Das Französische ist bekanntlich gesprochen wie gesungen eine der schönsten Sprachen überhaupt. Verglichen damit, als Französin englisch zu singen, erscheinen Perlen vor die Säue demzufolge fast als lohnenswerte Investition. Die französische Singer/Songwriterin Mina Tindle hat genau das auf ihrer ersten Platte getan. Taranta hieß es und bereicherte die weite Welt des Chansons vor drei Jahren dennoch um eine traumhaft schöne, melodisch ausgewogene, emotional berührende und dabei überaus vielfältige Version dessen, was gern als French Folk vermarktet wird. Allein: Die junge Pariserin tat es seinerzeit eben nur ausnahmsweise mal in ihrer Muttersprache. Das hat sich auf ihrem zweiten Album geändert. Und das ist mal wirklich gut so.
Auch auf Parades greift Mina Tindle zwar gelegentlich zum Sprachmix, doch der Grundton ist heimisch und somit näher an dem, was ihr Land musikalisch so ausmacht: Die weiche Melodie des Wortes, hier gepaart mit Tönen, die etwas fülliger daherkommen als 2011, mit mehr Tempiwechseln, poppiger also, manchmal fast wavig. Es gibt da heitere Synthie-Einsätze und verspielte Samples, viel Westerngitarre, aber auch elektrische Passagen. Die Multinstrumentalistin von 31 Jahren macht aus dem gefühligen Chanson früherer Jahre ein kleines Abenteuer filigraner Popmusik. Das klingt meistens fröhlich, aber nicht so bräsig, wie die Durlastigkeit ihres Sounds vermuten ließe. Mina Tindle macht Musik fürs offene Cabrio im Sonnenschein, aber man kann das schon auch bei Regenwetter daheim hören. Parades ist das perfekte Herbstalbum, die Sprache ist da fast zweitrangig.
Mina Tindle – Taranta (Believe Recordings)
Haley Bonar
Aus den stillen Ecken des Pop kommen zuweilen erstaunlich laute Töne. Sie klingen zunächst gar nicht so, platzen aber schier vor Kraft. Erinnert sei da an Talk Talk, deren Sänger Mark Hollis zu Beginn der Achtziger aus voller Kehle zu schreien schien, dabei das Gegenteil von Geschrei erzeugte und dennoch bis auf den Grund der Seelen vordrang. Dies sind die seltenen Momente unscheinbarer Energie, die im Hallraum der Aufmerksamkeit zu verwehen drohen und sich auf sonderbare Weise behaupten. Momente wie bei Haley Bonar. Die Songwriterin aus Minnesota ist seit vielen Jahren auf Tour. Sie hat in diesen vielen Jahren sogar vergleichsweise viele Platten gemacht. Platten, von denen viele sicher noch nie gehört haben. Und doch ist das, was sie nun auf ihrem ersten Album bei einem einigermaßen zugkräftigen Label – Memphis Industries – kompiliert, in seiner Zurückhaltung ein so durchdringender Schrei aus den Tiefen des Pop, dass man angesichts dessen fast erschaudert.
Last War heißt die Sammlung mal trübsinniger, mal deprimierter, selten jedenfalls lebensbejahender Liebeslieder, deren melodramatische Stoßrichtung bereits im Titel des Eröffnungsstücks Kill The Fun deutlich wird. Es klingt ein bisschen nach den Pierces, diesem psychedelischen Feenfolkduo aus den Südstaaten, deren hypnotischer Doppelgesang wirkt wie einst die Sirenen auf Homer. Ein wenig erinnert es auch an Bon Iver, mit dessen Sänger Haley Bonar schon gemeinsam gespielt hat. In seiner Geruhsamkeit wirkt Last War dabei manchmal wie Hilferufe aus einem Kellerloch, durch das kaum ein Laut nach außen dringt. Doch dann taucht man tiefer hinein in dieses epische Werk. Lässt sich im Titelstück abwärts ziehen und sodann mit Schwung an die Oberfläche. Schwimmt in Heaven’s Made For Two mit schnellen Zügen seelenruhig durch ein tosendes Gewässer. Treibt in From A Cage auf dem Rücken unterm Sternenhimmel und lässt sich in ein seichtes Meer aus Beatles-Harmonien treiben. Nimmt in Woke Up In My Future wieder Fahrt auf, bis einen das Finale namens Eat For Free im Sonnenaufgang an einen malerischen Strand spült, erschöpft, nicht glücklich, aber bis ins tiefste Gemüt geerdet.
Stets vollbringt Haley Bonar dabei das kleine Wunder, gleichsam zu flüstern und zu brüllen. Ihre Stimme mag manchmal wie in Watte gepackt klingen, runtergeregelt wie am frühen Morgen einer Sommernachtsparty, nicht mehr ganz wach, schon fast im Halbschlaf. Doch angetrieben von ihren Musikern, die sie sich aus dem Kosmos diverser Bands von Alpha Consumer bis Tapes ‘n Tapes geborgt hat, entfaltet sich inmitten der Stille eine orchestrale Kraft, die gelegentlich fast in den Krach abdriftet, ohne je überdreht, gar aufgeregt zu sein. All dies macht Last War zum letzten Beweis, dass die Wahl der Mittel im Pop ihr Ergebnis weniger beeinflusst als der Geist, der das Ganze gefühlvoll federn lässt. Haley Bonar ist eine Zauberin des Unterschwelligen; wer sich ihr entziehen kann, ist Speedmetalfan oder emotional zu abgebrüht für Folk aus der Tiefe des Herzens. Selten klang Zwiespalt schöner.
Haley Bonar – Last War (Memphis Industries); mehr Sound’n’Files’n’Kommentare unter http://blog.zeit.de/tontraeger/2014/10/20/haley-bonar-last-war_18793
Eigentlich spielt Steven van Zandt Gitarre bei Bruce Springsteen. 1999 aber wurde er von der Bühne für Die Sopranos gecastet und ist seither der TV-Mafioso vom Dienst – ab heute (21 Uhr) auch in der Arte-Serie Lilyhammer, wohin er als vor seinem Paten flieht. Für die preisgekrönte Geschichte vom Ostküsten-Verbrecher in der verschneiten Provinz Norwegens schreibt das Multitalent nicht nur am Drehbuch mit, sondern entwirft auch die Kostüme und sorgt für den Soundtrack. Ein Gespräch mit dem 64-Jährigen Italo-Amerikaner über seine Filmkriminellen, deren Haarpracht und was Der Boss zu alldem sagt.
Interview: Jan Freitag
freitagsmedien: Mr. van Zandt, welche Eigenschaften muss ein Schauspieler seinem Mafioso unbedingt mitgeben, um glaubhaft zu sein?
Steven van Zandt: Gut sitzende, aber etwas weite Anzüge gehören unbedingt dazu. Dann natürlich diese fantastischen Frisuren mit viel Brillantine. Überhaupt sollte der Stil sehr an die Vierziger- bis Fünfzigerjahre erinnern. Silvio und Frank…
Ihre beiden Mafiosi aus Sopranos und Lilyhammer.
… das sind beide schließlich unbedingte Nostalgiker.
Soweit zu den Äußerlichkeiten. Wie ist es mit dem Habitus?
Ach, der kommt dann fast von allein, wenn man sich so toll kleidet.
Dass heißt, auch ihr böser Blick mit gesenktem Kinn und vorgeschobener Unterlippe kommt bei diesen Kostümen fast von allein?
Ich musste den jedenfalls nicht stundenlang vorm Spiegel üben. Aber er folgt schon auch einem Bedürfnis, mich so umfassend wie möglich von meiner Rolle zu unterscheiden. Und die wiederum vom Hippie-Gitarristen, der ich im restlichen Leben an der Seite von Bruce Springsteen bin.
Als Little Steven und Teil der E Street Band. Liegt das Authentische vielleicht auch in ihren italo-amerikanischen Genen begründet?
Oh, mit solchen Aussagen wäre ich jetzt aber sehr vorsichtig (lacht). Manche Menschen mit diesen Genen könnten das als extrem beleidigend empfinden. Nein, mein Training war wohl eher ein lebenslanges Interesse für die Mafia. Ich habe alle Filme gesehen, jedes Buch dazu verschlungen. Die Mafia hat den Western als Genre der Gesetzlosen abgelöst, deshalb fühle ich mich zu dem Thema ebenso hingezogen wie es die gesamte Gesellschaft. Es geht da viel um die Sehnsucht, sein eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen – egal, mit welchen Mitteln. Dieses Gefühl habe ich verinnerlicht für meine Rollen.
Eine Schauspielschule haben Sie dafür allerdings nicht besucht.
Nein, meine Schauspielschule war New Jersey, da ist man ständig von Mafiosi umgeben – zumindest welchen, die es gern wären. Wissen Sie: die wichtigste Fähigkeit eines Schauspielers ist seine Vorstellungskraft, und davon hab ich eine Menge, das hilft sehr. Wenn ich mir wirklich vorstelle, eine andere Person sein zu wollen, kann ich sie förmlich im Spiegel sehen.
Auch die Macher der Sopranos haben Sie in diesem Spiegel gesehen, als sie Sie 1999 direkt von der Bühne weg gecastet haben.
In der Tat. David Chase war ein großer Fan von Bruce Springsteen und unserer Band. Und er fragte mich irgendwann, ob ich mir vorstellen könnte, einen Mafioso zu spielen. Ich sagte, das wäre wirklich nett, aber ich bin leider kein Schauspieler. Da sagte er: doch, das bist du. Du weißt es nur noch nicht.
Weil in jedem von uns ein Schauspieler steckt?
Zum einen dies. Zum anderen ist E Street etwas anders als andere Rockbands. Wir sind keine gesichts- und namenlosen Begleitmusiker von Bruce, sondern eher eine eng befreundetes Rat Pack des Rock’n’Roll mit Bruce als Frank Sinatra, mir als Dean Martin und Clarence als etwas aus dem Leim gegangener Samy Davis Jr. Wir haben unsere Shows immer theatralischer aufgefasst als andere. Das hat David Chase gespürt.
Danach haben Sie allein acht Jahre mit Silvio Dante verbracht und nun bereits zwei weitere mit Frank Targelio. Haben Sie da überhaupt noch genug Zeit für die Musik?
Ich nehme sie mir. Zumal ich neben der Titelmusik auch für den Soundtrack mehrerer Serienstaffeln gesorgt habe. Abseits davon wurde es zwischenzeitlich schon weniger, aber mittlerweile mache ich wieder mehr Musik und habe gerade zehn Songs eingespielt.
Was sagt denn Bruce Springsteen überhaupt zu ihrer Nebenkarriere vor der Kamera?
Er war immer sehr auf meiner Seite und ist zudem ein großer Fan der Sopranos. Aber beide Arbeiten haben sich auch nie so sehr überlappt, dass eine unter der anderen gelitten hätte. Gerade meine Rolle bei den Sopranos ließ sich meist gut mit Touren und dem Studio koordinieren. Als Hauptdarsteller von Lilyhammer ist das schon etwas anderes, aber bei der 1. und der 3. Staffel habe ich gerade mal je einen Monat einer zweijährigen Tour verpasst. Und ehrlich: Die kommen auch mal ohne ihren TV-Mafioso klar.
Würden Sie gern mal etwas anderes spielen als den?
Genau das dachte ich auch, als die Produzenten von Lilyhammer zu mir kamen. Aber die Idee war einfach zu gut, um es abzulehnen. Scheiß auf mein Image – mir ist es wichtiger, gute Sachen zu machen als abwechslungsreiche. Dennoch bin ich gespannt, was mir demnächst anderes angeboten wird.
Wäre Ihre Frau Maureen dann wieder dabei?
Ex-Frau bitte (lacht). Wer weiß. Am Ende ist sie ja die einzig richtige Schauspielerin von uns zwei und wirklich grandios. Dennoch sind es ja eher kleine Rollen: meine Frau bei den Sopranos und jeweils zwei Auftritte in den Finalfolgen von Lilyhammer. Und obwohl sie sonst eher Shakespeare spielt, hat sie beides wirklich gemocht.
Mögen Sie einen Ihrer beiden Mafiosi lieber als den anderen?
Nein, dafür sind sie einfach viel zu verschieden. Witzigerweise war Silvio Dante dafür zuständig, dass seinem Boss nichts passiert, während Frank Targelio selbst versucht, drüben in Norwegen einer zu sein. Er ist Tony Soprano also ähnlicher als Sil Dante. Außerdem ist er viel witziger.
Macht das Lilyhammer zu einer Komödie?
Schon, aber eine mit sehr ernsten Anteilen. In Norwegen haben wir deshalb einen Fernsehpreis als beste Drama-Serie bekommen, während wir in Monte Carlo als beste Comedy gewonnen haben. Es steckt beides drin, aber Lilyhammer fühlt sich definitiv leichter an als die Sopranos. Zumal es weit weniger Gewalt gibt, die wird in Norwegen nicht so gern gesehen. Viel haben die zwei Figuren also nicht gemeinsam.
Was sie allerdings eint, ist diese unglaubliche Frisur.
(lacht) Wahnsinn, oder? Deshalb sagen wir gern, das Haar übernimmt das Schauspielen, wir machen den Rest.
Was würden Sie tun, um diese Haare zu haben?
Glauben Sie mir: Fast alles! Denn die wahre Herausforderung an Little Steven ist es doch, zu verbergen, dass er nicht so tolles Haar hat.
Lilyhammer – vier Doppelfolgen ab 30. November, donnerstags ab 21 Uhr auf Arte
Francis Fulton-Smith ist ein Schauspieler der ganz alten Schule, ein kantiger Charmeur, der zupackt und mitfühlt, pures Fünzigerjahrefernsehen gegen die emanzipatorischen Verlockungen der Gegenwart. Jetzt zeigt er das mal wieder mit junger schöner Frau und harten Nüssen zu knacken in Ein Fall von Liebe (donnerstags, 18.50 Uhr, ARD). Und das Dollste: Damit kann FFS echt zufrieden sein.
Von Jan Freitag
In Zeiten wie diesen haben es echte Kerle schwer. Der Kulturbetrieb sucht metrosexuelle Protagonisten, allerorten ist Androgynität gefragt, von Wirtschaft bis Kino sind Frauen auf dem Vormarsch und dürfen dabei sogar Frauen bleiben. Keine leichte Phase also für Männer vom Schlage eines Francis Fulton-Smith. Der Münchner Schauspieler ist schließlich ein Prototyp maskuliner Beharrlichkeit im Showbiz: Lederjackenattitüde, 36-Stunden-Bart, Landsermimik – ein Mannsbild wie aus dem Silberwald. Ein Kraftpaket früherer Tage, als es sonntags noch Braten mit Soße gab und alltags Vollbeschäftigung. Francis Fulton-Smith – so heißt er wirklich! – ist so gestrig wie Meister Proper und doch bestens im Geschäft. Das hat Gründe.
Offenbar gibt es auch in Zeiten wie diesen einen unverwüstlichen Bedarf nach Helden alter Schule. Und da auch die Nachfrage nach Krimiserien ungebrochen ist, darf FFC, das bayrische Kraftpaket mit britischem Pass, mal als französischer Flic mit Stahl im Blick namens LaBréa auf Verbrecherjagd gehen und dabei auf Pariser Straßen fließend deutsch sprechen. Mal darf er etwas Ähnliches in Deutschland tun, wenn er wie heute den alliterierenden Anwalt Florian Faber spielt, der mit Mariella Ahrens als Journalistin und Exfrau für Gerechtigkeit und den denkbar debilen Titel Ein Fall von Liebe kämpft.
Das ist wie nahezu alles, was Francis Fulton Smith spielt, dramaturgisch hanebüchen, schauspielerisch mäßig und alles in allem unfassbar konventionell. Aber um inhaltliche Güte geht es dem Vorabendfernsehen ebenso wenig wie dem zugehörigen Publikum. Beiden geht es ums Einlullen, die sanfte Vorbereitung auf den anschließenden Hauptabend, wenn abseits der handelsüblichen Tatort-Härte an schönen Urlaubszielen ermittelt wird und ARZDF von Venedig (Donna Leon) über halb Skandinavien bis nach Triest (Commissario Laurenti) auf Reisen geht. Und immer vorweg: diese kantigen Charmeure des Stromlinienfernsehen: Erol Sander, Uwe Kockisch und natürlich er: Francis Fulton-Smith.
Doch so auch die heimische Übeltäterhatz schmeckt – das Kraftpaket von 43 Jahren ist für derlei Formate keinesfalls die schlechteste Wahl, nicht bei diesem Sender, nicht auf diesem Sendplatz, nicht bei diesem Zielpublikum. Denn die Generation 60+ belohnt auch herkömmliche Formate mit Topquoten und mag vor der Nachtruhe weder feuilletonistisches Dialogkino noch schrilles Entertainment. Ihm reicht seichte Unterhaltung mit leichtem Schauder, an dessen Ende gut über böse siegt. Punkt.
Vor allem aber schätzt es hier wie an den anderen Schnulzenplätzen von ARD und ZDF Männer wie Francis Fulton-Smith. Eben weil er sie an verwehte Heimatfilmepochen erinnert. Nicht umsonst ist in seiner bekanntesten Rolle die ganze Filmsippe nach seinem Filmberuf benannt (Familie Dr. Kleist). Da fühlen sich viele Senioren in überschaubare Zeiten zurückversetzt, als man haushaltende Gattinnen noch mit Frau Kommerzienrat anreden durfte.
Es ist dieser zahme Tiger aus Traumschiff, Pilcher und Schwarzwaldklinik, den kaum einer besser zu reiten versteht als Francis Fulton-Smith. Viele seiner Filme tragen irgendwas mit Herzen, Liebe, Glück oder Gefühl im Titel. Seit seiner Schauspielausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule in München ist er auf Beziehungsrollen abonniert. Gern spielt er sie an der Seite von Christine Neubauer. Fast immer wird darin Triviales verhandelt. Und wenn er mal etwas Härteres wie einen Wehrmachtsoffizier gibt, dann zielsicher in revanchistischer TV-Sülze wie Die Gustloff. Aus dieser Kitschfalle, so Fulton-Smith selbst, soll ihm nun Alexandra von Grotes Romanreihenverfilmung LaBréa helfen. Ausgerechnet. „Ich kann ja nicht immer der freundliche Arzt aus Eisenach sein“, sagt er offen und fügt hinzu: „Bei Dr. Kleist hat eben immer die Sonne zu scheinen.“
Mit Verlaub, Mr. Fulton-Smith, das tut sie in fast all ihren Formaten. Permanent. Vor kurzem durfte FFS zwar einen furiosen FJS spielen, als ihn die ARD in der Spiegel-Affäre als bayerischen Gegenspieler des charismatischen Rudolf Augstein besetzte. Danach aber gab’s nicht wie erhofft anspruchsvollere Formate, sondern doch wieder nur Sulz à la Ein Fall von Liebe. Doch was soll’s – „ich bin gut im Geschäft“, sagt er gut gelaunt und brüllt über die voll besetzte Tafel der Pressepremiere seiner neuen Rolle „es ist angerichtet“ hinweg, als niemand sonst die Gabel erhebt. So ist er eben: geradlinig, männlich, ein Machertyp, im Film wie privat, wo er mit seiner zehn Jahre jüngeren Frau Verena Klein in München lebt. Daran gibt es wenig zu kritisieren, das Publikum sucht Darsteller wie ihn in Filmen wie diesen, ein bisschen Steward Granger, ein bisschen Nostalgie, ein bisschen Starke Schulter in Zeiten, wo selbst echte Kerle mal weinen. Wir leben in FFS-Zeiten. Was braucht es da gute Rollen.
Es ist das Wesen vieler TV-Trophäen, dass Auszeichnende und Ausgezeichnete kaum zu unterscheiden sind. Beim Deutschen Fernsehpreis etwa feiern die vier großen Sender ihr Angebot nach Proporzkriterien. Die Goldene Kamera prämiert seit jeher, wer der Springer-Presse gewogen ist. Und der heimische Comedypreis, nun, ist eben der deutsche Comedypreis. Da er seit 1997 von der Köln Comedy Festival GmbH veranstaltet wird, haben Dienstag wie immer überwiegend Komiker aus dem Domstadtdunstkreis gewonnen: Von Barth bis Yanar, Frier bis Herbst, dazu Carolin Kebekus, deren Moderation der Verleihung wenigstens zeitweise so etwas wie Humor verlieh. Und weil auch RTL am Rhein sitzt, war ein Sendeplatz beim Zotenkanal fast eine Garantie auf den Titel, was zu so abstrusen Siegern wie der hauseigenen Langweilerserie Der Lehrer führte oder Sascha Grammels witzloser, aber erfolgreicher Soloshow.
Wenn man bedenkt, dass dies alles Sendungen mit messbarer Resonanz sind, werden jene Zahlen, mit denen die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern, kurz IVW, vorige Woche an die Öffentlichkeit ging, noch trauriger. Während sexistischer Stumpfsinn der Art von Mario Barth also Zigtausende in die Stadien und Millionen vor den Fernseher saugt, haben die 60 größten Tagezeitungen im 3. Quartal alle Auflage verloren. Das hat sicher auch mit dem Erfolg digitaler Ersatzkanäle wie Spiegel-Online zu tun, das 20. Geburtstag feierte. Mehr aber noch mit sinkendem Anspruchsdenken der Konsumenten, denen drei McDonalds-Happymeals im Monat mehr wert sind als ein klassisches Zeitungsabo.
Umso erstaunlicher, dass dem klassischen Fernsehen, um wahrnehmbar zu bleiben, wenig mehr einfällt, als verweste Leichen aus der TV-Gruft zu zerren. Nach Dalli, Dalli oder Einer wird gewinnen und natürlich Am laufenden Band exhumiert die ARD nämlich Spiel ohne Grenzen, jenen wasserspritzpistolennassen Wettstreit europäischer Kleinstädte, der dem Ersten schon vor 25 Jahren zu banal war. In Zeiten von Wok-WM, RTL2 und Markus Lanz jedoch entfaltet selbst die staubigste Kindergeburtstagssause Zugkraft für öffentlich-rechtliche Programmgestalter. Mal sehen, was sie als nächstes ausbuddeln: Ein Kessel Buntes? Der Goldene Schuss? Die deutsche Wochenschau mit Frontberichterstattung?
Die Frischwoche
27. Oktober – 2. November
Vorher jedenfalls darf Jürgen von der Lippe sein Hawaiihemd aus der Mottenkiste kramen. 13 Jahre nach dem Beziehungsende fragt er ab Mittwoch im WDR tatsächlich Geld oder Liebe? Als hinge das Fernsehen in der Zeitschleife fest. Da also, wo auch Aktenzeichen XY … ungelöst steckt. Schon seit 1967 warnt das ZDF darin vorm schwarzen Mann und zeichnet seit einiger Zeit auch Menschen aus, die ihn fangen helfen. Mittwoch allerdings ereignet sich beim diesjährigen Zivilcourage-Preis Erstaunliches: Parallel zu Lippes Kuppelshow verleiht ihn Rudi Cerne nämlich nicht ausnahmslos an Bürger, die bei Kindesmissbrauch und ähnlich populistischen Untaten eingeschritten sind. Das ist dann aber auch schon das einzig Neue an der bürgerlichen Denunziationssause.
Aber so richtig neu ist ja auch die heutige ZDF-Komödie „Wir machen durch bis morgen früh“ nicht. Dafür ist es aber meist ziemlich witzig, wenn Fahri Yardim als bieder gewordener Fliesenleger mit Partyvergangenheit von einem Chaos ins nächste rutscht, als er seine Frau (Heike Makatsch) für ein Männerwochenende mit Kind in den Ibiza-Urlaub schickt. Das gleicht zwar einer Art deutsches „Hangover“ in St. Pauli statt Las Vegas. Doch es ist ja nicht grundsätzlich schlecht, wenn irgendwas an irgendwas erinnert. Die norwegisch-amerikanische Serie „Lillyhammer“ um einen Mafioso im Zeugenschutz etwa erinnert leicht an „Die Sopranos“. Das liegt aber vor allem an Steven van Zandt, der schon 1999 einen Mobster spielte. Bei Arte kriegt er es nun nicht mit der US-Polizei zu tun, sondern dem Alltag in der Olympiastadt von 1994, wohin er vor verpfiffenen Verbrecherkollegen flieht.
Mit mafiösen Strukturen der legalen Art befassen sich ein paar spannende Dokus der Woche. In Akte D entlarvt das Erste am Montag Die Macht der Stromkonzerne wie Siemens, dessen heutige Macht auch darauf beruht, dass die Energieversorger vor gut 100 Jahren den Markt unter sich aufgeteilt haben und Staat wie Verbraucher bis heute zur Beute machten. Etwas Ähnliches vollzieht sich auch im Bereich der Nahrungsmittel, mit der die Konzerne ihre Kunden lieber ausbeuten als ernähren. Im Arte-Schwerpunkt Der große Hunger – der große Durst begibt sich Claus Kleber daher Mittwoch auf die Spur des Essens von morgen.
Ihre Kunden lieber verblöden als unterhalten, das tut zeitgleich RTL2 – und zwar am Beispiel der Fortpflanzung und seiner Folgen. Mit Kleines Wunder, großes Glück fingiert der, äh, Sender zunächst die Realität des Kinderkriegens, um derlei Neugeborene als in Teenie-Mütter – Wenn Kinder Kinder kriegen verächtlich zu machen, die nochmals lächerlicher gemacht werden, wenn sie in Durch dick und dünn! dank zu viel Chips und Privatfunk abspecken müssen. Wäre zynisches Fernsehen Mafia-Sache, RTL2 hieße Camorra.
Um diesen Würgereiz zu mildern, hilft fast nur: besseres Fernsehen, also die Tipps der Woche wie das legendäre Knastkonzert Johnny Cash at Folsom Prison von 1968 (Dienstag, 22.45 Uhr, BR). Oder noch schöner, Freitag auf EinsFestival: Greta Gerwig als Frances H. Zeitgemäßer war schwarzweiß noch nie.
Ulrike Folkerts in einem Hamburger Hotel mit Hafenflair. Sie sieht fantastisch aus, nicht nur für ihre bald 50 Jahre, ein rauer Typ, leicht hemdsärmlig, Turnschuhe, Jeans, dunkles Hemd, nicht so selbstsicher wie zu vermuten wäre, aber vielleicht gerade deshalb ungemein sympathisch. Dass sie über ihr Liebesleben nicht mehr reden mag, macht sie mit einem Lächeln klar. Über alles andere von Humor bis Emanzipation und natürlich Lena Odenthal redet die hauptamtliche Tatort-Kommissarin nur zu gern. Zu ihrem 25-jährigen Dienstjubiläum am kommenden Sonntag dokumentieren freitagsmedien ein ungemein entspanntes Interview mit Deutschlands dienstältester Ermittlerin.
Von Jan Freitag
freitagsmedien: Ulrike Folkerts, über Ihr Liebesleben braucht man nicht mehr mit Ihnen zu reden, oder?
Ulrike Folkerts: Nicht, wenn ich das Gespräch nicht selber darauf bringe.
Dann schon lieber über Humor.
Sehr gern, freut mich.
Haben Frauen davon weniger als Männer?
Das frage ich mich auch gerade. Vor kurzem gab es ja einen langen Artikel darüber im Magazin der Süddeutschen Zeitung und der hat mich ein wenig erschreckt, auch – oder vielleicht weil – darin scheinbar viele Wahrheiten steckten. Ich dachte, das ist ja ein Hammer, aber so viel wie da belegt war, was die Präsenz von Frauen bei deutschen Humorformaten im Fernsehen oder in Zeitschriften betrifft, denkt man nach kurzem Nachdenken, da ist scheinbar doch was dran. Obwohl ich wirklich viel lache und glaube, ausreichend Humor zu besitzen. Allerdings gibt man mir zu selten die Gelegenheit, das auch zu zeigen.
In der Tat. Warum?
Tja. Komödie ist nach wie vor das Schwerste, was man verfassen kann und in der Umsetzung entsprechend selten gelungen. Das Letzte was ich tatsächlich urkomisch fand, war Alles auf Zucker mit Henry Hübchen. Da hab ich mich köstlich amüsiert. Ansonsten müsste ich lange überlegen, um etwas Erheiterndes zu finden, worüber ich im Fernsehen wirklich herzlich gelacht habe.
Es wäre vermutlich nicht über Comedy, sondern adaptierte Kinoformate.
Wovon man ausgehen kann. Oder warten Sie… Nein, ansonsten fällt mir tatsächlich nur jemand längst Vergangenes ein wie Liesl Karlstadt von Karl Valentin, die war sehr komisch. Oder Katharina Thalbach, wie sie bei der Filmpreisverleihung, der Lola, als Laudatorin zusammen mit Detlef Buck ihr komödiantisches Talent gezeigt hat, das war schon beeindruckend, eher kauziger Humor, aber guter. Es bleibt die Frage: muss man sich ein wenig zum Horst machen für gute Komik und wie wirkt sich die Kombination schön und komisch aus?
Gerade für Frauen im Filmbereich mit seinen geschlechterspezifischen Anforderungen.
Ganz genau. Schräg und komisch geht sofort. Ein interessantes Phänomen. Ich würde also behaupten, ein komödiantisches Talent zu besitzen, das nur noch nicht zum Zuge kam. Ich finde schon, dass Männer eher über zotige Witze lachen und das kann ich eigentlich überhaupt nicht, gerade wenn es auf Kosten von Frauen geht und da stellt sich schon die Frage, ob man sich im umgekehrten Fall über Männer amüsieren kann. Denn darum geht es doch letztlich beim Humor: Über sich selber lachen zu können. Wer das nicht kann, kann auch andere nicht zum lachen bringen. In Ich bin eine Insel
Ein Film mit Ihnen, der mal ohne Lena Odenthal auskommen muss…
…einen wunderbaren Kollegen, Luc Veit, der wahnsinnig komisch ist, mit dem ich großen Spaß hatte, mit dem ich mir alles mögliche hätte vorstellen können, da hat der Regisseur Gregor Schnitzer meine Tendenzen zur komischen Übertreibung sofort gebremst.
Vielleicht auch, weil er die Rolle nach eigener Auskunft auf Sie zugeschnitten hat. Worin äußert sich das?
Das äußert sich in erster Linie darin, dass nichts, aber auch wirklich gar nichts auf eine Lena Odenthal hinweist. Keine Knarre, keine kriminalistische Handlung, keine Leiche, obwohl es zu Beginn ein Unfallopfer gibt, aber eben keinen Tathergang. Denn das ist doch das größte Problem am deutschen Film, womit wir wieder dort wären, warum mir niemand Komödien anbietet: Schubladen, Schubladen, Schubladen wo immer du hinsiehst. Es ist unglaublich schwer, aus denen zu entkommen und ich stecke weiß Gott noch tiefer in meiner als viele Kollegen in ihrer.
War das der Grund, warum Sie vor einigen Jahren in der WDR-Show Zimmer frei sagten, Sie würden gern endlich einen Liebesfilm spielen?
Wahrscheinlich und es ist mir bislang nicht gelungen. Auch in Ich bin eine Insel spiele ich nur gelegentlich so etwas wie eine heile Liebeswelt. Meine Rollen sind in dieser Hinsicht einfach generell eher anders.
Was aber nicht ihrem Naturell entspricht.
Nein, natürlich nicht. Und deshalb muss ich mich umso mehr bemühen, alleine dagegen anzugehen, selbst nach Drehbüchern zu suchen, die das schaffen, weil von sich aus keiner auf mich zukommt. Es ist tatsächlich so, dass man ab und zu rausgeht und Leute sucht, mit denen man über etwas Neues rumspinnen kann. Das ist mir mit der Leibwächterin passiert, die ich vor dreieinhalb Jahren fürs ZDF gedreht habe. Und auch Salzburg war dahingehend ein großes Erlebnis für mich, von einem Schauspieldirektor angerufen zu werden, er habe für mich eine Rolle als Tod im Jedermann. Ein absoluter Glücksfall, der mir so noch nie zuvor passiert war. Einfach angerufen zu werden, um eine Idee mit mir zu realisieren, die von meinem bisherigen Rollentypus im Tatort abweicht. Ansonsten muss ich quatschen, quatschen, quatschen.
Haben Sie auch schon mal nach einer Komödie gegraben?
Das finde ich ganz schön schwer, weil man in seiner Vorstellung am Ende doch immer wieder bei den Stoffen landet, die man ohnehin schon mal gesehen hat. Ich bin dabei, danach zu forschen, bin aber noch nicht fündig geworden.
Welche Art Humor liegt Ihnen am nächsten – Klamauk oder subtiler Sprachwitz?
Also im Theater habe ich mal Der reinste Wahnsinn gespielt, genial geschrieben, macht einen Heidenspaß. Es hat unglaublich viel mit dem Text zu tun und da waren die Figuren so gut gezeichnet, dass sie die Komik aus Ihrer Ernsthaftigkeit heraus entwickelt haben. Am interessantesten, am schönsten ist es, eine komische Figur trotzdem stets ernst zu nehmen und ihren Humor auf ehrliche Weise zu entdecken. Nicht mit Draufhauen und Umfallen und Tortenschlachten.
Machen Sie nationale Unterschiede beim Humor?
Der englische ist natürlich hervorragend mit seiner Fähigkeit, ernste Belange komisch zu erzählen. Faszinierend, wie die Briten das immer wieder hinkriegen und zwar so gut, dass es sogar in der Synchronfassung noch funktioniert. Diese Verbindung des Dramas mit dem Witz, was ja zweifellos eng beieinander liegt, ist hierzulande selten. Menschen mit Dramatik zum Weinen, zum Innehalten zu bringen und Menschen zum Lachen sind die zwei höchsten Ziele in dieser Kunst, der Schauspielerei.
Wie muss man sich Ulrike Folkerts auf einer wilden Party vorstellen – eher auf den Tischen tanzend oder eher auf dem Stuhl redend?
Superfrage. Das kommt natürlich total aufs Umfeld an und wenn ich mich wirklich wohl fühle, werde ich zum Mittelpunktsmenschen, tanze gerne und begeistere andere von mir. Ich kann also durchaus zur Partymaus werden, bin aber auch gern mal eine Stunde am DJ-Pult und mache selber Musik. Die Stimmung so zu bestimmen, den Groove vorzugeben und immer noch einen drauf zu setzen, liegt mir sehr. Bei der passenden Musik. Das ist die Entertainerin in mir. Jetzt nicht mit Scratchen und einszweidrei, eher dezent.
Können Sie irgendjemanden parodieren?
Überhaupt nicht, niemanden, ich kann keine Dialekte, ich kann niemanden nachmachen und das hab ich auch noch nie versucht.
Und Witze erzählen?
Auch das nicht. Die kann ich mir gar nicht erst merken.
Das wäre ein Punkt, um auf geschlechterspezifischen Humor zurückzukommen.
Das werde ich mal beobachten. Vielleicht liegt uns mehr der Gesprächshumor. Denn ich habe viele Freundinnen, die brüllend komisch sind, mit denen ich irrsinnig viel Spaß habe, die sehr trockenen Humor besitzen, dass es nur so staubt.
Wie witzig finden Sie denn jemanden wie Gaby Köster?
Ich weiß, von der habe ich ein Bild vor Augen. Ganz lustig, sehr kölnisch, aber das hält mich nicht lange. Auch eine Hella von Sinnen nicht. Gaby Decker hat mich schon mal ein ganzes Programm lang gefesselt, so wie sie von einem Charakter in den nächsten schlüpft. Auch das Kabarett ist ja sehr männerlastig.
Was nicht am fehlenden weiblichen Humor liegen muss, sondern daran, dass Männer in Ihrer Domäne die Schranken hochfahren.
(lacht) Jetzt fallen mir aber doch noch einige ein, die ich immer gut und genial komisch fand. Anke Engelke – wo ist die eigentlich? Und Evelyn Hamann. Komischsein ist auch eine Frage des Mutes und die beiden haben ihn aufgebracht.
Wie war es beim Krimi. Mussten Sie 1989, als Frauen dort noch seltener waren, mehr Mut aufbringen, gegen höhere Mauern anrennen?
Es gab damals Briefe, die mir nahe gelegt haben, das Ganze doch lieber sein zu lassen, weil eine Frau nun mal nicht alleine Verbrecher mit der Waffe jagt. Das war eine Zuschauerresonanz. Wir mussten also erst beweisen, dass eine Frau, zumal eine so junge, auch Kommissarin sein kann und so hat man überlegt, sie doch nur noch in Begleitung loszuschicken; das entspricht vielleicht mehr der Realität und macht es glaubwürdiger. Trotzdem wurden die Szenen dann der Spannung wegen so geschrieben, dass Lena Odenthal dem Bösewicht am Schluss doch meist allein gegenüberstand. Es hat also ein bisschen gebraucht, ich hatte aber schnell die Frauen auf meiner Seite und die Männer mussten das akzeptieren. Die große Zahl an Kommissarinnen, die jetzt im Fernsehen ermitteln, belegt ja den großen Bedarf nach dieser Konstellation.
Mehr Frauen jedenfalls, als im realen Polizeialltag. Wie haben Kollegen, Produzenten auf Sie reagiert.
Ich weiß nur von Nicole Heesters, der allerersten Frau beim Tatort, die 1978 ganz schlimme Probleme hatte. Die wollte man wirklich loswerden. Der SWR hat schon immer Frauen ganz vorn und Nicole Heesters hat von vielen Steinen erzählt, die ihr in den Weg gelegt wurden. Die zweite war Karin Anselm und hat acht Jahre lang einen pro Jahr gemacht, bis ich kam und eher den ruppigen, raubeinigen Typen dargestellt habe, mit Lederjacke, Jeans, das war auch nicht für alle okay, hat aber insgesamt wohl bei der Akzeptanz geholfen. Ein Polizist kann einfach – ob Frau oder Mann – schießen, zurück hauen, sich prügeln.
Sind Sie privat auch eher der raue Typ?
Im Gegenteil, privat bin ich eher ein Sensibelchen, so gesehen war die raue Schale, das Toughe meiner Rolle, auch ein Instrument, mich zu schützen. Lena Odenthals weicheren Seiten kommen erst jetzt langsam zutage und das ist auch gut so. Ob sie aber irgendwann auch eine anständige Liebesgeschichte kriegt, weiß ich nicht. Ich bin immer versucht, das anzuregen und es ist auch die Frage, wie man das einbaut. Ich habe zum Beispiel keine Lust, wie Frau Furtwängler schwanger zu werden. Das müsste so gut geschrieben sein, wenn das jemandem gelänge, wäre ich wirklich überrascht. Positiv.
Zumal Kommissare im deutschen Krimi allgemein und besonders im Tatort vornehmlich triste Liebesleben aufweisen.
Das stimmt. Da könnte man durchaus lockerer werden. Ich wäre da experimentierfreudig.
Die ARD-Serie Mord mit Aussicht entwickelt sich zusehends von der eigensinnigen Provinzstudie zur Primetime-Fassung des Schmunzelkrimis. Dass sie dennoch so erfolgreich ist, liegt auch an den exzellenten Nebendarstellern. Zu denen zählt seit dieser Staffel Johann von Bülow, der einen grandiosen Schnösel gibt. Das kann er. Gewissermaßen schon qua Geburt.
Von Jan Freitag
Es ist der Augenaufschlag. Die Stirn in Falten zu legen und gleichsam die Lider zu senken, ohne dabei verschlagen oder blöde dreinzuschauen – so wird aus Blicken Hochmut. So geht aristokratische Mimik. So verkörpert man den geborenen Snob. Und den beherrscht kaum ein zweiter wie: Johann von Bülow. Was zwar nicht nur, aber irgendwie auch ein wenig am Anredeprädikat zwischen Vor- und Nachnamen liegt. Der Wahlberliner aus München ist schließlich von Adel. Und ein ziemlich guter Schauspieler zudem.
Trotzdem sorgt er nach der Hälfte seiner 42 Jahre im Filmgeschäft selbst bei denen, die regelmäßig fernsehen, eher für eine andere Assoziation. Von Bülow – heißt so nicht ein gewisser Loriot real? Das tut er; der junge Johann ist entfernt verwandt mit Deutschlands jüngst verstorbenen König des Alltagshumors. „Sehr entfernt“, beteuert dessen Sippenmitglied, dem die mecklenburgischen Ursprünge vor fast 800 Jahren wenig bedeuten. Ländereien, Reichtum, gar Schlösser – „das muss man sich in meinem unmittelbaren Umfeld unbedingt wegdenken“, sagte er mal anlässlich einer typischen Rolle als Erbe einer Werftendynastie mit dauerkrauser Stirn. „Dass ich einen bekannten alten Namen trage, hat in meinem Alltag keine Bedeutung.“
Bis auf diesen Augenaufschlag eben, die ihm so manche Figur mit Klassendünkel beschert. Denn Johann von Bülow spielt sie oft – diese leicht hochnäsigen Charaktere im Bannstrahl der Oberschicht, gern wirklich erlaucht, zumindest mit dieser leicht dubiosen Arroganz der Macht versehen. Wie in Uli Edels dreiteiligem Historienschinken Adlon, wo er einen Offizier namens von Tennen spielt. Wie zuletzt im gelungenen Dokudrama Die Spiegel-Affäre, wo er seinem real existierenden Redakteur Becker einen Gestus umwälzenden Journalistenstolzes verpasst. Wie einst im schmalzigen Biopic Carl & Bertha, wo er dem Benzinmotorerfinder das Kapital entzieht. Wie irgendwann in der grundsoliden Kanzleiserie Die Anwälte, wo er als karrieristischer Top-Verteidiger den Gegenpart zum netten Kai Wiesinger gibt. Und nun also wie in der Krimi-Reihe Mord mit Aussicht, wo er seit ein paar Wochen immer dienstags den großspurigen Schnösel Schulte mimt, der sich zum Bürgermeister aufschwingen will. Es eine Art Paraderolle. Auch wenn Johann von Bülow davon natürlich nicht sprechen will.
Das tun andere – Produzenten, Redakteure, Filmbesetzer, das Publikum – schließlich schon zur Genüge. „Wenn ich gewollt hätte“, er zeigt sein indigniertestes Aristokratengesicht, „hätte ich häufiger den netten Grafen im Pilcher-Film spielen können“. Das Etikett vom Sohn aus gutem Hause lenke die Verantwortlichen da oft auf falsche Fährten. Umso eifriger bemüht sich Johann von Bülow, sie davon zu vertreiben: Mit Verweigerung und Vielfalt, wenngleich zumeist in Nebenrollen. Wie jetzt, als Sidekick der Serienstars Caroline Peters und Bjarne Mädel. Das sei nun mal das Schicksal der „Charakterschauspieler“, als den er sich – „bei aller Bescheidenheit“ – sieht. Des „Antagonisten, der seltener eine ganze Geschichte trägt“.
Damit hat er schon seinen ersten großen Film Nach fünf im Urwald bereichert, wo er der blutjungen Franka Potente 1995 als erwachsener Verführer Nick zeigt, dass Männer tendenziell eben doch Schweine sind. Mit dieser Bereitschaft, Arschlöcher zu spielen, trägt er nun auch Mord mit Aussicht über die hohe Hürde des Klamauks hinweg, ohne sich ins Rampenlicht zu stellen und doch genug davon aufs uneitel gelichtete Haupthaar zu kriegen. Mit viel Gefühl fürs Timing. Mit unbeholfener Arglist im Habitus. Und mit diesem Augenaufschlag, der aristokratisch wirkt, selbst wenn das Blut rot ist, nicht blau. Dass er es mit Ritter Godofridus de Bulowe teilt, geboren Anfang des 13. Jahrhundert, spielt da keine Rolle.
12,99 – das war am Dienstag kein Vorteilspreis für zwei Drittligaspiele bei Sky oder vier Pakete Ariel Ultra, sondern die Zuschauerzahl bei RTL. So einen Wert hatte der Exmarktführer zuletzt, als Michael Schumacher noch rasend schnell über Renn- statt Schneepisten raste. Und es lässt sich trefflich rätseln, ob die Quote am Titel des deutschen EM-Qualifikationsspiels gegen Irland lag. „European Qualifiers“ ist zwar sprachhygienischer Dreck, klingt aber irgendwie bedeutsam, also nach dem Gegenteil des, nun ja, Senders.
Tatsache aber ist, dass der dank relevanten Fußballs im Monatsranking mal wieder vor der Konkurrenz liegen dürfte und Pro7 weiter auf Abstand halten. Und das hat – Achtung! – auch damit zu tun, dass die Übertragungen professionell, seriös, ja im Tonfall sogar erträglicher sind als die selbstgerechten Reportergreise von Wolf-Dieter Poschmann bis Béla Réthy. Zumal sie den Bombast des Auftakts abgelegt haben. Statt tageweise Brimborium zu versenden, geht es nun ums Wesentliche: den Sport.
Wenn bei Interviews das Wesentliche im Wort liegt, hat sich vorige Woche aber noch etwas anderes mit Strahlkraft für die Zukunft ereignet: Der Außenminister antwortete unterm Hashtag #FragSteinmeier zumindest auf die sachlicheren von gut 2000 Fragen der Zwitschergemeinde. Inhaltich nagte das erste Twitter-Interview eines wichtigen Bundespolitikers zwar oft am Banalen. Dennoch zeigt sich, dass Informationen auch abseits von Tagesschau und heute längst sichtbar unters Publikum geraten können.
Was eine andere Innovation im Netz unterstreicht: den Online-Dienst BuzzFeed, im englischsprachigen Raum bereits sagenhaft erfolgreich, gibt’s nun auch auf Deutsch. Noch ist darauf zwar vor allem leidlich unterhaltsamer Unsinn zu lesen. Schon bald jedoch soll es auch recherchierte Reportagen echter Journalisten geben. Gut, die Qualität von Formaten wie 37°, das morgen im ZDF Unser täglich Tier problematisiert, also den Irrsinn industrieller Fleischproduktion, wird wohl auch langfristig nicht erreicht. Dennoch sollten Onlinemedien wie BuzzFeed die öffentlich-rechtlichen Lordsiegelbewahrer mal motivieren, ihre Strategie im Umgang mit der Generation Internet zu überdenken. Jan Böhmermanns Neo-Magazin ab Februar ins Hauptprogramm des ZDF zu holen, ist da nur ein zaghafter Anfang – dessen Ende zudem auch gleich wieder in Sicht ist: Die Ministerpräsidenten haben entscheiden, den lang geplanten Jugendkanal nun doch ins Netz abzuschieben. Und was tun ARZDF: Sie kündigen dennoch das Aus der zwei Spartenperlen ZDFkultur und EinsPlus an.
Die Frischwoche
20. – 26. Oktober
Dabei ist nur bei den zwei ehrgeizigen Spartenkanälen zu sichtbaren Sendezeiten kostenlos zu sehen, was gediegene Populärkultur so für Menschen unter 60 bereithält. Auf ZDFkultur etwa gibt es das ganze Wochenende einschließlich Montag Musik, echte Musik, während das Erste mal wieder (mit) Florian Silbereisen feiert. Aber immerhin geben die Platzhirsche ab und zu auch noch Geld für wichtigere Dinge aus. Den Mittwochsfilm Momentversagen zum Beispiel mit Felix Klare als Staatsanwalt, dessen zivilcouragiertes Eingreifen sein komplettes Leben ins Wanken bringt. Leider muss sich Friedemann Fromms Drama mit der Champions League messen, für die das ZDF zeitgleich Gebühren verpulvert.
Trotzdem zeigen Tage wieder dieser, dass öffentlich-rechtlich unterhaltsam und gut sein kann und bilden somit die Antithese zum Donnerstag, wo Francis Fulton-Smith in der süffigen ARD-Anwaltsreihe Ein Fall von Liebe, klar: Francis Fulton-Smith spielt und parallel dazu JBK im Quiz-Champion 2014, genau: JBK. Das ist in seiner Ödnis so berechenbar wie es der ARD-Freitag mal war. Mittlerweile gibt es da allerdings seriöses Programm wie Brezeln für den Pott, in dem der fabelhafte Hans-Jochen Wagner bayerisches Salzgebäck nach Duisburg bringt, was zwar oft etwas plump an die Sch’tis erinnert, aber insgesamt recht gelungen ist. Nur die Jugend, die holt man damit eher nicht vom Smartphone weg.
Das schafft höchstens Importware wie Dracula, den Vox ab Montag um 22.10 Uhr am viktorianischen London saugen lässt. Mit dem schönen Jonathan Rhys Meyers unter schönen Opfern als schöner Vampir mit dem schönen Thomas Kretschmann als Widersacher van Helsing, der diesmal eine Allianz mit ihm eingeht, wobei hier ohnehin viele Rollen getauscht werden zwischen gut und böse. Hätte also schlimmer kommen können, wurde dennoch nicht richtig gut, erinnert also strukturell an den neuen Tatort. Mit dem ist Lena Odenthal Sonntag exakt 25 Jahre im Dienst, weshalb sich Blackout vor allem mit ihrem Burnout befasst. Das macht Hoffnung, Ulrike Folkerts geht doch bald in den verdienten Ruhestand und macht somit Platz für den Nachwuchs. Bis dahin beschäftigt sich der Tipp der Woche erstmal mit dem Nachwuchs Gottes: Martin Scorceses Die letzte Versuchung Christi (Montag, 20.15 Uhr, Arte) zeigte Gottes Sohn (Willem Daffoe) als hadernden Zweifler. 1988 galt das als Blasphemie.
Ab 1889 Tanz und Vergnügungssalon, später öffentliches Bad mit Hippodrom darunter, seit 1968 Disko. Heute: frisch saniert. Das Gruenspan, Hamburgs erstaunlichster Club, dessen quietschbunte Fassade einst als Sensation galt (Foto: Opel) und noch heute fasziniert.
Von Jan Freitag
Geschichte ist der zeitgenössischen Clubkultur eher wesensfremd. Geschichte klingt nostalgisch, irgendwie alt, gar erwachsen. Party dagegen ist: jetzt. In diesem Moment. Für diesen Moment vor allem. Bis auf einige Selfies vom Absturz und den Kater danach ist nicht nur das Feiervolk rings um den Hamburger Kiez schließlich schon dann strikt geschichtsvergessen, wenn die Party nur Stunden vorbei ist. Jahrzehnte haben da wenig Bedeutung. Doch daran will Robert Hager arbeiten.
Hier, genau hier, der Clubbetreiber breitet seine Arme aus, “standen früher Wannen”, eine Menge davon. Genug jedenfalls, um die Bewohner des heruntergekommenen Arbeiterviertels St. Pauli vorm letzten Krieg und noch eine Weile später zu reinigen. Und unter der öffentlichen Badeanstalt ohne Pool, Robert Hager feuert sein lautestes Lachen durch den Vollbart, “war früher das Hippodrom”. Eine Manege also – vor knapp hundert Jahren der heißeste Budenzauber im Amüsierviertel. Pferde, Akrobaten, Musik, Bier, Schnaps, Seeleute, Seemannsbräute, nicht nur nachts um halb eins. Es war die Hochphase der Großen Freiheit, besungen von Hans Albers, beschallt von einem kleinen Balkon, auf dem die Kapelle saß, wenn tief darunter falsche Cowgirls im Kreise ritten.
So viel Geschichte steckt am Clubstandort Hamburg nur hier, im Gruenspan. Gleich neben dem Indra, wo die Beatles fern der Heimat ihr Debüt gaben. “Gegeben haben sollen”, korrigiert Robert Hager und nennt zwei, drei andere Bühnen der näheren Umgebung, die den Durchbruch der Fab Four ebenso für sich reklamieren. Auch sein Grünspan zählt zu den Bewerbern. Natürlich. Wieder lacht er durch den mächtigen Kuppelsaal seines Konzerthauses. “Hier haben sie allerdings wohl doch nur geschlafen.”
Aber egal. Die Sache mit den Beatles ist eine dieser zahllosen Geschichten vom “Tanz und Vergnügungssalon”, als der das Gruenspan 1889 erbaut wurde. Man kann an einigen zweifeln oder nicht – besser ist, man lauscht einfach staunend den fabelhaften Anekdoten, über die der zugezogene Bayer Hager selbst so oft gestaunt hat, seit er das älteste Etablissement seiner Art in Deutschland, so heißt es, 2009 übernommen hat.
Übers Kino zum Beispiel, das dem Jugendstilgebäude die ganze Weimarer Republik hindurch kosmopolitischen Glamour verlieh. Übers biedere Paartanzambiente, das ihn nach dem Badehausintermezzo Anfang der Sechziger provinziell trübte. Über den türkischen Nusshändler, der daraus gemeinsam mit einem deutschen Zahnarzt 1968 das Gruenspan machte. Über die erste Diskothek weit und breit, wo echte Discjockeys auflegten wie jener Taxifahrer, der Hager mal bei einer Fahrt erzählte, dass er vom Eröffnungsabend an zehn Jahre jedes Wochenende am Plattenteller stand. Und natürlich über jene Frau von 91 Jahren, die unlängst bei einer Hausführung ergriffen berichtete, wie sie als junges Ding hier gebadet habe.
Dass ihr dabei ein Gefühl von Wehmut durchs alte Herz wehte, daran ist Robert Hager nicht ganz unschuldig. Seit er den Laden vor fünf Jahren übernahm, erlangt Hamburgs traditionsreichster Club Stück für Stück sein Gedächtnis wieder. Während unter dem blinden Kirchenglas des früheren Oberlichts bis zu 900 Besucher feierten, wurde die schimmelige Haut vom Klinker geschlagen. Finanziert mit einem Darlehen im mittleren sechsstelligen Bereich. So begann bald das backsteinrote Herz des Gruenspan zu pulsieren.
Überall traten bauliche Kostbarkeiten ans Kunstlicht. Hier etwas Stuck, da ein alter Balken. Hatten sich die Gäste im Oberrang zuvor auf Beton gelehnt, ist es nun ein gusseisernes Gründerzeitgeländer. Wo 40 Jahre Investitionsstau, wie der gelernte Hotelfachmann die Substanzvernachlässigung seines Großods nennt, das Flair einer Kettenkneipe verströmt hatten, wirkt nun vieles aus der Zeit gefallen. “3 Kartoffelpuffer 15 Pfennig” steht neben der Eingangsbar in Fraktur; was man zur Pferdeschau halt so aß.
Und wie der akkurat frisierte Geschäftsführer mit seinem metalmähnigen Pressesprecher an seiner Seite durch das neue alte Schmuckstück führt, wie beide von den acht entschalten Säulen unter der Empore schwärmen, dem verzweigten Backstagebereich voll Sperrmüllsofas und Perserteppichruinen, von der salbungsvollen Aura überall – da wird deutlich, wo Hager und seine 40 Mitarbeiter hinwollen. “Live wird immer theatralischer”, sagt der Musiker im Verwalter, “deshalb wird auch der Raum zusehends Teil der Performance.”
Gut 5.000 Besucher, die ein Schauspielfestival 2013 ins Eigentum der Sprinkenhof AG gelockt hat, sollen demnach keine Ausnahme gewesen sein. Man sei am Ende zwar auch abhängig davon, was große Veranstalter wie Scorpio ins Haus booken, gibt PR-Mann Jannes Vahl zu bedenken. Doch zwischen Künstlern wie Jan Delay, der hier sein letztes Album vorstellte, und Karl Bartos, der hier zuletzt ohne Kraftwerk auftrat, wolle man künftig öfter mal bestuhlen. Sich also programmatisch noch breiter aufstellen, ohne beliebig zu sein. Oder wie Hager es ausdrückt: “Das Gruenspan soll von einer Ortsbezeichnung zur Inhaltsangabe werden.”
Bei ein paar Prozent Ertrag und dem Dauerrisiko roter Zahlen sei Markenbildung dafür ebenso unerlässlich wie Lokalkolorit. Die Sanierung wirkt da Wunder. Nur zu weit führen, das dürfe sie nicht. “Der Zugang zum Hippodrom bleibt zugemauert”, betont Robert Hager und man spürt, wie sein Herz dabei blutet. “Sonst renovieren wir uns pleite.” Und ist ein Laden erst mal dicht, zumal in der Lage, mit Garten, Empore und dem schönsten Raucherraum der Welt, dann wird er, was das Gruenspan auch geöffnet immer sein will: Geschichte.
Gleich hinter Heavy Metal, heißt es oft, kommt Techno in all seinen Spielarten der Klassik am nächsten. Entweder pflegt er die symphonische Fläche bis zur Stupidität oder wenigstens das nötige Pathos in repititiver Konzentration. Gern kompiliert er auch beides in einem. Wenn noch eine gehörige Prise Pop hinzukommt, das funkensprühende Sammelsurium der Samples und Zitate, dann sind wir bei Dorian Concept angelangt. Der österreichische Produzent und Remixer ist einer der ganz großen Virtuosen des elektronischen Mash-up. Und sein zweites Album Joined Ends entsprechend eine Art Arbeitsnachweis jener Möglichkeiten, die Experimentierfreude gepaart mit rhythmischer Spielfreude ergibt.
Mithilfe eines Wurtlitzer E-Pianos und dem Ergebnis unablässiger Suche nach analogen Sounds, synthetisiert er die Wirklichkeit mit neuer Hardware zu digitalen Welten, denen man die Herkunft kaum noch anhört. Und obwohl alles daran fühlbar computerisiert klingt, hat man Track für Track der zwölf ungeheuer liedhaften Stücke stetes das Gefühl, hier spiele ein echtes Orchester mit den Mitteln der Moderne. Selten waren die Ninja Tunes so poppig, selten war Pop so eklektisch. Versehen zudem mit einem der tollsten Cover-Artworks des elektronischen Jahres. Zum Funkensprühen schön!
Dorian Concept – Joined Ends (Ninja Tunes)
Kele
Es ist schon eine ganze Weile her, dass analoger Indierock die digitale Zukunft erstmals auf dem Dancefloor umarmt hat. Rave nannte sich dieses teilelektronische Experiment Anfang der Neunziger, als der Begriff noch nicht auf technoides Dauerstakkato gebucht war und Manchester dank Bands wie den Stone Roses, EMF oder den Happy Mondays zu Madchester wurde. Seither hat diese Art des Mash-ups den universellen Pop strukturell so stark beeinflusst, dass nur in wenigen Genres die Summe in ihre einzelnen Teile zerlegbar zu sein scheint. Bei Kele dagegen ist er noch zu spüren, dieser Wunsch seiner musikalischen Vorgänger, zwei vermeintlich widerstrebende Teile so zu vereinen, dass – wie in einer aussichtsreichen Ehe – weiterhin Individuen erkennbar bleiben. Kele, das ist Kelechukwu Rowland Okereke, besser bekannt als Sänger der fabelhaften Band Bloc Party, die dem Britrock vor gut zehn Jahren eine elegische Melancholie verpasst hatten wie zuvor allenfalls Radiohead oder The Verve. Seit Bloc Party 2009 für eine Weile in seine Bestandteile zerfiel, versucht sich Kele also solo – und führt doch lückenlos fort, was die Band seit ihrem gefeierten Debüt Silent Alarm mit jedem Album vollführt haben: die Symbiose von distinguiertem Gitarrenpop und geschmeidiger Electronica zu einem Gemisch, das die Zutaten stets erkennbar lässt.
Da macht Kele nun auch mit seiner zweiten Platte Trick weiter. Mehr noch als auf Boxer vor vier Jahren nämlich liegt darin ein flächiger, gelegentlich klebriger, meist ziemlich selbstbewusster House ebenso offen wie das Wavige seiner Londoner Kumpels. Und beides wird wie gehabt verschweißt durch Keles gefühlvolle Stimme, mit der er gewohnt persönliche Dinge preisgibt. Meist handeln sie von Liebe und ihren oft so schmerzhaften Folgen, dass es nur so “you and me” hagelt, die ewige Dichotomie zweier Suchender, die zusammengehören, aber nicht zusammenfinden. Und irgendwie entspricht das Album dem auch musikalisch. Manchmal klingen die zehn Stücke, zum Beispiel das gefällige Counting zu Beginn, als hätte Kele sie mit Blick auf die Charts verfasst. Manchmal, etwa in Closer, schafft er es doch nicht, sich stilistisch von seiner alten Band zu emanzipieren. Zwischendurch schimmert aus allem, was Kele anpackt, eine Unentschlossenheit heraus, jetzt Remixer oder Rockstar zu sein. Nur: Das führt abgesehen vom anbiedernden R’n’B-Ausreißer mit dem passenden Schnulzentitel Silver and Gold fast nie zur Halbherzigkeit.
Millionen kennen sie als Alberich und das Sams, jetzt tritt ChrisTine Urspruch aus dem Schatten anderer und spielt die Serienärztin Dr. Klein (freitags, 19.25 Uhr). Dass sie nur 132 Zentimeter misst, packt das ZDF schon in den Titel. Doch der 44-Jährigen aus Remscheid geht es um mehr als dieses Merkmal.
Interview: Jan Freitag
freitagsmedien: Frau Urspruch, da lernt man sein Leben lang, Menschen, die von der Norm abweichen, bloß nie aufs Körperliche zu reduzieren, und dann heißt ihre Serienfigur allen Ernstes Dr. Klein?
ChrisTine Urspruch: (lacht) Ach wissen Sie, wenn alles immer nur der Norm entspricht und jeder Hinweis auf Abweichungen wegfiele, wäre das Leben doch ziemlich langweilig. Deshalb finde ich den Namen auch vor allem witzig, nicht diskriminierend. Außerdem schafft er Aufmerksamkeit für die Geschichte und macht neugierig.
Hat der Titel also mehr damit zu tun, dass deutsche Serien gern sprechende Figurennamen wie Fuchs und Gans haben?
Vielleicht. Aber es hat vor allem mit mir zu tun und wie ich im echten Leben mit meiner Größe umgehe. Denn das was draufsteht ist bei mir auch drin. Und die kleine Frau von 1,32 Meter hat in der Serie unabhängig vom Namen riesige Aufgabe zu erfüllen, die sie mit Bravour erledigt. Sehen Sie den Namen daher doch lieber als Kontrastmittel, das sich auf alle Frauen in männerdominierten Welten wie Krankenhäusern anwenden lässt, wo es kaum Oberärztinnen gibt.
Handelt die Serie also von einer Kleinwüchsigen, die zufällig Ärztin ist, oder einer Ärztin, die zufällig kleinwüchsig ist?
Definitiv letzteres. Zumal auch die anderen Protagonisten selten der Norm beziehungsweise bestimmten Klischees entsprechen. Deshalb gibt es ja auch den schwulen Chefarzt, der sich mit Adoptionsfragen befasst. Das wirft gesellschaftliche Fragen auf, über die man am Beispiel der Serie gern nachdenken darf.
Mit dem Ziel, Unterschiede so beharrlich zu thematisieren, bis sie keine Rolle mehr spielen, die Thematisierung also überflüssig wird?
Sicher. Es geht schließlich vor allem um die Suche nach dem persönlichen Glück unabhängig von allen Äußerlichkeiten.
Sind Film und Fernsehen bei uns denn schon reif, Menschen völlig ungeachtet ihrer Äußerlichkeiten zu besetzen?
Das nehme ich so wahr, auch wenn es in kleinen Schritten vor sich geht. Etwa dabei, Menschen mit Migrationshintergrund nicht mehr als solche zu besetzen. Man kann das auch an meiner Figur Alberich im Tatort sehen: Die hat sich längst von ihrer Körpergröße zu einer handelnden Figur emanzipiert. Das ist natürlich noch ausbaufähig, aber Silke Haller – wie sie übrigens heißt – ist eine gestandene Frau.
Ist es denn auch eine behinderte Frau, als die Sie Ihr Widersacher Dr. Lang in Dr. Klein einmal bezeichnet?
Ach, da gibt es im Englischen viel kreativere Begriffe wie „vertically challenged“, also eher herausgefordert als beeinträchtigt. Ich empfinde mich nicht als behindert, weil ich kaum Einschränkungen habe und nicht auf Hilfsmittel angewiesen bin, auch wenn ich nicht an alles rankomme. Aber Sie müssen für bestimmte Höhen sicher auch mal auf einen Hocker steigen. Das ist eine Frage der Perspektive.
Die sich bei Ihnen schon im Namen zeigt, den Sie bewusst mit großem T schreiben.
Um einen spielerischen Umgang mit meiner Größe zu offenbaren, ja. Wir Deutschen problematisieren ja gerne vieles, da versuche ich es gern mal ein bisschen lockerer zu sehen.
Was kennzeichnet Sie denn übers Körperliche hinaus als Schauspielerin – das Komödiantische, Leichte?
Schon. Das Komödiantische liegt mir schon sehr. Aber keine Sorge: Ich kann auch Drama und spiele es sogar am Theater. Aber unterschätzen Sie nicht das Dramatische an der Komödie, das gibt es auch in Dr. Klein.
Waren Sie dafür in einer Schauspielschule?
Nein. Viele meiner schauspielerischen Fähigkeiten beruhen eher auf Fortbildungen, Kurse und learning by doing.
Was war dabei Ihr Durchbruch: Das Sams oder der Tatort?
Eine Verkettung von Zufällen und Zusammenkünften, aber auf die Kinohauptrolle im Sams werde noch immer oft angesprochen, die empfinde ich bis heute als Bestätigung eines langen Weges ins Schauspiel. Daraus resultierte dann der Tatort und daraus wiederum Dr. Klein. So kommt eins zum anderen.
War das Sams dennoch eher Sprungbrett oder Bürde, was die spätere Rollenfestlegung betrifft?
Sagen wir mal so: Ich hatte anfangs schon Sorge, dass es mich so auf fröhliche Kinderfiguren festlegt wie seinerzeit Inger Nilsson, die kaum andere Rollen als Pipi Langstrumpf angeboten bekam. Aber das ist immer das Risiko unseres Berufes und die Sorge hat sich bei mir als unbegründet erwiesen.
Sehen Sie Dr. Klein da als weiteren Emanzipationsschritt?
Absolut, da mache ich innere Freudensprünge. Gerade, weil ich aus der Nebenrolle in die erstere Reihe trete, mit einer Figur, die mir auf den Leib geschrieben wurde. Davon träumt fast jeder Schauspieler.
Aber Sie bleiben dennoch dem Alberich noch treu?
Die irren Zuschauerzahlen sind da jedenfalls ebenso großer Ansporn wie die tollen Bücher und meine Kollegen. Ohne die könnte ich mir ein Leben kaum noch vorstellen. Gut, nichts ist für die Unendlichkeit, aber die aktuellen Gespräche deuten nicht darauf hin, dass sich ein Ende anbahnt.