Dani Levy: Alles auf Zucker & Der Scheich

Ich bin ein bipolarer Dienstleister

Dani Levy beim Paramount+ Launch Event im UCI Luxe Mercedes Platz. Berlin, 07.12.2022 *** Dani Levy at the Paramount La

Dani Levy (Foto: Sebastian Gabsch/IMAGO/Future Image) hat seit jeher ein Faible für Betrüger. Im Zehnteiler Der Scheich porträtiert hat er einen für Paramount+, der real existiert und doch unglaublich ist. Ein DWDL-Gespräch über Schein, Sein, menschliche Gier und die Achillesferse des Kapitalismus.

Von Jan Freitag

Herr Levy, wenn man sich Ihre Filme wie Alles auf Zucker oder Die Känguru-Chroniken und jetzt Der Scheich anschaut – haben Sie ein Faible für Dampfplauderer mit der Tendenz zum Blender?

Dani Levy: Meine Liebe für solche Figuren hat aber weniger mit ihren Taten als mit den Persönlichkeiten dahinter zu tun. Viele Blender täuschen aus inneren oder äußeren Zwängen heraus, nicht aus Freude am Betrug. Für die Getäuschten wiederum wird die Lüge zu einer gewünschten Wahrheit. Das faszinierende an dem Thema ist das Spiel mit Schein und Sein.

Eine der Kernfragen des Filmemachens.

Film als solches ist auch eher Schein als Sein. Im Kinofilm Das Leben ist zu lang habe ich mit der Idee experimentiert, dass er sich selbst demontiert. Nachdem die Hauptfigur erkennt, dass sie nur meine Hauptfigur ist, fängt er an, den eigenen Film zu sabotieren. Film will immer geglaubt werden, aber da war die Message an den Zuschauer: du solltest gar nichts glauben. Die Scheinhaftigkeit des Daseins mit seiner Fülle an Möglichkeiten uns unsere eigene Existenz zu erfinden, interessiert mich aber noch aus einem anderen Grund.

Nämlich?

Ob Sie jetzt soziale Medien, Werbung, oder die Politik betrachten: es gibt ja nicht nur die, die täuschen, es gibt vor allem auch die, die getäuscht werden wollen.

Wie in Matrix, wo den Leuten ein schöner Traum lieber ist als die hässliche Realität?

Wer von uns ist davon frei? Der Hochstapler ist lediglich ein begnadeter Wunscherfüller, ein Menschenkenner, der die Opfer mit der richtigen Lüge glücklich machen kann. Die Filmgeschichte ist ja voll legendärer Figuren, die sich verstellen und lügen mussten, um zu überleben. Schon im Stummfilm. Nehmen Sie Buster Keaton oder Charly Chaplin, die haben viele Figuren gespielt, die irgendwo hineingeraten und auf geradem Weg nicht mehr herausgekommen sind. Solche Dilemmata haben mich schon immer fasziniert.

Empfinden Sie sich da als Dienstleister am Publikum, dieses Bedürfnis nach Täuschung gefahrlos zu befriedigen?

Interessanter Gedanke. Wahrscheinlich bin ich ein bipolarer Dienstleister, der die Zuschauerinnen und Zuschauer mit großem Spaß täuscht, ihnen aber umgekehrt klar machen will, wie konkret die Gefahr der Täuschung ist. Ringo, unser Scheich, ist der gutherzigste, ehrlichste, mitfühlendste Betrüger und Lügner, den man sich vorstellen kann. Sozusagen der radikalste Gegenentwurf zu Hochstaplern, die gerade durch Serien geistern. Er will sich nicht mal bereichern, sondern kann niemanden enttäuschen. Als ihn eine Sozialarbeiterin fragt, ob das nicht alles nur in seiner Fantasie geschehe, antwortet er…

Fantasie ist Realität!

Ja. Filmschaffenden erfinden Geschichten und lassen sie die Zuschauer glauben. Das ist unser Beruf. Der Schnitt baut Momente zusammen, die so nicht stattgefunden haben. Drehorte, die Tausende Kilometer auseinander liegen, werden als ein Ort verkauft. Film bedient sich ständig der Lüge, aus Liebe zur Geschichte, die wir erzählen. Das ist das Paradoxe und gleichzeitig das Faszinierende. Aber Film hat eben auch die Kraft, sich selber zu sprengen, sich ständig neu zu erfinden. Das mag die Zuschauer*innen kurz irritieren, macht aber auch großen Spaß.

Ist ihr unterprivilegierter Analphabet Ringo, der sich als Scheich in die Kreise der Superreichen lügt, demnach ein Zerstörer des hyperkapitalistischen Systems, das ihn hofiert, obwohl er nicht dazugehört, oder hält er es mit seinem Betrug sogar am Leben?

Wir haben uns auch gefragt, was ihn eigentlich motiviert, wenn nicht materieller Gewinn. Der Film basiert zwar auf einer wahren Geschichte, aber die Motivation der Originalfigur bleibt bei allem, was wir über sie wissen, unklar. Er hat nicht nur Kontoauszüge mit Milliardentransfers gefälscht, sondern rechtschaffende Menschen aus bürgerlichen Stellen abgeworben, für unglaubliche Gehälter in seine Scheinfirma übernommen und skrupellos an den Abgrund gezogen. Das hat pathologische Züge, die wir Ringo nicht geben wollten. Für mich ist er ein anarchischer Clown, der einen Milliardenbetrug in Gang setzt, aber er hat einen starken moralischen Kompass.

Um ihn als Zuschauer lieben zu können?

Um mit ihm zu leiden und über ihn zu lachen. Er ist ein tragisch-komischer Held in einer tragisch-komischen Serie. Mein Humor entsteht aus der Liebe zu den Figuren. Zudem kenne ich das Problem, nicht nein sagen zu können.

Sie wären betrugsanfällig, wenn Ihnen ein Scheich Millionen dafür böte, sein Palast-Regisseur zu werden?

Ich befürchte, ja. Ich bin ein pathologischer Euphoriker, den man extrem schnell für etwas entzünden kann.

Sind Sie auch ein Zocker, der sich von einer risikolosen Profitaussicht blenden ließe?

Auch da: leider ja.

Rührt Ihre Filmliebe zu Blendern und Dampfplauderern auch daher?

Ich würde Menschen, die sich in einer Zeit, in der wir uns alle gern optimieren oder das Image frisieren, neu erfinden, wie gesagt nicht so nennen. Wenn wir von X Filme Paramount+ eine Serie verkaufen, nehme ich auch die Rolle des Traumerfüllers ein. Sie haben sich eine starke deutsche Serie gewünscht, um ihre Plattform zu eröffnen, und ich habe sie ihnen versprochen. In Momenten von Selbstzweifeln, die ich danach natürlich auch manchmal hatte, komme ich mir dann auch wie ein Hochstapler vor. Aber die Geschichte hat mich schon Jahre begleitet, auch wegen ihrer politischen Sprengkraft, und ich wollte sie einfach erzählen.

Welche politische Sprengkraft?

Der Scheich agiert zutiefst subversiv, weil er die Gier des Kapitalismus vorführt, die pure Behauptung von viel Geld öffnet alle Schleusen. Auch in ihrem Schwarzwald-Dorf sind Ringo und seine Frau Carla Outlaws, die sich gegen die patriarchale Macht ihrer Familie gestellt haben und deshalb vertrieben werden sollen.

Könnte man Ihre Haltung mit der Serie antikapitalistisch nennen?

Gegen den Kapitalismus können wir nichts mehr tun, der Zug ist seit langem abgefahren, aber er hat seine Achillesfersen, und eine davon ist die Gier, sein religiöser Fanatismus. Ringo und Carla kämpfen mit Fantasie und allen Tricks gegen ihre Versklavung; dafür haben sie meine volle Liebe und Solidarität. Im besten Fall ist eine Serie wie Der Scheich ein Störfeuer im System.

Hätte dieses Störfeuer auch ein Film werden können oder war es stets als Serie geplant?

Ich wollte ursprünglich daraus einen Kinofilm machen, das stimmt, aber es hat sich schnell rauskristallisiert, dass der Stoff besser als Serie taugt. Zudem liebe ich Serien seit Jahrzehnten und es war nur eine Frage der Zeit, selber eine zu machen.

Und wie war’s?

Viel Arbeit, aber auch großer Reichtum an Möglichkeiten. Ich mag ja, wenn’s schwierig wird, ich mag auch, wenn’s chaotisch ist, vor allem aber mag ich’s komplex. Denn während man im Film oft Entscheidungen für Einzelaspekte treffen muss, kann man in Serien mehr reinpacken, muss also weniger weglassen. Meinem Gefühl nach ist in Serien mehr erlaubt. Als Kind von Arthouse-Filmen versuche ich diese zerfledderte Fahne zwar weiter hochzuhalten, aber die Befreiung vom kommerziellen Druck gelingt in Serien, insbesondere auf Streamingportalen, gerade besser.

Ist da nicht der Wunsch Vater des Gedankens?

Nein, aus meiner Sicht wird in Serien zurzeit so viel experimentiert wie einst im Arthaus. Und zwar mit Rückkopplungseffekten auf Filme, die stilistisch, inhaltlich, philosophisch lang stagniert hatten und sich im Sog der Serien nun fortentwickeln. Die Psychologisierung einer Mafiafamilie wie bei den Sopranos bis tief ins Komödiantische: von dieser Experimentierfreude profitiert auch das Kino, das ist eine Wechselwirkung, die man zuletzt bei Fargo als Serie bewundern konnte.

Haben Sie demnach Serienblut geleckt oder sagen jetzt erst recht: Kino!

Momentan möchte ich schon deshalb wieder was fürs Kino machen, weil es der schönste Ort ist, einen Film zu sehen, und weil ich helfen will, es am Leben zu erhalten. Trotzdem habe ich Serienblut geleckt. Für mich ist Der Scheich ein exzessiver sechsstündiger Film.

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Führerkult & Emirglaube

Die Gebrauchtwoche

TV

12. – 18. Dezember

Die WM ist aus und während viele wohl na endlich sagen, sagen andere Gott sei Dank, während der Rest ohnehin verdrängt, dass es je eine gab. Schließlich war Katar aus medienpolitischer Sicht ein Ort, an dem aus Starkult (Mbappé) ein Führerkult (Messi), Bildmacht zur handfesten Zensur und der Fußball damit unwiderruflich feudal geworden ist. Feudal war allerdings auch ein eurozentristischer Blick auf den arabischen Raum, der dabei gelegentlich romantisiert (Marokko) wurde, aber noch häufiger (Katar) verteufelt.

Für Differenzierungen, etwa die sichtbaren Entwicklungsschritte verglichen mit der ungeschorenen WM im (schon 2018 faschistoiden) Vorgänger-Ausrichter Russland, waren beim Gros der Begleittöne ebenso wenig Platz wie für (nicht grundsätzlich verwerflichen) Whataboutism historischer Verfehlungen, die insbesondere Europa mitschuldig machen an Despotien wie der katarischen. All das haben deutsche Dokus wie die von Jochen Breyer bei aller Erkenntnis zu wenig beleuchtet. Und damit zum zweiten Abschied der letzten WM-Woche.

Béla Réthy hat sein letztes Spiel kommentiert. Und obwohl viele nach 15 Großturnieren nun sicher na endlich sagen oder andere Gott sei Dank, dürfte es der Rest im Nachhinein zu schätzen wissen, wie wohldosiert der frischgebackene Pensionär 30 Jahre lang Sport und Politik ins richtige Verhältnis gesetzt hatte. Denn während sein Kollegium noch über Homophobie, Arbeitsbedingungen, Überfluss und Korruption in Katar klagten, hat das ZDF allen Ernstes Werbespots fürs totalitäre Saudi-Arabien geschaltet.

Der totalitäre Elon Musk hat unterdessen Werbung für Qanon getwittert und acht Journalist:innen von CNN bis NYT gesperrt. Angeblich, weil sie ihn gedoxxt hätten, tatsächlich, da sein kommunikativer Liberalismus vor der eigenen Haustür endet. Deutsche Mediennews sind hingegen von drolliger Arglosigkeit. Frank Plasbergs Nachfolger Louis Klamroth zum Beispiel ist mit der Klimaaktivistin Luisa Neubauer liiert, was flugs Vorwürfe der Voreingenommenheit nach sich zog. Und die Paramount-Plattform Pluto eröffnet einen Kanal nur für alte Folgen von TV total.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

19. – 25. Dezember

Was aber nicht heißt, dass Paramount+ nicht auch Streaming von Belang machen kann. Allem voran: Der Scheich, eine zehnteilige Seriengroteske die – wie das Portal schreibt – auf „wahren Lügen“ basiert. Nach eigenem Buch porträtiert Dani Levy einen real existierenden Betrüger, der sich als milliardenschwerer Sohn eines Emirs ausgegeben und das Schweizer Finanzsystem damit in Existenznot gebracht hatte.

Die Version des Hochstapelfans Levy (Alles auf Zucker) ist ab Donnerstag um einiges absurder als die Wirklichkeit – schon, weil sie die Titelfigur zum analphabetischen Impulstäter mit attraktiver Frau (Petra Schmidt-Schaller) macht. Trotzdem verleiht ihr Björn Meyer eine Wahrhaftigkeit, die bei aller Heiterkeit zu Hirn und Herzen geht. Auf ähnlich unglaubliche Art ergreifend ist die siebenteilige Real-Crime-Fiktion Under the Banner of Heaven, die Disney+ hierzulande deppert zu Mord im Auftrag Gottes macht.

Obwohl Gott (schon mangels nachweisbarer Existenz) keine Direktiven erteil, gibt es hier religiös motivierte Tötungsdelikte unter Mormonen der Achtziger, die ausgerechnet ihr uniformierter Glaubensbruder (Andrew Garfield) ermittelt. Das Resultat ist eine fundamental-christliche Version von True Detective, die Amerikas aktuelle Spaltung erklärt und trotz einiger Längen ungeheuer fesselt.

Das gilt wohl auch für den Netflix-Krimi Glass Onion mit Daniel Craig als Superdetektiv, der Freitag nach kurzer Kinoauswertung aufs Portal kommt. Sicher gilt es auch für Billy the Kid, mit dem Paramount+ tags zuvor die ewig schäumende Westernwelle weiter reitet. Und zumindest für alte weiße Incels und Klimawandelleugner, für Genderwahn-Schreihälse und überhaupt all jene, denen mitteleuropäische Männerprivilegien wichtiger sind als Gleichberechtigung oder Nachhaltigkeit, zeigt die ARD am Donnerstag den Jahresrückblick von Dieter Nuhr, wichtigstes Comedy-Ziel: Greta und die Klimakleber. Bruhaahaaaahhh.


Nina Hagen, Shitney Beers, Isafjørd

Nina Hagen

Es ist ja nicht so, dass Boomer leicht überhörbar wären. Ständig erheben sie ungefragt ihre Stimmen, ständig klingen die dabei ein bisschen lauter als nötig, ständig wollen sie den Generationen XY,Z damit eine Welt erklären, aus der sie längst rausgeschrumpelt sind. Ist es im Lichtkegel dieser geriatrischen Selbstbeweihräucherung also ratsam, ausgerechnet Nina Hagen beim wilden Ritt durchs Panoptikum fremder Musikstile zu folgen? Antwort, so aus Nach-Boomer-Sicht: Unbedingt.

Auf ihrer neuen Platte Unity, der ersten seit 2011, grabbelt Nina Hagen gierig im Wühltisch diverser Genres. Fischt hier mal ein Stück Future-Funk aus dem Haufen, dort ein paar Fetzen Space-Dub, macht aus der sozialistischen Country-Hymne 16 Tons Big Beat, aus dem Atomwaffensperrvertrag Electrotrash, und immer pöbelt sich ihr Punkbariton durch gediegene Disharmonien, als hätte sie alle Nachkriegsgenerationen in sich. Das Resultat: feministischer Experimentalpop, von dem die sich Jüngere noch was abgucken können.

Nina Hagen – Unity (Grönland Records)

Shitney Beers

Und damit zum musikalischen Feminismus jüngerer, viel viel jüngerer Herkunft. Das Hamburger ungefähr Quin- bis Sextett Shitney Bears macht seit ein paar Jahren schon brachialharmonischen, genderfluiden, befreiungssexualisierten, hinreißend unzusammenhängenden Noise-Pop, der sich unablässig selbst überholt, nur um einen Track weiter schon wieder auf der Bremse zu stehen, als würden Mouldy Peaches alle paar Minuten Upper auf Downer klinken oder umgekehrt. Und apropos Peaches Style.

Auf ihrer gleichnamigen Singleauskopplung kombinieren sie den hypersexualisierten Discotechno der kanadischen Berlinerin mit einer Art countryfolkigem Bedroom-Punk, um einen manisch-depressiven Schmerz wegzuficken, den offenbar andere haben – so heiter, statt wolkig klingen selbst ihre Balladen. Geht aber nicht nur um Sex, geht beim benachbarten Label Grand Hotel van Cleef zwölf Stücke lang auch noch um alles und gar nichts, was der Albumtitel This Is Pop perfekt in drei Worte fasst.

Shitney Beers – This Is Pop (Grand Hotel van Cleef)

Isafjørd

Und damit zum Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten, und nein – zumindest im Verhältnis Bevölkerungsgröße zum popkulturellen Output ist das nicht die USA, sondern Island, dieser heißen Quelle verschrobener Electronica-Variationen. Benannt nach einem Nest in den windumtosten Westfjorden namens Ísafjörður machen Isafjørd eine Form von schwelgerisch orchestralem Alternativerock zwischen Schüchternheit und Selbstüberwältigung, der fast zu schön ist, um wahr zu sein.

Auf Hjartastjak unterfüttern Aðalbjörn Addi Tryggvason und Ragnar Zolberg ihre Flächen so melancholisch mit verhallendem Piano oder stilisierten Geigenteppichen, dass der emotional zerzauste Gesang darüber fast schon zu viel Pathos enthält fürs Anspruchsdenken an isländischen Sound. Der Gitarren-Tinnitus aber, dieses psychotische Hintergrundrauschen, holt die meisten der acht Stücke wieder auf den Boden Reykjaviks zurück und liefert uns krautrockigen Emocore von seltener Vielschichtigkeit.

IsafjørdHjartastjak (Svart Records)


Fernehwesternwelle: 1883 & The English

Totgesagte töten länger

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Western gibt es seit 120 Jahren und wurden seither ständig rituell beerdigt. Gleich zwei opulente Serien – 1883 bei Paramount+ und The English auf MagentaTV – aber belegen eindrucksvoll: „Cowboys und Indianer“, wie man früher sagte, sind mediale Überlebenskünstler.

Von Jan Freitag

Es gibt kein Film- und Fernsehgenre, das öfter totgesagt und wiederbelebt wurde als der Western. Zu schwarzweißer bis technicolorbunter Zeit die Essenz einsamer Überlebenskämpfe in feindseliger Umgebung, kamen Cowboys und (damals noch statthaft) Indianer Ende der Fünfziger außer Mode, wurden Mitte der Sechziger von Sergio Leone reanimiert und fielen Ende der Siebziger ins Koma, aus dem sie 1990 Costners Der mit dem Wolf tanzt holte.

Es war das Anschwellen weiterer Wellen, auf denen vor Jarmusch (Dead Man) oder Tarantino (Django Unchained) ein Fernsehformat nach Westen ritt, mit dem sich 2003 auch am Bildschirm alles änderte. 100 Jahre nach Der große Eisenbahnraub stellte das real existierende Deadwood die US-Zivilisation von 1877 dar, wie sie mit jedem Kilometer landeinwärts wirklich wurde: gesetzlos, dreckig, darwinistisch, also tödlich wie jenes Fort Worth, wo gerade die neuste Westernwoge brandet.

Mit Frau (Faith Hill) und Kind (Isabel May) führt James Dutton (Tim MacGraw) deutsche Immigranten aus der texanischen Wüste ins fruchtbare Montana, und wem der Name bekannt vorkommt: es ist ein Urahn jenes Patriarchen, den Kevin Costner im Neowestern „Yellowstone“ einige Generationen später zum Welterfolg machte. Zum Start von Paramount+ erzählt 1883 nun die Vorgeschichte der Großgrunddynastie. Und wie in den vier Staffeln von heute, tut es Showrunner Taylor Sheridan in der zehn Folgen von gestern mit einer Bild- und Tonsprache, die sich nicht meilenweit, sondern kontinentbreit vom früheren Genre entfernt.

Schon zu Beginn zoomt Regisseur Ben Richardson nicht auf frisch rasierte Cowboys in gebügelter Weste; minutenlang filmt er die junge Elsa Dutton im Staub der „Great Plains“. Solche Bezeichnungen, sagt sie im Staub der endlosen Steppe, hätten sich „Professoren umgeben von Ideen der Ordnung“ ausgedacht, „aber um sie zu verstehen, muss man sie durchqueren, in ihren Dreck bluten“. Und das machen nahezu alle Charaktere fast pausenlos. Auf dem Treck gen Norden herrscht bestenfalls Faust-, meist aber Standrecht, das Beteiligte wie Unbeteiligte noch schneller unter die Erde bringt als Hunger, Kojoten, Unfälle und Schlangen.

Der Tod, lautet die Botschaft des neuesten Revivals, ist das einzige, worauf sich europäische Siedler und ihre Begleiter auf dem Weg durchs gelobte Land verlassen dürfen. Und wer sich nicht bewaffnet, zweite Message, hat schon verloren – was beiläufig einiges über die schießwütigen USA der Trump-Ära sagt. Das in dieser Drastik zu zeigen, animiert Superstars wie Tom Hanks (2020 mit dem Netflix-Film News of the World in derselben Zeit tätig) zur winzigen Nebenrolle und steckt auch in der zweiten großen Serie des neuen Kinos Fernsehen.

Zwei Wochen früher (und vier vorm Start der Paramount-Version von „Billy the Kid“) ist bei Magenta ein wahres Meisterwerk angelaufen. The English schildert das Los der englischen Aristokratin Cornelia Locke (Emily Blunt), die dem angeblichen Mörder ihres Sohnes nach Amerika folgt. Finanziell sorglos, aber ohne Prärie-Erfahrung, begleitet sie der indigene Armeescout Eli (Chaske Spencer) ins Ungewisse und erlebt dort dieselben Gewaltexzesse wie ein Portal weiter Familie Dutton.

Wildnis, Rache, Lagerfeuer: die Konstellation erinnert verteufelt an John Fords Kavallerieexpeditionen im Monument Valley – würde Showrunner Hugo Bick nicht aus jeder Szene ein sprechendes Gemälde machen, das Kameramann Arnau Valls Colomer in die originellsten Töne, Bilder, Perspektiven taucht und nebenbei das Leben der Ureinwohner authentischer erzählt als alle alten Western zusammen. Und das wie bei 1883 in einer Langsamkeit, die mit dem zurückhaltenden Soundtrack um Deutungshoheit ringt. Gewinner ist das Publikum. Und ihr beharrlichstes Genre.

The English – 6 x 45 Minuten, seit 26. November, Magenta TV

1883 – 10 x 60 Minuten, ab 14. Dezember, Paramount+


Harry & Meghan: Porträt & Publicity

Feudale Selbstbelagerung

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In der sechsteiligen Netflix-Doku Harry & Meghan (Foto: Netflix) beklagen die verstoßenen Windsors ihr Leben im Lichtkegel der Kamerass – und nutzen für ihre Generalabrechnung, genau zu Eigenreklamezwecken: das die Lichtkegel der Kameras

Von Jan Freitag

Wer hoch fliegt, kann tief fallen, oder um es mit dem buchstäblich großen Boulevardsophisten Mathias Döpfner zu sagen: Wer mit irgendwem irgendwomit aufwärtsfährt, fährt irgendwann wieder abwärts, und nur, weil er/sie/es dort oben alles hatten, schön und reich waren, womöglich gar mächtig, muss es unten nicht besser sein als für all jene, die dort endemisch sind. Das gilt also auch „Harry & Meghan“. Nur dass es bei den Titelfiguren der gleichnamigen Netfix-Serie Auslegungssache bleibt, wo sie drei Jahre nach ihrem Rückzug aus der schrecklichsten Familie neben den Trumps gerade heimisch sind: im Himmel, auf Erden, darunter?

Regisseurin Liz Garbus scheint in den ersten drei der 300 Minuten Doppelporträt eine Antwort zu liefern: am Höllenschlund – so wie das hochgestiegene, tiefgefallene Prinzenpaar aus seiner maßgeschneiderten Wäsche blickt. In groben Smartphonevideos sieht man den Königssohn in der Windsor-Suite eines Londoner Flughafens klagen, wie schrecklich die Monate vorm Entzug königlicher Privilegien für ihn waren, bevor seine Frau im kanadischen Luxusexil mit Meerblick und tränenerstickter Stimme hinzufügt, weil „ihnen nichts heilig ist, zerstören sie uns“.

Soweit der Einstieg einer Doku, die schon lang vor ihrer Ausstrahlung turmhohe Wellen schlug. Und nun, da sie einem Tsunami gleich um den Globus rollen, da statt werbewirksamer Trailer die ersten drei von sechs Teilen zu sehen sind, kann man sich ein eigenes Bild vom Standort des tiefgestiegenen, hochgefallenen PR-Produkts aus der himmlischen Hölle ihres Wolkenkuckucksheimes im Säurebad der Boulevardpresse machen. Und das ist trotz nerviger Pianotupfen, die uns von Anfang an melodramatisch infiltrieren, nicht nur sehenswert, sondern erhellend.

Schließlich erleben wir Harry & Meghan dabei, sich kennen, lieben und ängstigen zu lernen. Wir folgen dem dackelsüßen Duke of Essex in die Vergangenheit seiner ebenso behüteten wie beäugten Kindheit. Wir sehen seine afroamerikanische Prinzessin beim Weg aus ihrer ebenso bürgerlichen wie elitären Hollywoodblase in den rassistischen Buckingham Palace. Wir begleiten beide zwischen Safari und Charity-Gala auf der Flucht vor Paparazzi, was sie Liz Garbus in lässiger Sofa-Atmosphäre schildern, als wären es gewöhnliche Erinnerungen.

Dabei sind es Zeugnisse eines fortwährenden Ausnahmezustandes, den die Emmy-dekorierte Filmemacherin mit einer halben Armada Co-Regisseure routiniert zur Gesellschaftsstudie montiert. Schuld an der Misere einer klassen- wie rassenübergreifenden Lovestory, daran lässt das Format keinen Zweifel, sind schließlich wir, die Medien, ein Beruf also, dem die vielen Talking Heads der Serie nur gelegentlich das englische „Tabloid“ für „Boulevard“ voranstellen. Ansonsten steht Journalismus hier pauschal für das Böse.

In Zeiten royalistischer bis reichsdeutscher „Lügenpresse“-Krakeeler ist das allerdings nur der gefährlichste Makel dieser vielbeachteten Serie. Flankiert wird er vom unreflektierten Blickwinkel zweier Objekte, die sich als Subjekte öffentlicher Aufdringlichkeit geben, um ihren Teufel sodann mit dem Beelzebub auszutreiben. Denn während das (höchst sympathische) Dreamteam seine Belagerung durch Schundblätter von „Sun“ bis „Daily Telegraph“, pardon: „die Medien“ beklagt, bläst es mit einem Videoblog zur Gegenoffensive, in dem sich H&M – genau – für alle ständig selbst beobachten.

Weil ihnen die Selbstbelagerung angeblich „Kontrolle über unser Leben“ zurückgeben soll, klingt das Löschen des Feuers mit Feuer sogar recht glaubhaft – wäre es nicht Teil einer PR-Kampagne inklusive Autobiografie im Januar, die angesichts gekürzter Apanage einen ordinär luxuriösen Lebensstil finanzieren hilft. Und auch das röche weniger streng, würde(n) „Harry & Meghan“ auch nur ein einziges annähernd kritisches Wort über den unverdienten Reichtum des antidemokratischen Feudalsystems Erbadel verlieren, der beiden bis heute ein Leben im Überfluss finanziert.

Stattdessen erleben wir zwei Boulevardmedientäteropfer beim Wehklagen über ein parasitäres Biotop, das hiermit keinesfalls verteidigt werden soll. Aber wer sechs beispiellos unterhaltsame, virtuos geschnittene, über die Maße auskunftsfreudige Episoden Insider-Wissen sieht, sollte sich klarmachen: unter all den Problemen dieser krisengeschüttelten Welt, haben „Harry & Meghan“ eines, das geschätzte 7,95 Milliarden Erdbewohner nur zu gerne hätten.


Krömers Abschied & Kaisers Unschuld

Die Gebrauchtwoche

TV

5. – 11. Dezember

Bob ist tot, Bob, der mir – sorry, für den Ausflug ins Autobiografische – erklärte, dass Schönheit relativ ist und Anderssein bereichernd. Bob, der mit Monstern in Mülltonnen genauso gut konnte wie mit Kindern jeder Art. Bob, ein Erwachsener mit Geduld, aber ohne hohen Zeigefinger. Bob, der vor Herrn Hubers Krämerladen einer Straße aus Sesam durch die Welt reiste und doch auf dem Teppich blieb. Bob McGraw ist tot und hat mich nochmals zu Tränen gerührt – nicht, weil er gestorben ist, sondern weil er gelebt hat.

Dass Christiane Hörbiger zeitgleich mit 85 fünf Jahre jünger als Bob von uns gegangen ist, ging mir zwar nicht so nahe, hat aber eine ähnlich prägende Zeit beerdigt: Die 80er, als der Spross einer großen Schauspielsippe mit den Guldenburgs ebenfalls Fernsehgeschichte schrieb. Und wo wir grad bei Nachrufen mit privater Note sind: Dass der einzig bekennende Trump-Fan im seriösen Hollywood – Kirstie Alley – mit Anfang 70 gestorben ist, nehmen die freitagsmedien eher gelassen zur Kenntnis.

Viel Gelassenheit hätte man auch Chez Kurt Krömer gewünscht, der ein Verhör von Faisal Kawusi erst abbrach und dann versprach, sein Sendungskonzept nochmals zu überdenken, was in der Entscheidung mündete, es ganz zu lassen. Hätte er das mal früher getan, denn Krömers Art Interview hat dem Journalismus vielleicht mehr geschadet als all diese Arschlöcher, denen er Bühnen bot, um darauf häufig das größte zu sein. Also: Tschüss Kurt, du brauchst nicht wiederkommen.

Darauf scheint es derweil auch Donald Trump anzulegen, wo wie er auf seiner eigenen Plattform zum offenen Verfassungsbruch aufrief, was womöglich selbst der treuen Fan-Base Bild zu radikal ist, wo dem schlingernden Chefredakteur Johannes Boie gerade Robert Schneider vom, wie hieß dieses Corporate-Publishing-Blatt der Medizinbranche noch – ach ja: Focus, zur Seite gestellt wird, vorher aber, kein Witz, zum Drogentest muss.

Den mussten Führungskräfte öffentlich-rechtlicher Sendeanstalten nie machen, sondern hätten sich ARZDF wohl das ein oder andere Nero-Syndrom an der Spitze erspart. Dessen ungeachtet hat ein externer Untersuchungsbericht den NDR vom Vorwurf politischer Einflussnahme entlastet, während der RBB mit Susann Lange das nächste Direktionsmitglied – offenbar mit üppiger Pension – freistellen musste. Apropos Abgang: dass die Kameras nach dem sensationellen Halbfinaleinzug Marokkos zwei Minuten ausschließlich Cristiano Ronaldo statt jubelnder Fans und Spieler zeigte, zeugt davon, wie egal der FIFA Fußball ist.

Die Frischwoche

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12. – 18. Dezember

Und damit zurück zur Realität, obwohl – nee, doch nur zu ihrer Simulation: Vorigen Freitag ist die sechsteilige Doku Harry & Meghan gestartet, von der Netflix wie so oft vorab keine Bilder zur journalistischen Kritik bereitstellte. Vielleicht ja deshalb, weil es gar keine Doku ist, sondern ein mehr als fünfstündiger Werbeclip für zwei wohlstandsverwahrloste Subjekte eines undemokratischen Feudalsystems beim Versuch, sich als Opfer zu präsentieren.

Da steckt ja mehr Realismus in 1883, Serienprequel von Kevin Costners Farmer-Saga Yellowstone, mit dem Paramount+ ab Mittwoch das 38. Westernrevival fortsetzt und fiktional diskutiert, wie die USA ein so waffenstarrendes, gewaltverliebtes Land wurden. Sehr frei legt Sky zwei Tage später auch die Existenz Franz Beckenbauers aus. Im Biopic Der Kaiser darf er sich schließlich mit Charme & Chuzpe durch die ersten 27 Karrierejahre schlawinern, ohne Korruption oder Menschenverachtung im Anschluss zu erwähnen.

Ob die Serienfortsetzung von Sisi bei RTL+ dem kaiserlichen Original zeitgleich näherkommt als die Filme der Fifties bleibt dagegen Spekulation, aber aufregender ist sie schon. So wie die zweite Staffel der Agentenserie Hamilton, ab heute bei ZDFneo. So wie der Real-Crime-Fünfteiler Mord im Auftrag Gottes ab Mittwoch bei Disney+. So wie der KI-Roadtrip All die ungesagten Worte tags drauf bei Lionsgate aka. Starzplay. Und so wie die Fortsetzung der hinreißenden Sky-Serie Die Wespe mit Florian Lukas als Dartspieler sowieso.

Ob das auch für beiden Fitzek-Verfilmungen Auris ab morgen bei RTL+ gilt, darf hingegen bezweifelt werden, denn der Bestseller-Fabrikant sorgt ja doch eher für aufdringliches Fernsehentertainment. Also zum Schluss noch ein Realtipp: Alles ist Eins, außer der 0 (0.20 Uhr ARD), das Porträt vom Chaos Computer Club, vor fast 40 Jahren gegründet in Hamburg.


Widerstand 2022 & Western 1883

Die Gebrauchtwoche

TV

28. November – 4. Dezember

Endlich Frieden, endlich Freiheit, endlich Ruhe, Recht und Ordnung: kaum hat sich die deutsche Fußballnationalmannschaft mit ihrer selbstmörderischen Hand-vor-Mund-Geste und der anschließenden Abreise aus Katar revolutionäre Zeichen gesetzt gegen das fundamentalreligiöse Regime, wurden dort alle homophoben Gesetze aufgehoben, Frauen gleichgestellt und sämtliche Fifa-Funktionäre in Haft genommen, um sie wegen Korruption zu belangen.

Wären das die Schlagzeilen der vergangenen Woche, würden wir in der laufenden womöglich Bilder wie jene vom aufgeheizten Spiel der USA gegen Iran sehen, wo es politische Rangeleien und Parolen auf den Rängen gab, die dem Fernsehpublikum schon deshalb verborgen bleiben, weil Katar und Fifa sie zensiert haben. Ein Flitzer mit Regenbogenfahne blieb dem Weltbild da ebenso verborgen wie leere, leise, öde Tribünen einer Veranstaltung, die Gianni Infantino dennoch zur besten ever erklären wird.

Bei Twitter zum Beispiel, das sich gerade in Windeseile zum Sprachrohr rechtspopulistischer Extremisten wie Elon Musk selber entwickelt, der darauf nun Apple den Krieg erklärt. Angeblicher Grund: weil das Tech-Unternehmen keine Werbung mehr bei Twitter lancieren will und – faselt der reichste Mann der Welt – die zugehörige App vom iPhone verbannen. Interessant, dass Jan Böhmermanns Hashtag der Woche immer noch auf Musks totalitärer Plattform läuft.

#rafdp hieß jener von vorvoriger Woche, der wieder mal wilde Debatten nach sich gezogen hat. Diesmal, weil sein ZDF Magazin Royal die FDP satirisch mit der RAF gleichgesetzt hatte. Kann, aber muss man nicht witzig finden, ist allerdings exakt derselbe Vergleich, den CSU/AfD zur blutrünstigen Terrorbande Letzte Generation zieht – und zwar ohne zu lachen… Selbst Die Zeit gönnte dem Streit daher ein ganzseitiges Pro & Contra von Martin Hagen und Hendrik Streeck.

Für & Wider vom RBB-Medienhaus haben sich dagegen erledigt: Kurz, nachdem der schwer machtmissbrauchsverdächtige Programmchef Jan Schulte-Kellinghaus in aller Stille zurückgetreten ist, wurde das Ende des völlig überteuerten Prachtbaus bekanntgegeben. Und das kurz, bevor dem Funkhaus mit Paramount+ am Donnerstag ein weiterer Streamingdienst Zuschauer*innen abspenstig macht.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

5. – 11. Dezember

Zum Sendeauftakt zeigt das Portal, auf dem sich künftig auch Formate von CBS, Showtime, Nickelodeon oder Pluto TV zählen, Halo, Strange New World oder The Man Who Fell to Earth gleich mal einen SciFi-Block, begleitet von einem Mystery-Block (From, Evil, Yellowjackets). Maßgeblicher jedoch ist die Fortsetzung des 24. Western-Booms, den Magenta-TV vor acht Tagen mit The English eingeleitet hatte.

Paramount+ setzt es nun mit dem sensationell erfolgreichen Prequel der US-Saga Yellowstone fort, in der Kevin Costner eine Art Montana-JR spielt. 1883 begibt sich nun auf die Spur seiner Ahnen, die im titelgebenden Jahr nordwestwärts ziehen und dabei eine Spur der Verwüstung nach sich ziehen. Mit Gaststars von Tom Hanks bis Billy Bob Thornton ist die Serie zwar verblüffend konventionell ausgestattet, diskutiert aber auf interessante Art, warum die USA zum waffenstarrend egoistischen Land von heute werden konnte.

Aber auch, welches Unrecht es auf dem Weg dorthin begleitet hat. Das Menschheitsverbrechen der Leibeigenschaft zum Beispiel, dem Apple TV+ ab Freitag ein opulentes Filmdrama namens Emancipation mit Will Smith als entflohener Sklave widmet. In Deutschland beginnt derweil die Phase der vorweihnachtlichen Feel-Good-Movies. Angefangen mit dem nächsten ARD-Auftritt von Armin Rohde und Ludger Pistor als Fleischbäcker Günther Kuballa und Wolfgang Krettek, diesmal im Mittwochsfilm Die Weihnachtsschnitzel, gefolgt von der Amazon-Serie Friedliche Weihnachten ab Freitag.

Eine sehr reiche Sippe Snobs verbringt die Festtage darin mit einer eher armen Sippe Asis, was nur hierzulande jemand witzig findet. Ebenfalls nur hierzulande denkbar: dass ein Windei wie Johann Theodor von und zu und auf und im Guttenberg nach seiner missratenen Karriere als klassenbewusster Politclown am Sonntag mit Thomas Gottschalk den RTL-Jahresrückblick moderiert. Liebes Christkind: wir wünschen Privatsendern Hirn mit Rückgrat.

Und dann ist natürlich noch der neue Podcast Och eine noch online, mit Wissenswertem zu einigen der oben besprochenen Themen wie 1883 oder Friedliche Weihnachten


The Robocop Kraus, Leftfield, Haftbefehl

The Robocop Kraus

Als das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts doch nicht wegen Datumskollision ins Armageddon führte und der Hedonismus des vorangegangen also noch kurz die Kataststrophe des übernächsten vernebelte, gab es ein Label, das alles in Sound packte, was dem Millennium musikalisch guttat: Punk und Techno, Ironie und Wahnsinn, Lust und Last einer vollgebremsten Aufbruchsphase, schön kompiliert im Programm von L’Age D’or, wo nach Hamburger Schulbands wie Tocotronic oder Die Sterne auch Von Spar, Ascii Disco. Beige GT und eine von außergewöhnlicher Tiefe groß wurden: The Robocop Kraus.

Der fränkischen Provinz entsprungen, feuerte das Quartett einen Psychopop durchs grungemüde Rockland, dessen kakophonischer Druck Köpfe gutgelaunt platzen ließ. Lange her. 20 Jahre, die Tapete Records jetzt mit einer Sammlung unveröffentlichter Stücke überbrückt. Und während Why Robocop Kraus became the love of my life das vielschichtige Werk zusammenfasst, wirft es ein Schlaglicht in die Vergangenheit. Anfang der Nuller, als noch Hoffnung auf Friede, Freude, Eierkuchen war, schrill-schön vertont von The Robocop Kraus.

The Robocop Kraus – Why Robocop Kraus became the love of my life (Tapete Records)

Leftfield

Noch vor dieser Epochengrenze, an der das vermeintliche Zeitalter ewiger Glückseligkeit Kontakt zu demjenigen aufgetürmter Menschheitskatastrophen aufnahm, komponierten ein paar experimentierfreudige Briten den passenden Soundtrack, namentlich Projekte wie Underworld, Aphex Twin und allen voran: Leftfield, ein Londoner Elektro-Duo, dessen Debüt Leftism 1996 den elektronischen Dance ein bisschen revolutionierte und nun nach längerer Pause sein sechstes Album herausbringt: This Is What We Do.

Und das, was sie da tun, besser: was das verbliebene Gründungsmitglied Neil Barnes tut, lässt sich einfach auf den Punkt bringen: intelligenter, fast schon feuilletonistischer Progressive House mit Breakbeats und Dubsteps, die nicht selbstreferenziell, sondern organisch verspielt auf die Zwölf hauen. Und wie zuletzt vor sieben Jahren, als Leftfield mit Sleaford Mods kooperierte, holt er sich jetzt von Fountaines D.C. Unterstützung, um seinen Techno mit Rock zu würzen. Und das funktioniert wie immer großartig.

Leftfield – This Is What We Do (Virgin)

Haftbefehl

Ach Aykut, alte Selbstvermarktungsmaschine, wenn einer weiß, wie man den Kapitalismustiger reitet, dann du und dein PR-Ego Haftbefehl. Bisschen Provokationspop voller Bitch, Blowjob und Pumpguns, dick bestrichen mit Polarisierungschiffren von Fotze bis Fickteuremütter – schon bist du verlässlich so tief in aller Munde, dass bestimmt bald ein paar weitere Hochglanzfotos mit Monsterprotzkarre im Offenbacher Ghetto drin sind. Und es ist ja auch auf deiner siebten Platte, die vermutlich niemand physisch kauft, schon wieder maßgeblicher HipHop.

“Club fast leer, Nase voll Blut /Stehen uns gegenüber und schreien / alle schauen, keiner wie du / Wir sind mit dem Dreck hier im Reinen” – grob gehackte Straßenpoesie schon im ersten Track Geruch von Koks, gehaucht von Paula Hartmann, zersägt von deiner rachitischen Wutbürgerstimme und diesem Highhat-Tinnitus wie aus dem Torture-Porno: Mainpark Baby, Hassliebeserklärung an ein Leben im Wohlstandsabseits, ist wie immer Gangstarap für urbane Haudraufs, aber eben auch richtig deep, derb, drogig, also alles, was deine Crowd von dir will: Dienstleistungsaggressionen.

Haftbefehl – Mainpark Baby (Urban/Azzlacks)


Dieter Stein: Junge Freiheit & Alte Rechte

Avantgarde klingt ein wenig anmaßend

Dieter Stein

In 36 Jahren hat Dieter Stein die Junge Freiheit von der handgehefteten Schülerzeitung zum neurechten Leitmedium gemacht. Ein Gespräch mit dem bayerischen Offizierssohn über ideologische Publizistik, Meinungsvielfalt im eigenen Haus, False Balance, sein Verhältnis zum russischen Angriffskrieg und warum die JF wirtschaftlich vergleichsweise erfolgreich ist.

 

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Herr Stein, Sie haben heute Morgen einen Volontär verabschiedet. Wohin gehen die nach einer Ausbildung bei der Jungen Freiheit denn gemeinhin so?

Dieter Stein: Also die meisten haben wir in der Regel als Redakteure übernehmen können. Einige gehen andere Wege, Henning Hoffgaard beispielsweise hat zwischenzeitlich für die AfD gearbeitet, ist jetzt aber gerade wieder zu uns zurückgekommen. Aber für Journalisten der JF ist unsere Medienlandschaft generell nicht so durchlässig wie etwa jene der taz, die man in nahezu jeder Redaktion wiederfindet.

In Gestalt von Robin Alexander sogar als stellvertretender Chefredakteur der konservativen Welt.

So ist es. Mir fällt dagegen keine große Zeitung ein, wo bislang ein Volontär von uns untergekommen wäre.

Liegt das an der Branche oder der Jungen Freiheit?

In erster Linie an der politischen Kultur und einer Branche mit Schlagseite. Als Journalist von links zu kommen, gilt als Selbstverständlichkeit, konservativ zu sein, löst Irritationen aus. Der Zeit-Kolumnist Harald Martenstein brachte es im JF-Interview gerade auf den Punkt, als er die zunehmende politische Monotonie in den Medien beklagte.

Gibt es aus Ihrer Sicht darin so etwas wie linke oder rechte Publizistik?

Es müsste selbstverständlich sein, dass nicht nur demokratisch linke, sondern demokratisch rechte Medien zu einem normalen Diskurs gehören. Der Begriff „rechts“ wird hierzulande anders als etwa in Frankreich von vorneherein fast ausschließlich abwertend verwendet, also problematisiert. Vielleicht bezeichne ich mich auch deshalb als konservativ, aber ja – natürlich gibt es verschiedene Zonen der Berichterstattung. Nur dass die linke da ein gewaltiges Übergewicht hat und das als normal angesehen wird.

Der Springerkonzern mit den Flaggschiffen Bild und Welt dürfte sich wie die FAZ nicht allzu weit links verorten…

Welt und FAZ unterliegen einem erheblichen politischen Anpassungskurs. Wenn man sich Umfragen unter Journalisten ansieht, sympathisieren drei Viertel mit Grünen, Linken, SPD und ganze zwölf Prozent mit Union oder FDP, von der AfD ganz zu schweigen. Bei Volontären der ARD sah das kürzlich noch einseitiger aus. Warum ist das so?

Was meinen Sie?

Das ist wie eine sich selbst bestätigende, selbst verstärkende Prophezeiung. Dieser Trend wird von den Verlagen und Redaktionsleitungen gefördert. Und weil diejenigen, die eher eine konservative Einstellung haben, wissen, dass sie angesichts der bereits bestehenden Kräfteverteilung in traditionellen Medien nicht weit kommen dürften und schon gar nicht mehr den Beruf des Journalisten ins Auge fassen. Noch mal Martenstein: „Je stärker diese Kohorte wird, desto weniger Lust haben alle, die anders ticken, Journalisten zu werden.“

Tendenziell linke Haltungen gelten im Vergleich zu tendenziell rechten halt als progressiver, zukunftsaffiner, moderner und damit auch jünger.

Das stimmt ja nicht. Wahlen zeigen sehr wohl, dass Jungwähler nicht nur links ticken. Bei der Bundestagswahl schnitt die FDP bei Erstwählern sogar am stärksten ab. FDP, Union und AfD erhielten knapp 40 Prozent. Das Spektrum reicht – abseits der extremen Ränder – von demokratisch links bis demokratisch rechts, das müsste sich im Idealfall auch publizistisch in annähernder Breite wiederfinden. Tut es aber nicht.

Nicht?

Schon Konrad Adenauer hatte daher versucht, mit dem ZDF ein konservatives Gegengewicht zur linkeren ARD zu schaffen. Mit Gerhard Löwenthal und seinem ZDF-Magazin bot es bis zu seiner Verabschiedung 1988 wenigstens ein explizit konservatives Politmagazin. Wobei es ohnehin nicht sein kann, dass öffentlich-rechtliche Sender Sprachrohre der einen oder der anderen großen Partei sind, anstatt politische Debatten pluralistisch abzubilden. Aus dieser Motivation heraus habe ich vor 35 Jahren ja auch die Junge Freiheit gegründet.

Aber bietet die nicht bewusst unausgewogenen Journalismus der liberal-konservativen Seite, um ein Gegengewicht zum – wie sie es nennen – linken Mainstream zu erzeugen?

Für eine kleines privates Medium ist das doch legitim! Insgesamt ist jedoch Ausgewogenheit der Medienlandschaft unser Ziel. Daran mitzuwirken, wird uns allerdings massiv erschwert. Fürs Interview auf Seite 3 zum Beispiel hätten wir gern ein breiteres Spektrum. Aber es ist gar nicht so einfach für uns, fundierte Gesprächspartner aller Seiten zu gewinnen.

Weil die einem Rechtfertigungsdruck unterliegen, in einer rechtskonservativen Zeitung zu erscheinen?

Weil Gesprächspartner damit rechnen müssen, massiv angegriffen zu werden. Wobei wir eine lange Liste Gesprächspartner außerhalb enger Meinungskorridore haben. Denken Sie an unsere Interviews mit Peter Glotz, SPD-Außenstaatssekretär Christoph Zöpel, Charlotte Knobloch, Margot Käßmann… Die Liste der Absagen ist nur ungleich länger. Es ist halt zweischneidig, mit uns zu reden. Als Dunja Hayali es mal exakt unter der Voraussetzung getan hat, Streit auch zuzulassen, statt abzuwürgen, schlug das entsprechend riesige Wellen, und zwar in beide Richtungen. Sie wurde vor allem aus der Medienbranche massiv attackiert. Wir suchen aber auch bewusst das Gespräch mit Vertretern der Öffentlich-Rechtlichen und hatten in Person des SWR-Intendanten Kai Gniffke vor einem Jahr einen Interview-Partner, mit dem es genau ums Thema Einseitigkeit insbesondere in Bezug auf die Einladungspraxis bei Talkshows ging. Solange ich diese Zeitung mache, geht es immer wieder um die Frage: wer wird von wem gehört, wer kommt öffentlich zu Wort und wer nicht.

Sie würden also ausgewogener berichten, wenn man Sie nur ließe?

Ja, sagen wir, wenn dies schlicht möglich wäre. Denn vereinfacht ausgedrückt ist es schwer, links mit rechts und umgekehrt ins Gespräch zu bringen. Und das gilt keineswegs nicht nur für uns als konservative Zeitung. Nehmen Sie zum Beispiel den Berliner Historiker Jörg Baberowski oder Bernd Lucke in Hamburg.

Deren Auftritte an Universitäten massiv gestört wurden.

Diese Spießrutenläufe der Cancel Culture haben natürlich Rückwirkungen auf Diskurse insgesamt. Wer ist noch bereit, einen Streit zu führen, bei dem man gesellschaftlich nur verlieren kann? Als Politiker, Publizist, Journalist sammelt kaum jemand Pluspunkte, rechts der Mitte in ein echtes Pro und Contra einzusteigen. Am Ende wird aus der Diskurs- eine Machtfrage.

Nochmals: kämen linksliberale Positionen etwa zu Migration, Gendern, Klimawandel in ihrem Blatt gleichberechtigt vor, wenn sie bereit wären, darin mit der rechtskonservativen zu diskutieren?

Selbstverständlich: Wir fragen auf breiter Front Interviews mit Andersdenkenden an. Um nur zwei Beispiele zu nennen, von Alice Schwarzer bis Kevin Kühnert – von letzterem erhielten wir eine regelrecht hasserfüllte Absage. Ich selbst habe wiederum 1993 einmal Johann Scheringer interviewt, damals Fraktionsvorsitzender der PDS im Schweriner Landtag. Doch dieses Interview hatte prompt einen Parteivorstandsbeschluss zur Folge, der JF künftig Interviews zu verweigern.

Sie bleiben erneut auf der Ebene Ihrer Gesprächspartner. Was ist mit der Berichterstattung generell – ist die zu allen Seiten hin offen?

Die JF versteht sich dezidiert als konservatives Meinungsmedium oder Tendenzblatt. Insofern wünschen wir uns dennoch, im Rahmen von Streitgesprächen oder Gastbeiträgen Dialoge anzustoßen, werden das komplette Meinungsspektrum aber nie gleichberechtigt abdecken. Wie erwähnt wollen wir schließlich eine Lücke füllen, die Tageszeitungen wie FAZ oder Welt und am Bildschirm teilweise auch das ZDF bis in die Achtzigerjahre noch abgedeckt haben.

Führt die Wochenzeitung für Debatte, wie sie im Untertitel heißt, die ihre dem Anspruch nach nur extern oder auch intern, also auf Redaktionsebene?

Was die Debatte im Blatt betrifft, sehe ich in der Tat noch Defizite und wünsche mir mehr, was wir aber nur beschränkt durchbrechen können. Denn alles, was potenzielle Gesprächspartner abschreckt, schreckt offenbar auch potenzielle Autoren ab.

Wie sieht es demnach mit der Meinungsvielfalt im eigenen Haus ab, die Sie an anderen Häusern ja so heftig kritisieren?

Bei uns wird in Redaktionssitzungen offen und kontrovers gestritten. Die Haltung zur Corona-Frage hat uns beispielsweise geteilt wie die Bevölkerung. Hier streiten wir wöchentlich um die Bewertung. Die Junge Freiheit hat auch Leser verloren, weil wir uns für manche zu kritisch, für andere aber auch vermeintlich zu unkritisch mit Querdenkern befasst haben. Wenn um Parteimitgliedschaften geht: Ich persönlich würde mir wünschen, dass Journalisten im Idealfall gar keiner Partei angehören.

Wie flexibel sind denn die Haltungsgrundsätze der Jungen Freiheit, kann sie sich dem Zeitgeist oder wissenschaftlichen Konsens auch dann anpassen, wenn er ihnen wie im Fall des zweifelsfrei belegten menschgemachten Klimawandels widerspricht?

Dass der von Menschen verursachte erhöhte CO2-Ausstoß Einfluss auf die Klimaerwärmung hat, bestreitet kein ernst zu nehmender Mensch. Umstritten ist jedoch der Anteil an der Erderwärmung und Bewertung der Folgen.

Das IPCC – also keine NGO, sondern die Gesamtheit aller seriösen Klimawissenschaftler weltweit – hat gerade genau das festgestellt und ein katastrophales Zukunftsszenario entworfen, wenn wir den Ausstoß nicht sofort radikal drosseln.

Der Weltklimarat ist keine unabhängige wissenschaftliche, sondern eine politische Institution. Wir bestreiten wie gesagt keineswegs, dass es Temperaturveränderungen gibt. Insofern ist es sinnvoll, den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu bremsen. Aber ich finde es fragwürdig, dass nur die letzten 150 Jahre seit der Industrialisierung betrachtet werden, anstatt auch die Zeit davor in den Blick zu nehmen, wo sich das Klima ebenfalls verändert hatte. Wir kritisieren das Bild einer Apokalypse, die in der Klimadebatte mit beinahe religiösem Eifer an die Wand gemalt wird. Mehr Rationalität tut not.

Was ist eigentlich ausgerechnet an der Leugnung des menschengemachten Klimawandels, der Befürwortung der Atomkraft oder dem Kampf gegen Gleichberechtigung durch Sprach konservativ?

Der Begriff „Klimaleugnung“ ist ein Beispiel, wie das Stellen kritischer Fragen delegitimiert wird. Niemand, der bei Trost ist, bestreitet, dass es einen menschengemachten Anteil am Klimawandel gibt. Es geht vielmehr um die Dimension und die richtigen Antworten darauf. Darüber wird aber nicht ergebnisoffen diskutiert. Dazu gehört auch, über den Einsatz von Kernenergie nachzudenken, wenn wir in einem hochindustrialisierten Land auch künftig verlässliche Stromversorgung sichern und zugleich CO2 einsparen wollen. Tatsächlich sind Umweltschutz und Skepsis gegenüber der technischen Machbarkeit ein urkonservatives Motiv. Und beim Gender-Sprech geht es nicht um vernünftige Gleichberechtigung von Männern und Frauen.

Sondern?

Sprachliches Aufoktroyieren einer Ideologie, nach der Geschlechter ein reines soziales Konstrukt sind, das aufzulösen sei. Was absurd ist. Aber nochmals zum IPCC: Es hat keine alleinige Hoheit über die Wahrheit, niemand hat das. Erinnern Sie sich an die Podiumsdiskussion zwischen Giovanni di Lorenzo, Jan Böhmermann und Markus Lanz zu der Frage, wen öffentlich-rechtliche Talkshows zum Thema Corona-Politik einladen sollten und wen nicht?

Da ging es um False Balance und ob randständige Lehrmeinungen durch Überrepräsentation nicht ins Zentrum der Debatte rücken.

Wer entscheidet eigentlich, ob eine Lehrmeinung randständig ist?

Die herrschende Meinung, wenn sie in so überwältigender Mehrheit ist wie hier.

Aber es kann doch nicht sein, dass anerkannte Forscher wie Alexander Kekulé oder Hendrik Streeck keine Talkshowgäste mehr sein dürfen, nur weil ihre Meinung von einer Mehrheitsmeinung abweicht!

Das sehen Medien wie Süddeutsche oder Zeit, denen Sie ebenfalls Einseitigkeit vorhalten, ebenso kritisch. Trotzdem führt die Dauerpräsenz der genannten Virologen doch dazu, dass ihre Außenseitermeinungen mehrheitsfähig wirken.

Kekulé und Streeck sind doch überhaupt nicht so präsent. Dauerpräsent sind Karl Lauterbach und Christian Drosten. Was wir erleben, ist doch eine Art betreuter Journalismus, der dem Publikum unliebsame oder strittige Positionen von vorneherein vorenthält. Deshalb appellieren wir an die Überzeugungskraft des besseren Arguments im öffentlichen Wettstreit.

Sie wirken an diesem Punkt extrem energisch. Warum eigentlich?

Vielleicht, weil ich diese Einseitigkeit schon in den 80er Jahren als konservativer Schüler im linken Freiburg am eigenen Leib erleben musste. Sicher versucht jeder, mit seiner Haltung Debatten zu dominieren, aber sie so vorzusortieren, dass Debatten von vornherein im Keim erstickt werden, halte ich für falsch.

Würden Sie ergebnisoffen mit Menschen diskutieren, die Putins Eroberungskrieg in der Ukraine befürworten?

Es dürfte momentan schwer sein, intelligente Menschen zu finden, die Putins Angriffskrieg rechtfertigen. Ich kenne keinen. Für JF-TV habe ich jedoch eine Gesprächsrunde moderiert mit dem intimen Russlandkenner und Putin-Biografen Thomas Fasbender, dem ehemaligen EU-Diplomaten Albrecht Rothacher und Politikwissenschaftler Martin Wagener von der Hochschule des Bundes, wo BND-Mitarbeiter ausgebildet werden. Hier wurden kontrovers die sicherheits- und geopolitischen Gründe diskutiert, die zu diesem Konflikt geführt haben.  

Konservative Medien wir Ihres haben rechtsnationale Autokraten wie Wladimir Putin, Viktor Orbán, Jarosław Kaczyński oder lange Zeit mindestens wohlwollend behandelt. Ändert dieser völkerrechtswidrige Angriff also etwas daran?

Demokratisch gewählte Politiker wie Orban und Kaczynski mit Putin in einen Topf zu werfen, ist daneben. Die Interessengegensätze zwischen Polen und Russland sind zudem größer kaum denkbar, und auch bei Ungarn sieht es wieder anders aus; das haben wir stets abgebildet. Von einer wohlwollenden Behandlung Putins kann also überhaupt keine Rede sein. Wir haben nüchtern die geopolitische Lage beobachtet, analysiert und wiederholt Sprachrohre der russischen Propaganda scharf angegriffen. Ich erinnere nur an die mehrteilige Reportage über den schillernden von linksaußen nach rechtsaußen gewanderten Publizisten Jürgen Elsässer.

Herausgeber des Magazins Compact.

Dessen Russland-Verbindungen wir schon nach der Okkupation der Krim unter die Lupe genommen haben – auch um dessen problematischen Einfluss auf den rechten Flügel der AfD aufzuzeigen. Ich nahm ihn damals in einem Kommentar als „umtriebigen Guru“ einer spinnerten moskauhörigen Verschwörungs-Szene aufs Korn. Dennoch bleibe ich dabei, Debatten nicht von vorneherein im Keim ersticken zu wollen.

Würden Sie dann zu einer geologischen Diskussion Flat Earther einladen, die die Erde für eine Scheibe halten, damit alle Positionen vertreten sind?

Nein.

In welchem Streit über Positionen, die denen der JF widersprechen, hat sie dem wissenschaftlichen oder gesellschaftlichen Konsens mal Tribut gezollt und nachgegeben?

Wir sind selbstverständlich von wissenschaftlichen Erkenntnissen getrieben. Aus meiner Sicht heißt konservativ ja gerade im Kern, Realitäten anzuerkennen.

Ein Beispiel: In den späten Neunzigern hat sich die Junge Freiheit vom extremen Rand der neuen Rechten und konservativen Revolution um Götz Kubitschek und Armin Mohler gelöst. Warum?

Bei verschiedenen Brüchen ging es auch um Politikfähigkeit und die Frage, wie und in welchem Umfang konservative Positionen in einem eher linksliberalen Meinungsumfeld tragfähig werden. Einige der Eierschalen sind generationenbedingt abgefallen. Sie dürfen nicht vergessen: Ich war noch Student, als die JF von monatlicher auf wöchentliche Erscheinung umgestellt hat, da sind wir mit einigen Fragen gedankenloser umgegangen.

Gedankenloser?

Oft zitiert wird unser Werbeslogan von 1992 „Jedes Abo eine konservative Revolution“, eine wenig reflektierte Provokation und Koketterie. Weil man an den Begriff nicht einfach unkritisch anschließen sollte, haben wir das später bewusst nicht wiederholt. Mit Götz Kubitschek habe ich mich auch überworfen, weil ich diese fortgesetzte unkritische Heldenverehrung der konservativen Revolution für grundfalsch halte. Genauso falsch ist es aber, alle Protagonisten dieser Strömung, von Ernst Jünger über Carl Schmitt bis zu Thomas Mann, pauschal als Wegbereiter des Nationalsozialismus abzufertigen. Wir versuchen kritisch in alle Richtungen zu sein. Deshalb war auch Armin Mohler 1994 untragbar, als er versuchte, radikalen Geschichtsrevisionismus ins Blatt zu lancieren.

Es ging damals also um die Frage, wie weit rechts die Zeitung stehen darf und soll?

Stark vereinfacht schon. Es gibt immer wieder die Gefahr, sich in ein politisches Ghetto zu manövrieren.

Hat sich die JF, um mit einem Slogan der AfD zu sprechen, vom gärigen Haufen früherer Tage befreit?

(überlegt lange)

Ist sie kompromissfähiger geworden, gesellschaftsfähiger?

Bei den Autoren haben wir uns stetig verbreitert, sicher sind wir auch älter geworden, erwachsener. Beim erwähnten Streit mit Kubitschek ging es auch darum, ob wir die NPD als politischen Gegner betrachten. Natürlich ist sie das. Eine Frage, die sich nach dem Aufkommen der AfD abermals stellte. Dutzende meiner Kommentare befassen sich damit, wie zu verhindern ist, dass die AfD im gesellschaftlichen Abseits landet.

Als Objekt, das von anderen dorthin gedrängt wird, oder als Subjekt, das diese Radikalisierung selbst vornimmt?

Am Ende ist jeder seines Glückes Schmied, aber die allgemeine gesellschaftliche Grundannahme besteht darin, eine Parteienergänzung von rechts – egal in welcher Form – überhaupt nicht zuzulassen. Dabei müsste eine konservativ-nationalliberale Partei, wie es sie auch in anderen europäischen Ländern gibt, das Normalste der Welt sein! Selbst das wird in den meisten deutschen Medien als unnormal dargestellt. Während der Euro-Krise 2013, das muss man einräumen, ist die AfD in der Wirtschaftspresse in den ersten Wochen tatsächlich wohlwollend hochgeschrieben worden, mehr als es ihrer anfänglichen Größe entsprochen hätte. Aber selbst da wurde bereits von allen Seiten permanent das „rechte Haar“ in der Suppe gesucht.

Das nennt man doch den journalistischen Auftrag.

Der ist auch legitim. Trotzdem zeigte sich im Bemühen, die AfD zügig regelrecht zu Kleinholz zu verarbeiten, eine Asymmetrie verglichen mit Parteien im restlichen Spektrum. Deshalb wurde der Fokus frühzeitig auf rechtsradikale Kapriolen gelegt.

Namentlich den Flügel.

Mit Björn Höcke als Chiffre. Trotzdem erfahren weder er noch gemäßigte AfD-Politiker mediale Fairness. Der Druck, den mittlerweile sogar konservative, CDU-nahe Professoren aushalten müssen, hat teils repressiven Charakter, während Sie als früheres RAF-Mitglied der Knaller auf jeder Journalistenparty in der Hauptstadt sind!

Hat das aktuelle Klima, in dem die AfD zur festen Größe praktisch aller deutschen Parlamente gewachsen ist, die Junge Freiheit quasi in deren Arme getrieben?

Nein, die Überzeugung, eine parteipolitische Ergänzung rechts der Union sei notwendig, stand von Anfang an bei uns im Mittelpunkt des Interesses. Nachdem ich 1984 die Junge Union verlassen hatte und 1985 über die Republikaner zur Absplitterung Freiheitliche Volkspartei gefunden habe, deren Jugendorgan die JF im ersten Jahr sein sollte, steckt die AfD quasi als Absplitterung der CDU schon in unserer politischen DNA. Ich bin seit 1987 zwar parteilos, aber die JF beobachtete stets rege Initiativen in dieser Richtung. Die Entwicklung vom Bund Freier Bürger über Schill-Partei bis zur AfD haben wir daher als einzige immer wohlwollend verfolgt.

Gibt es diesbezüglich eine Art rechtskonservatives Netzwerk, dass diese Entwicklungen publizistisch begleitet?

Netzwerk klingt so dramatisch überhöht. Politische Journalisten kennen sich und tauschen sich aus, mehr gibt es aus meiner Sicht nicht. Die konservative Zeitschrift Criticón war in den 80er Jahren ein wichtiger Kristallisationspunkt, der aber schon Anfang der 2000er Jahre untergegangen ist. Umso mehr war ihr Herausgeber Caspar von Schrenck-Notzing ein wichtiger Publizist, dessen Förderstiftung für konservative Bildung und Forschung ich als Stiftungsratsvorsitzender 2007 übernommen habe. Anders als beispielsweise das Deutschland-Magazin oder diverse Vertriebenenblätter war Criticón eben nicht von der CDU domestiziert, hat also keine Hofberichterstattung gemacht.

Ein Vorwurf, der Ihrer Zeitung jetzt gegenüber der AfD gemacht wird.

Was aber nicht stimmt. Unsere Aufgabe ist es auch dort, zu kritisieren, was schiefgeht. Und das tun wir regelmäßig.

Die Junge Freiheit steigert seit 20 Jahren kontinuierlich ihre Auflage auf mittlerweile mehr als 30.000. Ist sie wegen dieses Kurses zwischen moderater und radikaler Rechter aktuell so erfolgreich?

Ich sehe uns nicht in der Nähe eines radikal rechten Kurses. Und das Wachstumspotenzial ist auch keinesfalls ausgereizt. Wie bei allen anderen Medien liegt die Zukunft allerdings eher im digitalen Bereich, weshalb wir nach langer Programmierphase endlich seit einem Jahr eine Bezahlschranke haben. Zugleich ist unser Erfolg aber nicht exklusiv. Konservative Medien wie der Cicero, Achse des Guten oder Tichys Einblick haben sich stark entwickelt. Die Verbreiterung durch Konkurrenz als Gegenpol zu den dominierenden linken Medien finde ich sehr erfreulich.

Empfinden Sie sich dennoch als Avantgarde?

Die JF hat schon eine Vorreiterrolle übernommen.  Avantgarde klingt andererseits ein wenig anmaßend. Trotzdem freue ich mich, wenn wir als Vorbild für andere publizistische Projekte dienen – übrigens so, wie für mich die taz ein Vorbild war.

Ach…

Natürlich nicht inhaltlich, aber die Eigeninitiative dahinter war beispielhaft: Von der Basis gegründet, von den Lesern getragen, nicht von Großverlagen ausgebrütet, die Jahr für Jahr Dutzende konfektionierter Neugründungen auf den Markt werfen, ihr Personal hin und herschieben, Redaktionsgemeinschaften gründen und auflösen. Da hätte ich es übrigens schön gefunden, wenn zumindest Branchenmedien wie Ihres jenseits unserer politischen Haltung wenigstens unser Aufstiegsmodell einmal würdigen.

Seit wann ist die Junge Freiheit denn auch so profitabel?

Seit Ende der Nullerjahre. Das Geld für den Aufbau der JF als Wochenzeitung sammelten wir mithilfe einer Kommanditgesellschaft nach Beispiel der taz mit über 300 Gesellschaftern, die – breit gestreut – über drei Millionen Euro Haftungskapital beisteuern.

Wie ist es mit Crowdfunding?

Ende der Neunziger haben wir ein Kreis Freunde der JF gegründet, Leser regelmäßig persönlich angeschrieben. Inzwischen über 6000 aktive Förderer steckten in 25 Jahren so über zehn Millionen Euro in den Ausbau der JF. Es gab mal eine Phase, da betrug die Förderung fast ein Viertel unserer Gesamteinnahmen. Jetzt sind es noch etwa zehn Prozent, um unsere Art der Publizistik möglichst unabhängig zu finanzieren.

Wie sieht die Medienlandschaft, in der Sie Ihre Publizistik verorten, idealerweise aus?

So, dass sie die Bevölkerung weitgehend widerspiegelt und linke Haltungen nicht unverhältnismäßig stärker zum Ausdruck bringt als rechte. Wobei mir da eine Annäherung der Repräsentanz auch aus demokratietheoretischer Sicht schon reichen würde. Die öffentlich-rechtliche Unterrepräsentierung konservativer Haltungen empfinde ich da fast schon als kriminell.

Kriminell? Das klingt jetzt nach dem rechtsradikalen Begriff der Lügenpresse, den sie eigentlich meiden.

Dann ersetzen Sie ihn bitte durch hochproblematisch. Lügenpresse verwenden wir in der Tat alle nicht, aber dass der Begriff jetzt so Konjunktur hatte, hat eben auch mit der enormen Einseitigkeit der Berichterstattung in etablierten Medien zu tun. Selbst nach den Ereignissen von 2015, als viele Medien meinten, sie würden künftig ausgewogener über Flüchtlinge berichten, sind sie schnell wieder in kritiklose Muster zurückgefallen.

Aber wenn die Berichterstattung so wahnsinnig links ist, warum hatte Deutschland denn seit 1949 so selten linke Regierungen?

Wir haben bei der Bundestagswahl doch eine linke Regierungsmehrheit bekommen. Dennoch interessante Frage, die aber erst auf jene folgen kann, ob unionsgeführte Regierungen wirklich konservative oder grad in jüngerer Zeit nicht doch überwiegend faktisch sozialdemokratische Politik gemacht haben. Bis zum Aufkommen der AfD als Mitbewerber wurden konservative Strömungen und Positionen zuletzt in der Union systematisch zurückgedrängt. Dass es uns in einer solchen Atmosphäre, trotz teils terroristischer Angriffe wie beim Brandanschlag auf unsere Druckerei Mitte der Neunziger, trotz Anschlägen auch auf die Redaktion und mich selber schon so lange gibt, sehe ich da fast als ein Wunder.

Da Sie die JF bereits seit 35 Jahren betreiben. Schaffen Sie nochmals 35?

Bis ich 90 bin? Nein. Aber solange ich gesund bin, werde ich mich bei der Jungen Freiheit gewiss einbringen.

Könnten Sie denn loslassen?

Ich muss, denn viele konservative Blätter sind auch deshalb untergangen, weil ihre rechtzeitige Übergabe nicht funktioniert hat. Meine Aufgabe ist es, dies besser hinzukriegen.