Big Busch & Bestien

Die Gebrauchtwoche

TV

24. – 30. Januar

Man muss sie nicht kennen, nein wirklich nicht – all diese Taras und Erics, die Filips und Jasmins aus dem Abklingbecken exhibitionistischer Privatfernsehreaktoren. Aber wenn sie wie (fast) jeden Januar seit 2004 im Dschungel ihre Popularitätsakkus aufladen dürfen, geschieht das trotz aller Belobigungen selbst seriöser Feuilletons eher selten durch Esprit, Anspruch, gar Intellekt, sondern mithilfe brachialer Aufmerksamkeitsbetteleien. Brachialer als die Südafrika-Reisende Janina Youssefian in der 15. Staffel Ich bin ein Star – Holt mich hier raus! aber waren sie selten.

Das Model mit Big-Brother-Besuch war schon mehrfach ins Model mit Bachelor-Biografie gerasselt, da bat sie die Schwarze Frau aus Hanau „in den Busch“ zurück, „wo du hingehörst“. Das war dann selbst dem Fernsehboulevard zu rassistisch. Nachdem die Dschungelmitcamper*innen protestiert hatten, schickte RTL Janina heim in Reich und bewies damit etwas, das dem Sender sonst so fremd ist wie gute Unterhaltung: Haltung.

Die bewies auch der österreichische, nun ja: „Journalist“ Richard Schmitt, als er das verstörend wahrhaftige ZDF-Kammerspiel Die Wannseekonferenz beim konservativen Online-Medium Exxpress mit den Worten kommentierte, die beteiligten Kader aus NSDAP, SS und Ministerialbürokratie vom 20. Januar 1942 „waren nicht nur Mörder, sondern durch und durch Sozialisten“. Okay, falsche Haltung. Aber auch die führte zur Entlassung. Was ist denn bitteschön bloß mit den Ballermannmedien vom rechtspopulistischen Rand los?!

Fehlt nur noch, dass Erdogan dem Welt-Reporter Deniz Yücel 12.500 Euro Schadenersatz zahlt, die ihm der europäische Gerichtshof für Menschenrechte für ein Jahr unberechtigter Untersuchungshaft zugesprochen hat. Aber gut, das wird natürlich nie geschehen. Eher schon verdoppelt DAZN seinen Abo-Preis auf 30 Euro. Obwohl – hat das Sport-Portal gerade gemacht und damit vorherige Ankündigungen widerlegt. Ist halt die Woche wackelnder Gewissheiten…

Die Frischwoche

0-Frischwoche

31. Januar – 6. Februar

Zum Beispiel die, dass der Kolonialismus nichts mit dem Faschismus zu tun hat oder umgekehrt. Hat er nämlich. Und wie viel genau, erfahren wir heute Abend in der herausragenden Arte-Dokumentation Rottet die Bestien aus, womit der vielfach preisgekrönte Filmemacher Raoul Peck (I Am Not Your Negro) die regelmäßigen Genozide unserer Spezies unter anderem genau damit erklärt: unserer Spezies. Und das Besondere: damit wird die Shoah nicht relativiert, sondern nur leichter verständlich. Starker Tobak, der Vierteiler.

Und damit ein Kontrastprogramm zur beeindruckendsten Serie der Woche: Pam and Tommy. Darin zeichnet Disney+ ab morgen das wilde Leben des Glamourpaars Pamela Anderson & Tommy Lee in den Neunzigerjahren nach. Trotz expliziter Sexszenen, die das Portal sogar zur Installation einer Altersbarriere veranlasste, ist der Zehnteiler jedoch aus mehr als Sex-and-Drugs-and-Rock’n’Roll. Wenn er die Erpressung der beiden mit einem Porno-Video übersteuert, geht es auch um Konsumwahn und Misogynie kurz vor 9/11.

Zwei von gut 300 Gründen, die Olympischen Winterspiele in der effizientesten Diktatur aller Zeiten ab Donnerstag zu boykottieren und stattdessen heute Abend zwei ARD-Dokus nebst Debatte bei Frank Plasberg über diesen Irrsinn zu sehen. Was allerdings auch kein einziges Opfer des chinesischen Regimes wieder lebendig machen würde. Es ist kompliziert, mit der Haltung. Also einfach leutselig fernsehen? Wäre eine Möglichkeit. Zum Beispiel den zehnteiligen SyFy-Grusel Surreal Estate über amerikanische Spukhausmakler ab Dienstag.

Oder parallel dazu die 30. Folge von Marie Brand im ZDF. Oder die Schwarze Kammerspielserie Sacha ab Mittwoch auf Arte. Oder das Thriller-Highlight der Woche tags drauf: Suspicion, ein dramaturgisch verschachteltes Entführungsdrama mit Uma Thurman. Oder der Vollständigkeit halber: Power Book IV, ein maximal männerlastiger, ebenfalls zehnteiliger Starzplay-Krimi aus Chicago mit einer ziemlich interessanten Hauptfigur.

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Saitün, Eels, Kreidler

Saitün

Orient – ist das ein kolonialistischer Begriff aus Zeiten, als sich Europa die Welt Untertan machte und falls nicht, zumindest kulturelle Aneignung, sofern ihn jene verwenden, die ihm gar nicht entsprungen sind? Solche Sprachfragen sind heutzutage (zum Glück) die Regel und müssen daher auch auf die Baseler Band Saitün angewendet. Ihr melodramatischer Psych-Rock wird nämlich nicht nur mit dem angedickt, was landläufig als orientalisch gilt; er spielt auch inhaltlich mit arabischen Codes und Chiffren.

Das machen sie hervorragend. Sinfonisch wälzen sich die Klangteppiche über englischsprachige Kritik am Kapitalismus, als hätten Faith No More Sauerkraut vergoren. Vom 1. bis zum 10. Track ist das Debütalbum Al’ Azif fesselnd wie ein vertonter Tsunami. Zugleich aber fragt sich, was die Assoziationsketten offenbar sehr weißer Protagonisten sollen – alles nur Spaß, alles sehr ernst, alles kulturell diffus, wie uns das Label versichert? Alles Auslegungssache, für die man Al’ Azif halt durchhören und selber urteilen sollte.

Altün – Al’ Azif (mon petit canard)

Eels

Mit Eels hingegen kann man seit einem Vierteljahrhundert eigentlich nie was falsch machen – was weniger deshalb überrascht, weil das Quartett aus Washington D.C. jemals irgendwas politisch auch nur ansatzweise Unkorrektes getan hätte. Erstaunlicher ist die Tatsache, dass Alternative-Fans der Stimme des Quantenphysiker-Sohns Mark Oliver Everett vermutlich auch auf dem 14. Album nicht überdrüssig werden. Und das hat schon echt was Magisches.

Denn es ist ja nun wirklich nicht so, als klänge Extreme Witchcraft grundlegend anders als das brillante Debüt Beautiful Freak von 1996. Im Gegenteil: die lässige Eastcoast-Americana, gepaart mit countryeskem Surfersound suppt exakt so schläfrig schön aus Boomboxen wie einst vom Kassettendeck. Aber genau dieses Grundgefühl der Wiedererkennbarkeit im Tonfall völligen Desinteresses an Erfolgen, Geld, Karriere macht auch das Album beiläufige Art einzigartig.

Eels – Extreme Witchcraft (PIAS)

Kreidler

Und wo wir grad beim Zauber der Beständigkeit an sich sind, konzentriert allerdings in einer Gruppe musizierender Menschen, die damit einst unerforschtes Gelände betraten: Kreidler haben ein neues Album gemacht, das 15. in ungefähr ebenso vielen Jahren wie Eels, was aber auch schon die einzige Parallele beider Klanguniversen ist. Denn das der vier Eketroavantgardisten um den Drummer Thomas Klein schießt über die bekannten Sonnensysteme abermals weit hinaus.

Spells and Daubs nämlich erforscht die unendlichen Weiten der eigenen Originalität mit exakt jener Experimentierfreude, die den Pop-Standort Düsseldorf seit Jahrzehnten zur sprudelnden Quelle erst abseitiger, dann massentauglicher Ideen macht. Gleichermaßen vertrackt und eingängig, sedierend und tanzbar, meditativ und weltlich zieht das Album in einen Bann, der sich heute so wenig erklären lässt wie 1994, aber damals wie für alle Zeiten eines ist: auf eingeborene Art angenehm undeutsch.

Kreidler – Spells and Daubs (Bureau B)


Wannseekonferenz: ZDF-Fiktion & Wahrheit

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Aber wird das nicht sehr teuer?

Die dritte Verfilmung der Wannseekonferenz-Protokolle ist ein Kammerspiel, von fürchterlicher Anziehungskraft – gerade, weil das ZDF (in seiner Mediathek) zeigt, wer den Holocaust damals organisierte: ganz gewöhnliche Männer mit ganz gewöhnlichem Vernichtungswillen.

Von Jan Freitag

„Was nützen die besten Worte“, schrieb Kurt Tucholsky lange, bevor die Nazis erst seine Bücher verbrannt, dann seine Staatsbürgerschaft annulliert hatten, „wenn sie über die Wirklichkeit hinwegtäuschen“. Wäre der sprachgewaltige Schriftsteller nicht kurz darauf im schwedischen Exil gestorben, er hätte diesen Satz womöglich am 20. Januar ergänzt, als sich in anderthalb Stunden zeigte: die schlechtesten Worte können durchaus über die Wirklichkeit hinwegtäuschen – zuweilen sogar die Wirklichkeit derer, von denen sie stammen.

Als sich nationalsozialistische Spitzenfunktionäre aus Regierung, Partei, SS heute vor 80 Jahren in einer prächtigen Villa am Südwestrand Berlins trafen, um die „Endlösung der Judenfrage“ voranzutreiben, fiel daher kaum ein konkretes Wort zur geplanten Vernichtungsoffensive. Über 90 Sitzungsminuten hinweg haben die 15 Teilnehmer ihre elf Millionen Opfer schließlich nur „ausgekämmt“, dann „einwaggoniert“, mit „Abschubmitteln“ in „Zielräume“ mal „evakuiert“, mal „deportiert“, um sie nach Kriterien der „Nützlichkeit“ einer „Sonderbehandlung“ zu unterziehen, wie die „Vorgänge im Osten“ weiter westlich hier heißen.

Wer sich die neueste Verfilmung des akribisch stenografierten Protokolls der „Wannseekonferenz“ anhört, könnte folglich meinen, es gehe gar nicht um den Holocaust, sondern jene Umstrukturierung des Postwesens, zu der Ministerialdirektor Friedrich Kritzinger im Anschluss aufbricht. „Sie ham ja ‘ne Kondition“, gibt ihm NSDAP-Kanzleivize Gerhard Klopfer noch lächelnd mit auf den Weg, worauf der Beamte nüchtern „man muss Opfer bringen“ entgegnet – dann ist die folgenschwerste Sitzung der Menschheitsgeschichte beendet, ohne dass Worte wie Tod oder Vergasen, Konzentrationslager und Vernichtung fallen.

Der verharmlosende Duktus allein aber macht die Neuverfilmung der Zusammenkunft gar nicht so faszinierend; es ist die Banalität des Bösen, mit der sie Matti Geschonneck nach Drehbüchern von Magnus Vattrodt unter Begleitung des Vorlagengebers Paul Mommertz sie in Szene setzt. Kurz vor der Konferenz mit Seeblick hat Deutschland Amerika den Krieg erklärt, die russische Gegenoffensive rollt, doch als von der Etsch bis an die Memel bereits Bomben aufs Reich hageln, verteilt Genozid-Verwalter Adolf Eichmann (Johannes Allmayer) Platzkärtchen auf dem Verhandlungstisch, zu denen seine Sekretärin Ingeborg Werlemann (Lilli Fichtner) penibel Block und Bleistift legt. Ordnung muss sein.

Schon wegen des Durcheinanders. Wie Dietrich Mattausch im baugleichen Kammerspiel von 1984 (dem auch Paul Mommertz die Skripte schrieb), wie Kenneth Branagh in der BBC-Version 17 Jahre später, muss nun also auch Philipp Hochmairs Reichssicherheitsleiter Heydrich bei Kaffee und Cognac Profilneurosen und Machtkalküle ausbalancieren. Während NSDAP-Bevollmächtige der Art von Alfred Meyer (Peter Jordan) aufs Endlösungstempo drücken, das ein Regierungsbeamter à la Wilhelm Stuckart (Godehard Giese) juristisch bremst, würden SS-Aktivisten wie Rudolf Lange (Frederic Linkemann) schon zu Beginn der Sitzung gern symbolisch das Gas aufdrehen, von dem erst später die Rede sein wird.

Die resolute Nonchalance, mit der Hochmair den Zeremonienmeister gibt, grenzt da ans Genialische. Aber auch alle anderen Darsteller spielen das zynische Feilschen um Halb- und Vierteljuden, die geplanten Alterslager für Weltkriegsveteranen, den beklagten Arbeitskraftverlust durch massenhafte Deportationen mit einer opportunistischen Nüchternheit, die gleichermaßen fasziniert und abstößt. „Donnerwetter“, schwärmt Außenpolitiker Martin Luther (Simon Schwarz) über die Ablaufpläne der Massenvernichtung, „wenn ich als Spediteur einen gehabt hätte wie Eichmann, hätte ich auch so ‘ne Villa“, worauf der spätere Blutrichter Roland Freisler fragt: „Aber wird das nicht sehr teuer?“

Dieses selbstgefällige Kompetenz- und Kostengerangel zieht sich von der ersten bis zur 104. Minute durch die unerträglich sehenswerten Realfiktion einer unbegreiflichen Versammlung. Es verbirgt aber nie, dass wirklich jeder am Konferenztisch schuldig im Sinne sämtlicher Anklagepunkte von Nürnberg war. Anders, als es der reaktionäre Kollektivschuld-Leugner Guido Knopp vor 20 Jahren beim gleichen Sender getan hätte, wird bei dieser Wannseekonferenz also niemand entlastet. Dennoch verbietet sich Geschonneck überflüssige Interpretationsspielräume des Bösen und belässt es bei der Faktenlage, die den Holocaust als Werk gewöhnlicher Menschen überliefert.

Das unscheinbare Wörtchen „Gas“ fällt dabei übrigens erst am Ende, als die Sitzordnung schon aufgelöst wurde, gefolgt vom Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B. „Na, das passt doch“, meint Eberhard Schöngarth (Maximilian Brückner) süffisant. Vier Jahre später wurde der Sicherheitschef der SS im Generalgouvernement von den Alliierten hingerichtet – abgesehen von Adolf Eichmann als einziger der 15 Beteiligten, von denen viele weitgehend unbehelligt in der Bundesrepublik weiterlebten, als wäre nichts gewesen.


Lauer Stuhl & Konferenzen

Die Gebrauchtwoche

TV

17. – 23. Januar

Manche Rückkehr ist gar keine Rückkehr, sondern reanimierter Ist-Zustand. Dass der Bild-gestählte RTL-Politikchef Nikolaus Blome mit der Gossip-Beauftragen Frauke Ludowig den Heißen Stuhl aus der Asservatenkammer geholt, bei Stern TV einen Querdenker draufgesetzt und seine Lügen dort größtenteils unwidersprochen erduldet hat, ist ja ebenso wenig ein Revival wie die fortgesetzte Wiederbelebung von Wetten, dass…? im Zweiten.

Schließlich gehört mangelnde Originalität im Kampf um die Überreste linearen Publikums zum Wesenskern beider Kanäle – den jedoch niemand inniger bewahrt als Sat1, wo seit gefühlt 25 Jahren nichts Innovatives mehr lief. Als Jörg Pilawa nach seinem Wechsel dorthin sein erstes Format präsentierte, war damit klar, was es wird. Nämlich – Surprise – ein Quiz. Und zwar, nächste Überraschung: mit Prominenten für Charity-Zwecke nach einer Idee von John de Mol. Crazy Sat1!

Nach einer Idee von Margaret Thatcher möchte Boris Johnson derweil die BBC zerlegen. Das versucht er zwar ersichtlich, um von seiner desaströsen Führung der vergangenen, na ja, eher der kompletten Regierungsmonate abzulenken. Nichtsdestotrotz ist sein Plan, die Gebührenfinanzierung bis 2027 abzubauen und dann in ein Abo-Modell zu überführen, der bislang größte Angriff auf die Pressefreiheit der britischen Nachkriegszeit. Und damit eine ähnlich schlechte Nachricht wie jene, dass Julian Reichelt „was eigenes machen“ will, wie er in einer Talkshow seines rechtspopulistischen Mitverschwörers Dietrich Mateschitz sagte.

Dafür, sagte das SEXMONSTER, wie er seinesgleichen in der Bild betitelt hätte, rede er „mit sehr vielen, sehr spannenden jungen Kolleginnen und Kollegen“. Wobei erstere wohl vor allem willig sein dürften und letztere reaktionär. Währenddessen beschied das OLG Hamburg, der Spiegel dürfe sein Reichelt-Porträt „Vögeln, fordern, feuern“ wieder online stellen, während die #MeToo-Kanonade gegen Luke Mockridge in weiten Teilen verboten bleibt. Anders als im RTL-Urwald herrscht im Mediendschungel offenbar doch nicht immer nur das Recht der Stärkeren.

Die Frischwoche

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24. – 30. Januar

IBIS läuft also wieder. Und wieder. Und wieder. Diesmal in Südafrika statt Australien, aber mit denselben D-Promis von der Bachelor-Kandidatin Linda Nobat bis zum Bachelorette-Kandidaten Filip Pavlovic. Was noch in der freitagsmedien-Pause anlief: die großartige HipHop-Dramaserie Queens (Disney+). Die großartigere Mafia-Realfiktion L’Ora (Sky). Oder die großgroßartige Tierschützer-Doku Animals Army (joyn+). Und die großgroßartige Fortsetzung vom Ritualmord-Thriller Der Pass (Sky).

Auf andere Art überragend sind dagegen zwei Spielfilme aus und über Deutschland: Matthi Geschonnecks brillante ZDF-Rekonstruktion der Wannseekonferenz, begleitet vom Netflix-Drama München, das jenes Gipfeltreffen zum Politthriller macht, bei dem Hitler (Ulrich Matthes) und Chamberlain (Jeremy Irons) die Annexion des Sudetenlands und damit den 2. Weltkrieg beschlossen haben. Beides ist in seiner wahrhaftigen Spannung fast unerträglich.

Diese Woche neu wäre folgendes: Heute zeigt die ARD um 22.50 Uhr Hajo Seppelts Doku Wie Gott uns schuf über Homosexuelle in der katholischen Kirche. Morgen skizziert Jud Süß 2.0 ab 22.40 Uhr auf Art den neuen Antisemitismus und seine sozialen Netzwerke genannten Verbreitungsportale. Parallel dazu startet die ARD das nächste Improvisationsexperiment von Jan Georg Schütte, bei dem er sechs Teile lang Das Begräbnis einer Provinzpersönlichkeit eskalieren lässt. Und ab Donnerstag porträtiert das Erste Die Gewählten wie den frühvergreisten CDU-Jungen Tilman Kuban oder den alterslosen SPD-Chef Klingbeil.

Zeitgleich importiert Arte die Mystery-Serie Das Seil aus Norwegen, bevor tags drauf der amerikanische Comedycrime-Achtteiler The Afterparty bei Apple+ beginnt. Höhepunkt der nächsten sieben Tage aber ist aus Unterhaltungssicht die Katastrophenserie Station Eleven, in der 99 Prozent aller Menschen einer Grippe zum Opfer fallen. Umso verblüffender, dass der Zehnteiler ab Sonntag bei Starzplay dennoch nicht dystopisch ist.


Jerome Latour: Ausstattung & Der Palast

Von Entzauberung keine Spur

Der Szenenbildner Jerome Latour verantwortet seit Ende der Achtzigerjahre alles Visuelle, was am Bildschirm abseits von Schauspiel und Licht zu sehen ist. Das ZDF-Revuedrama Der Palast (abrufbar in der Mediathek) hat den Ausstattungsprofi dennoch vor neue Aufgaben gestellt. Ein Gespräch über Sehgewohnheiten, Publikumserwartungen, Budgetfragen und warum ein wenig Übertreibung dazugehört.

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Von Jan Freitag

freitagsmedien: Jerome Latour, erinnern Sie sich noch an die Hochphase des Revue-Films?

Jerome Latour: Oh, das ist lange her.

Bis Ende der Sechzigerjahre.

Da bin ich mal gespannt, wie unsere Version angesichts heutiger Sehgewohnheiten ankommt. Wobei ich die finale Version noch gar nicht gesehen habe, dafür brauche ich immer ein wenig Abstand. Aber man bekommt ja schon während des Drehens mit, wie es am Bildschirm aussieht. Früher wussten das im Grunde nur die Kameraleute. Heutzutage stehen überall am Set Monitore, wo man bis aufs Colour-Upgrading fast eins-zu-eins sehen kann, ob das Bild funktioniert – oder eben nicht.

Beim Revue-Film im 2. Drittel des 20. Jahrhunderts wurde die Story um Showteile mit den Bühnenstars jener Zeit, herumgestrickt. Ist hier die Geschichte einer DDR-Tänzerin mit unbekannter BRD-Schwester zentraler als die Legende Friedrichstadtpalast.

Inhaltlich stand die Story im Vordergrund. Was den Ausstattungsaufwand betrifft, war es hingegen die Palastbühne. Wobei für mein Team weniger wichtig war, in welchem Zeitraum und politischen System sie aufgebaut wurde, sondern wie man historische Revuestoffe in zeitgemäße Unterhaltung übersetzt: Die Interaktion zwischen Kulisse, Lichtdesign und Ensemble ist auf Bühnen völlig anders und komplexer als bei Straßen- und Studioszenen. Inszenierungen innerhalb einer Inszenierung zu choreografieren, ist für sich schon herausfordernd. Das Ganze aber auch noch mit dem unüblichen Stilmittel Musik und Tanz, macht die Challenge für alle noch größer.

Welche Challenge ist das denn, was genau macht ein Szenenbildner?

Plakativ ausgedrückt, hat er die Hoheit über alles Sichtbare, was nicht Schauspiel und Licht ist. Wie es am Ende wirkt, hängt zwar stark von Kamera und Regie ab; aber durch die stimmige Zusammenführung aller visuellen Elemente, erschaffen wir ein atmosphärisches Gesamtbild – und das ist bei einem Studiobau wie Der Palast natürlich gewaltig.

Besorgen Sie dafür alles Sichtbare auch schon mal selber?

Nein, die Aufgabe des Szenenbildners, heute auch Production Designer genannt, gleicht eher dem des Dirigenten, der das Gesamtwerk im Blick hat, während sich das Orchester auf die eigenen Instrumente konzentriert. Ich nähe nichts mehr selber zusammen, bin aber so eine Art Nadelöhr, durch das am Ende alles hindurchmuss, was im Bild zu sehen ist. Studienabgänger sind heute bisweilen erstaunt, wie groß der organisatorische Teil verglichen mit dem künstlerischen ist. Abgesehen vom Handwerk gehören dazu auch Budgetfragen oder der Umgang mit Menschen. Beides kann man nur bedingt lernen, das hat viel mit Berufserfahrung zu tun.

Die umfasst bei Ihnen mehr als drei Jahrzehnte. 1992 etwa haben Sie eine andere Legende ausgestattet: Liebling Kreuzberg.

Verglichen mit Kino und Theater waren Fernsehserien damals zwar noch ein wenig verpönt, aber man hat darin viel Handwerk gelernt, besonders Geschwindigkeit, Präzision. Wobei mir sehr geholfen hat, dass ich seinerzeit von der Hochschule für Bildende Künste am Hamburger Lerchenfeld kam, wo ich freie Kunst und Bühnenbild studiert habe.

Danach haben Sie von der Vorabendserie bis zum historischen Mehrteiler wie „Krupp“ und Das Adlon oder den Club der singenden Metzger verschiedenste Genres ausgestattet. Mögen Sie es eher opulent oder dezent?

Wir statten alle lieber Raumschiffe als Kammerspiele aus. Wer wie ich aber von Sandalen- über Ritterfilme bis hin zum Krimi alle Epochen ausstatten durfte, weiß jede einzelne für sich zu schätzen. Das gilt auch für den Revue-Film. Zumal solch ein Auftrag wahrscheinlich einzigartig bleibt.

Stimmt es, was einige Ihrer Kollegen und Kolleginnen behaupten: dass Epochen wie die Achtzigerjahre schwieriger auszustatten sind als das 18. Jahrhundert, weil das Publikum damit persönliche Erinnerungen verbindet und die Authentizität deshalb strenger beurteilt.

Interessantes Thema. Grundsätzlich beeinflusst die Existenz von Zeitzeugen unsere Dreh- und Sehgewohnheiten immens, unter anderem, weil sie eine visuelle Deutungshoheit für sich beanspruchen. Da muss die Ausstattung glaubhaft zwischen plakativer Zuschauererwartung und Realismus balancieren.

Aber im Zweifel statten Sie doch eher Publikumserwartungen als Geschichte aus, oder?

Es soll jedenfalls authentisch, aber auch gut aussehen. Und das ist schon deshalb gar nicht so einfach, weil sich die Leute lieber an Farben erinnern als an Grautöne.

Also: sah es im Friedrichstadtpalast, einem der meistgefilmten Orte der DDR, aus wie in Ihrem Mehrteiler?

Nein.

Nein?!

Nein (lacht). Davon abgesehen, dass wir nur teilweise darin gedreht haben, kann man heutzutage weder die Kulissen noch die Shows geschweige denn viele der Räumlichkeiten abseits der Bühne filmisch 1:1 übernehmen. Dank des fabelhaften Palast-Archivs konnten wir zwar gut recherchieren, aber um die engen Flure hinterm Saal zeitgemäß interessant zu machen, war eine Art neuerfundener Realität mit etwas Übertreibung nötig.

Lassen Sie dabei auch eigene Erfahrungen einer Zeit in die Arbeit aneiner Epoche fließen, die Sie als Ausstatter noch persönlich erlebt haben?

Die Zeit des Mauerfalls war jedenfalls dadurch geprägt, dass wir direkt danach in Ostdeutschland gedreht haben und auf der Suche nach Material und Sets weiter als nur in den damaligen Alltag vorgedrungen sind. Einen interessanteren Abenteuerspielplatz konnte man sich als Szenenbildern seinerzeit kaum wünschen.

Ist es teurer, diese Zeit auszustatten als unsere?

Geld spielt immer eine Rolle, und es reicht nie. Aber die Constantin hat uns ein gutes Gerüst zur Verfügung gestellt, und ich hoffe, man sieht es der Serie auch an. Wobei man wissen muss, dass osteuropäische Altstädte wie Breslau, wo wir gedreht haben, zwar bessere Annäherungen an die Zeitepoche liefern als deutsche; die Zeit ist aber auch dort nicht stehengeblieben. Außendrehs sind überall aufwändig, und ohne analoge Bauten zuzüglich digitaler Retusche undenkbar.

Was war da die größte Herausforderung bei Der Palast.

Abgesehen von der allgegenwärtigen Corona-Problematik die Ausstattung der Shows – inhaltlich, technisch, aber auch zeitlich, um den alltäglichen Betrieb dort so wenig wie möglich zu stören. Aber auch, weil der Friedrichstadtpalast damals eine riesige Baustelle war. Die gesamte Lichttechnik musste neu installiert werden.

Die Massenszenen auf der Bühne sind aber alles echte Menschen?

Auf der Bühne war alles analog, nur das Publikum wurde digital vervielfältigt.

Ist diese Digitalisierung aus Sicht des handwerklich ausgebildeten Ausstatters eigentlich eine Erleichterung oder womöglich eine Entzauberung.

Mehr noch: Es ist sogar eine Bereicherung. Dank digitaler Tools kann man sich heutzutage Welten erschließen, die zuvor undenkbar waren. Von Entzauberung keine Spur.


Arte-Serie Vigil

Deep State im U-Boot

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Die großartige BBC-Serie Vigil bündelt gerade donnerstags auf Arte und in der Mediatihek diverse Skandale der Royal Navy zu einer herausragenden Realfiktion vom militärischen Staat im demokratischen Staate

Von Jan Freitag

„Deep State“ ist ein Kampfbegriff aus dem Spracharsenal von Donald Trumps Terrormilizen, um die angeblich linke Unterwanderung staatlicher Strukturen zu behaupten. Wer dieses Märchen nicht miterzählen möchte, sollte ihn sich also besser verkneifen. Dummerweise aber gibt es diesen Deep State tatsächlich. In Diktaturen genauso wie in Demokratien. Er nennt sich nur anders. In Großbritannien zum Beispiel: Die Royal Navy.

Wie in jeder Waffengattung herrscht auch hier ein hierarchisches System eigener Sitten und Gebräuche mit eigener Rechtsprechung, gar eigenem Sauerstoffpegel, der an Bord eines britischen U-Boots bewusst niedrig gehalten wird, um Feuern im Brandfall die Nahrung zu nehmen. Als sich beim Tauchgang ein seltsamer Todesfall ereignet, kriegt es bei so viel militärischer Autonomie also selbst die Exekutive der gewählten Regierung mit dem tiefen Staat des Militärs zu tun.

Nach penibler Sicherheitskontrolle an Land wird Detective Amy Sylva (Suranne Jones) zu Beginn der BBC-Serie Vigil folglich nicht nur per Hubschrauber an Deck des titelgebenden Tauchschiffes geflogen, um darunter drei Tage zwischen Nuklearsprengköpfen und Männerbünden zu ermitteln; der prinzipientreue Kommandant Newsome (Paterson Joseph) zeigt ihr zur Begrüßung auch gleich mal, welche Staatsmacht unter Wasser das Sagen hat: „Tun Sie Ihre Arbeit, gehen Sie mir aus dem Weg, und sollte ich das Wort Mord außerhalb dieses Raumes hören, lasse ich Sie in die Kabine einsperren.“

So klingt es sechs Teile lang, wenn Arte nun drei Skandale der jüngeren Marine-Vergangenheit zu einer verblüffenden Miniserie verdichtet: Die tödliche Havarie eines Fischtrawlers, dessen Netz sich 1990 im realen Schwesterboot der fiktiven Vigil verfing. Der Drogenkonsum diverser Matrosen 27 Jahre später. Zuletzt das ungeklärte Ableben eines Unterseemannes. Und zwischendrin natürlich Berichte von Corpsgeist und Störfälle an Bord einer Flotte, deren Antrieb und Bewaffnung im postheroischen Zeitalter zunehmend auf Ablehnung stößt.

In dieser verschwörungstheorieanfälligen Nährstofflösung hat der dramenerprobte Autor Tom Edge (The Crown) dem krimierfahrenen Regisseur James Strong (Broadchurch) nun also 300 Minuten Realfiktion verfasst, von denen jede für sich fesselnd ist. Denn wenige Stunden, nachdem er die Besatzung der atomgetriebenen Vigil vergeblich dazu aufgefordert hatte, einem Fischerboot in Seenot zu helfen, liegt Officer Craig Burke tot in der Kajüte. Die herbeigerufene Kommissarin entdeckt zwar Heroin unter, aber nicht in seiner Nase, was die Ursache Überdosis ausschließt.

Während ihre Ermittlungen weitere Indizien von Fremdeinwirkung unter der feindseligen Besatzung – allen voran Officer Prentice (Adam James) – entdeckt, stößt Amys Kollegin Kirsten (Rose Leslie) auch bei der Spurensuche an Land auf Ungereimtheiten, die mehr als Drogenmissbrauch nahelegen. Schon diese Konstellation ist dank der beiden Hauptdarstellerinnen im Glasgower Dialekt hochinteressant. Aus Gründen von Geheimhaltung bis Prinzip darf die Kommissarin nämlich kaum mit ihrer (offenbar auch erotisch verbundenen) Partnerin kommunizieren, was beide in Lebensgefahr bringt und die Aufklärung ins Stocken.

Zum Glück geht Vigil also weit über den dusselig deutschen Untertitel „Tod auf hoher See“ hinaus. Mit einer brillanten Erzählung vom Staat im Staate, dem demokratische Regeln ungleich weniger bedeuten als militärische, hat sich das erfolgreichste BBC-Format seit der Terror-Serie Bodyguard von 2018 seine achtstellige Zuschauerzahl somit absolut verdient. Auch ohne die klaustrophobische Atmosphäre in Wolfgang Petersens Kino-Boot U 96 vor 41 Jahren, erzeugt die geräumigere Vigil – nach Aussage von Sylvas kooperativen Verbindungsoffizier Glover (Shaun Evans) „lang wie zwei Fußballfelder und hoch wie vier Doppeldeckerbusse“ – schließlich ein kammerspielartiges Ambiente, das virtuos mit der Weite schottischer Landschaften korrespondiert.

Unklar wirkt da eigentlich nur, warum ausgerechnet eine wasserscheue Stadtpolizistin, die seit ihrer Familientragödie das Trauma vom Ertrinken mit sich herumschleppt, drei Tage lang zu 140 Männern auf Tauchgang geschickt wird. Doch das bleibt der einzige Widerspruch einer Serie, die Arte Online auch im Originalton zeigt und damit nicht nur den Generationen Krieg bis X, sondern auch Y bis Z öffentlich-rechtliches Spitzenentertainment bietet.


Jana Pareigis: Diversity & heute-News

Ich benutze das Wort Privilegien ungern

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Seit einem halben Jahr moderiert Jana Pareigis (Foto: Felix Schmitt) die bedeutenden heute-Nachrichten um 19 Uhr im ZDF – als erste Schwarze Frau. Fragen zu ihrer Herkunft findet sie irrelevant und exotisierend, aber das Thema Diversity ist sie noch lange nicht leid – wie sie im journalist-Interview erzählt.

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Frau Pareigis, wenn wir Ihnen die Entscheidung überließen – worüber möchten Sie nicht mit uns reden?

Jana Pareigis: Mein Privatleben.

Nachvollziehbar. Aber beruflich, politisch, gesellschaftlich ist Ihnen als junge Schwarze Frau in den deutschen Medien jedes Thema recht?

Jana Pareigis: Jung ist gut, ich bin 40 (lacht laut). Ob mich das Thema Diversity nervt? Nee! Denn ich kann dieses Interesse an meiner Haltung dazu ja verstehen, es sagt allerdings auch viel darüber aus, wo wir gesellschaftlich stehen. Weil es einfach noch immer sehr wenige Schwarze Nachrichtenmoderator*innen oder generell Journalist*innen of Colour gibt, ist es gut, dieses grundsätzliche Problem weiter zu thematisieren. Was ich aber auch hier schwierig finde: wenn es dabei um meine privaten Hintergründe geht. Oder würden Sie Claus Kleber über seine Eltern befragen.

In zwei längeren Interviews bislang nicht, nein.

Eben. Ich empfinde es grundsätzlich als irrelevant und exotisierend, wenn mein Familienhintergrund thematisiert wird.

Aber bei einer Schwarzen Frau, deren Lebensweg in Deutschland tendenziell von Vorurteilen, womöglich gar Diskriminierung begleitet sein dürfte, ist es doch naheliegender, die Voraussetzungen dafür zu betrachten als bei einem weißen, von Geburt an privilegierteren Cis-Mann wie Claus Kleber?

Dann könnte man doch mit ihm das Gleiche unter umgekehrten Voraussetzungen besprechen, nämlich wie ihn seine, wie Sie es nennen: privilegierte Position geprägt hat und wie es zu dieser Position überhaupt kommen konnte. Warum konnte Hautfarbe angesichts der bewiesenen Tatsache, dass Rasse ein soziales Konstrukt ist, denn überhaupt so prägend werden? Hätte es vor Hunderten von Jahren nicht auch etwas anderes sein können, das Menschen hierarchisiert – angewachsene Ohrläppchen zum Beispiel? Ich benutze das Wort Privilegien ungern.

Warum?

Weil es kein Privileg sein sollte, nicht von Rassismus betroffen zu sein. Aber was damit einhergeht, ist im Falle eines weißen Mannes, dass er in den deutschen Medien seit jeher der Regelfall ist, während es im Westen mit Wiebke Bruhns erst 1971, in der DDR mit Anne-Rose Neumann 1963, eine Nachrichtenmoderatorin gab, was auch danach noch lange Zeit die Ausnahme blieb. Dieses Missverhältnis prägt beide Seiten doch gleichermaßen, sollte also auch mit beiden Seiten besprochen werden. Als Schwarzer Mensch ist man gewohnt, ständig auf das Schwarzsein angesprochen zu werden, weiße Menschen zucken oft zusammen, wenn sie als weiß bezeichnet werden.

War das Gefühl, als Schwarze Frau am Bildschirm unterrepräsentiert zu sein, für Sie eine Motivation, Fernsehjournalistin zu werden?

Ich bin Journalistin geworden, weil ich gerne Journalistin werden wollte. Das mit der Moderation hat sich vor zwölf Jahren eher so ergeben. Ich liebe einfach das journalistische Handwerk und moderiere, weil es großen Spaß macht. Trotzdem ist es mir auch als Person of Colour wichtig, mich in diesem Beruf zu zeigen und zu hoffen, dass so weiter Barrieren eingerissen werden.

Kommt man dabei automatisch in eine identitätsspezifische, identitätspolitische Richtung…

Ich halte nichts davon, wie dieser Begriff der Identitätspolitik zurzeit verwendet wird, weil es darin ja nicht um Zugehörigkeit geht, sondern um Ausgrenzung. Und deshalb geht es mir in meiner beruflichen Motivation übers journalistische Interesse hinaus auch nicht um Identität, sondern um Teilhabe. Stichwort Bundestag.

Frauenanteil gute 30 Prozent, Migrationshintergrundanteil im Promillebereich.

Genau, immerhin gerade wieder leicht gestiegen, aber was Frauen betrifft immer noch bei maximal einem guten Drittel. Warum prägen (weiße) Männer die wichtigste Institution der Demokratie, die eigentlich doch alle Menschen im Land repräsentiert, so deutlich über ihren Bevölkerungsanteil hinaus? Auf die Medien übertragen heißt dies für mich, dass unabhängig vom Handwerk und der Frage, ob Frauen nun fachkundiger über Frauen oder Schwarze fachkundiger über Schwarze berichten, Marginalisierte einer Stimme bedürfen.(…) Sie kennen das beste Beispiel, bei dem die Medien da eine katastrophale Nebenrolle gespielt haben?

Na?

Bei der rechtsterroristischen Mordserie des NSU. Damals haben weite Teile der Medien mal unbewusst, mal vorsätzlich rassistische Vorurteile aufgegriffen und verbreitet. Das hat dazu geführt, dass die Opfer und Angehörigen über Jahre hinweg kein Gehör fanden und selbst kriminalisiert wurden. Der Mordserie wurde zudem ein menschenverachtender Titel gegeben. 

Döner-Morde.

Ich mag diesen Begriff nicht mal in den Mund nehmen. Niemand hätte von Bratwurst-Morden gesprochen, wenn die Opfer keine Migrationserfahrung gehabt hätten. Das zeigt umso mehr, wie wichtig Vielfalt und Repräsentation in den Medien sind, um Stereotype und Vorurteile zu vermeiden. Daher glaube ich keinesfalls, dass nur Schwarze Frauen über Schwarze Frauen berichten sollten. Aber sie brauchen wie alle Gruppen der Bevölkerung Teilhabe.

Trotzdem stellt sich doch die Frage, ob es im Journalismus Themen gibt, die von unmittelbar Betroffenen mit dem entsprechenden journalistischen Handwerk besser bearbeitet werden als von Außenstehenden, also rein Beobachtenden?

Sagen Sie mal ein Beispiel.

Als ich der Zeit mal einen Text zur Frage angeboten hatte, warum in der deutschen Fiktion alle, wirklich alle Frauen immer, wirklich immer hohe Hacken tragen, sagte die Ressortleiterin zu mir, lieber Jan, lass so was mal lieber die Girls machen.

Ha, sie hat echt „Girls“ gesagt? Ich finde ja, grundsätzlich dürfen alle über alles berichten, sofern sie es gut recherchieren und handwerklich sauber arbeiten. Aber ebenso grundsätzlich finde ich, dass es seit Urzeiten überproportional viele weiße Männer sind. Und auch, wenn sich das Geschlechterverhältnis beim ZDF auf mittlerweile 50 zu 50 angeglichen hat, sind Frauen in Führungspositionen weiterhin so unterrepräsentiert wie People of Colour auf allen Ebenen.

Das ist jedoch ein quantitativer, kein qualitativer Faktor.

Aber Quantität bedingt hier doch Qualität. Expertise speist sich nicht nur aus persönlicher Betroffenheit, aber als Frau Sexismus oder als Schwarzer Mensch Rassismus erfahren zu haben, schafft Erfahrungswissen, das andere nicht haben. Drehen wir die Frage der Identitätspolitik also einfach mal um: warum berichten hierzulande vor allem weiße Männer über alles?

Gab und gibt es in den Redaktionen, in denen Sie gearbeitet haben, denn umgekehrt die Tendenz, bei rassistischen oder sexistischen Themen die biografisch betroffene Jana zu fragen, ob sie das mal machen kann?

Nein, ich werde nicht auf das Thema Rassismus reduziert. Ich habe mich in meiner akademischen Ausbildung wissenschaftlich und publizistisch mit Rassismus auseinandergesetzt und diese Expertise wird geschätzt beim ZDF, habe ich das Gefühl. Aber ich bin Nachrichtenmoderatorin. Ich beschäftige mich mit Nachrichten in ihrer ganzen Spannbreite.

Ist das ZDF demnach schon weiter als die Gesellschaft drumherum?

Na, zumindest achtet das ZDF spürbar auf Diversität.

Mithilfe messbarer Quoten?

Nicht, dass ich wüsste, aber im Bewusstsein, nicht divers genug zu sein. Was das ZDF aber in jedem Fall macht: es geht ergebnisoffen in Castings, schließt also niemanden durch Blickverengung aus – und zwar schon aus purem Pragmatismus. Denn alle, wirklich alle Studien zeigen doch, dass vielfältige möglichst diverse Teams besser arbeiten als homogene. An der Wirtschaftlichkeit kann es also nicht liegen, wer dagegen argumentiert.

Sorgt das Wesen des Journalismus, Informationen anzuhäufen, was der englische Begriff für Recherche und Forschung besser zum Ausdruck bringt…

Research, genau.

Bringt diese Erkenntnisaffinität automatisch Diversität mit sich, weil mit angemessener Research nun mal alles dafürspricht, wie sinnvoll sie sogar ökonomisch ist?

Für so viel Selbstlob der eigenen Branche müsste ich dafür die gesamte Medienlandschaft empirisch betrachten, aber klar – breite Bildung sorgt für breite Sichtfelder.

Sie persönlich haben einst Afrikanistik und Politik studiert.

Afrikastudien. Das ist eher geschichtlich orientiert, Afrikanistik dagegen sprachlich.

Haben Sie das unabhängig von der Frage, ob ein Studiengang, der Geschichte, Kultur und Sprache eines Kontinents mit 55 Ländern über einen Kamm schert auch wieder Rassismus perpetuiert, aus gegenwärtigem oder biografischem Interesse studiert?

Zunächst mal war es das Nebenfach meines Hauptfachs Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Internationale Politik, für den ich mich auch sehr mit Rassismus in den USA, wo ich ein Jahr war, auseinandergesetzt habe. Mich hat schon immer interessiert, wie Dinge politisch funktionieren und zusammenhängen. Ich bin nach dem Abitur aber auch ein Jahr nach Simbabwe gegangen.

Der Heimat Ihres Vaters.

Meines biologischen Vaters.

Dennoch: war dieser Link in Ihre Vergangenheit für die Wahl des Aufenthaltsortes mitverantwortlich?

Das ist mir zu privat, aber ich fand schon immer interessant, den stereotypen, teils medial verstärkten Blick auf afrikanische Länder zu hinterfragen und mir selbst ein Bild zu machen.

Dafür hätten Sie aber auch nach Nairobi oder Kapstadt gehen können, anstatt ins Geburtsland ihres biologischen Vaters.

Ja.

Und?

Nichts und. Bisschen wie Schach hier zwischen uns beiden… (lacht) Ich sehe das Studium generell als Mittel der Perspektiverweiterung. Dafür war ich an einer amerikanischen Universität, an der Africana and Puerto Rican/Latino Studies als einer der ersten einen eigenen Fachbereich hatte. Dass es dafür selbst in den USA bis in die Sechziger gedauert hatte, zeigt doch, wie dominant rassistische Perspektiven sind. Diese Form politischer Marginalisierungsmechanismen hat mich schon früh interessiert. Wer darf sprechen, wer wird gehört? Da müssen wir uns auch als Medien andauernd kritisch hinterfragen und bei der Suche nach Fakten mit der Deutung vorsichtig sein, aber mithilfe unseres journalistischen Handwerkszeugs verschiedene Positionen aufzeigen.

Nur das oder auch Haltung zeigen?

Auch die, aber da geht es, so sehe ich das, weniger um eine persönliche Haltung, als um journalistische und ethische Codices, etwa Menschenwürde oder Menschenrechte zu achten. An diesen Leitplanken sind wir im Falle der Berichterstattung über die NSU-Morde schließlich voll verbeigefahren. Das war aus meiner Sicht nicht nur falsch, sondern unzulässig.

Konnten Sie in Ihren 13 Jahren als Journalistin stets unfallfrei zwischen Hinterfragen und persönlicher Haltung trennen?

Ja. Es sei denn, ich habe wie in meiner Rassismus-Dokumentation bewusst die rein sachliche Ebene verlassen und bin persönlich geworden. Das war allerdings auch genauso gekennzeichnet. Darüber hinaus fällt es mir aber leicht, meine persönliche Sicht vom Job zu trennen.

War Afro.Deutschland diesbezüglich eine Art emotionaler Befreiungsschlag, der einmal sein musste und damit erledigt ist?

(überlegt lange) Ich hatte schon immer Interesse, mal eine Doku über Rassismus zu machen, und als sie sich ergab, hab ich’s halt gemacht. Zumal die persönliche Ebene Menschen emotional mitnimmt. Persönliche Beispiele sorgen für Empathie, das ist ein schöner Ansatz; schließlich geht es bei der Berichterstattung über Marginalisierungen jeder Art nicht nur um Strukturen, sondern die Menschen darin.

Ein anteilnehmender Ansatz, der den Journalismus in Zeiten sozialer Netzwerke – man sieht das am zwanghaften Verlesen von Tweets in Talkshows – mehr denn je prägt.

Genau. Nicht jedem, der sich rassistisch äußert, ist es bewusst, das zu tun. Denen hilft die persönliche Sicht der Betroffenen, und eben nicht nur meine als Berichterstatterin. Dieses Lernen der Verhältnisse gilt übrigens auch für mich selber. Ich habe keine Behinderungen, bin heterosexuell, komme aus der Mittelschicht, einem Akademikerhaushalt und muss mich in die Diskriminierungsmuster all jener, für die das nicht gilt, erst reindenken. Wir alle, nicht nur Journalist*innen, müssen ständig unseren Horizont erweitern. Mit Rassismus und Sexismus habe ich mich viel auseinandergesetzt, bei Homophobie oder sozialer Herkunft muss ich mich auch ständig hinterfragen, sind die Begriffe, die ich benutze, vielleicht unbewusst diskriminierend? Es geht um gegenseitiges Verständnis.

Haben Sie aus dieser Selbsterkenntnis heraus ein didaktisches, um nicht zu sagen pädagogisches Sendungsbewusstsein?

Witzigerweise wird Journalist*innen of Colour mehr als anderen Kolleg*innen unterstellt, sie hätten eine Mission.

Die Frage stelle ich allen Journalistinnen und Journalisten, sofern deren Arbeit darauf hindeutet – auch ihrem sehr, sehr weißen Kollegen Claus Kleber.

(lacht) Okay, glaube ich Ihnen. Aber dem entgegne ich trotzdem. Es! Ist! Ein! Hand! Werk! Der Bruder einer Freundin von mir ist Handwerker. Dabei muss er manchmal eben auch Badezimmerfliesen verlegen, die ihm selber nicht gefallen. Einen guten Job macht er trotzdem und verlegt sie ordentlich. Und so ist das auch beim Journalismus. Obwohl mir manche Fliesen persönlich nicht gefallen, ich beherrsche das Handwerk. Ersteres ist also Geschmackssache, letzteres die Grundvoraussetzung. Deswegen hab‘ ich kein Sendungsbewusstsein, aber natürlich die Aufgabe, besonders bei den Mächtigen alles kritisch zu hinterfragen, nachzuhaken, hinzugucken, Informationen zu sammeln und verfügbar zu machen.

Sind Sie als heute-Moderatorin, die Fakten nur bündelt, nicht kommentiert, sozusagen dort angekommen, wo sich ihr Berufsethos schon immer hin gesehnt hat?

Mit der heute-Moderation hat sich für mich ein Traum erfüllt. Ich muss mich zwar disziplinieren, beim Schreiben der Moderationen nicht zu lang zu werden, mir gefällt das Reduzierte der 19-Uhr-Nachrichten aber sehr.

Mögen Sie auch die damit verbundene Popularität oder zumindest die gesellschaftliche Strahlkraft?

Wie Sie vielleicht gemerkt haben, bin ich sogar ein bisschen öffentlichkeits- und damit popularitätsscheu. Selbst auf social media poste ich nur das Nötigste, sonst fängt das Private nämlich an, das Berufliche zu überlagern. Können alle machen, wie sie wollen. Ich will das nicht. Natürlich hat jede ihre Art zu sprechen, zu gucken, zu schreiben, zu stehen, wir sind ja keine Roboter. Und deshalb ist das Schönste an meinem Job bei heute auch, dass meine Texte von mir stammen. Ich weiß noch, wie ich bei der Deutschen Welle volontiert habe; da machen alle am Ende eine Probemoderation, um zu sehen, wie man vor der Kamera wirkt. Schon da hieß es, offenbar hätte ich Spaß daran. Ich hatte nie dieses Bedürfnis unbedingt ins Fernsehen zu müssen, aber jetzt bin ich da und fühle mich extrem wohl.

Sind Sie als Sprecherin der, pardon: zweitwichtigsten deutschen Nachrichtensendung nach der Tagesschau

What!? (lacht)

… mit gerade mal 40 nicht in einer Position angekommen, an der es nach oben kaum noch Luft ist?

Das klingt jetzt so, als ginge ich mit einem Masterplan durchs Leben, der nur Wege aufwärts kennt. Ich glaube eher, dass man Dinge genießen muss, wenn sie sich ergeben. Und obwohl ich viele Stufen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens von der Deutschen Welle über Morgen- und Mittagsmagazin bis hin zur Brexit-Berichterstattung vor Ort durchlaufen habe, war heute bis vor einem Jahr nicht auf meinem Schirm. Ich laufe nicht von Ehrgeiz getrieben durch die Welt.

Dennoch war Ihre Karriere – komischer Begriff, oder?

Stimmt, benutze ich auch nicht.

Also Ihr beruflicher Werdegang: täuscht der Eindruck, dass er relativ frei von Brüchen ist?

Kommt drauf an, wie Sie Brüche definieren. Ich hatte schon meine Phasen, nach der Schule etwa, wo ich ungeachtet meiner späteren Laufbahn, noch so ein Begriff, erstmal nach Simbabwe gegangen bin, ehrenamtliche, soziale Arbeit gemacht habe, später dann ein Praktikum im UN-Peacekeeping Department im NY und nicht besonders schnell studiert habe. Dass ich von dort zu N24 gekommen bin und während des Studiums bereits als Assistentin des damaligen Chefredakteurs Peter Limbourg in der Parlamentsredaktion gearbeitet habe, war eher Zufall, aber eine total gute Schule. Noch nicht journalistisch, aber technisch.

Assistentin klingt etwas trocken.

Ich fand’s spannend. Ich habe schon immer auch hart gearbeitet, aber alles mit großer Leidenschaft gemacht.

Nehmen wir Brüche also als Rückschritte, gab es die mal?

Auch da frage ich mich, was soll denn vor oder zurück sein? Meine Ausbildung als Antirassismus- und Diversity-Trainerin, die ich nebenbei gemacht habe, war rein journalistisch womöglich nicht zielführend, aber für mich als Person unbedingt. Und als ich in Amerika war, hätte ich an der Columbia-University studieren können. Wow – Prestige! Ich wollte jedoch lieber an eine staatliche Hochschule, das Hunter College der City University of New York, weil der Fachbereich da besser passte. Inhalte sind mir stets wichtiger als Renommee oder Karriereschritte, und am Ende habe ich auch immer das Gefühl, dass sich der Kreis schließt. So ist mein akademisches Wissen zu Rassismus auch in Afro.Deutschland geflossen. Ich bin ja nicht ohne Grund bei den heute-Nachrichten und nicht beim, sagen wir: Sport. Davon habe ich keine Ahnung. Von Politik schon.

Die könnten Sie sich aber auch aneignen?

Womöglich schon, aber das ist nicht meine Expertise, deshalb lasse ich das andere machen, die das viel besser können. Schusterin, bleib bei deinen Leisten. Aber das fällt mir ja auch nicht schwer. Und wie erwähnt: Abgesehen von Hautfarbe und Geschlecht bin ich von meiner sozialen Herkunft her klassische Mittelschicht. Genau da liegt übrigens auch hier im Haus noch was im Argen.

Inwiefern?

Aufsteigergeschichten aus ärmeren, aus sozial benachteiligten Familien dürften eher selten sein. Von daher war mein Lebenslauf nicht ohne Umwege, aber straight.

Sind Sie demnach nie gegen die gläserne Decke männlicher Macht- und Einflusszirkel gestoßen?

Nicht hart zumindest. Und das ZDF hat mir beim Durchstoßen geholfen, indem es mir die Moderation der heute-Nachrichten angeboten hat. Um Netzwerke habe ich mich darüber hinaus wenig gekümmert – weder um die eigenen noch die anderer. Für sowas denke ich viel zu wenig strategisch.

Aber Netzwerke muss man ja nicht knüpfen, um darin zum Objekt oder Subjekt zu werden.

Das stimmt, aber ich glaube mich zu erinnern, in meinem direkten beruflichen Umfeld immer die einzige Schwarze gewesen zu sein. Als solche hatte ich das Glück, dass all meine Chefinnen und Chefs davon unabhängig meine Leistung erkannt, wertgeschätzt und gefördert haben, ohne weiße Männer vorzuziehen. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.

Entschuldigung, aber dafür, dass Sie in doppelter Hinsicht diskriminierungsanfällig sind, klingt es manchmal, als seien Sie bei Ihrem beruflichen Werdegang ständig über eine rosa Wiese voller Einhörner geritten.

Das nicht, ich habe die ganze Zeit richtig hart gearbeitet, um an diesen Punkt zu kommen, und es gibt in allen Strukturen fest verwurzelten Rassismus und Sexismus, den ich sowohl selber als auch bei Kolleg*innen erleben musste, mit denen ich mich darüber intensiv ausgetauscht habe, klar. Aber sie haben in meinem Fall nie bewusst zu großen Brüchen oder zum Scheitern geführt. Aber nur, weil das bei mir jobmässig nicht so war, darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir es mit einem strukturellen Problem der Ausgrenzung zu tun haben.

Ein großes, spürbareres Problem ist dabei auch, welchen Anfeindungen man in meinem Beruf als Schwarze Frau von außen ausgesetzt ist.

Über die sozialen Netzwerke.

Die das nochmals massiv verstärkt haben. Misogynie, Rassismus kenne ich, seit ich denken kann, in allen Formen auf allen Ebenen, aber wie mittlerweile versucht wird, gerade aber nicht nur Journalist*innen of Colour unter Androhung körperlicher Gewalt zum Schweigen zu bringen – das hat sich durch die sozialen Netzwerke noch mal verstärkt und ist äußerst problematisch.

Gibt es in den Medien so was wie Diversitätssolidarität, dass unmittelbar Betroffene enger zusammenrücken und den Zuspruch all jener kriegen, die nur mittelbar betroffen sind?

Die gibt es in der Tat. Deshalb bin ich – Stichwort Vernetzung – auch Mitglied bei den Neuen deutschen Medienmacher*innen zur Förderung von Diversität in den Redaktionen und diskriminierungsfreier Berichterstattung, ich bin in einer Gewerkschaft, bei der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, habe einen Schutzkodex für Medienhäuser mit initiiert, der freie und feste Journalist*innen besser gegen Anfeindungen schützen soll. Ich bin also schon sehr aktiv, aber nicht fürs berufliche Fortkommen, sondern das soziale aller. Dieser Austausch ist ein enorm wichtiger Faktor fürs Empowerment auf der persönlichen Ebene.

Die Malisa-Stiftung von Maria und Elisabeth Furtwängler hat unlängst eine Studie zur Diversität in Medien und Unterhaltungsbranche veröffentlicht, der zufolge viele Genres beim Thema Geschlechterparität selbst für ältere Frauen auf gutem Weg sind. Was aber immer noch weit unterm Bevölkerungsschnitt vorkomme, sei Migration, Behinderung, Alter und mit Abstrichen sexuelle Orientierung.

Kann ich mir gut vorstellen.

Wie schaffen es die Medien gemeinsam, dieses Ungleichgewicht zu beseitigen?

Ein guter Anfang wäre jedenfalls mal das generelle Bewusstsein dafür, dass es Missverhältnisse gibt, die auf sozialer Ungleichheit verschiedener Art beruhen. Darauf müssen wir schon bei der Auswahl von Volontärinnen und Volontären stärker achten, aber auch bei unserer eigenen Sprache. Wer von „Problemvierteln“ oder „Brennpunktschulen“ spricht, darf sich nicht wundern, wenn sich die Menschen dort stigmatisiert fühlen. Dabei sind doch die grundlegenden Probleme schlechte Startchancen und fehlende Ressourcen. Abqualifizierende Pauschalisierung wird eher nicht dazu führen, dass sich Menschen von dort in unserem Beruf bewerben.

Ein syrischer Vorname katapultiert die Bewerbungsmappe da schnell zurück zum Postausgang.

Wir wissen alle, dass Schüler und Schülerinnen mit erkennbarem Einwanderungshintergrund für gleiche Leistungen schlechter benotet werden – und zwar oft ein Leben lang. Das müssen Medienunternehmen auf dem Schirm haben.

Ist das ein Plädoyer für die Quote?

Ich persönlich habe nichts gegen Quoten, auch was Migrationserfahrungen betrifft.

Entsprechend ihrer Repräsentanz in der Gesamtbevölkerung?

Als Übergangslösung fände ich das sinnvoll. Denn die Frage ist ja, wann es sich ohne Quoten ändert. Wir sind seit jeher ein Einwanderungsland. Beispiel die sogenannten ersten Gastarbeiter kamen vor 60 Jahren, dafür hat sich am Status der Immigranten und ihrer Nachfahren bislang vergleichsweise wenig geändert. Wer die damalige Berichterstattung zu den NSU-Morden betrachtet, darf sich nicht wundern, wie schwer das die betroffenen Communities getroffen hat. Wir müssen dringend wegkommen von Männerbünden und Glasdecken, unter denen Identitäten über die Zukunft entscheiden, nicht Fähigkeiten.

Eine andere Studie, diesmal der Electronic Media School, hat Volontärinnen und Volontäre der ARD im April untersucht, die sich vom ZDF nicht grundsätzlich unterscheiden dürften. Der Migrationsanteil kommt dort – wenngleich einschließlich der Deutschen Welle – auf erstaunliche 30 Prozent, der weibliche sogar auf 60.

Echt?

Echt. Demgegenüber stehen allerdings nur jeweils elf Prozent Ostdeutsche und Landbewohner, aber 67 Prozent aus Akademikerhaushalten und ebenso bemerkenswert: mehr als die Hälfte potenzieller Grünenwähler. Ganz schön einseitige Zahlen, oder?

Absolut. Besonders die Unterrepräsentation ostdeutscher und ländlicher Biografien entzieht dem Journalismus enorm wichtige Expertisen aus Regionen, die deren Nachvollziehbarkeit ungemein steigern würde. Wir müssen da trotz spürbarer Fortschritte wirklich vielfältiger werden.

Ist das Glas des Journalismus in Sachen Diversität demnach halb voll oder halb leer?

Definitiv halb leer, und ich frage mich wirklich, wie lange wir eigentlich noch warten wollen, bis das Glas voll von dieser Selbstverständlichkeit ist? Es tut sich was, aber viel zu langsam.

Und was können die Medien zu dieser Selbstbeschleunigung beitragen?

Diversität schon bei den Einstellungspraxen gezielter in Richtung aller strukturell unterrepräsentierten Gruppen fördern und diese Förderung bis auf Führungsetagen fortsetzen. Außerdem muss der Schutz der Pressefreiheit mit allen Mitteln verfolgt werden. Wenn Journalist*innen für die Ausübung ihrer Arbeit angegriffen werden, geht es tatsächlich ums Grundsätzlichste, Elementarste der Demokratie, das ist keine Privatsache. Aber es fällt mir wirklich schwer, Allheilmittel zu formulieren.

Wenn Sie, was ich selber schon getan habe, vor Schulklassen oder Volo-Kursen stehen würden, um sie vom Sinn und Glück unserer Branche zu überzeugen, was würden Sie denen sagen?

Dass es ein wunderschöner Beruf ist, bei dem man jobbedingt alles hinterfragen, ständig lernen, Zusammenhänge verstehen kann, darf, muss und damit etwas Unerlässliches dazu beiträgt, dass diese Demokratie funktioniert. Ist das zu allgemein?

Nein, aber wenn da eine 16-jährige Schwarze sitzt, die Angst vor dieser Aufgabe hat – wie würden Sie ihr die zu nehmen versuchen?

So leid es mir tut: dass sie es schaffen kann, dafür aber faktisch noch immer doppelt so hart arbeiten muss wie die meisten gleichaltrigen (weißen) Männer. Und dass es immer noch viel davon abhängt Glück zu haben, Glück, dass die Vorgesetzten sich des Themas Rassismus bewusst sind, und einem die Möglichkeit geben, sein Können zu zeigen. Und das ist das Problematische: dass es von so was abhängt.

Gibt es Mechanismen der Stress-Resilienz, die Sie selber für sich anwenden?

Mir tut persönlicher Austausch bei gleichzeitiger Fokussierung aufs Wesentliche gut. Dabei hilft mir das ZDF sehr, in dem zum Beispiel Kommentare und Posts über und an mich von anderen vorsortiert und gegebenenfalls angezeigt werden, damit nicht der ganze Müll bei mir landet. Justiziabler Hass, Sexismus und Rassismus sind nicht tolerabel. Punkt.


Boomer-Paläste & Binge Reloaded

Die Gebrauchtwoche

TV

3. – 9. Januar

Fast sieben Stunden täglich glotzen die Menschen hierzulande auf Bildschirme. Das ist zwar ein Drittel weniger als beim Spitzenreiter Philippinen. Und mehrheitlich sind die Flatscreens auch Touchscreens, ergo weitaus kleiner als das, was unverdrossen deutsche Durchschnittswohnzimmer dominiert. Fakt aber bleibt: Unterhaltung vollzieht sich zweidimensional. Sollte das öffentlich-rechtliche Programm da jemals den Ehrgeiz verspürt haben, jüngere Schichten als Boomer und ihre Ahnen zu erreichen – die Einschaltquoten voriger Woche dürften ihm den Todesstoß verpasst haben.

Da bescherte das inhaltlich anspruchslose Kaffeekränzchen-Historytainment Der Palast dem ZDF konstant mehr als sechs Millionen Zuschauer*innen. Jubel in Mainz, Entsetzen in Marl. Nun sind solche Zahlen angesichts der dubiosen Messung völlig belanglos, für linear TV-Verantwortliche aber eine schwer suchtgefährdende Mischung aus Crystal Meth und Dopamin. Deshalb werden sie angefeuert von purer Masse nicht nur unverdrossen Kostümfeste wie dieses produzieren.

Der Wechsel des glattgeschliffenen Mainstreamentertainers Jörg Pilawa von der ARD zu Sat1 dürfte ihnen da ungleich unangenehmer sein als der Verlust an journalistischer Reputation infolge eines kritischen Beitrags über Mathias Döpfners Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, den das ZDF von seiner Homepage gelöscht hatte. Mit Springer will es sich halt niemand in der Medienbranche verscherzen. Umso schöner war da der einig positive Trend 2021: Bild TV war keiner. Kaum jemand will den populistischen Dreck, der dort als publizistischer Inhalt getarnt wird, sehen.

Gut, außer alten, weißen Männern wie Roland Tichy, der 10.000 Euro Schmerzensgeld an die der SPD-Politikerin Sawsan Chebli zahlen muss, weil er sie in seinem Einblick sexistisch beleidigt hatte. Oder noch viel älteren, weißeren Männern wie Dieter Hallervorden, der seiner privilegierten Herkunft mit testosterongesättigter Kritik am Gendern Referenzen erweist und nicht zufällig Mitglied im Verein Deutsche Sprache ist, eine Art grammatikalischer Vorfeldorganisation der AfD.

Die Frischwoche

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10. – 16. Januar

Um zu erkennen, was sie politisch anstrebt, lohnt es sich daher, zum Jahrestag die herausragende Dokumentation Sturm auf das Kapitol in der ARD-Mediathek zu sehen. Und für alle, die der Realität lieber in Harry Potters Traumwelt entfliehen, versammelt Sky gerade den halben Cast zur Rückkehr nach Hogwarts. Irgendwo dazwischen sorgt die zweite Staffel der Fernsehpersiflage Binge Reloaded bei Amazon Prime ab Freitag für fiktionale Wirklichkeit.

Fortgesetzt wird ab Mittwoch zuvor überdies Sløborn, vor anderthalb Jahren prophetischer Beleg dafür, dass auch ein Sender wie Neo dystopisches Entertainment mit reduzierter Effekthascherei zuwege bringt. Staffel 2 schafft es nun abermals, die Folgen einer tödlichen Pandemie klug mit der Adoleszenz ihrer Protagonisten und Protagonistinnen zu verbinden. Zwei Tage später startet bei Arte die Miniserie Virgil, ein militärkriminalistisches Kammerspiel, in dem zwei schottische Polizistinnen nach realen Motiven einen Mord an Bord des titelgebenden U-Boots der britischen Atomstreitkräfte ermitteln.

Für die BBC war der Sechsteiler schon wegen der grandiosen Hauptdarstellerinnen Suranne Jones und Rose Leslie völlig zu Recht das erfolgreichste Format seit Jahren. Den erfolgreichsten Boxer überhaupt porträtiert morgen die vierteilige Arte-Doku Muhammed Ali, dem das Erste am Sonntag eine lange Nacht zum 80. Geburtstag des früheren Meisters aller Klassen widmet. Zwischendurch erinnert Sky noch an den 10. Jahrestag vom Unglück der Costa Concordia, bevor die ARD zum Wochenausklang ein Dokudrama von Raymond und Hannah Ley zeigt: Nazijäger, starbesetztes Porträt jener „War Crimes Investigation Unit“, die in der norddeutschen Nachkriegszeit Kriegs- und Holocaustverbrechern nachstellte.


Best-of & Worst-of 2021

Maulwurf, Lovemobil, Wetten, dass…?

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Leute lieben Ranglisten. Die 15 leckersten Grünkohlrezepte, die 25 coolsten Clubs, die 50 billigsten Anmachsprüche – wer Inspiration sucht, findet sie im Mahlstrom des Massengeschmacks. Beim TV-Programm sind solche Rankings aber schon deshalb komplizierter, weil informatives, amüsantes, kurzweiliges Entertainment mehr als alles andere Auslegungssache ist. Zeugen 14 Millionen Zuschauer einer reanimierten Show von höherer Güte als einige Hunderttausend der besten Doku des Jahres? Solche Ansichtssachen kann keine Rangliste klären. Unser TV-Klassement 2021 ordnet daher auch weniger Qualitätskriterien als Erregungspotenziale ein. Gut ist gutes Fernsehen trotzdem, schlechtes schlecht, und in der Mitte läuft der Tatort.

Best-of 2021

1. Joko & Klaas gegen ProSieben

Es war kein Aprilscherz, über den das Netz Anfang April diskutierte, sondern ernstes Resultat einer Gaudi: Nach gewonnenem Spaßduell gegen ProSieben, nutzten Joko & Klaas die 15 Minuten Primetime dafür, eine Pflegerin gut sieben Stunden bei der Arbeit zu beobachten. Selten zuvor war Fernsehen ohne Aufwand, Drama, Kommentare bedeutsamer.

2. Mare of Easttown, Sky

Eigentlich reicht es, Kate Winslet reglos vor eine Wand zu stellen – die Oscarpreisträgerin ist auch ohne perfektes Drehbuch sehenswert. Doch wenn sich letzteres zu erster gesellt und eine Serie wie Mare of Easttown ums miserable Leben einer Kleinstadtpolizistin im Bann verschwundener Mädchen dabei herauskommt, ist es ein Glück, dass Winslet jede Figur mit so zurückhaltender Inbrunst verkörpert.

3. Der Maulwurf, ZDF info

Schwer zu sagen, was an der dänischen Info-Doku The Mule sehenswerter war – der Blick in den irren Führerstaat Nord-Korea oder wie er zustande kam? Egal: Wenn der arbeitslose Koch Ulrich Larsen und ein Fremdenlegionär das Regime unter Einsatz ihrer Leben dazu bringen, eine falsche Waffenfabrik in Afrika zu bauen, ist das Resultat Sachfernsehen wie ein Thriller.

4. Faking Hitler, RTL+

Um aufzuzählen, was RTL+ 2021 Sehenswertes in Serie eigenproduziert hat, reicht der Platz kaum aus. Eine Verfilmung der Wirecard-Story, das Kammerspiel Acht Zeugen, der Schirach-Prozess Glauben und dann noch Sisis Comeback – alles fast so sehenswert wie Faking Hitler, die weniger ulkige, aber sehr kluge Schtonk!-Adaption mit Moritz Bleibtreu als Tagebuchfälscher und Lars Eidinger als Stern-Gläubiger.

5. Schwarze Adler, Prime Video

Wenn Dokumentarfilme emotional und nüchtern sind, unterhaltsam und ernst, forsch und demütig, erbost und milde, künstlerisch und wahrhaftig – dann landet man fix bei Torsten Körner. Mit Schwarze Adler skizziert er klug wie immer den beharrlichen Rassismus im deutschen Fußball, liefert aber vor allem Porträts nicht-weißer Spielerinnen und Spieler, die zwar zu Tränen rühren, aber kämpferisch machen.

6. Sisi, RTL

Oje, schon diese Idee – RTL lässt Sisi auferstehen. Das Resultat aber war erstaunlich: Realismus statt Schmalz, ein Kaiser mit Kanten, sechs Folgen ohne Pathos, natürlich Weichzeichner und Geigen, aber stilvoll. Sven Bohses Remake ist trotz saftiger Sisi mit Holzdildo respektabel – und zeigt wie Boris-Becker-Biopic Der Rebell: RTL kann mehr kann als Ballermann.

7. Eldorado KaDeWe

Wenn Historytainment deutsche Zwischen- bis Nachkriegszeit bebildert, dominieren Kostüm und Kulisse die Handlung. Eldorado KdW war sich der Grandiosität seiner Erzählung diverser Frauen und Männer im Weimarer Kaufhausumfeld so sicher, dass Julia von Heinz der ARD ein exzessives, sechsteiliges, brillant besetztes Stück Weltliteratur am Bildschirm erschaffen hat.

8. Beforeigners, ARD

Als Zeitreisende von Steinzeit bis Fin de Siècle aus dem Osloer Fjord klettern, sind die Beforeigners nicht nur Figuren eines tragikomischen Historienkrimis, sondern das Originellste, was seit langem aus der Heimat serieller Triebtäter nach Deutschland kam. Abgesehen vom dänischen Arte-Zehnteiler Wenn die Stille einkehrt, wo ein Terroranschlag zur Basis einer herausragenden Psychoanalyse aller Betroffenen wird.

Worst-of 2021

1. Lovemobil, NDR

Qualitätsmedien sind unter populistischem Beschuss. Als Elke Lehrenkrauss die Prostituierten ihrer Provinzstudie Lovemobil von Darstellern spielen ließ, verging sich die Regisseurin also nicht nur am NDR, den Zuschauern und der Wahrheit, sondern einer ganzen Branche im Ringen um Glaubwürdigkeit. Gut, dass die hauseigene Redaktion STRG_F für Aufklärung sorgte.

2. Sat1

Sat1, Weltkriegsveteranen erinnern sich, war einst ein Vollprogramm mit Format, Bedeutung, Journalisten. Und heute? Ist es eine Vollprogrammattrappe mit Claudias House of Love, Promis unter Palmen oder Plötzlich arm, plötzlich reich – zynische Fremdschamformate voller Sexismus, Mobbing, Homophobie, die Menschenverachtung nicht dulden, sondern fördern.

3. The Drag in Us, ZDF

Nach dem famosen Netflix-Drama Pose klang die Idee einer deutschen Transgender-Sitcom durchaus charmant. Doch The Drag and Us war nicht nur die lausigste, sondern diskriminierendste TV-Serie zur sexuellen Vielfalt 2021 – emanzipatorisch Bierzelt, stilistisch Hausmeister Krause. Kein Wunder: dessen Star Tom Gerhardt war am Neo-Machwerk beteiligt.

4. Ein Hauch von Amerika, ARD

Nazis? Gar nicht so schlimm und in der Minderheit! Amerikaner? Schon deshalb schlimmer als Nazis und vorwiegend Rassisten! Wer dem Mehrteiler Ein Hauch von Amerika Glauben schenkt, hält die Befreiung von 1945 flugs fürs größere Verbrechen als die zwölf Jahre zuvor. Noch erstaunlicher als der Erfolg dieses revisionistischen ARD-Machwerks war da nur, dass es von einem Israeli namens Dror Zahavi stammt.

5. Die letzte Instanz, WDR

Was Thomas Gottschalk, Janine Kunze, Micky Beisenherz, Jürgen Milski, Steffen Hallaschka vereint? In ihrer weißen Wohlstandsexistenz haben sie niemals mit Rassismus zu tun, durften im WDR-Talk Die letzte Instanz aber darüber diskutieren. Ihr Urteil: Rassismusopfer sind nur zu sensibel. Der Shitstorm war noch zu klein für so viel Ignoranz von Kanal und Personal.

6. Zervakis & Opdenhövel.Live, ProSieben

Als inmitten der Pandemie öffentlich-rechtliches Personal wie Jan Hofer zur Privatkonkurrenz ging, drohte sich das Nachrichtenniveau anzugleichen – bis Zervakis & Opdenhövel oder das peinliche Baerbock-Interview von Tilo Mischke & Katrin Bauerfeind zeigten: Politik können ARZDF doch besser. Was allerdings nicht für Bundestagswahl-Trielle gilt – da waren Linda Zervakis und Claudia von Brauchitsch die Besten.

7. Wetten, dass…?, ZDF

Um zu sehen, wie sich das Publikum nach Lagerfeuern sehnt, langte ein Blick auf die Comeback-Quote von Wetten, dass…?. Um zu sehen, wie diese Sehnsucht trog, langte Gottschalks Versuch, fürs sprachliche bis handliche Gefummel Absolution zu fordern. Statt neuer ZDF-Ideen also habituelles Mittelalter. Dann doch lieber Jörg Draegers Rückkehr zu Geh aufs Ganze!.

8. Squid Game, Netflix

An südkoreanischer Popkultur ist kein Vorbeikommen. Ob Squid Game deshalb zur erfolgreichsten Netflix-Serie überhaupt wurde, bleibt ungeklärt. Tatsache ist: Hwang Dong-hyuks Echtzeitdystopie über ein tödliches Kinderspiel, bei dem Wohlstandsverlierer ihr Leben gegen Reichtum setzen, war zwar hochwertig gemachter, aber komplett selbstreferenzieller Horror-Porno für schlichte Gemüter.