Wir, „die Medien“, sind jetzt also Oppositionspartei, die man daher ausschließen könne, ja müsse, sofern sie dem US-Präsidenten wie die New York Times und CNN nicht bedingungslos huldigen. So sagte es Donald Trumps externes Bauchgehirn Steve Bannon. Das gilt zwar vorerst nur fürs Weiße Haus, wo vor gut vier Wochen bekanntlich die einzige, die ewige, die letztgültige Wahrheit mit viel Trara eingezogen ist. Aber wer weiß – weil diese wahre Wahrheit keinerlei Vermittlung durch so etwas Profanes wie „die Medien“ bedarf, könnten sie auch hierzulande irgendwann auf der Oppositionsbank sitzen, statt bloß darüber zu berichten.
Ob sich der Tonfall dann wieder so verschärft wie zu jener Zeit, in der Wolfgang Petersens Welterfolg Das Boot spielt, von dem Andreas Prochaska für Sky bald eine Serienfortsetzung dreht, darf man dennoch bezweifeln. Auch ins Spätmittelalter von Martin Luther, dessen Frau Katharina der ARD in Form eines Biopics vorigen Mittwoch gut sieben Millionen Zuschauer beschert hat, wird der antiquierte Gesellschaftsansatz vieler Rechtspopulisten wohl kaum münden. Aber wohin genau? „It’s exiting“, würde der Empörungsprofi Trump da wohl twittern.
Es bleibt spannend.
Allerdings nicht in einer etwas weniger weltbewegenden Sache: Pastewka kehrt als Pastewka zurück. Endlich. Wenngleich nicht zu Sat1, sondern Amazon Prime, eine Art neoliberaler TV-Entsprechung des US-Präsidenten, die mit allen Mitteln der Sozial- und Umweltverachtung ihren Profit maximiert, was die Vorfreude aufs Comebeck der besten deutschen Sitcom nach drei Jahren Pause ein wenig trübt. Auch, wer sich auf Harald Schmidts Nebenrolle im Schwarzwald-Tatort gefreut hat, wird enttäuscht: Der Entertainment-Rentner hat dem SWR kurzfristig abgesagt. Einfach, weil er es sich leisten kann, anderen Menschen und ihren Plänen so rüde vor den Kopf zu stoßen. Ein Jammer, wenn Größe von einst zu Altersstarrsinn schrumpft.
Die Frischwoche
27. Februar – 6. März
Und damit zur Jugend, die im Serienstart der Woche eine Hauptrolle hat. Ab Donnerstag (20.15 Uhr, Arte) spielt die junge Lynn van Royen das belgische Provinzgewächs Kato, die sich blutend in der Badewanne von Zimmer 108 eines wallonischen Provinzhotels wiederfindet. Dummerweise ist Kato tot, wandelt aber weiter unter Lebenden, von denen einige (wie ihre Mutter) durch die Leiche hindurchsehen, während andere (wie ihr Vater) sie als leibhaftig wahrnehmen. Die Figurenzeichnung glaubhaft, die Atmosphäre dicht, die Bildsprache stimmig – all das macht die Jagd einer Toten nach dem Mörder ihrer selbst anders als hierzulande auch nur denkbar irgendwie – lebendig.
Dagegen dürfte die Verleihung der Goldenen Kamera im ZDF zwei Tage später bei allem Glamour an einen Totentanz erinnern. Den man nicht nur deshalb besser nicht mit den Oscars am Sonntag zuvor vergleicht, dessen Highlights ProSieben heute um 17 Uhr zeigt. Weil Serie das neue Kino ist, müssten da eigentlich längst auch neue Streams wie Greenleaf um das dunkle Geheimnis eines amerikanischen Bischofs (Ab Freitag auf Netflix) oder der Mystery-Zehnteiler Stan Lee’s Lucky Man um einen vom Pech verfolgten Mordermittler in London prämiert werden, den ein magischer Deal zum Glückspilz macht (ab Mittwoch auf Sky).
Fiktional ist die Woche dagegen eher dünn bestückt, weshalb es nur Sachliches zu empfehlen gibt. Die heutige Dokumentation Evangelium etwa (Arte, 23.35 Uhr) über einen Regisseur zum Beispiel, der mit Bewohnern eines italienischen Flüchtlingscamps ein biblisches Theaterstück inszeniert. Tags drauf widmet der Kulturkanal der Oktoberrevolution zum 100. Geburtstag ab 20.30 Uhr einen fast fünfstündigen Schwerpunkt mit Lenin-Porträt und Russland-Analyse, bevor dort am Mittwoch um 21.40 Uhr das Hohelied auf New Orleans gesungen wird und wie sich die Stadt vor zwölf Jahren musikalisch von den Folgen des Hurricans Katrina befreit hat.
Parallel dazu betreibt die ARD wieder und wieder und wieder ihr nie endendes Sponsoring der öffentlich-rechtlichen Cashcow FC Bayern München, dessen sportlich erwartbar irrelevantes Heimspiel im DFB-Pokal gegen Schalke anstelle eines Spiels mit offenem Ausgang übertragen wird. Apropos kostenlose Werbung: Am Donnerstag (13.45 Uhr) zeigt ZDFinfo die gewiss sehr interessante Doku Reklame fürs Volk über selbige in der DDR, was übergangslos auf die farbige Wiederholungen der Woche verweist: Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett (Montag, 20.15 Uhr, BR), eine Klamotte mit Heinz Erhardt als Fabrikant auf Urlaub unterm Pöbel, die 1962 im Grunde ein 90minütiger Verkaufsclip zum gleichnamigen Schlager war, dessen Peinlichkeit ein merkwürdiges Bild auf unsere Eltern wirft, die sich damals über sowas beömmelt haben.
Tatsächlich brüllend komisch war 2010 hingegen der hinreißende Mehrteiler vom österreichischen Regie-Genie David Schalko Aufschneider mit Josef Hader als Pathologe im Clinch mit den Ärzten über Tage (Montag, 23.10 Uhr, 3sat). Und weil es diese Woche nix Schwarzweißes von Belang gibt, gleich zur Tatort-Wiederholung am gleichen Tag (20.15 Uhr, RBB): Der lange Arm des Zufalls mit Boris Aljinovic, der es in seinem zweiten Fall als Berliner Kommissar Stark 2010 mit dem missglückten Überfall auf einen Geldtransporter zu tun kriegt.
Ausgerechnet in Kölns offizieller Hofburg, wo seit 11.11. um 11 Uhr 11 das Dreigestirn residiert und auch sonst alle janz jeck sind, kann man dem Karneval selbst von Weiberfassnacht bis Aschermittwoch entkommen. Hoch droben, unterm Dach, in einer Bar mit fantastischem Domblick, dezenten Drinks und einer Chefin, der Kostüme eher fremd sind.
Von Jan Freitag
Das Auge des Hurrikans liegt nicht im, sondern überm Sturm. Zwölf Stockwerke, um genau zu sein, hinauf zu einer Bar, die kein Lüftchen durchweht. Der Fahrstuhl des Pullman Cologne nimmt sie in einem Tempo, dass die Vollbremsung den Magen am Ziel kurz weiter aufwärts fahren lässt. Es ist also eher nichts für Betrunkene, hineinzugelangen in den stillen Kern eines Wetterextrems namens Kölner Karneval. Dabei läuft das Nobelhotel zwölf Etagen tiefer vor Narren schier über an diesem besonderen Tag im Leben eines jeden Karnevalisten.
Wir schreiben 11/11. Für Nord-, Ost-, Süddeutsche ist das ein Datum wie jedes andere, für Rheinländer die Quintessenz allen Seins. Gute sieben Stunden sind seit dem Auftakt zur aktuellen Session vergangen. Gefühlt jeder Kölner auf dem Planeten plus messbare Teile der Restweltbevölkerung hat den 11.11. um 11 Uhr 11 in der ganzen Altstadt runter gezählt. Und hier, in Grölweite zum rappelvollen Heumarkt, wo Abertausende den Alltag schon mittags alkoholvernebelt zur Samstagnacht machen, da ist die Hofburg, sein offizielles Zentrum, nicht irgendein Hotel also.
Seit 44 Jahren residiert das Dreigestirn genannte Trifolium aus Prinz, Bauer, Jungfrau im äußerlich wenig ansehnlichen Klotz der betonsüchtigen Siebziger. Seinerzeit als Fünfsterne-Haus der Marke Interconti gegründet, hat das mittelgroße Hotel bis heute schließlich den zweitgrößten Ballsaal dieser latent größenwahnsinnigen Metropole des organisierten Frohsinns. Angemessen prunkvoll bietet er spielend Platz für tausend Gäste und mehr, die von mächtigen Kronleuchtern ebenso angemessen hell beleuchtet werden.
Wer dieser Stadt am „Elften im Elften“ nicht vorsorglich (und oft naserümpfend) entflohen ist, kann in dem handballfeldgroßen Raum an diesem kühlen Novemberfreitag all das vorfinden, was Karnevalsfans lieben, Karnevalsgegner hingegen umso mehr verachten: Kontrolliert abdrehende Ottonormalverbraucher vornehmlich reiferen Alters mit viel Farbe am Leib, sehr viel Alkohol im Blut und sehr, sehr viel Volksliedgut auf den Lippen. Heuer startet hier die regional bedeutsame Grosse Braunsfelder Karnevalsgesellschaft von 1976 e.V. in ihre fünfte Jahreszeit, und weil das designierte Dreigestirn nebst Entourage nach der Krönung Anfang Januar bis Aschermittwoch für sechs Wochen acht Zimmer auf Hotelkosten bezieht, zelebriert es sich in seiner künftigen Residenz besonders ausdauernd. Innbrünstig vor allem.
Noch ohne Ornat wärmt seine „Tollität“ in zivil und spe die Feiermeute lautstark für größere Aufgaben vor. Eine Batterie Karnevalsparolen nach der nächsten schleudert Stefan I. von ständigem Alaaf gekrönt in einen Saal, der zwar noch nicht brodelt wie am 23. Februar, wenn die Weiberfassnacht den Regler gen Höchsttemperatur schiebt. Doch schon jetzt wird deutlich, was das Hotel und seine Gäste an diesem geweihten Ort profaner Massenkultur dann erwartet. Das Foyer platzt vor Jecken, deren Stimme immer ein wenig lauter, deren Stimmung stets etwas euphorischer, deren Gestus viel überdrehter ist als nötig, aus allen Nähten. Unkostümiert fällt man zwischen den Paradiesvögeln und Piraten, den Pokemons und – 2016 schwer in Mode – Sondereinsatzpolizisten mehr auf als diese wohl an gewöhnlichen Tagen, wenn gesittete Dreiteiler und Businesskostüme die Lobby dominieren. Und dann das Gesangsrepertoire, Hymnen Kölner Eigenlobes, musikalisch zwischen Après-Ski-Gaudi, Fußballarena und Schützenfest: für alle, die davon Hitzepickel kriegen, empfiehlt sich nur eines: Flucht in ruhigere Gefilde, raus aus dem Sturm, hinein in sein Auge.
Zum Glück haben sie es nicht weit.
„Einfach in den Fahrstuhl, zwölfter Stock drücken und tief durchatmen“, so empfiehlt es der offizielle Herbergsvater des Dreigestirns, Hoteldirektor Henk Jan van Oostrum. Und in der Tat: Kaum schließt sich die Tür, setzt Staunen ein über den Segen guter Schallisolierung. Man hört mit einem Mal – nichts. Zumindest, bis der Lift rund 40 Meter höher hält. Mit gedämpfter Stimme weist die Security den Weg in eine Bar, die nun für mehr steht als den branchenüblichen Ort gediegener Absacker nach getaner Geschäftstätigkeit jeder Art. „Es ist ein echtes Refugium“, meint Henk Jan van Oostrum, ein holländischer Köln-Immigrant, der beim jahrzehntelangen Marsch durch die Institutionen seines Hotels nicht nur zum Manager, sondern zum Karnevalisten geworden ist. Doch weil davon bei zwei von fünf seiner Gäste erwiesenermaßen keine Rede sein kann und 20 Prozent die Maskerade gar offen ablehnen, hat van Oostrums Vorgänger das Restaurant unterm Dach Ende 2015 in die LAB12 verwandelt.
Karnevalsmusik ist zum spektakulären Blick über die halbe Stadt ebenso tabu wie allzu ekstatisches Gebaren in allzu offensichtlicher Verkleidung. Der „Fasteleer“, wie Karneval an dessen globaler Zweitkapitale nach Rio heißt, muss also ausgerechnet da draußen bleiben, wo die offiziellen Fahnen vom Festkomitee, seiner Ehrengarde und des Prinzenkorps wehen. Und das ist absolut im Sinne von Christin Lorenz, die hier gleich doppelt exotisch wirkt: Als Hotelbarchefin ist sie eine der ganz wenigen Frauen in einer der letzten Männerdomänen des Gastgewerbes. Und als Ostdeutsche hat sie ein, nun ja, differenziertes Verhältnis zum Karneval. Was damit beginnt, dass sie ihn beharrlich beim falschen Namen nennt.
„Bei uns in Sachsen-Anhalt feiern nur Kinder Fasching“, sagt die gelernte Restaurantfachfrau und lacht dazu ihr herzliches Lachen, das noch häufiger mal den loungig gedämpften Soulpop vom echten Plattenteller übertönen wird. Normalerweise bildet ihr Stammpublikum aus Handlungsreisenden mit Stehvermögen und Laufkundschaft mit Standesbewusstsein ein distinguiertes Konzentrat der solventen Großstadtbohème. Longdrink-Preise für den Gegenwert eines Wochenendeinkaufs bei Aldi machen ihnen ebenso wenig aus wie Zimmerpreise rund um den Hartz-IV-Satz. Heute dagegen gleicht ihr schicker Laden bereits abends um sieben einem Asyl für Anzugträger, denen die Lobby schlicht zu derbe ist.
Im gestärkten Hemd zur Weste mischt sie einem davon ihr eigenkreiertes Antiserum zur grassierenden Karnevalsinfektion: „Scent of a Woman“, ein Rumcocktail mit Schokoladenlikör und Chilihonig von vier hoteleigenen Bienenvölkern auf dem Dach. Dezent in der Farbe, zurückhaltend im Geschmack. Gut, die dekorative Minipaprika könnten Skeptiker als Clownsnase interpretieren; die Darreichung im unprätentiösen Kristallglas konterkariert die schrille Kostümorgie auf Straßenniveau allerdings durchaus bewusst. So sieht es jedenfalls die Erfinderin eines Barkonzeptes, das den genretypischen Hang zum Chichi im Manufaktum-Stil jetzt auch nicht immerzu leugnet.
Ständig sprüht das vierköpfige Team angeblich exakt austarierte Aromen aus plüschigen Parfümflacons über die Drinks. Und wenn die 33-jährige Selfmade-Barchefin Lorenz aus einer Glaslocke mit großem Trara Holzrauchdampf überm Whisky-Gemisch, Titel: „Smokey Bacon“ entlüftet, feiern eben edle Spirituosen etwas Karneval. Auch wenn ihre Trinker gesitteter trinken. Ja, selbst wenn es Karnevalisten sind. Sogar von denen verirrt sich schließlich der ein oder andere zur LAB12. Die meisten fotografieren zwar nur fix den hell erleuchteten Dom durchs Panoramafenster gegenüber dem gediegenen Marmortresen und verschwinden wieder abwärts. Zwei aber bleiben kurz sitzen: Kurze Erholung vom Tumult, bisschen Fachsimpelei über deutschen Gin, kleine Kostprobe mit Fruchtzerstäubung, gedimmter Gesprächston – das erdfarbene Ambiente schluckt nicht nur Schall und Licht, sondern scheinbar auch Emotionen.
Christin Lorenz hätte zwar nichts dagegen, wenn ihr Arbeitsplatz während der 30 Karnevalssitzungen bis Ende Februar generell jeckenfrei wäre. „Aber ich schmeiß‘ natürlich niemanden raus.“ Die gehobene Gastronomie ist wesensgemäß duldsam. Besonders im Vielsternesegment wird exaltiertes bis exzentrisches Gehabe jeder Couleur stillschweigend bedient. Da wäre es mindestens unschicklich, Besucher auch nur scheel anzusehen, weil sie sich anlassweise kleiden wie Cowboys & Indianer. Doch auch für die hat Christin Lorenz‘ unsagbar professioneller Kollege David, mit dem sie aus dem artverwandten Hilton ins Pullman gewechselt ist, das richtige Rezept: „Jede Situation hat ihren Alkohol“, sagt der Barmann strahlend. Unten Kölsch aus dem Träger, oben Scent of a Woman im Kristallglas. Unten stehen, oben sitzen. Unten „Riesenparty“, wie es der sturmumtoste Herbergsvater van Oostrum ausdrückt, oben „was Schlichtes, Herbes“, so lautet das Angebot von Christin Lorenz. Im Auge des Orkans.
Wenn eine Künstlerin wie Jesca Hoop in zehn Jahren fünf Alben herausgebracht hat und noch immer keinen (deutschen) Wikipedia-Eintrag hat, wenn sie mit Bands von Eels über Elbow bis Placebo kolaboriert hat und dennoch hierzulande ziemlich unbekannt ist, wenn es dieser weithin unbekannte Superstar des Singer/Songwritings also noch immer nicht ganz aus der Nische ins Rampenlicht geschafft hat, dann muss irgendwas grundsätzlich schief laufen in der Welt alternativer Musik. Gut, das ist mit Binsenweisheit sogar noch beschwichtigend umschrieben. Aber die Kalifornierin von 41 Jahren macht Platte um Platte von so hingebungsvoll verschrobenem Folkpop, dass man ihr umgehend eine Monsterkarriere in riesigen Hallen vor Milliarden Menschen wünscht.
Nur – das täte ihrem Sound auch nicht unbedingt gut. Der nämlich irrlichtert gewohntermaßen wie verhinderte Hits auf der Flucht vor den Charts durch den Hallraum ihrer knarzigen Country-Stimme, als würde Ani Di Franco mit den White Stripes jammen. Hübsche Gitarrenpicks wechseln sich da in Simon Says mit merkwürdig blechernem Doppelgesang ab, bevor Cut Connection wie eine Art Ethnopunk über die Prärie fegt und es im anschließenden Songs of Old fast ein bisschen nach Kate Bush klingt. Man kann sich hier Track für Track durch ein reichhaltiges Biotop folkiger Klänge wühlen, dass es die pure Freude ist. Mit der Berühmtheit wird es dennoch auch diesmal noch nicht klappen. Macht aber nix.
Jesca Hoop – Memories Are Now (Cargo Records)
Dude York
Ein bisschen wie bei Jesca Hoop verhält es sich auch mit Dude York. Das Trio aus Seattle macht einen Sound, der seinesgleichen sucht – mitreißend, verspielt, kreativ, durcheinander, schön. Trotzdem hängt ist ihr fantastisches Debütalbum Dehumanize selbst daheim in den USA nicht so richtig übers Off-Art-Feuilleton hinausgekommen. Zu blöd eigentlich. Denn auch der Nachfolger Sincerely bereichert das Genre des Alternative-Pop um eine Spielart, die man vielleicht Glampunk nennen könnte. Endlich mal ein Hipphipphurra-Rock’n’Roll, der die ohnehin harte Zeit nicht mit Schwermut überfrachtet, ohne dabei irgendwie flach und öde zu klingen.
Die 13 Stücke sind einer wie der andere von so himmelschreiender Lebenszugewandtheit, dass man sich zwar bisweilen schon etwas mehr Transzendenz wünschen würde, wenn soziokultureller Tiefgang schon nicht auf der Agenda von Sänger Peter Richards zu stehen scheint. Doch wie der Gitarrist gemeinsam mit Claire England am Bass und Drummer Andrew Hall die Mittelzonen des Popwerpop in den Wave der späten Siebziger zieht, kann man da prima drüber hinweg sehen. Der frühe, der Look-Sharp-Joe-Jackson hätte seine helle Freude an dieser Wiedergeburt seines fuzzigen Uptempo-Discorocks am Ende der Punk-Ära, die mit John Goodmanson spürbar den gleichen Produzenten hat wie Sleater Kinney und Bikini Kill. Und wir freuen uns einfach mal mit.
Dude York – Sincerely (Hardly Art)
Phantom
Die Kunst, künstlich zu wirken, und dabei natürlich zu bleiben, ähnelt dem Versuch, vor der Kamera schlecht eiszulaufen, wofür man besser gut eislaufen können sollte. Ganz schön kompliziert. Aber machbar. Wie gut, belegt das finnische Elektropo-Duo Phantom auf seinem Debütalbum MMXII. Der Klangkosmos, den die Jazz-Sängerin Hanna Toivonen und ihr Beatproduzent Tommi Koskinen erschaffen, vollführt nämlich das kleine Wunder, zugleich höchst artifiziell und dabei organisch zu sein. Beim Hören ist man deshalb ständig hin und her gerissen: Oh Gott, war das da grad Rhythm & Blues? Nein, nein – eher schon Dreampop. Oder nee, doch eher eine Art Electroclash. Und so geht das die ganze Zeit.
Vom winzigen Youtube-Hit Scars über die Singleauskopplung Kisses bis hin zu all den Tracks mit raspelkurzen Titeln wie Smoke oder Shadows, in denen Hanna Toivonens Stimme zu oft verstörend düsteren Synths den Spagat schafft, zugleich zerbrechlich und tough zu klingen, soulig und kratzig. Für den Lounge-Club mit fancy drinks wirkt das dabei alles viel zu verstiegen und schräg, fürs Feuilleton dagegen schon manchmal etwas zu cheezy. Aber vielleicht ist ja genau dies das Geheimnis guten Pops: sich nirgends so recht einordnen zu lassen, bei allem Eklektizismus eigensinnig zu klingen. MMXII schafft genau das.
Phantom – MMXII (VILD)
Hype der Woche
B.O.X.E.R.
Die Kunst, künstlich zu wirken und dabei natürlich zu bleiben, ähnelt wie gesagt der Sache mit dem schlechten guten Eiskunstlaufen. Die Kunst hingegen, künstlich zu sein, weil man eben künstlich ist, ist gar keine Kunst, sondern im besten Fall ein leidlich gutes Vermarktungskonzept, im schlechteren einfach Bullshit. Ganz schön berechenbar. Das Hamburger Duo B.O.X.E.R., schafft es, beides zu sein – Vermarktungskonzept und Bullshit, wenn auch verrührt mit einer unüberhörbaren Ladung Lässigkeit, die ihr Debütalbum Opium durchaus unterhaltsam macht. Dennoch werden das weltweit gebuchte Model Anna Maria Nemetz und ihr indiegeschulter Musiker Jan Ole Jönsson (Caracho) nicht umsonst wegen der hübschen Optik über die Laufstege der Oberflächlichkeit von GNTM bis GQ geschickt. B.O.X.E.R. klingen in jedem ihrer Electropop-Strücke exakt so artifiziell wie ihr Äußeres für den kalkulierten Medienhype. Das Ergebnis ist Musik aus der Nische zwischen Regal, Showroom und Tresen, von wo aus Opium prima die Verkäufe stylischer Items der Überflussgesellschaft untermalt. Nicht viel mehr, selten weniger. Na ja.
Fahri Yardım und Christian Ulmen (Foto: Kowalski/Maxdome) kennen sich schon seit ihrer Jugend in Hamburg. Seit ein paar Wochen sind sie gemeinsam in der ersten deutschen Video-on-Demand-Serie Jerks auf Maxdome über zwei Berliner im Kampf mit dem Alltag zu sehen. Nun läuft sie auch dienstags (23.15 Uhr) auf ProSieben. Ein Gespräch mit den Hauptdarstellern über zotige Witze, wahre Peinlichkeiten, gemeinsames Judo und Eierstöcke aus Stahl.
Interview: Jan Freitag
freitagsmedien: Herr Yardım, Herr Ulmen…
Fahri Yardım: Du bitte, immer Du. Unter Hamburgern.
Seid ihr auch privat befreundet?
Christian Ulmen: Ja.
Yardım: Und nicht erst seit Berlin, sondern Harburg. Das ist Ewigkeiten her.
Ulmen: Über 20 Jahre. Wir haben uns im Judo-Kursus kennengelernt.
Ulmen: Und waren zusammen beim Panda-Club vom WWF, das prägt. Trotzdem haben wir uns danach aus den Augen verloren, bis wir vor fünf Jahren „Wer’s glaubt, wird selig“ gedreht haben.
Und seit ihr jetzt so richtig dicke?
Yardım: Ich würde sagen, so dick wie Christians Bauchumfang, also ganz schön!
So dicke, dass ihr euch im Café intensiv über euer Liebesleben austauscht?
Ulmen: Wenn es sich ergibt, selbstverständlich.
Und geschieht das dann im Tonfall der Jerks, wo ihr da diverse Bezeichnungen der Vagina durchdekliniert, oder etwas dezenter?
Ulmen: Gespräche folgen ja selten einem Konzept, unter Freunden fallen die Worte einfach so aus einem raus. Außerdem situationsabhängig. Das Durchdeklinieren von Vagina ist dem Schrecken geschuldet, dass ich in einer Episode vom Masturbationskursus meiner Freundin erfahre, der mich in die Angst versetzt, ich könnte sie an so einen Selbstbefriedungsguru verlieren. Die Verhältnisse geben den Duktus vor, nicht der Bedarf, sich derbe auszudrücken. Weil sich die Serie an der Realität orientiert, könnte so ein Gespräch im Café also tatsächlich zwischen Fahri und mir stattfinden.
Yardım: Wir heißen in der Serie ja nicht umsonst, wie wir auch in echt heißen.
Steht deshalb gleich im Vorspann, Jerks basiere auf wahren Begebenheiten?
Ulmen: Viele Geschichten, die wir erleben, sind uns wirklich passiert, werden aber mit Geschichten des dänischen Originals vermengt. Es würde der Serie den Zauber nehmen, wenn ich verraten würde, welche der Szenen wir wirklich erlebt haben und welche nicht. Das rätseln darüber, ob Fahri diese oder jene Peinlichkeit echt widerfahren ist, macht ja Spaß. ,
Yardım: Wer uns ein bisschen besser kennt, weiß am Ende des Tages, dass wir im Umgang mit dem alltäglichen Leben ganz schöne Idioten sind.
Ulmen: Das Wort „Idiot“ trifft es nur halb: der englische Begriff „Jerk“ ist genauer, beschreibt nämlich sowohl den aktiven Idioten, also ein offensiv handelndes Arschloch als Persönlichkeitsstruktur. Aber gleichzeitig eben auch den eher defensiv handelnden Trottel, den die Umstände dazu machen, der unschuldig in Not geratene Idiot, der in irgendwas rein stolpert. Fahri ist öfter Typ 1, ich bin meistens Typ 2.
Yardım: Hört, hört!
Ulmen: Doch, doch! Wir beide wollen auf unserer Suche nach Harmonie immer alles richtig machen und scheitern genau daran. Das macht uns zu Trotteln. Weil wir aber nie daraus lernen, sind wir auch Ärsche, unterm Strich also Jerks. Das Bedürfnis, es allen recht machen zu wollen und dabei das genaue Gegenteil zu bewirken, ist dabei ein viel stärkeres Motiv als die vulgäre Wort- und Bildwahl.
Wer die ersten Teile sieht, könnte dennoch den Eindruck gewinnen, dass es genau darum geht bei den Jerks – um geschlechtsspezifische Zoten von Sex bis Fäkalien.
Ulmen: Ich rieche in der Frage einen gewissen Dünkel, Wer reflexartig „zotig!“ ruft, sobald sich den Themen Sexualität oder auch Stuhlgang peinlich-lustig genähert wird, der verkennt die Tiefenfähigkeit von Humor. Ich gehe noch weiter: der hat keinen Humor. Es geht ja vor allem um zwei Stadtneurotiker modernen Typs.
Yardım: Die Saftigkeit wird ja nicht ausgestellt, sie beschreibt Dinge wie Schamgefühle oder Selbstwahrnehmung. Wenn man wie Christian auf ein Geschäft aufpasst, aufs Klo muss, das allerdings grad repariert wird, und da steht ein Katzenklo, dann ist das für mich nicht zotig, sondern die Verarbeitung urmenschlicher Bedürfnisse. „Kacken“ ist da nur ein anderer Begriff für „Druck“, unter dem die Protagonisten permanent stehen.
Ulmen: Eine Zote wäre, wenn er ins Katzenklo macht, um seine Freundin reinzulegen oder weil er einen doofen Film von Adam Sandler nachspielen will. Wenn er sich jedoch aus einer realistischen Notlage befreien muss, und die einzige Abhilfe die Nutzung eines Katzenklos ist, dann ist das eine Tragödie, in der wir verschämt über die Not lachen, nicht über die Kackwurst.
Yardım: Und genau so ist das absolut mein Humor.
Könnte der auch im ZDF laufen oder ist es passgenau fürs Streaming gemacht?
Yardım: Als erste Video-on-Demand-Serie aus Deutschland ist sie genau da richtig, wo sie läuft. Fürs ZDF wäre vermutlich der Konfrontationsgrad zu hoch, die Zuspitzung nach oben und unten. (stockt) Warum ziehst du dich jetzt aus, Christian?
Ulmen: Um, ich ziehe mich um.
Yardım: Aber guck mal, im Brustbereich sieht er super aus, darunter wird’s schwierig. Geht ja vielen Männern so in dem Alter… Gut, ich will da aber auch nicht zu sehr zwischen linear und online, alt oder neu differenzieren. Wie das digitale hat das lineare Fernsehen Vor- und Nachteile. Ich persönlich liebe es, mich davon unterhalten zu lassen wie Gott es erschaffen hat – einfach einschalten und genießen, was andere zusammengestellt haben. Zugleich aber genieße ich die Entscheidungsfreiheit einer Video-Plattform.
Ulmen: Es ist ein typisches VoD-Format, das sich substanziell unterscheidet, unterscheiden muss vom klassischen Fernsehangebot. Man darf aber nicht vergessen, dass es auch bei ProSieben läuft. Später zwar und erst nachts, aber das hat eben mit der FSK und der Andersartigkeit zu tun.
Yardım: Dass es einen Sender gibt, der sich der Angst des Mediums so widersetzt wie dieser, finde ich fantastisch. Die haben Eierstöcke aus Stahl.
Habt ihr noch mehr solcher Projekte im Köcher, womöglich gemeinsam?
Yardım: Na ja, zunächst mal eine zweite Staffel, das wäre schon großartig.
Und vielleicht auch mal wieder was in eurer alten Heimat Hamburg?
Yardım: sehr gerne, ernsthaft.
Ulmen: Und das wird auch passieren! Ich bin da aufgewachsen und kenne jeden Stein, jeden Winkel, jedes Mauseloch.
Yardım: Im Kontrast zu Berlin ist Hamburg noch immer untererzählt. Das meiste entsteht im biederen Vorabendambiente. Das ist grad für Bewohner kaum zu ertragen. Ständig der Hafen im Hintergrund, vom Michel rüber zur Reeperbahn – ich kann‘s nicht mehr sehen. Dabei bietet die Stadt so viele Kontraste zwischen schönem Schein und dreckigem Milieu – das dürfte gerade im Schatten der Elbphilharmonie gern mehr gezeigt werden. Hamburg hat so viel Kultur von unten, wird aber am Bildschirm dauernd erzählt, als würde sie ein BWLer filmen.
Ulmen: Sehe ich genauso, als Filmmotiv hat die Stadt noch viel Luft nach oben.
Seid ihr denn noch richtige Hamburger oder schon assoziierte Berliner?
Ulmen: Ich hab hier von drei bis 20 und später noch ein paar Jahre gewohnt. Wenn ich herkomme, überkommt mich sofort ein Heimatgefühl. Andersrum habe ich nach ein paar Tagen sofort das Gefühl, wieder wegzuwollen, bevor ein Gefühl von Langeweile entsteht. Wobei es mich dann weniger nach Berlin als Potsdam zieht.
Yardım: Ich werde ja demnächst Vater. Und als ich das erfahren habe, überkam mich so ein seltsames Gefühl auf, das Kind wäre in Hamburg womöglich besser aufgehoben als in Berlin. Da spiegelt sich meine nostalgische Sehnsucht voll in der kleinen Maus, für die es doch unbedingt genauso schön sein darf, wie ich es erinnere.
So weit die Theorie. Und die Praxis?
Yardım: Hat ein großes Problem: Meine Freundin ist gebürtige Prenzlauer Bergerin und wird sicher alles daran setzen, dort zu bleiben.
Ulmen: Dann komm doch nach Potsdam, ihr könnt bei uns wohnen.
Sportberichterstattung ist nicht nur eine ganz eigene Medien-Disziplin, sondern eine andere Welt. Während sich viele Journalisten gerade in Zeiten des gepöbelten Lügenpresse-Vorwurfs fast verbissen um Neutralität bemühen, pflegen ihre Kollegen am Pisten-, Becken-, Spielfeldrand einen Patriotismus, der mit dem Berufsethos überparteilicher Objektivität bisweilen weniger zu tun hat als Donald Trump mit Political Correctness. Besonders auf Schnee und Eis gehen die Pferde der Voreingenommenheit da mit manchem Reporter durch. Erst am Wochenende zum Beispiel brüllte der Reporter beim Sieg einer deutschen Biathletin völlig enthemmt ins Mikrofon, der Himmel über Hochfilzen sei Schwarzrotgold (Foto: ARD). freitagsmedien hat eine Reihe von Berichterstattern der vier wichtigsten Sportsender ARD, ZDF, Eurosport und Sport1 mit Fragen nach ihrem Selbstverständnis befragt. Folgende Fragen:
Wie definieren Sie journalistische Distanz zum Berichtsobjekt und welche Art Distanz pflegen Sie?
Wie verträgt sich Überparteilichkeit mit Patriotismus?
Darf oder muss ein Sportreporter für die Sportler seines Landes sein und warum?
Gelten im Sport diesbezüglich andere Regeln als in anderen Ressorts und falls ja – warum?
Soll der Bessere gewinnen oder der Deutsche?
Haben Sie einen Journalistenausweis im Portemonnaie und was bedeutet er Ihnen?
Dass ein besonders unkritischer Wintersportmoderator wie Matthias Opdenhövel (ARD), der die deutschen Adler gemeinsam mit dem früheren Skispringer Dieter Thoma am Schanzentisch mit Vorliebe kritiklos feiert, überhaupt nicht reagiert hat, zeigt ebenso wie manch trotzige Antwort besonders öffentlich-rechtlicher Teilnehmer, dass der Fragekatalog bei vielen einen Nerv getroffen hat. Im Einzelnen sah das so aus:
Tom Bartels, geboren 1965 in Celle, ging 1996 vom WDR zu RTL und kehrte über Premiere 2006 zur ARD zurück, wo der Kommentator des Fußball-WM-Finales 2014 v.a. Skispringen kommentiert.
Distanz zum Berichtsgegenstand ist Grundvoraussetzung für jeden Journalisten. Der Spagat ist nicht immer einfach. Ohne Nähe ist es schwer, gut informiert zu sein. Aber noch wichtiger als Nähe ist es, Grenzen zu ziehen. Für Hintergrundinformationen darf keine Hofberichterstattung erwartet werden. Meine Erfahrung ist, dass im Sport die meisten Personen mit fairer Kritik gut umgehen können.
Für mich sehr gut. Ich sitze nicht als Fan, sondern Berichterstatter am Mikro. Weil meine Kommentare in Deutschland gehört werden, liegt es in der Natur der Sache, dass ich mehr über dessen Sportler recherchiere und spreche als etwa über italienische. Patriotismus ist mir fremd, aber sie werden bei mir ehrliche Freude über herausragende Leistungen deutscher Sportlerinnen und Sportler durchhören. Genauso kann ich mich über Leistungen anderer Nationen freuen. Sportreporter bin ich aus Leidenschaft zum Sport geworden. Wichtig ist bei aller Anerkennung einer Leistung immer der Rückzug auf eine neutrale Position, die deren Wie und Warum hinterfragt. Im Live-Ereignis ist das nicht immer möglich, grundsätzlich steht Distanz zum Sportler/Trainer/Team aber über allem.
Ein Sportreporter sollte selbstverständlich neutral und objektiv sein. Wenn er aber für ein deutsches Publikum berichtet, wird er sich intensiver mit deren Sportlerinnen und Sportlern beschäftigen und darf sich in einem vertretbaren Rahmen mitfreuen. Es wäre in meinen Augen widersinnig, ein WM-Finale ohne Sympathie für das übertragende Land zu kommentieren. Ist der Gegner allerdings besser, muss der Reporter dies einordnen. Als ich Spanien im EM-Finale 2008 als verdienten Europameister und klar besseres Team bezeichnete, habe ich allerdings die Erfahrung gemacht, dass Kritik an deutschen Sportlern nicht gut ankommt.
Ich wüsste nicht, warum im Sport andere Regeln gelten sollten.
Warum „soll“ jemand gewinnen? Es gewinnt immer der Bessere. Umso erfreulicher für deutsche Zuschauer, wenn es der oder die Deutsche ist…
Ich bin Mitglied im Deutschen Sportjournalistenverband, hatte aber noch nie einen Presseausweis. Zu den Veranstaltungen, die ich besuche, werde ich akkreditiert.
Foto: Bänsch/ZDF
Katrin Müller Hohenstein, geboren 1965 in Erlangen, löste 2006 Rudi Cerne bei das aktuelle sportstudio ab. Im Wintersport berichtet die Fußballexpertin mit besonderer Nähe zur „Nati“ aus dem ZDF-Sendezentrum.
Meine journalistische Distanz ergibt sich aus einer Mischung von verschiedenen Komponenten von ganz alleine. Objektivität, Respekt, Fairplay und Empathie.
Patriotismus ist in dem Zusammenhang ein großes Wort. Tatsächlich ist es aber so, dass zur Sport-Berichterstattung auch immer eine gewisse Begeisterung für herausragende Leistungen der Athleten aus dem eigenen Land gehört. Fragen Sie mal unsere Zuschauer – sie lieben bei Live-Übertragungen das Mitfiebern mit „ihren Sportlern“.
Klar darf er. Warum denn nicht?
Falls Sie mit anderen Ressorts Themenfelder wie Politik oder Wirtschaft meinen, stellt sich mir die Frage nicht; das lässt sich nicht wirklich vergleichen. Einerseits ist der Sport zum Glück nicht so wichtig und eben eine der schönsten Nebensachen. Andererseits ist eher die Frage nach den unterschiedlichen Aspekten einer umfassenden Sportberichterstattung interessant: hier das Live-Erlebnis im Wettkampf, da rechercheaufwändige Hintergrundgeschichten.
Ich fürchte, an dieser Stelle ist der Fragenkatalog von feindlichen Hackern übernommen worden. Die Frage haben Sie sich nicht wirklich ausgedacht?
Mein Kind bedeutet mir etwas, meine Familie, meine Freunde. In diesem Sinne „bedeutet“ mir der Journalistenausweis nichts. Doch es ist gut, dass ich ihn habe – ich bin gern Teil eines großen Ganzen.
Sigi Heinrich, geboren 1953 in Wolfratshausen, zählt zu den Eurosport-Kommentatoren der ersten Stunde und ist seit 1989 schwerpunktmäßig für Biathlon, Eiskunstlauf und Ski Alpin zuständig.
Man sitzt nicht in einem Boot, aber treibt im selben Fluss, weshalb man das teuer erworbene Produkt des „Verkaufsjournalismus“ nicht kaputt reden darf und dennoch Distanz wahren muss. Ich habe stets versucht, keine Freundschaften mit Aktiven und Trainern aufzubauen, was ein paar Mal misslungen ist. Dennoch betone haben Journalisten eigene Meinungen, die sie in ihrem Medium auch kundtun sollen und hoffentlich dürfen. Umso mehr bringt mich der Start vieler Interviews mit „ich gratuliere, tolles Tor…“ dem Wahnsinn nahe. Auch im Verlautbarungsjournalismus muss der Kommentator den Mut haben, seine Stimme zu erheben, statt zum Wunschkonzert einzuladen. Ich habe nach klaren Worten viele Diskussionen führen müssen und hoffe, dass wir unsere Freiheit der Gedanken und Wörter auch mit zunehmender Popularität weiter ausüben können.
Wohl dosiert verträgt sich Überparteilichkeit selbstverständlich mit Patriotismus. Wobei für mich immer die Überparteilichkeit Vorrang haben wird. Als Verkaufsargument soll Patriotismus wohl auch so etwas wie eine Identifikation mit dem Sportler sein. Man darf durchaus Gefühle zeigen, sofern sie wirklich ehrlich sind. Aber er ist Deutscher, ich bin Deutscher, weshalb ich für ihn, also gegen andere bin – das sind die Anfänge des Populismus und deshalb gefährlich. Wir haben da eine Vorbildfunktion, die wir nutzen müssen in Zeiten wie diesen, in denen außerhalb des Sports die Grenzen des guten Geschmacks und des fairen Umgangs miteinander nicht mehr vorhanden sind.
Ein Sportreporter ist zuvorderst die Stimme des Sports, der von den Athleten ausgeübt wird. Es ist im Grund egal, aus welchem Land er kommt. Aber die Antworten wiederholen sich. Verkaufen heißt die Devise. Ist der Sportreporter zu neutral, fällt ihm das garantiert irgendwann auf die Füße. Die Haie warten schon, respektive die Kollegen, die es ja alle viel besser können.
Eigentlich sollten im Sport die gleichen Regeln neutraler Beobachtung gelten wie in anderen Ressorts. Aber tun sie das dort überhaupt? Sportreporter reden sich gern damit heraus, dass sie über Belangloses berichten. Dabei haben sie eine wichtige soziale Aufgabe. Je mehr Parteilichkeit sie zeigen, umso beliebter können sie möglicherweise bei bestimmten Gruppen werden. Sportreporter lechzen nach der gleichen Berühmtheit, die diejenigen haben über die sie berichten. Das verschleiert mitunter den Blickwinkel. Aber auch politische Redakteure müssen manchmal mit den Wölfen heulen und tun das mitunter auf befremdliche Art und Weise, wie die vielen ätzenden Talkrunden zeigen.
Wer wird wie der Bessere? Wenn ich das einwandfrei feststellen kann und weiß, dann ist diese Frage beantwortet. Natürlich der Bessere. Ohne Wenn und Aber.
Ich bin im Verein der Deutschen Sportjournalisten, entrichte meinen Jahresbeitrag schon aus Gründen der Solidarität, habe aber keinen Journalistenausweis. Aus Nachlässigkeit, aber auch weil er nicht viel bringt. Ich hätte ihn in den letzten 20 Jahren auch nie benötigt und konnte doch überall arbeiten, wo es notwendig war.
Stefan Bier, geboren 1962 in Düsseldorf, ist die Allzweckwaffe des ZDF (Foto: Rico Rossival). Seit 1996 war er bei jeder Fußball-WM und EM am Mikrofon und berichtet von Skispringen oder der Nordischen Kombination.
Aus den Grundsätzen unseres Berufs ergeben sich die Handlungsweisen im Prinzip von ganz allein. Journalistische Distanz bleibt dabei grundsätzlich die entscheidende Voraussetzung für eine unvoreingenommene und unparteiische Haltung. Das ist nicht zu ändern. Ich versuche mich beim Umgang mit Sportlern, Trainern, Funktionären, Veranstaltern, Sponsoren usw. auf den Austausch von Informationen oder gelegentlich auch Meinungen zu konzentrieren. Im Interesse der Genannten zu agieren oder auf einen Austausch von Gefälligkeiten einzugehen, wird vermieden.
Ich weiß nicht, was Sie unter zuschauerfreundlichem Patriotismus verstehen, glaube aber, dass der Eindruck einer Nähe zwischen Sportreporter und Sportlerlandsmann sich schon aus der Tatsache ergibt, dass für gewöhnlich die Sportler des eigenen Landes aus leicht nachvollziehbaren Gründen in der Berichterstattung einen besonderen Raum einnehmen.
Im internationalen Vergleich schneidet die Sportberichterstattung in Deutschland meiner Meinung nach übrigens weitaus neutraler und distanzierter ab, als es ohne diesen Vergleich erscheint. In Island, Italien, Russland oder Norwegen würde Ihre Recherche vermutlich auf Unverständnis stoßen.
Ich halte es für irrelevant, wo ich meinen Presseausweis aufbewahre.
Matthias Bielek, 1981 geboren im bayerischen Dettelbach, kam in dieser Saison von Sky zu Eurosport, wo er mit dem Vierschanzentournee-Sieger Sven Hannawald vom Skispringen berichtet.
Der journalistische Leitsatz „mach dich nie mit einer Sache gemein, auch keiner guten“ gilt. Grundsätzlich muss man kritische Distanz wahren, aber Sport ist nicht nur Technik und Athletik, er lebt von Emotionen, die der Zuschauer erleben will. Der Kommentator kann dieses sehr wichtige Element von Sport transportieren. Im Infotainment sehe ich meine Rolle als „Schweiz“, muss also neutral sein oder zumindest in der Lage, nicht nur für „mein“ Team oder „meine“ Sportler Begeisterung zu zeigen.
Da sehe ich keine Probleme. Bei internationalen Wettbewerben darf der Reporter für sein Heimatland Emotionen zeigen. Allerdings sollte er das auch tun, wenn ein Konkurrent dank besserer Leistung gewinnt. Begeisterung für sportliche Leistung ist überparteilich, Kritik und Analyse sind es ebenfalls.
Er darf und ich finde sogar: muss. Er macht sein Programm ja für eine bestimmte Zuschauergruppe. Diejenigen, die ihm zuschauen, tun das oft, weil sie mit ihren Landsleuten fiebern wollen. Allerdings muss die Waage stimmen. Auch gegnerische Leistungen müssen erkannt, gewürdigt, gar bejubelt werden, wenn die grandios sind.
Beim Sportevent selbst: ja. Beim Thema Sportpolitik ist das natürlich anders. Da kann es aktuell fast gar nicht genug Distanz und kritische Betrachtung geben.
Eindeutig immer der Bessere. Das ist der Kern des Sports.
Ich hatte mal einen, aber habe ihn nie gebraucht. Wenn ich dienstlich zu einer Veranstaltung komme, bin ich meist über meinen Arbeitgeber akkreditiert. Die Möglichkeit zu freier und unabhängiger journalistischer Arbeit ist aber immens wichtig, der Zugang zu Informationen zentral. Dafür steht der Journalistenausweis.
Foto: Schlesinger
Norbert König, 1958 geboren im niedersächsischen Nordholz, moderiert seit 1987 beim ZDF alles von Leichtathletik über Fechten bis Skisport, mit Schwerpunkt Interviews vor allen Biathlon oder Skispringen.
Die journalistische Distanz zum Berichterstattungsgegenstand und zu den Protagonisten der Sportereignisse gehört für mich selbstverständlich zur professionellen Grundhaltung.
Mein Patriotismus hält sich bei der journalistischen Arbeit in den gebotenen Grenzen.
Als Moderator beim Skispringen oder bei der Leichtathletik kommt es für mich darauf an, in den Gesprächen mit den Athletinnen und Athleten interessante Antworten zum laufenden Wettbewerb zu erhalten, unabhängig von der Nationalität. Ich verstehe mich dabei als Mittler zwischen Zuschauer und Sportler. Eine gewisse (zurückhaltende) Freude über deutsche Erfolge liegt da für mich in der Natur der Sache.
Journalistische Interviews zielen darauf ab, ergänzende Aspekte für die Berichterstattung zu erfragen. Dennoch gibt es natürlich atmosphärische Unterschiede, ob ein Interview am Rande einer Sprungschanze oder an der Frankfurter Börse geführt wird.
Die Frage ist mir zu billig.
Ruth Hofmann, geboren 1986 in Augsburg, moderiert nach ihrem Volontariat bei Sky seit 2013 für Sport1 von der Europa-League bis zur 2. Liga alles was mit Fußball zu tun hat.
Begeisterungsfähigkeit und Emotionalität sind wichtige Aspekte von Sportberichterstattung, die das kritische Urteilsvermögen allerdings nicht beeinflussen sollten. Eine gewisse Nähe zu den handelnden Personen kann bei der Informationsbeschaffung hilfreich sein; es sollte aber so viel Distanz bestehen, dass eine ausgewogene Berichterstattung möglich ist.
Eine gewisse Heimatverbundenheit schließt meiner Ansicht nach die Offenheit gegenüber anderen Nationen sowie die Fähigkeit zur kritischen Berichterstattung nicht aus. Die journalistisch notwendige Überparteilichkeit ist in diesem Rahmen also durchaus möglich.
Er darf, muss aber nicht. In erster Linie ist die Aufgabe des Reporters, objektiv über die Sportveranstaltung zu berichten. Eine grundsätzliche Sympathie für die Sportler des eigenen Landes halte ich dabei für angebracht. So kann der Reporter mit den heimischen Sportlern und Fans mitfühlen, entsprechend Emotionen übermitteln und gleichzeitig in gesundem Maße Kritik üben.
Sportberichterstattung transportiert auf besondere Art Emotionen: Sie lässt Leser, Hörer, Zuschauer mit fiebern, leiden, jubeln. Vor diesem Hintergrund kann unserem Ressort durchaus eine Sonderstellung zugewiesen werden. Während in anderen Bereichen von vornherein eine nüchterne Herangehensweise unabdingbar ist, bedarf es bei Sportjournalisten – um eben diese Emotionen zu übermitteln – stets eines gewissen Maßes an Begeisterungsfähigkeit.
Der Bessere.
Ja, aber ich benötige ihn selten.
Jochen Stutzky, geboren 1980 in Schwäbisch-Gmünd, hat während seines Sport-Studiums als Blindenkommentator beim FC Bayern München gearbeitet und moderiert seit 2007 bei Sport1 vor allem Fußball.
Der Zuschauer sollte immer den Eindruck haben, dass der Journalist objektiv an die Sache herangeht. Ein einfaches Beispiel wäre das Duzen und Siezen des Gegenübers bei Interviews. Dies ist nicht immer einfach, da man in gewissen Interviewsituationen per Du eine spürbar bessere Atmosphäre schafft und vor allem dem Interviewpartner damit ein gutes Gefühl gibt sowie teilweise auch für den Zuschauer bessere Antworten gewinnt. Im Hinblick auf Patriotismus sollte meiner Ansicht nach im Sport zum Beispiel bei Länderspielen eine gewisse Tendenz sogar nötig und auch erlaubt sein. Emotionalisierung ist in der Sportberichterstattung enorm wichtig. Einzelne Szenen, wie zum Beispiel eine Elfmeterentscheidung oder ähnliches, muss der Reporter aber natürlich immer objektiv beurteilen.
Neutralität und Unabhängigkeit gehören für mich ebenso zur Sportberichterstattung wie Patriotismus. Beides zusammen ist möglich! Meiner Meinung nach gehört ein gesundes Maß an Patriotismus im Sport dazu und sollte auch beim Sportreporter nicht negativ ausgelegt werden.
Er muss es zum Teil sogar: Man stelle sich Länderspiele deutscher Nationalteams ohne die Botschaft des Sportreporters vor, dass man sich ruhig auch freuen darf, wenn sie ein Spiel gewinnt oder gar einen Titel holt. Olympische Spiele ohne Daumen drücken für die Deutschen? Unvorstellbar! Trotzdem muss der Respekt vor dem sportlichen Gegner erhalten bleiben und seine Leistung honoriert werden. Als schlechter Verlierer sollte sich niemand zeigen.
Im Grunde gelten im Sportjournalismus keine anderen Regeln. Allerdings ist Patriotismus im Sport tief verwurzelt und mittlerweile auch in Deutschland wieder stärker akzeptiert. Solange die Kernkriterien journalistischer Arbeit wie unter anderem Richtigkeit, Sorgfalt und Ausgewogenheit beachtet werden, darf ein deutscher Sportjournalist durchaus andeuten, dass er bei einem Länderspiel Deutschland gegen England die Daumen drückt für ‚Die Mannschaft‘. Und was wäre diese Paarung ohne die Berichterstattung rund um die sportliche Rivalität beider Nationen, ohne ironische Breitseiten aus beiden sportjournalistischen Lagern?
Im Sinne der sportlichen Leistung sollte eigentlich stets der Bessere, Fleißigere, Talentiertere gewinnen. Grundsätzlich sollte ein sportlicher Sieg verdient sein. Das ist er aber eben nicht immer. Ich halte gerne zu deutschen Sportlern. Aber ich sehe das keinesfalls als Dogma. Jeder sollte für sich entscheiden, wer gewinnen soll.
Natürlich! Er identifiziert mich in meinem Traumberuf als Sportjournalist, ist aber oft auch meine Eintrittskarte. Bei Länderspielen brauche ich ihn in der Regel, um Zugang zum Training oder zur Pressekonferenz des DFB oder des Gegners zu erhalten.
In Schweden ist am Wochenende eigentlich nichts Schlimmes mit Migrationshintergrund passiert, aber der amerikanische Präsident garniert seine Suada gegen Fake News mit der Fake News, dort sei etwas Schlimmes mit Migrationshintergrund passiert. In der Türkei wird ein deutscher Journalist zum türkischen Staatsbürger erklärt, damit man ihn als Terrorist inhaftieren kann. In England ist Geheimnisverrat vor allem eine Staatsangelegenheit, wofür künftig dennoch vornehmlich Journalisten Strafe droht. In Deutschland wird die Presse gern mit dem Präfix „Lügen“ versehen, in Polen praktisch gleichgeschaltet, der Journalismus kämpft in einem zusehends irren System um seine Haut. Wie schön war es da, Maybrit Illner am Donnerstag kurz vor Lanz eine Lanze für die Meinungsfreiheit brechen zu sehen, die mit so viel Verve schon länger nicht mehr getalkt wurde.
Das war auch bitter nötig, nachdem die zwischendurch scheinbar geläuterte Bild wie zu populistischsten Diekmann-Zeiten die rassistische Sau eines Mobs „arabisch aussehender Männer“ Frauen durch eine Frankfurter Shoppingzone jagen sah – was sich bei genauerer (also journalistischer) Betrachtung als Lüge ganzer zwei (im Zahlen: 2) Zeugen erwies, wie das Springer-Blatt kleinlaut (also so, dass es kaum jemand hörte) einräumen musste. Gegen derlei Fake-News wirkt der zwischendurch scheinbar geläuterte Playboy, der nach einem wirtschaftlich desaströsen Jahr ohne Nacktbilder wieder auf Titten statt Text umschalten will, fast schon seriös.
Peter-Matthias Gaede dürfte dieser Rückfall in hetzerische Berichterstattungsmuster kaum überrascht haben. Der frühere Geo-Chef hatte ja die Jury des Henri-Nannen-Preises mal verlassen, weil dieser der Bild zuteil werden sollte. Nun kritisiert Gaede völlig zu Recht die Wahl zum aktuellen World Press Photo an eines, das den Attentäter Mevlut Mert Altintas zeigt, nachdem der Russlands Botschafter in der Türkei erschossen hatte. So nämlich böte man dem Terror das, was ihn nährt: Aufmerksamkeit. Dieser seltsame Brennstoff der modernen Mediengesellschaft befeuert aber auch ein ganz anderes Genre: Schlager. Doch während sich die Hochkultur naserümpfend abwendet, blickt ein Autor mit aufrichtiger Neugier hinter dessen Kulissen.
Endlich.
Die Gebrauchtwoche
13. – 19. Februar
Denn Arne Birkenstocks Dokumentation Schlagerland (Montag, 23 Uhr, ARD) ist ein ebenso kluges wie leichtfüßiges Sittengemälde einer Branche, die man nur von innen heraus verstehen kann. Dafür hat sich der Autor nur an die Fersen des 72-jährigen Bühnenfossils Jürgen Drews oder der halb so alten Glamourschablone Helene Fischer gehängt, aber auch Hersteller, Fans, Profiteure und ein Sternchen namens Franziska Wiese unter die Lupe genommen, die für ein Publikum zugerichtet wird, dem das kühl Berechnete ihrer Stars erstaunlich egal ist.
So gesehen passt der 90-Minüter bestens zur närrischen Zeit, die am Mittwoch um 23.25 Uhr noch vergleichsweise authentisch Fahrt aufnimmt, wenn sich Jecken in Alaaf you selber filmen. Tags drauf aber ersäuft aller Frohsinn Abend für Abend auch öffentlich-rechtlich in orchestriertem Humptataah. Umso mehr seien ein paar Alternativen empfohlen. Dienstag um 23.15 Uhr zum Beispiel wandern Christian Ulmen und Fahri Yardim als Jerks von Maxdome ins Free-TV, was in zehn kaum halbstündigen Häppchen natürlich völlig fehlversendet ist. Ähnlich verhält es sich mit der gewiss sehenswerten Adaption des Mangas Death Note um einen magischen Killer im Namen des Guten, den P7Maxx an 19 Mittwochen ab 22.05 Uhr bringt.
Gut eine Stunde später zeigt Arte einmalig in voller Länge Tod den Hippies! Es lebe der Punk! mit Tom Schilling als Landei im aufgewühlten Westberlin von 1980. Das wird zwar gewiss weniger lehrreich, aber ungleich unterhaltsamer als das Biopic Katharina Luther, mit dem die ARD am gleichen Abend zur besten Sendezeit das Reformationsjubiläum wie üblich am Beispiel einer starken Frau – genauer: Luthers – in männerdominierter Zeit nachstellt. Karoline Schuch und Devid Striesow als Religionspopstars ihrer Zeit machen das im Rahmen der Genregrenzen allerdings ganz gut.
Gänzlich in die Hose geht hingegen das Tatort-Experiment mit dem Ludwigshafener Odd-Couple Odenthal/Kopper an der Seite von Laiendarstellern eines improvisierten Mundarttheaterstücks namens Babbeldasch. Echt nur was für Hardcore-Fans. Das gilt auch für die der Ultimate Beastmasters. Ab Freitag schickt Netflix – auf Deutsch moderiert von Luke Mockridge – echte Kerle auf den krassesten Hindernisparcours seit Takeshi’s Castle. Mindestens. Aber wenn schon Rummelplatz, dann doch lieber den einzig wahren: Echt Reeperbahn heißt eine fünfteilige Doku über den Hamburger Kiez, die 3sat zur Nachteulenzeit am Sonntag um 1.30 Uhr bis Montagfrüh nach fünf zeigt.
Und wenn mit Lava (Donnerstag, 20.15 Uhr, Arte) nach Trapped die nächste Krimiserie aus Island empfohlen ist, gibt‘s lecker Wiederholungen der Woche aus vergangener Zeit. Sonntag (20.15 Uhr, Arte) zum Beispiel Hitchcocks schwarzweißes Thriller Rebecca von 1940 um die Geister der Vergangenheit als Hindernis der Zukunft. In Farbe Der Oscarkrösus Cabaret von 1972 (Samstag, 20.15 Uhr, 3sat). Jung, aber schon wieder sehenswert: Roland Suso-Richters famos inszenierte Spiegel-Affäre (Donnerstag, 23.15 Uhr, Arte) mit Francis Fulton-Smith als Franz-Josef Strauß (2014). Und der neue alte Tatort-Tipp: Todesbrücke (Freitag, 22 Uhr, RBB) von 2005, im Gedenken an Ritter und Stark, das vielleicht beste Berliner Team seit Jahr(zehnt)en.
Dem Wahnsinn Gesicht und Stimme zu geben, ganz bewusst, also nicht vom Wahnsinn gesteuert, sondern gewissermaßen kognitiv, das ist eine Leistung, die im Pop nur wenige zu leisten willens und in der Lage sind. David Byrne von den Talking Heads war einst einer von der kognitiven Sorte, sein Landsmann Daniel Johnston eher innerestimmengesteuert, der Berlin-Schweizer Disco-Wizzard Bonaparte liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Ungefähr wie die Wiener Artpopband Bilderbuch also. Auch in ihr viertes Album stopfen sie den Aberwitz der drei Erstgenannten, verfeinern es mit dem gehobenen Gaga-Funk des gefeierten Vorgängers Schick Schock und könnten damit endlich auch hierzulande zu jenen Superstars werden, die sie in Österreich bereits sind.
Verantwortlich dafür ist eine Songwriting, das es in dieser Form vielleicht überhaupt noch nie gegeben hat. Magic Life vereint nämlich erneut die Virtuosität glamourös abgestimmter Instrumente zu tiefgründig depperten Texten mit dem unbedingten Bedürfnis, das Ganze im Gewitter irrer Ideen explodieren zu lassen. Das klingt dann manchmal wie Prince auf einer Überdosis Falco, dabei aber eigensinnig und elegant wie sonst allenfalls Ja, Panik aus dem gleichen Wiener Stall. Wie da eine halluzinierende Orgelpeitsche ins betuliche Baba hämmert oder ein kafkaeskes E-Gitarrensolo durchs zart gehauchte Sweetlove – das ist ein so furioser Bildersturm, dass man in die Box kriechen will, um auch was vom Zeug zu kriegen, das die vier kognitiv irrsinnigen Schulfreunde genommen haben.
Bilderbuch – Magic Life (Maschin Recorcs)
Chineseman
Seit die globalisierte Popkultur den kleinen Mainstream-Seitenarm Weltmusik ausgetrocknet hat, fristet er unter „Ethno“ ein noch viel kleineres Nischendasein als Accessoire. Abgesehen von Panflöten in der FuZo oder dem politischen HipHop des First-Nation-Trios Tribe Called Red, bleibt die Aufgabe geografisch verortbarer Kreativität somit (mal wieder) am Electro kleben. Der Turntableism des dänischen Duos Den Sorte Skole etwa klingt dabei oft orientalisch, aber nie folkloristisch, was Frankreichs elegantem House-Export St. Germain zuletzt in Afrika gelang. Nun zog es seine Landsleute Chinese Man nach Indien, wo Zé Mateo, Sly und High Ku das Risiko volksmusikalischer Peinlichkeit spielend umschiffen.
Tracks wie das famose What You Need zum Beispiel wildern dabei fröhlich im Klangkosmos dessen, was man zumindest ohne exakte Kenntnis des Subkontinents von dort erwartet. Allerdings filibustert das DJ-Team dabei Funkpeitschen, Feuerwerkskörper, Fahrradklingeln und ähnliche Alltagssequenzen unter den amerikanisch intonierten Rap, dass dieser tanzbare Ethno-Pop allenfalls einen Ort zur Heimat erklärt: die Disco. Mit der Kraft abertausender Bits und Samples ist Shikantaza demnach gar keine Weltmusik – es ist Menschheitsmusik, kosmisch erweitert, strictly happy, einfach toll.
Chineseman – Shikantaza (Chines Man Records)
Cairobi
Wer den seltsam diffusen Sound der polyrhythmischen Popband Cairobi begreifen will, dem könnte das Cover vom gleichnamigen Debütalbum helfen. Es zeigt vier Kröten auf nächtlichem Asphalt, die vom Blitzlicht erwischt mit rotem Blick ins Leere glotzen. Vielleicht über-, nicht aber fehlinterpretiert könnten die verstörten Froschlurche also Georgio Poti, Salvador Garza, Aurélien Bernard und Allesandro Marrosu symbolisieren – vier Musiker aus drei Ländern, die vom Glanz des glitzernden Berlins geblendet erstarren. Doch statt sich überfahren zu lassen, hüpft das Quartett mit Drums, Gitarre, Keyboard, Bass bewährt durch den Großstadtdschungel und gewinnt aus Verblüffung Vielfalt.
So klingt das lässig verschwommene Lupo wie der Titelsong einer bunten Sechzigerjahreserie mit Frauen im Cat-Suit am Steuer schnittiger Cabrios. Das orientalisch verspielte Saint hingegen erinnert an die späten Beatles beim Experimentieren mit modernem Sampling. Und zwischendurch plöttern karibische Steeldrums oder deutsche Kiffergitarren ins fröhliche Chaos. Daraus macht Cairobi eine Art eklektischen Krautpopsalsa, bei dem man erstarrt, dann aber loshüpft. Wie die Cover-Kröten.
Cairobi – Cairobi (Week Of Wonders)
Hype der Woche
Devlin
Vorweg: James Devlin ist kein Mike Skinner oder Plan B, weder Mike Wiley noch Professor Green. James Devlin ist ganz er selbst und vereint dabei doch so viel dieser mal lässigen, mal reizbaren Rapper des Vereinigten Königreichs, dass er trotz seiner kaum 30 Jahre längst eine eigene Marke im unerschöpflichen Pool britischen Sprechgesangs mit politischer Attitüde ist. James Devlin, besser bekannt ohne Vorname, hat der Dystopie des Grime als Grenzgang zwischen amerikanischem Gangsta-Rap und britischem Dubstep eine Art Übellaunigkeit hinzugefügt, die das Publikum beim Zuhören schaudern macht. Damit ist er zwar noch nicht so erfolgreich wie einige seiner Kollegen, aber immerhin auf dem Weg dorthin, den Devlins neues, drittes Album The Devil In (Devlin Music) weiter planieren dürfte. Die Raps darauf sind reizbar, die Beat darunter halluzinierend, alles wirkt wie die Vertonung trabantenstädtischen Aggressionspotenzials. Doch all die Bitches und Fucks und finsteren Gesichtsausdrücke können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es um musikalische Reflexion realer Lebensumstände geht, nicht Bling Bling oder Verkaufsargumente. Devlin will einschüchtern, aber weniger uns als die Ziele seiner Wut. Es sind die richtigen.
Sein halbes Leben lang kümmert sich Rolf Seelmann-Eggebert (Foto@NDR) um die Königshäuser der Welt. Das hat dem gebürtigen Berliner aus Hamburg mit Wohnsitz Wendland den Ruf eines Regenbogen-Reporters und Royalisten eingebracht. Andererseits versteht kein Journalist in Deutschland mehr vom globalen Adel und was er unserer Gegenwart noch zu sagen hat. Und die Monarchie will der NDR-Experte auch nicht zurück. Ein älteres Interview zum 80. Geburtstag über die Bedeutung der Monarchie in demokratischer Zeit und warum er die Queen zwar oft getroffen, aber nie interviewt hat.
Von Jan Freitag
Herr Seelmann-Eggebert, sind Sie eigentlich Monarchist?
Rolf Seelmann-Eggebert: Sicher nicht in dem Sinne, dass ich für eine Wiedereinführung der Monarchie in Deutschland wäre. Ich finde, dass wir besonders gut gefahren sind mit unserer Verfassung seit 1945 und unseren Bundespräsidenten. Ich stehe aber auf dem Standpunkt, dass wir Deutsche denjenigen in Europa, die noch Monarchien haben, keine Vorschriften machen sollten. Wenn ein Land 1000 Jahre Monarchie auf dem Rücken hat und die Bevölkerung zustimmt – die Zustimmung liegt im Schnitt zwischen 70 und 90 Prozent –, haben wir besonders als Deutsche keine Veranlassung, ihnen ihre Monarchie madig zu machen.
Gerade gute Republikaner, wie Sie mal sagten, sollten das nicht tun. Warum?
Weil sich die politischen Sinne überhaupt nicht unterscheiden. Es handelt sich bei allen europäischen Königshäusern um Vorbild-Demokratien, Großbritannien zum Beispiel ist nach wie vor ein großes Vorbild für alle möglichen Republiken. Der kleine Unterschied besteht nur darin, dass das Staatsoberhaupt in einem Fall eine Krone trägt und im anderen gewählt ist.
Wäre ihnen so gesehen eine Queen Elizabeth II. als Staatsoberhaupt lieber als sagen wir Heinrich Lübke?
Ganz sicher nicht. Ich war mit unseren Bundespräsidenten sehr zufrieden, insbesondere mit Heinrich Lübke, den ich als Afrika-Korrespondent sehr gut kennen gelernt habe und der in Afrika sehr viel populärer war als hier, weil er alt war, erfahren und was von Landwirtschaft verstand.
Es gibt für Sie also keine Sehnsüchte nach der Vergangenheit.
Keine.
Muss man Monarchien als guter Republikaner nicht als Show qualifizieren und ablehnen, sobald sie politischen Einfluss haben?
Das hat allenfalls etwas mit dem System zu tun. Dass ein König in Europa irgendwelchen Einfluss hätte, müssen Sie mir erst noch zeigen. Das zeichnet die heutigen Königshäuser aus meiner Perspektive aus, nämlich wunderbar in die Leistungsgesellschaft zu passen. Wenn sie nichts leisten, wissen Sie sehr genau, keine Überlebenschancen zu haben. Das macht die Sache besonders schwer, denn sie können sich nicht wie Generationen zuvor zurücklehnen und den lieben Gott ’n guten Mann sein lassen. Sie wissen alle, dass es heute keiner blutigen Revolutionen mehr bedarf, sie abzulösen, sondern durch einen Federstrich eines Parlaments passieren kann. Insofern hat sich die Situation total verändert. Königlicher Missbrauch der Position ist nicht mehr möglich.
Die Queen nimmt doch durchaus politisch Einfluss.
Der Einfluss ist von Land zu Land durchaus unterschiedlich. Es ist nur so, dass keiner mehr eingreifen kann in die Geschicke des Landes. Und selbst, wenn noch die Befugnis besteht, beispielsweise die Regierung zu berufen, geschieht dies allenfalls proforma, denn dahinter steht immer die Empfehlung des Parlaments. Keiner kann da noch Einfluss nehmen mit Ausnahme von Juan Carlos nach dem Putsch, als der den Soldaten sagte, zurück in die Kasernen.
Sollte das öffentlich-rechtliche Fernsehen einer Republik wie der deutschen nicht distanziert mit dem Thema Monarchie umgehen?
Nein.
Gibt es das Direktiven oder Leitlinien?
(Lacht) Mir wären die nicht bekannt und ich bin auch nicht mehr Mitglied eines solchen Senders. Ich habe die Königshäuser nur Ende der 70er-Jahre unter dem Aspekt entdeckt, dass das deutsche Publikum keine Ahnung von ihnen hatte, und festgestellt, dass was in deutschen Zeitungen über Königshäuser stand, größtenteils Unsinn war und sich an längst überholten herrschaftlichen Perspektiven orientierte. Mittlerweile sind die Königshäuser als Medienthema ein wenig verkommen, weil sich jeder bei ihnen bedient und zwar überwiegend als Unterhaltungsobjekte.
Erfreuen sich aber steigender Beliebtheit. Selbst Beerdigungen werden übertragen, die Hochzeit des spanischen Kronprinzen verfolgten über eine Milliarde Zuschauer und damit doppelt soviel als ihr erster Einsatz bei Charles und Diana.
Also zunächst mal hat das Fernsehen technisch ein paar Fortschritte gemacht seit 1981, es ist etwa weiter empfangbar als früher. Im Übrigen muss man mit solchen Zahlen umgehen.
Was fasziniert das Publikum so an Königshäusern?
Abgesehen von Glanz und Gloria, die ja in Monarchien etwas größer geschrieben als in Republiken, ist es die Kontinuität. Ein Prinz wird geboren und mit ihm gibt es in aller Welt Generationen von Kindern und beide werden älter und es gibt diesen Bezugspunkt zu einer Person in diesem Königshaus für den Rest eines Lebens. Jemand wie ich erinnert sich also daran, dass es in England eine Lilibeth gab, die etwas früher Königin wurde als erwartet und die hat man begleitet. Mir und Ihnen fallen wahrscheinlich nur wenige Personen ein, von denen man das noch behaupten könnte.
Und warum ist das so?
Die Verfallszeit von Politikern, Sportlern, Musikern, Schauspielern ist kurz geworden. Gerade hat man sich an einen Bundespräsidenten, da ist er schon wieder weg, weil nur eine Wiederwahl möglich ist. Ich denke, dass sich die Menschen nach etwas mehr Kontinuität sehnen. Zu der Zeit, als ich mich noch gar nicht für Königshäuser interessierte, gab es etwa einen Clark Gable oder Erol Flynn. Hollywood war ein verlässlicher Partner und Rita Hayworth kannte ich doch auch schon 20 Jahre – das alles ist ganz anders geworden. An der Stelle spielen die regierenden Häuser der Welt eine besondere Rolle. Natürlich sehnen sich die Leute auch nach Vorbildern, aber das ist ja so eine Sache, die man nicht unbedingt in Königshäusern entdeckt.
Die sind ja auch von Skandalen und Zerfallsprozessen gekennzeichnet.
Das ist nur eine gegenläufige Entwicklung zur Vorbildfunktion, nicht zur Kontinuität. Die ist weiterhin gewahrt, sie sind ja weiter da und spielen ihr Leben. Und wenn Harry in einem Stripclub gesichtet wird, ist das halt so. Das ist der Tribut, den die Königshäuser daran entrichten, dass sie sich so sehr an bürgerlichen Maßstäben orientieren. Ein Haus, dass so weiterzuleben versucht wie im 19. Jahrhundert oder meinetwegen auch im 20. und da stehen bleibt, wird nicht mehr lange existieren. Die haben sich darauf eingerichtet, mit der Zeit zu gehen und haben das große Problem, wie jedermann, der Zeit nicht vorauszueilen, um nicht rückschrittlich zu wirken und die alten Zöpfe zu pflegen. Diese Balance zu halten, ist sehr schwierig, und das habe ich im Film mit der Trauerwoche nach dem Tod Dianas beschrieben, als die Queen große Probleme hatte, noch die Kurve zu kriegen und zu sagen: das Volk will, also muss ich.
Protokolländerung auf Wunsch des Volkes.
Das Volk hat gesagt, die Königin muss in solch einer Stunde der nationalen Trauer in London sein und sie muss mehr als ein Begräbnis haben und die Fahne auf dem Buckingham Palast muss auf Halbmast stehen und es kann nicht sein, das Begräbnis einer solchen Frau zu privatisieren. Die Königin hat’s getan. Insofern hat sich viel geändert.
Öffnet sich der Adel dadurch auch den Wünschen des Boulevards?
Ich glaube nicht, dass die deutsche Presse einen nennenswerten Einfluss auf das britische Königshaus hat. Aber die britische Presse hat sicherlich einen gewissen Einfluss, als die Kommentare – eher Times und Guardian als Sun und Daily Express – durchaus gelesen werden. Da wird natürlich geredet über die Zukunft der Monarchie und wenn die durch irgendwelche Verhaltensweisen gefährdet ist, kann man sich darauf verlassen, dass die Königshäuser darauf eingehen.
Als Bestandsschutz.
Natürlich. Dass irgendein Haus versucht, seine Zukunft im Elfenbeinturm zu finden, habe ich noch nirgendwo entdeckt. Sie gucken nach rechts, nach links, nach vorn und hinten. Sie sind nicht sonderlich aufgeschlossen der Presse gegenüber, weil sie wissen, wie gefährlich das für sie ist. Aber sie sind heutzutage viel besser ausgerüstet was die Behandlung der Presse durch geschulte Leute angeht. Im Buckingham Palast gab es früher einen Pressesprecher; heute sind es ungefähr 20 Leute in der Presseabteilung.
Wie sehnen sich die Boulevard-Medien auf der einen Seite und das Publikum auf der anderen gerade in Zeiten der Krise eher in königliche Märchenwelten hinein als gegen sie aufzubegehren?
Man liebt in schlechten Zeiten einfach den Glanz, der einen das eigene Jammertal verschönt. Wobei das Jammertal in Deutschland relativ ist. Ein echter Neidfaktor spielt gerade hier keine Rolle, weil es niemanden gibt, den wir da abzusägen hätten. Die, die 1918 abgesägt wurden, haben nie versucht zurückzukehren. Insgesamt gibt es einfach keinerlei Anlässe, Revolutionen auszurufen um Königshäuser zu stürzen. Es ist ein Irrglaube, gestützt durch die Yellow-Press, dass es sich bei den Königshäusern um die großen reichen Familien dieser Welt handelt. Absoluter Unsinn. Seien Sie versichert: ein Volk, dass ein Königshaus stürzen möchte, hätte es geschafft. Dafür gab es in Europa gute Beispiele und heute gibt es eben kein Haus mehr, das dafür noch die nötige Angriffsfläche böte. Im Gegenteil. Selbst die statistisch gesehen meist nur drei, vier Prozent, die aktiv daran interessiert wären, räumen ein, gegen die Monarchie zu sein, aber nicht gegen die Angehörigen der aktuellen Familie.
Man darf sie nicht mehr überschätzen.
Selbstverständlich nicht. Und sie überschätzen sich vor allem selbst nicht mehr. Sie fragen sich die ganze Zeit, welche Funktion sie denn noch haben, gerade angesichts der Entwicklung in der EU, wenn es irgendwann einen einheitlichen Präsidenten gibt und sie spielen da keine Rolle mehr.
Die Regenbogenpresse ist an solchen Aspekten nicht interessiert. Was unterscheidet sie von der Berichterstattung im Fernsehen.
Im Fernsehen ist es schlicht und einfach, weil wir 1:1 zeigen, was geschieht. Ob’s eine Hochzeit ist, eine Taufe oder sonst was. Das sind ja bei uns große Live-Angebote aus den einzelnen Ländern und die – gerade in Zeiten knapper Gebührenmittel – relativ preiswert sind.
Es ist von rund 200.000 Euro pro Übertragung die Rede.
Ich weiß nicht, woher die Zahl kommt und ich muss mich Gott sei Dank auch nicht damit beschäftigen. Das eigentliche Signal ist jedenfalls sehr preisgünstig und dann fragt man sich eben, welchen Aufwand man vorweg und hinterher betreibt. Das wird meist an der Frage entschieden, ob man überhaupt die Chance hat, vor Ort zu sein. Wir beim NDR haben gute Erfahrungen damit gemacht, aus dem Studio in Hamburg zu kommentieren. Das hat die Sache risikofreier gemacht. Das Publikum interessiert das gar nicht sonderlich. Die Sendeminute ist einfach günstig und wird entsprechend kommentiert. Diese Möglichkeit haben Printmedien nicht.
Die betreiben Kaffeesatzleserei.
Die müssen alles anzuckern und zwar in einem Sinn, der mit Journalismus eigentlich nichts mehr zu tun hat, allenfalls mit Unterhaltung und Erfindungsgeist. Die Yellow-Press ist mehr eine Industrie als eine Informationsquelle. Das der Hamburger Anwalt Prinz fürs schwedische Königshaus tätig wurde, hatte ja nur damit zu tun, dass selbst den geduldigen Schweden der Geduldsfaden riss, als man Prinzessin Victoria erst mit dem einen, dann mit dem anderen verheiratet und am Ende ein Kind in den Arm gelegt hat. Es ist schlicht unglaublich, was da passiert, aber seitdem ist Ruhe im Karton. Interessant, dass die Verlage nur eine Sprache verstehen, nämlich die, auf 500.000 Euro und mehr verklagt zu werden. Man kann davon ausgehen, dass von zwei Geschichten eine auf reiner Phantasie beruht. In der zweiten steckt wenigstens ein kleiner Kern Wahrheit. Wenn man anhand davon mal eine Analyse machen würde, mit wen Victoria schon zusammen gewesen sein soll, wäre es wohl halb Europa. Das ist absoluter Unfug, der einem Unterhaltungsbedürfnis entspringt, das dadurch befriedigt wird.
Der Fernsehkritiker Jürgen Bertram nennt die ARD „elektronisches Goldenes Blatt“, weil über adelige Großereignisse völlig unkritisch und beliebig berichtet wird.
Herr Bertram hat sich ums ARD-Programm offenbar nicht sehr gekümmert. Im Übrigen verweise ich auf das, was Christoph Lütgert Herrn Bertram in der Süddeutschen geantwortet hat, der alles in Grund und Boden geschrieben hat. Herr Bertram hat sich aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk das rausgepickt, was ihn geärgert hat. Zu dem, was er zur die Berichterstattung über Königshäuser geschrieben hat, verweise ich auf die Dokumentation am Ostersonntag. Ich habe mich ihm und anderen kritischen Kollegen gegenüber nicht zu entschuldigen.
Aber Kritik daran, dass ARD und ZDF teilweise stundenlang über dasselbe Ereignis live berichten muss möglich sein.
Das ist so nie gewesen. Beide haben stets eigene Studios aufgebaut und ringsum eigene Geschichten gemacht. Das Ereignis dauert wie beim Fußball etwa 90 Minuten und es gibt vorweg und hinterher Berichte. Bei großen Ereignissen kommen sogar noch andere wie n-tv oder Sat1 hinzu. Da ist es die Entscheidung des einzelnen Systems zu sagen, wir machen es besser, holen mehr Quote als die anderen und meistens ist es für die ARD ganz gut ausgegangen. Ich persönlich habe nichts dagegen, dass die Sender gegeneinander antreten wie bei so vielen Anlässen in aller Welt, wo Brennpunkte gegen Brennpunkte gesetzt werden.
Sie berichten bereits seit dem 30. Geburtstag von Prinz Charles über Königshäuser.
Wenn Sie so wollen, sogar schon länger. Ich habe den ersten Besuch der Königin in Deutschland mitgemacht, als junger Reporter des NDR in Hannover. Dass das noch mal ein besonderes Interessengebiet von mir werden würde, wusste ich 1965 noch nicht. Als ich Korrespondent in London war, habe ich aber in der Tat in einer 45-minütigen Sendung dargestellt, wie sich ein künftiger König auf seine Aufgabe vorbereitet.
Seither haben Sie alle europäischen Regenten gesprochen bis auf die Queen.
Ich habe oft mit ihr gesprochen, aber ich habe sie nie interviewt. Es gibt nämlich keine Interviews mit ihr und ich würde ihr raten, das auch im hohen Alter zu unterlassen. Um ein Haus hab ich mich nie gekümmert – das von Monaco.
Ach was.
Das war für mich immer ein reines Glamourhaus, das mich nie interessiert hat.
Wie wichtig ist Distanz für das Medienthema Monarchie, etwa im Falle der Queen?
Das ist für einen Ausländer nicht schwierig. Ich befinde mich ja nicht unter ihrer Herrschaft, bin ab und zu mal da und denke, dass ich gerade im Kontakt mit kundigeren britischen Kollegen, die ja auch in der Dokumentation vorkommen, immer einen Fuß am Boden behalte und nicht zu enthusiastisch werde. Weder bei dem einen noch bei dem anderen Königshaus. Es ist natürlich schöner, mit als über jemanden zu reden. Das ist mal so und mal so, die Nähen sind unterschiedlich. Die Sendung, die ich gerade über das schwedische Königshaus mache, besteht weitestgehend aus Originaläußerungen des Königs und der Königin.
Fehlt Ihnen noch ein Interviewpartner in Ihrer Sammlung?
Ach, nein. Und ich hab’s auch nicht überall versucht. Wem Blut an den Fingern klebt, hat es mich nie interessiert. Das sind dann jene, die Sie bei der Frage im Visier haben: Wie kann man sich nur für Königshäuser interessieren!?
Nach der Wanderhure hat das Dreamteam des verfilmten Groschenromans Iny Lorentz und Hansjörg Thun wieder zugeschlagen: Die Ketzerbraut (zu sehen in der Sat1-Mediathek) macht aus dem Spätmittelalter ein seifiges Melodram, das nicht nur dramaturgisch völlig misslingt, sondern auch noch historische Fakten bis an den Rand der Geschichtsklitterung vergewaltigt. Und ständig schürzt Ruby O. Fee (Foto@Sat1) zum Kusse bereit die Lippen. Eine Abrechnung.
Von Jan Freitag
Das Dasein zur Zeit Martin Luthers muss furchtbar gewesen sein. Am Übergang zur Renaissance wurde das finstere Mittelalter zwar in etwas mehr Licht getaucht. Trotzdem blieb die Existenz fast aller von Unrecht, Ignoranz und Ablasshandel gekennzeichnet, von Elend, Folter, Angst, der Pest geprägt. Als die Reformation ans Wittenberger Kirchentor klopfte, war das Leben also freudlos und kurz – besonders für Frauen, die seinerzeit exakt drei Aufgaben hatten: Arbeiten, Kinderkriegen, Schnauzehalten. Ausnahmen gab‘s nicht. Es sei denn, hinter Klostermauern.
Obwohl, eine findet sich auch davor. Sie heißt Veva, was 500 Jahre später in Berlin-Mitte ein ähnlich lässiger Name wäre wie im München 1517. Als käme sie grad aus dem Beautysalon, hüpft diese Veva mit laszivem Pressdekolletee durch den Dreck der Residenzstadt und verteilt hier ein Lächeln an Bekannte und dort ein Almosen an Bedürftige. Jeder kriegt ein Scheibchen ihres sonnigen Gemüts, bevor sie es pfundweise an den freigeistigen Maler Ernst verteilt. Noch so eine Figur, die sprachlich, optisch, habituell auch dann nicht auffiele, wenn sie 2017 durch Kreuzberg liefe.
So stellt sich Sat1 eine Kaufmannstochter nebst Verehrer im Spätmittelalter vor, wenn es daraus nach Pilgerin und Wanderhure die nächste Geschichtsschnulze macht. Wie ihre zwei Quotenqueens stammt schließlich auch Die Ketzerbraut von der Geschichtsschnulzenfabrikantin Iny Lorentz, deren Bücher bislang dreizehnmillionenfach verkauft mit historischer Authentizität spielen wie ein Kind mit Bauklötzen: Alles aufeinanderstapeln, lautstark einreißen, jauchzend in die Hände klatschen – fertig ist das Entertainment für Leute, denen viel an Schauwert gelegen ist und wenig an Inhalt.
In diesem Fall sieht das so aus: Die kluge, schöne, selbstbewusste, belesene, emanzipierte, aufsässige, coole, also durch und durch ahistorische Titelheldin (Ruby O. Fee) sieht nicht nur super aus, sondern ist des Lesens mächtig, weshalb sie als wohl einzige Frau ohne Nonnenornat jener bildungsfernen Männer-Ära die renitenten Flugblätter von Martin Luther (Adrian Topol) versteht und zur Religionsrevoluzzerin wird. Das macht sie zum Feind mächtiger Gegner wie dem fiesen Pfarrer von Perlach (Paulus Manker), der Kardinal werden will anstelle des Kardinals. Mithilfe der wesensbösen Rittersfrau Walpurga (Elena Uhlig) lässt er den Glashandel von Vevas Vater zerstören und dessen Tochter schänden. Als „Ketzerbraut“ verstoßen, schwört sie Rache, die im Finale (Achtung, Spoiler!) so glückt, dass die Amazone mit dem Schmollmund gar Martin Luther das Leben rettet.
Angesichts dieser eher freien Geschichtsinterpretation könnte man it’s only entertainment sagen und sich entspannt zurücklehnen; doch so einfach ist das nicht. Wie schon in seinem Wanderhuren-Zyklus, reklamiert Regisseur Hansjörg Thurn zwar historische Faktentreue für seinen Film. Anders als die Reiter der ersten Mittelalterwelle von Umberto Eco bis Noah Gordon versuchen aber weder Thurn noch Lorentz dieses vielschichtige Zeitalter auch nur im Ansatz zu begreifen. Die Figuren darin sind bloß Platzhalter des anhaltenden Interesses am Thrill einer zugkräftigen Epoche, mit der sich Quote oder Kohle, gern beides machen lässt.
Hatte der Kulturbetrieb vor 1945 gern (und ab 1933 effektiv) im Mittelalter nach Quell und Wesen des nationalen Kollektivs gesucht, dreht die Unterhaltungsindustrie den Aneignungsprozess nun um. Sollte die finstere, aber verlockende Mythologie einst etwas über die Gegenwart erzählen, spielt die Gegenwart nun umgekehrt Mittelalter. Deshalb durfte Die Wanderhure ihrem Lover in den Worten von heute mitteilen, „verrückt nach dir“ zu sein, als beide nackig im See baden. Deshalb darf Ernst Die Ketzerin jetzt „und du stehst rein zufällig hier?“ fragen, als er sie mit Dackelblick anbaggert. Deshalb können die Versicherungsangestellten Iny Klocke und Elmar Wohlrath unterm Pseudonym Lorentz mit allerlei Achtelwissen Vorlagen für Fernsehfilme in Reihe basteln. Deshalb steckten in der vierteiligen Adaption von Ken Folletts Säulen der Erde zuletzt sagenhafte 40 Millionen Euro.
Gut, ließe sich einwenden: sind halt Märchen vor historischem Hintergrund und damit auch nicht unglaubwürdiger als Actionblockbuster, in denen der Held nach 25 Wirkungstreffern lustig Sprüche klopft. Doch so wie The Fast and the Furious sein (vorwiegend männliches Publikum zu Vollgas und Sexismus animiert, verleiht die Liebe des handelsüblichen Mittelalter-Melodrams zur Optik dem Inhalt dahinter eine Authentizität, die fahrlässig ist. Wenn ein weiblicher Mob im Finale der Ketzerin den fiesen Großinquisitor stürzt, entsteht nämlich der Eindruck, Gleichberechtigung sei 1517 erstritten worden, nicht 450 Jahre später. Weil die Sympathieträger in der akribisch dekorierten Kulisse dabei dank weißer Zähne und perfektem Makeup porentief rein sind, wirken die Western der Technikolor-Ära verglichen damit fast dokumentarisch. Und weil kein Protagonist die kleinste Entwicklung durchmacht, ist das Ganze dazu dramaturgisch ein Rückfall in die Zeit der Schwarzwaldklinik.
Keine Frage: Ruby O. Fee als Hipster-, pardon, Ketzerbraut kann wehklagen wie einst Maria Schell und sieht dabei cooler aus. Der Rest dieses Schmierentheaters jedoch macht sein Thema nichts als lächerlich. Dabei kann uns die fiktionale Betrachtung vergangener Epochen durchaus helfen, unsere eigene zu verstehen. Die Ketzerbraut hingegen kann uns bestenfalls helfen, die Zeit bis zum Bett zu überbrücken. Sofern man nicht vorm Fernseher einschläft.
Es war in den vergangenen zwei Jahren oft die Rede, besser: das Gebrüll davon, dass der mediale Mainstream über Morde mit Migrationshintergrund nur dann berichte, wenn ihn die Opfer haben, nicht die Täter. Das war und ist natürlich zynischer Unsinn. Umso mehr lässt ein Ereignis beim Focus, der ideologisch eigentlich ganz gerne mal mitbrüllt, aufhorchen: Vorige Woche hat er den Mord an einem Asylbewerber gemeldet. Und was ist passiert? Genau: In der Kommentarspalte feierten Rassisten seinen Tod in Wort, Bild und Smileys. Aber wie viel eindrücklicher waren doch all jene, die der Menschenverachtung an gleicher Stelle eine Flut an Humanismus und Mitgefühl entgegensetzt haben.
Womit bewiesen wäre, dass sich die Wohlmeinenden den digitalen Resonanzraum zurückerobern können, wenn sie der Kraft ihrer Herzen folgen. Das zeigt dieser Tage unter anderem die antisexistische Plattform Pinkstinks mit einer klugen Kampagne gegen die nächste Runde der Sexobjektzucht Germany’s Next Topmodelbei Pro7. Empathie is beautiful! Als Fußballfan hingegen hätte man am Dienstag dann doch kurz aus der Haut fahren können. Da hat die ARD das Pokal-Spiel des abstiegsbedrohten VfL Wolfsburg beim unschlagbaren FC Bayern übertragen und damit erneut bewiesen, wie egal ihr Anspruch und Spannung sind, solange sie ihr liebstes PR-Produkt FCB weiter und weiter und weiter mit Werbezeit fördern darf.
Das Spiel war wie zu erwarten von vorhersehbarer Eintönigkeit ohne jede Form von Spannung oder Esprit. Aber gut – die Quote ging in Ordnung, weil Fußball nun mal immer geht. Was übrigens auch ein Grund dafür war, warum das ZDF vor 29 Jahren ML Mona Lisa gegen die Sportschau programmiert hat, der damals praktisch alle Männer im Land zwanghaft zusahen. Irgendwann wurde ML dann mit geschlechtsloserem Tenor vorverlegt, was aber immer noch kaum Männer sehen wollen, die nach wie vor samstagnachmittags um dieses Zeit nur Bälle im Kopf haben, weshalb das Magazin nun eingestellt wird. Schade. Nicht nur für Zuschauerinnen.
Die Frischwoche
13. – 19. Februar
Denen dafür am Dienstag auf Sat1 ersatzweise Die Ketzerbraut vorgesetzt wird. Schön, klug, belesen, emanzipiert, selbstbewusst, tough wird Kaufmannstochter Veva (Ruby O. Fee) darin zur Zeit Martin Luthers Opfer einer Intrige und schwört Rache, die ihr so gelingt, dass sie am Ende – Achtung, Spoiler! – auch noch den Reformator vorm Tod bewahrt. Danke, Veva! Ohne dich ließe die Moderne wohl noch immer auf sich warten. Dank auch an Iny Klocke alias Lorentz, die uns nach Wanderhure und Pilgerin nun das nächste Supersexypowergirl in männerdominierter Epoche liefert. Nicht zuletzt Dank an Sat1, das uns mal wieder ein Mittelalter baut, in dem es vor Leuten wie Vevas Lover (Christoph Letkowski) wimmelt, deren Sprache, Aussehen, Gestus direkt aus Berlin-Mitte stammt.
Eine Gegend, die nicht nur massenhaft Vollbärte aufweist, sondern auch Bausünden wie jene, von der Teil 2 der ungeheuer aufrüttelnden Dokumentation Unsere Städte nach ‘45 (Montag, 23.30 Uhr, ARD) über die zweite Zerstörung Deutschlands durch die gewissenlose Architektur der Wirtschaftswunderrepublik. In den 80ern wurde sie dann auch von einem schwedischen Möbelhaus möbliert, dem Sat1 am Mittwoch um 20.15 Uhr den (kostenlosen?) Dauerwerbclip 15 Dinge, die Sie über IKEA wissen müssenschenkt – wahrscheinlich, ohne auf Umweltverschmutzung oder Arbeitsbedingungen hinzuweisen, die weit mehr Anlass zur Kritik böten als komplizierte Bauanleitungen.
Um soziale Schieflagen geht es auch in einem der Serienneustarts: Donnerstag um 23.15 Uhr zeigt Arte mit Frauen im Ring eine Art weibliches Pendent von Ganz oder gar nicht, wo sich einst arbeitslose Engländer als Stripper verdingten. Nun bessern Französinnen beim Catchen ihr Arbeitslosengelt auf, was sehr lustig werden könnte. Weniger lustig, aber seit 1996 fast kultisch verehrt, ist die BBC-Serie Silent Witness um ein englisches Forensiker-Team. ZDFneo zeigt ab heute (20.15 Uhr) die neue Staffel. Auf dem skandinavischen Krimi-Platz des ZDF beginnt am Sonntag um 22 Uhr die internationale Koproduktion Trapped des isländischen Regisseurs Baltasar Kormákur um ein Fischerdorf seiner Heimat, das es zugleich mit seltsamen Todesfällen und einem Schneesturm zu tun kriegt.
Vor den Wiederholungen der Woche noch kurz der Hinweis, dass die Goldene Kamera dieses Jahr erstmals auch als Digital Award verliehen wird. Wenn ZDFneo am Samstag (21.55 Uhr) die Preisverleihung überträgt, dürfte das zwar weniger glamourös sein als die analoge Show drei Wochen später, aber relevanter. Wie 100 Minuten zuvor Jan Ole Gersters schwarzweiße Filmperle Oh Boy von 2012 auf 3sat. Wie die farbige Wiederholung La Vie en Rose (Montag, 20.15 Uhr, One) mit Marion Cotillard als Edith Piaf (2007). Wie der ewig und drei Tage sehenswerte Geniestreich Und täglich grüßt das Murmeltier (Donnerstag, 23.45 Uhr, SWR). Auch der Alt-Tatort: Um jeden Preis (Dienstag, 20.15 Uhr, BR) um einen Mord im Münchner Medienmilieu von 2009, garantiert gute Unterhaltung mit Niveau. Und das Beste: Journalisten werden darin mal nicht als gewissenlose Bluthunde, sondern aufrechte Streiter für die Wahrheit gezeigt.