Posted: December 29, 2013 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |
Das Gebrauchtjahr
Hinterher ist man immer klüger: Das Resümee des Fernsehjahres 2013 zeigt wie immer, dass die schönsten Blumen in der Nische blühen, viele Leichen noch keinen guten Tatort machen und RTL nicht mal mehr zum Aufregen taugt
Von Jan Freitag
Ein Rückblick aufs TV-Jahr, das heißt ja immer auch: Abschied nehmen, von Formaten, von Menschen. In diesem etwa ist Elmar Gunsch gestorben, dazu Hildegard Krekel und Eddi Arent, Chris Howland, Otto Sander – allesamt Protagonisten einer Fernsehepoche, als die Glotze noch jenes Lagerfeuer im Wohnzimmer entfachte, das Markus Lanz selbst samstags längst auf Campingkochergröße dimmt. Da ist es nur logisch, dass einer wie Hinnerk Baumgarten die Flamme gleich ganz ausbläst, wenn er den Verlust einer weiteren Kollegin vermeldet: Rosemarie Fendel. Als Katja Riemann im NDR-Magazin DAS! erfuhr, ihre gute alte Freundin sei tot, zeigte der Moderator nämlich, was sein Medium oft unerträglich macht: Einen Kondolenzblick später fragte Baumgarten die entsetzte Schauspielerin allen Ernstes nach ihren blonden Locken und grinste sein Vorabendgrinsen. Es war einer der meistdiskutierten Fernsehmomente eines Jahres, das an bedeutsamen Augenblicken keinen Mangel hatte.
Da war die Papst-Wahl, der am sinistren 13.03.13 gut 6000 Reporter beiwohnten, viele davon für ein Dutzend deutscher Sender, die parallel dasselbe zeigten. Da war eine Bundestagswahl, die im TV-Duell Stefan Raabs Debüt als, nun ja: Journalist erlebte. Dicht gefolgt vom Kampf der Kleinen, dessen Gastgeber Schönenborn/Gottlieb wie einst der strammrechte Gerhard Löwenthal beherzt auf die Klassenfeinde Gysi/Trittin eindroschen. Da war natürlich das Wetter, dem die ARD satte elf Hochwasser-Brennpunkte widmete plus sechs weitere mit Sturmböen. Und weil derart windige Sondersendungen die politischen ums Doppelte übertrafen, sei nochmals aufs Live-Gerangel zweier Alphatierchen verwiesen. Was das Odd-Couple Slomka/Gabriel kürzlich zum SPD-Mitgliederentscheid im heute-journal zeigte, war ganz großes Entertainment.
Womit wir beim Kern des Mediums wären (oder auch nicht). Denn womit es zu unterhalten versuchte, war mal unter aller Sau, mal haltungslos, oft beides. Gut, da auf RTL zu zeigen, ist wohlfeil, aber nötig. Der Exmarktführer hat schließlich 2013 genau eine Sendung lanciert, die länger im Kopf blieb als der Alkohol, um den Rest zu ertragen, in der Blase. Wobei auch Die zwei weder kreativ war noch neu, doch im (Quiz-)Team sind Jauch und Gottschalk wie früher ein Erlebnis. Erlebnisreicher jedenfalls als Promisausen wie Shooting Stars, der dauernde Actionquatsch von Mantrailer bis Medcrimes oder Serien à la Sekretärinnen, zu schweigen vom Katastrophenfilm Helden, dessen Titelfiguren am Einheitstag allen Ernstes ein Schwarzes Loch unter Deutschland stopften, das der Teilchenbeschleuniger Cern verbockt hatte. Und hätten diese Helden versagt, die ARD würde wohl einfach Til Schweiger als Nick Tschiller schicken. Von den 73 Leichen, die 2013 insgesamt 43 neue Tatorte pflastern, gehen allein sechs auf sein Hamburger Konto. Resultat: Miese Kritik, Superquoten. Ähnlich wie nebenan Wotan Wilke Möhring, der Saarbrücker Devid Striesow und das quantitativ jüngste, qualitativ uralte Team aus Erfurt. Abgesehen vom lustigen Einstand von Nora Tschirner und Christian Ulmen bürgt selbst ein Label wie Tatort längst nicht mehr für Qualität.
Was indes kein Naturgesetz ist. Gerade der ARD-Mittwochsfilm zeigt häufig, was gebührenfinanziert geht. Ob es Klaus Maria Brandauers furioser Alzheimerpatient in Die Auslöschung war oder Matthias Brand, der Eine mörderische Entscheidung zur Bombardierung in Kunduz spielte, als sei er dabei gewesen. Ob es Dieter Pfaff posthum als Bloch war oder Lars Eidinger, der neben einem Transvestiten im Münchner Polizeiruf auch in Alltagsstudien wie Grenzgang oder Du bist dran für stille Brillanz sorgte. Das alles war exzellent erzählt, stand jedoch im Schatten zweier Highlights: Philipp Kadelbachs Kriegsgenerationenporträt Unsere Mütter, unsere Väter, mit dem das ZDF im Frühjahr auch international TV-Geschichte schrieb. Und hoppla: Die Guttenberg-Groteske Der Minister, mit der Sat1 fast an Schtonk heranreichte. Gegen diesen Goldregen war Uli Edels ZDF-Saga Das Adlon ebenso wie Götz George als Papa Heinrich bloß Knalltüten, nur toller kostümiert. Im Hamsterrennen um Aufmerksamkeit ist Oberfläche eben doch nicht alles.
Das zeigt sich wie so oft bei Serien. Die beste davon, gar eine Sensation lief am Rande der Wahrnehmung, beim SWR nämlich, wo Zeit der Helden im März das Leben von Fourtysomethings so fein skizzierte, dass die Fiktion in Echtzeit real wurde. Bei solcher Güte, günstig produziert zumal, hinkt noch der famoseste Import hinterher. Die schwedischen Heimandroiden Real Humans zum Beispiel auf Arte, wo auch das Fin-de-Siècle-Epos Parade’s End und die Twin-Peaks-Adaption Top of the Lake lief. Dazu Steven Kings Pro7-Dystopie Under The Dome über Kleinstädter, die unter einer Glaskuppel erwachen. Oder Lena Dunhams betörendes Prekariatsporträt Girls auf ZDFneo. Und nicht zuletzt Vier Frauen und ein Todesfall, womit die ARD belegt, dass Serie auch auf Deutsch (wenngleich mit österreichischem Akzent) überzeugen kann.
Ohne Akzent, dafür selbstironisch, karikierte sich das ZDF in Lerchenberg mit Sascha Hehn als Sascha Hehn. Ohne Selbstironie, dafür experimentell, zeigten Ferdinand von Schirachs Verbrechen an gleicher Stelle, welch fantastische Stoffe die Wirklichkeit liefert. Ohne Experimente, auch wenn es so hieß, sorgte das Dokudrama Die Flucht für Debatten über die Grenzen der Inszenierung. Dass ZDFneo teils prominente Wohlstandsdeutsche testweise auf Flüchtlingsrouten schickte, wurde vielfach als rassistisch kritisiert, hat die wahrhaft Betroffenen aber immerhin kurz mal in den Mittelpunkt des Interesses geholt. Ungefähr dorthin also, wo Markus Lanz steht. Über dessen Hochamt der hiesigen Unterhaltung wurde nach dem Mallorca-Ausflug gestritten, als sei er Gottes Stellvertreter. Dafür gab’s erstmals unter sieben Millionen Zuschauer für Wetten, dass…?. Weniger als jede Bauersfrausuche, zigmal mehr als all die versteckten Programmperlen 2013: Jan Böhmermann auf EinsPlus und Sarah Kuttners Bambule. Oli Dittrichs früstücksfernsehen vor Mitternacht oder Fritz Karl als Bad Lieutanant Unter Feinden auf Arte. Dafür kam man damit, um den neuen Tagesthemen-Chef Thomas Roth zu zitieren, gut durch die Nacht.
Posted: December 26, 2013 | Author: Jan Freitag | Filed under: 3 mittwochsporträt |
Schmunzel-Tatort
Im Tatort, einst ein Bollwerk nüchterner Beamten mit kleinen Macken, wird zusehends von Freaks und Komikern jeder Art wie Devid Striesow alias Jens Stellbring oder ab heute Nora Tschirner und Christian Ulmen ermittelt. Wird die erfolgreichste deutsche Krimireihe zur Comedy?
Von Jan Freitag
Wer soll da bloß den Überblick behalten: Wenn nicht noch schwere Erkrankungen, unerwartete Berufswechsel oder ähnliche höhere Gewalt ins Personal der erfolgreichsten Fernsehfilmreihe aus deutschsprachigen Landen einschlagen, ermitteln ab heute 20 Teams im Tatort. In Worten: Zwanzig! Das ist mehr, als diese dicht besiedelte, an Metropolen indes arme Republik an Ländern hat, mehr also, als der ARD-Länderproporz erfordert. Vor allem aber mehr, als geeignete Schauplätze zur Verfügung stehen fürs naturgemäß eher urbane Fernsehkernthema Kapitalverbrechen. Gut, es wird wie stets in vier Dekaden Fluktuationen geben; mit Nina Kunzendorf verlässt das Beste, was je in diesem Format aktiv war, ihr Frankfurter Morddezernat, Ulrich Tukur ist ein Kommissar auf Abruf, Christian Ulmen nebst Nora Tschirner wurden bloß als Weimarer Weihnachtsevent angekündigt und bei Schweizer Inspektoren weiß man auch nie so genau, wie durchhaltefähig sie sind. Doch insgesamt bleibt festzuhalten: wenn knapp ein Viertel aller Morddezernate seit 1971 zugleich auf Mörderjagd gehen, ist der Tatort bei aller Klasse längst Massenkampf.
Da bedarf es einiger Unterscheidungskriterien, besser: eines tragfähiges Ordnungssystems, um im Überfluss die Orientierung zu behalten. Früher, in der ausklingenden Schwarzweißära, da selten mehr als ein Dutzend Teams parallel Dienst taten, reichten zur Differenzierung noch die notorische Bulette von Hansjörg Felmy alias Heinz Haferkamp oder Schimanskis speckige Windjacke samt zugehöriger Sittenverlotterung. Heute dagegen, mit all den Standards zwanghaft bipolarer, vornehmlich geschlechtergemischter Teams, muss man Distinktionselement unterhalb individueller Gewohnheiten suchen. Genauer: beim Humor.
Denn das Erste, dieser quietschfidele Senderverbund, der mit seiner „Schmunzelkrimi“ genannten Vorabendreihe Heiter bis tödlich zeigt, dass Fernsehheiterkeit nun wirklich gar nichts mit Lachen zu tun haben muss, diese ARD also teilt seine Samstagabendbeamten zusehends in ernst und lustig, besser: lustig gemeint ein. Definierte sich bis 2002, dem Debüt der Münsteraner Spaßbrigade hiesiger Todesfallaufklärung, nur das singende Odd-Couple Stoever/Brockmöller als irgendwie drollig, läuft der Quotengarant mittlerweile über vor dem, was im öffentlich-rechtlichen Fernsehen so unter Frohsinn firmiert.
Zum Beispiel Jens Stellbrink. Putzige Sachen trägt der neue Saarbrücker Hauptkommissar seit Sonntag: Gummistiefel zu Bermudashorts, tihi, dazu ein vermschmitztes Dauergrinsen, garniert mit rotem Roller – das ist dem benachbarten TV-Komiker Gerd Dudenhöffer weit näher als Stellbrinks Vorgänger Max Palu, hat also in etwa das Unterhaltungspotenzial der Witze Waldi Hartmanns. Dennoch macht das Stilmittel skurriler Kriminologie längst Schule. Damit arbeitet etwa das Dortmunder Gespann Peter Faber & Martina Bönisch, das Jörg Hartmann und Katja Schudt so bizarr interpretieren, bis Fabers Borderlinesyndrom amüsant daherkommt.
Einen schrulligen Einschlag verzeichnet auch die frivole Kriminalhauptkommissarin Conny Mey (Kunzendorf) an der Seite des lallenden Joachim Król, ganz zu schweigen von Liefers & Prahl oder den Komödianten Nora Tschirner und Christian Ulmen, die ab heute als humoristische Eintagsfliege in die Wohnzimmer surren (auch wenn ihr Weiterleben zwischendurch angekündigt wurde). Und da ist noch nicht mal von Til Schweiger die Rede. Der schauspielerisch limitierte Klamaukveteran mit Kriegsfaible kann schließlich nur als Realsatire verstanden werden, seit er das einst ehrwürdige Format zum dumpfen Schlachtfeld amerikanischer C-Movies in all seiner Chuck-Norris-gestählten Mixtur aus darstellerischer Dillettanz und reichlich Bummbumm erklärt, was ja auch wieder nur irgendwie ulkig gemeint sein kann…
Damit wäre die Richtung vorgegeben: War Schweigers Urahn Manfred Krug an gleicher Stelle bis 2001 der einzige Kommissar mit ausgeprägt heiterem Arbeitsethos, so sind die Schweigers, Striesows, Tschirners, Hartmanns eine Art dritte Welle des Schrulligen im verstaubten Krimifach, nachdem die zweite vor gut zehn Jahren neben einem snobistischen Gerichtsmediziner mit Zwerg auch Charlotte Lindholms hypochondrischen Mitbewohner Martin (Ingo Naujoks) und die bisweilen vergnügten Hauptstadtermittler um den Großstadtcowboy Till Ritter (Domink Raacke) ins Erste gespült hatte. Derlei Kuriositätenkabinette, so scheint es, werden irgendwann die Sachwalter traditioneller Investigation aus München, Leipzig, Bremen, Ludwigshafen, Stuttgart, Wien und Köln mal in Rente schicken. Oder besser: in Rente schmunzeln.
Posted: December 24, 2013 | Author: Jan Freitag | Filed under: 4 donnerstagsgespräch |
Ich mag es unauffällig
Zwischen seriösem Drama und seifiger Schnulze, Tatort und Traumschift hat Jörg Schüttauf schon so einiges gespielt. Kein Wunder also, dass der Chemnitzer im heutigen Film-Special der biederen Arztserie In aller Freundschaft (25. Dezember, 20.15 Uhr, ARD) ohne mit der Wimper zu zucken eine Gastrolle übernimmt. Ein Gespräch über die Schwierigkeit des Leichten, seinen Kommissar Dellwo und Haare auf der Glatze
Interview: Jan Freitag
freitagsmedien: Herr Schüttauf, in Ihrer Gastrolle von In aller Freundschaft spielen Sie allen Ernstes einen gealterten Jockey im gediegenen Tweed.
Jörg Schüttauf: Ja, und…? Wenn sie mich in nur einer Rolle kennen, kann ich verstehen, dass das bei Ihnen Verwunderung auslöst. Da sollten Sie mich erstmal als Hundertjähriger der aus dem Fenster stieg und verschwand sehen, da bin ich erstmal alt.
Und wie kamen Sie dann bloß zu dieser Art Figur?
Na wie schon. Irgendjemand kam auf die Idee, mich zu fragen und ich habe ja gesagt.
Allerdings zu einer Rolle, die ihrem gewohnten Typus bodenständiger, weniger artifizieller Rollen widerspricht.
In so einem Outfit habe ich mich auch noch nie gesehen, aber wenn die Kostümbildnerin sagt, dass es so sein soll, dann ist das eben so. Und es wird ja auch höchste Zeit, das mal etwas frischer Wind… Aber schauen sie doch mal, was ich alles gespielt habe. Da finden sie ganz sicher etwas anderes als erwartet. Nichts ist müßiger als erklären zu müssen, was man in der Vergangenheit alles so gemacht hat.
Gab es Vorbehalte, als Sie auf dem Drehbuch In aller Freundschaft gelesen haben?
Nein. Zumal ich an dieser Serie beim Durchzappen noch nichts Peinliches entdeckt habe. Das ist handwerklich gut gemachtes Fernsehen, deren Darstellern ich die Figuren abkaufe.
Trotzdem gilt die Serie als ungemein bieder und altbacken.
Am Ende gibt ihr der Erfolg Recht. Natürlich kann man Arztserien auch anders machen. Aber wenn diese hier in den Augen vieler Millionen Zuschauer so gut funktioniert, dass sie es immer und immer wieder sehen, ist das schon mal gut. Zumindest für die Produzenten. Letztlich kann ohnehin kein Schauspieler einen schlechten Film retten; eine schlechte Rolle – mit etwas Geschick – schon.
Ist es womöglich gar die besondere Herausforderung, aus schlechten Stoffen etwas Gutes herauszukitzeln?
Gute Stoffe, wo beim ersten Hinsehen alles passt, sind so selten, wie Haare auf einer Glatze. Andererseits versuche ich jeder Anfrage, die sich im riesigen Portfolio guter Darsteller an mich wendet, im Sinne der Vorstellungen gerecht zu werden – auch wenn das bei manchenSzenen nicht so einfach ist. Aber das muss man in Kauf nehmen, wenn man gerne arbeitet, und diese Bemerkung sei mir gestattet, gelegentlich auch arbeiten muss, um das eine oder andere zu bezahlen.
Umso erfrischender muss es für sie doch sein, mal was anderes zu spielen als Ermittler
Wenn man meint, mich auf Polizistenrollen reduzieren zu müssen, soll’s halt so sein. Aber dem Dafürhalten vieler Beobachter nach habe ich in der Tat öfter Rollen mit „Hände hoch, Waffe weg, wo waren Sie am Donnerstag“ dargestellt.
Macht das denn mehr oder weniger Spaß als die Rolle des Täters?
Spaß macht grundsätzlich beides. Als Verbrecher oder Mann mit Geheimnis kann man es zwar mehr krachen lassen, als fragend durch den Film zu gehen. Aber auch das will gekonnt sein und ich bin meinem Dellwo im Hessischen Tatort bis heute dankbar, dass er mir die Möglichkeit gegeben hat, das so unaufgeregt und leise zu tun. Ich mag es unauffällig, egal ob schwierige oder leichte Rolle.
Gehen Sie an anspruchsvolle Stoffe mit geringerer Leidenschaft ran als, sagen wir: eine Folge Traumschiff?
Nein, nein und nochmals nein! Die anspruchsvollen Stoffe sind einfacher, weil du anspruchsvollere Partner hast. Das fängt beim Drehbuch an und geht bis hin zum Regisseur. Normales Unterhaltungsfernsehen lässt einen gelegentlich schon am Talent einiger Autoren oder Redakteure zweifeln. Nichtsdestotrotz kann man auch da etwas für seine Rolle, nicht zuletzt auch für sich selbst etwas rausholen. Mann ist ja kein Spielroboter, der auf Knopfdruck funktioniert. Noch nicht. Für die Entwicklung einer Serienfigur trägt man ja andere Verantwortung. Andererseits ist sie sogar leichter zu spielen. Und ernsthaft: ein Ehestreit in der Traumschiff-Kabine verlangt uns Darstellern alles ab. Das Zusammenspiel auf engstem Raum ist fast wie Ballett, jedenfalls nicht grundsätzlich schlechter als dieser heilig gesprochene Tatort. Auch da gab es ja schlechte Folgen, so wie es gute vom Traumschiff gibt.
Geht es Ihnen dennoch manchmal auf die Nerven, wenn man Sie immer wieder fürs kriminalistische Fach zu buchen versucht?
Absolut. Denn abgesehen von seltenen Ausnahmen, etwa adaptierter Literatur, ist doch vieles im Ermittlungsfernsehen zu schnell gestrickt und berechenbar. Da lobe ich mir Literaturverfilmung wie Arnies Welt von Maeve Carels, wo ich einen depressiven Bullen mit kleptomanischer Frau spielen durfte…
Wofür es sogar den Grimme-Preis gab.
Weil das geil war, weil es Schauspieler und Publikum fordert, weil es ungewöhnlich ist.
Sind Sie stimmungsabhängig bei dem, was Sie spielen?
Nein. Ich spiele gerade Theater, wo ich jeden Abend auf der Bühne stehen muss: Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand. Da hab ich gemerkt, dass das Stück umso besser funktioniert, je weniger Lust ich dazu habe.
Wenn Ihre Lust sinkt, weiter Krimis zu machen, müssten jetzt also die besten Ihres Lebens kommen.
Absolut. Zumal ich nachmittags gerade genügend Zeit habe, mir die tollen Ami-Serien anzusehen, Breaking Bad zum Beispiel. Da siehst du, wie gut Fernsehen sein kann. Alles ist schlüssig, nichts langweilig. Großartig! Es gibt auch bei uns immer wieder Lichter am Horizont, vor allem gibt es viele gute Schauspieler. Was hierzulande fehlt, sind gute Themen und Bücher; die werden einfach nicht finanziert oder laufen zur Nacht im Kleinen Fernsehspiel. Glaub ich – ich gucke lieber online oder DVD als das übliche Fernsehprogramm.
Ist das eine bewusste Entscheidung?
Na ja, im Moment spiel ich sechs Abende die Woche Theater und merke am siebten, wie wenig ich im Fernsehen verpasst habe. Aber ich selber habe ja genug Sachen gemacht, die die Welt nicht braucht. (lacht)
Braucht die Welt denn In aller Freundschaft?
Nicht die ganze, aber das ist solide, glaubwürdig, gut gemacht. Nichts, für das man sich schämen müsste. Mir reicht das … manchmal.
Posted: December 23, 2013 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |
Die Gebrauchtwoche
16. – 22. Dezember
Was man mit 73 Cent so alles machen kann? Früher, als Fernsehen besser beleumundet war und die Mark noch zehn Groschen wert, gab’s dafür im Süßwarengeschäft gut 25 Salinos oder zwei Liter Kraftstoff verbleit plus Bedienung an der Tanke. Und heute? Immerhin noch eine handelsübliche Tageszeitung, wenngleich nur einmal im Monat. So gesehen sind 73 Cent alles andere als die Welt, gelten aber zurzeit trotzdem als bemerkenswerte Summe. Schließlich wird der Rundfunkbeitrag ab 2015 um sie gesenkt. Eine Gebühr also, die Gegner naturgemäß „Zwangsabgabe“ nennen, weil andere Abgaben und Steuern (bis aufs Einwegpfand, versteht sich) bekanntlich freiwillig erfolgen.
Doch weit interessanter als ihre Höhe ist ja auch was anderes: Dass überhaupt darüber diskutiert wird, dass es gar zur Tagesschau-Meldung taugt, dass die Leute sich – Eurokrise hin, NSA-Affäre her und war da mal was mit Klimawandel? – so heftig über die Frage nach knapp 18 oder gut 17 Euro echauffieren können, belegt die anhaltende Relevanz dieses totgesagten Mediums namens Glotze. Die im Übrigen einher geht mit der des Pressewesens – auch wenn es sich seinen Bedarf oft etwas härter erkämpft. Denn wer noch immer daran zweifelt, wie überlegen seriöses Mitteilungsbedürfnis der Kotztüte Internet ist, wer glaubt, Blogs und Foren, Piraten, Kommerz-TV und Chatrooms könnten der gedruckten Substanz hauptamtlicher Journalisten kostenfrei das Wasser reichen, dem sei dieser Satz in der Süddeutschen Zeitung vom Dienstag empfohlen: „Während immer mehr von dem historischen Reeperbahn-Bestand durch hochpreisige Immobilienprojekte ersetzt wird, wodurch sich der einstige kreative Schmuddelbezirk in ein Schlumpf-Las-Vegas für Bustouristen verwandelt“, schreibt, nein: dichtet Till Briegleb da zum Thema Gentrifizierung auf dem Hamburger Kiez am Beispiel eines zum Abriss freigegebenen Aufwertungsobjektes, „trotzen die Scheibenhäuser mit der individuell bespielten Ladenkette dem kommerziellen Waschgang“.
Dass selbst seriöse TV-News im Chor mit der örtlichen Krawallpresse nach der zugehörigen Großdemo gegen das Kahlschlagsphänomen Gentrifizierung vier Tage später ausnahmslos über autonome Randalierer berichten, statt deren Motiven, geschweige denn polizeilicher Gewalt auch nur eine Silbe zu widmen, verstärkt die Notwendigkeit guter Zeitungen nochmals. Zumal die Öffentlich-Rechtlichen in ihrem Bemühen, stinkreiche Fußballclubs mit Live-Übertragungen selbst irrelevanter Spiele wie dem Weltpokalhalbfinale gegen ein chinesisches Retortenteam zu subventionieren, alle Verantwortung im Umgang mit Gebührengeldern fahren lassen. Und dafür dann auch noch mit sieben Millionen Zuschauern locker den Tagessieg einfahren. Immerhin: Die Sendung für fünf Jahre Katzenberger auf Vox wollte zeitgleich fast niemand sehen. Und weil noch weniger noch Harald Schmidt bei Sky sehen wollen, geht der ergraute Dampfplauderer am 13. März wohl endgültig vom Flatscreen.
Frischwoche
23. – 29. Dezember
Auf dem diese Woche mit einem anderen Schmidt namens Helmut startet, für den der Gratulationsmarathon zum 95. Geburtstag nach der mauen Finanzjongleur-Lovestory Die Abstauber mit der bemerkenswerten Reportage Lebensfragen beginnt. Und bevor das Weihnachtsprogramm tags drauf in seinen jährlichen Aberwitz aus zwanghaften Wiederholungen und absurder Privataction mündet, sei noch kurz ein Aberwitz der klassischen Art empfohlen: Das Porträt des französischen Film-Irrwischs Louis de Funès auf Arte, kurz vor zehn.
Dann aber geht’s los, das volle Festtagsbrett: Drei Nüsse für Aschenbrödel in Heavy Rotation und zwei Teile Pinocchio als animierte Neuinterpretation im Ersten. Im Zweiten Heiligabend mit Carmen Nebel und weihnachtsabends drauf fast das Gleiche mit Helene Fischer. 14 Stunden Edgar Wallace bei Kabel1 am Stück und eine Matrix-Folge pro Abend bei RTL. Aktualisierte Märchen am ARD-Nachmittag und Indiana Jones in der Sat1-Primetime. Alles tausendmal gesehen, alles Teil zeitgenössischer Weihnacht wie Dinner for One an Silvester.
Umso charmanter, dass ZDFkultur dem 24. Dezember tüchtig die Besinnlichkeit rausbläst. Ab elf mit sieben Stunden Hurricane 2013, danach bis Mitternacht mit dem Besten aus Wacken. Geht doch, mit dem abweichenden Programm. Was dagegen gar nicht geht: Ein Abend zum 50. Geburtstag, mit dem sich Sat1 Freitag stundenlang an Til Schweiger ranwanzt, der diese Peinlichkeit mit seinem Kommen dann auch noch zur eigenen macht. Geht dagegen ganz gut: Das so genannte Tatort-Event mit Nora Tschirner und Christian Ulmen am 2. Weihnachtstag, das nun ja doch 2014 verlängert wird. Dramaturgisch mag Die fette Hoppe zu mager sein; die zwei Ermittler sind einfach witzig.
Weniger witzig, dafür dramaturgisch eine Bank ist indes Axel Milbergs Kieler Kommissar, der Sonntag mit einer wunderbaren Episode Borowski: und der Engel zehn Jahre Reihenteilnahme feiert. Das ist unbedingt zu empfehlen, auch wenn parallel dazu auf Arte ein sehenswerter Themenabend zu Charlie Chaplin – Modern Times inklusive – läuft. Passend dazu ist auch der Tipp der Woche ein dokumentarischer: Searching for Sugar Man, Malik Benjellouls grandiose Suche nach dem erfolglosen Superstar Rodriguez (Donnerstag bei Servus TV). Und heute um 22.15 auf RBB: der erste Polizeiruf mit Bukow und König. Immer wieder ein Genuss.
Posted: December 21, 2013 | Author: Jan Freitag | Filed under: 6 wochenendreportage |
The Colour Rosa
Auch dieses Jahr geraten beim Weihnachtseinkauf viele Eltern in die Krieger- und Prinzessinnenfalle: Sie nehmen, was das Marketing ihnen unterjubelt, und erfüllen somit deren Rollenklischees. König Kunde wird zum Konsumopfer
Von Jan Freitag
Die drei großen „M“ der Weiblichkeit kommen nie zu früh. Auf dem Speicher, so geht die Kaufhaus-Legende, hat Barbie einen „magischen Glitzerschrank“ entdeckt, in dem sich alles um Make-up, Mode, Modelzukunft dreht. Per Knopfdruck können „Girls die Outfits und Accessoires ihrer Puppen verzieren“. Statt Tristesse echte Hingucker – erst der „Glitterizer“, so scheint es, bringt Licht ins triste Leben kleiner Prinzessinnen.
Hersteller nennen diese Anleitungen zum Rollenstudium für Dreijährige aufwärts gern „Traum in Pink“, Feministinnen wohl eher Inferno in allen Rosatönen. Es steht unweit dem blutroten, tarnfarbenen, anthrazitdüsteren für Jungen auf der anderen Seite des Mittelgangs. Da, wo noch für Windelträger die „Ära der Finsternis“ mit Mutanten Marke Gormiti beginnt, den „Transformers“ von „Lego oder „Ben 10 Alien Force DNA Heroes“. Im Weihnachtsgeschäft quellen die Kaufhäuser davon über, bis an die Zähne munitioniert, martialisch, muskulös. Doch die Ausweitung der Kampfzone im Kinderzimmer endet beim Y-Chromosom: Mädchen haben hier nichts zu suchen.
Damit sich keins verirrt, zieht der bundesweit größte Spielzeughändler Toys R Us einen Schutzwall: „Barbies Traumvilla“. Edelküche, Whirlpool, Himmelbett – was die Mutti von morgen so braucht. Trotz 199 Euro ist das dreistöckige Ungetüm auf einer der 57 knallbunten, sehr lauten, tannenzweigfreien, fast identischen Filialen irgendwo in Deutschland plötzlich ausverkauft. Raunen, Flüche, eine Frau protestiert laut. Offenbar laut genug: acht Minuten später wird der Spaß wieder hochgestapelt. Fest gerettet!
Ob Karstadt, Supermarkt oder Toys R Us: auch in diesem Jahr macht die Branche rund 50 Prozent ihrer Umsätze in den Wochen vor Weihnachten, stets entlang der Demarkationslinie: Hier die Jungszone voller Krieger, Alien-Invasoren und Monstertrucks; da die der Mädchen mit exakt zwei Themen: Mutterschaft und wie man sich den passenden Kerl dafür angelt. „Hast du den Zettel für Bill?“, ruft ein Vater über die rosa Mauer aus Traumvillen und lenkt den Einkaufswagen zu den Battle Strikers Metal XS2, während seine Frau für Klein-Sylvie zum Barbie Schönheitsstudio rollt, mit dem „Du Dich und Deine Freundinnen zu kleinen Prinzessinnen stylest“, wie es aus einem der Flatscreens röhrt. Konsumopfer König Kunde.
Der Handel delegiert jede Verantwortung für eine förderliche und spaßige Spielmixtur auf den Markt, dessen Konkurrenzdruck nun mal das volle Sortiment erfordere. Und auf die Erziehungsberechtigten natürlich. Nur: Mit dem ersten Spekulatius hageln auf kommerziellen Kinderkanälen stündlich bis zu 60 Werbespots aufs Zielpublikum nieder, unterbrochen durch Fiktion, die von „Hannah Montana“ über die Disney-Welt bis „Power Rangers“ bloß Reklame fürs eigene Merchandisings ist. Wenn Mama und Papa da abschalten, verstärkt die Trotzphase den Bedarf nur weiter. Zugleich macht die Industrie mit PR im dreistelligen Millionenbereich die Schutzbefohlenen von einst zu „Tweens“ oder „Pre-Teens“, was nicht nur spaßorientierter, sondern konsumtauglicher klingt als das biedere „Kinder“.
Kein Wunder, dass Erwachsene bei selbstbewussten „Kids“ mit einer Kaufkraft von zwei bis drei Milliarden Euro ein Imageproblem haben. In deren Spielwelten kommen sie wie in den lizenzgebenden Filmen und Serien wenn überhaupt, dann als nützliche Idioten vor, die in der Realität „eine repressive und freudlose Welt durchsetzen“, wie die US-Soziologin Juliet Schor in der „Zeit“ beklagt. So erinnert der Kampf ums Kinderzimmer an den der Finanzkrise. Die Spielzeugindustrie, schrieb das Magazin weiter, „bietet etwas potenziell Schädliches an, privatisiert die Gewinne und sozialisiert die Risiken“.
Die sind spürbar. Weil man mit „Disney Princess Rapunzel Schlossturm“ passend zum Kinostart eben Rapunzel im Schlossturm spielt, büßen die Spieler kreative Energie fürs Urteilsvermögen ein. Die Welle mechanischer Spielsachen, denen Kindergarten-Erfinder Friedrich Fröbel schon vor 200 Jahren die „Fröbelgaben“ Kugel, Zylinder, Würfel entgegensetzte, ist zur Flut geschwollen – und wir reden noch nicht mal von Nintendo und PC… Produzenten können noch so auf die Modelleisenbahn von einst verweisen – der Spieltrieb wird zusehends entmündigt.
Spielen im Jahr 2013 heißt Spielen nach Drehbuch. Besser: zwei davon: Prinzessin für Mädchen, Actionheld für Jungen. Die proben aus Sicht des Kinderpsychologen Dietmar Langer auch im Kriegsspiel soziales wie manuelles Geschick, sofern sie „emotional sicher gebunden“ sind; ab Herbst aber, mahnt der Rostocker Verbraucherschützer Matthias Wins, „werden Kinder und Eltern von Botschaften überhäuft, denen angeblich genau zu entnehmen ist, was für Jungen und Mädchen unterm Weihnachtsbaum liegen soll“. Darum empfiehlt er unabhängigen Rat. Stiftung Warentest etwa gebe Auskunft, „welches Spielzeug unter pädagogischen Gesichtspunkten eine Empfehlung verdient“.
Aber wer fragt schon nach, gerade im Weihnachtsstress, gerade in überladenen Spielzeugabteilungen großer Kaufhäuser, gefangen in der „Prinzessinnenfalle“, wie Psychologen das Dilemma festgelegter Spielszenen nennen. „For Girls Only“ steht auf dem Karton einer Kulleraugenpuppe mit Kuschelpferd. Nicht, dass jemand daneben greift.
Posted: December 19, 2013 | Author: Jan Freitag | Filed under: 3 mittwochsporträt |
Glaube, Liebe, Hoffnung
Mit den vier aufwändigen Verfilmungen voller Topstars des deutschen Fernsehens, erhöht die ARD ihren Kanon alter Märchen im neuen Gewand seit 2008 nun auf stolze 30 frische Filme. Nicht nur die Adventszeit ist voller Klassiker auf fast allen Kanälen, zumindest den öffentlich-rechtlichen. Warum eigentlich? Und warum nie bei den kommerziellen?
Von Jan Freitag
Es war einmal… Ach, eigentlich ist noch immer und gewiss erzählen unsere Enkel noch den ihren von bösen Hexen, guten Feen, Schneiderlein und Stadtmusikanten und was sich noch so alles in den uralten Erzählungen für Kinder tummelt. Märchen sind für die Ewigkeit – selbst im schnelllebigen Fernsehen. Und so füllt es sich dieser festlichen Tage mit allem, was das Genre hergibt. Seit 2008 aktualisiert die ARD das Werk der Brüder Grimm, ergänzt durch populäre Werke Hans Christian Andersens oder wie im vorigen Jahr der opulenten Modernisierung von Nils Holgerssons wunderbare Reise, dargeboten von Topstars wie Hinnerk Schönemann, Bastian Pastewka, Yvonne Catterfeld, solche Kaliber.
Vier brandneue Fassungen kommen unterm Reihentitel 6 auf einen Streich allein am ersten und zweiten Weihnachtstag hinzu: Vom Fischer und seiner Frau, Das Mädchen mit den Schwefelhölzern, dazu Die kleine Meerjungfrau und nach einer Neufassung des ebenfalls aktiven ZDF nun auch im Ersten Der Teufel mit den drei goldenen Haaren. Schon merkwürdig. Denn eigentlich galt der Kanon 2012 als abgeschlossen, was seinerzeit ja schon die frischen Titel belegten: Jorinde und Joringel oder Die Sterntaler durften im Grunde nur noch Kennern echte Begriffe sein. Aber was zählt, ist ja auch das Gesamtpaket.
Denn zu den Debüts gibt es ja noch die Klassiker, gern mal schwarz-weiß, oft aus dem Osten. Um die 50 deutsche wie tschechische Perlen laufen Jahr für Jahr zur Weihnacht, darunter gleich ein knappes Dutzendmal Drei Haselnüsse für Aschenbrödel von 1973. Nur die Privatsender bleiben selbst in ihren Kindersparten komplett Grimmfrei. Seltsam. Fragt sich also: Sind Märchen überhaupt noch zeitgemäß. Die Antwort lautet: jein. Erzählt werden antiquierte Geschichten barocker Charaktere in einer Welt, die der unseren fremd ist, mit konservativem Sippendenken, dass modernen Patchworkfamilien zuwider läuft, in einem Tempo, das jungen Sehgewohnheit hinterherhinkt, mit einer Bildsprache, die allen digitalen Tricks zum Trotz selbst der Dynamik von Bob der Baumeister unterliegt.
Doch dann ist da dieser Zauber, ein „mythischer Kern“, wie ihn Norbert Schneider nennt: „Klare Verhältnisse mit der Überraschung des Wunders“. Dank des Wiederkennungswertes schafft das aus Sicht des Medienkontrolleurs einen Kosmos, „in dem man sich total gehen lassen kann“. Und zwar ethisch grundiert statt haltlos wie im kommerziellen Reizgewitter. Märchen sind deshalb unzerstörbar, schreibt die Literaturkritikerin Evelyn Finger, „weil sie von unseren Träumen und unserer Verzweiflung handeln“. Weil sie Moralbegriffe bebildern, die altbacken sein mögen, aber nicht nutzlos.
Mit ihrer klaren Einteilung in gut und böse, richtig und falsch, ordnen sie die Realität vor. Mit mal despotischen, mal gütigen Herrschern heroischer bis feiger Untertanen, dieser Berechenbarkeit menschlichen Handelns bei konsequenter Verlässlichkeit des positiven Endes unter tierischer Mithilfe, dem Mix fataler Lagen, magischen Beistands und individuellen Eifers, lehren sie uns Fehlbarkeit, Fantasie, Widerstand, Gehorsam und den Glauben, einst vom Prinz aus dem dunklen Wald geholt zu werden. Darum sind Märchen eine Schule des Herzens. Sie nähren in uns Hoffnung und Zweifel zugleich.
Verglichen mit dem Restprogramm ist das ein ziemlich komplexes Vergnügen für die Kernzielgruppe der 3- bis 13-Jährigen. Schließlich sammelten die Grimms vor zwei Jahrhunderten ja eher für Wissenschaftler als deren Sprösslinge, wie Heinz Rölleke herausfand. Mit jeder Auflage aber wurden ihre „Kinder- und Hausmärchen“, die der Germanist 1975 als Anthologie französischen Ursprungs entlarvte, so lange verniedlicht, bis sie zum Vorlesen dieser literarischen Dürrephase für Heranwachsende passten. Umso erstaunlicher, dass ihr Kern subversiv blieb. Jede Figur, so Rölleke, verstoße für den Reifeprozess gegen Gebote. „Auch Rotkäppchen schert sich nicht um Ermahnungen.“
Unangepasst, autoritätskritisch, fast rebellisch, vor allem aber: familiär. Jacob Grimm war lange verärgert, dass bloß für den Verkaufserfolg „Kind“ im Buchtitel stand. Heute versammeln „nur Märchen alle Generationen am Lagerfeuer des Medienzeitalters“, erzählt KiKa-Planer Stephan Rehberg vom festen Sendeplatz am Sonntagmittag mit bis zu zwei Millionen Zuschauern. Den Eltern darunter, glaubt Rehberg, „geht es weniger um Erziehung als Romantik“. Die Moral von der Geschicht’ sei eher ein Zubrot. Auch für die Sender und ihre Darsteller, diesmal von Nina Kunzendorf oder Jörg Hartmann über Ben und Meret Becker bis hin zu Katharina Schüttler. Grimms Werke werden schließlich auch neu verfilmt fast unweigerlich zum Standardwerk in Endlosschleife, deren Wiederholungen sich schon kurz nach der Premiere kaum zählen lassen. Anders als die totale Abstraktion hektischer Comic-Märchen oder die ungewollte der Marke Degeto haben die Originale ewige Halbwertszeiten. Gestrig und aktuell, grausam und schön, real und zauberhaft – wie das Leben.
1. Weihnachtstag, 14.10 Uhr: Vom Fischer und seiner Frau; 15.10 Uhr: Das Mädchen mit den Schwefelhözern
2. Weihnachtstag, 14.10 Uhr: Die kleine Meerjungfrau; 15.10 Uhr: Der Teufel mit den drei goldenen Haaaren
Posted: December 18, 2013 | Author: Jan Freitag | Filed under: 4 donnerstagsgespräch |
Socken wärmen wenigstens
Der Berliner Erziehungswissenschaftler Dr. Friedrich Rost gilt als Koryphäe auf einem gerade in diesen Tagen ziemlich aktuellen Gebiet: Der Schenkforschung. Seine These: Geschenkt wird immer, an Weihnachten allerdings oft an der Schmerzgrenze des Finanzierbaren
Interview: Jan Freitag
freitagsmedien: Herr Rost, sind Sie als Schenkforscher eigentlich Sockenexperte?
Friedrich Rost: Überhaupt nicht. Dafür ist das Thema Schenken zu vielfältig. Vor allem die Traditionen in den einzelnen Familien sind ziemlich unterschiedlich.
Die Zeit meinte vor nicht allzu langer Zeit, Socken seien noch immer das wichtigste Weihnachtsgeschenk.
Das würde ich nach den mir bekannten Ergebnissen der Schenkforschung bezweifeln. Schlips, Oberhemd, Socken gelten zwar als klassische Geschenke an Männer, wobei die Socken allerdings oft fehlen. Zudem ist die selbst gestrickte Socke mittlerweile eine Rarität, weil kaum jemand noch Socken stricken kann.
Sind solche Socken dann kreative oder einfallslose Geschenke?
Auch da sind die Wertungen erst mal von den empirischen Fakten zu trennen. Socken sind ein sehr traditionelles Geschenk, wie es auch andere gibt, etwa Nahrung. Man könnte heraus zu finden versuchen, worin das Besondere der Socke besteht. Im angelsächsischen Bereich werden Weihnachtsgeschenke in Socken gepackt, bei uns nicht. Aber Socken wärmen und die Frage von Nützlichkeit oder Luxus der Geschenke ist ein wichtiger Gesichtspunkt.
Fahren Sie fort: Gab es eine Entwicklung vom Gebrauchs- zum Überflussgeschenk?
Nur der Arme braucht nützliche Geschenke. Wer alles hat, den kann man nur noch mit Luxusgaben erfreuen. Und daran kann man schon sehen, dass sich was geändert hat in der Geschenkkultur.
Gibt es Geschenke, die unabhängig von Sender und Empfänger gut sind?
Nein, das kann man nur im Kontext schaffen. Aber es hat sich verschoben. Früher gab man etwas von sich selbst …
Die Besten von Ferrero?
Nein, etwas das man selbst angefertigt hatte oder etwas, woran das eigene Herz hing und das wurde mit einer Art magischen Kraft übertragen auf den anderen. Der sollte das haben, damit jenem besondere Kräfte zuwuchsen.
Früher heißt?
Zum Beispiel in der Mittelalter, wenn der Vater sein Schwert auf den Sohn übertrug. Aber in dem Moment, wo man Geschenke im Laden kauft, wählt man für den anderen eine Gabe, die für diesen passt. Und da wird es schwieriger, weil man die Wünsche des anderen nicht so gut kennt wie die eigenen. Und Wünsche dürfen unter Erwachsenen ja nicht offen ausgesprochen werden. Deshalb muss man sich sehr in den anderen hineinversetzen. Adorno hat behauptet, wenn man sich ein bisschen Zeit nimmt, sich ein wenig in den anderen hineindenkt, würde man ein Geschenk finden, dass jenen beglückt.
Adorno hat bewusst geschenkt?
Das weiß ich nicht, aber er hat ja 1946 einen Essay geschrieben über den Verfall des Schenkens…
In der Minima Moralia.
…und das kann man dort so interpretieren. Aber auch diese Zeitdiagnose muss man immer überprüfen. Was neuartig ist, sind Beziehungsgeschenke: Man verbindet den Wunsch nach Beziehung über ein besonderes gemeinsames Erlebnis – die Einladung ins Kino, ins Theater, zum Essen.
Womit man sich auch selbst beschenkt.
Genau. Da ist das Egoistische am Schenken nicht so ganz versteckt.
Gibt es Wendepunkte des Schenkens – 68er-Revolte oder die Wende?
Erst mal wurde mit zunehmendem Wohlstand mehr geschenkt und die Kritik der 68er an diesem „Konsumterror“, wie sie es nannten, hat ein wenig zu Irritationen geführt. Aber mehr im psychischen Bereich. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Gerade danach wurde zum Teil sinnlos geprasst und reich beschenkt. Das ging selbst durch schlechtere Zeiten weiter. 1993 war das Jahr mit dem größten Weihnachtskonsum; danach setzte die Rezession spürbar Grenzen und die Gürtel wurden wieder enger geschnallt.
1993 war der Osten in der Geschenkkultur angekommen.
Ja, als die Arbeitslosigkeit noch nicht so schlimm war und Optimismus herrschte. Leute verschulden sich ja auch zu Weihnachten in der Hoffnung, sie in der Zukunft abtragen zu können. Wenn Sie sich angucken, was für Darlehen angeboten werden, was Kaufhäuser und Geschäfte sogar an Null-Prozent-Finanzierungen versprechen, kaufe jetzt, bezahle ab Februar.
Ist die Wiedervereinigung also in diesem Punkt vollzogen?
Es gibt wohl immer noch Nachholbedarf im Osten. Wie man der repräsentativen Studie von Ernst & Young entnehmen kann, wird im Durchschnitt teurer geschenkt als im Westen.
Noch immer?
Noch immer.
Gab es in BRD und DDR unterschiedliche Schenkphilosphien?
Dazu sind mir keine Untersuchungen bekannt. Aber zu Weihnachten, wenn viele Menschen beschenkt werden sollen und wollen, spielen heute Beziehungsnetzwerke eine größere Rolle. Es werden nicht mehr alle Verwandten und Freunde beschenkt, aber ein bestimmter Kreis. Oft wird auch schon ausgemacht: Wir schenken uns nichts mehr.
Nur bei Kindern werden keine Abstriche gemacht.
Die sind auch auf Geschenke angewiesen. Das ist der Grund, warum wir am Schenken so festhalten: Diese frühkindliche Freude, diese naive Magie, dass der andere uns beschenkt, weil wir offenbar liebenswert sind, beseelt uns und lässt uns auch als Erwachsene für Geschenke empfänglich bleiben. Auf der anderen Seite schenken Kinder auch gerne, sind also nicht nur Empfänger. Und Erwachsene beschenken Kinder viel lieber als Erwachsene.
Dummerweise werden Kinder immer anspruchsvoller.
Ja. Sie sind immer besser informiert, sie gucken Werbung, lesen Anzeigen und Spielzeugkataloge. Auf der anderen Seite: Wenn klar ist, dass nicht der Weihnachtsmann die Geschenke bringt, muss man über finanzielle Möglichkeiten reden und darauf hinweisen, dass es reichere und ärmere Menschen gibt.
Dennoch gehen Eltern oft bis an die Schmerzgrenze.
2005 gab es eine repräsentative Umfrage eines Internet-Spielzeughandels, dass pro Kind zu Weihnachten im Durchschnitt 326 Euro ausgegeben wurde. Das glaube ich nicht, aber an den Kindern wird sicherlich zuletzt gespart.
Nach dem Motto: Ist ja nur einmal Weihnachten.
In der Tat spielt das eine wichtige Rolle. Es ist eine Jahresschlussfeier und schon im alten Rom wurde das mit gegenseitigen Geschenken gefeiert, um ein gutes Omen fürs nächste Jahr magisch zu erzwingen.
Was für Schenkprinzipien gibt es sonst noch?
Ich habe keine Idealtypen herausgearbeitet, die ja so in der Realität nicht vorkommen. Es gibt bisher keine Theorie, die die vorhandene Praxis des Schenkens wirklich erklären kann. Es kommen sehr alte Traditionen zum Tragen. Dass das Schenken immer mehr zunimmt, wird mit einer Tendenz zur Großzügigkeit erklärt, die der „Geiz ist geil“-Mentalität des Feilschens und Kaufens antithetisch gegenübersteht.
Wie schenkt eine vierköpfige Familie mit sagen wir 3000 Euro Nettoeinkommen?
Die wissen, dass Weihnachten kommt, und kluge Menschen werden etwas gespart haben. Das Weihnachtsgeld, so denn noch welches gezahlt wird, wird oft auch dafür verwendet. Erwachsene haben zumindest eine Vorstellung, wer auf jeden Fall zu beschenken ist und wie hoch sich die Ausgaben insgesamt belaufen dürfen. Ansonsten gibt es ganz bestimmte Abstufungen nach Kriterien der Nähe. Etwa, dass man tunlichst die eigene Ehefrau höherwertig beschenkt als die eigene Mutter. Aber die Kinder, so denn welche vorhanden sind, stehen im Mittelpunkt. Weihnachten rangiert weit vor dem Geburtstag in der Hitparade der Geschenkfeste.
Welchen Einfluss hat die anhaltende Staats-, Banken- und Finanzkrise aufs Schenkverhalten der Deutschen?
Ich bin kein Hellseher, aber in Krisenzeiten, denken Sie auch an Kriegs- oder Nachkriegszeiten, wurde der Gürtel natürlich enger geschnallt.
Die Krise hat erstmals seit langem die Reichen fast ebenso hart getroffen wie so manchen Armen. Sind also Umsatzeinbußen des Einzelhandels im Luxussegment zu erwarten?
Ob härter, ist noch nicht absehbar, denn der Arbeitsplatzverlust des einfachen Arbeitnehmers hat für seine Familie meist existentiellere Auswirkungen als der Verlust der einen oder anderen Millionen bei den wirklich Reichen. Wie es beim Mittelstand aussieht, hängt sicher auch davon ab, wie sicher der Arbeitsplatz ist und wie viel Vermögen verloren ging.
Und davon, ob die Menschen erwarten, Ihr Geld sei bald nichts mehr wert und sie es deshalb ausgeben.
Wenn man der Studie von Ernst & Young folgt, dann sieht es eher danach aus, dass auch diesmal alle knapper kalkulieren, so wie dies eben in Krisenzeiten üblich ist.
Und was schenken wir uns in 25 Jahren – doch wieder Socken?
Also wenn es nach Joel Waldfogel geht, dem amerikanischen Ökonomieprofessor, schenken wir uns dann nur noch Bargeld; ein Trend zu Geld oder Gutscheinen ist auch bei uns in Deutschland zu beobachten. Beim Schenken in den USA wurde nach seinen Forschungsergebnissen viel Geld verschwendet, weil die Empfänger die erhaltenen Geschenke für sie inadäquat fanden. Und um den volkswirtschaftlichen Schaden zu minimieren, rät Waldfogel seit Jahren zu reinen Geldtransaktionen. – Das hat meines Erachtens mit dem traditionellen Schenken nicht mehr viel zu tun. Der Reiz manch schöner, selbst gemachter oder praktischer Geschenke fehlt dem Scheck oder Gutschein unter Weihnachtsbaum erst einmal. Die Socke wärmt wenigstens.
Posted: December 16, 2013 | Author: Jan Freitag | Filed under: 2 dienstagsmarthe |
Wer in Film und Fernsehen erstmals auftritt, macht sich oftmals bereits mit den ersten Worten bekannter, als einem als Zuschauer manchmal lieb ist.
Die deutsche Fiktion hat einen natürlichen Todfeind, gewissermaßen das Gegenstück zum ausgehungerten Löwenrudel im Revier ängstlicher Antilopen: Unkenntnis. Genauer: Informationsdefizit. Nichts, so scheint es entsprechend oft im Fernsehen, ist den Herstellern gewöhnlicher Prosa verhasster, als dem Zuschauer Wissen vorzuenthalten, das so etwas Unangenehmes wie Phantasie anregen dürfte. Weshalb – vorzugsweise Freitagabend im Ersten oder dem Sonntag ganztägig im ZDF – jeder nur erdenkliche Hinweis auf die handelnden Figuren im Moment ihres ersten Auftrittes gebündelt wird.
Das hat dann so absurde Folgen wie die, dass sich der leitende Angestellte eines Adelsgeschlechts im Melodram der Marke Pilcher beim Betreten der Bildfläche mit „Eure Lordschaft! Ich als Ihr Verwalter, der schon Ihrem Großvater die Geschäfte auf Lenborough Castle geleitet hat und nun neben dem Wiederaufbau des abgebrannten Gestüts auch die Hochzeitsvorbereitungen der unehelich schwangeren Lady Farnshire ordnet“ vorstellt. Merkwürdig. Aber nicht unlogisch. Denn diese Form Schmonzette, verwendet so viel Zeit, Energie und Ressourcen aufs Abfilmen von Liebesschwüren in traumhafter Landschaft, dass für technische Details schlicht Zeit, Energie und Ressourcen fehlen. Also wird alles im ersten Atemzug abgehandelt. Zu einem Zeitpunkt, an dem die Zuschauer noch nicht vollends sediert sind.
Posted: December 16, 2013 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |
Die Gebrauchtwoche
9.-15. Dezember
So ist es nun mal, wenn Alphatieren das Rudel abhanden kommt, wenn sie baufällig werden und ersetzbar: Dann suchen sich die grauen Wölfe der Macht neue Jagdgebiete und verkaufen wie der alte Freiheitskämpfer Gerhard Schröder für neue Despoten (Wladimir Putin) Gas oder der uralte Umweltschützer Josef Fischer für Klimakiller (BMW) Autos. Kein Wunder, dass auch Stefan Aust, der vor seinem geriatrischen Schwenk zur Atomlobby lange Zeit dem Kapitalismus die Leviten geschrieben hat, nun als Herausgeber zu Springers Welt geht. Übrigens jenes konservative Frontblatt, das zu Austs progressiver Zeit Gasangriffe auf palästinensische Flüchtlinge guthieß und der Todesstrafe für Kinderschänder noch heute geistig nahe steht.
Was moralisch verwerflich klingt, erschließt sich jedoch besser, wenn man die unmittelbaren Folgen des Wechsels betrachtet. Denn kaum war er vollzogen, kaufte sich sein Arbeitgeber in spe mit N24 gleich mal einen Nachrichtensender, dem Aust bereits als Gesellschafter vorsitzt – und vollzieht so scheibchenweise, was das Kartellamt vor acht Jahren verboten hatte: Springers Übernahme der ProSiebenSat1-Gruppe. Die allerdings muss sich nun fragen, woher sie künftig ihre ohnehin dürren Infomationsanteile bezieht. Schließlich wurden die vornehmlich von N24 geliefert – und sei es nur, um den Schein zu wahren, ein Vollprogramm zu sein. Ein Teil der kolportierten 120 Millionen Euro gehen also womöglich an Axel Caesars Erben, die sich den Erhalt des Anscheins sicher teurer bezahlen lassen werden, als die kommerzielle Karikaturen seriöser TV-News bislang gekostet haben.
Andererseits: schlimmer als das pathetische Trara, in dem sich ein ZDFspezial Dienstag durch die Trauerfeier für Nelson Mandela dramatisiert hat, kann es bei den Privaten auch nicht sein. Viele von denen, raunte es da aus dem Off, „die hier heute dabei waren, werden diesen Tag niemals vergessen“. Steile These. So wie die von Lanz, mit Wetten, dass…? aufzuhören wäre „uncool“, wie er dem Stern neben allerlei Fehlern in der Donnerstagsausgabe gestand. Nein, lieber Markus, uncool sind Männlichkeitesriten. Etwa „die Meute“, wie er Kritiker nennt, „zu ärgern“. Cool dagegen ist Scheitern, wie auch diesen Samstag, wo ganz 330.000 Zuscher mehr als beim kürzlichen Allzeittief schon zur Erfolgsmeldung hochgeblasen wurden. Oder mal einen Appell ins Netz zu blasen. Zum Beispiel den:
KAUFT NICHT BEI AMAZON!
Aber das nur nebenbei, also am Rande des einzig wahren Medienscoops der vorigen Woche: Der werbewirksam als „einmaliges Event“ angekündigte Weihnachtseinsatz von Nora Tschirner und Christian Ulmen als Weimarer Tatort-Duo soll nun doch – Überraschung! – fortgesetzt werden.
Die Frischwoche
16.-22. Dezember
So wie das Schicksal der fiktiven Fabrikantenfamilie Mallinger. In Beste Bescherung haut ihr Regisseur Rainer Kaufmann heute im ZDF erneut das großbürgerliche Getue um die Ohren, was auch beim dritten Mal sehr unterhaltsam ist. Und trotz aller Skurrilität realistischer als die paar ernst gemeinten Momente bei Ein Quantum Trost parallel im Ersten, wo 007 gewohnt sinnfrei noch jedes physikalische Gesetz ignoriert. Wie man Geschichten über harte Kerle im Kampf gegen widrige Elemente macht, ohne dass ständig Testosteron aus dem Bildschirm suppt, zeigt dagegen Baltasar Kormákurs isländischer Film The Deep morgen um 22.05 auf Servus TV, während der ARD-Mittwochsfilm Was machen Frauen morgens um halb vier beweist, wie wenig Östrogen nötig ist, um eher weibliche Themen zu verhandeln. Wenn Brigitte Hobmeier darin ihre bayerische Landbäckerin dadurch vor der Pleite rettet, Dubaiern Christstollen anzudrehn, spielt ihr Chromosomensatz eine untergeordnete Rolle.
Was man fürwahr nicht von all ihren Geschlechtsgenossinnen behaupten kann. Eine davon hat das Klischee der dämlichen Silikonblondine so konsequent perfektioniert, dass ihr Stammsender Vox Dienstagabend allen Ernstes 5 Jahre Daniela Katzenberger feiert. Kommen wir also zu etwas mit ein paar Hirnzellen mehr. Die zweite Staffel der britischen Serie Downton Abbey, wo ab Freitag auf ZDFneo drei Tage am Stück der Niedergang des britischen Adels vor 100 Jahren verhandelt wird. In Der kleine Lord dagegen hat blaues Blut noch Gewicht und eröffnet parallel im Ersten wie jedes Jahr das Weihnachtsprogramm.
Zwischendurch verabschiedet sich der Fußball mit einer sportlich irrelevanten, betriebswirtschaftlich profitablen Klub-WM in die Winterpause. Von Mittwoch an läuft die öffentlich-rechtliche Dauersubvention des FC Bayern also nochmals auf Hochtouren und könnte am Samstag sogar den Kriegsfilm Laconia aus der ARD kegeln, falls die Münchner Milliardäre das Finale in Agadir erreichen. Weniger lukrativ, dafür soziokulturell relevant ist da die Doku Kiezrock und Punkrock über das Phänomen des FC St. Pauli, mit der ZDFkultur dem gleichen Sport zwei, drei Dimensionen tiefer auf den Grund geht.
Für Kinder gibt’s auch was: Hermine Huntgeburths Kinoversion von Mark Twains Tom Sawyer am Freitag auf Arte. Für Satirefans den Jahresrückblick Nuhr 2013 (Montag, 22.55 Uhr, ARD). Für Kriminalisten: den neuen Tatort aus Bayern, diesmal – versprochen! – nicht von Dominik Graf, also auch ohne Vollnarkose verträglich. Und für Wochentippfans den Tipp der Woche: Bang Boom Bang, Dienstag auf Tele 5, die vielleicht beste Ruhrpottkomödie ever. Und der Konsumtipp der Woche zur Weihnacht: KAUFT NICHT BEI AMAZON! Oder hatten wir das schon?
Posted: December 11, 2013 | Author: Jan Freitag | Filed under: 3 mittwochsporträt |
Ottonormalverbrecher
Seit vorigem Freitag läuft endlich die letzte Staffel von Beaking Bad und klärt die Frage, ob ein sympathischer Schwerverbrecher wie Walter White darin überleben darf. Sein Darsteller Bryan Cranston ist da skeptisch.
Von Jan Freitag
Kinder gehen gar nicht. Seit das Privatfernsehen die Sehgewohnheiten vor fast drei Jahrzehnten nachhaltig radikalisiert hat, lässt sich der gemeine Fernsehzuschauer zwar nur noch mühsam schocken. Pornografie, Gewaltexzesse, Werbeflut, selbst Vergewaltigungen rauschen ja längst durchs Publikum hindurch wie atomare Strahlung – irgendwie giftig, aber kaum merklich. Wenn allerdings Kinder betroffen sind von der Verrohung am Flatscreen, der mal eine Bildröhre war, regt sich doch noch etwas im Gewissen.
Sogar bei Breaking Bad.
Am Freitag, den 13., eine Woche nach dem heutigen Start der letzten Staffel einer TV-Serie, die nicht wenige als beste aller Zeiten betrachten, erwischt es nämlich mal wieder einen Minderjährigen. Gezielter Schuss ins Herz. Von einem Profi, so eiskalt wie berechnend. Denn es geht wie so oft ums Überleben. „Er oder wir“, erklärt der Mörder seinen entsetzten Komplizen, warum es zwingend nötig war, den minderjährigen Zeugen einer ihrer vielen Verbrechen vom Motorrad zu schießen. Und Walter White, jener todkranke Chemielehrer aus New Mexiko, der sich beim Serienstart entscheidet, seine Familie vorm eigenen Exitus durchs Kochen illegaler Drogen zu versorgen, er nennt dazu drei nüchterne Handlungsoptionen: Den Killer zu feuern, zu beseitigen oder zu behalten. „Ich bin für Möglichkeit drei.“
So tickt Breaking Bad seit nunmehr fünf Jahren. Mit dieser Mischung aus bürgerlichen Bedenken und krimineller Energie hat Vince Gilligans Meisterwerk weltweit für Furore gesorgt. Und besonders Bryan Cranston ist in 62 Folgen vom soliden Darsteller gewöhnlicher TV-Formate wie Malcolm Mittendrin oder Diagnose Mord zum Superstar des globalen Serienfernsehens gewachsen. Fast 50 Jahre alt musste der spröde Kalifornier also werden, um mit seinem bieder diabolischen Walter White nicht nur dreimal den Emmy als bester Hauptdarsteller zu gewinnen, sondern nichts weniger als Filmgeschichte zu schreiben.
Beides sieht man ihm allerdings keinesfalls an, als er zur Vermarktung des Serienfinales in ein Londoner Luxushotel bittet. Oberhemd, Jeans, Pullover, akkurater Vollbart, offenes Lächeln, „nice to see you“ – Bryan Cranston ist exakt jener All-American-Guy, der in seinem späten Durchbruch peu à peu zum All-American-Gangster wird. „Der die größtmögliche Entwicklung durchmacht, die unser Land zulässt“, wie es Cranston, der es als Scheidungskind aus armen Verhältnissen selber bis nach oben geschafft hat, fühlbar stolz auf sein Werk ausdrückt. Ein typischer Mittelklassmann mit Mittelfrau, Mittelklassewagen, Mittelklassehaus, der den Wunsch lebt, „aufzusteigen bei gleichzeitiger Erkenntnis, dass letzteres in Amerika zusehends unmöglich ist“. Das mache Breaking Bad so interessant. „Denn Walt steigt tatsächlich auf!“ Und wie! „Aus der Mittel direkt in die Upper Class!“ Klingt wie ein Märchen, aber Cranston Grinsen leitet die entscheidende Frage nach dem Erfolgsgeheimnis der Serie ein: „Ist er darin glücklicher?“
Ist er nicht.
Denn in der letzten Staffel, die der Pay-TV-Kanal AMC betriebswirtschaftlich klug in zwei Teile gesplittet hat, wird Walter White zwar endgültig zum Gangsterboss; seine spießbürgerliche Kleinstadtidylle mit einem Pool, zwei Kindern und einer Menge Hypotheken, das also, wofür er den Weg in die Unterwelt überhaupt gegangen ist: ein Trümmerfeld, blutgetränkt zudem. Da sei es „schwer vorstellbar“, Cranston sucht bei seiner Agentin im Zimmereck nach Zustimmung für so viel Vorschusswissen, „dass sein Leben nach dem Finale einfach normal weitergeht“. Im Produktionsland selbst wollten Ende September sagenhafte zehn Millionen Leute im allerletzten Teil sehen, was genau der Hauptdarsteller damit meint. Es war Rekord für ein kostenpflichtiges Angebot, das gleich mal die sorgsam lancierte Neuigkeit nach sich zog, es würde doch eine Fortsetzung geben – wenngleich ohne Walt, Jessie, Hank, Skyler, den derzeitigen Stars. Stattdessen mit Saul Goodman, dem windigen Anwalt der Bösen.
Das allerdings wäre nicht mehr die brillante Story von Aufstieg und Fall einer ganzen Klasse, die – wie Cranston meint – nicht ganz ohne Zufall im Knall der platzenden Immobilienblase angelaufen ist; es wäre ein schlichtes Spin-Off mit der Chance, alte Fans ein wenig länger an die Geschichte zu binden. Eine Idee wie Breaking Bad selbst dagegen, das gilt sogar im Licht dramaturgischer Überraschungen wie Homeland oder Lilyhammer, wird sich so schnell nicht wiederholen lassen. Das Höchstmaß dessen nämlich, was Cranston „Manipulation“ nennt: Der Gesellschaft so unterhaltsam, so geschickt vor allem den Spiegel vorzuhalten, dass selbst ein väterlicher Verbrecher wie Walter White „bis tief in die 4. Staffel für viele noch als Good Guy“ gilt. Doch keine Sorge: in der 5. denkt das nicht mal mehr der Ottonormalverbrecher selbst.