Ausgeladene Gauleiter & kitschige Metzger

Die Gebrauchtwoche

23. – 29. Dezember

Nein, sagte ZDF-Chefredakteur Peter Frey sinngemäß in einem Zeit-Streitgespräch, öffentlich-rechtliche Sender seien weder links noch grün oder gar versifft, nähmen sich aber ab sofort die Freiheit, Bernd Höcke kein Podium für seine faschistoiden Herrenrassefantasien zu geben. Der Blut-und-Boden-Fanatiker werde fortan also nicht mehr in Talkshows des Zweiten Deutschen Fernsehens eingeladen. Als Zuschauer wäre Thüringens selbsterklärter Gauleiter in spe jedoch höchst willkommen – würde er den Altersschnitt des ZDF mit seinen 1047 Jahren doch beachtlich senken.

Wobei das Erste da um keinen Tag drunter liegt, im Gegenteil – fehlt ihm doch ein Zielgruppenanker wie Jan Böhmermann, der mit seiner elaborierten Frechheit nicht nur tief in die Generation Z hineinwirkt, sondern bis über die Schmerzgrenze hinaus haltungsstark ist. Das sieht man daran, dass er gegen das Teilverbot seines Schmähgedichts gegen den Blut-und-Boden-Fanatiker Recep Tayyip Erdoğan nun vors Bundesverfassungsgericht zieht. Zum Dank, steckt das Zweite sein Neo Magazin Royal ab Herbst zwar gewiss Richtung Geisterstunde, aber das hätte es dann ja mit Oli Dittrich gemeinsam.

Dessen Boulevard-Abrechnung FRUST – das Magazin wie die neun Eigenanalysen des WDR zuvor erst kurz vor Freitag in der ARD zu sehen war – und damit abermals zeigte, dass sie Selbstkritik doch lieber versteckt, als verbreitet. Zur Ehrenrettung sei die Programmpolitik aber mit Pro7 verglichen, das unterm eskapistisch-debilen Titel We Love 2019 aufs rundum katastrophale Jahr zurückblickt. Wobei es ja auch für den Privatsender selbst nichts Gutes verheißt – glaubt man zumindest dem Bericht des Manager-Magazins, Max Conze würde die angeschlagene Sendergruppe mit großem Ego und Berlusconis Hilfe in die Pleite reiten. Schwer zu sagen, ob die mediale Vielfalt daran schaden nähme.

Die Frischwoche

30. Dezember – 5. Januar

Das gilt auch für zwei prägnante Demissionen der Woche. Denn wenn die unverwüstlich Birgit Schrowange heute um 23.15 Uhr nach 25 Jahren das RTL-Magazin Extra verlässt, geht zwar eine Ära des dualen Systems zu Ende, aber gewiss keine, der man aus journalistischer Sicht auch nur fünf Sekunden hinterher trauern sollte. Ähnliches gilt für Uwe Kockisch, dessen Commissario Brunetti 2002 den Reisekatalogkrimi-Boom im Ersten begründet hatte, Mittwochabend aber letztmals dramaturgische Ödnis mit klischeehafter Figurenzeichnung kombiniert.

Andererseits entpuppt sich das Licht am Ende des Tunnels oft als herannahender Zug – oder Florian Silbereisen, der tags drauf Sascha Hehn auf der Kommandobrücke des Traumschiffs ablöst und damit zeigt, dass die Seniorenunterhaltung im ZDF immer noch ein wenig tiefer sinken kann. Nur unwesentlich höher steckt das Erste mit der Spätwesternschmonzette Club der singenden Metzger fest. Geschlagene drei Stunden lang macht Uli Edel aus der biografisch geprägten Literaturvorlage um Deutsche mit ulkigen Vornamen wie Fidelis (Jonas Nay) und Delphine (Aylin Tezel), die nach dem 1. Weltkrieg nach Amerika auswandern, ein konventionelles Stück Historytainment von erschütternder Kitschigkeit.

Damit könnte man zu den Wiederholungen der Woche überleiten, die neben Feuerzangenbowle und Sissi natürlich auch das baugleiche Feiertagsritual Winnetou bereithält. Wollen wir aber nicht. Stattdessen zwei neue Tipps: in der joyn-Serie Dignity wird die berüchtigte Kolonia Dignidad um den Altnazi Paul Schäfer (Devid Striesow) porträtiert, wobei der Fokus nicht auf der faschistoiden Unterdrückungsmechanik liegt, sondern darauf, was sie mit Menschen macht. Und als Reminiszenz an den Chromosomensatz des Weihnachtsmanns: Real Man, eine anderthalbstündige Doku, mit der Arte am Sonntag um 22.15 Uhr männliche Klischees seziert und wie sie mit der Gegenwart klarkommen. Ansonsten: fernsehfreien Rutsch ins neue Jahr, die Kolumne kehrt am 6. Januar zurück.

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Eidinger/Möhring: West of Liberty & 25 km/h

Ich telefoniere nicht mal gern

Lars Eidinger und Wotan Wilke Möhring zählen schon lange zu den Superstars der deutschen Filmszene, im Agenten-Zweiteiler West of Liberty (als internationale Serienfassung in der ZDF-Mediathek) spielten sie kürzlich erstmals gemeinsam tragende Hauptrollen. Ein Doppelinterview über Whistleblower und Agenten, moderne Helden, wahrhaftige Fiktion und warum man Tim Burton nicht absagt.

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Herr Eidinger, Herr Möhring – Sie beide haben in Ihrer Karriere bislang äußerst unterschiedliche Genres gespielt. War schon mal eine Agentenserie dabei?

Wotan Wilke Möhring: Ein bescheuerter Agentenfilm, ganz am Anfang. So einen Untergrund-Thriller hatte ich dagegen noch nie. Kriegt man bei uns auch nicht oft angeboten.

Lars Eidinger: Im Ausland schon eher. Mein größter Traum ist es, einmal den Bösewicht im James Bond zu spielen.  Wobei ich gehört habe, dass der nächste 007 eine Frau sein soll. Vielleicht bewerbe ich mich dann lieber als Bond-Boy.

Möhring: Der im Einteiler aus dem Wasser steigt, geil.

Sagt man einem Drehbuch, auf dem „Agententhriller“ steht, sofort zu, weil das so außergewöhnlich und aufregend ist?

Möhring: Solche Begriffe stehen da in der Regel ja nicht drauf. Es sei denn damals, als ich für RTL Old Shatterhand spielen sollte.

Eidinger: Da stand „Western“ drauf?

Möhring: Nee, aber bei Winnetou ist das ja klar und hat mich sofort gepackt.

Eidinger: Liest du eigentlich auch erstmal nur deine Passagen oder das ganze Buch von vorne nach hinten?

Möhring: Auch erstmal nur meine. Schon um zu wissen, ob der überhaupt irgendwas in der Geschichte zu melden hat und mit welchem Aufwand.

Eidinger: Bei mir Stand „Whistleblower“ im Anschreiben. Ein moderner Held.

Möhring: Der für seine Vorstellung von Wahrheit alles gibt.

Darf man sowas Traumrolle nennen oder ist das gar keine Kategorie, in der Schauspieler denken?

Eidinger: Mir war das vorher nicht bewusst, aber im Nachhinein ist es schon eine Traumrolle. Auch, weil sie so kammerspielartig an einem Ort spielt. Normalerweise ist man dauernd zwischen Drehorten unterwegs; hier war ich fast durchgehend in einem Studio in Malmö – und hatte nahezu keine Spielszenen mit Partnern.

Möhring: Außer im zweiten Teil, wo wir uns zum einzigen Mal wirklich begegnen.

Kommt dieses Kammerspiel dem Theater näher als im Film üblich?

Eidinger: Das physische Spiel auf engstem Raum? Ja. Ich habe schon das Gefühl, dass ich, wenn es körperlich wird, von meinen Erfahrungen auf der Bühne profitiere.

Möhring: Wobei sich die Klaustrophobie des Whistleblowers auch ohne Bühnenerfahrung sofort erschließt. Sein Wesen besteht ja quasi in der selbstgewählten Isolation.

Eidinger: Das sah man auch an dem verwahrlosten Zustand, in dem Julian Assange aus der Botschaft abgeführt wurde. Bei West of Liberty fiel dazu mir Platons Höhlengleichnis ein und wie sich die Wahrnehmung verändert, wenn man im wahrsten Sinne des Wortes nur Schatten der Ereignisse sieht. Der Mensch braucht ein leibhaftiges Gegenüber, sonst ist er verloren.

Und ein digitales Netzwerk reicht dafür nicht?

Möhring: Nicht, um sich seiner wahrhaftigen Existenz zu versichern. Sonst bleibst du ein Avatar deiner Fantasie. Deshalb kommuniziere ich nach wie vor extrem haptisch. Als Vater von drei Kindern weiß ich eben, wie wichtig spürbare Berührung ist. Und du, Lars?

Eidinger: Weil ich Leuten am liebsten gegenübersitze, telefoniere ich nicht mal gern. Aber in West of Liberty trifft die gefilterte Kommunikation ohne echten Kontakt den Kern dessen, wogegen Lucien Gell angetreten ist: Sich von der Manipulation durch Medien zu befreien – ganz gleich ob digital oder analog und selbst beim Hörensagen. Wenn man am Tatort eines Verkehrsunfalls zehn Zeugen befragt, bekommt man zehn unterschiedliche Beschreibungen der Ereignisse. Das macht die Serie zum Appell, Informationen grundsätzlich zu hinterfragen.

Aber auch anfällig für die populistische Kernthese der Lügenpresse.

Eidinger: Im Gegenteil: Die Skepsis macht im Umgang mit Populismus sogar ausgesprochen hellhörig und sensibel. Nur so wird ersichtlich, ob man durch die subjektive Sicht einer Quelle manipuliert wird.

Möhring: Schließlich filtern wir sogar die eigene Kommunikation. Ich hab grad gelesen, dass es in Sozialen Netzwerken kaum noch ungefilterte Informationen gibt. Profilbilder sind ebenso gefiltert wie Biografien, der Schein entwickelt sich zum Sein. Meine Schwester ist Professorin für Journalistik und rät ihren Studenten daher, jede Quelle mit der nächsten zu überprüfen, weil es schlicht keine gibt, die zweifelsfrei unabhängig, gar objektiv ist. Jede Wahrheit braucht Skepsis und je größer die Wahrheit, desto größer sollte sie sein.

Und wie wahrhaftig ist die ZDF-Serie?

Eidinger: Zumindest sosehr, dass sie jedem Zuschauer ermöglicht, eine eigene Haltung zum Thema einzunehmen. Es gibt darin weder schwarz noch weiß, richtig oder falsch, alle Figuren sind extrem ambivalent, kein Whistleblower ist bloß gut, kein CIA-Agent bloß schlecht, aber alle sind dazu fähig, das große Ganze durch ihr Handeln zu beeinflussen. Wie sagst du am Ende noch so schön?

Möhring: Die Mauer ist nicht gefallen, sie wurde von Menschen zum Einsturz gebracht?

Eidinger: Genau. Das gilt doch für jedes noch so komplexe System. Nehmen Sie die Brände im Amazonas: Wir können 1000 entrüstete Bilder posten. Oder wir hören auf Fleisch zu essen, für das der Regenwald brandgerodet wird. Um diese Verantwortung jedes Individuums geht es im Grunde auch in der Serie und um das Potenzial jedes einzelnen von uns.

Möhring: Dass Politik, Wirtschaft und Geheimdienste so verstrickt sind, wie wir es zeigen, könnte also Anlass zur Resignation sein. Aber irgendwo taucht halt doch immer wieder eine Greta Thunberg oder ein Edward Snowdon auf, deren selbstloser Idealismus zeigt, wie viel jeder und jede einzelne tun kann.

Der Idealismus ihrer Figuren ist dagegen wie im Fall des desillusionierten CIA-Spitzels Ludwig Licht erloschen oder wie in dem von Lucien Gell übersteigert. Hätten sie beide beides spielen können oder passt das so schon am besten?

Möhring: Das passt jedenfalls nicht so wie Faust aufs Auge, dass es nicht auch andersrum gegangen wäre.

Eidinger: Ludwig Licht hätte ich auch gern gespielt.

Merkt man den Filmen an, dass die Hauptverantwortlichen, also Buch und Regie, Frauen sind?

Möhring: Vielleicht ein bisschen daran, dass der einzig echte Held am Ende eine Heldin ist. Aber ob es eine Art weiblicher Kraft gibt, übersteigt meine Fantasie. Die Frage ist immer, ob es einen guten oder einen schlechten Kapitän gibt, und Barbara Eder war ein guter.

Eidinger: Ich höre schon oft von Frauen in dem Beruf, wie schwer es ihnen teilweise von Seiten der Männer gemacht wird und wie viel mehr Widerstände sie zu überwinden haben. Bei Barbara Eder hatte ich das Gefühl, dass ihr das gelingt und sie sich gut dagegen behaupten kann.

Möhring: Das ist aber keine weibliche oder männliche, sondern fachliche und menschliche Stärke.

Hatten Sie abgesehen von 25 Km/h voriges Jahr eigentlich schon mal miteinander gedreht?

Möhring: Nicht dass ich wüsste, und da haben wir auch nur Tischtennis gegeneinander gespielt.

Eidinger: Stimmt. Da hatte Wotan eine eher kleine Rolle, jetzt ist es umgekehrt. Das entspricht auch meinem Ideal, dass wie in einem Theaterensemble mal der eine, dann die andere groß spielt und man sich so gegenseitig stützt.

Möhring: Zumal man in Nebenrollen viel mehr aufs Gas treten kann, während Hauptrollen moderater angelegt sind. Es darf nur nie um Hierarchien, sondern das Ergebnis gehen.

Eidinger: Oder man darf wie ich in Dumbo mitspielen. Die Rolle war zwar winzig, aber ich will den Schauspieler sehen, der eine noch so kleine Rolle ausschlagen würde, wenn er die Möglichkeit hat mit Danny DeVito unter der Regie von Tim Burton zu spielen.


Hohe Hacken & Zwei Päpste

Die Gebrauchtwoche

9. – 15. Dezember

Fernsehfußball, das war mal die Zusammenfassung dreier Samstagsspiele in der Sportschau, alle zwei Jahre EM- oder WM-Partien mit deutscher Beteiligung, dazu Finalrunden im DFB- und Europapokal – das war’s am Röhrenbildschirm. Und heute? Zählt die Übertragung jeder Minute aller Wettbewerbe wie Wasser, Brot und Strom zur Grundversorgung. Allerdings zu Luxusgüterpreisen. Nur so ist zu erklären, dass fürs milliardenalimentierte ZDF beim Wettbieten um die Champions League nur die zeitnahe Zusammenfassung der übrigbleibt. Doch was heißt nur…

Aus öffentlich-rechtlicher Sicht ist es erstaunlich, dass überhaupt etwas von der Eliteliga frei zugänglich bleibt. Schließlich hat selbst der grenzenlos kaufkräftige (kauft nicht bei) Amazon-Kanal Prime im Poker mit dem neureichen Portal DAZN nur ein Dienstagsspiel abgekriegt, während der Platzhirsch Sky sogar ganz leer ausging. Die Transferperiode der späten Neunziger, als Fußball noch mehrheitlich ein Sport, kein Shareholder-Investment war, ist demnach genauso vorbei wie die Zeit der SMS.

Voriges Jahr nämlich, so erklärte die Bundesnetzagentur, haben die Deutschen insgesamt 8,9 Milliarden Kurznachrichten verschickt. Klingt viel, waren aber 14 Prozent weniger als 2017 und damit so wenig wie zuletzt 1999, als Simsen noch nicht im Duden stand und überhaupt einiges in der menschlichen Kommunikation anders war, was keineswegs gleichzusetzen ist mit „schlechter“. Seinerzeit nämlich rückten Reklame und Fiktion gerade ab vom Leitbild der Hausfrauenehe, weshalb Männer plötzlich die Wäsche und Frauen Karriere machen durften.

Schöne emanzipierte Zeit.

Wenn man nämlich heute fernsieht, regiert wieder das Klischee fürsorglicher, attraktiver Frauen, die – falls sie doch mal beruflich Erfolg haben – wie die weiblichen Charaktere der ARD-Filme Der König von Köln oder Der beste Papa der Welt selbst im Wald- und Wieseneinsatz High Heels tragen, was angesichts beider Charaktere so realistisch ist wie Badelatschen im Schützengraben und den reaktionären Standard deutscher Mainstreamunterhaltung gut zum Ausdruck bringt: Frau hat in jeder Lebenslage attraktiv zu sein. Fertig.

Die Frischwoche

16. – 22. Dezember

In einer Zeit, die geständige Pussy-Grabber ins Weiße Haus trägt, macht folglich auch Andrea Sawatzki im 4. ZDF-Einsatz der Familie Bundschuh optisch auf Sexbomb, während Axel Milberg als ihr gleichreifer Mann jenseits körperlicher Verfügbarkeit agieren darf. Ähnliches gilt für die ARD-Filme Geschenkt! (Mittwoch) und Harter Brocken (Donnerstag), von RTL ganz zu schweigen, der seine Kandidatinnen am Dienstag ins Finale den oberflächlichen Bachelor in Paradise schickt.

Wie emanzipiert ist es da, am Freitag um 20.15 Uhr auf der Literatur-Verfilmung Das Löwenmädchen auf Arte beizuwohnen, dessen Titelfigur erfolgreich gegen frauenfeindliche Konventionen im Fin de Siècle kämpft. Förmlich umgekehrt wird das reaktionäre Geschlechterverhältnis, wenn Männer in der britischen Komödie Swimming with Men am Donnerstag auf ServusTV aus sozialer Not Wasserballett machen. Nicht ganz so emanzipiert, aber durchaus eindrücklich unter sich sind der Schöpfung vermeintliche Herren in den anderen Filmtipps der Woche.

Allen voran: Die zwei Päpste. Das brillante Biopic von Benedikt XVI. und Franziskus I. entbehrt ab Freitag auf Netflix zwar jeder Grundlage; wie Anthony Hopkins und Jonathan Pryce ihre Stellvertreter Christi jedoch in einen zweistündigen Disput um die Zukunft der katholischen Kirche treiben, ist auch ohne Frauen glaubhaft. Gleich ganz mit sich allein ist Matt Damon zeitgleich auf Pro7 als gestrandeter Astronaut Der Marsianer. Und immerhin einen Mitspieler haben Jürgen Vogel und Franco Nero in der bisweilen unfreiwillig komischen Ötzi-Nachstellung Der Mann aus dem Eis, heute auf Arte.

Das leitet nach dem kurzen Dokumentartipp The Invisible Line, mit dem der Spartenkanal Crime das Zustandekommen der Terror-Dystopie Die Welle skizziert, schon dem Titel nach die Wiederholungen der Woche ein. Zum Beispiel den Historienklassiker Cleopatra von 1963 mit Elizabeth Taylor am Freitag um 22.55 Uhr im BR als ebendie. Und auf gleichem Kanal reist der Tatort am Dienstag zurück in die Ursprünge von Udo Wachtveitl und Miroslav Nemec zum 400. Reihenfall Schwarzer Advent von 1998.


Moon Bros, Dirty Projectors, Throbbing Gristle

Moon Bros.

Es gibt Gründe, kurz vor Weihnachten kein Album rauszubringen. Die wichtigsten: Das Publikum ist auch musikalisch in Feststimmung und legt in der Regel, zweitens, nur dann mal Schallplatten auf den Gabentisch, wenn es sich um Mainstreamsuperstars handelt. Für Moon Bros. gilt weder das eine noch das andere – und doch irgendwie beide zugleich. Denn das Lagerfeuerprojekt von Matthew Schneider mag zwar alternative sein, klingt in seiner warmen Westernhaftigkeit aber so massenkompatibel, dass es prima unter jeden Weihnachtsbaum Arizonas passt.

 

Mit vielschichtigem Folkpicking, gelegentlich hindurchwehender Steelguitar und einer Mundharmonika, die sich immer wieder wie ein Schwarm Vögel auf die Stromleitung darüber hockt, klingt der begleitete Solist aus Chicago genau, wie der Titel seiner neuen Platte: The Easy Way Is Hard Enough. Die verschrobene Leichtfüßigkeit seiner Arrangements wirkt zwar, als habe Neil Young ein bisschen am Soundtrack von Löwenzahn gefeilt; zugleich aber sind die sieben meist instrumentalen Stücke so virtuos und dabei gefühlvoll, dass sie auch unterm Christbaum funktionieren. So als alternative Alternative.

Moon Bros. – The Easy Way Is Hard Enough (Cargo)

Dirty Projectors

Und weil die Tage vor Weihnachten so arm an Neuveröffentlichungen sind, kann man ausnahmsweise mal ein Live-Album empfehlen. Wobei “Live” hier nicht im Sinne von “Konzertmitschnitt vor Publikum” zu verstehen ist. Denn im Rahmen der Domino Documents Sessions hat sich der Singer/Songwriter Dave Longstreth mit einer Reihe befreundeter Musiker*innen ins Manhattener Studio PowerStation gestellt und die Songs der letzten Tournee seines Hauptprojektes Dirty Projectors live-on-tape eingespielt.

Das Ergebnis ist ein akrobatischer Kopfstand mit Bodenhaftung. Sind karibisch angehauchte Funk- und Pop-Elemente sonst eher Teilaspekte des rockigen Sounds der Dirty Projectors, dreht sich das Verhältnis in Sing The Melody um. Schon das ulkig kratzende Right Now klingt mit viel Soul und etwas Kazoo zum Auftakt, als würde Pharrell Williams mit Ween den alten James Brown covern. Spätestens, wenn überm Motown-Gesang von That’s A Lifestyle plötzlich die Prince-Gedächtnis-Gitarre jault, sind wir allerdings zurück in Longstreths Independent – und gehen mit einem Lächeln ins neue Jahr.

Dirty Projectors – Sing The Melody (Domino)

Reissue der Woche

Throbbing Gristle

Damit dieses Lächeln nicht zu weihnachtlich wird, unterwandern wir jeden Anflug von Festtagslaune mal mit der Unterwanderung tradierter Hörgewohnheiten schlechthin: einer digital überarbeiteten Fassung dreier Spätwerke des dystopischen Antipopkollektivs Throbbing Gristle, für die sich Chris Carter, Peter Christopherson, Genesis P-Orridge und Cosey Fanni Tutti 23 Jahre nach dem Ende ihres legendären Projektes nochmals ins Studio begeben. Nun würden viele gewiss sagen, Part Two: The Endless Not, TG Now und A Souvenir of Camber Sands waren doch schon 2004 zu krank, um aufs Publikum losgelassen zu werden. Stimmt ja auch. Trotzdem sind solche Reissues (PIAS) die perfekte Antwort auf weihnachtliche Hirnsedierung und mindestens als Wachmacher schwer zu empfehlen.


Tilo Jung: junge Naivität & alte Streitlust

Allerlei Rumgeschwurbel

Mit seiner streitlustigen Interviewtechnik gilt Tilo Jung (Foto: Jan Michalko) als Guerillero der Hauptstadtjournalisten. Dafür spricht der Erfolg seines Blogs jung & naiv, aber auch die regelmäßigen Wortwechsel in der Bundespressekonferenz. Hier ist der zweite Teil des Gespräches mit dem Mittdreißiger aus Mecklenburg über die Zukunft des Journalismus und überhaupt.

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Aus deinem Grundvertrauen ins öffentlich-rechtliche Fernsehen, das ausgerechnet jene digital natives konsequent meiden, die mit der Umsonstkultur des Internets aufgewachsen sind, also selten zu den ein Prozent freiwilligen Zahlern gehören, spricht ein bemerkenswerter Optimismus. Bist du ein Philanthrop?

Nein, aber aus der Erfahrung unseres eigenen Modells, das in den vergangenen fast fünf Jahren gut funktioniert hat, bin ich gleichermaßen Optimist und Realist. Ich habe nämlich noch keinen einzigen Grund dafür gefunden, warum das nur bei uns klappen sollte und nicht auch bei anderen, die zum Beispiel mit dem Medium Podcast gerade Riesenerfolge feiern.

Genau wie du. Warum lädt der altehrwürdige Presseverband DJV zum 70. Geburtstag eigentlich einen halb so alten digitalen Bilderstürmer auf sein Jubiläumspodium, der mit klassischen Medien, insbesondere denen auf Papier, kaum noch zu tun hat?

Das hat man mir auch nicht gesagt. Ich habe mich aber schon deshalb sehr darüber gefreut, weil ich als DJV-Mitglied, das mit diesem Verband nicht allzu zufrieden ist, damit die Gelegenheit kriegt, seine Kritik mal im Kreis des Vorstands kundzutun.

Es geht also eher um Streit als Selbstbeweihräucherung?

Ich hab meine Vorrecherchen noch nicht gestartet, nehme mir aber vor, alles anzusprechen, was ich in meiner Tätigkeit nebenbei negativ vom DJV wahrgenommen habe. Denn der muss sich aus meiner Sicht ändern, vielleicht auch in personeller Hinsicht. Das Versagen, das er der Politik vorgeworfen hat, gibt es ohne Frage auch im Journalismus bis hoch in die Führungsebenen des DJV. Das werde ich anprangern, denn es liegt ja in unserer Hand, etwas zu ändern. Sonst blamieren wir uns als Branche weiter. Ich bin gespannt, ob die anderen auf dem Podium das reflektieren. Wenn nicht, wird es ein lustiger Abend.

Gehst du eigentlich auch an deine Interviews und die Besuche der Bundespressekonferenz generell mit einer gewissen Streitlust heran?

Nein, denn anders als beim DJV, wo ich meine Meinung präsentiere, leiste ich als Blogger journalistische Arbeit und informiere etwa in der BPK darüber, wie die Bundesregierung informiert. Daraus kann dann jeder seine eigenen Schlüsse ziehen. Interessanterweise sehen die Leute in exakt demselben Ereignis schließlich oft völlig verschiedene Sachen. Deshalb gehe ich da nicht aufklärerisch rein, sondern nehme die Aufgabe wahr, durch meine Fragen zu zeigen, was die Bundesregierung freiwillig preisgibt und was nicht.

Ist es für dich in jeder Sitzung aufs Neue ein Lernprozess, wie politische Kommunikation funktioniert, oder bist du da mittlerweile so abgebrüht, alles zu verstehen?

Sagen wir mal so: ich finde das immer noch spannend, bin von Grund auf neugierig und habe mir dabei ein Stückchen Naivität bewahrt. Andererseits weiß ich durchaus um die Einzigartigkeit unserer Sendung und habe darin gelernt, mit welcher Art Fragen die Grenze der Bundesregierung, über ihr eigenes Handeln Auskunft zu erteilen, aufgezeigt werden kann. Ich komme ja gerade aus der heutigen Sitzung.

Worum ging es da?

Um das deutsche CO2-Budget und ob es für die Bundesregierung eigentlich eine relevante Größe ist, wie viel Treibhausgase genau wir noch verbrauchen dürfen.

Und?

Das kann sich jeder natürlich selbst ansehen und seine Schlüsse draus ziehen, aber nach allerlei Rumgeschwurbel war die Antwort: Nee, eigentlich nicht. In diesem Fall war der Mangel an druckreifen Antworten fast schon amüsant, aber manchmal ist er auch einfach nur traurig.

Nimmst du es nicht billigend in Kauf, dass diese Art der Vorführung politischer Kommunikationsunfähigkeit zu weiterer Politikverdrossenheit führt?

Nein, denn ich unterscheide da deutlich zwischen Politik- und Politiker- oder Parteienverdrossenheit. Erstere gibt es aus meiner Sicht nicht, letztere schon. Und da finde ich es einerseits absolut förderlich, wenn deren Kommunikationsverhalten zwischen Propaganda und PR von der Bevölkerung erkannt und abgelehnt wird. Denn das ist schädlich und muss bekämpft werden, weil es in einer Demokratie des 21. Jahrhunderts schlicht nichts zu suchen hat.

Und andererseits?

Traue ich unseren Zuschauerinnen und Zuschauern zu, dass sie die Politik von diesen Repräsentanten gut unterscheiden können. Wenn die Sendung also irgendetwas fördert, ist es Regierungsverdrossenheit; und damit habe ich persönlich überhaupt kein Problem.

Kannst du dich erinnern wie viele dieser Interviews und Konferenzen du mittlerweile hinter dir hast?

Also die langen Interviews sind ja durchnummeriert, da komme ich gemeinsam mit denen im Podcast auf mehr als 500. Und bei rund 100 Bundespressekonferenzen im Jahr waren das sicher an die 400.

Und da gibt es keinerlei Ermüdungseffekte?

Nein, im Gegenteil, mir macht fast jede einzelne davon noch immer Spaß.

Damit dürftest du im politischen Berlin allein dastehen…

Na ja, bis auf zwei, drei andere… Ein Abnutzungseffekt träte dann ein, wenn mir die Motivation fehlen würde. Aber wenn du meine Interviews siehst, wirst du erkennen, dass sie sich von den ersten bis zu den aktuellen grundlegend unterscheiden, aber eines gemeinsam haben: dass ich mich dabei nie langweile. Wenn ich zum zweiten Mal mit Sahra Wagenknecht rede oder zum dritten Mal mit Gregor Gysi, ergäbe es ja auch keinen Sinn, dieselben Fragen nochmal zu stellen. Bislang finde ich immer neue Wege, zu fragen – und das gilt auch für die Regierungspressekonferenzen. Was natürlich auch damit zu tun hat, dass es bislang niemanden gibt, der außer mir diese Arbeit macht.

Würdest du dich als dein eigener Kunde ausschließlich mit jung und naiv übers Geschehen der deutschen Politik informieren?

Nein! Denn wie eine Quelle allein generell nicht ausreicht, wäre es sogar gefährlich, sich nur über uns zu informieren. Wissen muss immer plural entstehen. Deshalb würde ich mindestens fünf, sechs weitere Medien empfehlen. Aber jung und naiv ist eine gute, tiefergehende, ruhige Ergänzung – und das ist auch das Feedback von 99 Prozent aller Menschen, die uns zusehen.

Welche Medien nutzt du selber?

Alle.

Auch klassisches Papier.

Ja, wenn auch keine Tageszeitungen mehr, von denen ich eher pdf-Dateien lese. Ich habe die Le Monde Diplomatique abonniert, meine Lieblingszeitung. Dazu das Katapult-Magazin, ein Journalismus-Start-up aus Greifswald, das mich auch als Mecklenburger interessiert. Außerdem lese ich je eine Wochenzeitung, die ich aber alle drei Monate wechsle.

Das heißt, du hegst keinen Dünkel gegen Papiermedien, nutzt nur digitale regelmäßiger?

Gegen bestimmte Papiermedien hege ich sehr wohl einen Dünkel und hoffe, dass sie sehr bald sterben. Aber das hat nichts mit dem Verbreitungsweg zu tun.

Du selbst hast als Teenager zuletzt in einer analogen Tageszeitungsredaktion gearbeitet.

Mit 15, als Schülerpraktikant beim Nordkurier aus Neubrandenburg, bei dem ich danach noch sechs Jahre als freier Reporter weitergemacht habe. Weil ich damals anders als die Redakteure alle Freiheiten der Welt hatte und nur zu den Terminen geschickt wurde, zu denen ich wollte, hat es mir damals zwar aufgezeigt hat, wie schön es ist, Journalist zu sein, aber auch, dass ich nie fest in einer Tageszeitungsredaktion arbeiten will.

Auch, weil du damals schon gespürt hast, dass dieses Medium keine Zukunft hat, oder dass du in diesem Medium keine Zukunft hast?

Weder noch. Ich bin nämlich der Meinung, dass die Tageszeitung auf lokaler Eben sehr wohl eine Zukunft hat. Selbst meine Eltern, die sich nicht allzu sehr für Bundespolitik interessieren, haben immer noch den Nordkurier abonniert, um zu wissen, was in ihrer eigenen Stadt los ist. Außerdem bin ich überzeugt, dass Lokalredaktionen weiter eine super Anlaufstelle für den journalistischen Nachwuchs ist, um diesen Beruf from the bottom zu lernen. Ich habe zwar generell Probleme damit, wenn sich die Politik zu sehr ins Private einmischt, aber wenn der Lokaljournalismus vorm Untergang stünde, müsste ihn der Staat deshalb irgendwie retten.

Vom Kohlepfennig gewissermaßen zum Zeitungscent.

Wie auch immer man das nennt, aber die Zeitung muss auch ausgedruckt bei Oma Erna und meiner Mutter landen. Dafür ist allerdings unbedingt notwendig, dass die Arbeit mit Hingabe erledigt wird. Man merkt Texten nämlich schnell an, ob sie aus Interesse am Thema verfasst wurden oder bloßer Pflichterfüllung. Und weil mir bei vielen meiner Kollegen seinerzeit die Leidenschaft fehlte, habe ich zwischenzeitlich auch mit dem Journalismus aufgehört. Ist aber anders gelaufen. Jetzt glaube ich wieder an ihn.

Hat dich der DJV ein Stück weit auch für diesen Optimismus eines jungen, erfolgreichen Online-Journalisten zu seiner Jubiläumsfeier eingeladen?

Keine Ahnung, aber falls der DJV eine Kommission zur Rettung des Journalismus einsetzen will, wäre ich bereit, darin mitzuwirken. Ich bin aber auch kein Zauberer.

Was du bist, ist mittlerweile 34. Wie lange kannst du deine Plattform dann eigentlich noch jung und naiv nennen?

Bis ich meine Frau geheiratet und ihren Namen angenommen habe. Innerlich bin ich nämlich noch immer ein Kind.


Medienmedien & Schneeweihnacht

Die Gebrauchtwoche

2. – 8. Dezember

Namen machen Moderne. Fast ein halbes Leben, nachdem der bislang letzte Rundfunkstaatsvertrag verabschiedet wurde und zeitgleich zur News, mit Klaas Heufer-Umlaufs Late Night Berlin habe ein Pro7-Format erstmals mehr Total Video Viewtime, also abgerufene Minuten über alle Plattformen hinweg, als die lineare Ausstrahlung am Montag, haben sich die 15 Ministerpräsidenten (darunter zwei Frauen) auf einen Nachfolger geeinigt, der ab Herbst seinen Titel ändert und damit (anders als die Frauenquote deutscher Regierungschefs) ein Stück Richtung Zukunft rückt. Schließlich berücksichtigt der künftige Medienstaatsvertrag, dass sich vor allem junge Menschen kaum noch von Fernsehen oder Radio informieren oder berieseln lassen und nimmt dafür gar nicht mehr allzu neue Kommunikationsmittel in die Pflicht.

Soziale Plattformen, YouTube, selbst die Sprachassistentin Alexa müssen sich dann Regeln unterwerfen, Lizenzgebühren entrichten, also Verantwortung tragen. Das gilt besonders für Tech-Giganten wie Facebook, die Medienintermediäre werden also Medienmedien, die Medien medial vermitteln. Wie gut, werden Larry Page und Sergey Brin da womöglich sagen, dass sie mit dieser Schuldigkeit nichts mehr zu tun haben. Beide Google-Gründer wechseln schließlich vom Vorstand in den Aufsichtsrat des Mutterkonzerns Alphabet und überlassen das operative Geschäft ihrem Nachfolger Sundar Pichai.

Es könnte der letzte CEO mit einer Art Ethos sein. Denn man muss ja kein Misanthrop sein, um Populisten, gar Diktatoren am Horizont zu sehen, die sich dank unbegrenzter Mittel oder Machtbefugnisse Medienintermediäre erkaufen oder anderweitig aneignen und der Demokratie damit endgültig den Saft freier Meinungsbildung abdrehen. In einer solchen Zukunft würde der MDR dann nicht die Zusammenarbeit mit dem Pegida-Kabarettisten Uwe Steimle beenden, der öffentlich-rechtliche Sender „gelenkt“ und Deutschland „besetzt“ nennt. Was allerdings definitiv jedes politische System überdauern dürfte, ist – klar – der Tatort.

Pünktlich zum 50. Geburtstag im nächsten Jahr dann mit Jasna Fritzi Bauer, Luise Wolfram und dem Dänen Dar Salim (Game of Throne) als neue Ermittler in Bremen. Davon gänzlich unbeeindruckt, gibt es jedoch immer noch mehr und mehr und mehr und mehr und mehr Kommissare jeder Herkunft, Natur und Güte am Bildschirm bis in alle Ewigkeit.

Die Frischwoche

9. – 15. Dezember

Ab heute im ZDF zum Beispiel Kommissar Danowski (Milan Peschel), der mit einer ganzen Reihe psychischer Störungen und seiner Kollegin Meta (Emily Cox) zur Seite (angeblich ungewöhnliche) Mordfälle in – oder wie beim Auftakt Blutapfel – unter Hamburg löst. Oder am Donnerstag zur gleichen Zeit, wenn das Erste zum dritten Mal Miriam Stein und Hary Prinz als – verrückt! – total verschiedene LKA-Beamten der österreichischen Reihe Steirerkreuz Todesfälle klären lässt.

Da atmet man doch glatt mal erleichtert durch, dass Rainer Bock Mittwoch an selber Stelle ganz ohne Leichen den König von Köln als rheinischer Strippenzieher spielt, der den korrupten Kölsche Klüngel leider nur teilweise, aber durchaus unterhaltsam persifliert. Richtig überraschend wird es dann sogar, wenn der vielseitige Schauspieler am Sonntag drauf die Hauptfigur von Weihnachten im Schnee gibt. Der denkbar bescheuertste Titel kann nämlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass dem ZDF hier ein ebenso anrührender wie tiefgründiger Familienfilm zur Scheinheiligkeit festlicher Bräuche gelungen ist.

Parallel dazu schafft es übrigens Pro7, seine Kernkompetenz jugendaffinen Bubblegum-Entertainments in einen relativ gelungenen Psychothriller zu packen. Nach vorheriger Häppchen-Auswertung im Internet, strotzt Schattenmoor zwar nur so vor Effekthascherei. Die mysteriösen Ereignisse in einem Internat, liefern der Zielgruppe unter 30 allerdings sehr souveräne Fernsehunterhaltung – und ähneln damit dem einzig nennenswerten Streaming-Produkt der Woche: Staffel 2 des spanischen Renaissance-Krimis Die Pest, ab Mittwoch auf Sky.

Vor den Wiederholungen der Woche aber noch kurz einen Dokutipp von zeitgemäßer Relevanz: Dienstag (20.15 Uhr) skizziert 1979 – Ursprung der Gegenwart ein wegweisendes Jahr, das mit der Rückkehr von Neoliberalismus, Islamismus und Chinas Macht die Weichen für unsere Gegenwart gestellt hat, religiös vertieft von Der Schah und der Ayatollah im Anschluss. Ein Jahrzehnt früher spielt Zeit des Erwachens (Montag, 20.15 Uhr, Arte), die Verfilmung von Oliver Sachs‘ Psychiatrie-Studie um Patienten wie Robert de Niro, die Robin Williams als idealistischer Arzt 1990 aus dem Dämmerschlaf befreite. Zum Niederknien ist Helmut Berger als flamboyant-entrückter Ludwig II von 1972 (Sonntag, 20.15 Uhr, Arte). Und beim Tatort machen wir morgen (22 Uhr) im NDR nochmals Bekanntschaft mit dem Akronym von Kommissar Murot, das Ulrich Tukur im Auftaktfall Wie einst Lilly 2010 aufs Gemüt drückt.


Stereolab, Drive Moya, Speedy Wunderground

Stereolab

Wenn etwas klingt, wie es klingt, weil es irgendwie schon immer so klingt, zugleich aber nie klang, wie es den Anschein erweckte, also irgendwie Klangbetrug war, dann sind wir ziemlich schnell bei Sterolab. Tim Gane und Lætitia Sadier machen schließlich seit 1990 einen Sound, der auch damals schon seltsam aus der Zeit gefallen, aber zugleich hypermodern war. Und ihn zu beschreiben, fällt heute, wo das Indiepop-Duo längst zur mehrköpfigen Band angewachsen ist, kaum leichter.

Das erst Album seit neun Jahren, insgesamt Nummer 11, ist nostalgisch wie eh und je. Mit seinen Syntie-Flächen und Spinett-Samples, dem lässigen Sixties-Appeal plus wirre Dada-Attitüge, erinnert Margerine Eclipse zu Sadiers windschiefem Engelsgesang jedoch flattert es hinreißend zwischen futuristischem Barock und antiquierter Electronica hin und her, überzuckert mit swingender Eleganz, untergraben von existenzialistischer Harmonieabkehr.  Stereolab werden halt immer ins Ohr laufen wie Honig und sich dort leicht verkanten.

Stereolab – Margerine Eclipse (Warp Records)

Drive Moya

Ach nee, schon wieder Österreich? Das Seltsame an der schier endlosen Schwemme flamboyanter bis vogelwilder Musik aus der Alpenrepublik, ist ja gar nicht so sehr die hohe Qualität, sondern deren Unermesslichkeit – als sei jeder dritte Österreicher bereits ein Popstar. Auf dem Weg dorthin ist nun das nächste Konglomerat kreativer Jungs um den Gitarristen und Sänger Christian “Juro” Jurasovich entstanden, der zuvor in Gruppen wie Mimi Secue tätig war.

Sein Wiener Trio Drive Moya macht im Hochgebirge der Kreativität aber was Neues: Krautgaze, einen getragenen Postrock im Stile der Neunziger, der seine Fuzzgitarren so flächig auswalzt, dass hinter der Kurve zum Emocore Sonic Youth und Teenage Fanclub Richtung Noise spazieren. Zum Beispiel, wenn Stücke wie The End nicht frei von Doors-Avancen Töne zersägen wie im Tortureporn-Keller und dabei doch manchmal geschmeidig sind wie Chartsgedudel. Muss Bergluft gut tun!

Drive Moya – The Light We Lost (Noise Appeal)

Speedy Wunderground

Kompilationen sind immer ein bisschen schwierig zu empfehlen, weil sie ja kein genuin kreiertes Werk einzelner Bands oder Künstler*innen sind, sondern eben einfach bunte Tüten. Aber was heißt “einfach” – die vierte Kompilation des Londoner Indie-Labels Speedy Wunderground ist mit bunt fast schon farblos umschrieben. Auf Year 4 flicht Gründer Dan Carey nämlich einen Blumenstrauß britischer Newcomer, deren Beiträge allesamt bislang nur auf 7# erschienen sind und fast schon zu schön, um wahr zu sein.

Vom düsteren Wave-Noise der Scottibrains über Squids harmonisches Britrockgeschrammel The Dial bis All We Are, einem Seitenprojekt von Alex Kapranos, dem sein Hauptprojekt Franz Ferdinand zumindest in den Vocals aus jeder Zeile springt, hat alles darauf Eigenständigkeit und fügt sich doch im Umfeld acht verschiedener Bands zu einem Panorama, das abermals aufzeigt, was alternative Musik von der Insel dem westlich gelegenen Festland voraus hat: komplett unangestrengte Nonchalance selbst dann, wenn es ruppig wird. Ach UK…

Speedy Wunderground – Year 4 (Speedy Wunderground)


Tilo Jung: junge Naivität & alte Streitlust

Ich bin meine eigene Zielgruppe

Mit seiner streitlustigen Interviewtechnik gilt Tilo Jung (Foto: Jan Michalko) als Guerillero der Hauptstadtjournalisten. Dafür spricht der Erfolg seines Blogs jung & naiv, aber auch die regelmäßigen Wortwechsel in der Bundespressekonferenz. Ein – wegen der Länge zweigeteiltes – Gespräch mit dem Mittdreißiger aus Mecklenburg über die Zukunft des Journalismus und überhaupt.

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Herr Jung, Tilo – die Frage, ob wir uns duzen, wird anders als in Interviews unter Kollegen üblich, bei dir nicht ausgehandelt, sondern vorausgesetzt. Wird in deiner journalistischen Praxis eigentlich irgendjemand von dir auch gesiezt?

Tilo Jung: Klar, aber nicht in meinen eigenen Interviews meiner eigenen Sendung, da gelten anders als in Pressekonferenzen wie hier meine eigenen Regeln. Und eine davon ist es, sich zu duzen.

Gab es da in bislang knapp 500 Ausgaben je Widerspruch?

Klar. Wolfgang Thierse, relativ am Anfang. Der wurde offenbar von seinem Team nicht ausreichend informiert, ist empört darüber, dass ohnehin schon viel zu viel geduzt werde, aufgestanden und hat das Interview abgebrochen, bevor es überhaupt begonnen hatte. Ich sitze halt oft großen Egos gegenüber.

Zum Beispiel?

Peer Steinbrück. Der wollte sich als Kanzlerkandidat auch nicht von mir duzen lassen, konnte sich aber auch nicht dagegen wehren. Dadurch entstand eine Loriot-artige Situation, in der er mich weiter gesiezt hat, nach fünf Minuten jedoch plötzlich aufs Du umgeschwenkt ist. Und Sigmar Gabriel, der sich als damaliger Außenminister auch nicht duzen lassen wollte. Dem musste ich allerdings nur erzählen, wer sich vor ihm noch geziert hatte.

Nämlich?

Erika Steinbach zum Beispiel. Und Steffen Seibert.

Mit dem Sie sich mehrmals die Woche bei der Bundespressekonferenz streiten. Was zu meiner ersten Sachfrage führt: Wo befinden wir uns gerade?

Eben im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin, einer altehrwürdigen Institution der Bundespolitik, die ich vor etwa fünf Jahren noch gar nicht kannte, geschweige denn deren Bedeutung und ihre Möglichkeiten für mich.

Und wer bist du?

Ich bin Tilo Jung und hauptberuflicher Hauptstadtjournalist, der allerdings nicht auf Papier, sondern in diesem Internet veröffentlicht.

Warum beginnst du all deine Interviews mit diesen zwei Fragen, deren Antwort dir doch stets wohlbekannt sein dürfte oder anders formuliert: Warum senkst du deine Vorkenntnis künstlich ab?

Damit ich den Zuschauer abholen kann. Mich stört es einfach, dass Journalistinnen und Journalisten im politischen Gespräch so tun, als wären sie auf demselben Level ihrer Gesprächspartner. Wir sollten bei unserer Aufgabe nie die grundlegende Informationsvermittlung vergessen. Deshalb versuche ich in meinen Interviews, durchschnittlich Ahnungslose zu verkörpern, denn das sind wir im Zweifel ja alle, je konkreter es in der Politik zugeht. Das senkt die Schwelle, sich das Gespräch von Anfang bis Ende anzusehen.

Aber steckt darin nicht auch ein Stück weit Koketterie mit vermeintlicher Unwissenheit, eine Art Anbiederung oder schlimmer noch – stilistischer Manierismus?

Nein, denn es ist bezogen aufs „wo“ angesichts der wechselnden Drehorte unserer Interviews unerlässlich und hat bezogen aufs „wer“ zudem psychologische Auswirkungen auf den Gast, für den es ungewohnt sein dürfte, so etwas gefragt zu werden. Als ich ganz früh in der Reihe, Folge 17 oder so, Wolfgang Kubicki auf dem FDP-Parteitag gefragt habe, wer er ist, war sein Ego von dieser Frage sichtbar gekränkt – so was triggert mich enorm. Und es sagt einiges aus über die Selbstwahrnehmung vieler Politiker versus Fremdwahrnehmung der Öffentlichkeit.

Klingt andererseits aber auch ein wenig nach Sendung mit der Maus für Erwachsene.

Finde ich nicht. Jung und naiv ist ja kein Erklär-Format; davon gibt es ja schon genug im öffentlich-rechtlichen Journalismus. Mir geht es darum, die Schwelle senken, sich mit politischer Diskussion auseinanderzusetzen – und zwar jenseits der klassischen Talkshow, die aus meiner Sicht mehr Drama als Debatte ist. Selbst Anne Will sagte mir in meiner Sendung, dass es in ihrer um Inszenierung gehe.

Und das tut es bei dir nicht?

Im Gegenteil. Ich möchte das, was ich auf meinem Bildungsweg nicht gelernt habe, nämlich mich mit Menschen, die womöglich nicht meiner Meinung sind, in Eins-zu-eins-Situationen wirklich auseinanderzusetzen. Damit wollte ich lernen, auch Menschen, die ich politisch vielleicht ablehne, als Personen interessant zu finden. Das gab es aus meiner Sicht früher mehr. Mein Vorbild ist da Günther Gaus, der in den Sechziger- und Siebzigerjahren von gegenseitigem Interesse geprägte Fernseh- und Radiointerviews geführt hat. Auch Reinhold Beckmann hat das mal probiert, mich persönlich damit aber nicht angesprochen. Ich dachte mir also, bevor ich immer nur über den Mangel meckere, behebe ich ihn selbst.

Mit Erfolg?

Ich glaube zumindest, einen Weg gefunden zu haben, mit dem ich auch junge Leute fürs politische Gespräch interessiere. Im Vergleich zu den paar Sekunden Redezeit in der Tagesschau oder Minuten in den Tagesthemen, kann ich mir nämlich alle Zeit der Welt nehmen, um Leuten wirklich zuzuhören. Dass viele Journalistinnen und Journalisten das nicht mehr tun, ist ja eins der Geheimnisse, die ich in den vergangenen Jahren entschlüsseln konnte. So wie du deine Fragen akkurat aufgeschrieben hast, klemmen auch die meisten Kolleginnen und Kollegen an ihrem Katalog.

Ach, ich bin da flexibel…

Vielleicht. Aber generell ist es doch so, dass die Redaktion vom Reporter erwartet, fünf vorbereitete Themen in kurzer Zeit abzuarbeiten; da bleibt für Nachfragen selten Zeit. Wenn die Kamera bei Interviews von, sagen wir: Bettina Schausten mal auf sie zoomt, sieht man, wie sie bei den Antworten permanent aufs eigene Manuskript schaut. Und das Schlimme ist: die Politikerinnen und Politiker wissen das ganz genau und sondern erstmal ihre Talking Points ab, also das, worum es ihnen geht, nicht den Fragestellenden. Mit diesem Automatismus räume ich schon deshalb auf, weil ich keine Zeitbeschränkung habe.

Folgen deine Interviews damit einer Art erzieherischem Ideal, wieder mehr dem Impuls der Neugierde zu folgen?

Also erzieherisch war dieser Impuls nie. Er ist ebenso wie das Duzen evolutionär entstanden. Das war nicht so geplant, sondern hat sich mit allerlei Glücks- und Zufällen eher so ergeben, hatte aber den Effekt, Interesse an der Ausführlichkeit des politischen Gesprächs zu wecken. Mich kann man zwar nicht nachmachen, aber ich merke schon, dass andere Medien sich wieder auf längere Interviews einlassen, etwa im Podcast der Zeit, wo sie dann schon mal zwei, drei Stunden dauern.

Ist es dir denn zumindest unterschwellig ein Anliegen, die Gesprächskultur aktiv zu beeinflussen, wenn nicht gar positiv zu verändern?

Ich will da weder Pionier noch Vorturner oder gar Messias sein, und es liegt mir auch fern, zu sagen, macht es alle so, wie ich es mache. Ich war zwar einer der ersten, wenn nicht der erste ausschließliche Blogger in der Bundespressekonferenz. Zum Vorbild tauge ich deshalb noch lange nicht, merke aber, was aktuell erfolgreich ist und erreiche damit Hunderttausende von Leuten. Um das zu analysieren, bin ich zwar der Falsche, aber es muss dafür Gründe geben.

Vielleicht deine Zielgruppe, die zwar zu jung ist, um den neugierigen Interviewer Günter Gaus noch zu kennen, aber alt genug, um die Verlautbarungsgespräche im journalistischen Mainstream zu entlarven?

Ich halte nichts vom Marketingdenken in Zielgruppen, aber Jung und naiv ist in der Tat ein Angebot für 18- bis 35-Jährige, also uns selber. Ich bin daher meine eigene Zielgruppe, würde mir aber sehr wünschen, auch Jüngere zu erreichen. Nur – die hören eher Leuten wie LeFloyd oder Rezo zu, während ich nichts erkläre, sondern nur Fragen stelle. Mein Format setzt voraus, dass sich die Zuhörer ihre Meinung im eigenen Kopf bilden. Das finde ich viel faszinierender als in der Talkshow, wo man sich als Zuschauer eine von fünf Haltungen aussucht und damit in der eigenen bestärkt wird. Meinen Umgang mit politischer Willensbildung finde ich da bei aller Bescheidenheit erwachsener. Aber was war noch mal die Frage.

Welchen Einfluss die Zielgruppe auf deinen Erfolg hat.

Weil der Begriff „Zielgruppe“ langsam überholt ist, einen geringen. Zumal ich jeden Tag sehr süße Post von Omas kriege, die unser Programm ebenfalls regelmäßig abgucken und fragen, warum es so was nicht öfter im Fernsehen gibt. Und wenn ich mir als zuschauerfinanziertes Medium die Überweisungen des Crowdfundings ansehe, fällt schon auf, dass die Vornamen eher selten nach unter 30 klingen. Wir werden mehrheitlich von Jüngeren geguckt, aber von älteren bezahlt.

Birgt die Finanzierung durchs Crowdfunding nicht die Gefahr, vom Goodwill der User abhängiger zu sein als bei geschalteter Werbung, die sich relativ wertfrei an Zahl und Alter der User orientiert?

Für den Anzeigenkunden ganz sicher nicht, aber dieses Werbe- und Marketingdenken ist mir auch völlig egal.

Es ging bei der Frage auch nicht um 1000-Kontakt-Preise für Werbebanner, sondern angesichts der enormen Kosten, die jung und naiv allein schon logistisch hat, das Risiko, zahlenden Kunden nach dem Mund zu reden, also nachfrageorientierten Journalismus anzubieten?

Das sind sehr gute Fragen, die ich befürchtet habe. Bevor wir uns selbstständig gemacht und durch Dauercrowdfunding finanziert haben, liefen wir auf Plattformen wie Joyce oder Krautreporter und wurden dafür regelmäßig bezahlt. Einfach nur die Bundespressekonferenz abzufilmen und abends ins Netz zu stellen – dafür spendet kein Medium. Wobei spenden so nach Gemeinnützigkeit klingt.

Vielleicht: einen Beitrag leisten.

Genau. Eine Paywall war angesichts der öffentlichen Inhalte von vorneherein ausgeschlossen. Da hier zwei Menschen dreimal die Woche je vier, fünf Stunden allein für die BPK-Berichte arbeiten, wollten wir deshalb probieren, ob sich dieser Aufwand durch Crowdfunding finanzieren lässt. Und weil es unser Angebot sonst nirgendwo gab, hat das schon nach einem Monat so gut geklappt, dass wir seit mittlerweile viereinhalb Jahren so gut davon leben können, um schlechte Monate kompensieren zu können. Manchmal sogar mehr, als bei Festanstellungen.

Glaubst du denn, dass Crowdfunding langfristig dazu in der Lage ist, freien Journalismus im Netz für die Anbieter einträglich zu machen?

Nur, wenn man damit einen Mangel behebt, also was wirklich Besonderes macht. Meine Erfahrung ist da: man muss den Leuten schon was bieten, was sie anderswo nicht kriegen. Niemand zahlt freiwillig für etwas, das er einen Click weiter umsonst bekommt. Ohne Nützlichkeit kein Einkommen; von gelegentlichem Goodwill kann niemand leben. Wer mich kennt, weiß, dass ich nicht nur ein politischer Mensch, sondern sogar ziemlich linksgrünversifft bin. Trotzdem kriegen wir nachweislich auch Geld von Leuten mit konservativer Sicht – weil wir denen was geben, was sie wollen, ohne es woanders zu kriegen.

Zahlen die Leute auch spontan nach einzelnen Beiträgen, also quasi als pay-per-view?

Gibt’s immer wieder. Wenn wir virale Hits haben, kommt schon mal Geld aus unbekannter Ecke.

Weil aber nun mal nicht jeder Freelancer die eine weltexklusive, zugkräftige Idee hat – worin siehst du die Chancen der Finanzierbarkeit des freien Qualitätsjournalismus im Netz, wenn die Presse bis auf ein paar Platzhirsche und Coffeetable-Magazine dorthin abgewandert sein wird?

Da fehlt mir zunächst mal die Definition des Qualitätsjournalismus. Mache ich, machst du einen?

Wenn er fakten-, sach-, rechercheorientiert ist und damit der Zivilgesellschaft als relevantes Informationsmedium dienen will und kann, schon.

Aber das würde die Bild-Zeitung doch auch von sich behaupten, die zwar keinen Qualitätsjournalismus macht, damit aber auch im Netz sehr erfolgreich ist. Deshalb müssen wir von der Logik wegkommen, Erfolg in Zugriffen zu messen. Wir wissen doch alle, dass intellektuell anspruchsvoller Inhalt seltener geklickt wird als Bullshit. Deshalb verfahren wir danach, intellektuellen Anspruch als Bullshit zu tarnen, damit er geklickt wird.

Das ist die Zustandsbeschreibung. Was wäre der Ausweg?

Dass wir uns aus der Abhängigkeit von Werbung befreien, also den kommerziellen Aspekt beseitigen. Werbefinanzierter Journalismus führt zwangsläufig zu den Clickhuren des Boulevards. Die Zukunft liegt daher in Abo-Modellen, Bezahlschranken, pay first, read later, oder wie bei uns: Inhalt für alle, den ein Prozent der User bezahlt. Das gilt für jung und naiv ebenso wie für meinen Podcast, reicht aber bislang aus. Umso mehr sollten wir versuchen, die 99 Prozent Nichtzahler durch Qualität zu den Zahlern von morgen zu machen. Dabei muss ich allerdings anmerken, ein großer Fan des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu sein. Mit deren Angebot bin ich zwar absolut unzufrieden, aber vom gebührenfinanzierten Modell überzeugt.

Das Interview ist vorab im Medienmagazin journalist erschienen

International Emmys & Humorpopulisten

Die Gebrauchtwoche

25. November – 1. Dezember

Ob die Segregation der International Emmys eine Art kultureller Apartheid im Geiste amerikanischer Selbstherrlichkeit oder angesichts der kommerziellen Überlegenheit des Entertainments made in USA einfach angemessen ist: als Christian Schwochows Finanzthriller Bad Banks ebenso wie Jannis Niewöhner als Hauptdarsteller des Technothrillers Beat nominiert wurde, hat das schon für Aufregung am Fernsehnebenschauplatz Deutschland gesorgt. Dass es für beide nichts mit der wichtigsten TV-Trophäe geworden ist, wäre allerdings leichter erträglich, hätten die Veranstalter nicht schon beim ersten Preis versehentlich den der besten Dramaserie am Ende aus dem Umschlag gezogen.

Im angereisten ZDF-Team um den Crown-Regisseur war die Luft daher gleich zu Beginn der Party raus. Aber wenn es schon keine Schauspielpreise gibt, verleihen wir hiermit den des populistischsten Komikers an: Dieter Nuhr. Ein Bericht der Kieler Nachrichten, er habe Greta Thunberg mit Hitler/Stalin verglichen, wird zwar dementiert; wie der als Kabarettist getarnte Comedian den bedingungslosen Wohlstand seiner hellhäutigen Geschlechtsgenossen reiferen Alters (um die Phrase vom alten weißen Mann zu variieren) stets publikumswirksam gegen Fridays for Future in Stellung bringt – das ist schon den Goldenen Gauland wert. Oder wahlweise einen Alice Urbach.

Den würde Sibel Kekilli auch gern an jene Medien verleihen, die sie dauernd zur Heimat ihrer Großeltern befragen „Das ist für mich Rassismus“, kommentierte die Schauspielerin Versuche, sie wegen ihres Migrationshintergrundes zur Expertin in Türkei-Fragen zu machen und kündigte gar juristische Schritte an. Immerhin spielt sie 15 Jahre nach Gegen die Wand meist Deutsche oder – wie in der finnischen Thriller-Serie Bullets ab Dienstag bei RTL Crime – allenfalls mal eine tschetschenische Terroristin.

Die Frischwoche

2. – 8. Dezember

In Woche 1 nach dem Ende der Gelddruckmaschinenserie The Big Bang Theory läuft sie jedoch unter ferner liefen. Ganz vorne laufen schließlich Portalformate der gehobeneren Art wie Noah Baumbachs Marriage Story. Freitag zertrümmert das Soziogramm einer scheiternden Ehe auf Netflix alles, was bislang zum Thema Scheidung gedreht wurde, mit einer Eleganz zum Niederknien. Ähnliches gilt abzüglich der Eleganz auch für den tschechischen Achtteiler Wasteland, mit der Magenta TV tags zuvor ein sterbendes Dorf an der polnischen Grenze skizziert. Das ist nicht nur ausgesprochen präzise erzählt, sondern hat auch den besten Vorspann der Seriengeschichte.

Damit kann die stylische Sky-Serie Jett mit Carla Cugino als sexy Meisterdiebin freitags zwar nicht dienen, aber optisch ansprechend ist der italienische Neunteiler schon. Was er mit der Staffel 3 von Marvellous Mrs. Maisel, ab Freitag auf (kauft nicht bei) Amazon teilt. Aber um zu zeigen, dass nicht alles, was kostenpflichtig sichtbar auch sehenswert ist, folgt die explizite Warnung: Wenn History ab Donnerstag zum Schlachter-Casting The Butcher lädt, in dem Profis aus den USA sechs Folgen lang von Rind bis Python Kadaver zerlegen, wanzt sich der Bezahlkanal aus der A+E-Gruppe so berechenbar an Trumps Kernwählerschaft ran, dass nicht nur Vegetarier das kalte Kotzen kriegen.

Wenn es statt fiktional real wird, ist man demnach im linearen Programm immer noch besser aufgehoben. Heute Abend um 0.15 Uhr zum Beispiel reist Marie Wilkes preisgekrönte ZDF-Doku AGGREGAT durch Städte, Redaktionen, Parlamente, um die Lage im Land nach Silvester 2015 zu erkunden. Das Ergebnis ist ein imposantes Panorama sozialer Wirklichkeiten und ihrer Wahrnehmungsunterschiede. Sehenswert ist auch die Geschichte eines Abends, mit der der NDR seit einiger Zeit das Talkshowgenre um tiefsinnige Trinkgelage bereichert. Wenn sie Oli Schulz Freitag im Altenheim erzählt, fehlen zur Geisterstunde zwar Prominente, aber nicht die Tragikomik.

Bevor die Hamburger Kinderkrimiserie Pfefferkörner am Samstag um 8.25 Uhr Folge 200 feiert, doch noch ein öffentlich-rechtlicher Filmtipp: Mittwoch (22.55 Uhr) zeigt Arte 1000 Arten, Regen zu beschreiben, in dem sich Louis Hofmann (Dark) am 18. Geburtstag 85 Minuten vor seinen Eltern (Bibiana Beglau, Bjarne Mädel) im Zimmer verbarrikadiert, ohne ins Bild zu rücken. Zu oft im Bild war jahrzehntelang John Wayne, der die Wiederholungen der Woche eröffnet. Als Teufelshauptmann (Sonntag, 20.15 Uhr, Arte) schuf er 1949 zwar einen seiner vielen Westernklassiker; die anschließende Doku Amerika um jeden Preis porträtiert ihn allerdings als sexistischen Neonazi.

Das exakte Gegenteil war neun Jahre später das schwarzweiße Gefängnisdrama Flucht in Ketten (Montag, 20.15 Uhr, Arte), in dem ein Schwarzer (Sidney Poitier) und ein Weißer (Tony Curtis) den Rassismus jener dunklen Jahre kritisieren. Frei von Politik durfte 2013 Die fette Hoppe (Montag, 21.45 Uhr, HR) sein, den Einstieg von Nora Tschirner und Christian Ulmen in den Weimarer Tatort. Auch mal okay.