Fernsehhotels: bodenständig & nobel

Luxus für alle

Wenn Hotels in Film und Fernsehen zu Hauptdarstellern werden, sind es meist Nobelherbergen wie in der spanischen Hochglanzserie Grand Hotel, die ab Dienstag im Disney Channel läuft. Oder aber sie sind schwer sanierungsbedürftig. Dazwischen gibt es fast nichts. Eine kleine Reise durch die Fernsehgastronomie.

Von Jan Freitag

Die Welt der Wirtschaft, sagen zugehörige Wissenschaftler, verläuft in Wellen. Aufschwünge folgen stets Abschwüngen und umgekehrt, es ist ein einziges Wogen wie er Ozean im Herbststurm. Nachdem die Kurve zuletzt in kurzer Folge heftig bergab ging, weist sie nun wieder sachte aufwärts. Schuld am Sturzflug waren Spekulanten, Heuschrecken, Banken, Finanzminister, die Bösen also. Man zählt sie zur New Economy, die im Gegensatz zur Ökonomie alter Prägung angeblich weniger Werte kennt, weder Ethik noch Moral. Doch ganz gleich ober Auf- oder Abschwung, Boom oder Baisse, Millionenboni oder jump you sucker – offenbar nächtigen ihre Geschäftsreisenden ausnahmslos in Designausgaben edler Hotelketten, nicht in traditionellen Kästen wie dem Lindbergh in Berlin.

Was auch daran liegt, dass es der Phantasie des ZDF entstammt und 2006 unterm Titel Fünf Sterne für Quote sorgte. Über mehrere Jahre kennzeichnete dieser Luxusklotz einen Stil, der die Kritik am rüden Kapitalismus von heute gewissermaßen gastronomisch flankiert: wann immer Hotels im Fernsehen Hauptrollen spielen, um mit einem „Grand“ vorweg Nostalgie und Würde zu verkörpern, werden sie zu Nischen einer Marktwirtschaft, die noch für Wärme sorgt. Das ist im fiktiven Grand Hotel der fiktiven Beherbergungsdynastie Alarcón in einer fiktiven Stadt namens Cantaloa nicht anders. Nächsten Dienstag startet die träumerische Serie aus dem krisengeplagten Spanien zur besten Sendezeit beim krisenfest traumwedelnden Disney Channel und es geht dabei um ein Fin de Siècle, das vor allem glitzert. Das schön ist. Prunkvoll ist. Telegen ist. Und voller Hoteliers, die es gut meinen mit dem Gast und der Welt ringsum.

Denn so wie Familienunternehmen gegenüber Vorstandskonzernen gütig, fürsorglich, ja: selbstlos daherkommen, stehen TV-Hotels im gediegenen Beherbergungswesen stets für Kundennähe und Liebreiz. „Europas alte Residenzen sind keine anonymen Glas- und Glitzerpaläste, sondern bieten die feinste Kulisse für Leidenschaften, Politik und Kunst“ – so kündigte die ARD mal ihre anbiedernde Dokumentarreihe Menschen und Hotels an und schilderte elitistische Häuser vom Brenners Park in Baden Baden bis zum Londoner Savoy als solche „mit Tradition und Geschichte“, in denen „Könige und Präsidenten, Musiker, Maler, Stars oder Sternchen“ übernachtet hätten.

Macht und Ruhm, Tradition und Geschichte – schöne alte Welt. Im Lindbergh verteidigt sie der Namensgeber gegen den skrupellosen Investor: erst bei einem edlen Tropfen im burgartigen Weinkeller und schließlich per Faustkampf. Aug in Aug mit bloßen Renditeerwartungen erscheint die Hemdsärmeligkeit echter Kerle plötzlich als ebenso seriös und praktikabel wie überbordender Luxus. Das durfte zuletzt Heinz Hoenig als Chef eines Hamburger Spitzenhotels im ARD-Zweiteiler Rose unter Dornen belegen, das findet sich im spanischen Grand Hotel, wo sich edle Betreiber unablässig finsterer Intriganten erwehren müssen, die das behagliche Haus auf Rendite trimmen wollen. Kein Wunder, dass Hotelserien Produkte der krisenhaften Siebzigerjahre sind. Zwischen Ölkrise und Massenarbeitslosigkeit entstand Hallo, Hotel Sacher, Portier und setzte der realen Hektik 1973 das plüschige Wiener Denkmal entgegen, dessen Standestreue so arglos war wie im Haus am Eaton Place zur gleichen Zeit. Auf einmal wirkte die Klassengesellschaft so behaglich, dass unter Vernachlässigung exorbitanter Zimmerpreise, elitärer Atmosphäre und sozialer Hackordnungen eine Reihe fürstlicher Gasthöfe zu Drehorten wurden. Vom britischen Hotel in der Duke Street ab 1978 über Arthur Haileys 105-teiliges Hotel  der Achtziger bis hin zum exotischen Hotel Paradies, Roy Blacks Schloss am Wörthersee oder girl friends im Folgejahrzehnt. Stets waren die Häuser Projektionsflächen einer telegenen Mischung aus Glamour und Arbeit, Hierarchie und Luxus, Dienstbarkeit und Muße, Alltag und Urlaub.

Die Zuschauer sehnen sich nach Bodenständigkeit und Überfluss in einem. Sie möchten nur kurz am Jet Set der Klatschpresse schnuppern wie all jene Touristen, die von livrierten Portiers freundlich am Betreten des Adlon gehindert werden. Aber wer dank exorbitanter Preise leider draußen bleiben muss, dem bleibt ja als Ersatz noch die Vielzahl an Dokumentationen über Berlins teuerste Adresse oder jenes opulente Melodram in Starbesetzung, mit dem das ZDF Deutschlands berühmtester Herberge Anfang vorigen Jahres einen werbewirksamen Dreiteiler schenkte, der Das Adlon samt seiner Inhaber in weichgezeichnetes Wohnstubenlicht tauchte.

Was beweist: Das Thema reizt. Und damit es nicht zu sehr abhebt, checkt manch Ottonormalverbraucher in vielen Formaten zwar ein paar Sterne über seinem Kreditrahmen ein. Doch wenn der schwäbische Angestellte bei einer mühsam ersparten Silberhochzeitsreise auf dem Traumschiff die Augen aufreißt vor Glanz und Gloria und Wunderkerzen beim Captain’s Dinner, ist er sich seiner Wurzeln eben doch stets bewusst. Und um auch seinem  Geldbeutel gerecht zu werden, begab sich der NDR mal in die Tiefen der Mittelklassehotellerie und möbelte im Coaching-Format Retten Sie unser Hotel Familienbetriebe mit Namen wie Tannengrund auf. Am Ende träumt der gemeine Gastronom ja doch vom eigenen Haus für die Schönen und Reichen. Der Kunde will es so. Und der Zuschauer erst recht.

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Karl Bartos: Ex-Kraftwerker & Jetzt-Frickler

Ich kann nicht anders

Der zweite von links ist alt geworden, aber nicht müde. Bei Kraftwerk war Karl Bartos bis zu seinem Ausstieg 1990 volle 15 Jahre für Gesang und Rhythmus zuständig, mit 61 geht er gerade mit seinem Solo-Album Off The Record auf Tour, die heute in Nürnberg Station macht, morgen in Berlin und Freitag in Hamburg. Begegnung mit einem Mann, der globale Musikgeschichte geschrieben hat – das aber im Gespräch beharrlich leugnet.

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Karl Bartos, wenn man Sie diesen Samstag den weltweit wichtigsten Musikpreis „Grammy“ fürs Lebenswerk erhält – klingt das dann wirklich ehrenwert oder bloß alt?

Karl Bartos: Der Preis ja zumindest insofern ambivalent, als wir ihn Samstag gemeinsam mit den Beatles, den Isley Brothers und Kris Kristoffersen kriegen. Andererseits ist ein später Grammy allemal besser als gar keiner. Er wird aber mein Leben, über das ich gerade ein Biografie schreibe, nicht verändern.

Und das von Kraftwerk?

Auch nicht. Ich spreche allerdings nicht für andere wie Floria Schneider, Wolfgang Flür, Emil Schult oder den derzeitigen Inhaber des Trademarks Ralf Hütter

Wer wird den Preis in L.A. denn entgegennehmen?

Keine Ahnung, ich hab keine Einladung gekriegt. Aber John Lennon ist ja auch nicht da, um den für die Beatles anzunehmen.

Hätten Sie beide ihn wegen der innovativen Kraft Ihrer Bands schon früher kriegen müssen?

Dafür war Kraftwerk vermutlich schon immer zu unkommunikativ.

Im Sinne von öffentlichkeitsscheu?

Ja. Wir waren eben nicht verheiratet mit der Popkultur, deren Erfolg vom Zugang zu den Medien lebt. Und dann sind wir auch noch ein Produkt des Marshallplans (lacht); kein Wunder, dass vor uns noch keine Band aus Deutschland den Grammy gewonnen hat…

Dabei hat dieses Marshallplanprodukt den Pop mit Ihnen als 2. von links auf der Bühne förmlich revolutioniert, mit der vollständigen Ersetzung analoger Signale durch elektronische, digitale?

Da bin ich mir gar nicht sicher. Genau das lag damals ja schon länger in der Luft, als die Neue Musik der Vorkriegszeit in die Avantgarde überging. Wirklich neu an unser war allenfalls der Gedanke des Futurismus wie bei Filippo Marinetti in Italien, Pierre Schaeffer in Paris, Karlheinz Stockhausen in Köln. Sein Gesang der Jünglinge konstatierte schon 1955, dass Musik nicht unbedingt aus Harmonien, sondern Geräuschen bestehen kann, egal ob sie aus der Natur, Instrumenten oder der Technologie entstehen. Aus diesen akustischen Cocktails haben wir unseren eigenen Futurismus gezogen.

Futurismus im Sinne einer zivilisationskritischen Dystopie oder einer Utopie, die den Untergangsszenarien der Siebzigerjahre entgegengewirkt hat?

Unbedingt einer Utopie. Der Gedanke des Futurismus war ja vor allem musikalischer Natur, sich nicht immer wieder auf Beethoven und seine neuen Symphonien zu beziehen, sondern eigene Klangfolgen jenseits der Klassik zu entwerfen, denn genau wie Medien die Inhalte der Information beeinflussen, erschafft jedes neue Instrument neue Inhalte in der Musik. Das Thema war also eigentlich schon durch, die Gruppe Kraftwerk hat nur die maschinellen Möglichkeiten ihrer Zeit genutzt.

Und der breiten Masse zugänglich gemacht.

Nicht mal das. Ansätze von Neuer Musik und Avantgarde finden sich vom Rock’n’Roll über die Beatles bis hin zu John Cage lange vor uns. Die Manipulation der Tonbandgeräte und Synthesizer auf Abbey Road sind bloß nicht als solche deklariert. Das Innovative an Kraftwerk war so gesehen vor allem eine der Klangperspektive: Wir benutzen die Technologie nicht nur, sondern kennzeichnen sie auch als solche.

Alles eine Frage des Labels?

Des Benennens! Wir haben das, was endlich bei uns angekommen ist, industrielle Musik genannt. Als ich bei Kraftwerk begonnen habe, hatte ich noch nicht mal einen Computer; der kam erst 1976, so ein klobiger XT von IBM für 12.000 Mark.

Aber setzen wir mal voraus, die meisten Menschen empfinden Kraftwerk auch musikalisch als innovativ: Was ist an Karl Bartos 2014 ohne Kraftwerk innovativ?

Das ist mir völlig egal. Und innovativ sind auch selten Musiker selbst, sondern ihr eingesetztes Werkzeug. Als die Kunst erkannt hat, dass Beethovens Symphonien in ihrer Perfektion nicht weiterzuentwickeln sind, hat sie sich den Synthesizer erschaffen. Es mag ein gutes Verkaufsargument sein, Musik innovativ zu nennen. Sein Sinn ist für mich ein anderer.

Nämlich?

Die Ritualisierung des Lebens und Strukturierung seines Rhythmus. Seit Vivaldi wissen wir ja, dass es Jahreszeiten sogar als Klangfolgen gibt. Musik hat mit Zeit zu tun; so wie unser Leben in Jahre, Tage, Stunden, Sekunden eingeteilt ist, teilt sich die Musik in Takte, Schläge, Metren. Musik ist die Artikulation der Zeit, mehr nicht.

Also machen Beethoven, die Beatles, Kraftwerk und Motörhead im Grunde das Gleiche mit anderen Mitteln?

Ganz genau. Weil jeder Musik anders hört, interessieren mich daran vor allem die Wechselwirkungen. Ob Matthäus-Passion, Hardrock oder Kraftwerk ist dabei egal. Erstens strukturiert Musik unser Leben, schafft zweitens Ordnung, ohne das Chaos auszuschließen, spendet drittens Trost, Wärme, Unterhaltung. Und ist viertens zeitlos, obwohl sie die Zeit artikuliert. Diese Widersprüche treiben mich an, was ich daraus mache, ist in meiner musikalischen DNA gespeichert. Ich kann nicht anders. Ob das alt oder neu klingt, ist mir gleichgültig.

Immer wieder neu war und ist allerdings die Verschmelzung von Bild und Ton, der bei Ihnen ebenso zentral ist wie bei Kraftwerk.

Aber auch das lag an der damaligen Zeit und setzt sich bei uns nur auf besondere Weise fort. Schon auf einer Platte von Frank Zappa, den ich neben den Beatles sehr verehrt habe, stand: This record is an acoustic movie. Das hatte natürlich auch mit den lustigen Zigaretten zu tun, die man damals rauchte, aber Zappas Musik war schon vor uns zutiefst visuell, schon weil sie sich alle Zeit der Welt nehmen konnte, statt alles in drei Minuten packen zu müssen.

Bei Ihren Konzerten sind es 90 Minuten.

Die aber ihrerseits stark strukturiert sind, wie ein Film. Als ich auf der Universität der Künste Auditive Mediengestaltung studiert habe, als einziger Musiker im Fach Sound Studies, hatte Popmusik noch eine höhere Bedeutung und höhere Botschaften als heute. Jetzt stellen sich im Fernsehen ständig arme Teufel vor eine Jury und werden bewertet, das ist purer Wettbewerb. Pop ist dem Sport längst ähnlicher als der Musik.

War die ostentative Bewegungslosigkeit von Kraftwerk so gesehen auch ein Statement gegen den aufkommenden Wettkampfgedanken im Pop?

Täuschen Sie sich nicht! Wenn man sich alte Videos von uns ansieht, ist da ganz schön Bewegung auf der Bühne. Im Stück Pocket Calculator von 1981 schließen wir technische Geräte an die PA und improvisieren dazu eine Choreografie, das war eher Pina Bausch als regungslos.

Das gängige Bild von Kraftwerk sind allerdings vier Programmierer, fokussiert auf ihr Instrument.

Heute mag das so sein, aber vielleicht sind das ja gar keine Menschen mehr, sondern Roboter (lacht). Verglichen damit, aber auch mit Konzerten der Beatles, die stocksteif vor den Mikros standen, waren unsere früheren Auftritte Rockkonzerte. Zumal wir echte Namen trugen: Ralf, Karl, Wolfgang, Florian. Dann erst hat sich das Konzept von meinem Selbstverständnis als Musiker gelöst.

Und wie bewegt sich Karl 2014?

Ich versuche die alte Langeweile, nur dazustehen und wichtig auszusehen, aufzubrechen. Bis zu dieser Tour habe ich die Visuals live modifiziert, jetzt mache ich wieder mehr Musik, singe sowieso, spiele Keyboard – das schafft Dynamik.

Und scheint mir auch tanzbarer zu sein als Kraftwerk.

Ich bin von meiner musikalischen Ausbildung her ohnehin eher rhythmisch.

Wenn man wie Sie seit 40 Jahren auf der Bühne steht…

45 sogar.

… hat man dann irgendwann mal genug davon?

Nein. Das ist mein Beruf. Ohne ihn fehlte mir der Bezug zu den Menschen. Nur noch zuhause Musik zu machen wie Brian Wilson, der sich eine Fuhre Sand ins Wohnzimmer hätte kippen können und dort bis ans Lebensende Surfmusik komponieren – das wäre nichts für mich. Wir Menschen brauchen die Spiegelung in anderen. Weil die Medien nur eine transzendierte Version des Selbst bieten, muss man als Musiker in Gesichter blicken. Als ein abgebrochener Kunststudent aus Liverpool mal come together / right now / over me sang, war das ein zentraler Satz für mich, weil er den Beruf des Musikers auf den Punkt bringt. Musik ist Kommunikation, und damit möchte ich nie aufhören – egal, wie schwer es meinen Beinen auch fiele. So gesehen betrachte ich den Grammy eigentlich als eine Art Tapferkeitsorden. Toll.

Off-The-Record-Tour:

29.01.2014 Festsaal K4, Nürnberg

30.01.2014 Postbahnhof, Berlin

31.01.2014 Grünspan, Hamburg

01.02.2014 Amager Bio, Kopenhagen/DK


Lanz’ Zähne, Putins Spiele, deutsches Fleisch

Werbung, RFT Color 20, FernseherDie Gebrauchtwoche

20. – 26. Januar

Das Dschungelcamp, in den sozialen Medien gern IBES abgekürzt, als sei es ein Weltraumprogramm, dieses Dschungelcamp ist ein Phänomen: Mit gespenstischer Routine castet es Borderlinerinnen wie Sarah, Georgina oder diesmal eine gewisse Larissa, die das Lager so kameragenau in den Wahnsinn treibt, dass RTL damit Jahr für Jahr Rekordquoten einfährt. In der Zielgruppe erreichte es nun unfassbare 50 Prozent und zog gar das inoffizielle Casting der nächstjährigen Ausgaben mit aufwärts. Fünf Millionen Bachelor-Zuschauer waren nämlich ganze eineinhalb weniger als Wetten, dass…? am Samstag drauf erzielte, dessen Moderator statt der früheren Massen allerdings auch jenseits des Wettsofas bloß noch massenhaft Spott auf sich zieht.

Nachdem er sich als teilzeitkonservativer Talkhost vorige Woche testosterongeflutet in Sahra Wagenknechts linkes Bein verbissen hatte, ging das Internet mit einem Shitstorm nebst Rücktrittspetition auf ihn los, also dann doch zu weit. Nur zur Erinnerung: Lanz ist beim Talken wie Wetten gleichermaßen lästig, aber eben kein Bundespräsident. Und sein Sender mag Europas einst größte Unterhaltungssendung noch immer wie eine Monstranz vor sich hertragen – das letzte Hochamt im hiesigen Fernsehen heißt anders: Tatort. Der allerdings muss ab 2016 auf ein Ermittlerteam verzichten, dem wie Lanz kaum eine Träne nachgeweint werden dürfte: Simone Thomalla und Martin Wuttke. „Die älteste und erfolgreichste Krimi-Reihe im deutschen Fernsehen lebt einerseits von der Konstanz“, erklärte MDR-Fernsehspielchefin Jana Brandt dazu, „andererseits von der Originalität, sich immer wieder neu zu definieren“. Na vielleicht definiert der Ostsender seine neuen Kommissare dann ja ohne debilen Schmollmund oder aufgesetzte Verschrobenheit.

Apropos debil, apropos verschroben, apropos aufgesetzt, apropos Schmollen: Weil die debile Millionärswahl selbst dem verschrobensten Zuschauer zu aufgesetzt war, schmollt Pro7 und hat das Finale des Quotendesasters Samstag ins Internet verlegt. Wer gewonnen hat? Auch egal. Wichtiger ist, dass der WDR im Mai mit Monitor-Moderatorin Sonia Mikich endlich eine Chefredakteurin kriegt. Oder dass Zeit-Herausgeber Theo Sommer wegen Steuerhinterziehung zu 19 Monaten auf Bewährung verurteilt wurde, was dem Ruf gedruckter Zeitungen nicht grad neues Vertrauen zuführt. Das könnten sie indes gut gebrauchen, wenn man sich die medienpolitisch wichtigste Nachricht der Vorwoche anhört: Im Gleichschritt mit der Bravo, die trotz neuer Bild-Strategie voller Blau- und Rotlicht erstmals unter 200.000 verkaufter Hefte rutscht, hält auch der Sinkflug seriöser Medien wie dem Spiegel ungebremst an.

TV-neuDie Frischwoche

27. Januar – 2. Februar

Wichtig wird es diese Woche am Bildschirm zu einem ähnlich desaströsen Thema: Die Olympischen Spiele. Nein, sportlich geht es erst am 7. Februar los. Aber mit Sport hat es ohnehin wenig zu tun, was zwei famose Reportagen um und aus Sotschi zeigen, die witzigerweise beide Putins Spiele heißen. Heute um 21.45 Uhr reist die ARD unter diesem Titel durch ein zerrissenes Land, morgen bleibt Arte um 20.15 Uhr am Austragungsort und zeigt zu verstörendem Klaviergeklimper den Irrsinn, Wintersport im subtropischen Korruptionssumpf zu veranstalten. Weil den Öffentlich-Rechtlichen eine gute Biathlon-Quote allemal wichtiger ist als ein aufgeklärtes Publikum, versenden sie solch erhellende Formate aber lieber zwei Wochen vorm Live-Event. Die Privatsender beschränken sich währenddessen auf Randsportarten für ein Milliardenpublikum. American Football zum Beispiel, dessen Superbowl-Finale Sat1 in der Nacht zu Montag überträgt, nachdem Stefan Raab ab heute täglich TV total live aus New York auf Pro7 zeigt. Quietschbuntes Entertainment können sie ja, die Kommerzkanäle.

Die halbstaatlichen können dafür Sachfernsehen wie Ziemlich starke Frauen, eine sechsteilige Dokusoap über sechs Rollstuhlfahrerinnen, donnerstags bei ZDFneo. Sie können meistens auch Filme. Unter Anklage zum Beispiel über den Fall des realen Würzburger Justizopfers Harry Wörz, der bis auf Felix Klare als Anwalt auch ohne Stars fesselnd inszeniert ist. Oder Kückückskind parallel im Zweiten, das den Säuglingstausch zweier Familien unterschiedlicher Kulturen heiter statt klischeehaft erzählt. Nicht so gut können sie allerdings nach wie vor Serien, was das ZDF heute mit Inspector Jury schmerzhaft belegt, wo Schauspieler wie Fritz Karl und Götz Schubert an eine hundsmiserable Bestseller-Adaption aus England vergeudet werden, die kein einziges Krimiklischee auslässt.

Das dürfte also eher kein Kandidat für den renommierten Max-Ophüls-Preis sein, dessen diesjährige Vergabe Mittwoch kurz vor Mitternacht auf 3sat zu sehen ist. Für die dümmste aller Filmtrophäen – die Goldene Kamera, der das ZDF Samstag den nächsten Samstagabend (hoffentlich) kostenlose Werbung für die Hörzu schenkt – könnte es indes reichen. Im Tempelhof sicher ständig im Bild: Senta Berger, die einen ARD-Gastauftritt im heiteren ARD-Freitagssulz Almuth und Rita hat. Uschi Glas, die tags zuvor einen ZDF-Gastauftritt als Teleshopping-Queen bei SOKO Stuttgart hat. Jörg Schüttauf, Andrea Kiewel, Henry Maske, die morgen an gleicher Stelle Gastauftritte in der zweiteiligen Ostalgie-Show Nicht alles war schlecht (an der DDR) haben. Und weil das alles vielleicht springerpreiswürdig, aber doch nicht so dolle ist, muss beim Tipp der Woche was Gebrauchtes einspringen: Die erste Folge von Sex and the City, Serienmusster des selbstbewussten Antifeminismus, Freitag auf Sixx. Und mehr noch: Dier erste eigene Cartoon-Serie von ZDFneo namens Deutsches Fleisch, ab Mittwoch um 23.30 Uhr.


Kitzbühel: Die Königin der Streif

Kitzbühel-Signe Reisch im Zielschuss2Miss Kitz

Kitzbühel ist Signe Reisch! Ohne deren Familie wäre das Herz des alpinen Sports noch heute ein Dorf, der Zielhang des weltgrößten Skirennens gehört zu ihrem Hotel, nun ist sie sogar Tourismuschefin. Eine Begegnung mit der mächtigsten Frau des Tiroler Winters.

Von Jan Freitag

Mausefalle, Hausbergkante, Lärchenschuss – es gibt Worte, die lösen selbst in Wintersportmuffeln etwas aus. Und dann erst diese: Kitzbühel, Hahnenkamm, Streif. Wen das kalt lässt, stammt offenbar aus Wüstenregionen. Wobei selbst dort noch viele kennen dürften, wohin Signe Reisch mit großer Geste zeigt. „Da oben kommen sie ums Eck“. Traverse, Rechtsschwung, Zielschuss, „direkt auf uns zu“. Es braucht zwar noch etwas Phantasie, um sich hier, auf sattgrünem Gras, das weltwichtigste Skirennen vorzustellen. Doch es endet jedes Jahr vor Signe Reischs Füßen, an ihrem Hotel, dem Rasmushof. Mit 120 Sachen! Die kleine Frau mit den strammen Waden lacht durch den ganzen Körper. „So schnell bin nicht mal ich.“

Dabei fährt wohl keiner sonst die Strecke so oft wie sie. Mit 57 Jahren fällt ihr das Gehen zwar zusehends schwer, das sagt sie selber. Doch auf den Brettern, die auch ihre Welt bedeuten, rast die Anwohnerin auch Steilpassagen rasant zu Tal. Und das jeden Morgen, sobald die Schneekanonen feuern. Mit dem ersten Lift geht’s rauf und in vier Minuten Fahrt hinunter, zweimal sogar. Frühsport vor der eigenen Haustür. Schließlich ist es ihre Streif, irgendwie. Auch, wenn sie das so nicht sagt. Na ja, so sagt sie es, „uns gehört ein Teil des Zielhangs“. Wenn Signe Reisch wollte, wär’s rasch vorbei mit der Streif. Nur: warum sollte sie wollen? So wie das Rennen vom Rasmushof profitiert, profitiert der vom Rennen. „Eine win-win-Situation“. Wieder zeigt ihr Arm bergan, zur stilisierten Gams rechts der Piste, dem Logo Kitzbühels, jenem Ort, der ohne ihre Familie ein anderer wäre. Für diese These braucht man nur durch den Ort zu gehen, vom Rasmushof an Hermann-Reisch-Saal und Reischfeld vorbei zum Hermann-Reisch-Weg, rechts auf die Franz-Reisch-Straße zur Altstadt, wo man Reisch Bar und Sporthotel Reisch zur Linken auf die Kanzleien von Klaus und Roland Reischs stößt. Kitzbühel ist Reisch-Reich, das spürt man überall.

Und gegründet hat es, wenn man so will, Signe Reischs Urgroßvater Franz. Vor 120 Jahren importierte der spätere Bürgermeister das erste paar Skier ins Dorf. Es war die Geburt der größten Manege im Schneezirkus. All die Helden-, Reise-, die Promigeschichten – ohne ihn und seine Nachfahren gäbe es keinen Skisport, ohne Skisport keine Streif, ohne Streif kein „Kitz“, nicht in dieser Form. So lautet hier die Gleichung. „Ach Gott“, winkt Signe Reisch ab, doch was sie dann sagt, sagt viel aus über ihr Selbstbild: „Hätte Steve Jobs das iPhone nicht erfunden, hätt’s irgendwann ein andrer getan“. Klingt bescheiden. Doch ein Vergleich zum Apple-Gründer, das bedarf einiger Chuzpe, mancher würde sagen: Arroganz. Hinter vorgehaltener Hand gar: Größenwahn. Und vorgehaltene Hände gibt es viele in Kitzbühel. Aber dass sie kritische Worte dämpfen, spricht ja bereits für die Größe des Namens. Reisch wird ja im selben Atemzug mit den Sailers genannt, den Hinterseers, den Ortsgranden eines grandiosen Orts.

Kein Wunder, dass die Attribute anschwellen, fragt man, wer für Kitzbühel besonders wichtig sei. „Die Familie hat enorme Bedeutung“, sagt der Bürgermeister und lächelt fein in seiner Kanzlei am Rande der Altstadt. „Ganz ernorm“, steigert der Schumacher die Relevanz der Sippe. Auch der junge Buchhändler, die wichtige Skiclubsprecherin, der rührige Tourismusobmann, die kritische Lokalblattchefin – alle stimmen ein: Was „die Signe“ am Rande Tirols darstellt, was sie bewegt, sei schon, genau: enorm. Das weiß sie selber. Sie spricht es sogar aus. Offen, laut, oft hart, aber herzlich. Eine Stunde Abendessen in ihrem urigen Viersternehaus gleicht einem Schnellkurs in touristischer Durchschlagskraft. Wo sonst der Stammtisch tagt, wechseln sich Businessprech und Heimatbegriffe, „Alleinstellungsmerkmale“ und „unser aller Erbe“ ab. Das heißt Kitzbühel. Vor allem aber heißt es Reisch: Uropa Franz – „Imker, Kaufmann, ein Visionär“, Sohn Hermann – „was der für den Fremdenverkehr bewegt hat!“, Klaus Reisch – „der Papa“, wie sie den Anwalt von 84 Jahren nennt, „Kitzbühels Doyen“: von all denen habe sie das Gen geerbt, sich stets grade zu machen. Als eins von sieben Geschwistern mit nur einer Zahnbürste ebenso wie als Gastronomin in einer Männerdomäne. In einem Männerland. In Tirol.

Kitzbühel-Skikanone vor Rasmushof+ Red Bull Bar1„Darauf bin ich schon stolz“, sagt sie bei Tofugeschnetzeltem und erzählt vom elterlichen Gasthof, den sie seit 1974 zur noblen Ganzjahresdestination mir 59 Zimmern gemacht hat. Sie erzählt vom Museum, das sie 2001 nach zehn Jahren neu eröffnen ließ, von Hausaufgaben, die sie fürs Unternehmerdiplom der Hoteliersvereinigung kriegt, vom Newsletter, den sie pflegt, von Gremien, Präsidien, Vereinen, denen sie vorsitzt. Und wie sie beim Aufzählen eine Angestellte bittet, „den Vorhang da, Gesine, den machst noch mal“, und das „Bitte“ bei allem Wohlwollen schwer nach „Zackzack“ klingt, da fragt sich: Geht es Signe Reisch um Macht oder Einfluss? Letzteres, betont sie ernst. „Weil man ersteres erzwingen muss.“ Einfluss könne man sich nehmen. Jetzt hat sie wieder zugegriffen. Der Tourismusverband wählte seinen Obmann, Signe Reisch wollte, dass es eine Obfrau wird, dass es also nicht Christian Harisch bleibt, dass eine gewinnt, die anders als ihr Hotelierkollege beide Seiten des Fremdenverkehrs „a bissl zusammenführt“: Platzhirsche und Neulinge, Familienbetriebe und Kettenhäuser. Die Rasmushöfe und Kempinskis oder Arosas mit ihren Luxussuiten. In denen sieht Signe Reisch zwar heute durchaus eine Chance für Kitzbühel. Eins davon nennt sie jedoch beharrlich „Russenhotel“.

Das kommt an: Weil ihr das Herz auf der Zunge liegt und die Zukunft am Herzen, weil sie konservativ ist und kosmopolitisch, weil Signe Reisch das handbemalte Barockfassaden-Kitzbühel von einst, als Weihnachten einige Hundert Gäste kamen, ebenso vertritt wie jenes Glas-Stahl-Kitzbühel von heute, das ganzjährig Hochsaison feiert, wird Tirols Touristenmagnet nun von ihr repräsentiert, der neuen Obrau, Signe Reisch. Bevor dieses Hybrid zwischen Jetset und Bauernstolz vom streng frisierten Kraftpaket im Businessdirndl repräsentiert wurde, hatte es allerdings „den Papa in Kenntnis gesetzt“. Natürlich. „Aber der fand’s gut“. Sagt die Signe. Und die Leute? Vermitteln die übliche Mixtur aus Nähe und Distanz zur einflussreichsten Frau weit und breit. Barbara Thaler, Sprecherin des Streif-Veranstalters, schiebt statt zu sprechen den Bildband „100 Jahre Kitzbüheler Ski Club“ über den Schreibtisch. „Das ist ein anderes Kapitel“, sagt der alteingesessene Schumacher Herbert Haderer in seiner rustikalen Werkstatt. „Na ja…also…werd’n ma seh’n“, sagt der älter eingesessene Schneider Franz Prader zwischen Fotos mit Weltstarwidmung und Windjacken für 8700 Euro. „An der Verdrängung kleiner Läden wie unserem kann auch sie nix ändern“, sagt Alteingesessenenenkel Oliver Haertel im letzten Buchladen am Platze und nennt als Beispiel die Schließung der Metzgerei Fuchs, wo sich das Dorf morgens zum Schwatz traf und mittags zur Vesper. „Signe ist schon recht“, sagt Elisabeth Pöll vom Kitzbüheler Anzeiger, „die ist qualifiziert und stets im Hotel anzutreffen“.

Aber ob sie vermittelt, dass Kitzbühel für alle da ist? Ausgerechnet Signe Reisch, die im Zielhang sommers einen Golfplatz betreibt und den fünften Stern nur aus Trotz nicht mehr will? Die ihre Balkone mit Zielblick auch beim 73. Hahnenkammrennen für Leute à la Bernie Ecclestone reserviert und kulinarisch mit dem „Red Bull“ versorgt, das dem früheren Skilehrer der Reischs Dietrich Mateschitz angeblich den Namen seiner Brause lieferte? Die einen Mangel an Diplomatie einräumt und so dynastisch denkt, dass ihre Ehe, wie sie freimütig erzählt, auch an mangelnder Hingabe ihres Manns für die Hotelkarriere der drei Kinder gescheitert sein soll? Meistens herrscht da Ratlosigkeit. Ein Zustand, den Signe Reisch meidet. Der Sonntag erwacht, ein herrlicher Morgen, für sie ist es einer wie immer. „I bin scho mit dem Papa ummi ganga“, ruft sie vom 9. Loch, wo nun das VIP-Zelt steht, zum Hotel. Die Außendeko brauche noch Feinschliff, trägt sie zwei Schülern auf. Den Bäumen fehle Farbe, dem Boden Licht. „Macht’s ihr des?“ Klingt fast wie eine Bitte.


Femalefriday: The Anna Thompsons, Warpaint, Dum Dum Girls

The Anna Thompsons

Nein, es ist kein musikalisches Verkaufsargument, genetisch ohne Y-Chromosom auszukommen. Und nein, es ist auch kein Kaufargument, Parität im Plattenregal schaffen zu wollen. Denn nein, das Geschlecht spielt allenfalls beim Klang der Stimme eine Rolle für das, was da aus den Boxen kommt und selbst das nur bedingt, angesichts all der männlichen Falsette, die den Pop nicht erst seit Talk Talk bevölkern. Und doch kommt man nicht so recht umhin, das Debüt von The Anna Thompsons auch aus Gender-Perspektive zu betrachten. Das frische Quartett Berliner Hipster um die zugezogenen Schwestern Ambika und Karen Thompson mit ulkigen Pullis und zu großen Brillen macht schließlich einen Sound, der bislang nun wirklich eine Männerdomäne war: Garage, Tendenz Psychobilly, sehr schnellen, sehr sixtiessynthielastigen Schreddelpunk mit unmelodischem Vierfachrufgesang verschrobener Texte.

Und das klingt nicht neu, nicht innovativ, nicht weiblich, nicht männlich, es klingt einfach nur wahnsinnig lustig. Als würden Chicks on Speed die Ramones covern oder umgekehrt, als wären die Fuzztones eine Spur hochgepitcht, als hätten da vier Leute im Übungsraum einfach richtig Spaß an sich und ihren Instrumenten gehabt. Gut, mit Hey Pony ist eins der elf Stücke etwas mädchenhaft betitelt, was bei Unicorn auch noch so klingt, wenn der sonstige Furor mal ins Balladenhafte schwenkt; insgesamt aber ist das keine Jungs- oder Mädchenmusik, sondern einfach Rock’n’Roll. Und kein schlechter dazu.

The Anna Thompsons – The Anna Thompsons (RAR/Motor)

Dum Dum Girls

Schlecht ist auch der Rock’n’Roll nicht, den das New Yorker Frauenquartett Dum Dum Girls macht. Geschlechtslos allerdings schon gar nicht. Denn die vier Damen um den kalifornischen Wirbelsturm Dee Dee Penny mögen ebenso psychedelischen 60s-Beat mit Punkattitüde machen wie The Anna Thompsons; ihr neues Album Too True ist wie das erste vor vier Jahren in etwa so asexuell wie ein Beate-Uhse-Katalog. Benannt nach einem Lied von Talk Talk, präsentieren sich die Dum Dum Girls schließlich kompromisslos als rockende Sexbomben, deren Garagensound Ausflüge in den Mainstream radiotauglichen R’n’Bs meidet wie ein Prieser das Weihwasser.

Um nicht missverstanden zu werden: Die zehn Stücke sind ungemein schmissiger Indiepop, analoger Vorwärtsrock mit allerlei Soundspielereien, die einfach Spaß machen. Aber wenn Dee Dee Penny in Anlehnung an die Väter ihres Künstlernamens sagt, “ich wollte, dass meine Band nach Mädchen klingt, die mit den Ramones ausgegangen sind”, dann ist das nicht bloß Koketterie mit der Weiblichkeit auf Männerbühnen, sondern Ausdruck eines Selbstverständnisses, in denen auch die Texte überwiegend von Mädchenträumen nach Mr. Perfect nebst der Hindernisse auf dem Weg dorthin handeln. Man das Album also im Lichte dieser Geschlechtlichkeit hören, man kann es aber auch wie jeden Garagenpop dieser Art genießen: Ohne groß nachzudenken. Es funktioniert.

Dum Dum Girls – Too True (Sub Pop)

Warpaint

Die Suche nach dem passenden Soundtrack ist gemeinhin eine Gratwanderung. Fast jeder geigenverkleisterte Blockbuster zeugt davon, wie sie misslingen kann, während die aufdringliche Stille gediegener Problemfilme oft genug belegt, dass weniger doch nicht zwangsläufig mehr ist. Manchmal allerdings klingen Töne wie gemacht für laufende Bilder – selbst, wenn die gar nicht zu ihnen gehören. Warpaint zum Beispiel, das neue Album der gleichnamigen Band aus Los Angeles, hört sich an, als sei es die ideale Begleitmusik zu Lena Dunhams New Yorker Twentysomethingserie Girls oder auch Fances Ha, dem grandiosen Prekariatsporträt Gleichaltriger an gleicher Stelle.

Wie der träumerisch-verspielte Indiepop darin durch die Gefühle der nachwachsenden Großstadtboheme mäandert, wie es die Melancholie der multioptionalen Ziellosigkeit junger Leute zwischen Ausbildung, Praktika und Arbeitslosigkeit mit ätherischer Schwerelosigkeit vertont – das wirkt wie ein Gegenentwurf zum mal traurigen, mal euphorischen Begleittakt der Leistungsgesellschaft. Es ist Klang gewordener Optimismus ohne Chancen. Und es ist wirklich schön. Love Is To Die zum Beispiel (siehe Video weiter unten), nicht das beste, aber ein emblematisches Stück der zweiten Platte: Wie ein scheues Requiem auf all die Versprechungen der Moderne gräbt es sich in die Ohren der Zielgruppe, ruft allerdings mit trotzigen Trommeln zum Weitermachen und Verweigern zugleich auf. Stella Mozgawas artifizielles Keyboard gibt diesem Widerspruch darin zu Beginn etwas Depechemodehaftes, Newnewwaviges, Tiefgründiges. Emily Kokals Gesang fügt dem sodann die harmonische Dissonanz schiefer Töne zur richtigen Zeit hinzu. Und Jenny Lee Lindbergs Gitarre zwischendrin holt aus dem Trübsinn von The XX, deren Vorband Warpaint einst gab, exakt so viel Schwermut heraus, um nicht allzu leichtfüßig zu klingen, aber doch fernab aller Euphorieschübe.

Gäbe es also noch einen Film, dem die elf – verglichen mit dem erfolgreichen Debüt vor drei Jahren – helleren, nicht aber leuchtenden Stücke wie aufs Drehbuch produziert erscheinen, dann wäre es Jan-Ole Gersters schwarzweiße Berlin-Studie Oh Boy. Noch so ein urbanes Epos übers elegante Scheitern der Generation Facebook(verweigerer), vor allem das männliche. Gäbe es eines namens Oh Girl, könnte man also den Diskurs eröffnen, ob die vierfach weibliche Besetzung von Warpaint eine Vertonung spezifisch weiblicher Lebenswelten hervorbringt, ob das Geschlecht an sich eine andere Bühnenpräsenz erzeugt, eine andere Musik, ob der furchtbare Bandname womöglich Statement gegen all die Macker an gleicher Stelle ist. Das aber führt in die falsche Richtung.

Warpaint mögen frei von Testosteron sein – ihr Werk ist bis auf die Stimmen geschlechtslos, ja es unterläuft nicht mal das maskulin konnotierte Abfeiern instrumenteller Virtuosität. Warpaint, die Zweite, ist oft vertrackter Psychofolkpop für, um, über die großstädtische Mittelschicht und erzählt emotionale Geschichten der Menschen darin. So flüchtig und feenhaft es daherkommt: Wahrhaftiger klang Folkpop selten.

Warpaint – Warpaint (Beggars); pics’n’sound’n’kommentare: http://blog.zeit.de/tontraeger/2014/01/20/warpaint_17391#more-17391


Blacklist: Oberfläche & Anspruch auf RTL

Dr. Brody und Mr. Lecter

Mit The Blacklist läuft seit dieser Woche dienstags um 21.15 Uhr bei RTL eine Agentenserie, die wie so oft das Schlechteste an RTL zum Ausdruck bringt, aber auch eine Art Hoffnungsschimmer, der Sender könnte unterm neuen Geschäftsführer doch so was wie seriös werden.

Von Jan Freitag

Diego Klattenhoff kann nichts dafür. Er macht seine Sache hervorragend, wie immer eigentlich. Sein FBI-Agent Donald Ressler steht seinem US-Army-Captain Mike Faber in kaum einer Weise nach. Der kanadische Schauspieler kann also Geheimdienstler ebenso wie Soldaten, weil er die fein justierte Männlichkeit anspruchsvoller Action-Charaktere mit einem wunderbar empathischen Gesicht verfeinert, das je nach Bedarf steinhart oder butterweich werden kann. An Diego Klattenhoff liegt es also nicht, dass die neue RTL-Serie The Blacklist trotz vergleichbarer Herkunft, Dramaturgie, Ausstattung und Mittel irgendwie nicht an die grandiose Sat1-Serie Homeland heranreicht. Das hat andere Ursachen. Sie sind vor allem äußerlicher Natur.

Denn die Geschichte vom gesuchten Terroristen Ray Reddington (James Spader), der sich freiwillig stellt, um aus Gründen, die das Drehbuch erst nach und nach preisgibt, mit der Nachwuchsprofilerin Liz Keen (Megan Boone) eine schwarze Liste anderer Terroristen abzuarbeiten, ist eigentlich so klug wie spannend – wäre da nicht diese dauernde Effekthascherei. Schon die heutige Pilotfolge steigt gleich zu Beginn mit jenem dräuenden Da-passiert-gleich-was-Sound ein, der auch die restlichen 21 Episoden keine Sekunde verhallt. Visuell wird alles ebenfalls unablässig überdreht. Kein Licht wirkt natürlich, FBI-Knäste sind düstere Zukunftsvisionen des Überwachungsstaats, Festnahmen grundsätzlich Aufmärsche seines gesamten Geräteparks und die blutjunge Hauptdarstellerin hatte auf dem rasanten Weg zur perfekten Spionin stets genug Zeit für ihre Nebenkarriere als Model. Kurzum: die guten Anlagen der Story um Doppel- und Dreifachagenten, um vermeintlich Unverdächtige rings um den instinktbösen Serienfiesling Reddington, der für so viel dramaturgische Oberflächlichkeit eine erstaunliche Tiefgründigkeit an den Tag legt, all dies ist irgendwie typisch RTL.

Auch Deutschlands abgelöster Marktführer vollzieht ja seit dem Intendantenwechsel vom vorigen Jahr inhaltlich eine sachte Wandlung zum Positiven, die nur ästhetisch noch nicht Schritt hält. Regierte in den acht Jahren unter Geschäftsführerin Anke Schäferkordt ein dramaturgischer Aberwitz, der die Wirklichkeit konsequent durch gefälschte Realitäten ersetzte und Unterhaltung durch Publikumsverachtung, so scheint sich RTL unter ihrem Nachfolger Frank Hoffmann langsam darauf zu besinnen, dass Fernsehen vielleicht doch kein Ballerspiel ist und ein Vollprogramm etwas anderes als ein Bahnhofsklo. Die unsägliche Scripted Reality etwa befindet sich anders als bei der Ballermannprinzessin Anke S. nicht zügig auf dem Weg in die Primetime, sondern peu à peu auf dem Rückzug. Das Jenke-Experiment betont beim vielfach missbrauchten Begriff „Infotainment“ seit Ewigkeiten wieder die erste statt bloß der letzten Silbe. Mit Wie tickt Deutschland wagte sich Steffen Hallaschka zur Bundestagswahl sogar mal an echte politische Berichterstattung. Günther Jauch und Thomas Gottschalk tragen als Die 2 gegen ALLE fast einen Hauch öffentlich-rechtlicher Unterhaltungsbetulichkeit ins Private. Und im aufdringlichen Testosteronstahlbad der handelsüblichen RTL-Formate von Cobra 11 bis Transporter setzt auch The Blacklist auf ein gewisses Understatement zur besten Sendezeit.

Trotz aller Oberflächlichkeit, so scheint es zum Auftakt und so legt es auch der zweite Teil nahe, zieht Jon Bokenkamps Drehbuch seine furiosen Spannungsbögen nämlich doch nicht ausschließlich aus billigen Effekten. Unablässig gibt es erstaunliche Wendungen, überraschende Charakterzüge und, ja, grandiose Actionszenen. Und James Spader gibt den Bösewicht in Staatsdiensten dabei so versiert abgründig zwischen Hannival Lecter und Nicolas Brody, zwischen Schweigen der Lämmer und Homeland, dass es einem wie in den beiden Formaten oft schwer fällt, seine Sympathien zweifelsfrei zu verteilen. Das hilft dem Zuschauer beim Dranbleiben und RTL bei der Positionierung als Abenteuersender mit etwas mehr Hirn, als es die ersten 30 Jahre des Senderbestehens der Fall war. Die Hoffnung stirbt ja auch im Actionfilm zuletzt.


Devid Striesow: Film-Veredler & Tatort-Kasper

Gib dem Affen Zucker

Devid Striesow zählt  zu den besten Schauspielern im Land. Ob als Betrüger (So glücklich war ich noch nie) oder Betrogener in Dieter Wedels Gier, als Stasioffizier (12 heißt: ich liebe dich) oder Sturmbannführer (Die Fälscher), Serienkommissar (Bella Block) oder Musikproduzent (Fraktus) – stets brilliert der 40-Jährige mit einem Spiel, das zu echt wirkt, um gespielt zu sein. Sonntag überdreht er es allerdings auch in seinem dritten Saar-Tatort gehörig. Ein Gespräch über innere Unruhe, TV-Freaks wie Kommissar Stellbrink und warum beide Yoga machen.

Interview: Jan Freitag

freitagsmedien: Herr Striesow, Ihr Kommissar Jens Stellbrink ist ein ziemlicher Freak mit merkwürdigem Gehabe und Kleidungsstil.

Devid Striesow: Ich würde es mal unkonventionell nennen.

Wobei das Unkonventionelle deutscher Fernsehkommissare längst so konventionell ist, dass man sich stinknormale Ermittler wie Hansjörg Felmy wünscht, dessen einzige Marotte es war, Buletten zu mögen.

Okay, aber dann müsste man doch noch mal über eine neue Besetzung nachdenken, denn den Felmy zu spielen, das ist in dieser Rolle einfach nicht meine Intention. Mir geht es generell selten darum, eine Figur besonders exaltiert zu gestalten, sondern die zwei Seiten zu zeigen, die in jedem von uns stecken: Die Abgründe am Sympathieträger und die netten Seiten am Bösewicht. Da hoffe ich, noch einige Fässer zu öffnen.

Macht es dennoch mehr Spaß, komische Käuze wie Jens Stellbrink zu spielen?

Mit der zugehörigen Spielfreude kann man jedem Typ was Spannendes entlocken, aber wer – vorsichtig ausgedrückt: dem Affen Zucker gibt, kann sicher mehr ausprobieren.

Schauspieler sind Betrüger?

Eher Verwandler. Der Spaß daran ist groß, und am Größten dann, wenn das Publikum Spaß daran und dabei hat. Dann hat man das gute Gefühl, ihm Publikum keine Stereotypen anbieten zu müssen oder in irgendeinem Rollentypus verstzustecken.

Die Gefahr ist beim Tatort nicht grad gering.

Es gibt mittlerweile auch in diesem Format, besonders durch eine hohe Ermittlerdichte die Möglichkeit, jede Figur voneinander klar abzusetzen. Das ist auch die Chance, nach geliebten sieben Jahren Bella Block einen weiteren TV Krimi zur Prime Time im öffentlich rechtlichen zu beleben

Was haben Sie gerufen, als Ihnen ein weiterer angeboten wurde: Hurra oder Hilfe?

Man sagt erstmal Aha?! Nach eingehender Prüfung, was genau zwei Monate Lebenszeit kosten könnte, hab ich dann erstmal abgesagt, aber schnell wieder zu.

Woher der Sinneswandel?

Zum einen bin ich der Verlockung erlegen, wie toll es werden kann, wenn alles funktioniert. Zum anderen, weil ich einfach unglaublich gern spiele. Schauspieler haben ja diesen kindlichen – nicht infantilen! – Spieltrieb in sich. Seinetwegen ziehen wir nicht bloß Faschingskostüme an und sind für drei Stunden Dracula, sondern füllen die Maskerade mit Leben. Dafür nehmen wir in Kauf, die gleiche Szene 30 Mal zu spielen, ohne es auf dem Bildschirm nach harter Arbeit aussehen zu lassen.

Aber das ist es.

Absolut, aber es ist meine Arbeit und sie ist für mich eher Lust als Last.

Haben Sie dieses Arbeitsethos von Ihren Eltern?

Ich bin ruhiger geworden. Mit 40 Jahren, Frau und Kindern muss man sich dringend Freiräume schaffen.

Sie wohnen also nicht mehr mit Ihrem Bruder zusammen?

Nein, leider nicht, dafür ist meine Familie einfach zu groß geworden. Ich bin ja vor Kurzem innerhalb von drei Tagen zweimal Vater geworden.

Das ist biologisch bemerkenswert…

Gar nicht, eine Tochter meiner Frau ist aus Afrika nachgekommen, die ist 7 Jahre alt. Und zwei Tage später kam unserer Lütte zur Welt.

Glückwunsch.

Danke. Und dann hab ich noch einen 15-jährigen Sohn und einen zweijährigen mit meiner jetzigen Frau. Das macht ja kein WG-Bewohner mit, wenn es sich so füllt im Haus.

Ist das nicht ein bisschen viel Unruhe für jemanden wie Sie, der ohnehin viel Unruhe in sich selbst trägt?

Nicht unbedingt. Aber ich werde Ihnen jetzt nicht ausbreiten, was meine Hyperaktivität für Auswirkungen hat [lacht laut].

Und beruflich?

Ich bin auch, was meine Arbeit betrifft, mittlerweile zentriert genug, um vernünftig zu arbeiten. Andererseits ist es für alle Schauspieler die große Herausforderung, mit jeder Klappe in Echtzeit 3000 Umdrehungen hochzutouren und nach der Szene sofort wieder runterzukommen. Wenn man das den ganzen Tag lang macht, dieses Arbeiten in Sinuskurven, ist jeder am Ende bis zum Äußersten erschöpft – hibbelig oder nicht. Da habe ich über die Jahre gelernt, meine Energie richtig einzuteilen.

Womit?

Da wären wir bei meinem Tatort-Kommissar: Unter anderem mit Yoga. Es war meine Idee, ihn das auch machen zu lassen, also einen Charakter zu kreieren, der ständig unterwegs ist und gerade deshalb zwischendurch immer mal bei sich selbst ankommen muss. Darin ähnelt er durchaus mir, denn bei solchen Übungen atmet man mal tief durch und geht danach viel gelassener in den Tag. So was erdet Jens Stellbring ebenso wie mich selbst.

Lassen Sie alle Ihre Figuren so nah an sich ran?

Nein, nein, ganz gewiss nicht. Ich gehe an meine Figuren eher emotionslos ran, rein technisch. Ich behandle sie wie etwas Außenstehendes, wie Objekte, denen ich mich für eine bestimmte Zeit widme. Da gibt es kein Verschmelzen, nicht mal Sympathie oder Empathie, geschweige denn Abneigung. Eine Rolle ist für mich eine Rolle, in die ich reinschlüpfe und dann wieder raus.

Diese hier, sagt der zuständige Redakteur vom Saarländischen Rundfunk, sei auch Ihr Werk, denn einem Devid Striesow gebe man keine Rolle, er mache sie erst zu einer.

Das ist nicht nur bei mir so, aber stimmt schon: Wir haben uns vorher über die Figur unterhalten, Dinge überlegt, die dem Humor zuträglich und visuell so interessant sein könnten, dass sie den Zuschauer packen. Sowohl der Drehbuchautor als auch der Regisseur, ja selbst der Produzent waren oft dabei, um gemeinsam eine Art Konsens zu erzielen, der sich dann in allerlei Skizzen fürs Drehen wieder finden, bei dem mir die Möglichkeit gegeben wird, bei Gelegenheit einen Zacken zuzulegen. Und um das Ganze glaubhaft zu machen, habe ich eingeworfen, sie mir durchaus ähnlich zu gestalten

Eben sagten Sie noch, dass Sie eher technisch an eine Figur rangehen.

An eine Filmfigur. Bei einer Serienfigur fühle ich mich wohler, wenn ich nicht jedes Mal wieder bei Null anfangen muss. Meine Erfahrungen, ein Stück meines Lebens da mit einfließen zu lassen, macht es nicht nur reicher, sondern auch leichter. Trotzdem bin das ja nicht ich.

Am Ende des Films sagt eine Kollegin zu Jens Stellbring, er sei unheilbar naiv. Sind Sie das auch nicht?

Alles andere als unheilbar.


EWG & FCB

Werbung, RFT Color 20, FernseherDie Gebrauchtwoche

13. – 19. Januar

Der Second Screen ist ein seltsamer Bildschirm. Wer ihn parallel zum Fernseher öffnet, sieht irgendwie doppelt fern – und irgendwie nur halb. Es ist also mit Vorsicht zu genießen, was das MediaCom Science-Institut vorige Woche veröffentlicht hat: Beim jährlichen Social TV Buzz-Ranking wurde ermittelt, zu welchen Sendungen das Publikum nebenbei auf Twitter oder Facebook unterwegs war. Ergebnis: Vorn lag der allmächtige Tatort mit 444.053 Beiträgen, gut doppelt so viel wie die zweitplatzierte Tagesschau, gefolgt vom – hoppela – Night-Talker Domian auf Rang drei. Die gute alte Glotze mag also reichlich Interesse in den neuen Medien entfachen und das trotz sechs Pro7-Formaten unter den Top 20 vor allem öffentlich-rechtlich – am Ende erhöht der Second Screen nicht die Aufmerksamkeit am first one, sondern reduziert sie durch Doppelbeschuss.

Es bleibt also dabei: Der zweite Bildschirm bleibt ein notorischer Feind des ersten, versucht ihn peu à peu mit solch perfiden Methoden in die Bedeutungslosigkeit zu treiben, und was tut das Fernsehen? Es reagiert mit gewohnt rückständig, um zumindest Bestandsschutz zu erlangen, also mit den ewig gleichen Mitteln. Mit Günther Jauch zum Beispiel, der seinen Vertrag mit der ARD gerade bis 2015 verlängert hat. Mit Deutschland sucht den Superstar, dessen gut fünf Millionen Zuschauer zum Start der 11. Staffel an die Topquoten früherer Jahre anknüpfte. Mit dem Dschungelcamp, das es gerade beim jungen Publikum auf die gewohnten Spitzenwerte oberhalb eines Drittels der Gesamtzuschauer brachte.

Und nun sogar mit Einer wird gewinnen.

Hans-Joachim Kuhlenkampffs Straßenfeger aus den Fernsehrwirtschaftswunderjahren vorm dualen System ab März wiederzubeleben, ist ja nichts weniger als die Kapitulation des Innovativen vor der Nostalgie, wie zuvor schon die Exhumierung von Dalli Dalli. Und es hat etwas umso Fatalistischeres, dies auch noch mit den faltenfrei vergreisten Biedermeiermoderatoren Jörg Pilawa und Kai Pflaume zu tun. Armer Nachwuchs.

TV-neuDie Frischwoche

20. – 26. Januar

Für den bleibt vor wie hinter der Kamera abseits einiger Spartenkanäle wenig übrig. ZDFneo mag also unverdrossen Serien wie Spooks (montags, 23.35 Uhr) oder Mad Men (dienstags, 22.40) zeigen, die den Vollprogrammen schlicht zu vertrackt sind. ZDFkultur mag das Ganze mit guter Musik zur Nacht und Eins Plus mit wunderbaren Magazinen à la Beatzz (heute, 20.15 Uhr) garnieren – die Hauptkanäle widmen sich lieber Menschen fehlenden (RTL), billigen (Pro7) oder geriatrischen (ARZDF) Anspruchs.

Verkörpert durch den Bachelor, der mittwochs um zehn auf RTL wieder um emanzipationsbefreite Halbnacktmodels buhlt. Garantiert durch irgendwas mit Raab am Wochenende. Oder durch Filme der Art von Die letzte Instanz, wo Jan Josef Liefers heute (ZDF) bis tief in die DDR zurückermittelt, und die ARD-Mittwochskomödie Eine Hand wäscht die andere mit Ulrich Noethen als korrupten Kleinstadtbeamten. Beides gute Unterhaltung, beides wie gemalt für die Zielgruppe 60+. Und ob Liam Neeson plus Peter Maffay auf dem Karlsruher Wettsofa ein viel jüngeres Publikum anlocken, sei mal dahingestellt.

Das fällt gediegeneren Sendern naturgemäß schwer, aber sie versuchen es wenigstens mit gediegeneren Angeboten. Heute etwa Wolfgang Ettlichs und Andreas Duerrs 3sat-Doku Hat der Motor eine Seele? über ein aberwitziges Autorennen von 1908 oder zeitgleich der shakespearegute Frühwestern Red River, gefolgt vom vielleicht besten Horrorfilm ever, Carpenters The Fog, beides auf Arte. Dort also, wo morgen ein Themenabend zum Organhandel Gespür für Aktualität beweist und tags drauf einer namens Speed über den Faktor Zeit in unserer dauerbeschleunigten Gegenwart. Diese Gegenwart ist allerdings nicht nur zu schnell, sondern zu populistisch. Weshalb auch der Saarbrücker Tatort von etwas handelt, was der Krimi so unablässig wie realitätsfern zum Alltagsverbrechen hochjazzt: Kindesmissbrauch.

Diese Form der Publikumsanbiederung ist so öde, so blöde, dass der Tipp der Woche fast Weltniveau erreicht: Conan der Barbar, Arnold Schwarzeneggers Durchbruch vor fast 34 Jahren und der endgültige Beweis, dass zumindest in den USA offenbar doch jede/r von ganz tief unten bis ganz hoch nach oben kommen kann. War noch was? Ach ja: Freitag startet die Bundesligarückrunde, natürlich live mit den Bayern, das übliche Elitensubventionsprogramm eben. Im Fernsehen nichts Neues…


Reisereportage: Thaipusam/Malaysia

Penang-Schmerz9Entspanntes Schmerzensfest

Dieser Tage ereignet sich im südasiatischen Raum wie jedes Jahr Erstaunliches: Millionen Hindus danken ihren Göttern am Thaipusam mit einem blutigen Ritual. Und nirgends lässt sich das wichtigste Fest der Weltreligion unverfälschter erleben als auf Penang, Malaysias Wellnessoase.

Von Jan Freitag

Normalerweise kennt Malaysia keine Jahreszeiten. 365 Tage im Jahr herrscht die gleiche drückende Hitze, nicht mal Regenzeiten verändern das Klima in Äquatornähe. An diesem Tag aber ist die Luft über der kleinen Insel Penang hoch oben im Norden noch ein wenig schwüler, ihre Hauptstadt scheint förmlich zu dampfen und das hat einen Grund. Besser Tausende: Räucherstäbchen. Inmitten einer endlosen Prozession entzündet Raja eine Handvoll davon und streckt sie hinauf zur Statue Subras auf dem geschmückten Festwagen. Der Sohn von Gott Shiva thront über allen, von bunt behängten Ochsen gezogen, die breite Jalan Utama hinunter zum Regierungssitz. Es ist Subras Ehrentag und Hindus wie Raja danken es ihm mit Früchten, Qualm und Kokosnüssen. Zwei Millionen, so heißt es, werden dieser Tage im ganzen Land zu Boden geschleudert, um sich symbolisch vom Schlechten des Jahres zu lösen. Auch Raja hat eine geknackt, wenngleich nicht für sich. „Ich habe für meinen kranken Vater gebeten, jetzt geht es ihm besser“, sagt der junge Hindu. Dann tanzt er barfuss über den kochenden Asphalt, die Hände stets am Kavadi. Das trutzige Gestell aus Holz, Stahl und Farben lastet schwer auf den Schultern, doch das ist gut so. Der Schmerz ist sein Opfer.

Und das größte steht Raja erst bevor. Morgen, beim Thaipusam, dem Geburtstag von Murugam, Gott der Wünsche und des Dankes. Jedes Frühjahr versammeln sich unzählige Hindus in den Straßen Südasiens, um das Wertvollste darzubringen, was sie geben können: ihr Leid. Dass es vor allem Einheimische sind, Pilger, deren Verwandte, die auf vor Malaysias Westküste feiern, ist für die wenigen Touristen vor Ort ein wahrer Segen. Nirgends erlebt man das wichtigste Fest des Hinduismus unverfälschter als hier. In den Metropolen ist es ein Event, zigtausendfach durchlitten und millionenfach bestaunt. Doch nur auf Penang ist das Sehenswürdige am qualvollen Ritual die Würde selbst, nicht ihre bloße Optik.

Wie gut, dass man sich als Außenstehender so überaus angenehm darauf einstimmen kann. Denn Penang ist nicht nur eine Hochburg des Thaipusam, sondern auch der Entspannung. Nirgends liegen Wohl und Wehe näher beieinander als hier und jetzt. Jede Herberge in der brodelnden Vielvölkerstadt Georgetown hat einen eigenen Spa-Bereich, auch niedrigklassige Häuser bieten Beautysalons und chinesische Heilmedizin an. Und die ganz großen wie das edle Rasa Sayang vor den Toren Georgetowns, in diesem Jahr trotz einer Speisekarte aus aller Herren Länder, verschwenderischem Wasserverbrauch und fast absurdem Überfluss zum nachhaltigsten Hotel Asiens gewählt, kommen wie ein einziger Wellnessbereich daher – gediegene Poolwelten, mobile Masseure und Gratisschampus inklusive.

Was für eine Entwicklung am „Ende der Welt“, wie Einheimische die Grenzregion zu Thailand lange nannten. Denn früher, erzählt Shamsul, „gab es hier im Sumpf Krokodile, an Land Kopfjäger, auf dem Meer Piraten und in der Luft Malaria“. Wie die meisten Reiseleiter der Gegend beherrscht auch Shamsul viele Sprachen und erklärt damit die Gegenwart seiner Heimat voller Stolz. Schließlich war die Vergangenheit keineswegs lebens-, geschweige denn sehenswert. Als der Fremdenverkehr Einzug hielt, in den Siebzigerjahren, regierte der Beton, ein Hochhausinferno des Billigtourismus für Malaysier. Erst vor einigen Jahren, erzählt Shamsul, während sich am Straßenrand die Affen tummeln, habe sich Penang zum First-Class-Ziel Malaysias gemausert. Ein kostspieliges zwar, aber für derart lückenlosen Fünfsterneservice und westliche Geldbeutel sogar erschwinglich. Und wie bereitet man sich wohl besser auf ein Schmerzensfest wie Thaipusam vor als faul und verwöhnt am indischen Ozean zu dösen. Was morgen kommt, wird selbst für Zuschauer hart genug. Es ist ein Feuerwerk für die Sinne.

Am Tag der Tage zieht ein Brodem aus Schweiß, Rauch, Gewürzen und warmer Milch durch Georgetown, doch Raja riecht nichts. Überall wird gefeiert, gesungen, gebetet, doch er hört nichts. Dass Merkwürdigste aber ist, dass er auch nichts zu spüren scheint. Rund 50 Kilo wiegt sein Kavadi, ein quietschbuntes Pfauennest mit Diskokugeln im Schnabel und Subra in Alu, zwei Meter hoch, gehalten von dürren Metallspießen – in Rajas Haut! Es schmerzt schon beim Anblick, doch Raja schweigt. „Ich habe keine Angst“, sagt er leise, bevor ihm eine bleistiftdicke Lanze durch die Wangen gestoßen wird, „der Schmerz gibt mir Kraft“. Ein Helfer will ihmWasser über die blutende Zunge gießen. Raja winkt ab: Keine Linderung auf diesem, seinem Weg.

Im Zug Tausender Pilger läuft er die 5000 Meter hoch zum Wasserfalltempel, dem Ziel der endlosen Prozession, um dort für seine Götter zu tanzen und ihnen Milch aus silbernen Krügen zu spenden. Doch zunächst mal muss er mal hinkommen, gebremst von einem Dutzend Haken in seinem Rücken mit Seilen, an denen sein Bruder wie wild zieht. „Vel Vel“, so schreit ihn die Menge in Trance. Vel ist Tamilisch für jene Lanze, die Murugan der Legende nach im Kampf gegen das Böse erhielt. Eine Ewigkeit später ragt sie nun aus Rajas Gesicht und erhöht seine Qualen. Vel Vel, immer wieder die aufmunternde Liturgie – anders ist die steile Treppe nicht zu ertragen, nicht für die zähesten Männer, nicht für die wenigen Frauen. In Kuala Lumpur mag das Fest prächtiger sein und damit der Andrang größer; auf Penang ist es am härtesten. So hart, dass die Selbstkasteiung im hinduistischen Kernland Indien längst verboten ist. Auch das lockt Hindus aus aller Welt nach Penang. Je stärker der Schmerz, desto größer der Dank.

Es ist ein faszinierendes Erlebnis. Die Wunden der Teilnehmer bluten nur selten und kaum, dass sie von den Kavadis, Haken, Spießen befreit wurden, kehrt das Leben zurück in die geschundenen Körper. Raja ist fort, untergetaucht im Menschenmeer, einem elektrisierenden Volksfest. Er hat es geschafft, bis zum nächsten Thaipusam, seinem sechsten. Nun darf er entspannen, all die Schmerzen und 40 Tage Askese in den Gliedern. Nach vielen Stunden der Hitze ist das auch für Zaungäste nötig. Die Eindrücke eines Jahres an nur einem Tag im Kopf verarbeiten sich bei einer Strandmassage für den Gegenwert einer Schachtel Zigaretten am besten. Manchmal muss man sich auch von den Strapazen anderer erholen.

Am nächsten Morgen zum Beispiel, beim gemeinsamen Thai Chi im Rasa Sayang mit Master Hue. Um diese Zeit misst die Luft noch beinah frische 24 Grad, weniger als das quallenreiche Meer in Wurfweite, und der chinesische Lehrer zeigt, was die fernöstliche Kampfkunst aus Menschen machen kann. Trotz seiner 72 Jahre stößt der kleine Chinese einen stämmigen Engländer mit zwei Fingern fort, immer wieder, so sehr sich der Schüler auch wehrt. Nur umgekehrt bewegt sich nichts. Es ist der Frühsport des New Age und Master Hue erzählt von Wilma aus Deutschland, die es jedes Jahr für Monate nach der Stoppuhr zelebriert: halb acht Schwimmen, danach Frühstück, um zehn Liege reservieren, zwei Stunden später Mittag, vor dem Kaffee eine Runde Golf auf dem Hoteleigenen Neun-Loch-Platz, Strand, Abendessen, Cocktails, Nachtruhe und alles wieder von vorn.

Mehr als die Hälfte der Gäste aus Europa, Amerika, Australien verlassen ihre Hotels nur selten, klagt Suleiman Abdul Rahman, der Manager des Rasa Sayang. Selbst in die zahllosen Food-Center der Stadt mit ihren vielen Restaurants aller Geschmacksrichtungen verliert sich kaum mal ein Tourist, um die vielfältigen Spezialitäten zu probieren oder einfach ein bisschen am Leben der Einheimischen teilzuhaben. All-inclusive kann auch ein Hindernis der Begegnung sein. Deshalb nimmt sich Mr. Suleiman fürs nächste Jahr vor, „unsere Feste viel besser zu vermarkten“. Thaipusam am 8. Februar ebenso wie das chinesische Neujahr zwei Wochen zuvor. Die mehrtägige Party der größten Minderheit stellt mit seinen Myriaden von Girlanden, Feuerwerken und Straßenumzügen sogar das Schmerzensfest der Hindus in den Schatten. Penang versteht es eben nicht nur zu leiden, sondern auch zu feiern.


Popfriday: Dorau, Jurado, SDP

Andreas Dorau

Die Frage, ob man nicht langsam mal erwachsen werden sollte, steht bekanntlich auch den lässigsten Großstadthipstern irgendwann bevor. Nehmen wir mal den rundesten aller Geburtstage vor der mystischen 100. Wenn das Leben meist geruhsame Bahnen einnimmt und alles darin sachlicher, geordneter, reifer zugeht, könnte man meinen, ein Sänger verkneift sich selbst im adolsezenzbefreiten Planschbecken Popmusik Liedzeilen wie Flifliflaflaflaschenpfand oder Oh Baby, ich bin Löwe zu Titeln namens Bienen am Fenster oder Faul und bequem. Könnte man. Andreas Dorau allerdings kann nicht.

Am Sonntag wird das nimmermüde NDW-Gewächs stolze 50 Jahre, also schon ziemlich alt für einen Popstar. Doch wie – abgesehen vom verlustgeprägten 2011er-Album Todesmelodien – all die anderen Platten zuvor, klingt auch Aus der Bibliotheque in etwa so erwachsen wie ein Trinkspiel auf dem Abiball oder wahlweise ein ganzer Tag Ki.Ka. Allein – was soll’s? Andreas Dorau ist wie er ist. Er schreibt zarte kleine Weisen zu absurden kleinen Wortkaskaden, denen man große Gedanken oder große Banalität entlocken kann, je nach Zugangsweise. Wer dem Flatterschlager zum Kindergesang aufgeschlossen gegenüber ist, wird folglich auch seinem neunten Album in 33 Jahren etwas abgewinnen können. Wer nicht, hört ohnehin bald Klassik. Oder hat es schon immer getan.

Andreas Dorau – Aus der Bibliotheque (bureau b)

Damien Jurado

Es gibt Musiker, von denen man irgendwie schon gehört zu haben glaubt; mit einem Gesicht, das aussieht wie das dieses bekannten Schauspielers; der klingt wie, ja, wie hieß er noch gleich …? Es gibt also Musiker, die sind wie Schlossgespenster: uralt und flüchtig, voller Historie, aber nicht recht existent. Sixto Rodriguez war so einer, der weltberühmte Sugar Man, den dennoch fast niemand kannte. Oder eben Damien Jurado, einer der umtriebigsten Songwriter unserer Zeit, hochproduktiv, sehr kreativ. Stolze zwölf Alben hat er seit 1997 gemacht und insgesamt wohl mehr Kollaborationen, Singles, Projekte, als sein offenbar reifes Leben Jahre hat. Trotzdem nie gehört? Kann schon passieren.

Damien Jurado mag auch nach einem Vierteljahrhundert auf den abseitigen Bühnen der Independentwelt noch immer als Geheimtipp gehandelt werden, tendenziell aber einfach den meisten völlig unbekannt sein – der Grundschullehrer aus Seattle, von dem sich in den einschlägigen Foren nicht mal das Alter findet, ist ein Tausendsassa der unterschwelligen Empathie. Ein rastloses Räderwerk des pathetischen Understatements. Das Beste mithin, was experimenteller Folkwave womöglich zurzeit zu bieten hat – eine Kategorie, die er in gewisser Weise ja allein bespielt. Dank seiner blutleeren Stimme klingt schließlich auch das neue Album mit dem verstörend esoterischen Titel Brothers and Sisters of the Eternal Son zuweilen, als würde Randy Newman mit den Editors Texte von T.C. Boyle intonieren, als träfe sich die Family of the Year mit Bird Control an Lou Reeds Grab zum Poetry Slam. Nichts an den zehn Stücken voll absurder Namen zwischen Silver Donna, Silver Malcolm und Silver Katherine ist sofort eingängig, aber alles brennt sich ins Unterbewusstsein wie ein dräuender Klosterchoral.

Damien Jurado vermag es, mit einer Mischung aus zu viel Brimborium und zu wenig Nachdruck eine Atmosphäre zu schaffen, die anspruchsvolle Hörer wie in Jericho Road erst ganz kurz abstößt in seiner Seifigkeit, im selben Moment allerdings anzieht wie eine Feuerwerksfabrikexplosion am Horizont. Da flattert das Falsett in Deep-Purple-Manier, da hämmert ständig eine Pauke durchs Szenario, da gibt es Glockenschläge und Geigen und viel, viel Gefühl über der Westerngitarre. Aber, oh Donner: Es wirkt, es ist anrührend, es hat Substanz und bleibt, statt sich rasch wieder zu verflüchtigen wie ein Spuk nach der Geisterstunde. Auf Brothers and Sisters of the Eternal Son gebiert Jurado seinen Folk mehr, als dass er ihn spielt. Und das erzielt eine Wirkung, die zugleich aufdringlich und subversiv ist. Berühmt wird man mit so was natürlich nie, auch in zwölf weiteren Alben nicht. Die Chance zum Kennenlernen sollte sich aber dennoch keiner entgehen lassen, der schon immer mal wissen wollte, was Crosby, Stills, Nash & Young wohl getan hätten, hätten sie sich vor 25 Jahren gegründet und wären heute in den besten Jahren. So ungefähr könnte es klingen.

Damien Jurado – Brother and Sisters of the Eternal Son (Secretly Canadian); Sound’n’Pics’n’Kommentare: http://blog.zeit.de/tontraeger/2014/01/15/damien-jurado_17368

Stonedeafproduction

Das wird die Review einer Musik, die nicht mit Musik beginnt, von einer Band, die nicht mit der Band beginnt, zu einer Platte, die inhaltlich irrelevant ist. Also beginnt diese Review nicht mit Tönen, Menschen, Tonträgern, sondern mit Bildern. Das Cover der neuen Platte von SDP namens Bunte Rapublik Deutschpunk nämlich ist strikt im bombastischen Vielfarbstil sowjetischer Propagandakunst gehalten und feiert vor allem eines: sich selbst. Weil allerdings noch das aufgeblähtestes Artwork am Ende ja doch nur den Sound dahinter illustriert, müssen wir also doch noch kurz darauf zu sprechen kommen. Leider.

Auf der Spielwiese kommerziellen Pops ist auch das zehnte Album des Berliner Ballermannduos Stonedeafproduction schließlich die Quintessenz dessen, was diese Art strukturierter Sinnlosigkeit so immens erfolgreich macht. 17 Stücke lang klingt ihr selbstreferenzieller PopHop, als würden Die Ärzte Die Prinzen covern oder umgekehrt, als wäre Oliver Pocher neuer Bassist der Atzen, als würde sich PR als Spaß tarnen und damit auch noch durchkommen. “Wir sind keine Band, wir wollen die Macht übernehmen”, singt der Berliner Aggroumfeldproduzent Vincent Stein alias Beatzarre samt seines Kumpels Dag-Alexis Kopplin und es klingt meist wie jener Dreck, den sie allen anderen in Lied für die Fans von den anderen Bands, vorwerfen: Nach Schlager für Volltrunkene. Wer das kauft, ist so blöd wie die Texte. Wer das verkauft, so klug wie sein Marketing. Und es funktioniert, die Masse tanzt. Pop eben.

SDP – Bunte Rapublik Deutschpunk (Berliner Plattenbau)