Spiegels Hähne & Obamas Arbeit
Posted: May 29, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen, Uncategorized | Leave a commentDie Gebrauchtwoche
22. – 28. Mai
Es ist ja im Grunde gut, wenn alte Medien nochmals die neuen erhitzen. Der Spiegel, den es – Ältere erinnern sich – noch immer in nennenswerter Zahl auf Papier gibt, trennt sich vom Chefredakteur, und selbst online wird auch deshalb darüber berichtet, weil Steffen Klusmann das frühere Flaggschiff der Demokratie gewinnbringend durch den populistischen Sturm unserer Tage gesteuert hatte.
Abseits der Ursachen, die viel mit Machtkämpfen und wenig mit Führungsstärke zu tun haben, bleibt also zweierlei vom geplanten Überraschungsflug übrig: In Dirk Kurbjuweit wird das Blatt erstens wieder von einem maximal analogen Print-Fossil geleitet, das zweitens kein weiblich gelesener Journalist ist. Und so bleibt es bei 17 Männern seit 1947 – auch wenn die vierköpfige Chefredaktion des 61-Jährigen mit Melanie Amann eine Frau enthält.
In der ARD hingegen denkt man da ein wenig zeitgemäßer und ersetzt die scheidende Talk-Moderatorin Anne Will durch ihre Kollegin Caren Miosga, was der Fernsehstreitkultur definitiv besser tut als Markus Lanz. Seine Idee, zur Debatte über den Klimaschutz den energiepolitischen AfD-Sprecher Steffen Kotré einzuladen, war ja durchaus mutig, artete aber in einem völlig willkürlichen Redezeitmanagement aus, das der fachlich inkompetente, aber dramaturgisch besonnene Rechtsextremist zu seinem Vorteil nutzen konnte.
Das wäre womöglich auch Ron DeSantis gelungen – hätte er seinen Wahlkampfauftakt nicht ausgerechnet bei Twitter gestartet. Bis zu Elon Musks Übernahme ein funktionsfähiger Mikroblogging-Dienst, hat ihn sein Besitzer in kürzester Zeit so heruntergewirtschaftet, dass der rechtsextreme Präsidentschaftsbewerber kaum zu hören war, sofern die Übertragung denn überhaupt mal funktionierte.
Und so durfte Donald Trump dabei zusehen, wie sich sein Mitbewerber fast 60 Jahre nach dem Mord an John F. Kennedy quasi selbst erledigte. Genau 60 Jahre wird Samstag das aktuelle sportstudio im ZDF. Und es ist zwar nur noch für jene interessant, die schon bei der Erstausgabe schulpflichtig waren, aber immerhin fußballbegeisterter als der Streamingdienst Sky, der Borussia Dortmund ein Public Viewing vorm Stadion untersagte, um mehr Zugriffe beim irrwitzigen Bundesliga-Finale zu erzielen.
Die Frischwoche
22. – 28. Mai
Am Samstag nun wird auf gleichem Kanal das DFB-Pokalfinale übertragen, was allerdings außerhalb Leipzigs und Hessen kaum jemanden interessiert. Und damit zum Rest eines Fernseh- oder Streaming-Angebots, das leicht unterm Radar des Massengeschmacks funkt, weshalb es kaum Fiktionales anzupreisen gibt. Am – buchstäblich – bemerkenswertesten wäre da noch die Netflix-Doku Arbeit: Was wir den ganzen Tag machen.
Als Doku über Werktätige in den USA gedacht, bietet sie vor allem dem Gastgeber ein Podium zur Selbstdarstellung. Offiziell steigt Barack Obama drei Teile in ökonomische Maschinenräume. Am Ende aber geht es nur um den Ex-Präsidenten und seinen Kontostand, den Netflix weiter hebt. Dafür porträtiert die Arte-Mediathek morgen einen Mann, den vermutlich fast niemand kennt: Adolf Kanter.
Was für ein scheußlicher Name, dessen Story (Buch & Regie: Claus Räfle) als Teil einer deutsch-deutschen Spionagestory im Licht der Flick-Affäre aber hochinteressant ist. Zwei Tage später zeigt die ARD-Mediathek den Vierteiler Frontman, der Rockopas wie Ozzy Osbourne oder David Lee Roth je 90 Minuten widmet. Ungleich jünger sind die Protagonist:innen der dreiteiligen Doku Dirty Little Secrets, in denen der BR an gleicher Stelle das turbokapitalistische Ausbeutungssystem Spotify analysiert.
Mittig zwischen Sach- und Spielfilm befinden sich das Arte-Dokudrama Die rote Fini mit Adele Neuhauser als Wiener Polit-Ikone (Donnerstag, Mediathek) und das Browser Ballett (Mittwoch, ZDF-Mediathek) auf längerer Strecke. Am Ende daher drei Fiktionen: Die japanische Endzeitserie The Days (Donnerstag, Netflix), die österreichische Mysterykrimi-Serie Der Schatten (Freitag) und die sechsteilige Dating-Persiflage Einsame Herzen mit dem Youtuber Freshtorge (Sonntag, beides ZDF-Mediathek).
Dirk Steffens: TerraX & RTL GEO-Show
Posted: May 26, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 4 donnerstagsgespräch | Leave a commentMan wird zum Abenteurer wider Willen
Seit Jahren schon erklärt Dirk Steffens (Foto: RTL) beim ZDF die Welt – und wie wir sie zerstören. Jetzt wechselt er für eine GEO-Show zwischenzeitlich zu RTL und will dort Großes für den Naturschutz erreichen: Durchschnittsmenschen.
Von Jan Freitag
freitagsmedien: Herr Steffens, was genau ist ein Abenteurer?
Dirk Steffens: Ein Abenteurer ist jemand, der aus persönlichem Interesse und Leidenschaft Reisen unternimmt, von denen er oder sie nicht weiß, wie sie enden.
Macht Sie das zu einem?
Eher zum Dokumentarfilmer, der jeden Drehtag bestmöglich durchplant. Aber es liegt zum Glück im Wesen unserer Arbeit, unvermeidbar ins Unvorhersehbare zu schlittern. Tauchgänge mit Haien oder Gletscherbesteigungen können Sie noch so präzise vorbereiten; irgendwann wird man dabei zum Abenteurer wider Willen.
Hat RTL diese Einschränkung also nur vergessen, wenn es Sie in der GEO-Show als Wissenschaftler und Abenteurer ankündigt?
(lacht) Ach, das ist bei der Ankündigung eines Berufsreisenden wie mir schon okay.
Kippt übers Sprachliche hinaus noch mehr, wenn Sie nach jahrzehntelanger Arbeit fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen nun ins Private wechseln?
Ja, denn ob Sie’s glauben oder nicht: Wir sind wissenschaftlicher, schlagen aber zumindest in den Dokus ab Herbst dramaturgisch publikumswirksamere Bögen, stellen uns also die Frage, warum Menschen sich überhaupt für einen Vulkan am anderen Ende der Welt interessieren sollen, wenn sie vorher acht Stunden lang gearbeitet haben und sich eigentlich, so wie ich es ja auch gern mache, nur noch mit Bierchen auf dem Sofa entspannen wollen.
Und die Antwort?
Suchen wir durch andere Herangehensweisen als im Wissenschaftsformat am Sonntagabend. Aber wissen Sie, ich bin mit GEO aufgewachsen, und der Heft-Claim „die Welt mit anderen Augen sehen“ beschreibt präzise unsere Haltung: Vorgefertigte Meinungen muss ein Wissenschaftsjournalist auf jeder Reise hinterfragen, sich also im positiven Sinn selbst ständig verunsichern. Um Neues zu lernen.
Zurück zu RTL…
Da beginnen wir das GEO-Abenteuer mit einer Show, um GEO beim Publikum populär zu machen, was sehr wichtig ist. Wenn man die großen Probleme der Menschheit wie Artensterben und Klimawandel lösen will, darf man in Demokratien nämlich nicht nur mit der Minderheit ohnehin sensibilisierter TerraX-Zuschauer um die 65 kommunizieren, sondern muss die Mehrheit erreichen, den Durchschnitt, und beides repräsentiert RTL. Durch die – zugegeben holprige – Fusion von RTL mit Gruner + Jahr, sind für mich jetzt ein paar Dinge möglich, die zuvor unmöglich waren.
Dinge inhaltlicher Natur?
Zunächst mal publizistischer. Das größte Medienhaus Europas ist ein 360-Grad-Unternehmen, das GEO-Themen, also auch meine, breit in die weite Welt trägt. Ich kann unsere Arbeit über alle Medien verbreiten. Dazu gehören mehrere TV-Sender, der Streamingdienst RTL+ inklusive Podcast-Plattform, dazu Beteiligungen an ein paar Dutzend Radiosendern, die Zeitschriften, nicht zu vergessen den weltgrößten Buchverlag Penguin Random House, mit dem wir innerhalb des Bertelsmann-Konzerns zusammenarbeiten, da erscheinen ja auch meine Bücher. Und natürlich GEO selbst, immer noch das führende Wissensmagazin in Deutschland.
Wuchtige Werbung, die ich Ihnen sogar abkaufe. Aber kann man dann sagen, sie sind aktuell der einzige Journalist bei RTL formerly known as Gruner + Jahr, der wirklich von dieser umstrittenen Übernahme profitiert?
Ob ich der Einzige bin, der davon profitiert, weiß ich jetzt nicht… Aber falls ja, möchte ich es nicht bleiben. So eine Fusion ist hochkomplex, da klappt naturgemäß nicht alles auf Anhieb. Hoffentlich wird GEO der Showcase für die gelungene Fusion, und wir können GEO als neue Marke unterm RTL-Dach etablieren, ohne die inhaltliche DNA zu verlieren. Das ist bei allem Risiko für beide Seiten sehr spannend.
Und der Klima- und Artenschutzzweck heiligt dabei so die Mittel, dass Ihre GEO-Show ständig auf Tränendrüsen drücken und Saalapplaus fordern darf?
Religiös formuliert: Wer nur in der eigenen Kirche predigt, wird die Gemeinde nie erweitern. Deshalb musste ich vom Hügel der Erkenntnis runter, auf dem ich mich noch zwei Jahrzehnte gemütlich von der Abendsonne meiner öffentlich-rechtlichen Karriere hätte bescheinen lassen können. Falls es schiefgeht, kriege ich für diesen Abschied aus der Komfortzone sicher Häme, aber um auf Ihre Eingangsfrage zurückzukommen: RTL ist eben echtes Abenteuer. Mit ungewissem Ausgang. Und genau deshalb so spannend.
Häme könnte es auch im Erfolgsfall geben, sofern man Ihnen Greenwashing unterstellt, ausgerechnet beim langjährigen Formel-1-Sender RTL, [GM[+J1] dem eine gute Quote im Zweifel lieber ist als das Klima, für Umweltschutz zu unterhalten.
Dessen bin ich mir schon deshalb bewusst, weil ich als RTL-Moderator nicht nur nach außen wirken soll, sondern als Nachhaltigkeitsbotschafter auch nach innen. Bertelsmann hatte sich vorher schon halbwegs ambitionierte Klimaziele verordnet, die aber im Gesamtkonzern noch nicht überall angekommen sind. RTL ist eben in alle Richtungen ein Spiegel der Gesellschaft. Meine Herausforderung ist da, Überzeugungsarbeit zu leisten. Aber mit den Widersprüchen, mit denen RTL als langjähriger Formel-1-Sender zu kämpfen hatte, kämpfe ich auf andere Art auch in meinem Leben. So wie wohl jeder Mensch.
Es gibt kein richtiges Leben im Falschen?
Kein perfektes. Ich war gestern auf einem Maifest, und was habe ich gegessen? Ne Bratwurst! Mache ich ab und zu gern, dürfte es streng ökologisch gesehen aber nicht, wenn sie nicht bio ist. Da weiß ich es zu schätzen, was RTL versucht. Der Laden ist genauso menschlich und widersprüchlich wie das echte Leben. Diese inneren Konflikte sind keine Schwäche, sie machen stark. Es ist natürlich bequemer, sich gegenseitig in derselben Filterblase zu applaudieren, das führt aber zu nix.
Und was führt zu was?
Wenn wir uns fragen, was in der Handwerkerin oder dem Vater auf dem Weg zum Kindergarten vorgeht, wenn er oder sie vor Klimaklebern im Stau steht.
Das Merkel-Mantra, alle mitnehmen zu müssen?
Man kann demokratische Gesellschaften nicht ohne Mehrheiten verändern. Die finde ich bei RTL und bin darüber hinaus in der Lage, durchs 360-Grad-Projekt innerhalb von vier Wochen theoretisch 99 Prozent der Deutschen zu erreichen, also alle.
Und praktisch?
Wird das nie so sein, ich bin ja nicht doof. Aber wir erreichen bei RTL mehr von denen, die hart – oder auch gar nicht – arbeiten, aber dabei nie reich werden, und können ihnen erklären: Oberhalb deiner Probleme gibt es etwas Übergeordnetes wie Arten- oder Klimaschutz. Und wenn wir beides nicht in den Griff kriegen, Deine alltäglichen und unser aller übergeordnete Probleme, dann ist alles andere bald auch egal, also lass uns reden. Aber nicht ideologisch.
Wie ideologisch ließe sich bei mindestens 120 bereisten Ländern Ihr ökologischer Fußabdruck beurteilen?
Wenn ich das nicht selbstkritisch sähe, wäre ich unseriös. Wir kompensieren die Vielfliegerei daher im Rahmen des Möglichen. Ich muss für meinen Beruf reisen, so wie jemand, der fürs Außenministerium arbeitet, für eine Hilfsorganisation, eine große Firma oder Klimaforschung betreibt. Der Vorwurf, Wasser zu predigen und Wein zu trinken, kommt ja auch meist aus der Ecke, in der auch Klimawandelleugner sich tummeln, die wollen Menschen auf persönlicher Ebene jenseits der sachlichen desavouieren, weil sie keine Argumente haben. Wer es Verrat nennt, wenn Leute ins Ausland fahren, um aus dem Ausland zu berichten, ist weltfremd oder Populist. Auf der wissenschaftlichen Ebene: Die Naturschutzgebiete der Erde haben acht Milliarden Gäste jährlich. Was glauben Sie, würde damit passieren, wenn keiner hinreist?
Nichts Nachhaltiges, nehme ich mal an…
Genau. In der Corona-Krise konnte das Phänomen, was passiert, wenn der Flugverkehr eingestellt wird, erstmals konkret gemessen werden. In Afrika zum Beispiel ist die Wilderei seither schlimmer denn je. In Südamerika gilt Ähnliches für die Abholzung der Wälder. Der Tourismus ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige weltweit. Und weil die Menschen sich beim Reisen lieber intakte als zerstörte Landschaften ansehen, hat der Fremdenverkehr ein intrinsisches Interesse daran, sie zu schützen. Natürlich ist auch Tourismus oft von Profitgier getrieben und betreibt Greenwashing. Aber auf lange Sicht bleibt er ein wichtiger Hebel des Umwelt- und Klimaschutzes. Pauschal Flüge zu verbieten, wird der Komplexität der Zusammenhänge da schlicht nicht gerecht.
Was war eigentlich für Ihre Karriere als umweltbewegter Wissenschaftsjournalist ausschlaggebender – Fernweh, Tierliebe, Ökologie?
Zwei Dinge, an denen Sie sehen, was ich für’n alter Knacker ich bin: Ich habe als Sechsjähriger noch auf dem Schwarzweißfernseher ferngesehen, Jüngere kennen das ja gar nicht mehr. Bei Sendungen von Bernhard Grzimek habe ich dann beschlossen, Tierfilmer zu werden, und bin darüber vielleicht ein bisschen nerdig geworden. Zweite Motivation: Ich bin in den Siebzigern in einem Dorf der norddeutschen Tiefebene aufgewachsen, aus dem ich nur wegwollte. Je weiter weg, desto besser. Das war mein Antrieb.
Wie RTL ihn bei DSDS formulieren würde: Sie leben Ihren Traum!
Ich habe den schönsten Beruf der Welt, und ja – er macht mich jeden Tag glücklich.
Aber ist er nicht ein Albtraum, darin jeden Tag zu erleben, wie unsere Zivilisation gegen die Wand fährt und alle machen einfach weiter wie immer?
Ja, zumal ich diesen Job vor 30 Jahren als junger Mann begonnen habe, der einfach mit Kumpels um die Welt fahren und Naturfilme drehen wollte. Mein erster Tauchgang durchs Great Barrier Reef war ‘ne Glücks-Party in einer Welt von solcher Schönheit, dass ich zwei Nächte nicht schlafen konnte. Seither war ich ein halbes Dutzendmal dort und die Zerstörung wurde immer schlimmer. Also Schluss mit Schönfärberei, habe ich mir gesagt, und begonnen, auch über Naturzerstörung zu berichten. Dieser Lernprozess ist bis heute frustend, denn wir haben kein Erkenntnis-, sondern nur ein Handlungsproblem. Das macht einen manchmal schon irre.
Nur irre oder auch mutlos?
Dafür zitiere ich gern einen Satz von Karl Popper, den wir zum Motto unseres GEO-Projektes gemacht haben: Es gibt zum Optimismus keine vernünftige Alternative. Ohne Hoffnung auf den Sieg braucht auch ein Fußballer gar nicht erst anzutreten, dann ist er chancenlos. Was die Natur und damit unsere Zukunft betrifft: Sieht nicht gut aus im Moment, zugegeben. Klimakrise und Artensterben sind mächtige Gegner, aber Homo sapiens darf man nie unterschätzen. Das Spiel ist erst vorbei, wenn es vorbei ist.
Neumanns Finale & Platonische Liebe
Posted: May 22, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen | Leave a commentDie Gebrauchtwoche
15. – 21. Mai
Manche Gerichtsentscheidungen sind von einer Bedeutung, die weit über den medialen Rummel darum hinausgeht. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs zum Beispiel, das öffentliche Interesse an Tagebucheinträgen des furchtbaren Warburg-Bankers Christian Olearius in der Süddeutschen Zeitung zum Cum-Ex-Skandal sei größer als die Schutzwürdigkeit seiner Privatsphäre, stärkt Pressefreiheit und Pluralismus in einer Weise, die ihr gar nicht so heimlicher Feind Mathias Döpfner stinken dürfte.
Dessen Anwälte versuchen ja weiter, die Publizierung menschen- und demokratieverachtender Chats in der Zeit zu kriminalisieren, während seine Propagandamaschine gegen die Grünen heiß und heißer läuft. Am Sonntag prangerte Bild am Sonntag den zu langsamen Ausbau nachhaltiger Energiegewinnung als Wind-Wahnsinn an, während Springers Kampfblätter ansonsten blöken, er ginge zu schnell. Muss heiter zugehen, am Rudi-Dutschke-Platz.
Besonders, falls die Jagd auf alles links der Rechten funktioniert. Dass Robert Habeck seinen Staatssekretär Patrick Graichen (endlich) entlassen hat, zeigt schließlich, wie erfolgreich der FDP-hörige Kampagnenjournalismus ist. Nächstes Opfer in spe: Claudia Neumann, die das Finale der Champions League im ZDF kommentiert und den Hass der sehr alten, sehr weißen Männer im Bild-Hades so auf sich ziehen wird, dass Döpfners publizistische Pitbulls bereits die Zähne fletschen.
Ungeschoren bleibt dagegen eine Cashcow wie Heidi Klum, deren geplanter Auftritt beim Bergdoktor schon deshalb wohlwollende Aufmerksamkeit bei Bild/BamS/Glotze erlangen wird, weil sie das traditionelle Geschlechterbild männlicher Ausbeutung des weiblichen Körpers zu sehr viel Geld (und tollen Halbnacktbildern hypersexualisierter Teenies) machen kann.
Die Frischwoche
22. – 28. Mai
Was Medien dieser Stoßrichtung hingegen gar nicht verstehen: dass Mann und Frau auch einfach nur gute Kumpels auf Augenhöhe sein könnten. Ein Zustand, den die Apple-Serie Platonic mit Rose Byron und Seth Rogan am Schauplatz L.A. durchspielt. Zehn Teile lang versuchen ihre Großstadtcharaktere ab Mittwoch eine Freundschaft ohne Sex oder Liebe zu pflegen, was dank der beiden Hauptdarsteller:innen auf organische Art komisch ist und nebenbei die Prüderie der amerikanischen Mehrheitsgesellschaft entlarvt.
Womit schlichte Gemüter eher was anfangen können, ist die Fantasy-Serie Der Greif. Das eingespielte Tatort-Duo Erol Yesilkaya (Buch) und Sebastian Marka (Regie) will seinem Kindheitsidol Wolfgang Hohlbein damit Freitag bei Prime Video ein Denkmal setzen. Dummerweise verliert es sich bei aller Bildgewalt und eigensinniger Schauspielriege allzu oft in einer Form nachlässiger Effekthascherei – die Genrefans allerdings herzlich egal sein dürfte.
Dass seine Protagonisten in ein Gewitter ohne Regen geraten oder Kostüme wichtiger werden als ihre Umgebung, passiert einem der ganz Großen des deutschen Film- und Fernsehens eher selten. Auch deshalb widmet Warner dem German Genius ab morgen eine Art dadaistischer Mockumentary, in der die sich Kida Ramadan als Kida Ramadan spielt, der über Toni Hamadis Schatten weg Produzent werden will und dabei das System dahinter entlarvt, dessen Stars von Volker Schlöndorff bis hin zu Ricky Gervais Cameos haben. Selten ist mittlerweile auch Arnold Schwarzenegger sehen, weshalb es durchaus erwähnenswert wirkt, wenn ihn die Netflix-Serie Fubar am Donnerstag als CIA-Agent aus der Rente holt.
Ob ein NS-Erbe-Splatter-Film an gleicher Stelle tags drauf sehenswert ist, muss sich noch zeigen. Dass Nazis bei der wilden Jagd nach Blood & Gold endlich mal nicht nur Ausnahmen im unschuldigen Tätervolk sind, darf man Autor Stefan Barth und Regisseur Peter Thorwart schon mal zugutehalten. Samstag folgt ein weiteres Prequel der voluminösen Paramount-Serie Yellowstone Kevin Costners Rancher-Dynastie Dutton achtmal ins Jahr 1923. Und RTL+ reist ein paar Jahre weniger zurück, um ab Mittwoch den Fall Uwe Barschel(s) – Untertitel: Der rätselhafte Tod eines Spitzenpolitikers – zu erkunden.
Bipolar Feminin, bar italia, Isolée
Posted: May 21, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 5 freitagsmusik | Leave a commentBipolar Feminin
Ein bisschen wohlfeil ist es schon, nahezu alles abzufeiern, was musikalisch aktuell aus Österreich nach Deutschland schwappt, aber um mit dem Opener des neuesten Partygrundes Bipolar Feminin zu sprechen: “Es ist wie es ist wie es war”, also abermals mit fantastisch noch zwei, drei Nummern zu klein beschrieben. Denn wenn mittlerweile sogar leicht schweiniger Noisepop über den Umweg des Herzens ins Hirn vordringt wie eine Axt durch Butter, könnte es auch an der Herkunft Wien liegen.
Zunächst aber liegt es an Leni Ulrich. Deren Gesang erinnert zwar an Rockröhren genannte Siebzigerstimmen wie Joy Fielding. Wenn sie zu Jakob Brejchas Gitarrengetöse wiederholt “Willkommen am Boden” singt, der Überflussgesellschaft in Attraktive Produkte reibeisenruppig den Kampf ansagt oder dem Tocotronic-Drummer Herr Arne Zank ihren Respekt als Inspirationsquelle erweisen, ist Bipolar Feminins Debütalbum dennoch das Beste was uns dieser Tage von irgendwo her erreicht, hier halt: Austria.
Bipolar Feminin – Ein fragiles System (Buback Tonträger)
bar italia
Kleines Ratespiel: woher mögen wohl bar italia kommen? Italien wäre jetzt natürlich zu einfach. Der Name des Debütalbums Tracey Denim gibt auch keinerlei Auskunft darüber. Und wer die Namen des Trios Nina Cristante, Jezmi Tarik Fehmi und Sam Fenton hört, kriegt auch keinerlei Hinweise auf ihre Wurzeln. Der Sound allerdings ist, wenn schon nicht in Österreich, dann hörbar in London zuhause, wo er sich aus Melting Pots und Pop-Traditionen bestens erklären lässt.
Atmosphärisch eine Emulsion der The-Bands Notwist, XX oder Velvet Underground, erkundet dieser Postpunk das Abseits analoger Musik mit psychedelischer Methodik von versteckter Schönheit. Akustisch verschachtelt, windschief gesungen, textlich voller Rätsel, macht Tracey Denim zwar nicht ständig Laune, animiert aber in jedem der 15 meist einsilbig betitelten Tracks zum Entschlüsseln dieser plöddernden Pop-Rätsel. Sie klingen dabei nach vielem, nur keiner italienischen Bar. Zum Glück.
bar italia – Tracey Denim (Matador Records)
Isolée
An Hamburger Bars ist hingegen schon so einiges erklungen, aber hausgemachte Clubsounds entstammen gemeinhin fernab der örtlichen Schule. In Frankfurt zum Beispiel, Heimat des Klangkünstlers Rajko Müller, der die Tanzflächen seit zwei Jahrzehnten mit elektronischer Tanzmusik bereichert – die allerdings ausnahmsweise nicht in Deutschlands hessischer Techno-Hauptstadt entstehen, sondern – eben: in Hamburg, wo sein Pseudonym Isolée sämtliche Platten aufnimmt, also auch das vierte: Resort Island.
Das mit klassischen Club-Labels zu versehen, greift erneut zu kurz. Erstmals auf eigenem Label, veranstaltet Müller aka Isolée nämlich gar keinen Micro-House, sondern Schatzsuchen. Und er wird überall dort fündig, wo sich viele seiner Mix-Kolleg:innen oft nicht hinbegeben: In die Zwischenräume geschmeidiger Rhythmen und Beats, dort also, wo Panflöten und Vibrafone, Drones oder Videospielschnipsel Flächen zerteilen, bis sie platzen und dennoch intakt lassen. Gut, dass die Festivalsaison beginnt.
Isolée – Resort Island (Resort Island)
Max Mauff: Mapa & die Traurigkeit
Posted: May 19, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 4 donnerstagsgespräch | Leave a commentMein Ziel ist Kommunikation
Max Mauff ist einer der unwahrscheinlichsten Fernsehstars im Land – daran hat seine Hauptrolle als junger Witwer in der ARD-Serie Mapa (Foto: Carolin Weinkopf/RBB) großen, aber nicht alleinigen Anteil. Interview zum Start der 2. Staffel über traurige Rollen, ihre Heilungsversprechen, Kapitalismus am Set oder warum er für Nebenrollen manchmal alles stehen und liegen lässt.
Von Jan Freitag
freitagsmedien: Max Mauff, Ihr Witwer Metin ist in der 2. Staffel Mapa teilweise richtig gut drauf. Ist es nach dem Trübsinn der 1. Staffel eine Erleichterung, ihn so positiv spielen zu dürfen?
Max Mauff: Eine Riesenerleichterung sogar! Und mir fällt erst dadurch auf, wie schwer der Weg durch die erste Staffel für uns war. Die Drehzeit, das gesteht man sich währenddessen ja gar nicht ein, war damals streckenweise schon richtig belastend. Ich bin oft erstaunt darüber, was ich von meinen Figuren auch danach noch mit rumschleppe, gerade bei den eher aggressiven. Abgefahren.
Ist das eine Frage der Mentalität oder der Bücher, Geschichten auch persönlich so an sich heranzulassen?
Beides, aber ich bin ein Typ, den Geschichten wirklich erreichen und gegebenenfalls auch fertigmachen. Dieses Gespür muss man aushalten können, denn manchmal ist es wie ein Fluch, den ich seit 20 Jahren in meinem Beruf mit mir herumtrage.
Fluch oder auch Segen? Je näher einem Charaktere emotional kommen, desto mehr kann man ihnen emotional ja auch entlocken…
Stimmt. Da ich Schauspielen immer machen wollte, aber nie richtig gelernt habe, musste ich mich immer eher aufs Fühlen als Können verlassen. Wenn ich etwas über mich herausgefunden habe, dann Emotionen finden zu wollen, aber auch ertragen zu können. Trotzdem hat es Riesenspaß gemacht, bei Mapa jetzt endlich mal fröhlich, statt immer nur traurig zu sein. In der ersten Staffel hatten die anderen viel damit zu tun, mich zu stützen, damit ich in der Traurigkeit nicht untergehe.
Ist Traurigkeit, ohne traurig zu sein, schwerer zu spielen, als Freude, ohne froh zu sein?
Also mir fällt es leichter, zu lachen; weinen ist intimer. Es bleiben natürlich Abstraktionen meiner wahren Gefühle, aber so sehr, wie ich mich auf Szenen einlasse, ist es am Ende gar nicht so abstrakt, sondern ein Teil von mir. Diesen Kontrollverlust erhoffe ich mir als Schauspieler selbst von Drehbüchern, die mich eigentlich perfekt führen. Es klingt vielleicht esoterisch, aber wenn ich Metin spiele, bin ich so etwas wie sein Medium. Manchmal dachte ich dabei fast, ich zwinge alle anderen am Set in meine Emotionen rein, obwohl wir letztlich ja doch eine gute Zeit zusammen haben…
Andererseits ist Mapa ja nicht Lars von Trier, hatte also bei aller Melancholie und Traurigkeit auch in der ersten Staffel schon lichte Momente.
Unbedingt sogar. Fast alle Aspekte der Trauer enthalten ja ein Heilungsversprechen. Das hilft am Ende nicht nur bei der realen Bewältigung, sondern auch der filmischen Heldenreise, die dazu neigt, alles vorm Trauerfall zu idealisieren und alles danach zu problematisieren.
Das klingt ziemlich souverän. Hatten Sie selbst schon mal einen Trauerfall im engeren Umfeld, der Ihren künstlerischen Umgang mit dem Tod beeinflusst hat?
Nein. Ich hatte auch während der Kindheit zwar schon erste Verlusterfahrungen, aber so richtig gestorben wird um mich herum erst jetzt so langsam, je mehr ich meine Dreißiger durchschreite. Meine Oma ist zum Beispiel, ohne die ich vielleicht gar kein Schauspieler geworden wäre, weil sie mir schon ganz früh immer alles, was ihr als Anschauungsmaterial wichtig erschien, in der Fernsehzeitschrift angekreuzt und aufgenommen hatte, damit ich es mir beim nächsten Besuch auf VHS-Kassetten ansehen konnte. Als sie nach der ersten Staffel Mapa gestorben ist, habe ich erstmals gespürt, was Trauer für ein zähes Brett sein kann.
Kann Film oder Filmemachen da therapeutisch wirken, als Hilfe bei der Trauerarbeit?
Ich denke schon, glaube generell auch fest an den therapeutischen Effekt des Spielens für sich und andere. Wir sind alle manipulierbar. Zugleich aber sollte man sich hüten, als Schauspieler oder Publikum zu viel von Fiktion zu erwarten – gerade in Bezug auf Heilung innere Verletzungen. Obwohl Filme und Serien Denkanstöße geben, muss man den Bärenanteil der Aufarbeitung schon noch privat leisten. Das ist aber auch ein Entwicklungsprozess. Mit Anfang 20 dachte ich noch viel eher, wir werden den deutschen Film dahingehend verändern, dass er die Menschen wirklich beeinflusst. Da wurde ich doch ein bisschen desillusioniert.
Neigen Sie zur Desillusionierung, also großen Träumen und geringem Ertrag?
Manchmal mehr, manchmal weniger. Ich will da allerdings gar nicht so fatalistisch klingen. „Mapa“ zum Beispiel kann definitiv therapeutisch wirken, so was will ich häufiger machen, darum geht es doch als Schauspieler.
Seit wann nennen Sie sich so – schon bei Ihren ersten Rollen als Achtjähriger mit Aelrun Goette oder erst später?
Später, obwohl ich nicht erst bei Aelrun am Set, sondern sogar vorher schon in der Theaterklasse genau wusste, Schauspieler werden zu wollen. Es gab nie einen zweiten Berufswunsch, ich habe ihn allerdings erst so bezeichnet, als ich meine erste Agentur hatte, so mit 14 Jahren.
Was macht es mit dem Schauspieler und Menschen, Dreiviertel seines Lebens vor der Kamera zu stehen – abgebrüht oder demütig?
Ich hab‘ ja nur das eine Leben und deshalb auch keinen Vergleich, kenne also auch keinen anderen Arbeitsrhythmus als meinen – manchmal wochenlang durchzuarbeiten und dann wieder lange auf was Neues zu warten. Alles bleibt ungewiss, nirgends gibt’s feste Strukturen, dazu ständig diese Widersprüche, etwas zu wollen, was dich nicht will oder umgekehrt, und das ohne protegierende Instanzen wir in Frankreich, die dir das Geschäft von der Pike auf erklären. Weil man sich hier alles erst mühsam erarbeiten muss, bin ich demnach weder abgebrüht noch demütig, sondern Realist.
Was bedeutet?
Das kapitalistische Konkurrenzsystem der Schauspielerei zu akzeptieren, wie ich es in meiner Anfangszeit Ende der Neunziger erlebt hatte. Gleichzeitig merke ich, wie wenig es mir gibt, wie sehr ich mich darin zurückziehe und wie toll es ist, wenn sich die Konkurrenz im Ensemble auflöst, wenn man nicht gegen-, sondern miteinander spielt. Das ist so viel inspirierender.
Belebt Konkurrenz im Schauspiel also nicht das Geschäft?
Doch, die gehört schon dazu. Ich musste auch für Mapa mit anderen um die Titelrolle konkurrieren. Aber je länger ich im Geschäft bin, desto klarer wird mir, dass diese Konkurrenz zwar dazu gehört, aber nichts verbessert. Wirklich gut bin ich erst, wenn es ein Miteinander gibt. Mir ist einfach mittlerweile klar geworden, dass ich diesen Beruf nicht für Geld, Renommee, tolle Regisseur:innen oder Figuren mache, sondern dafür, sich im Kollektiv auf etwas Gemeinsames einzulassen. Mein Ziel ist Kommunikation. Das Gegenteil hab‘ ich mal mit Heiner Lauterbach erlebt.
Ach…
Das schlimmste Casting meines Lebens, vor 15 Jahren ungefähr, der hatte mich da so kleingemacht, diesen Schock werde ich – ohne nachtragend zu sein – schon aus purem Selbstschutz, so nicht werden zu wollen, niemals vergessen.
Aus einem Duell überdimensionaler Egos wie Klaus Kinski und Werner Herzog würden Sie also keine Energie ziehen, sondern flüchten?
Vielleicht würde ich da so etwas wie konstruktiven Trotz entwickeln, aber tendenziell machen mich solche Machtspiele aus einer Zeit lange vor #MeToo einfach nur unglücklich. Ich verbinde mit der Schauspielerei ja eher Begriffe von Freiheit statt Autorität.
Gehört zu dieser unautoritären Freiheit auch, trotz ihres gewachsenen Ansehens und damit auch Einflusses nicht mehr nur Hauptrollen zu spielen, sondern wenn nötig freiwillig ins hinter Glied kleiner Nebenrollen zurückzutreten?
Auf jeden Fall! Das Gefühl, unbedingt Hauptrollen spielen zu müssen, ist mir aber seit jeher völlig fremd. Ich habe erst vor kurzem eine Tagesrolle bei Schalko gemacht.
Na ja – für David Schalko lässt man halt so einiges stehen und liegen…
(lacht) Okay, aber abgesehen davon, dass mein Freund und Kollege Joel Basman auch dabei war, ist mir generell wichtig, den Druck solcher Nebenrollen zu erspüren, in ein eingespieltes Team zu kommen, seine Leistung abzuliefern und wieder rauszugehen. Nebenrollen sind richtig harte Arbeit. Ich wünsche mir ja auch als Hauptdarsteller, dass für Nebenrollen tolle Leute engagiert werden, die für die Familie alles reinwerfen.
Musks Yaccarino & Mauffs Mapa
Posted: May 15, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen | Leave a commentDie Gebrauchtwoche
8. – 14. Mai
Okay, wir haben es verstanden: Im Westen nichts Neues von Edward Berger ist ein echt guter Fernsehfilm mit Kino-Intermezzo und damit durchaus vieler Preise wert. Aber ihm gleich neun Lolas ins deutsche Eichenregal zu stellen – nur in der Königskategorie von Das Lehrerzimmer geschlagen – ist dann vielleicht doch ein bisschen viel fürs Remake eines Remakes mit belangloser Politikflankierung, lückenhafter Dramaturgie und bisweilen leicht selbstreferenziellem Splatter.
Alles Themenaspekte übrigens, die auch im medialen Aufreger der Vorwoche stattfanden: Patrick Graichen, Staatssekretär in Habecks Wirtschaftsministerium, hat die Mammutaufgabe Energiewende mit Verwandten besetzt und damit Oppositionszorn erzeugt – namentlich der CSU, die auf Vetternwirtschaft ein Copyright hält, was die Enkel des korrupten Diktatorenkuschlers Franz-Josef Strauß freilich nicht daran hindert, auf jeder sozialen Plattform gegen Grüne zu schießen.
Auch auf Twitter, versteht sich, dem Elon Musk mit der Werbestrategin von NBC Universal ein echtes Verkaufstalent an die Spitze setzt. Der Trump-Fan Linda Yaccarino dürfte schließlich vor allem Wachstum im Kopf haben, um Musks Propagandadienst in die Gewinnzone zu bringen. Lappalien von Demokratie über Debattenkultur bis Pressefreiheit dürften da bestenfalls vierte Geigen spielen.
Letztere ist übrigens hierzulande weiter schwer unter Beschuss, weshalb Deutschland im Pressefreiheitsranking um drei Plätze auf Rang 16 abgerutscht ist – was allerdings weniger an staatlicher Repression als privatem Hass von rechts zu verdanken ist. Dass der MDR in dieser Atmosphäre sein Boulevardmagazin Live nach Neun streicht, dürfte darauf nur bedingt Einfluss haben, zeigt allerdings, dass der demokratierelevante öffentlich-rechtliche Rundfunk auf die RBB-Katastrophe weiterhin mit Sparen am Programm reagiert.
Die Frischwoche
15. – 21. Mai
Dass es dort wie anderswo wenig erbauliche Neuveröffentlichungen zu vermelden gibt, hat damit aber wohl nichts zu tun. Bemerkenswert immerhin: die zweite Staffel von Mapa, der abermals wunderbaren Erzählung vom viel zu jungen Witwer Metin (Max Mauff), der sein kleines Kind auch weiterhin ohne Mutter großkriegen muss, aber ab Donnerstag in der ARD-Mediathek wenigstens ein eigenes Liebesleben entwickeln darf.
Das sechsteilige Erbschaftsfolgendrama Am Ende von Andreas Prochaskas Sohn Daniel, ab Mittwoch im ZDF, ist hingegen kaum der Rede wert, weshalb die Tipps der nächsten sieben Tage vor allem dokumentarischer Art sind. Bereits abrufbar: Still, das großartige Netflix-Porträt von Michael J. Fox, der wenige Jahre nach seinem Durchbruch mit Zurück in die Zukunft an Parkinson erkrankte und seither zeigt, wie Beharrungsvermögen und Humor der Hoffnungslosigkeit trotzen.
An gleicher Stelle nicht unbedingt anspruchsvoll, aber kontrovers: Queen Cleopatra, Gina Gharavis Serienporträt der ägyptischen Königin mit, Achtung: der Schwarzen Adele James als Titelheldin der Reenactment-Elemente eines überaus feministischen Blickwinkels auf die Antike. Das bringt Rassisten aller Herren Länder verlässlich auf die Palme jahrtausendealter Privilegien. Und Netflix PR, die sich der Streamingdienst kaum erkaufen könnte.
Am Donnerstag geht der weiße männliche Talkshow-Host Markus Lanz erstmals seit seiner Südpol-Reportagen vor 13 Jahren wieder fürs ZDF auf Reisen – zunächst nach Moldawien ungeschminkt. Der oberste Artenschützer des Zweiten dagegen lässt andere reisen. Bei seinem RTL-Abstecher schickt Dirk Steffens (mit Sonja Zietlow) ab Samstag Menschen verschieden niedriger Prominenzgrade um die Welt, um im Auftrag der Umwelt ein Quiz im Stil von Joko & Klaas zu improvisieren.
Das ist zwar nur bedingt unterhaltsam, dient dem F1-Sender RTL aber gehörig beim Greenwashing – und dank der Kanäle des feindlich übernommenen Zeitungsverlags Gruner + Jahr auch beim Quotensammeln. Empfehlenswerter: die vierteilige Sky-Doku Juan Carlos – Liebe, Geld, Verrat von Christian Beetz, der den spanischen Ex-König tags drauf als gewissenloses Schwein im Diktatorendienst entlarvt. War noch was? Ach ja: der ESC. 18 Millionen LED-Lampen, 18 Punkte Deutschland, letzter. Wie immer.
Greta Schloch, Overmono, Esben and the Witch
Posted: May 13, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 5 freitagsmusik | Leave a commentGreta Schloch
Greta Schloch, wer wüsste das nicht, ist – tja: wer oder was noch mal? Seit Ende der Neunziger veröffentlich er/sie/es darunter Songs, von dem Alter fast schon Kultstatus erlangte. “Lieber ne Flasch Bier als Freund / als ne Flasche als Freund” – treffender ließ sich das Verpaarungsdilemma nicht auf den dadaistischen Pop-Punkt bringen. Stilistisch zwischen weder und noch, fanden es alle zwar ungefähr so schrecklich wie Fatih Akins Goldener Handschuh, aber anziehender als Autounfälle im Gegenverkehr und damit perfekt für ein Remix-Album, das Crocodile Records kuratiert.
Vom Disco-Dub des kanadischen Musikers Deadbeat bis zum Minimalhouse des schwedischen Produzenten The Field, vom Electro-Kraut der Ostrock-Band Herbst in Peking bis zu Gretas eigener Country-Version, vom fiepsenden Atari-Trash bis zur Originalversion macht die viel zu kurze EP daraus alles und nichts zugleich, also herzzerreißend behämmerte Found-Footage-Remixe zum Tanzen, Kotzen, Schlafen, verschwitzt aufwachen, ergo: den Soundtrack unserer dissonant bewegenden Zeit.
Greta Schloch – Alter Remixe (Crocodile Records)
Overmono
Und wenn Greta Schloch schon ein Kunstbegriff von schlichter Schönheit ist – was soll man da eher vom Label halten, das die britischen Brüder Ed und Tom Russell ihrem Club-Projekt Overmono verpassen: Mono mal Mono gleich Stereo? Einklang plus Vielklang macht Durchdrehen? Egal: das – hier kann mans wirklich mal sagen: lang erhoffte Debütalbum der Tanzflächenfüller ist so derart poloyphon elektronisch, dass es den Dancefloor selbst als Konserve mitreißt, Homedisco-Eskalation gewissermaßen.
Denn Good Lies schafft es spielend, Stimmungen in Bässe zu verwandeln und umgekehrt – Sound in Gefühle. Stilistisch der weiten Welt des House am nächsten, hat der Gewinner des DJ Mag Best of British Awards als bester Live-Act seine schweißtreibenden Club-Sounds 13 Tracks lang auf Tonträger gerettet und bietet darauf gewissermaßen Anschauungsmaterial, wie einfach, zugleich aber vertrackt es ist, elektronische Zappeligkeit in plattentauglichen Pop zu verwandeln.
Overmono – Good Lies (XL Recordings)
Esben and the Witch
Und damit zu etwas wirklich, also vollumfänglich anderem als House und Dada, nämlich der Dark-Wave-Band Esben and the Witch, die natürlich auch deshalb unterm Radar der Clubkultur läuft, weil sie so tief in sich ruht, dass der ideale Ort dafür Hängematten im Dunkeln sind oder zumindest Zimmer mit zugezogenen Vorhängen. Aber bitte nicht missverstehen: das Trio aus Brighton macht dennoch zutiefst aufwühlende Musik, die mit seinem digital-analogen Dark-Wave tief ins Unterbewusstsein vordringt.
Bestes Beispiel: das sechste Album Hold Sacred. Flächig ausgewalzt von Thomas Fishers Gitarrenbrett, singt sich Bassistin Rachel Davies abermals in die Abgründe ihrer alltagswunden Seele, kreiert damit allerdings Epen von variabler Tristesse, die The XX quasi ästhetisch aufblähen und dabei manchmal fast noisig, ja krautig klingen. Wenn Drummer Daniel Copeman dazu klitzekleine Synths und Samples über diese Kunstwerke des elaborierten Trübsinns tröpfelt, ist es daher egal, ob man allein oder im Pulk ist. Der Magen vibriert sowieso.
Esben and the Witch – Hold Sacred (Nostromo Records)
Charles’ Blase & Apples Fire
Posted: May 8, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen | Leave a commentDie Gebrauchtwoche
1. – 7. Mai
Die Krönung von Queen Elisabeth II., selbst Ältere erinnern sich vermutlich nur noch dunkel, war schon deshalb ein Live-Ereignis mit hundertprozentiger Einschaltquote, weil es seinerzeit exakt einen Fernsehsender für vielleicht 5000 Apparate gab und auch darüber hinaus viel weniger Freizeitbeschäftigungen als heute. Juni 1953 halt. Genau 70 Jahre später jedoch ist die Welt derart voll von Entertainment, dass sogar epochales hart um Aufmerksamkeit kämpfen muss.
Schwer zu sagen, wie epochal die Krönung von King Charles am Samstag wirklich war. Aber die bis zu 250 Millionen Pfund teure Selbstinszenierung einer erzreaktionären Eliteninzestblase stundenlang auf vier (vier!) Sendern zu übertragen, ist eine zutiefst dubiose Monarchiehudelei und erinnert daran, was Constantin Film mit ihrem selbst- und schnapsbesoffenen Goldesel Til Schweiger macht. Oder Österreich mit dem rechtspopulistischen Getränkedosenmilliardär Dietrich Mateschitz, dessen Propagandakanal Servus TV vorm Aus steht.
Antwort: Stiefellecken, bis die Spucke versiegt. Also ein ähnlicher devotes Verhalten, das Patricia Schlesinger jahrelang beim RBB zuteilwurde und nun dazu führt, am Programm zu sparen, aber nicht am Personal. Deshalb gibt der RBB die Schirmherrschaft des MiMa an den MDR weiter, der vorige Woche maßgeblich an den 23. Medientagen Mitteldeutschland beteiligt war, bei denen es vordringlich ein Thema gab: Den Rundfunkbeitrag.
Dessen erhoffte Höhe hatten ARD, ZDF, Deutschlandradio fünf Tage zuvor offiziell bei der KEF eingereicht und hoffen nun auf angemessene Steigerung. Dann könnten sie vielleicht auch endlich mal ihre Kreativen abseits der Rampenlichter anständig bezahlen. Nur so bliebe Deutschland womöglich ein Autoren-Streik erspart, der das US-Fernsehen über Monate hinweg Content kosten dürfte. Und damit auch gelungene Serien, über die seit Freitag die neue Folge Och eine noch! Der Fernseh-Podcast diskutiert.
Die Frischwoche
8. – 14. Mai
Ein vorgestelltes Format darin, wenngleich kein gutes: Der Sechsteiler Zwei Seiten des Abgrunds, ab heute bei RTL+ abrufbar – sofern man aber auch echt nichts Besseres zu tun hat. Seine Füße anschauen zum Beispiel oder ein Schlammloch beim Vertrocknen… Anno Sauls „Thriller“ genanntes Machwerk über den Rachefeldzug eines haftentlassenen Ex-Mörders ist von so klischeegesättigtem Pathos, dass die großartige Anne Ratte-Polle viereinhalb Stunden spürbar rätselt, ob sie davon nun unter- oder überfordert wurde.
Keines von beidem trifft auf die wirklich wunderbare, weil unverkrampft lustige Bundesbiedermeier-Milieustudie Doppelhaushälfte zu, deren zweite Staffel Dienstag nach dem Mediatheken-Start im ZDF nun auch bei Neo läuft. Ihr größtes Pfund: heiterer Realismus auf Messers Schneide der Groteske, aber nie ganz darüber hinaus. Abzüglich der Heiterkeit gilt das auch für den bedingungslos authentischen Grenzgänger Kida Khodr Ramadan, dem die ARD-Mediathek ab Mittwoch ein dreiteiliges Porträt widmet.
Auch ein Porträt, wenngleich kein echtes, ist das Musical Muppets Mayhem. Im Stil baugleicher Fake-Reportagen der Leningrad Cowboys oder Spinal Tap bis hin zur deutschen Fantasieband Fraktus, begleitet ein Stab echter Rock’n’Roll-Legenden ab Mittwoch bei Disney+ die Wiedervereinigung der Muppet-Show-Kapelle um Drummer „Das Tier“, als wäre Jim Henson Biologe, nicht Puppenspieler. Großartig!
Ungefähr so wie die zehnteilige Literaturverfilmung Fire in the Sky aka City on Fire – da ist sich Apple TV+ ab Freitag im eigenen Titel nicht so ganz einig. Tatsache bleibt: das Drama um einen Mord im Central-Park kurz nach 9/11, dessen Täter(innen)suche in anarchistische, kapitalistische oder ideologiefreie Gewalt ausfranst, ist allein schon durch den grandiosen Soundtrack aus dem New York der Strokes-Periode fantastisch anzusehen und anzuhören, ohne je in Überwältigungston- oder -optik abzugleiten. Ob das auch für den Netflix-Film The Mother mit Jennifer Lopez als ebendie gilt – schaut es selbst…
Khesrau Behroz: Ken Jebsen & Drachenlord
Posted: May 6, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 4 donnerstagsgespräch | Leave a commentIch bin ja nur das Gesicht und die Stimme
Mit Cui Bono – WTF happened to Ken Jebsen wurde der deutsch-afghanische Journalist Khesrau Behroz (Foto: Hannes Wiedemann) zum aktuell angesagtesten Podcaster ohne Promi-Faktor im audiophilen Medienland und auch das nächste Hörstück aus der dunklen Ecke digitaler Mythenbildung zum Bestseller gemacht. Ein Interview mit dem 36-jährigen Flüchtlingskind übers Hören und Gesehenwerden.
Von Jan Freitag
freitagsmedien: Khesrau Behroz, hier im Kreuzberger Hinterhof-Loft Ihrer Produktionsfirma Undone steht einer der vielen Preise, die Sie für Cui Bono gekriegt haben, eher schmucklos auf der Fensterbank.
Khesrau Behroz: Das liegt aber eher an der Fensterbank als am Preis. Der ist nämlich sehr schmuckvoll! Es handelt sich um den Robert Geisendörfer Preis, den wir letztes Jahr für Noise erhalten haben.
Den Deutschen Podcastpreis für Cui Bono konnten Sie dagegen nicht persönlich entgegennehmen, weil Ihnen zugleich der Grimme Online Award in Marl verliehen wurde…
Ja, das war schon ein irrer Abend. Wir haben unser Team aufgeteilt. Ich saß mit einigen aufgeregt in Köln, hab aber parallel die ganze Zeit auf mein Handy geschaut und auf gute Nachrichten aus Berlin gehofft, wo ein anderer Teil des Teams gewesen ist. Ein richtig schöner Abend, der Höhepunkt unserer gemeinsamen Reise.
Aber auch ein anstrengender, könnte man meinen – so viel öffentliche Resonanz und Medienpreise für etwas zu bekommen, was anfangs eher unter dem Radar lief?
Ich würde das Ausgezeichnetwerden nicht als anstrengend beschreiben, aber es stimmt natürlich, dass wir damals einfach gar keine Zeit hatten, diesen Erfolg mal richtig zu reflektieren. Wir waren einfach atemlos – und haben den Rausch genossen.
Gibt es da ein inneres Ranking, welcher der vier Awards wichtiger war?
Nein, jeder davon steht ja für ein bestimmtes Umfeld mit einem bestimmten Background. Der Podcastpreis kommt zum Beispiel direkt aus dem Inneren des Mediums, der Reporter:innen-Preis ist einer für die fachliche, also vor allem journalistische Leistung. Der Grimme Online Award dagegen geht mehr in die Breite und zeigt damit nicht nur, wie populär und angesehen Cui Bono ist, sondern das Podcasten insgesamt, weswegen es schon Ehre genug war, für den Nannen-Preis nur nominiert worden zu sein. Und dann gab es ja auch noch den Preis für Popkultur.
Der eher aus den Musikbereich prämiert.
Und uns als „Schönste Geschichte“, die vorher unter anderem Rezos Zerstörung der CDU gewonnen hatte. Es war unser erster Preis, der vor allem für Unterhaltung steht. Da standen wir also neben Zoe Wees, Danger Dan und den No Angels auf dem Podium, hatten aber überhaupt nicht das Gefühl, es sei irgendwie weniger wert, weil gute Popkultur zu machen mindestens so schwierig ist, wie guter Journalismus. Und beides ist unser Anspruch.
Ist Podcasten demnach ein popkulturelles Phänomen oder einfach die natürliche Weiterentwicklung von Radio und Hörspiel?
Podcasten ist vor allem ein Riesensprung der medialen Verbreitungsmöglichkeiten, individuell und dezentral über Geräte wie Smartphones, die unser aller Leben massiv mitbestimmen, jederzeit auf kreative, kuratierte Arbeiten zugreifen zu können. Das ist nicht nur gut für den Journalismus, sondern auch die Unterhaltung und erklärt einen Teil unseres Erfolges.
Was erklärt den anderen, dass ausgerechnet Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen so durch die Decke gegangen ist?
Das liegt zum einen an der schön polierten Oberfläche, in die wir nicht nur inhaltlich, sondern auch technisch und künstlerisch wahnsinnig viel investiert haben. Es reicht vom Sounddesign bis hin zur Musik. Jakob Ilja hat sie eigens für den Podcast komponiert und so gestaltet, dass sie mit dem Text korrespondiert. Jeder Satz, der geändert wurde, ging zurück an Jakob, um die Musik entsprechend anzupassen.
Und inhaltlich?
Waren wir einfach zur richtigen Zeit im richtigen Medium. Die gesellschaftliche Unsicherheit und Sensibilität war angesichts grassierender Verschwörungsideologien 2021 einfach besonders groß. Die so genannten „ganz normalen Leute“ haben Schulter an Schulter mit bekannten Rechtsradikalen zu Tausenden auf Querdenken-Demos gegen die Gesetze von Wissenschaft und Logik gehetzt. Da haben wir uns, wie viele andere Journalist:innen auch, gefragt, wo die alle herkommen und das am Beispiel von Ken Jebsen versucht, nachvollziehbar zu machen.
Was war denn zuerst da – die Querdenken-Ideologie als Massenphänomen oder eure Idee, daraus einen Podcast zu machen?
Das massenhafte Aufwallen der Querdenken-Ideologie war definitiv zuerst da. Wir suchen unsere Themen fast immer entlang bestehender gesellschaftlicher Irritationen. Diese war also bereits da und hat uns motiviert, genauer hinzusehen, welche Spielfiguren dahinterstecken. Und als uns dabei der umgeschwenkte Radiomoderator Ken Jebsen aufgefallen ist, haben wir uns da mit allem, was wir haben, draufgestürzt.
Wie viele Personen sind denn an einer sechsstündigen Produktion von dieser Qualität wie lange beschäftigt?
Viele, ich bin ja nur das mittelmäßige Gesicht und die Stimme. Die Herstellung dauerte ein Jahr. Und beteiligt waren immer so zwischen zehn und 15 Personen von Redaktion, Recherche, Musik über drei Producer:innen, die das ganze technisch zubereiten, bis hin zur optischen Ausgestaltung, also Coverdesign oder Online-Auftritt. Genauso, wie der Inhalt Ausdruck einer Collage verschiedener Faktoren ist, war es auch das Team dahinter.
Klingt teuer…
Ist es auch, wobei der Preis überhaupt nichts über die Qualität aussagt; du kannst mit sehr wenig Geld hervorragende Podcasts produzieren und mit sehr viel Geld, durchschnittliche. Aber ein gutes Team und hohes technisches Niveau sind selten billig.
Also wie teuer nun?
Ich werde hier jetzt keine genaue Summe nennen, aber wir bewegen uns auf jeden Fall im sechsstelligen Bereich.
Gehört dazu mittlerweile auch Marketing oder hat sich die zweite Folge Cui Bono über den Drachenlord dank Ken Jebsen quasi selbst vermarktet?
Wir versuchen schon unsere Netzwerke aller Kanäle zu nutzen und investieren auch etwas in Pressearbeit, die Zeit und Arbeit kostet.
Sind Studio Bummens und K2H dabei denn anfangs in Vorleistung auf einen theoretisch denkbaren Erfolg gegangen oder war das Projekt von Beginn an durchfinanziert?
Vor allem Studio Bummens ist mit dem Projekt ein gehöriges Risiko eingegangen und hat es vorfinanziert. Ich selbst war damals angestellt bei K2H, als wir mit der Arbeit an der ersten Staffel begonnen haben. Und da standen die Kooperationspartner:innen, also NDR und rbb, noch gar nicht final fest. Ihre Teilnahme hat die Fertigstellung und Veröffentlichung dann auch ermöglicht.
War damals denn mit dieser Resonanz zu rechnen?
Nein, die hat unsere wildesten Erwartungen übertrumpft! In erster Linie wollten wir einen guten Doku-Podcast machen, der sich am Niveau amerikanischer Formate wie Wind of Change und 9/12 oder Running from Cops von Dan Taberski orientiert.
Woher kannten Sie die?
Ich habe natürlich auch vor Cui Bono schon Podcasts gehört – da kommt man um diese Arbeiten nicht umhin. Das verbindet auch mich und Tobias Bauckhage von Studio Bummes, mit dem ich sehr eng zusammengearbeitet habe und ohne dessen klugen inhaltlichen wie formalen Ideen Cui Bono nicht geworden wäre, was es geworden ist. Als er aus Amerika zurückkam und wir uns getroffen hatten, haben wir gemerkt, ähnliche Interessen und Ideen zu haben, was dokumentarisch erzählte Podcasts angeht.
Woher rührt denn Ihr Interesse beim Doku-Podcast an den dunklen Ecken des Internets, in dem zwar nur wenige zu hören sind, das aber sehr laut?
Eben weil sie kaum zu überhören sind, dabei jedoch eine Irritation erzeugen, die mich dazu animiert, genauer hinzusehen, was genau da mit uns und der Gesellschaft passiert. Unser Bestreben ist es, durch die Lautstärke zum eigentlichen Kern der Sache vorzudringen. Denn popkulturelle, aber auch journalistische Betrachtungen bleiben da oft auf der phänomenologischen Ebene stecken, berichten also über Gerichtsprozesse, Demonstrationen oder Events, auf denen etwas Außergewöhnliches gesagt, passiert, entstanden ist. Nichts gegen diese Art der Betrachtung, aber wir betreiben eher Ursachenforschung. Und dafür ist Podcast ein sensationelles Medium.
Warum genau?
Unter anderem, weil wir selber entscheiden, wie viel Sendezeit eine Story benötigt, um sie ganz zu erzählen.
Ist lang erzählt generell besser als kurz?
Nein, man findet Erhebungen in beide Richtungen. Beim Hören ist kurz oder lang letztlich eine Frage von Geschmack, Zeitbudget und der Aktivität, die man nebenbei betreibt. Aber das Schöne am Podcasten ist ja: Es ist für alle etwas dabei.
Orientiert sich Cui Bono dennoch an Zielgruppen?
Wenn wir eine Idee haben, die uns begeistert, stellen wir uns die Zielgruppen-Frage gar nicht. Deshalb kann ich mich auch nicht daran erinnern, dass wir uns mal hingesetzt hätten, um darüber zu sprechen. Wir haben auch keine Personas entwickelt oder irgendwelche anderen Methoden der Formatentwicklung angewendet. Uns war früh klar: Wir haben eine interessante Recherche, eine gute Geschichte, tolle Leute, die uns dabei unterstützen – wir haben uns also voll und ganz darauf verlassen.
Und Plattformen wie Podigee oder Spotify mischen sich auch nicht ein?
Nein. Spotify hat Zielgruppen sicher genau im Blick, wenn sie neue Originals in Auftrag geben. Aber bei Cui Bono sind sie ja – wie Apple, Amazon, Google und andere – ausschließlich Plattforminhaber gewesen. Wenn wir dort laufen, erheben sie ganz gewiss eigene Metadaten, die sie ja auch teilweise mit den Publishern teilen, Absprungraten und dergleichen, aber das hat keinen unmittelbaren Einfluss auf unsere Arbeit, unsere Themenauswahl oder unsere Interessen.
Sind diese Interessen wie vorhin erwähnt allein soziokultureller oder auch persönlicher, also privater Natur?
Immer beides. Wer sich wie wir einer Geschichte schon mal zwölf Monate widmet, muss davon definitiv auch persönlich gepackt werden. Ich würde niemals so viel Lebenszeit investieren, wenn es mir nicht auch als Mensch wichtig wäre und das Gefühl gäbe, damit was bewirken zu können.
Was möchten Sie denn bewirken?
Ich möchte Sinn machen und vertraue nicht immer darauf, dass er sich einfach so von alleine ergibt. Heißt: Ich möchte Momente der Wahrheit finden, Sinnzusammenhänge herstellen. Das geht nur, wenn man sich, wie wir, die Zeit nimmt und auch mal ordentlich rauszoomt. Wie gesagt: Weg von der rein phänomenologischen Betrachtung, hin zu mehr Kontext. Nur so lassen sich komplexe gesellschaftliche Entwicklungen erzählen. Ich möchte, dass unsere Zuhörer:innen nicht unbedingt das Gefühl haben, hinterher klüger zu sein, sondern dass sich bei ihnen so etwas wie Verständnis entwickelt. Es geht um Befähigung und nicht um Erziehung.
Kosten sich berufliches und privates Interesse gegenseitig weder journalistische Objektivität noch emotionale Verbundenheit?
Niemand macht Journalismus, um Braveheart-mäßig „Objektivität!“ brüllend in die Schlacht zu ziehen. Journalismus machen, das ist für mich auch eine Frage der Haltung. Und die kann emotional sein. Oder satirisch aufgearbeitet, siehe auch ZDF Magazin Royale. Gerade beim Podcasten ist es aus meiner Sicht völlig in Ordnung und möglich, ohne an journalistischer Glaubwürdigkeit einzubüßen, Emotionen zuzulassen – solange ich mir darüber im Klaren bin, wo sie herrühren und was sie bewirken, also reflektiert und erzählt werden. Auch deshalb ist Cui Bono ja komplett gescriptet.
Wie komplett genau?
Jedes Wort, jede Regung, alle Chuckles und Seufzer, manchmal sogar das hörbare Ausatmen oder Schlucken – all diese Dinge schreibe ich in der Regel direkt in die Skripte rein, weil sie als Signale bei den Hörer:innen ankommen, die besonders bei einem sensorisch reduzierten Medium wie Podcasts wahnsinnig wichtig sind.
Sind Sie selbst ein so akustischer Typ und haben früher schon gern Radio gehört?
Ich habe nie routinemäßig Radio gehört. Ich höre im Übrigen auch gar nicht so viele Podcasts, vor allem auch nicht jetzt, wo ich mich fast täglich mit unseren eigenen auseinandersetze. Natürlich gibt es ein paar, bei denen ich sehr gerne einschalte, und ein paar Autor:innen, von denen ich sogar Fan bin.
Zum Beispiel?
Da fällt mir wieder Dan Taberski ein, ich bin echt Fan all seiner Arbeiten. Was er mich beim Zuhören gelehrt hat: Nichts geht über Empathie und Neugier. Ich muss auch meine Antagonist:innen wie Held:innen erzählen können – oder ihnen zumindest empathisch begegnen. Mir ist einfach wichtig, dass bei den Menschen was hängenbleibt, das sie berührt. Und weil wir buchstäblich im Ohr der Leute hängen, ist Podcast als äußerst intimes Medium dafür so gut geeignet. Ein Medium, bei dem es ums Zuhören geht.
Und damit eigentlich ein extrem anachronistisches in unserer maximal visuellen Zeit optischer Optimierungszwänge über soziale Medien!
Und genau deswegen empfinde ich Podcasts inzwischen als so etwas wie einen Befreiungsschlag gegen den Zwang zur visuellen Dauerberieselung. Oder etwas weniger drastisch: als gute Alternative. Wenn man sich Plattformen wie Netflix oder auch Youtube ansieht, ist man dabei schließlich sensorisch komplett gebunden, also auch örtlich gefesselt und von vielen anderen Sinnen abgekoppelt. Podcasts kann man nebenbei hören und dennoch auf beide Tätigkeiten fokussiert bleiben, es ist im besten Sinne des Wortes ein Begleitmedium.
„Nebenbei begleiten“ klingt allerdings auch ein bisschen nach „beiläufig berieseln“. Wie hält ein guter Podcast sein Publikum anspruchsvolle bei der Stange, ohne es einzulullen oder einzuvernehmen?
Da muss man als Geschichtenerzähler das Rad nicht neu erfinden. Inhalt, Dramaturgie, Fallhöhe, Cliffhanger, Pausen, Tempo, Twists, Teaser, Wendungen – all das war auch vorm Podcast schon wichtig für fesselnde Spannungsbögen.
Wie wichtig ist eine gute Stimme? Wo wir uns jetzt hier gegenübersitzen, reden Sie zwar pointiert und fehlerfrei, allerdings auch wahnsinnig schnell…
Danke?
In Cui Bono dagegen ist Ihr Erzähltempo eher gemächlich. Legen Sie vorm Mikro einfach einen Schalter um?
Den gibt es, im Tonstudio spreche ich natürlich anders als außerhalb. Was aber ganz sicher nicht nur mir so geht, sondern den meisten Hosts und Sprecher:innen. Außerdem habe ich zum Glück eine gute Regie, die mir im Zweifel hilft.
Und eingreift, wenn die Geschwindigkeit anzieht?
Genau. Aber nicht nur dann. Manchmal sagt mir Tobi bei den Cui Bono-Aufzeichnungen auch, wenn ich zu gesetzt klinge, zu unernst oder schlicht nicht passend zum Text.
Wie viele Takes gönnt sich eine Independent-Produktion dafür im Zweifel pro Szene, bevor man die zweitbeste nimmt?
In der ersten Staffel Cui Bono, wo ich meinen Rhythmus noch finden musste, auf jeden Fall mehr als in der zweiten. Wenn es tricky wird, können es aber auch heute noch locker 20 sein und trotzdem nimmt man am Ende den vierten Take. Aber so oder so: Manchmal braucht man nur einen für komplizierte Passagen, manchmal fünf für vermeintlich leichte. Podcasten ist unberechenbar.
Haben Sie mal Sprechtraining gemacht?
Nein.
Und würden Sie es anderen empfehlen?
Das ist eine persönliche Entscheidung, die auch davon abhängt, was man machen möchte. Es ist auch irgendwo eine philosophische Überlegung vielleicht. Ich würde ja sagen: Ich spreche überhaupt nicht, ich bin kein Sprecher, sondern Host. Mit der Haltung wiederum spreche ich ganz anders…
Ist dieses konzentrierte Sprechen mit der richtigen Betonung an der richtigen Stelle demnach Begabung, learning by doing, beides?
Es ist vor allem learning by hearing. Und dann, ja, by doing. Und anders als beim Verlesen der Nachrichten muss man Podcast-Texte eher noch ein wenig spüren. Da hilft es sehr, sie selbst verfasst zu haben.
Muss ein guter Storytelling-Podcast über dieses Gefühl hinaus noch weitere, vielleicht sogar goldene Regeln beachten?
Es gibt für uns ein paar goldene Grundsätze, ja. Musik sollte zum Beispiel niemals als Hintergrundgedudel wahrgenommen werden. Sie ist ein eigener, wertiger Teil der Dramaturgie, um die Geschichte zu erzählen und Stimmungen nicht bloß zu verstärken, sondern zu moderieren. Bei Cui Bono hatten wir anfangs ein Orchester, dessen Sound sich immer weiter aufgebaut hat, bevor er im Finale förmlich in sich zusammenbricht und damit Ken Jebsens Werdegang kommentiert. Wenn Musik nur reingegoogelt wird, lieber weglassen.
Weitere Grundsätze?
Das Sprechtempo hatten wir ja schon. Wenn du so schnell redest, wie ich gerade mit Ihnen, so schnell, dass dich die eigenen Worte überholen, wird es zu unruhig. Also: Sorry, das wird in der Transkription bestimmt anstrengend… Außerdem ist es gerade bei umfangreicheren, faktenbasierten, stark gebündelten Podcasts wie unserem wichtig, Wegweiser und -marken zu setzen, also das Publikum zwischendurch mal auf einen gemeinsamen Kenntnisstand zu setzen, sonst verliert es sich in der schieren Informationsfülle. Man darf sich nie ganz auf das Kreativ-Künstlerische verlassen, sondern immer auch aufs Technisch-Erklärende.
Zum Beispiel?
Ach, wenn du einen Zeitsprung ins Jahr 1996 machst und dort eine Weile weitererzählst, ist es extrem hilfreich, irgendwann noch mal die Jahreszahl auszusprechen. Da braucht das Skript präzisere Handreichungen als nur einen Ton, der ein Szenenwechsel ankündigt.
Könnten Sie angesichts dieser Genauigkeit Ihrer Skripte bis ins kleinste Detail eigentlich auch einen Gesprächspodcast machen oder brauchen Sie als Host präzise vorgefertigten Text?
Naja, der präzise vorgefertigte Text ist ja mein eigener; im Schreibprozess lese ich ihn sicherlich hundertmal laut vor. Das fertigstellte Skript, mit dem ich ins Studio gehe, ist gewissermaßen die Transkription des Vorgelesenen. Aber klar könnte ich mir vorstellen, mal einen Gesprächspodcast zu machen und denke auch darüber nach. Ich habe großen Respekt vor allen, die diese ungeskripteten Formate machen – denn so einfach wie das klingt, ist es nicht.
Sind Sie, was Podcasten betrifft, ein Perfektionist, der aufs größtmögliche Publikum zielt?
Durchaus. Ich hatte vorhin zwar erwähnt, dass mögliche Zielgruppen eher am Ende der Erwägung stehen, aber Reichweite ist uns schon wichtig.
Kleben Sie demnach manchmal an den Metadaten und zählen Zugriffe?
Klar. Vor allem kurz nach Veröffentlichung eines neuen Podcasts. Da ist die Aufregung schon groß. Ich möchte ja nichts nur für mich selber machen, vor allem nicht bei diesen großen Produktionen, in die wir viel Zeit reinstecken. Ein ganzes Team, das viele Monate an etwas arbeitet, hat mehr als ein paar Hundert Zuhörer:innen verdient.
Spätestens an dem Punkt stellt sich die Frage: Cui Bono – wem zum Vorteil ist dieser Podcast, wer verdient daran und wie viel?
Zunächst einmal impliziert Cui Bono ein dunkles Motiv, vielleicht sogar eine Verschwörung. Die Wahrheit ist: Wir sind Journalist:innen, Produzent:innen und Musiker:innen, die mit ihrer Arbeit natürlich Geld verdienen wollen, um Mieten zu bezahlen, Rechnungen zu begleichen und überteuerte vegane Restaurants auszuprobieren. Irgendwie ist das ein wenig so, als würde man einen Bäcker fragen, warum er Brötchen backt. Ich finde die Antwort darauf evident… Aber um die Frage nach dem „wie viel?“ zu beantworten: Wer das große Geld verdienen will, ist mit aufwendigen Doku-Podcasts, an denen man ein Jahr lang arbeitet und die man dann innerhalb von fünf Wochen ausspielt, sicherlich nicht so gut bedient.
Verglichen mit Gesprächspodcasts also?
Das ist definitiv der lukrativere Weg – sofern man es schafft, ein Publikum zu finden. Allein die Regelmäßigkeit im Wochen- oder Monatsrhythmus, womöglich mit messbar wachsendem Zugriffszahlen, hilft bei der Suche nach Werbepartner:innen enorm – besonders dann, wenn prominente Persönlichkeiten am Mikro sitzen und Werbung ziehen. Damit verdienen mittlerweile nicht wenige ganz gutes Geld. Wir werden als Undone da dieses Jahr noch was Anderes ausprobieren, aber ein Format wie Cui Bono funktioniert vorerst besser durch Kooperationen, etwa mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder privaten Partner:innen wie RTL+Musik.
Storytelling braucht Sponsoring, ein Gesprächspodcast richtige Werbung?
So ungefähr. Der deutsche Podcastmarkt lebt aktuell von so genanntem Empfehlungsmarketing. Deine liebsten Podcaster:innen empfehlen dir also diese eine Matratze, die auch ihnen dabei hilft, wun-der-bar zu schlafen!
An welchem Punkt der Planung sind bei Cui Bono denn NDR und rbb mit ihren gut gefüllten Gebührentöpfen hinzugekommen?
Es gab erst die Idee, dann die Annäherung und bald die Zusage.
Weil man dich in Hamburg und Berlin vorher schon kannte oder vom Konzept überzeugt war?
Als Angestellter der Produktionsfirma K2H…
Die damals schon Informationsinhalte für beide Sender geliefert hatte.
… der weder Host noch Autor war, kannten die seinerzeit allenfalls meinen Namen. Der Lead in den Verhandlungen war Tobias Bauckhage von Studio Bummens. Ich bin zwar immer noch Teil eines Teams, aber mittlerweile wissen die schon, wer ich bin. Zumindest hoffe ich das!
Warum haben Sie nach dem Erfolg von WTF happened to Ken Jebsen dennoch Ihre eigene Firma Undone gegründet und gemeinsam mit Studio Bummens und RTL+Musik Staffel 2 produziert?
Zum einen, weil im Jahr nach der ersten Staffel so wahnsinnig viel passiert ist, dass eine Änderung nötig war. Zum anderen, weil ich mich schon lange mit eigener Firma und meinem besten Freund Patrick Stegemann selbstständig machen wollte. Der Wunsch war immer da, und der Erfolg von Cui Bono hat ihm krassen Rückenwind gegeben. So entstand Undone.
Mit wie vielen Mitarbeiter:innen?
Mittlerweile acht festangestellten und eine Reihe freier, die wir projektbezogen für die Recherchen dazu holen.
Hat sich das Arbeiten dadurch verändert?
Schon, die Partner haben sich ja geändert. Statt NDR und rbb war in der 2. Staffel RTL+Musik dabei, aber weiterhin Studio Bummens und eben wir als Undone. Aber den anderen Podcast des Vorjahrs…
Legion übers Hacker-Kollektiv Anonymous.
… haben wir wieder mit NDR und rbb gemacht. Das wechselt anlass-, themen- und konzeptbezogen. Wir arbeiten da wirklich gerne offen mit allen zusammen, solange das zu den Projekten passt.
Machen Sie sich Ihre Popularität gepaart mit eigener Firma und wachsender Netzwerkdichte künftig nutzbar, um Ihr Portfolio breiter aufzustellen oder bleiben Sie in der lauten Nische des Internets, den Drachenlords und Verschwörungsideologen?
Weder noch, denn unser Themenkern kreist immer noch um die Frage: Haben wir eine kleine Geschichte, um die große dahinter zu erzählen? Wer mich ein bisschen besser kennt, kann den Vergleich vermutlich nicht mehr hören, aber Leute wie Ken Jebsen oder Rainer Winkler sind für mich Trojanische Pferde, die ich in all ihrer Pracht vor die Türen unserer Zuschauer:innen stelle, um mit deren Hilfe hineingebeten zu werden. Wer dann einmal drin ist, kann langweiliges Zeug wie Gesellschaftsanalyse und Ursachenforschung machen. (lacht)
Haben Sie das Trojanische Pferd Ken Jebsen dafür persönlich getroffen?
Nein, es gab mehrere Kontaktversuche, bei denen ich ihn mit unseren Rechercheergebnissen konfrontiert habe, aber es gab nie eine Antwort. Auch so hat das Pferd „Aufstieg und Fall eines bekannten Radiomoderators“ jedoch bestens funktioniert, um die Mauer der Verschwörungsideologie zu überwinden. Oder am Beispiel des „Drachenlords“ Rainer Winkler: durch dessen Schicksal sind wir in die dunkelsten Bereiche des Cyber Mobbings vorgedrungen. So lernt man am Beispiel beider auch viel über die letzten zehn, zwanzig Jahre bundesdeutscher Geschichte – etwa, was Reality TV aus der Gesellschaft gemacht hat, in der wir leben.
Geht es Ihnen abseits von Unterhaltung und Journalismus darum – Bildung, Lernen, letztlich also Pädagogik?
Nein. Wie vorhin kurz angedeutet: Es geht um Befähigung. Das ist für mich die Aufgabe von gutem Journalismus, vor allem in einer Demokratie: Menschen neue Sinnzusammenhänge aufzeigen, sie nicht verteufeln und nicht auf sie hinabschauen. Die Wahrheit ist: Auch wir lernen ja erst im Laufe unserer Recherche all die Dinge, die wir dann sehr selbstbewusst in Podcasts und Interviews von uns geben.
Reflektieren Sie am Beispiel Ihrer Recherche eigentlich hauch das eigene Mediennutzungsverhalten?
Na klar. Deshalb haben wir uns gerade im Zuge der zweiten Staffel Cui Bono mehr denn je selbst hinterfragt. Wir nehmen uns bei der Kritik an den Verhältnissen nicht raus.
Man steht schließlich nicht im Stau, man ist der Stau!
Ganz genau. Ich bin auch auf sozialen Medien und Messengern aktiv, habe auch Big Brother geschaut, bleibe bis heute manchmal bei Reality TV hängen und binge fix mal zehn Stunden Netflix, wenn mir nichts Besseres einfällt. Aber das ist mir und uns auch wichtig für unsere Art des Podcastings: Es gibt kein „wir“ und kein „ihr“, es gibt ein kollektives „uns“, das alle und alles betrifft. Der Podcast geht auch mich selber an.
Hat Ihre Impulskontrolle auf Social Media auch schon versagt, haben Sie mal jemanden gehatet, gar gemobbt?
Jetzt hören Sie einen Satz, den ein weniger seriöses Blatt in die Überschrift nehmen würde: Ich war nie ein Mobber. Aber klar habe ich auch mal übertrieben, hab schneller getippt als gedacht. Das gilt nicht nur für die öffentliche, sondern auch die private Kommunikation.
Wie ist es mit Ihnen als Adressat – kriegen Sie, auch als Mensch mit dem berühmten Migrationshintergrund, viel Hass ab im Netz?
Ja, ja. Da kommt einiges an.
Wie gehen Sie damit um?
Der beste Weg für mich ist, gar nicht zu reagieren. Social Media funktioniert als Abfolge von Reaktionsmustern, auf die man sich einlässt oder eben nicht. Ich neige zu letzterem. Das regt die höllisch auf.
Wo befindet sich da denn Ihre Reaktionsschwelle?
Ach, es wird meistens relativ schnell klar, ob jemand diskutieren oder pesten will. Und wenn es die Aussage nicht offenbart, tut es spätestens ein Click aufs Profil der Person und ihre Postings. Meine persönlichen Filter funktionieren da mittlerweile bestens. Hater sieht man sofort.
Wie stark wird beim Hass Ihre Herkunft thematisiert, die sich in Namen und Gesicht sichtbar widerspiegelt?
Stark.
Sie sind im Alter von sieben Jahren aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. Hat diese Biografie etwas mit Ihrer thematischen Gewichtung bei Cui Bono zu tun?
Diese Biografie spielt natürlich immer eine Rolle – beruflich ebenso wie privat. Es nützt überhaupt nichts, das wegzuleugnen… Aber die Links in mein aktuelles journalistisches Themenfeld ist mindestens zu gleichen Teilen Zufall und generellem Interesse wie meiner Herkunft geschuldet. Selbst die erste Staffel Cui Bono, wo meine Mutter und meine Kindheit in Kassel zur Sprache kommen, folgt da eher dramaturgischem Interesse. Ich versuche eben grundsätzlich kein afghanischer Journalist zu sein, der ständig über sein Geburtsland berichtet.
Klingt, als käme da noch ein Aber?
Aber irgendwann möchte ich mich dennoch auch in einer größeren Arbeit beruflich damit auseinandersetzen. Es hat sich bislang nur noch nicht angeboten.
Aber doch womöglich von anderen aufgedrängt; wurden Sie, etwa nach dem Fall Kabuls, als Afghanistan-Experte angefragt?
Na klar, da kamen ständig Interviewanfragen – Fernsehen, Online, Radio, überall. Und das ist ja auch besser, als überhaupt nicht nach unserer Situation, unserer Stimmung, unserer Expertise befragt zu werden. Ich würde nur gerne was über Afghanistan erzählen, wenn dort gerade mal nichts explodiert.
Auch in Form eines Podcasts?
Warum nicht. Bislang hat mich allerdings noch niemand gefragt. Beziehungsweise, wenn ich denn mal was angeboten habe, hieß es, Afghanistan sei gerade kein Thema. Tja.
Waren Sie denn wenigstens schon in Frank Joungs fabelhaftem Gesprächspodcast Halbe Katoffl zu Gast, bei dem er mit Menschen fernerer Wurzeln redet, ohne dauernd deren Herkunft zu thematisieren?
Kenne ich, war ich aber noch nicht.
Und was folgt als Host und Sprecher als nächstes?
Also noch genießen wir den Launch von Cui Bono 2 in vollen Zügen. Von Cui Bono 3 gibt’s noch nichts zu berichten. Dafür geht Noise in die 2. Runde und Ende des Jahres kommen zwei große Investigativ-Geschichten raus, über die wir natürlich nichts sagen können. Außerdem läuft bald unser erstes wöchentliches Format….
Also doch.
Also doch!
Aber weiterhin strikt akustisch oder könnten Sie sich auch vorstellen, vor Kameras sichtbar zu werden?
Auch darüber wird nachgedacht. Wir denken ja generell über vieles nach.
Friedrichs Informant & White House Plumbers
Posted: May 1, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen | Leave a commentDie Gebrauchtwoche
24. – 30. April
Am Freitag war es wieder so weit. Da haben ARD und ZDF ihren Finanzbedarf bei der KEF angemeldet, der vermutlich ein paar Cent über den aktuellen 18,37 Euro liegt, von denen die 16 Mitglieder ein paar weniger bewilligen, worauf Volkszornseismographen wie Markus Söder und Rainer Haseloff abermals zur Endschlacht um AfD-Fans blasen, was das Bundesverfassungsgericht nach etwas Aufruhr Boulevardblätterwald kassieren wird, und in zwei Jahren wiederholt sich das unwürdige Schauspiel aufs Neue.
Und Neue… Und Neue… Und Neue…
Wäre das nicht die Realität, würde Sat1 darüber womöglich eine Daily-Soap machen und vor oder nach der frisch verkündeten namens Die Landärztin senden, was definitiv einer Revolution des Fernsehvorabends gleicht. Zur Konterrevolution hat unterdessen Jan Fleischhauer im FDP-Fanzine Focus geblasen, wo der rechtsgedrehte Ex-Journalist seinen geistig-ideologischen Bewegungsbuddy Mathias Döpfner als Gesocks- und Demokratie-Verächter in Schutz nimmt und damit voll auf Linie von dessen Verlegerkollegen Holger Friedrich ist.
Der wiederum hat nämlich Julian Reichelt beim Springer-Chef dafür verpfiffen, dass dessen früherer Bild-Chef vertrauliche Informationen über Döpfners Gebaren an Friedrichs Sextoy Berliner Zeitung durchgestochen hatte, und zeigt mit diesem Bruch des Informanten-Schutzes eindrücklich, was ein IM wie er einst bei der Stasi über Pluralismus und Pressefreiheit lernen konnte. Dass Springer gegen Reichelt Strafanzeige erstattet hat, dürfte da nur die Nebenrolle spielen.
Es sagt aber viel aus über einen Sumpf, in dem auch Horrorfrösche wie Tucker Carlson quaken. Der – nicht mehr nur rechtsradikale, sondern amtlich faschistoide – Dampfplauderer ist ohne Angabe von Gründen bei Rupert Murdochs Sturmgeschütz Fox News rausgeflogen und könnte aus Rache womöglich gegen Donald Trump antreten. Ob dessen heimlicher Fan Til Schweiger hierzulande gegen Robert Habeck antritt, bleibt vorerst offen, aber falls der durchschlagskräftige Produzent eine Partei gründet, könnte sie AdF heißen: Auf die Fresse.
Die Frischwoche
1. – 7. Mai
Wie man jenseits von Politik Politik betreibt, könnte der alkoholaffine Set-Berserker dann ja ab Dienstag in der famosen Realsatire The White House Plumbers lernen. Leider nur fünfmal 50 Minuten erzählt uns Sky im Stile technicolorbunter Heist-Movies, wie Richard Nixons CIA-Truppe um G. Gordon Liddy (Justin Theroux) und E. Howard Hunt (Woody Harrelson) in der Watergate-Affäre versagt haben. Ein brüllend komisches Manifest des staatstragenden Dilettantismus.
Lustig soll auch Queen Charlotte sein, wenn das kombinierte Pre- und Sequel der Netflix-Serie Bridgerton ab Freitag eine Randfigur der spätbarocken Kostüm-Party ins Zentrum stellt. Für Fans von seriösem Kitsch ein absolutes Muss, für solche origineller Emanzipationsfiktionen irgendwie auch, aber wer es noch immer eher bescheuert als woke findet, dass der britische Hochadel vor 200 Jahren voller PoC ist, sollte abermals das Weite suchen.
Gleiches gilt für jene, denen Der Pass schon in den ersten zwei Staffeln zu dark, pathetisch, selbstreferenziell war. Andere aber dürften die neuerliche Grenzerfahrung von Julia Jentsch und Nikolas Ofczarek tags zuvor bei Sky gewohnt virtuos und fesselnd finden – auch und gerade, weil die Ritualkillerthematik mal wieder unerträglich schön ausformuliert wurde. Ähnlich bedrückend, ähnlich berückend ist die nächste Postapokalypse bei Apple TV+.
Freitag finden sich darin 10.000 Endzeit-Überlebende in einem Silo genannten Bunker mit rigider Geburten- und überhaupt totaler Kontrolle, die sich allerdings gar nicht so totalitär anfühlt, weil alle hier Schicksalsbegünstigte zu sein scheinen – bis die kernige Mechanikerin Juliette (Rebecca Ferguson) hinters Geheimnis der unterirdischen Insel kommt und dagegen rebelliert. Zehn Teile hat Showrunner Graham Yost Hugh Howies Roman-Trilogie ein opulentes SciFi-Märchen gemacht, das optisch überwältigt und inhaltlich unterwandert.
Der Wochenrest in Stichworten: Paramount+ macht den gleichnamigen Eighties-Thriller Fatal Attraction ab heute zur Serie. Parallel startet im ZDF die Dokureihe Am Puls mit Presenter:innen wie Jana Pareigis. Morgen wird Anne Franks Helferin bei Disney+ (Ein Funken Hoffnung) zur Serienheldin, während die ARD-Mediathek in Skate-Evolution drei Teile lang Deutschlands Rollbrettkultur Revue passieren lässt und die Arte-Doku Wanted einen Waffenhändler porträtiert.