Schmidts PoCs & Partners in Drift

Die Gebrauchtwoche

TV

21. – 27. August

Es war, Padautz, ein echter Paukenschlag fürs öffentlich-rechtliche Programm: Die Gremienaufsicht fordert vom Ersten mehr Talkshow-Vielfalt. Nun muss der ARD nur noch jemand sagen, dass damit nicht mehr Sendungen gemeint sind, sonst schaffen Christine Strobl und Kai Gniffke in Windeseile vier neue mit fünf Stars am Mikro – schon, weil sieben der neun Rundfunkanstalten bereits mit den Proporzhufen scharren.

Dem Vernehmen nach nicht in der engeren Auswahl: Harald Schmidt, dessen Komödienstadl Schmidteinander nun ebenfalls vom WDR mit einem Warnhinweis versehen wird, weil es darin Anfang der hedonistischen Neunziger selten sonderlich woke zuging. Was der sehr alte, sehr weiße, sehr jämmerliche, aber immer noch sehr selbstsichere Ex-Comedian damit kommentierte, er nenne den Schwarzweiß-Karnevalisten Ernst Neger nun Ernst Person of Colour oder so ähnlich.

Darüber lachen dann immerhin noch Schmidts Kamerrrrraden vom neurechten Rand wie Hans-Georg Maaßen und Matthias Matussek. Oder Julian Reichelt und Mathias Döpfner, die sich gerade außergerichtlich zur Entlassung des früheren Bild-Chefs geeinigt haben. Alles Typen, die mit Sicherheit auf Seiten jener streitlustigen Querdenkerin stehen, die wegen „mangelnder Programmvielfalt“ von ARD und ZDF gegen den Rundfunkbeitrag geklagt hatte.

Weil Missfallen kein Zahlungskriterium sei, hat das bayerische Oberverwaltungsgericht die Klage nun abgewiesen. Ob sie mit dem Vorwurf auch Tina Hassel meinte, ist nicht überliefert, aber gestern konnte sie Friedrich Merz im ARD-Sommerinterview nichts Anrüchiges über die AfD entlocken, also keine versteckten Koalitionsangebote. Schon, da sie sich offenbar kritisches Nachhaken untersagt hatte. Am Ende wehte deshalb der unwidersprochene Verdacht durch Berlins Regierungsviertelluft, Merz‘ CDU habe seit 60 Jahren gar nicht mitregiert…

Die Frischwoche

0-Frischwoche

28. August – 3. Dezember

Irgendwie fiktional, was Parteien wie diese da nachrichtlich verbreiten – und damit auch irgendwie empfehlenswerter als hauptamtliche Fiktionen, die irgendwie immer noch tief im Sommerloch stecken. Wirklich bemerkenswert sind bis zum Wochenende daher aktuell nur vier Formate: Die 30639. Staffel der Höhle der Löwen, ab heute bei Vox, ohne die statusbewusste Judith Williams, dafür mit der statusbewussteren Tjena Onaran.

Dazu die zweite Staffel der deutsche Sky-Serie Partners in Drift, einer Streaming-Mischung aus The Fast and the Furious und Alarm für Cobra 11, die sich allerdings spürbar (und manchmal sogar erfolgreich) um Tiefgang bemüht. Außerdem Siehst du mich?, ein neunzigminütiges Porträt von vier deutschen Influencer*innen unterschiedlicher Erfolgsstufen, das der linear-digitalen ARD-Mediathek zeitgleich ab Freitag wirklich gut zu Gesichte steht.

Und dann feiern wie hiermit offiziell und voll aufrichtiger Vorfreude die Fortsetzung der Neo-Serie Loving her um eine Schar junger, meist lesbischer Menschen, die in der deutschen LGBTQ+-Szene nach Liebe, Sex und Zärtlichkeit suchen, gelegentlich sogar finden und dabei ab Sonntag bei ZDFneo ebenso anrührend wie unterhaltsam sind.


Julia Becker: Funke Group & Springer-Schelte

Sowas sollte man eine Mutter nie fragenBecker-Artikel_Kopie

Nicht alle dürften Julia Becker (Foto: Dominik Asbach) kennen, aber als Aufsichtsratsvorsitzende der Funke Group ist sie eine der mächtigsten Verleger*innen im Land, ist für Qualitäts- ebenso wie für Gossenpublizistik verantwortlich, legt sich schon mal mit Springer an und will den Männermedienzirkus überhaupt weiblich unterwandern. Ein journalist-Interview über Journalismus in schwieriger Zeit, wegen der Länge verteilt auf zwei donnerstagsgespräche.

Interview: Jan Freitag

freitagsmedien: Frau Becker, Sie sind Aufsichtsratschefin eines der größten deutschen Medienhäuser. Könnten Sie aus dem Stehgreif sämtliche Titel der Funke-Mediengruppe aufzählen?

Julia Becker: Also bei unseren Yellow-Titeln könnte es sein, dass ich mich mal vertue. Auch die Me-too-Produkte der anderen Verlage wie Lisa, Laura, Lena und wie sie sonst alle heißen bringen einen schon mal durcheinander.

Und die Tageszeitungen?

Könnte ich selbstverständlich alle aufzählen. Wenn ich da keinen konkreten Überblick übers Portfolio meines eigenen Verlages hätte, wäre ich als Aufsichtsratsvorsitzende die Falsche.

Und welche Digital-Portale hat Funke mittlerweile?

Angesichts der Bewegungen am Markt ist es auch da nicht so leicht, alles auseinanderzuhalten. Aber jüngere Akquisitionen wie Musterhaus.net, gofeminin.de oder EDITION F, kenne ich natürlich gut.

Und haben alle gleich lieb?

So was sollte man eine Mutter eigentlich nie fragen (lacht), aber natürlich mag ich alle – auch wenn jedes einzelne sehr eigene Herausforderungen, Bedürfnisse, individuelle Betrachtungsweisen mit sich bringt. Um im Familienbild zu bleiben: das alte Markenportfolio, besonders traditionelle Zeitungs- oder Magazintitel, kann man nicht identisch wie junge Online-Portale behandeln. Da muss man zwischen selbst geboren und adoptiert unterscheiden.

Letzteres gilt fürs Springer-Paket, das Funke vor elf Jahren für annähernd eine Milliarde Euro gekauft hatte.

Großartige Marken, aber am Medienstandort Hamburg sozialisiert, also völlig anders als hier im Ruhrpott. Umso wichtiger ist es für eine Mutter, alle morgens, mittags, abends in Essen an einen Tisch zu holen und ihnen zwar klarzumachen, dass uns zwar an einer abgestimmten, kooperativen Strategie des Miteinanders gelegen ist, am Ende aber das Elternhaus die Entscheidungen trifft.

Können auch zu viele mit am Tisch sitzen? Kann ein Medienunternehmen wie Funke zu diversifiziert für eine erkennbare Verlagsstrategie sein?

Na ja, jedes Unternehmen sollte sich wie jedes Paar bitte vor der Entscheidung überlegen, ob und wie viel Zuwachs es haben will. Also klares nein! Unser Haus lebt im Unterschied zur gewöhnlichen Familie von Diversifikation – und dieser Bedarf ist im Zuge der digitalen Transformation noch größer geworden. Etwa, was technische und personelle Auswirkungen einzelner Marken aufs restliche Unternehmen betrifft. Nehmen Sie Edition F.

Ein feministisches Online-Portal, das Ihre Gleichstellungsoffensive kennzeichnet.

Die haben eine Wahnsinnsreichweite bei Instagram und hohe Social-Media-Kompetenz, davon profitiert das gesamte Haus. Auf analoger Ebene galt das auch für den Springer-Deal, bei dem wir nicht nur ein umfangreiches Portfolio neuer Titel erworben haben, sondern zahlreiche großartige Journalistinnen und Journalisten, die im Digitalen damals teilweise schon weiter waren als wir in Essen. Viele der main claims von 2012 sind 2023 genauso aufgegangen, wie geplant – übrigens auch, was die Unternehmenskulturen angeht.

Sind die schwerer zu vereinbaren als Portfolios?

Natürlich. Zumal wir damals erst seit kurzem nicht mehr WAZ-Gruppe hießen.

Was eine viel stärkere Verwurzelung im regionalen Zeitungsmarkt mit sich brachte.

Ein Jahr zuvor erst hatte unsere Mutter die Anteile der Familie Brost übernommen und Funke in den alleinigen Besitz der Nachfahren von Jakob Funke mit ihr als Mehrheitseignerin gebracht. Darauf folgte im zweiten Schritt die Etablierung des Aufsichtsrats, gefolgt von der Umbenennung und zuletzt dem Springer-Deal, das gehörte alles zusammen. Es waren schwierige, aber wichtige Prozesse, unterschiedliche Persönlichkeiten zu integrieren und damit das bis dahin vorherrschende Verlagsdenken zu überwinden.

Das worin bestand?

Neue Akquisitionen unter den Hut alter Strukturen zu pressen und zu hoffen, alle seien dankbar fürs traditionsreiche Unternehmen, dem man nun angehören darf. Neues Denken versucht Synergie-Effekte dagegen eher durch ein gemeinsames Verständnis dessen zu erlangen, was der eine vom anderen hat. Und dieses Verständnis muss prozesshaft wachsen, weshalb es bis heute noch individueller Nachjustierungen bedarf, um sich wirklich als Teil eines Ganzen zu verstehen. Redakteure und Redakteurinnen des Hamburger Abendblatts fühlen sich ja nicht ausschließlich durch die Besitzverhältnisse einem Essener Unternehmen zugehörig. Das muss man pflegen. Soll ich Ihnen mal eine Geschichte erzählen, die mich bis ans Ende meiner Laufbahn verfolgen wird?

Nur zu!

Wir hatten damals die Idee eines Get-togethers, um das alte mit dem neuen Personal bekannt zu machen, und dafür eine Scheune außerhalb Essens organisiert, die so ein bisschen rustikal-ländlich dekoriert war. Alles sehr unkompliziert. Jeder bekam eine Flasche Bier in die Hand – ehrlich, robust, von Herzen, Ruhrpott eben. Wenn da einer sagt, komm her du Arsch, ist das nett gemeint.

Und dann kamen die Hamburger?

Und dann kamen die Hamburger (lacht)! Wenn denen einer sagt, komm her du Arsch, klingt da halt weniger nett gemeint als hier. Und robustes Bier fanden auch nicht alle so toll. Vorbehalte existierten allerdings auch umgekehrt. Ich erinnere mich, dass meine Mutter gar nicht so sehr beim Kaufpreis geschluckt hatte, sondern weil die Goldene Kamera nun zu uns käme. Rote Teppiche waren so gar nichts für sie.

Aber was ist bei alledem denn nun das wichtigere Motiv der Funke-Gruppe, sich durch Käufe und Neugründungen breiter aufzustellen – Diversifikation, Wachstum, beides?

Der wichtigste Treiber war 2012 – vor der heutigen Aneinanderreihung pausenloser Krisen – ein strategischer. Nämlich Größe am Markt gleich Sicherheit. Funke hatte seinerzeit praktisch nirgendwo Führungsrollen in der deutschen Medienlandschaft. Dennoch folgte die Erweiterung keiner Eitelkeit, sondern dem Bedarf, neben wirtschaftlichen und publizistischen auch unsere Vermarktungs- und Vertriebsmöglichkeiten zu verbessern. Nur so sind wir in eine Liga aufgestiegen, die aus eigener Kraft unerreichbar gewesen wäre. Wissen Sie, was immer das liebste und aus seiner Sicht beste Blatt meines Großvaters Jakob Funke neben der WAZ war?

Es gab für ihn etwas auf Augenhöhe der WAZ?!

Ja, das Hamburger Abendblatt. Er hat es immer als Paradebeispiel für guten Lokaljournalismus hochgehalten und sogar in Essen täglich gelesen. Deshalb hatte es auch so emotionale Bedeutung für den Verlag und mich, da hat sich ein Kreis geschlossen.

Aber haben 920 Millionen Euro für ein Bündel Papiermedien die Digitalisierung des Unternehmens nicht eher gebremst?

Im Gegenteil. Wir haben diese analogen Titel auch und wegen ihrer Online-Expertisen geholt. Damals allerdings weniger im Hinblick auf digitale Abos, sondern technische und personelle Kompetenzen. Denn um ehrlich zu sein, hatten wir in Essen noch aufs Internet geschaut, wie wir es jetzt auf KI tun: alle ahnen, das wird wichtig, aber was genau wir damit anfangen, muss sich erst noch zeigen. 

Die seinerzeit auch eher noch in Homepages mit Print-Inhalten bestand als selbstständiger, geschweige denn profitbringenden Online-Auftritten.

Was haben wir da aus dem Gefühl heraus, bisher habe es doch auch analog immer gereicht, an Zeit vertan, um Dinge anzugehen, die eigentlich längst alle auf dem Tisch lagen. Da muss ich allerdings unsere Geschäftsführung in Schutz nehmen; in Unternehmensstrukturen zweier Eigentümer, die sich eher gegenseitig blockieren als sachorientiert unterhalten, war es schwer, grundlegende Innovationen voranzutreiben.

Gibt es auch unter Ihrer Führung, wo Gewinne nicht mehr an die Familie, sondern das Unternehmen ausgeschüttet werden, noch immer eine nostalgische Verbundenheit zum alten Printgeschäft mit der WAZ als Flaggschiff?

Wir feiern bald Free-Funke-Tag, an dem zwei Jahre zuvor die letzten Minderheitsanteile durch die Übernahme durch meine Geschwister und mich – und meine Mutter hält ja auch noch ein Prozent – in den Besitz einer Familie übergegangen sind. Es war ein echter Game Changer, strategische Entscheidungen fortan einvernehmlich treffen und ihre Umsetzung einfordern zu können. Bis 2021, das muss man sich mal vorstellen, gab es wegen der Ausschüttungspraxis nahezu null Spielraum für Digitalstrategien.

Das zu verändern, war Ihre ganz persönliche Entscheidung.

Ja, denn sonst – und damit zurück zu Ihrer Frage – wären wir tatsächlich weiter ein Print-Verlag mit Online-Zweitverwertung geblieben. Das hat sich zum Glück geändert. Aber weil uns klar ist, dass wir die Mittel zur Digitalstrategie unserer jahrzehntelang treuen Magazin- und Zeitungskundschaft verdanken, sind wir alle überzeugt davon, mit beidem in die Zukunft zu gehen. Das Analoge aufzugeben, wäre ebenso falsch wie zuvor die Vernachlässigung des Digitalen war.

Aber wie passt es dazu, dass Sie im Verbreitungsgebiet der Ostthüringer Zeitung, wo die physische Zustellung kaum noch kostendeckend ist, eine Kampagne zur Umwandlung analoger in digitale Abos unternehmen?

Wissen Sie – was wir in dieser logistisch schwierigen Region machen, hat doch bislang noch kein Verlag vor uns getan. Wir nötigen den Menschen, die seit Jahrzehnten OTZ lesen, nichts auf, sondern versuchen sie von unseren digitalen Produkten, vor allem den E-Papern, zu überzeugen.

Mit welchem Ergebnis?

Zugegeben – mit ernüchterndem, aber auch motivierendem. Ein Drittel der Leserinnen und Leser haben Digital-Abos abgeschlossen. Das ist nicht genug, aber ein Anfang, den der Verlag vor Free-Funke wohl nach kühler Kosten-Nutzen-Abwägung kaum fortgesetzt hätte. Wir haben diesen Aufwand trotzdem gerne betrieben, weil wir ihn Marken schuldig sind, die wir den Menschen, aber auch ihrer Region unbedingt erhalten wollen.  

In einer ländlichen Region, wo das Durchschnittsalter Ihrer Kundschaft bei 60+ liegt…

Ehrlicherweise liegt es sogar bei 70+ und drüber. Das war eine Erkenntnis unserer Aktionen vor Ort. Aber die gute Nachricht ist, mit welcher Leidenschaft sie erklären, warum ihr Print-Abo so wichtig ist. Solche Basis-Informationen braucht ein Verleger manchmal mehr als so manches Digitalisierungskonzept, in dem die Liebe zur Haptik gedruckter Zeitungen oft gar nicht vorkommt. Wenn das Vorhaben, Journalismus ins Digitale zu transformieren, misslingt, dann liegt die Versuchung oft nahe zu sagen, der Markt, die Technik oder eine Chefredakteurin/ein Chefredakteur ist schuld. Dabei hat es womöglich auch mit dem Bruch des Vertrauens zu tun, das die Leserschaft in uns hatte.

Bleibt Ihr Dilemma, dass diese Leserschaft buchstäblich ausstirbt.

Und eben deshalb ist unser Anspruch, nicht ebenfalls zu sterben, sondern vor Ort mit der und für die Marke im Austausch mit denen, denen sie etwas bedeutet, Überzeugungsarbeit zu leisten. Das Vertrauen derer, die glauben, wir hätten morgens ein Briefing mit der Bundesregierung, um unsere Artikel zu diktierten und der Rest sei gelogen, ist vermutlich längst verloren. Für alle anderen aber müssen wir lernen, auf der Straße für unsere Sache zu kämpfen: verlässlichen Qualitätsjournalismus.

Und wenn der Kampf um den Wechsel ins Digitale misslingt?

Es gibt – und das haben wir bei unserem Pilotprojekt ja gemerkt – Leserinnen und Leser, die aus den verschiedensten Gründen nicht auf digital umstellen wollen oder können. Und dann finden sich auch irgendwie Wege. Die OTZ zum Beispiel stellen wir dort, wo sich Austragen nicht lohnt, auf Wunsch auch später mit der Post zu.

Machen Erstellung, Druck und Vertrieb solche Medien dann zu Zuschussgeschäften?

Wir haben – bedingt auch durch Corona, Krieg, Inflation, Papier- und Energiemangel – sicher Herausforderungen. Aber von Zuschussgeschäften zu reden, von denen wir weit entfernt sind, sendet ein völlig falsches Signal nach außen, als gehe es nur um Anzeigen oder Logistik. Wir müssen über Qualität, Service, Inhalte sprechen und erst dann über Erträge oder Verbindlichkeiten, die wir Banken gegenüber natürlich haben.  Dafür benötigen wir intensive Datenauswertungen, um herauszufinden, was die Leute bei uns lesen wollen.

Das wäre allerdings nachfrageorientierter Journalismus.

Nicht, wenn unser Anspruch zugleich lautet, auch dunkle Ecken der Gesellschaft zu beleuchten, auf Missstände aus seriösen Quellen, die vielleicht nicht so gut klicken wie Promi-Geschichten, aber unserem journalistischen Selbstverständnis entsprechen.  Darauf konnten wir uns, genauso wie auf die Strategie digital first, trotz aller internen Querelen schon 2018 einigen. Deshalb bin ich auch optimistisch, dass wir unser Ziel erreichen, mit Regionalmedien bis 2025 eine Million Abos zu erreichen, die Hälfte davon digital.

Puh, klingt ehrgeizig…

Aber machbar. Denn es gibt auf dem Weg dorthin ja viele positive Signale. Zuletzt haben wir zum Beispiel das 100.000 ePaper gefeiert.

Im gesamten Portfolio?!

Im gesamten Portfolio der Regionalzeitungen, ja. Aber es ist ein Schritt nach vorn, der undenkbar gewesen wäre, als wir ohne Digitalstrategie auch noch untereinander zerstritten waren. Die Lage war 40 Jahre so verfahren, dass es keine einheitlichen Lösungswege gab. Digital first kam daher spät, aber rechtzeitig genug, um das Ruder noch rumzureißen. Hätten wir es nur unwesentlich verschoben, wäre uns Corona in die Quere gekommen.

Woran genau zum Beispiel?

Nehmen Sie den „Orden wider den tierischen Ernst“ für Marie-Agnes Strack-Zimmermann im letzten Karneval. Früher hätte es von ihrem Dracula-Kostüm ein Bild gegeben, Text dazu, fertig. In den digitalen Produktenkönnen wir jetzt mit Videos zeigen samt Schwenk aufs Gesicht von Friedrich Merz und damit eine Emotionalität erzeugen, die sich dann zusätzlich auch bei Tiktok oder Instagram verwerten lässt. Diese Tools können und müssen wir zwar noch viel besser vermarkten, merken aber schon jetzt, wie sie greifen. Damit werden wir unserer Verantwortung für Personal und Publikum auf zeitgemäße Art und Weise gerecht.

Fortsetzung am 31. August


Ottos Shows & schwule Väter

Die Gebrauchtwoche

TV

14. – 20. August

Die Printkrise hat mitunter doch auch mal ihr Gutes: G+J stellt demnächst das paläoanthropologische Ego-Fanzine Beef! ein und erspart dem vernunftbegabten Teil der Menschheit damit ein Periodikum für den eleganten Klimafrevel. Die ARD wiederum möchte dem triggeranfälligen Teil der Deutschen derweil Witze aus dem Comedy-Präkambrium ersparen, als N-Worte und ähnliche Diskriminierungen noch Schenkelklopfer waren.

Dass die Bild angesichts von Warnhinweisen auf alten Otto-Shows – bewusst irreführend – von Zensur faselt, ist dabei natürlich schon deshalb eingepreist, weil die Berichterstattung des Boulevards gern Skandale herbeipöbelt, wo gar keine sind. Im Fall von RTL war das diesmal allerdings gar nicht nötig. Weil der News-Reporter Maurice Gajda einen Tweet von Frauke Petry offenbar erfunden hat, wurde er nun freigestellt, wie es aus Köln heißt.

Drollig ist dabei nicht nur, dass die rassistische Bemerkung über einen ESC-Kandidaten exakt dem Denken der früheren AfD-Chefin entspräche, sondern die Erklärung von RTL. Gajdas Fälschung, so ein News-Geschäftsführer, schade „der wichtigen und verantwortungsvollen Arbeit unserer rund 1.300 Journalistinnen und Journalisten“, die „mit ihren Nachrichten und Magazinen tagtäglich für journalistische Glaubwürdigkeit, Wahrhaftigkeit und Sorgfalt“ stehen. Selten so gelacht. Und damit zu seriöseren Nachrichten als bei RTL üblich.

Mark Musk und Elon Zuckerberg kämpfen nun offenbar doch nicht den Käfigfight der Tech-Giganten aus, was allerdings nicht an Skrupeln über die archaische Art der Konfliktlösung, sondern Kommunikationspannen liege. Und damit zu etwas wirklich Berichtenswertem: Das Halbfinale der frisch beendeten Frauen-Fußball-WM gegen England, war die meistgesehene Fernsehsendung des australischen Fernsehens aller Zeiten – und auch hierzulande zeigen gut zehn Millionen Zuschauer*innen der Vorrundenpartie Deutschland gegen Kolumbien, dass sich ARZDF nächstes Mal früher die Übertragungsrechte sichern sollten.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

21. – 27. August

Und damit zum postsportlichen Geschehen parallel zur Leichtathletik-WM in Victor Orbáns Hauptstadt der faschistischen Bewegung Budapest, für die weder ARD- noch ZDF-Reporter*innen bei ihrer halbtägigen Berichterstattung bislang kritische Worte gefunden haben. Das größte, weil nahezu einzige Highlight der Woche, bietet heute Abend Neo, wo Dienstag um 22.15 Uhr die Instant-Dramedy Ready.Daddy.Go! startet.

Darin kämpft ein Homosexueller Anfang 30 verbissen um seinen Kinderwunsch, was schon für Heterosexuelle ein wilder Ritt durchs Dickicht der Adoptionsriten wäre. Schwule Männer dagegen droht da eine Verzweiflung – die Showrunner Christoph Pilsl allerdings mit feinem Humor, kluger Dialogregie und einem Ensemble von ungeheurer Spielfreude, allen voran Fridolin Sandmeyer als Hauptfigur Michl und seine strenge, aber kluge Freundin Ellie (Maike Jüttendonk).

Was dagegen vom 3893. Star-Wars-Spin-Off Ahsoka um einen der 3894. Jedi-Ritter und -ritterinnen vergangener Folgen zu halten ist, darüber müssen sich alle ab Mittwoch bei Disney+ ein eigenes Bild machen. Optisch opulent und technisch versiert jedenfalls ist die Serie. Objektiv hochinteressant ist demgegenüber das ARD-Experiment Bäm!, ein vollanimiertes Stück über die vollanimierte Comic-Szene, die uns ab Donnerstag in der Mediathek über die Geschichte dieser wirkmächtigen Popkultursparte.


Birdy, Genesis Owusu, Jungle

Birdy

Groß ist sie geworden. Laut ist sie geworden. Reif ist sie geworden. Schnell ist sie geworden. Fresh ist sie geworden. Nur eines ist das ewige Riesentalent Birdy nicht: schlechter als damals, zarte 15 Jahre jung, bei ihrem selbstbetitelten Debüt mit einer exzellent kuratierten Sammlung frei interpretierter Songs anderer, die das selbsterklärte Vögelchen Jasmin van de Bogaerde 2011 zum Shootingstar des Dreampop machte.

Mit Portraits ist jetzt ihr fünftes Album erschienen, und auch auf den drei zuvor hatte sie sich zwar vom Covern emanzipiert. Erst jetzt allerdings gelingt ihr wirklich, jene Art von Eigensinn massentauglich zu machen, der Birdys Werk seit jeher prägt. Und so klingen die elf neuen Stücke zwar bisweilen nach einer Mischung aus Weeknd und Tori Amos, aber sie tun es im Brustton ihrer gehaltvollen Stimme ungeheuer gut und kräftig.

Birdy – Portraits (Warner)

Genesis Owusu

Wie ein Album beginnen sollte, ist seit jeher Anlass lebhafter Diskussionen. Langsam aufwallen oder fix auf die Zwölf, Hits voran oder zum Abschluss, erst fördern oder fordern? Nobody knows, also auch Genesis Owusu nicht, weshalb das Auftaktstück seiner zweiten Platte Struggler eine ebenso komplexe wie simple Antwort gibt: Zu Beginn einfach alles, was dieser abwechslungsreichste aller Avantgarde-Rapper in petto hat.

Eleganz und Tempo, Poesie und Punk, Techno und HipHop: Leaving the Light semmelt sofort das halbe Repertoire des australischen Grenzgängers durchs Repertoire und hält auch danach ein Potpourri verschiedenster Stile bereit, die selbst im experimentierfreudigen Sprechgesang ihresgleichen sucht. Bisschen durcheinander das Ganze vielleicht, aber ehrlich: man kriegt davon auch beim fünften Durchhören in Folge nie genug.

Genesis Owusu – Struggler (Ourness)

Jungle

Das dies auch für Jungle gilt, darf einem ruhig etwas peinlich sein. Mit mehr als einer Milliarde, in Zahlen 1.000.000.000 Streams zählt das englische Duo aus dem wirkmächtigen Bereich des elektronischen Pops zu den absoluten Abräumern im seelenlosen Musiknetz. Jedes Sample präzise berechnet, jeder Groove exakt auf den Punkt, jeder Track gezielt ins Kleinhirn, dort also, wo das Tanzbein mit oder ohne Drogen zu schwingen beginnt.

Und was soll man sagen: Motown Soul so virtuos mit Future Funk zu mixen – dazu bedarf es am Ende zwar vor allem guter Algorithmen, aber ebenso richtig Lust auf Party, die Jungle auch auf der vierten Platte seit 2014 perfekt bedienen. Volcano ist nicht nur auf zeitgenössische Art nostalgisch, sondern besser noch – auf traditionelle Art so zukunftsweisend, dass es mehrere Generationen Musikgeschmack verbindet. Masse muss man nicht immer madig machen.

Jungle – Volcano (Caiola Records)


154 Sendungen & 37 Sekunden

Die Gebrauchtwoche

TV

1. – 13. August

Am 25. November endet ein Zeitalter, ach was: eine Ära. Nach 154 Sendungen in 36 Jahren moderiert Thomas Gottschalk zum letzten, also wirklich echt und ganz, ganz sicher allerallerletzten Mal Wetten, dass…? – zumindest, bis das ZDF wieder vor seiner Tür scharrt oder Joko & Klaas endlich Lust aufs öffentlich-rechtliche Vollversorgungspferd verspüren. Ansonsten heißt Twitter nun zwar X, aber sonst ändert sich nix.

Amerikas Drehbuchautorinnen und -autoren streiken und streiken und streiken nun sogar mit tatkräftiger Hilfe ihrer Stimmen vom Schauspiel. Til Lindemann findet den Spiegel schlimmer als die Bild und sagt das im Cicero, den alle links der ganz Salonrechten wohl schlimmer finden als FAZ und Welt, die wiederum nichts gegen Junge Freiheit oder Compact sind, von denen sich die Lindemanns unserer misogynen Gegenwart gewiss besser publiziert fühlen als, sagen wir: von taz und SZ.

Der neue, alte, ewige Disney-Chef Bob Iger erklärte das Geschäfts-, ergo: Ertragskonzept neuer, alter, seiner Ansicht nach überkommener Medien wie das lineare Fernsehen unterdessen für kaputt, also kaputter als jenes von Disney+, dessen Programmangebot für sich genommen hochdefizitär wäre, würde es nicht vom Gesamtkonzern so freigiebig querfinanziert werden, aber das ist aus turbokapitalistischer Sicht ebenso Erbsenzählerei wie die Sache mit der Kriminalstatistik.

In der kommen Kapitalverbrechen auf ganze 0,1 Prozent, also eine von 1000 Straftaten und das auch nur, da Mord & Totschlag angezeigt werden, häusliche Gewalt hingegen nur selten. Warum das hier steht? Weil Regina Schilling mit Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann nach Kulenkampffs Schuhe abermals brillant das hiesige Nachkriegsfernsehen seziert und – in der ZDF-Mediathek – zeigt, wie Aktenzeichen XY Deutschland zumindest außerhalb der eigenen vier Wände zur Hölle unartiger Frauen erklärte.

Die Frischwoche

14. – 20. August

Dass die Gefahr gewalttätiger Übergriffe eher im häuslichen Umfeld lauert, beweist ab Dienstag der ARD-Sechsteiler 37 Sekunden, in dem die junge Leonie (Paula Kober) vom älteren Vater (Jens Albinus) ihrer besten Freundin (Emily Cox) vergewaltigt wird – so lautet wenigstens ihre Version. Nach dem famosen Drehbuch von Julia Penner und David Sandreuther gelingt es Regisseurin Bettina Oberli jedoch, Interpretationsspielräume offen zu halten, ohne der missbrauchten Frau die Solidarität zu verweigern.

Ein kleines Glanzstück.

Besser sogar als die flämische SciFi-Serie Arcadia um eine Near Future, in der sich alles um den Social Score genannten Gesamtwert digitaler Daten total durchleuchteter Menschen dreht. Das erinnert zwar stark an Black Mirror, entfaltet ab Freitag in der ARD-Mediathek aber emotionalere Wucht, weil es auch darum geht, wie viel Solidarität in dieser Dystopie denkbar ist.

Apropos durchleuchten: An selber Stelle porträtiert die WDR-Doku Off Cam ab morgen aktuelle oder künftige Twitch-Stars, die auf der früheren Gaming-Plattform alles offenbaren, um Reichweite, ergo: Einnahmen zu erzielen. Ein Leben in der Matrix, könnte man mit dem Titel des Themenschwerpunktes Cyberwelten parallel auf Arte sagen. Eines also, das seinen Anfang gewissermaßen in einer großartigen MTV-Doku fand.

Denn Reinventing Elvis erzählt ab Mittwoch bei Paramount+ davon, wie der King of Rock’n’Roll 1968 mit viel PR aus der Versenkung geholt und damit zum Grundstein einer explodierenden Popkultur hochgejazzt wurde. In der wurden langfristig Serien wie The Rightous Gemstones um eine Familie evangelikaler Turbokapitalisten gestaltet, die Sky ab Freitag in Staffel 3 schickt.

Und selbst Massenmörder sind mittlerweile ein popkulturelles Massenphänomen. Die BBC-Serie Wolf widmet ihm daher zugleich den nächsten Sechsteiler, während sich Amazon Prime mit Shelter auf das Boomthema Coming-of-Age stürzt, gepaart mit dem Boomthema Psychiatrie. Und weil mittlerweile alles im Mainstream schwimmt, findet sich dort sogar Platz fürs queere US-Filmfeuerwerk Tangerine L.A., ab morgen, 22.45 Uhr, im RBB.