Als Christian Ulmen vor vielen Jahren den blassen Berserker bei MTV gab, dachte niemand, das aus dem Hamburger mal einer der einflussreichsten deutschen Filmschauspieler und Fernsehproduzenten werden könnte. Heute zum Beispiel spielt er die Hauptrolle in der Heimatklamotte Wer’s glaubt, wird selig (20.15 Uhr, HR), schon morgen aber könnte er ebenso gut als Liebhaber oder Actionheld durchgehen. Im Interview sprach der auch schon fast 40-Jährige über Fernsehhumor, Improvisationsvermögen und was er von Fips Asmussen hält.
Christian Ulmen: Ich finde den Begriff furchtbar, aber es gibt gute geschriebene und gute improvisierte Comedy. Kommt drauf an, was man will. Wenn Ralf Husmann eine Krimiserie macht, lebt sie definitiv durch seine guten Skripte.
Das beweist er mit Stromberg.
Er hat das Talent, eine sehr mundgerechte Sprache zu finden.
Dennoch erwecken Sie auch in Formaten wie Dr. Psycho den Eindruck, ohne Drehbuch zu spielen.
Wir haben zweieinhalb Monate von morgens um acht bis abends um zehn gedreht. Da passiert es natürlich manchmal, dass Dinge aus einem herauspurzeln, die nicht im Buch stehen, der Figur jedoch zuträglich sind. Ralf Husmann hat mir während der Produktion von Mein neuer Freund von der Krimi-Idee erzählt und wusste schon beim Schreiben, dass ich den Munzl spiele, wie es sich anhört, wenn ich es spreche.
Aber Ihre Liebe gilt der Improvisation.
Bei einer geskripteten Geschichte kommt das auf die Szene an. Wenn sie keine Schlüsselfunktion für die Handlung hat, kann man mal ein bisschen improvisieren. Ansonsten macht man womöglich den Schlüssel kaputt und kommt nirgends mehr rein. Mir fallen Mischformen schwerer. Ich kann entweder am Text hängen wie bei Dr. Psycho oder komplett improvisieren wie bei Mein neuer Freund.
Das war wirklich voll improvisiert?
Als Entertainer Knut hab ich seine Witze auswendig gelernt, diese Zoten, teilweise von Fips Asmussen. Ansonsten gab’s nur grobe Handlungsstränge eines Ziels, auf das man zuimprovisiert.
Können Sie Fips Asmussens Stammtischhumor etwas abgewinnen?
Ich wäre geneigt, zu antworten, nur in der Persiflage. Dann aber muss man Robert Gernhardt zitieren, es gebe keinen ironischen Orgasmus, nicht mal eine ironische Erektion. Wer sagt, er lache über einen Witz, weil er so schlecht sei, lügt eigentlich, weil man eben lacht, wenn man lachen muss und manchmal ist das brachialer Humor. Aber ein ironischer Deckmantel legitimiert manchmal das Lachen über Sauwitze.
Auch über Comedy?
Ja, aber darunter läuft eh alles. Da denke ich immer an Genre-Trailer wie früher bei Sat1 vor der Harald Schmidt Show, wo unter dem Stichwort Comedy immer ein Typ mit Clownsnase auftrat. Ich verbinde mit dem Begriff also rote Nasen.
Welcher Witz steckt, sagen wir: in Dr. Psycho?
Wenn man Humor erklärt, ist er rasch nicht mehr komisch. Dr. Psycho ist trockener Humor über einen Psychologen, der Polizeiarbeit nur aus Tatort oder CSI kennt und denkt, jetzt schön Verbrecher zu jagen und die Welt zu verbessern, dann aber in einen Beamtenapparat gerät, wo es mit Idealismus nicht weit her ist. Im Zusammenprall dieser Berufsauffassungen entstehen komische Situationen. Denn dadurch, dass Psychologen alle menschlichen Fehler zu kennen glauben, ist ihnen nichts mehr peinlich, weil alles Peinliche auch menschlich ist. Nichtpsychologen dagegen empfinden durchaus noch Scham. Der Humor in Dr. Psycho definiert sich oft genau darüber.
Und macht sich über niemand lustig?
Ja.
Weil das nicht Ihr Humor ist?
Genau.
Bei MTV haben Sie da oft auf den Putz gehauen.
Das stimmt.
Sie bezeichnen sich als Moralisten.
Denn was man mir nicht vorwerfen kann, ist vorsätzlich auf die Schwächen von Menschen gezeigt zu haben. Was ich mit Moral meine, bezieht sich auf Sendungen wie Verstehen Sie Spaß?, wo sich Bodyguards auf eine Stellenanzeige für den Scheich von Was-weiß-ich bewerben. Da meldet sich also ein arbeitsloser Personenschützer, soll einen Turban aufsetzen, quatschige arabische Wörter lernen und sich am Ende sogar kastrieren lassen. Es wurde ein gynäkologischer Stuhl rein geschoben und er war wirklich kurz davor. Hoden ab! In dem Moment kommt der Moderator rein und sagt Haha, alles nur Spaß. So macht man sich über jemand in einer misslichen Lage lustig.
Übers viel zitierte Präkariat also, das für einen Job alles tut.
Nicht grundsätzlich, aber in dem Fall war es auch noch jemand, der sich beworben hat. „Unter Ulmen“ war oft hart an der Grenze und „Mein neuer Freund“ moralisch manchmal bedenklich, und das war auch richtig so, aber wir haben niemanden zurechtgemacht, um ihn der Weltöffentlichkeit zum Lachen vorzuführen. Den größten Schmerz musste der Spieler ertragen und manchmal tun Spiele eben weh, das weiß jeder, der mal Fußball gespielt hat.
Was halten Sie von Stefan Raab, der die unfreiwillige Zurschaustellung perfektioniert?
Und trotzdem ist er zurzeit einer der originellsten, kreativsten Fernsehmacher und ich schätze, was er abliefert – ob Wok-WM, Bundes-Vision-Songcontest oder Schlag den Raab. Wo sich andere ab einem gewissen Kontostand zurücklehnen, behält Raab eine Leidenschaft, die andere ansteckt.
Eine, die auch Ihre Fangemeinde verschweißt.
Schön, wenn das so rüberkommt. Ich muss immer gut leiden können, was ich mache, sonst geht’s nicht.
Sind Ihnen hohe Einschaltquoten echter Fans lieber als höhere anspruchsloserer Zuschauer?
Mein Traum wäre die Kombination. Könnte sogar klappen, schließlich ist Dr. Psycho letztlich ein Krimi und damit ein gutes Zuschauerlockmittel. Im Zweifel ist mir eine überschaubare, aber liebende Zuschauerschar lieber, nur – das hab ich nun schon ziemlich lange, und ich würde gern mal sehen wie es ist, wenn auch die Quote stimmt.
Eine Fernsehzeitung hat Sie mal „Raab für Intellektuelle“ genannt.
Wenn der Schreiber in eine Redaktionskonferenz von Mein neuer Freund gestoßen wäre, hätte er sie für einen Haufen Vollprolls von RTL2 halten können. Dass es hinterher sogar als gesellschaftskritisches Stück interpretiert wurde, hat aber damit zu tun, dass gerade nicht darauf geachtet wurde, die Intellektuellen zu versorgen, sondern darauf was wir komisch fanden.
Wollen Sie noch immer den „alltagsroutinierten Geist überfordern“ wie bei MTV?
Das ging in erster Linie um die Situation vor Ort, nicht um die Wahrnehmung auf dem Bildschirm. Warum gucken Leute, wenn Sie auf der Straße einen Schotten im Kilt sehen? Weil das ihrem Alltagsbild nicht entspringt und dadurch überfordernd wirkt.
Sind Sie ein Zyniker.
Nein, aber um zum Kern des Komischen zu gelangen, muss man eine gewisse Boshaftigkeit in sich tragen. Eine misanthropische Sicht ist dem sehr zuträglich. Egal, ob sich selber oder anderen gegenüber.
Sind Ihre Rollen kauzig?
Ja.
Wie viel dieser Kauzigkeit steckt in Christian Ulmen.
Wenn man spielt, nimmt man am liebsten eine Figur, die einem sympathisch ist. Darum hab ich wie jeder Mensch Momente, in denen ich, nennen wir’s: merkwürdig bin.
Auch Oliver Korittke ist ein Schauspieler mit festem Rollenprofil: schluffig. Er begegnet dem jedoch gern damit, sich privat als Spießer darzustellen, der seine Schuhsammlung nach Farben sortiert. Versuchen Sie auch etwas zu widerlegen?
Nein, dafür bin ich zu untalentiert. Ich gehe so gut wie nie in Talkshows, um nicht auch noch dort was spielen zu müssen und mir Gedanken darüber zu machen, wie ich rüberkomme. Das ist mir zu anstrengend.
In welche Talkshow würden Sie dennoch gehen?
Gelegentlich gehe ich zu TV Total, Das!, auch Harald Schmidt war schon dabei. Das reicht. Was ich nicht mag, sind große Sitzrunden in den Dritten, wo man drei Stunden neben Horst Seehofer sitzt und plötzlich musst du was über die Gesundheitsreform sagen, hast aber gerade geschlafen.
…aber wenn jemand seine Rollen so intensiv, so glaubwürdig verkörpert wie die Schauspielerin Katharina Schüttler (Foto: Matti Hillig), muss man sich mit Rollenvergleichen arrangieren. Ab Montag ist sie wieder drei Tage lang zur besten Sendezeit als brüchige Nazi-Sängerin in ihrem Welterfolg Unsere Mütter, unsere Väter (20.15 Uhr, 3sat) zu sehen. Eine Begegnung in ihrem Prenzlberger Heimatkiez mit Blick auf die halbe Welt.
Von Jan Freitag
Manchmal muss eben die Requisite dran glauben. Wenn eine Rolle sie förmlich durchflutet, wenn eine von der anderen Besitz ergreift, dann tritt Katharina Schüttler schon mal so oft ins Bühnenbild, bis eine Tür zerbirst. „Meine Figur steckt voller Aggressivität“, erklärt sie die kaputte Kulisse bei der Besetzungsprobe zum RAF-Melodram Es kommt der Tag. Katharina Schüttler spürt darin Iris Berben als ihre Mutter auf, die sie einst auf dem Weg in den Untergrund verlassen hatte. „Da konnte ich gar nicht anders“. Manchmal muss auch der Stolz dran glauben. Von fiktiven Häftlingen etwa, mit denen sie als Theaterregisseurin im ARD-Film Schurkenstück ein Dürrenmatt-Werk probt. „Bin ich hier im Kindergarten?“, fragt die zarte Frau da in die harte Runde, und als sie feststellt, „ich werd’ nicht alles mit ihnen diskutieren“, da bröckelt der Hochmut schwerer Jungs aus schweren Verhältnissen hörbar.
Manchmal aber muss Katharina Schüttler selbst dran glauben. Als Hedda Gabler zum Beispiel, die an der eigenen Wut zerbricht, irgendwo zwischen Anpassung und Ausbruch. Sie spielt das sogar ohne Sprache als „Inkarnation der neuen deutschen Patzigkeit“, wie der Spiegel jubelte, nicht mal aufzuhalten von einer Kehlkopfentzündung. Die Stimme als Kollateralschaden ihrer Leidenschaft – es scheint, als müsse stets etwas zu Bruch gehen, wenn Katharina Schüttler ihren Spieltrieb von der Leine lässt. Ob beim Casting, im Film oder auf der Bühne. Die „Kampfmaschine“, wie Iris Berben ihre Kollegin halb anerkennend, halb erschrocken nannte, er steht nicht nur in Flammen, er brennt sich aus. So glaubhaft, so authentisch, dass sie nach dem Ibsen-Erfolg in Berlin zur Schauspielerin des Jahres gekürt wurde: Mit 26, jung wie keiner zuvor. Mit dem Titel kamen Hauptrollen, es wuchs aber auch der Druck. Noch vier Jahre später spricht sie von einer Bürde. Katharina Schüttler hat gelernt sie zu tragen.
„Unter jeder Schwäche liegt eine Stärke“, erklärt sie ein Wirkmuster, das ihr zum Credo geriet, „und unter jeder Schwäche eine Stärke“. Beruflich wie im Leben. Und wie sie das so sagt, beim Latte Macchiato im Trendviertel Prenzlauer Berg ums Eck ihrer Wohnung, wird auch im Privaten die Ambivalenz ihres Zaubers spürbar. In ihrem „Textlern-Café“ redet sie tiefgründig, aber auf bodenständige Weise von sich und ihrer Arbeit. Sie vergöttert das Theater, liebt den Film, schätzt das Fernsehen, pflegt aber keine Dogmen. Sie ist bildhübsch, man muss die Schönheit nur über einige Hürden hinweg entschlüsseln, den zu spitzen Mund, die kindliche Figur, das hypnotische Grün der Augen unterm strengen Scheitel. Katharina Schüttler wirkt durchscheinend, rätselhaft, zerbrechlich. Oberflächlich. Auf den zweiten Blick ist es der emanzipierte, kraftstrotzende, umwälzende Charakter, den sie so spielt. Bis zum nächsten Blick… Sie ist ein Widerspruch in Echtzeit.
Darin ähnelt die 35-Jährige den Schauspielerinnen ihrer Generation: Lavinia Wilson, Julia Jentsch, Hannah Herzsprung. Alle gut gebucht, selbstbewusst fragil, alle eher vertrackt als einfach attraktiv, alle zuhause im seriösen Fach. So verschieden sie besetzt werden: es eint sie das Geheimnis einer Angreifbarkeit, die Angriffe an gläserner Wand abprallen lässt, eine Fertigkeit, zugleich lenkbar und am Hebel zu sein. Niemand beherrscht diese Multifunktionsweiblichkeit der Gegenwart wie Katharina Schüttler. Der Spross einer Kölner Theaterfamilie hat das Wesen des Berufs zutiefst verinnerlicht. Es geht nicht nur darum, eine Rolle gut zu spielen, schon gar nicht, sich mit ihr gemein zu machen, schließlich sei abseits der Bühne „eine total schlechte Lügnerin“. Es gilt, ihr wirklich alle Facetten abzutrotzen. Und Katharina Schüttler trotzt da sehr hart. Mehr Forscherin als bloß Verkörperung, ist sie eine Art Trafo, der die wechselnden Spannungen ihres Fachs ohne Energieverlust nutzbar macht: Den schwangeren Spät-Teeny (Sophiiiie!) so wie Marcel Reich-Ranickis Frau Tosia (Mein Leben), die blinde Cellistin Elli in Almut Goettes Drama Ganz nah bei dir nicht weniger als die Zeitzeugin Beatrice Rohner in Eric Friedlers Dokumentation Aghet über den türkischen Genozid an den Armeniern. In Titel- wie Neben- und Episodenrollen.
Mit denen ist Katharina Schüttler zufrieden, mit ihrem Metier weniger. Sie wünscht sich andere Filme mit eigener Sprache, mutige wie Ich, Du und alle die wir kennen von Miranda July, Experimentelles für den Mainstream also. „Es gibt in Deutschland so viele tolle Bücher, die nie zu Ende finanziert werden“. Gerade im Fernsehen, sie wird da sehr energisch, herrsche die Diktatur der Quote. In der Tat, denn manchen Film rettet nur Katharina Schüttler selbst vor dem Verriss. Sie schafft das mit dieser Mixtur schwer vereinbarer Teile: Pathos und Vernunft, Larmoyanz und Furchtlosigkeit, Resignation und Willensstärke, Ying und Yang, wie sie es ausdrückt. Nicht umsonst erklärte Schaubühnen-Chef Thomas Ostermeier die Vergabe Hedda Gablers an die Nachwuchsmimin damit, dass sie „eine weibliche Autonomie ohne verkrampften Feminismus“ verkörpert. Es steckt alles in ihr. Das Publikum mag so was eigentlich nicht.
Mit großen Augen im riesigen Gesicht erzählt sie gestenreich aus einem Theater- und Filmleben in einem Theater- und Filmland, das stets auf der Suche nach Schubladen ist. „Auf meiner stand nie jung und wild“, verneint sie das Etikett aller Darsteller unter, sagen wir: 35. „Eher magische Zicke, die nicht mehr süß sein will und radikal aufbegehrt.“ Die linke Braue schnellt wie so oft empor bei der Frage, was davon in ihr stecke: Nichts und alles eben. Sie sei nur ein extrem empathischer Typ, „offen, sehr ungeschützt“. Das könne hilfreich sein, aber auch hinderlich. „Beim Spielen dringt viel in mein Innerstes vor“. Zu viel bisweilen, um die Balance zu wahren.
Darum pflegt sie ihre Schutzräume. Die meisten Figuren „bleiben mir so abstrakt, dass ich mich nur mit meinem Handwerk, nicht der Person in den Dienst der Geschichte stelle“. In der Öffentlichkeit dagegen werde man rasch auf Kunstfiguren zugespitzt, die Eigenarten einer Rolle. „aber ich bin nicht Hedda Gabler“. Eher eine Art Kontrastgel beim Ultraschall, ein Transportmittel. „Wenn das Gerät auf meine Organe blickt, eröffnen sich Aspekte, die ich zu spielen habe.“ Schöne Analogie einer Schauspielerin, die kaum anders konnte, als Schauspielerin zu werden.
Der Vater ist Theaterintendant, die Mutter Autorin, selbst ihr Freund dreht Filme. Und auch wenn beide Geschwister mit Architektur und Ethnologie andere Wege gehen, war ihrer vorgezeichnet. „Ich kann mich an nur einen Ausflug mit meinen Eltern erinnern“, erzählt sie aus ihrer Jugend: Ins Freibad. „Sonst waren wir immer im Theater“. Nicht, dass sie schon als Gymnasiastin Klassiker verschlungen hätte, aber die Bühne besaß von klein auf das, was sie als „große Normalität“ empfand. Kein Wunder, dass sie bereits mit elf vor der Kamera debütierte. Wochenlang neben den Profis am Set, dieses Zugehörigkeitsgefühl – „das hat mich früh erwachsen werden lassen“.
Vielleicht rührt es daher, dass sie so häufig getragene Rollen spielt, nicht frei von Gefühlen, aber im Kern sachlich, am Rande sozialer Brüche und Abgründe, die Schüttlers Karriere kennzeichnen. Das macht eine banale Schwiegermutterklamotte beim Plastikkanal ProSieben fast zum Akt der Befreiung. „Ein wunderbarer Ausbruch“, sagt sie fünf Jahre danach. „Wenn ich im Kino eine Komödie sehe, fühle ich mich hinterher ja auch besser als nach Lars von Triers Dancer in the Dark.“ Nicht dass sie sich um leichte Stoffe bemühe, „aber wenn sie anklopfen und charmant sind, öffne ich die Tür einen Spalt“. Wie einen Fluchtweg aus der unerträglichen Schwierigkeit des Seins, fort vom Ernst ihres Schaffens. Er führte sie schon in körperliche Abenteuerkomödien, aber auch zum Welterfolg Unsere Mütter, unsere Väter, wo Katharina Schüttler eine Sängerin spielt, die im NS-System Karriere macht – elaboriertes, aber durchweg massentaugliches Historytainment, mit globalem Millionenpublikum statt jener 5000 Kinobesucher, die sich schon mal für sie ins Kino verirren. Beides sorgt mittlerweile dafür, dass ihr Stigma ewiger Jugend in fiktionaler Reife mündet.
Noch mit 26 spielte Katharina Schüttler in Wahrheit oder Pflicht ja eine Schülerin. Und ihr Äußeres taugt bis jetzt für die Lolita, mit der die Theaterlaufbahn 2002 Fahrt aufnahm. Dagegen steht ihre Knastregisseurin vergleichbar tief im Leben. Fast wie jene Figur, zu der sie eine Maskenbildnerin mal machen wollte. „Wir waren sogar im Perückenladen“, erinnert sie sich. Bis ihr auffiel, dass eine Mutter nahe 40 viel abstrakter war, als eine Mörderin im eigenen Alter. Sie strich die Rolle. Rein handwerklich könne zwar das Irreale glaubhaft geraten. Aber die reale Fiktion einer Mutter am Scheideweg? „Eher nicht.“
Nicht genug. Nicht für die Ansprüche des Publikums, des Mediums, ihrem Perfektionismus. Dem habe man zu genügen. Punkt. „Wo Leute den Blick fürs Ganze verlieren, fühle ich mich fast verletzt.“ Halbherzigkeit fache ihr Helfersyndrom an, dann greife sie ein. „Wenn ich etwas nicht richtig machen will, kann ich auch am Strand sitzen.“ Schwer zu glauben, dass Katharina Schüttler das kann, fernab von Kamera und Bühne, wo alle Furcht des Alltags von ihr weicht. Bis Anfang des Jahres kannte sie nicht mal Lampenfieber. Dann drehte sie erstmals in Englisch. „Wenn ich auf einer Hochzeit singen soll, bin ich total aufgeregt.“ Beim Spielen aber, da sei sie durch ihre Figur geschützt. Die Bühne, so Katharina Schüttler, „macht mir keine Angst“. Warum auch? Als Elftklässlerin trat sie nach wenigen Tagen ihres Highschool-Jahrs in Florida vor die Theatergruppe und bewarb sich in stotterndem Englisch. Mit Erfolg. Mut, sagt sie „schafft Haltung“. Auch wenn es gelegentlich erschreckt.
Schweigen ist nicht unbedingt eine Kernkompetenz zeitgenössischer Medien, vom Fernsehen – hüstel – ganz zu schweigen. Entsprechend grandios fühlte sich jener Moment der Stille an, den ein aufrichtig entrüsteter Menschenretter dem aufgesetzt empathischen Günther Jauch vor ein paar Tagen in dessen Talkshow abgerungen hat. Wenngleich die Magie der Schweigeminute gleich doppelt getrübt wurde. Zum einen kürzte sie der unruhige Moderator auf 40 Sekunden. Zum anderen wäre angesichts des halbherzig verbrämten Fremdenhasses, den Jauchs geladene Gäste von ziemlich weit bis ganz hart rechts in den knapp 60 Minuten zuvor von sich gegeben hatten, eine Schweigestunde die einzig humanistische Alternative gewesen.
Noch humanistischer gewesen wäre es hingegen, einen elitären Geistes-Nazi wie den Schweizer Publizisten und Politiker Roger Köppel gar nicht erst einzuladen. Oder wahlweise jemanden auf ihn anzusetzen, der seinem Salonfaschismus gewachsen ist. Zum Beispiel Ulrich Deppendorf, ein Reporter, der anders als sein – hüstel – Kollege Jauch Fragen nicht nur stellt, um Zielgruppenwünsche zu befriedigen, sondern etwas herauszufinden. Dummerweise hat das journalistische Urgestein und langjährige Leiter des ARD-Hauptstadtstudios grad seinen Abschied eingereicht. Der Ruhestand ist dem Juristen im Alter von 65 Jahren allemal zu gönnen, aber wer seinen beruhigenden Schnauzbart künftig nicht nur optisch, sondern inhaltlich, atmosphärisch ersetzen soll, bleibt ein Rätsel. In Berlin ersetzt ihn Tina Hassel, was zumindest aus geschlechterparitätischer Sicht schon mal sehr lobenswert ist.
Parallel zu seiner offiziellen Verabschiedung steht die Hauptstadt dann aber doch aus anderen Gründen Kopf: Am 13. Mai eröffnet Sky eine mächtig aufgeblasene Ausstellung namens Game of Thrones mit, Achtung: 70 Requisiten. 70 aus diversen Staffeln einer reinen Ausstattungsserie. Irre. Allerdings, so scheint es, ohne den berühmten Schwertthron. Aber unter uns: Der ist auch gar nicht echt, alles bloß Kulisse.
Die Frischwoche
27. April – 3. Mai 2015
Als solche dient Lars Becker am Montag bei der aktuellen Episode der nach wie vor ansehnlichen ZDF-Reihe Nachtschicht das eigentlich ganz reale St. Pauli nebst weiteren Vierteln mit Brennpunktpotenzial. Wie so oft sind die Rotblauschwarzlichtabgründe zwar leicht klischeehaft inszeniert; dank des Regisseurs und seines famosen Hauptdarstellers Armin Rohde als ebenfalls abgründigem Bullen aber auch unterhaltsam und spannend. Zudem mit Katrin Bauerfeind als Radiomoderatorin, die mit ihrem Plädoyer zur Trennung von ätzenden Lovern für Aufruhr im Kiez sorgt, und das lohnt sich eigentlich immer – sei es auch nur zum Angucken.
Lohnt sich zumindest öfter als gemeinhin vermutet, kann man hingegen über Reinhold Beckmann sagen, der zeitgleich im Ersten wieder zu seiner Namensreportage mit # davor lädt, was sich ein bisschen arg offensichtlich an junge Zuschauer anbiedert, die dann doch wieder nicht einschalten, aber auch das Thema Wohnungseinbrüche wird vom emotionalen „Presenterreporter“ gut dargestellt. Optisch etwas aufdringlich, logo, anders kriegt man die Jugend nie vor den alten Fernseher, aber meistens stichhaltig und durchdacht.
Wer allerdings wirklich nachhaltiges Dokumentarfilmfernsehen will, sollte die nächsten zwei Abende im Griff des DFB-Pokals überspringen und Freitag erneut ZDF einschalten. Um 23.15 Uhr – früher ist Sachprogramm öffentlich-rechtlich nur mit Promis à la Beckmann zu haben – porträtiert der österreichische Filmemacher Stefan Ruzowitzky Das radikal Böse. Und richtig – dabei geht es mal wieder um uns, die Deutschen, bekanntlich das Volk mit dem fatalsten Hang zu bürokratisch durchorganisierten Menschheitsverbrechen. Als Nachbericht der berühmten Wehrmachtssausstellung gewissermaßen geht es darum, wie gewöhnliche Bürger auch ohne SS-Wappen zu NS-Mördern werden konnten.
Bei derlei dokumentarischem Gewicht ist es statthaft, sich mit dem Tatort namens Schwerelos zu entspannen, der unter Dortmunds Base-Jumpern ermittelt, die mit Fallschirmen von vergleichsweise niedrigen Bauwerken springen, was mal wieder exzellent erzählt wird. Nicht so entspannend ist hingegen die schwarzweiße Wiederholung der Woche am Freitag um 14.15 Uhr im NDR. Quax, der Bruchpilot mag ja ein harmloses Fliegerfilmchen sein, sedierte aber mithilfe des Nazi-Günstlings Heinz Rühmann die vermeintliche Herrenrasse für den Endsieg. Schon entspannender hingegen ist der Farbtipp, ebenfalls im NDR, (Donnerstag, 23.30 Uhr: Wir können auch anders, von Buck mit Król plus Krause also zeitlos originell. Irgendwo zwischen allen Schattierungen noch ein kleines Zuckerl: Ich bin Steve McQueen, (Dienstag, 22.15 Uhr, n-tv), das fabelhafte Porträt eines unvergessenen Schauspielers.
Wenn das nordfinnische Oulu jeden Herbst bis tief in den Mai unterm Eis verschwindet, steigt seltsamerweise die Lebenslust der Bewohner. Das führt zu den seltsamsten Ideen. Eine davon: Der Chor Schreiender Männer (Foto: Mikko Törmänen). Ein Besuch ohne Ohrenstöpsel.
Von Jan Freitag
Ein Witz also. Mehr gerissen als geboren, mittig zwischen Heiterkeit und heiligem Ernst. So einfach, so kompliziert geht es in Oulu zu mit neuen Ideen. Ob es nun völlig verrückte sind oder ziemlich verrückte. „Restprodukte unseres natürlichen Sarkasmus wie Ehefrauenwetttragen und Stiefelweitwurf“, so nennt Hanna solche Einfälle. „Ausgeburten des sechsten Biers, die es bis zum Morgen schafften“, so nennt sie Petri. World-Air-Guitar-Championchip oder Mieskuoro Huutajat, so heißen zwei unmittelbare Folgen in der nördlichsten EU-Großstadt, wo es winters kaum mal hell wird und der finnische Aberwitz voll zum Tragen kommt. Die Luftgitarren-WM, nebenberuflich organisiert von der Museumsangestellten Hanna Jakku. Und der Chor Schreiender Männer.
Womit wir wieder bei Petri Sirviö wären.
Wenn es belastbare Vorurteile vom Finnen abseits hartnäckiger Legenden um absurden Alkoholkonsum auf Autofähren und einem Hang zu schwermetallischem Krach gibt – hier wirken sie vereint in einer Person, spindeldürr wie Birken im finnischen Januarwind, fast ebenso blass. Und würde sich sein pechschwarzes Outfit nicht so vom beharrlichen Weiß der verschneiten Provinzstadt am Rande Lapplands abheben, man könnte ihn glatt übersehen, wie er in einem betulichen Oma-Café am Markt fette Cremetorte isst und erzählt, was sich am Abend ereignen wird.
Denn da erlebt man den scheuen Familienvater von 51 Jahren in Aktion. Auf der Bühne taut sein spröder Charme auf und mit ihm ein Stück jenes Heimatortes, der Jahr für Jahr im Herbst unter einer Eisschicht verschwindet, die erst Richtung Mai Risse kriegt. Hier ist Petri Sirviö kein anämischer Stadtangestellter, sondern ein heißblütiger Dirigent, der mit zuckender Gestik sein Orchester anleitet. Nur dirigiert er keins mit Geigen, Flügel und Fagott, sondern den Chor Schreiender Männer. Grölende Urviecher allesamt, wie sie wohl nur diese Weltgegend hervorzubringen vermag. Zwei Dutzend sind zur Probe ins schmucklose Schulgebäude gekommen, um Volkslieder, Nationalhymnen, auch mal den Text internationaler Verträge zu üben. Jeder Kerl ein Ton, aus voller Kehle gebrüllt, so inbrünstig, dass Petri Sirviö förmlich im Spuckeregen steht.
Es braucht Phantasie, um dieser Kakophonie Melodien zu entnehmen, aber könnte das eben nicht die Marseillaise gewesen sein? Gar das Deutschlandlied, dem Mieskuoro Huutajat stets dreistrophig zum Ausdruck verhilft? Schwer zu sagen; zu stark lenkt der Eindruck ab vom Inhalt, das Ambiente vom Text. Doch um Erkennbarkeit geht es den bis zu 70 Schreihälsen auf den Bühnen der Welt vom New Yorker MoMa über japanische Opernhäuser bis hin zur Roten Flora in Hamburg nur am Rande.
„Es geht um Atmosphäre, Energie, Entertainment“, erklärt ihr Leiter zurück im Oma-Café, wo leises Klaviergeklimper aus den Ecken tröpfelt. „Und um Abwechslung vom Alltag.“ Denn der, Petri Sirviö bricht seinen zweiten Liter Filterkaffee aus der Riesenkanne am Tresen an, sei zuweilen schon trist, zumal im Frühjahr. Sein Chor aber, so viel zum Klischee von der kreativen Sonnenarmut, ist im Spätsommer entstanden, der am Flachwasserstrand des Bottnischen Meerbusens mit einer Farbgewalt übers Land bricht, als läge es im Alpenvorland. „Mit der Dunkelheit hat der Chor wenig zu tun“, schildert Sirviö eine Idee, die – wie gesagt – eher gerissen als geboren wurde.
Mit einer Handvoll Kumpels, die vor 27 Jahren nicht wegen ihrer Herkunft oder Gene, geschweige denn Mitternachtssonne und Tagesmond auf so absurde Gedanken kämen, „sondern weil derart weit ab vom Schuss die Fähigkeit zum do it yourself wichtiger wird“. Nordfinnen, sagt er mit großer Geste dünner Finger, sind Selbermacher, Anpacker, Lebenskünstler wie dieser Ex-Punk, der Finnlands Heavy-Metal-Kapitale in jungen Jahren mit aufsässigem Hardcore zugedröhnt hatte und auch sonst sein eigenes Ding gemacht. Aber das teilt er ja mit vielen hier. Wer in Oulu den Handwerker ruft, gilt als Zugezogener, ein Südfinne, eher behagliches Festlandeuropa als raues Skandinavien. „Darüber hinaus scheißen wir drauf, was andere von uns denken.“ Eine unerlässliche Eigenschaft für erwachsene Männer mit gewöhnlichen Berufen, denen vor Publikum bis zur Erschöpfung die Gesichtszüge entgleiten als zögen sie in mittelalterliche Schlachten.
Man spürt diese Mentalität, wenn sich Papio unversehens zu seinem Dirigenten setzt und vom Chor erzählt, besser: schwärmt. „Ich kann da ohne Rücksicht auf alles Dampf ablassen“, erklärt der Lehrer für Physik und Mathe, dem man leichthin abnimmt, dass er vormittags mit nüchternen Formeln hantiert hat, bevor ihm abends die Augäpfel aus dem Kopf zu springen scheinen. Und seine Nachbarn? Kollegen? Schüler? „Was soll damit sein?“, fragt der Familienvater nahe der 60 zurück. „Das hier ist Oulu.“ Tiefste Provinz. Eine Stunde Autofahrt bis Lappland, zwei weitere bis Rovaniemi, zum Weihnachtsmann. „Hier freut man sich über jede Kultur.“
Besonders jetzt.
Jahrhunderte lang galt die „weiße Stadt am Meer“ als grüne Lunge Nordfinnlands. Ein blühender Garten im Sommer, eine glitzernde Perle im Winter. Verwegen, idyllisch, holzbebaut, oft brandgebeutelt, bald betonverschandelt, noch immer wunderschön. Dann wurde Oulu zur „Nokia-City“, die sich im Handyboom der Neunziger Randgemeinde um Randgemeinde einverleibte und auf heute 200.000 Einwohner wuchs, angezogen auch von all den digitalen Startups, die dem Sog der neuen Technik folgten. Und heute, nach dem verpassten Smartphone-Zug des geschrumpften Weltmarktführers? Ist Oulu bloß noch: die Krisenstadt.
„Auf einmal waren wir eine Art Detroit“, meint Petri Sirviö. Kleiner, aber mit ähnlicher Kehrtwende. Denn wie die deindustrialisierte Motown besinnt sich auch das abgekoppelte IT-Zentrum in der Finanzkrise, die hier mehr eine Telefonkrise ist, auf frische Stärken. Soft Skills, die Petri Sirviö selbst gefördert hat, bevor ihn andere Kulturprojekte zum Jobwechsel nach Helsinki zogen. Mit ihm als Kulturreferent hatte sich Oulu zu etwas gemausert, was ihm selbst fast Schreie entlockt vor Stolz.
Kulturstadt!
Und in der Tat: Wenn er bei beißender Kälte hindurchführt, kriegt man eine Ahnung vom Ort, der neben zwei Dutzend weltbekannter Metal-Bands schreiende Männerchöre und Luftgitarrenwettbewerbe hervorbringt. Für die hippen Tanzclubs ruft der Hauptstadtflüchtling zwar lieber seinen jüngsten Sohn, auch schon 20, an. Den Rest aber findet Papa noch alleine. Eine frühere Kaserne im Wald zum Beispiel, die von 300 Künstlern jeder Art genutzt wird, seit Skater das Gelände erobert hatten. Das betörende Holzhüttenquartier Pikisaari, das den Wandel vom Industrie- zum Künstlerviertel (noch) ohne gentrifizierte Ruppigkeit vollzieht. Die Partymeile Hallituskatu mit ihren Bars, in denen es Rastas, Rapper, echte Gangster gibt. Zwei gut sortierte Plattenläden, in denen der umtriebige Petri flugs ein paar Indie-Vinyls aus den Fächern zieht, die er selbst produziert hat. Und ein paar planquadratisch überschaubare Straßen weiter, vorbei am Kellerclub, der 1988 seinen Chor gebar: Sokkeli, ein architektonisch kühnes Kaufhaus der 1930er, das Sirviö seit 2001 im Stadtauftrag zum Gründerzentrum ausbaut. Sein eigenes Büro ist auch drin, vollgestopft mit allem, was die Schreihälse je produziert haben.
Das indes ist überschaubar. Mieskuoro Huutajat funktioniert nur live. Wenn man die dampfenden Männer in den schwarzen Anzügen direkt vor Augen hat, wenn die Spucke zu Petris Taktstock fliegt, wenn der Magen gegen Deutschlands dritte Strophe rebelliert und der Kopf darüber aufmerksam wird, nachdenklich, vor allem aber: gut unterhalten. In Oulu wird man das ständig. Auftritte des Chors zählen zum Standardrepertoire des Freizeitangebots wie das nächtliche Hockeyspiel auf einer beschallten Natureisbahn mit Meerblick oder unzählige Restaurants, die an einem normalen Abend trotz grotesker Preise auch nach Mitternacht voll besetzt sind.
In solchen Momenten mag Oulus Stadtgebiet, kaum größer als Passau, an Metropolen erinnern – ein klein wenig Kreuzberg, ein klein weniger Bronx, ohne Touristen zwar, den Trubel, die breiten Straßen, das Kosmopolitische. Aber mit sprudelnder Lebenslust, die ein exzentrischer Chor ironisch gebrochen in alle Welt hinaus brüllt, bis jeder den Witz gehört hat. Auch wenn es gar keiner ist.
Anreise: Mit Finnair ab München/Hamburg mit Zwischenstopp in Helsinki ab 236 Euro
Horst Krause ist eine der seltsamsten Figuren des deutschen Films. Mit 75 Jahren schon eine Ewigkeit vor der Kamera, spielt er noch immer vor allem sich selbst, also einen ziemlichen Sonderling – wie seinen Polizeihauptmeister im Polizeiruf, der nicht umsonst so heißt wie Krause selbst. Nun verlässt er das älteste Krimiformat der alten DDR und verabschiedet sich auch sonst langsam vom Bildschirm. Ein standesgemäß merkwürdiges Interview zur ewigen Erinnerung!
Von Jan Freitag
freitagsmedien: Herr Krause, selten habe ich jemanden erlebt, bei dem Rolle und Schauspieler so zu verschmelzen scheinen wie bei Ihrem Alter Ego Horst Krause im Polizeiruf. Wie oft haben Sie den schon gespielt?
Horst Krause: Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Oft. Und lange. Da mach ich mir ehrlich gesagt auch keine Gedanken drüber, aber Sie haben schon recht: Nach so langer Zeit verfließt so eine Rolle mit einem selbst.
Welcher Horst Krause eignet sich denn da mehr vom anderen an?
Ich würde es so formulieren, dass ich den Polizisten Krause mittlerweile sehr zu mir herangezogen habe.
Mittlerweile? Immerhin trägt er von Beginn an Ihren Namen.
Das hat der Regisseur Bernd Böhlich 1999 so gewollt, als er die Figur entwickelt hat. Warum soll der anders heißen als du, hat er damals gesagt. Is doch jut so. Dabei haben wir’s belassen.
Trotz mehr als einem Dutzend Hauptrollen in einer der populärsten deutschen Krimiserien und einer endlos langen Filmliste sind Sie auch mit fast 70 Jahren nicht wirklich berühmt. Wie kommt das?
Weiß ich nicht, dürfen Sie mich nicht fragen, wissen andere besser. Aber ich hab mir nie große Mühe gegeben, nach Hollywood zu kommen. Nicht richtig populär zu sein, hat mich nie gestört.
Aber ist Popularität nicht auch ein wenig die Währung des Schauspielers?
Nö.
Nö?
Meine nicht. Ich habe auch so immer gut zu tun gehabt, mein Leben gut zu gestalten und nie in finanzielle Notlagen zu geraten. Ich bin so wie ich bin mit Leib und Seele Schauspieler, berühmt oder nicht.
Und dabei auf rustikale, bodenständige Rollen gebucht.
So isses.
Haben Sie mal was anderes gespielt, einen Banker, einen Anwalt?
(überlegt) Hamse mal Tach Herr Doktor gesehen, mit dem Gerd Dudenhöffer? Da hab ich mal was anderes gespielt, einen Unternehmer. Oder in der Neuverfilmung von Das Mädchen Rosemarie vor 15 Jahren, da war ich der Generaldirektor gespielt, was bei der ersten Verfilmung in den Fuffzigern der Fröbe war. Ich war damals bei zweien von Bernd Eichingers German Classics dabei, auch noch bei Charlys Tante.
Fällt Ihnen die Oberschicht schwerer als die Mittelklasse oder macht man das einfach…
… das macht man nicht einfach, das spielt man. Das ist mein Beruf. Der Regisseur sagt, wo man sich hinstellen soll und dann isset jut, ob in Kinofilmen oder im Polizeiruf.
Was bedeutet Ihnen die Serie?
Das ist keine Serie, das ist eine Reihe. Bei einer Serie schreiben meistens so drei, vier Autoren; bei einer Reihe ist es bei jeder Episode ein neuer. Und da ist es sehr schwierig, seine Figur zu verteidigen, weil jeder Autor, ich sage lieber: Schreiber, richtige Autoren gibt’s ja nur ganz wenige, weil jeder Schreiber irgendwas schreibt, wo ich das das Gefühl bekomme, der hat sich überhaupt nicht die Mühe gemacht, die Figur mal richtig kennenzulernen, über die er da schreibt.
Sie müssen manchmal gegen das Drehbuch anspielen?
Nicht gegen das Drehbuch als Ganzes, nur gegen meinen Teil darin, ihre Analyse, die weit von dem entfernt ist, was ich versuche damit zu realisieren. Aber ich hab selber auch noch nie so was geschrieben, das muss wohl ziemlich schwer sein.
Zumal man bei eingespielten Figuren die Hypothek mit sich rumschleppt, ihr gerecht zu werden.
Na, denn muss man sich halt mit ihr beschäftigen oder lehnt das Buch ab.
Wie würden Sie denn einem Autor den Horst Krause beschreiben?
So wie er ihn sehen kann, wie Sie ihn auch sehen.
Ist der Polizeiruf Teil Ihrer ganzen Biografie, nicht nur der beruflichen?
Sicher, ich habe ja auch zu DDR-Zeiten schon mitgespielt und sie gesehen.
Ihre Historie ist jetzt gerecht aufgeteilt – 20 Jahre vor, 20 Jahre nach der Wende. Was hat sich geändert?
Andere Schwierigkeiten, die ich aber nicht im Einzelnen benennen will. Was die Fälle betrifft und die Drehbücher.
Ist der Polizeiruf bloß eine Reihe oder mehr für Sie; ist sie Ihnen ans Herz gewachsen?
Da hängt schon ein Haufen Herzblut von mir drin. Ja. Und so lange man mich da noch braucht, mache ich mit.
Noch braucht man ihn offenbar – den klassischen Ordnungshüter, der mal eine leere Wasserflasche ins Gebüsch schmeißen sollte, wozu Sie sich geweigert haben.
Weil der das nie tun würde. Sehen Sie, das ärgert mich total, wenn so ein Schreiber so was schreibt. Das tut weh. (wird laut) Weil er nichts begriffen hat. Das ist fast bösartig (brüllt jetzt fast). Das ist wie ein Chirurg, der noch nie operiert hat, und der Patient muss drunter leiden. So is det.
Haben Sie dieses Ordnungsdenken des Polizisten Krause auch manchmal?
Nicht nur manchmal. Sehr sogar. Doch. Für wesentliche Dinge.
Welche wären das?
Jeder sollte seinen Pflichten, die er in der Gesellschaft hat, versuchen, mit größtmöglichem Ernst nachzukommen und sich nicht auf Kosten anderer Leute bequem machen. Ich versuche das und bin immer gewillt, Aufgaben, die mir angetragen zu werden, so zu erfüllen, dass man sagen kann: ja, so stimmt das.
Sie wirken in Ihren Rollen immer ein wenig unter Strom, ohne es ganz rauszulassen. Womit bringt man Sie auf die Palme.
Wie den Krause im Film: mit der Situation, in der er angemessen reagieren muss. Das ist mein Beruf. Ich bin Schauspieler.
Kommen aber nicht grad aus einer klassischen Schauspielerfamilie und haben Dreher gelernt. War der Schritt zur Schauspielerei in Ihrem Umfeld da akzeptiert?
Nö, denn jeder junge Mensch will ja kurz mal Schauspieler werden und ins Rampenlicht. Heute noch mehr als damals, das sieht man ja an Deutschland sucht den Superstar und so. Aber meine Eltern waren schon erstaunt. Ich hatte jedenfalls keine Schwierigkeiten, mich da durchzuboxen. Es gibt eben keinen zweiten Horst Krause.
Gibt es Rollen, die ihnen auf diesem Weg besonders viel bedeuten?
Gab’s mal, heute nicht mehr.
Auch nicht Schultze gets the Blues, dieses brillante Roadmovie?
Nee, mir ist bedeutet jeder Film gleichviel und ich mache jeden mit der gleichen Leidenschaft.
Fehlt Ihnen noch eine Rolle?
Nee.
Das klingt restlos zufrieden?
Das würde ich nicht sagen. Wenn man genauer hinhört müsste das eher danach klingen, dass man sich mit der Zeit Wünsche abschminkt. Man muss die Re-a-li-tät sehen. Dann wünscht man sich nischt mehr.
Heino Ferch zählt zu den erfolgreichsten Schauspielern im Land. Und den umstrittensten. Schuld daran sind Theatralik, Haltung und Männlichkeit, die der Norddeutsche seinen Charakteren oft verleiht. Das tut er Freitag im Ersten auch als Vater eines Sohns, der zur Frau verwandelt vom Austauschjahr zurückkehrt. Schlecht macht er es nicht.
Von Jan Freitag
Die Verschlossene Auster ist ein Preis für verschwiegene Geister. Wem er verliehen wird, der hält es nicht so mit dem Reden. Er pflegt lieber die Aura des Mysteriösen als aufgeweckter Offenheit. In den Medien gilt die Verschlossene Auster daher als Trophäe für Firmen, Leute, Institutionen, die aus Prinzip Geheimniskrämerei betreiben, was keinesfalls nett gemeint ist. Gäbe es den Preis dagegen auch für Schauspieler, er wäre positiver besetzt. Wer nicht gleich nach der ersten Klappe sein Innerstes nach außen kehrt, hält die Spannung schließlich hoch. Sorgt für Überraschungen. Bietet Raum für Publikumsgedanken.
Charakterdarsteller dieses Typs gab es immer mal wieder auch im deutschen Film, und nicht selten konnten sie ihrer Epoche gar in aller Stille einen Stempel aufdrücken: O.E. Hasse zum Beispiel der schwarzweißen. Wolfgang Kieling dem Übergang zur farbigen. Oder ein Hanns Zischler jener Phase, da kommerzielle Sender den öffentlich-rechtlichen reichlich Staub aus den Kleidern klopften. So haben gelernte Theatermimen alter Schule den Übergang in eine neue Filmästhetik mit viel Leib und noch mehr Seele etwas erträglicher gemacht. Womit wir beim jüngsten Vertreter schweigsamer Schauspieler wären: Heino Ferch.
Wann immer das Nordlicht mit der kantigen Optik auf dem Bildschirm erscheint, sinkt darauf sogleich der Schallpegel. Denn während das digitale Zeitalter sein Angebot zusehends auf Krawall bürstet, reduziert Heino Ferch jede seiner Figuren aufs Allernötigste. Kritiker nennen das zwar zuweilen: langweilig. Fiese Spötter gar: öde. Doch wer sich das Werk des Kapitänssohns aus Bremerhaven genauer ansieht, erkennt: Heino Ferch mag „ein Mann der leisen Zwischentöne“ sein, wie er selbst einräumt, einer der mit Understatement statt Exaltiertheit agiert. Doch genau darin hat er seine Bestimmung gefunden und variiert sie zwar oft verschwiegen wie Meeresgetier, in ihrer Nachdrücklichkeit jedoch meist lautstark.
Wie sehr, das belegt heute auch Mein Sohn Helen, wo er einen stabilen Familienvater spielt, dessen 17-jähriger Sohn zur Frau gewandelt vom Austauschjahr zurückkehrt. Das ist oft degetoüblich freitagsschlicht erzählt, aber Ferch tut darin eben, was er tun muss, um ein Film leidlich auf Niveau zu halten: Er gibt seinen Part als Stoiker, der diesmal gar zur Selbstreflexion fähig ist. Das ist eindrücklich gespielt, wie viele seiner Rollen zuvor in wechselnder, aber wesensverwandter Funktion. Obwohl ihm seit seiner ersten Episodenrolle beim Alten vor drei Jahrzehnten ein Serienkommissar – im Land der Todschlagsdichter und Morddezernatslenker die höchste Weihe – verwehrt bleibt, hat er es dabei immer wieder mit Kapitalverbrechen zu tun.
Schon sein Polizeipsychologe Bender ermittelte mit minimalem Gefühlsaufwand gegen einen Wiener Feuerteufel von 1999. In Dror Zahavis Terrordrama München 72 gab Ferch zum 40. Jahrestag des Olympiaanschlags (2012) den Polizeipräsidenten Waldner, der mit stoischer Mine das Antiterrorchaos dirigiert. In Matti Geschonnecks Mord am Meer von 2005 klärte sein Kripomann gewohnt wortkarg ein deutsch-deutsches Uraltverbrechen auf. Im ausgezeichneten Zweiteiler Entführt vom gleichen Regisseur tat er vier Jahre darauf das Gleiche mit dem Tatbestand des Titels. Und wie er da im anthrazitkühlen Anzug durchs eigene Designerappartement stromert, wie er das innere Erstarren am Rande der Depression zum Stilmittel implodierender Anspannung erhebt, schien das die Generalprobe für seine erste echte Reihenfigur zu sein. Vielleicht, der bestens gebuchte Darsteller auf der Suche nach Wegen aus dem Labyrinth seiner Schublade zögert lange mit diesem Wort, „meine Paraderolle“.
Sie heißt Richard Brock. Ein Wiener Psychologe auf den Spuren des Bösen, der den offiziellen Ermittlern immer dann beispringt, wenn klassische Polizeiarbeit an Grenzen stößt. Viermal hat Ferch seiner Figur bereits Leben eingehaucht, indem er es ihr scheinbar entzieht. Viermal brachte ihm die Interpretation des gefühlsmäßig, nennen wir es vorsichtig: limitierten Seelenarztes gute Kritiken und noch bessere Quoten gebracht. Viermal zementierte er damit jedoch auch das Rollenklischee vom schmallippigen Streiter gegen das Schlechte, der sich mit geradem Kreuz Richtung Showdown flüstert.
„Solange ich nicht Quasimodo spiele, wird meine Haltung eine mir eigene sein“, hält der frühere Bundesligaturner, Akrobat und Tänzer gegen und bittet energisch: „Geben Sie mir einen Wallenstein!“ Dann erlebe man seine andere Seite, eine laute, exaltierte, die er als Darsteller diverser Berliner Großbühnen der Achtzigerjahre unter Beweis gestellt hatte. Einsame, stille, verhärtete, Figuren wie Brock wecken zwar sein Interesse, würden ihm aber zu häufig angeboten. Heroische Typen mit Zug zum Guten, wie die Kritik gern spottet. Ferch nennt sie Antihelden. Klassische Helden spiele er gar nicht.
Nicht mehr, muss man hinzufügen.
Nachdem seine Karriere 1997 als Comedian Harmonist erst im Kino und vier Jahre darauf im Fluchtdrama Der Tunnel auch auf dem Bildschirm Fahrt aufgenommen hatte, gab er sie noch regelmäßiger: die Anpacker mit Anstand, Herz oder Muskeln, gern alles zusammen. Den Spiegelsonnenbrillen-General der Berliner Luftbrücke etwa. Heinrich Schliemann auf der Sat1-Jagd nach dem Schatz von Troja. Oder Albert Speer als Gegenpol zum keifenden Hitler in Hirschbiegels Untergang. Derlei Blockbuster mögen Ferchs Ruf als Star des hiesigen Historienmelodrams befördert haben; auf der Strecke blieb im öffentlichen Bewusstsein die Vielseitigkeit.
Daran ändern selbst erfolgreiche Abstecher ins Heitere (Meine schöne Bescherung), Absurde (Vom Suchen und Finden der Liebe) oder Internationale (Napoléon) wenig. Ferch kann die wunderbare Komödie Vincent will Meer noch so furios mit dem Vater eines Autisten bereichern oder Stefan Krohmers Gesellschaftsstudie Verratene Freunde mit einem windigen Unternehmer – sein Ruf bleibt seltsam eingeklemmt zwischen Steward Granger und Bruce Willis, Nachkriegs- und DMAX-Männlichkeit. Nur: warum sollte einer, der seine Mitte gefunden hat, nicht darin verweilen? Anders gefragt: Wer spielt sie denn hierzulande besser – die Standardfigur des Erlösers, der an seiner Mission leidet? „Durchaus gebrochene, auch schwache Charaktere“, sagt Ferch feierlich, „die unter Druck von außen den Weg ins Licht suchen“. Wer also könnte all die Brocks im deutschen Krimi besser verkörpern?
Eben!
Und so ist die Verschlossene Auster, die dem 51-Jährigen gewissermaßen inoffiziell gebührt, auch kein Preis für Verschwiegenheit. Sie prämiert den stillen Gegenpol im aktuellen Reizgewitter: manchmal etwas kernig vielleicht, gelegentlich pathetisch, am Ende in aller Ruhe erfolgreich. „Ich bin gesund, habe zwei wohl geratene Kinder, eine liebevolle Familie, ein glückliches Leben“, sagt das Nordlicht vom Ammersee zum Abschied, „es gibt nichts, das ich zu beklagen hätte.“ Schon gar nicht seine Filme.
Padautz! Na das war doch mal eine Sensationsmeldung, die vorige Woche von jahrelang im Untergrund lebenden Schläfern über geheime Tunnelsysteme mehrfach verschlüsselt durchgesteckt wurde: Beim „größten TV-Experiment aller Zeiten“, wie Sat1 zum Start fantasierte, wird der streng wissenschaftliche Feldversuch Newtopia manipuliert! Das legen geheime Bilder über vermeintliche Regieabsprachen des streng feuilletonistischen TV-Intellektuellen John de Mol nahe, was fast so abwegig klingt, als würde jemand bei Scripted Reality Drehbuch schreiben oder die Werbung gelegentlich übertreiben.
Absurd.
Kommen wir also zur Parallelrealität, die gerade zwei Trauerfälle beklagt: das Monitor-Urgestein Klaus Bednarz. Und mit Günther Grass den vorletzten Großliteraten deutscher Sprache mit politischer Strahlkraft neben Martin Walser, was pflichtschuldig zum medialen Kondolenzoverkill mit Gedenkdokus, Rückblicken und Blechtrommel-Wiederholung (aber ohne ARD-Brennpunkt) führte. In ihrer Realität irreal sind hingegen die Quoten des Tatort. Dessen neuer Standort Nürnberg hat es bei eher konventionellen Ermittlungen mit viel Fragerei und wenig Kreativität auf unglaubliche zwölf Millionen Zuschauer gebracht. Na wenn Markus Söder da mal nicht per Zwangseinschaltdekret in Bayern nachgeholfen hat. Der fränkische Chefpropagandist hatte dem Vernehmen nach ja schon vor der Entscheidung zum zweiten BR-Team gedroht, so lange die Luft anzuhalten (oder wahlweise jede Entscheidung aller ARD-Gremien zu blockieren), bis seine Heimat ein Heimteam kriegt.
Die Frischwoche
20. – 26. April
Doch des einen Freud ist des anderen Leid: Kaum sind die hochdeutschen Dagmar Manzel und Fabian Hinrichs im erstaunlich dialektfreudigen Umfeld auf Mörderjagd, da treten Martin Wuttke und Simone Thomalla von der Leipziger Sonntagsbühne ab, was zumindest im Fall des Fleisch gewordenen Schmollmunds die vielleicht beste Nachricht des jungen Fernsehjahrs ist. Eine nicht so gute ist hingegen, dass das ZDF dem ungeheuer begabten Ronald Zehrfeld mal wieder eine Bomberjacke übergestreift hat. So gerät sein Privatdetektiv Dengler zum Reihenauftakt am Montagabend oft zu jener Klischeefalle, gegen die der Schauspieler ebenso wie seine Kollegin Birgit Minichmayr als Hackerin Olga mühevoll anspielt. Das allerdings tun beide versiert, was auch an Regisseur Lars Kraume liegt, der aus der Literaturverlage um einen unehrenhaft entlassenen BKA-Mann, der als Privatermittler dauernd auf Verfolgungsjagd ist, zwar kein grandioses, aber sehenswertes Stück anspruchsvolles Actionfernsehen macht.
Dennoch sehnen sich anspruchsvolle Zuschauer ja nicht nur nach Krimi mit mehr Niveau, sondern nach Niveau ohne Krimi. Gregor Schnitzlers leichtes Melodram Mein Sohn Helen über einen 17-Jährigen, der vom Auslandsaufenthalt als Frau zurückkehrt, hätte da alle Chancen gehabt – trotz (oder wegen) Heino Ferch als überforderter Vater. Auch das ist allerdings eher bieder geworden als soziokulturell relevant. Degeto eben, Freitagabend im Ersten, so richtig gehaltvoll wird das da nie.
Dann muss man eben zu Arte wechseln, wo das gediegene Sachfilmambiente am Freitag zur besten Sendezeit noch Platz für die charmante Komödie Global Player – wo wir sind, isch vorne lässt. Dutschke-Darsteller Christoph Bach verlagert das Business seines kriselnden Mittelständlers darin nach Fernost und macht das sehr ordentlich. Das trifft auch auf den fabelhaften Mehrteiler Broadchurch zu, der zwar auch wieder einen Mord aufklärt, aber zeigt, wie überlegen angloamerikanische Formate den deutschen selbst auf unserem Fachgebiet sind. Vier Sonntage ab 22 Uhr zeigt das ZDF, wie sich die titelgebende Kleinstadt mit ungeheuer glaubhaften Figuren auf die Suche nach einem Kindermörder ist. Die Darsteller dürfen aussehen wie Menschen statt Models, ihre Dialoge sind authentisch, die Handlungsstränge schlüssig. Ohne die grotesk miese Synchronisation wäre Broadchurch schon jetzt ein Kandidat fürs Highlight 2015.
Ein Highlight 3.0 wird hingegen womöglich Kai Wiesingers Beziehungsreihe Der Lack ist ab, die das Leichtgewicht romantischen Fernsehens gemeinsam mit seiner Freundin Bettina Zimmermann fürs Netz produziert, für Nerds über 40, wie er ankündigt. Der Teaser auf MyVideo klingt immerhin verheißungsvoll. Ein Highlight von 1964 war hingegen die schwarzweiße Wiederholung der Woche am Montag (23.40 Uhr, MDR): Alexis Sorbas mit Anthony Quinn als dickköpfiger Grieche, dessen Filmklassiker dem Drehort eine Hymne namens Sirtaki geschenkt hat, die zuvor niemand kannte. Völlig unbekannt waren auch die Darsteller des farbigen Tipps The Commitments (Dienstag, 22 Uhr, ServusTV) von 1991, das fiktive Porträt einer irischen Band, die später auch im echten Leben Karriere machte.
Jeder 15. der bundesweit 15.000 Schauspieler lebt in Hamburg. Ihr Alltag ist oft geprägt vom Kampf gegen sinkende Etats, schlechte Bezahlung, Arbeitsmangel. Einer von ihnen ist Stephan Möller-Titel (Foto: Malte Jäger). Porträt eines talentierten Hanseaten, der sich so durchwurschtelt – und trotz allem glücklich ist.
Von Jan Freitag
Der Teufel, heißt es, scheißt meist auf den größten Haufen. Man kann Erfolg, der die Erfolgreichen durch seine bloße Existenz nur noch erfolgreicher macht, während sich Erfolglose den Misserfolg teilen, allerdings auch gewählter ausdrücken, theatralischer. Stephan Möller-Titel zum Beispiel bemüht den biblischen Matthäus-Effekt, um sein Schauspielerdasein darzustellen. „Wer einmal groß rausgekommen ist“, sagt er in einer gemütlichen Spelunke auf St. Pauli und zieht tief an seiner Selbstgedrehten, „dem fliegen die Aufträge zu“. Wer hingegen allzu lang darauf warten muss, „wartet häufig vergebens.“ Darauf nämlich, sich die Rollen nicht nur aussuchen zu können, sondern nach Belieben ablehnen, darauf, wirklich unabhängig zu sein in seiner künstlerischen Freiheit.
Stephan Möller-Titel wartet seit rund 15 Jahren.
Damals hatte der Hospitant am Hamburger Thalia-Theater sein „Schlüsselerlebnis“ in einer Branche, die dem Nachwuchs als Himmel auf Erden gilt, aber schnell ein Höllentor ins Prekariat öffnet – unterbezahlt, ausgebrannt, wechselwillig. Während der Neuling von einer Bergedorfer Waldorfschule Ende der Neunziger auf dem Klo von Jürgen Flimms Hochkulturinstitution saß, unterhielten sich zwei ganz Große über jene Bretter, die auch Stephan Möller-Titels Welt bedeuten. Robert Wilson und Lou Reed, erinnert er sich voller Ehrfurcht, der Regisseur und sein Komponist, in Alsternähe vereint zum Literaten-Musical POEtry, „und die reden beim Kacken über meinen Kopf hinweg von allem, was mir wichtig ist“. Da war es um den Anfangszwanziger geschehen.
Endgültig.
Der gebürtige Mecklenburger wurde, was er im Grunde schon kurz nach der Ausreisegenehmigung seiner Eltern 1988 wollte, die ihn über Eckernförde rasch in die Kulturmetropole Hamburg führte. Abi-Theater, Bühnenpraktika, Statisterie, Sprechrollen – für den Psychiater-Sohn deutete längst vieles darauf hin, doch nicht seinem Vater nachzueifern. Erst die Leidenschaft jedoch, mit der da zwei Weltstars von seinen Traumberuf redeten, entfachte endgültig seine. Ein Feuer, das bis heute glüht, daran lässt er auch in der Kneipe nie einen Zweifel, mit seinen stechend blauen Augen im rundlichen Gesicht.
Dabei erwies sich besagter Traum trotz früher Erfolge für den dezent ehrgeizigen Anfänger als ewiger Clinch zwischen Ruhm und Dispo. Mal gewann er eine Etappe, schon ging die nächste verloren, aufrappeln, weitermachen, bis heute. Noch während seiner Ausbildung an der Leipziger Schauspielschule bekam er erste Rollen, ein Engagement Schweriner Staatstheater gar. Und als er zwischendurch seinen ersten Fernsehauftritt hatte, ein Mörder im Polizeiruf, an der Seite Henry Hübchens, schienen ihm nicht nur ein paar Bühnentüren offen, sondern alle.
Dann aber gab er seiner Diplomarbeit 2006 den nächsten Richtungswechsel. Ihr Titel Wie ich hinkam, wo ich herkam lautete nun: Wie ich abermals drehte, zurück nach Hamburg, ass Freiberufler. Und dann? „Kam erst mal gar nix.“ Außer Musik, erst mit seiner Schulband Leilanautik, nun im Duett Sasa & Der Bootsmann. Gitarre und Gesang. Viel Spaß, kaum Ertrag. Egal. Er schweigt kurz. Neue Kippe, die achte in einer Stunde. Dazu mehr Bier, auch das in beachtlicher Frequenz – zumindest an diesem Abend, wo er mal Tacheles redet, über seinen Wunschberuf. Stephan Möller-Titel ist kein Mann mit Vollkaskoversicherung wie die Streber im Pilcher-Personal, das jeden Mist spielt, um präsent zu sein. Der Ostflüchtige indes wird auch weiter westlich von Experimentierfreude getrieben, dem Keim des Glücks. Vor allem aber: Scheiterns.
Er hält sich in der Mitte, immerhin. Solide pendelnd zwischen Auskommen und Nachsehen, Oldenburger Staatstheater und dem Wohnort Eimsbüttel. Randfiguren von RTL bis Tatort finanzieren ihm das geliebte Off-Theater. Mit Solostücken wie der Fluchtparabel Krieg oder ab Donnerstag als Gulliver im Ohnsorg-Studio, wo er selbst die Liliputaner spielt. „Auch Reklame kann Spaß machen“, betont er und schwärmt von Bier-Spots in Kapstadt und Toshiba-PR auf Englisch. „Aber man hat Null Absicherung, krank sein ist nicht“. Fazit: „Das nervt!“
Und nicht nur ihn. Fast 15.000 Deutsche nennen sich Schauspieler, jeder Dritte vor der Kamera, ein paar mehr in den Ensembles der bundesweit 700 Bühnen. Sie alle kämpfen eher ums Überleben als es gelegentlich zu verkörpern. Gut die Hälfte, klagt ihr Hamburger Kollege Hans-Werner Meyer im Auftrag des Berufsverbands BFFS, „leben von weniger als 20.000 Euro im Jahr“. Brutto. Abzüglich Spesen, Agentur, Absicherung bleibt auch für jene 13 Prozent, die es nahe 30.000 schaffen, kaum genug für die Miete. Schon gar nicht in der teuren Film- und Theaterstadt Hamburg mit all ihren Studios, Bühnen, Produzenten und an die 1000 professionellen Darstellern. Ihre Mehrzahl muss sich mit dem begnügen, was Großkaliber wie Bleibtreu, Hoger, Charly Hübner von sinkenden Etats übriglassen. Während fünf Prozent sechs- oder mehrstellig verdienen, bringt es die Masse selten auf 20 Drehtage à 750 Euro Tarif, den der BFFS 2013 ausgehandelt hat. Und die erfordern auch noch das Fünffache an Vor- plus Nachbereitungszeit. Am Theater ist es noch schlimmer. „1550 Euro Einstiegsgehalt“, empört sich Möller-Titel in breitem Hamburgisch, das seine Enden jedoch theatralisch korrekt behält, „mein Vetter verdient als Automechaniker mehr“.
So sei sein Berufsstand mit Lebensanstellungen und Topgagen zum „fahrenden Volk“ verkommen. Dabei sah es auch bei ihm mal besser aus. Im Baader-Meinhof-Komplex knallte er 2008 Hanns-Martin Schleyer ab, lernte am Set – „schwer bewaffnet“ – Sandra Borgmann kennen, ebenfalls aufstrebend, bald Mutter seines Kindes. Es gab Angebote, Mörder und Irre wurden zur Marke, mit Anfang 30 lief es – und doch nicht aufwärts, zwar voll Hingabe, aber kaum lukrativ, viel unterwegs, nie auf rotem Teppich. „Wenn man sieht, mit wie wenig Talent manche Kollegen Erfolg haben“, sagt der begabte Bühnenberserker beim letzten Bier, könnte man echt zynisch werden. Tut er aber nicht. Stephan Möller-Titel macht weiter, „es reicht ja“, wenngleich schon wieder nur für den Nebenraum der Ohnsorgs, der dem Miniaturstück zwar atmosphärisch angemessen ist, aber eben eher Off-Bühne als Großes Haus. „Ach, ich bin auch so glücklich.“ Auf den Brettern seines Lebens.
Wer sich dieser Tage ins erwachende Grün des Frühlings begibt und den richtigen Soundtrack sucht, wäre mit San Cisco nicht allzu schlecht bedient. In ihrer australischen Heimat ist zurzeit Herbst, die schönste Jahreszeit dort, deren Hitze nicht mehr den Pelz verbrennt, also eher gemütserhellend als krebsfördernd wirkt. So gesehen klingt das Quartett aus einer süßen Küstenstadt nahe Perth auch auf dem zweiten Album mit dem gottgefälligen Titel Gracetown wie ein Halleluja auf die Schönheit der Schöpfung.
Anders als beim selbstbetitelten Debüt vor drei Jahren kommt nun allerdings leicht verfeinertes Songwriting hinzu, das dem hübschen Indiepop mehr Tiefe verleiht. In ihrer Mehrheit erinnern die zwölf Stücke zwar immer noch an digitalisierte Beach Boys mit Mädchengesang; doch schon die Singleauskopplung Run steigt zu Beginn kurz vom Surfbrett in die Büsche am Dünenrand, wo es vorbei an der rosafarbenen Strandhütte vom Cover über ein paar Dornen hinweg Richtung Electroclash geht, der hier die Freiluftdisco planiert. Gute Musik kann so unkompliziert sein.
San Cisco – Gracetown (Embassy Of Music)
Itchy Poopzkid
Unkomplizierte Musik kann aber auch ziemlich gut sein. Seit zehn Jahren pressen Itchy Poopzkid ihren Eins-Zwo-Drei-Vier-Karohemdrock mit Doppelgesangschorälen zu mal mehr, mal weniger vertrackten Riffs auf Platte und ihre neue mit dem numerischen Titel SIX fügt den fünf vorherigen jetzt auch keine bemerkenswerte Wende hinzu. Doch was immer die drei Schwaben auch anpacken – es ist geschmeidiger Indie mit etwas Surfpunkeinfluss nebst Alternativetendenzen, die allesamt niemandem wehtun, aber gerade live zum Stagediven und Mitgrölen animieren. Wobei – Mitgrölen; hier hakt es bei Itchy Poopzkid, seit jeher.
Die Band ergeht sich einfach zu sehr in Ohohoh-Refrains wie bei der Single-Auskopplung Dancing In The Sun. Die Gitarren auf Schritthöhe gehängt, wächst da der Eindruck, die drei machen es sich da zuweilen ein wenig einfach. Und das, wo sie es sich an anderer Stelle unnötig kompliziert machen: Beim Vokabular. Ihre behaglich sozialkritischen Texte auf Englisch zu singen, klingt doch allzu oft, als läge beim Dichten das Dictionary auf dem Verstärker. Und die arg deutsche Aussprache des Ganzen macht das Ernstnehmen nicht leichter. Aber auch SIX ist eben ein Album für die Beine, nicht den Kopf. Und in denen fühlt es sich wie immer großartig an. Also Karohemd an, Knöpfe auf, Vans drunter, rauf auf den Moshpit!
Itchy Poopzkid – SIX (Findaway Records)
Squarepusher
Dorthin gehört auch die Zuhörerschaft von Squarpusher. Und nirgendwo sonsthin. Könnte man meinen. Die Hälfte seiner 40 Jahre macht der bassversessene Produzent aus dem südostenglischen Essex eine Art Electronica, die das Gehirn beim Konsum so durchrührt, dass es als Spaßkonzentrat in die Beine sackt und Amok läuft. Drill’n’Bass nennt sich die Variante des ungeheuer schnellen, aber klügeren EDM mit “Intelligent” statt “Electronic” vor “Dance Music”. Dass man sich auch das gefühlt 20. Album aus dem Hause Warp weit jenseits irgendwelcher Tanzflächen anhören kann, hat daher ganz besondere Gründe.
Denn wie die meisten Platten zuvor, enthält auch Damogen Furies nicht nur eine endlose Zahl aberwitziger Soundkonstruktionen zwischen 60 und 200 bpm, sondern mehr noch den ganzen Kosmos dessen, was sich elektronisch an Musik generieren lässt, ohne die Möglichkeiten der Synths und Sequencer um ihrer selbst willen auszutesten. Squarpusher alias Thomas Jenkinson ist ein Forscher, der die Grenzen seines Genres permanent auslotet – und sein Publikum damit dennoch zum Ausrasten bringt. Nichts für stille Lesestunden im Kaminzimmer also, aber auch weit über den Club hinaus von Wert. Durchgeknallt. Fabelhaft!
Er hat schon diverse Kanzler verkörpert, dazu Minister und mit Christoph Schlingensief eine Partei gegründet. Als Schauspieler jedoch steht Bernhard Schütz auch nach vielen Jahren im Geschäft nur im zweiten Glied, zumindest vor der Kamera. Als desillusioniertes Politfossil Eichwald, MdB rückt der Rheinländer nun endlich an die Spitze eines grandios bissigen Vierteilers über die Berliner Republik und erzählt, wie es dazu kommen konnte.
Interview: Jan Freitag
freitagsmedien: Herr Schütz, Ihr windiger MdB Eichwald lädt vermutlich jeden Zuschauer zum heiteren Parteienraten ein. Welcher gehört er so ungefähr an?
Bernhard Schütz: Was meinen Sie denn?
CDU, alter Blüm-Flügel.
Da müssen Sie sich zweierlei bewusst machen. Grad die Volksparteien machen längst keine Politik mehr, die entlang der alten Grenzen erkennbar ist. Und Eichwald, MdB ist Science Fiction in der Art Stanislaw Lems, wo es kein Oben, kein Unten gibt. Die wissen selbst nicht so genau zu welcher Partei sie gehören. Ich würde also sagen: linker Flügel CDU oder rechter der SPD.
Geht es im Vierteiler denn um dieses Ratespiel?
Es geht eher um eine die Bonner Republik in Berlin. Eichwald ist in der alten BRD groß geworden, Bochum II, als es noch echten Streit gab, Wehner gegen Strauß, Politiker, die ihr Mandat noch als echten Beruf im Sinne Max Webers aufgefasst haben, mit Arbeiterkindern von der SPD und Beamten in der Union
Wo sehen Sie sich als Sohn eines Polizisten und einer Hausfrau?
Mein Vater kommt aus Wuppertaler Lehrerverhältnissen, aber meine Mutter ist tatsächlich Duisburger Arbeiterklasse, ihre Mutter alleinerziehen mit sieben Kindern, Stahlindustrie. Dennoch war sie CDU, wenngleich frauenbewegt.
War ihre Kinderstube politisch geprägt?
Schon. Meine Mutter war Kommunalpolitikerin, mein Vater hat als Soldat noch die letzen Kriegswehen erlebt, alte Schule. Er war mit 18 in Gefangenschaft, sah das Berliner Schloss brennen, das hat seinen Umgang mit Politik geprägt. Ich hingegen war Kriegsdienstverweigerer, Atomkraftgegner, meine Freunde waren alle Trotzkisten, die RAF spielte eine Rolle. Politik hat mich immer bewegt.
Sind Sie auch aktiv politisch?
Wenn Politik überall stattfindet, wo man Einfluss nehmen kann, vom Arbeitsplatz bis ins Private – dann ja. Politische Dynamik entsteht meiner romantischen Ansicht nach überall, wo jemand seine Kraft nach den eigenen Möglichkeiten fürs Ganze einsetzt.
Das klingt nicht nach Parteipolitik.
Die wäre mir auch zu frustrierend. Deshalb habe ich mit Christoph Schlingensief vor vielen Jahren eine Alternative gegründet: Chance 2000. Viele haben sie als Spaßpartei betrachtet, aber das war’s nicht; gerade Christoph ist da völlig unironisch rangegangen. Es ging um Verstehen durch Nachspielenund einen kreativen Umgang mit den Mechanismen des deutschen Vereinigungswesens mit Kassenwarten, Satzung und allem.
Sind Sie mit ihm etwa auf dem Wörthersee zu Kohls Ferienhaus gepaddelt?
Leider nein, da wollte ich lieber selber Urlaub machen. Den Wahlkampfzirkus in Berlin hab ich aber schon mitgemacht. Aber sobald die Politik zu praktisch geworden ist, war ich dagegen. Realität interessiert mich daran nicht so sehr, ich sehe Politik als Kunst.
Ist Ihr Abgeordneter Eichwald also ein Kunstprodukt oder realistisch?
Was dazwischen. Es geht ums Handeln einer realen Kunstfigur wie Stromberg, das aus einer gewissen Bösartigkeit entsteht, die wiederum den Verhältnissen geschuldet ist. Was uns interessiert, ist die Entstehung von politischen Entscheidungen: Wie kommt der Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ins Eisbärenkostüm, wie kommt es bei den Grünen zum Veggie Day, warum agieren Politiker oft so bizarr? In Bonn mussten Politiker Politik machen wollen, um voranzukommen. In Berlin brauchen sie sieben Berufe, müssen gut aussehen, pointiert sein, witzig, rhetorisch begabt, kompetent – sonst kommt man allenfalls ins Landwirtschaftsministerium. Aber selbst dort musst du mitten im Lernprozess suggerieren, alles bereits im Griff zu haben.
Steckt also mehr Wahrheit in Eichwald als uns lieb ist?
Na ja, wir haben in der Vorbereitung eine Sozialdemokratin getroffen, die morgens um halb acht mit dem ersten Ausschuss beginnt, um 23 Uhr den letzten hat, zwischendurch dauernd Akten ließt und extrem diszipliniert, kompetent, fleißig ist. Das kennzeichnet die meisten Abgeordneten. Von daher überhöhen wir ihn schon stark.
Überhöhen oder angesichts dieser Erfahrungen nicht doch eher verunglimpfen?
Nein, denn seine Darstellung hat vor allem mit unseren Ansprüchen zu tun, ist also Konsumentensicht. Und ich glaube, dass in der pointierten Polemik oft mehr Realismus steckt als in der wahrheitsgemäßen Abbildung. Entertainment hilft enorm beim Verstehen.
Und Sie scheinen dafür besonders geeignet, so viele Politiker Sie spielen…
Vielleicht. Ich hab schon fast alle Kanzler durch. Den alten Schmidt. Und Kohl hab ich getötet, damals mit Christoph. Schröder nackt im Fellkostüm als Siegfried in der Berliner Republik und Doris, gespielt von Irm Herrman, angeschrien: ICH WILL EIN SCHWARZES KIND VON DIR!
Ah ja. Gibt es etwas, das Schauspieler dazu prädestiniert, Politiker zu spielen?
Es gibt höchstens eine gewisse Denkfaulheit bei Produzenten und Publikum. Wenn einer wie ich mal einen Politiker gespielt hat, fragt man ihn eben dauernd danach.
Wobei Eichwald Ihre erste große Hauptrolle ist.
Ich habe 25 Jahre Theater durchgerockt, da stand ich dem Filmmarkt gar nicht zur Verfügung. Als ich in den Neunzigern Film ausprobiert habe, war das dann eher ein Lückenfüller. Richtig mit Anspruch drehe ich erst seit fünf, sechs Jahren, da kann ich noch keine Hauptrollen erwarten. Ich bin ja auch nicht mehr der Jüngste… Dafür spiele ich öfter mal international mit, Most Wanted Man zum Beispiel. Und demnächst im Independent-Film Dog Wedding zweier New Yorker Juden. Da bin ich ein deutscher Gurkenproduzent.
Fühlen Sie sich in der zweiten Reihe womöglich gar wohler als an erste Stelle?
Nö, Hauptrollen sind viel leichter zu spielen. Man hat 1000 Szenen, in denen man sich ausprobieren kann, und viele Sklaven, die mit weniger Drehtagen dramaturgisch heillos überfrachtet die Geschichte schleppen. Hauptrollen sind toll.
Gibt es eine, von der Sie träumen?
Ich würde wahnsinnig gern mit den Dardenne-Brüdern aus Belgien arbeiten. Die machen Film wie Theater, mit viel Proben und biografischer Vermengung. Und Mike Leigh, der Naked gemacht hat, interessiert mich.
Think global!
Komischerweise, ja. Das ist mir so zugeflogen. Reines Glück.