifang ins Netz“. Er sagt das mit viel Bedacht. Das ist nicht immer die Art des bekennend einfach gestrickten Mecklenburgers. Wie gesagt – die Bedingungen müssen Gedankenspiele zulassen. Gerade bei Surftrips in die Ferne, gerade, wenn die Erwartung groß, die Realität jedoch ernüchternd ist. Und die Erwartungen an eine Reise nach Irland, vier Surfer, ein Journalist und eine ausgebaute Feuerwehr mit 13 Boards auf dem Dach, sind natürlich enorm.
Kein Wunder, mitten im stürmischen Herbst. Und an der rauen Atlantikküste, versichern alle Wetterexperten, ist die Windgarantie fast einklagbar. Dazu dank Golfstrom mildes Klima und herrliches Licht. Ein Surfertraum in grün. Leider sieht die Realität etwas anders aus: Kaum ein Lüftchen, unzuverlässiges Wasser, dafür viel Regen und Temperaturen nah am Gefrierpunkt. Da wird Beifang, wie Christian Tesche ihn definiert, besonders wichtig. Wellenreiten zum Beispiel, mehr aber noch Land und Leute, Kultur, Natur, alles pur. „Durchs Surfen komm ich an die schönsten Orte der Welt“, sagt der exzentrische Künstler. Und die irische Westküste zählt ohne Zweifel dazu.
Um sie sehen zu können, muss Sören Klement zunächst mal putzen. Er ist wie jeden Morgen als erster erwacht und die Scheiben des Daimlers sind wie jeden Morgen beschlagen, dass es nur so tropft. „Es hat geschneit“, ruft er plötzlich in den dunstigen Innenraum und die Mitreisenden wählen im Geiste die Nummer der nächsten Psychiatrie. Zwei Tage später wird ihnen ein Einheimischer mit Brett unterm Arm erzählen, ansonsten lasse er im Oktober außer Neopren nur T-Shirts an seine Haut und dann das: Die zierlichen Berge im Rücken des Küstenorts Easky tragen weiße Kappen. Immerhin – es gibt Wellen!
Die Gruppe schält sich aus ihren Schlafsäcken, begräbt alle Hoffnungen, dass fünf schlafende Männer einen Sechs-Meter-Bus vor der Außentemperatur bewahren und steht einen Kaffee später am Ufer. Wie verrückt prügelt die Flut Ozeanwogen zum Strand. Dumm nur, dass es fast völlig windstill ist. Noch am Abend zuvor waren Sören und Matze Wellenreiten. Im Dunkeln. Als Aufwärmtraining für den heutigen Windsurf sozusagen. Dachten sie wenigstens. Drei Tage lang sind sie nun schon auf Spotsuche. Und das nach ebenso langer Anreise von Rostock, Hamburg, Cuxhaven über Harwich und Wales Richtung irische Westküste. Drei Tage auf den geräumigen Fähren der DFDS-Seaways oder im schwerfällig knatternden 508er, nur kurz unterbrochen von einem Ritt im kühlen walisischen Kanalwasser von Fresh Water West und zwei Guinness im Pub an der Landstraße. 70 Stunden bis zum Surfhimmel – die Donagal Bay unweit der nordirischen Grenze. 70 weitere auf der Suche nach einem anderen, manchmal durch Schneematsch. „Die letzten zehn Tage waren hier einfach perfekt.“ Die Worte des Windsurfshopbesitzers der Bezirkshauptstadt Sligo dröhnen dem Quartett noch immer in den Ohren. Das zermürbt die gelassensten Norddeutschen. Der Weg ist eben nicht immer das Ziel.
Immerhin, im Internetcafé nebenan gibt es bessere Nachrichten. Olaf, mit 36 der Senior der Reisegruppe, hält triumphierend den Ausdruck hoch. „Guck dir die Isobaren an“, jubelt der eher stille Kieler mit 22 Jahren Surferfahrung. Dicht wie eine LP-Rille liegen die Luftdrucklinien über Irlands Westen. „Ab morgen wird’s gut und Samstag geht es richtig rund“, interpretiert er die Daten. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Doch erst mal liegt die gute Laune im Sterben. Donegal Bay samt Topspot Tullan Beach, die sonst so windsichere Sligo Bay, eine idyllische Bucht am Aughris Head, auch Easky, das irische Surfmekka und Sitz der Irish Surf Association – alles wunderhübsch gelegen, voll feinstem Beifang, doch alle wollen aufs Wasser. Allen voran Matze Bade. Der schwarzgelockte Holsteiner, dem man eine Reihe seiner 28 Jahre nicht ansieht. Sonst eine schier unerschütterliche Frohnatur sitzt er frierend im Bus und mault. „Wir haben hier den perfekten Spot und eine 8-Beaufort-Ansage für Samstag und statt die zu catchen checken wir heute aufwändig einen Spot mit fünf und die sind auch noch sketchy.“
So lautet die Übersetzung seines Unmuts darüber, dass die anderen trotz akzeptabler Bedingungen mal wieder noch bessere anpeilen. Ein Mehrheitsbeschluss. Demokratisch korrekt. Aber auch meteorologisch? Auf dem Weg zur Killala Bay, noch so ein Tipp aus dem Surfshop, treffen sie ein echt irisches Original. Speckiger Sturmmantel, lange Haare, Vollbart, Gummistiefel. Nur seine Herkunft kratzt am Klischee. „Tolle Bucht hier“, sagt der emigrierte Hamburger inmitten alter Fischerboote. Angenehm ruhig, keine Touristen, gute Wellen. Aber zum Windsurfen, das weiß der 40-Jährige, seit es ihn 1984 eigens dafür nach Irland verschlug, „müsst ihr noch weiter“. Auf die Halbinsel The Mullet, um genau zu sein. Dann geht alles sehr schnell: Abfahrt gen Westen, 50 holprige Kilometer Secondary Road, Ankunft kurz vor der Dämmerung und die Nase in den Wind. Es frischt auf. Endlich! Dann geht es noch schneller. Alles runter vom Dach. Alles. In wenigen Minuten schrumpft die Wagenhöhe von knapp vier auf gut zwei Meter. Keine halbe Stunde später ist der letzte in der Brandung. „Ich hab noch nie so fix aufgeriggt“, keucht Olaf nach gewonnenem Kampf mit seinem 5,3er Segel, dem klammen Neopren und läuft zum Strand.
Ihn erwarten vielleicht fünf Windstärken. Matze, der beste unter vier Könnern, macht daraus ein paar schöne Sprünge. „Auf den kannst du dich verlassen“, lobt Sören, der surfende Pressefotograf aus Rostock, und blickt etwas wehmütig auf das, was ihm grad entgeht. Hohes Tempo ins Abendrot zum Beispiel. Oder Christians vielleicht beste Welle seiner 29 Jahre. Er hat es gerade selbst gemerkt, so spitz fegt sein Schrei durch die kalte Luft. Ein kurzes Geburtstaggeschenk, aber ein schönes. Und nicht das letzte. Ein weiteres kommt von den Einheimischen, die tags drauf zum Wellenreiten herbei strömen. Surfen, das ist am Atlantik wie Skifahren in der Schweiz. Und noch ein Unterschied zu Deutschland: Der Frauenanteil ist enorm. Die Hälfte auf dem arktisch kühlen Wasser ist, grob geschätzt, weiblich. Und am Wochenende – Stichwort 8 Beaufort – treffen sie sich alle genau dort zum Windsurfwettbewerb, wo gerade Sörens Feuerwehr parkt. Auf der Westseite zum Freestyle, auf der Ostseite zum Supercross. „Hier ist einer der besten Windsurfspots in Irland“, schwärmt Dave, der wie so viele hier jeden Abend von der Arbeit zum Strand fährt. Ein Traum: Board statt Büro in Minuten, aus dem Blaumann in den Neo. Schade nur, dass die Außentemperatur weiter gegen Null tendiert.
So ähnlich übrigens, wie die Trefferquote der Wettervorhersagen. Denn (natürlich) herrscht am Samstag fast Flaute – das nervt die irischen Teilnehmer kaum weniger als die außer Konkurrenz surfenden Deutschen. „Ich fang gleich an zu trinken“, kündigt Matze schon mittags an und kann von Glück reden, es nicht getan zu haben. Gegen Abend frischt es auf. Am zweiten Tag lautet das Motto erneut: Erst der Contest, dann das Vergnügen. Denn mit der Dämmerung kommt der Sturm. Und nach dem Sturm die Party. Mittendrin: die vier „courageous germs“, die für die beste Welle im Zweifel die Klippen rasieren und einen Wagen bewohnen, der den Locals als Landefahrzeug feindlicher Invasionstruppen vorkommen muss. „Die denken doch, hier steigen gleich zehn Leute aus“, mutmaßt Sören lachend über die Surfboardparade auf dem Dachgepäckträger.
Das ausgediente Mehrzweckfahrzeug einer bayerischen Ortsfeuerwehr, mit Baudatum 1975 sogar zwei Jahre älter als Sören, sein Besitzer, scheint das Halbinselgespräch zu sein. So ist wenigstens bei der Frage nach dem Weg zu spüren. Kein Wunder – außen signalrot mit zwei stattlichen Strahlern vorn und achtern, innen skurrile Typen: Matze Bade, optisch irgendwo zwischen Tom Hanks und Mehmet Scholl, Topsurfer und wandelnder Dresscode auf der einen Seite, viel beschäftigter Ingenieur und Bausparer auf der anderen. Daneben, fast einen Kopf größer, Olaf Barth, irgendwie sein Gegenteil. Gerade im Neopren mit Kappe erinnert der zweifache Vater mit Wohnsitz Postbus an die Nihilisten bei Big Lebowsky, schneidet aber statt Zehen ab lieber Surfboards zu. Auf Rädern – eines gediegenen Zirkuswagens – lebt auch Autofreak Sören Klement, der dank blonder Mähne, Zahnpastalächeln und unerschöpflicher Energie jeden Surferbildband schmücken würde. Abzüglich des Arbeitseifers trifft das auch auf Christian Tesche zu, daheim an der Ostsee sein Nachbar. Ein Freund bizarrer Bärte, hübscher Frauen und großer Steine, die er unentwegt an Irlands Stränden sammelt, um sie auf seinem Hof bei Rostock in rostigen Stahl zu schweißen.
In jeder Ecke des überladenen Wagens liegen sie herum. Glattgewaschene Findlinge, Kunstwerke in spe. Doch was die Restbesatzung erst nervt, wird nach der nächsten Weiterfahrt plötzlich nützlich – als Ballast. Es stürmt. Land unter an der Südküste. Das schlimmste Unwetter seit mindestens 60 Jahren, titeln die Zeitungen. Das geilste Wetter seit mindestens sechs Tagen, jubeln die Surfer. Red Strand, Ownachincha – beste Spots bei Nordostwind. Und weiter östlich, am Galley Head und Old Beach, unterhalb von Cork, wird es beinahe zu heftig. „Absolut hardcore“, meint Matze und kämpft bei heftigen Böen mit dem Segel. An Land wackelt der Wagen wie bei einem Erdbeben. Auf dem Wasser bricht Olafs Mast, sein Gesicht macht Bekanntschaft mit einer Riesenwelle und schwillt linksseitig auf Kiwigröße an. Es beginnt die Zeit der 1000 Reißverschlüsse: Segel- und Boardbag, Wasch- und Reparaturbeutel, Foto- und Videotasche, Jacken und Neos – alles bleibt auf Standby.
Vor allem die Bademode. Weil manche Spots zu heftig, andere zu kabbelig sind, geht es im Wagen hin und her. Wie üblich. Doch die Hoffnung hat gesiegt: Vorsorglich bleiben die Anzüge am Leib. Bei den Fahrten über geflutete Landstraßen, durch dicke Regenfronten, wird auch im Wageninnern die Luft greifbar. Immerhin, Christian kriegt sein drittes Geburtstagsgeschenk: die erste Dusche seit bald zwei Wochen. Das vierte folgt sogleich, schon auf dem gedehnten Rückweg zur Fähre. Ardmore, ein perfekter Windsurftag bei strahlendem Sonnenschein und kräftigem Nordostwind. Das Wasser ist hier schon nicht mehr richtig offener Atlantik und noch nicht wirklich Irische See, die Stimmung ist noch nicht Abreise, aber auch nicht mehr so recht Urlaub. Die Stahlkiste auf dem Dach, einst prall gefüllt mit Wurst und Fleisch, ist jedenfalls ebenso leer wie der Schrank mit den Spaghettibeständen. Also wird es abends im Pub wehmütig. Geschichten von früher, von den schönsten Orten der Welt, von völlig windstillen Trips in den Neuseeländischen Surferhimmel, gigantischen Kuppen vor Hawaii und Südafrikas legendären Rechtshänderwellen, von den Freundinnen daheim und der drohenden Lohnarbeit machen mit jedem neuen Bier etwas melancholischer die Runde. „Eigentlich war es doch richtig geil, oder“, bittet Sören um Zuspruch für seine immense Vorbereitung.
Auf jedem Fall! Und wie!, folgen die anderen. Nur das Gruppenleben im Bus, fügt Matze bierselig hinzu, „war manchmal so stressig wie auf’m Boot.“ Es fehle nur das Geschaukel. Dafür gab es am Ende doch noch tolle Surftage. Und reichlich Beifang.
Der Text ist in der SURF erschienen: http://www.surf-magazin.de/reisen/irland/irland-roadtrip/a609.html
Aktenzeichen XY: Aufklärung & Denunziation
Posted: November 14, 2013 Filed under: 3 mittwochsporträt Leave a commentUnter Generalverdacht
Zum 12. Mal hat das ZDF gestern mutig Menschen, die sich mutig dem Verbrechen entgegenstellen, mit dem XY-Preis prämiert. Doch was im Kern ein guter Ansatz ist, verfährt wie die Sendung insgesamt nach dem Grundsatz: Besser ein falsch Beschuldigter zuviel als ein freier Täter. Aus Anlass der diesjährigen Verleihung zeigen die freitagsmedien heute ein Porträt der Sendung aus Zeiten, als Wolfgang Schäuble noch für Recht und Ordnung zuständig war.
Von Jan Freitag
Rudi Cerne ist ein gebranntes Kind. Es war im Jahr 1978, als ein Klima der Hysterie den Verbrecherjäger des ZDF ins Fadenkreuz der Ermittler trieb. „Auf einem Flughafen bin ich irrtümlich verhaftet worden“, erinnert sich der heutige Moderator von Aktenzeichen XY … ungelöst. 30 Jahre später auf dem sicheren Terrain des Ludwig-Erhard-Hauses in Berlin. Ein „zappeliger Polizist“, habe den amtierenden deutschen Eiskunstlaufmeister mit Christian Klar verwechselt. Jetzt kann er darüber lachen: „Der hatte doch mehr Angst vor mir als ich vor ihm.“
Tja, so war das eben damals, rund um den Deutschen Herbst. Es herrschte eine Atmosphäre diffuser Phobien vor allem und jedem. Wer Gitanes rauchte, galt als verdächtig, wer BMW fuhr ohnehin, wer irgendwie aus der Rolle erst recht – und sei es durch bloße Ähnlichkeit mit dem Bösen. Bei Rudi Cerne war es die optische Übereinstimmung mit dem Passbild eines gesuchten Terroristen. Kleiner Kollateralschäden, sagen die einen, Pech gehabt. Ergebnis politischer Panikmache, die anderen, ein Vergehen namens Generalverdacht.
Cerne gehört zweifellos zu ersteren, denn der Journalist scheut auch mit 50 Jahren das Feuer falscher Verdächtigungen nicht. „Bei so einem schrecklichen Verbrechen müssen wir keine Statistiken bedienen“, kommentiert er entsprechend die Vergabe des XY-Preises 2008 durch Wolfgang Schäuble. Zum siebten Mal prämierte damit ein Bundesinnenminister zivilcouragierte Bürger, die irgendwie dem Verbrechen trotzen. Fünf davon werden in der heutigen Sendung von Aktenzeichen XY vorgestellt: Ein Sportlerduo, das zwei Kinderschänder überführt, eine 44-Jährige, die in einer Straßenschlägerei interveniert, und eine Spaziergängerin, die ein Mädchen vor ihrem Vergewaltiger gerettet hat.
Diese drei Fälle wählte eine zehnköpfige Jury aus Kriminalisten, Sicherheitsdiensten, Versicherern und dem ZDF unter 100 Vorschlägen aus. Eine seltsame Gewichtung, betrachtet man die deutsche Straflandschaft: zwei pädophile Missbräuche bei einer Körperverletzung – macht 66,66 Prozent der Auszeichnungen, obwohl diese (zweifellos furchtbare Tat) einen kaum messbaren, zumal rückläufigen Anteil an der Kriminalstatistik aufweist. Ob diese Unwucht nicht vor allem Stammtische befriedigt und sich inhaltlich auf dem Niveau der Bild-Zeitung bewegt? „Nein, nein“, antwortet da Rudi Cerne. Es läge an der Medienvielfalt, dass bestimmte Taten stärker in den Fokus der Öffentlichkeit geraten, „ganz sicher nicht am Zweiten Programm“.
Ganz sicher?
Beispiel sexueller Missbrauch. Während seine Zahl in 15 Jahren um 22 Prozent sank, tippten 89 Prozent der Teilnehmer einer Umfrage auf massive Steigerung. Ähnlich sieht es bei Mord aus: statt des Rückgangs um zwei Fünftel, glaubten die Teilnehmer im Schnitt an eine fast ebenso große Zunahme. War sexuelle Nötigung im Spiel, betrug die Verschätzung satte 475 Prozent. Der Kommunikationsforscher George Gerbner erklärte das als „Kultivierungstheologie“: TV-Zuschauer denken nicht nur, die Flut an Fernsehverbrechen sei real; sie halten sogar Berufsgruppen, die im Film häufig morden, für krimineller. Arme Zahnärzte.
Und ob die nun tatverdächtig sind oder doch eher stoppelbärtige Kiezgestalten – mindestens 40 Prozent aller vorgestellten Fälle, rühmt sich die XY-Redaktion, wurden seit 1967 im Anschluss an die sinistren Nachstellungen, schwarzweißen Fahndungsfotos und präsentierten Tatwerkzeuge aufgeklärt. Davon abgesehen, dass der enorme Überhang an Gewalt- und Kapitalverbrechen – vornehmlich in Kombination mit sexueller Gewalt gegen Kinder – den Eindruck erweckt, wir leben in einem Land der Mörder und Vergewaltiger, bleibt offen, wer zu Unrecht verdächtigt wird und wer gezielt denunziert. Schon 1970 druckte Die Zeit eine Liste fälschlich Verhafteter vom vermeintlichen „Hertie- Knacker“ über eine Frau, die mehrmals zu Unrecht des Betrugs bezichtigt wurde, bis hin zu einem Landarbeiter, der sich verdächtig machte, während der Sendung aufgesprungen zu sein. Und dieses Frühjahr ging der Fall zweier Deutscher durch die Presse, deren Foto versehentlich als das eines amerikanischen Serienmörder-Pärchens gezeigt wurde.
Es gibt Suizide in U-Haft, revidierte Urteile, zerstörte Renommees zuhauf, Rudi Cerne aber sagt, es könne schon mal zu Verwechslungen kommen und fragt: „Soll man lieber einen Täter laufen lassen, als ein paar mal daneben zu liegen?“ Genau das ist die Kardinalfrage bürgerlicher Übernahme exekutiver Hoheitsaufgaben und Kern des ausufernden Sicherheitsstaates, den Formate wie XY befeuern. Gesellschaftlich bleibt sie heiß diskutiert, beim ZDF gilt sie als beantwortet: Selbstzweifel kennt man dort nicht, der Vorwurf von Böll bis zur „Vereinigung sozialdemokratischer Juristen“, die Sendung sei Denunziantenfernsehen für Spießer wird mit fast 600 gefassten Mördern und Millionen treuer Fans gekontert. Und die die aktuellen Preisträger belegen ja, dass die Inkaufnahme übler Nachrede mit 10.000 Euro und einem Händedruck von Minister Schäuble honoriert werden kann.
Welche Blüten das treibt, zeigt der Film zur Tat, in dem sich die prämierten Michael Pieper und Peter Dahnke selber spielen. Beim Training in einem Kasseler Badesee fielen den beiden Triathleten zwei Männer an der Seite kleiner Jungen auf, „die deren Großeltern sein konnten“. Ach was… Dass die sich am Ende tatsächlich als Triebtäter herausstellten, ist eine Sache und das Eingreifen aller Ehren Wert. Dass ältere Männer mit potenziellen Enkeln an der Hand per se als dubios gelten eine andere. „Natürlich geht immer mal etwas schief“, sagte Law-and-Order-Mann Schäuble in seiner Laudatio und lobte Eduard Zimmermann, der unsere Gesellschaft lebenswerter gemacht habe. Zumindest für jene, die nicht versehentlich ins falsche Visier geraten.
http://www.zdf.de/ZDFmediathek#/beitrag/video/2027304/XY-Preis-2013