Julia Becker: Funke Group & Springer-Schelte
Posted: August 24, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 4 donnerstagsgespräch |Leave a commentSowas sollte man eine Mutter nie fragen
Nicht alle dürften Julia Becker (Foto: Dominik Asbach) kennen, aber als Aufsichtsratsvorsitzende der Funke Group ist sie eine der mächtigsten Verleger*innen im Land, ist für Qualitäts- ebenso wie für Gossenpublizistik verantwortlich, legt sich schon mal mit Springer an und will den Männermedienzirkus überhaupt weiblich unterwandern. Ein journalist-Interview über Journalismus in schwieriger Zeit, wegen der Länge verteilt auf zwei donnerstagsgespräche.
Interview: Jan Freitag
freitagsmedien: Frau Becker, Sie sind Aufsichtsratschefin eines der größten deutschen Medienhäuser. Könnten Sie aus dem Stehgreif sämtliche Titel der Funke-Mediengruppe aufzählen?
Julia Becker: Also bei unseren Yellow-Titeln könnte es sein, dass ich mich mal vertue. Auch die Me-too-Produkte der anderen Verlage wie Lisa, Laura, Lena und wie sie sonst alle heißen bringen einen schon mal durcheinander.
Und die Tageszeitungen?
Könnte ich selbstverständlich alle aufzählen. Wenn ich da keinen konkreten Überblick übers Portfolio meines eigenen Verlages hätte, wäre ich als Aufsichtsratsvorsitzende die Falsche.
Und welche Digital-Portale hat Funke mittlerweile?
Angesichts der Bewegungen am Markt ist es auch da nicht so leicht, alles auseinanderzuhalten. Aber jüngere Akquisitionen wie Musterhaus.net, gofeminin.de oder EDITION F, kenne ich natürlich gut.
Und haben alle gleich lieb?
So was sollte man eine Mutter eigentlich nie fragen (lacht), aber natürlich mag ich alle – auch wenn jedes einzelne sehr eigene Herausforderungen, Bedürfnisse, individuelle Betrachtungsweisen mit sich bringt. Um im Familienbild zu bleiben: das alte Markenportfolio, besonders traditionelle Zeitungs- oder Magazintitel, kann man nicht identisch wie junge Online-Portale behandeln. Da muss man zwischen selbst geboren und adoptiert unterscheiden.
Letzteres gilt fürs Springer-Paket, das Funke vor elf Jahren für annähernd eine Milliarde Euro gekauft hatte.
Großartige Marken, aber am Medienstandort Hamburg sozialisiert, also völlig anders als hier im Ruhrpott. Umso wichtiger ist es für eine Mutter, alle morgens, mittags, abends in Essen an einen Tisch zu holen und ihnen zwar klarzumachen, dass uns zwar an einer abgestimmten, kooperativen Strategie des Miteinanders gelegen ist, am Ende aber das Elternhaus die Entscheidungen trifft.
Können auch zu viele mit am Tisch sitzen? Kann ein Medienunternehmen wie Funke zu diversifiziert für eine erkennbare Verlagsstrategie sein?
Na ja, jedes Unternehmen sollte sich wie jedes Paar bitte vor der Entscheidung überlegen, ob und wie viel Zuwachs es haben will. Also klares nein! Unser Haus lebt im Unterschied zur gewöhnlichen Familie von Diversifikation – und dieser Bedarf ist im Zuge der digitalen Transformation noch größer geworden. Etwa, was technische und personelle Auswirkungen einzelner Marken aufs restliche Unternehmen betrifft. Nehmen Sie Edition F.
Ein feministisches Online-Portal, das Ihre Gleichstellungsoffensive kennzeichnet.
Die haben eine Wahnsinnsreichweite bei Instagram und hohe Social-Media-Kompetenz, davon profitiert das gesamte Haus. Auf analoger Ebene galt das auch für den Springer-Deal, bei dem wir nicht nur ein umfangreiches Portfolio neuer Titel erworben haben, sondern zahlreiche großartige Journalistinnen und Journalisten, die im Digitalen damals teilweise schon weiter waren als wir in Essen. Viele der main claims von 2012 sind 2023 genauso aufgegangen, wie geplant – übrigens auch, was die Unternehmenskulturen angeht.
Sind die schwerer zu vereinbaren als Portfolios?
Natürlich. Zumal wir damals erst seit kurzem nicht mehr WAZ-Gruppe hießen.
Was eine viel stärkere Verwurzelung im regionalen Zeitungsmarkt mit sich brachte.
Ein Jahr zuvor erst hatte unsere Mutter die Anteile der Familie Brost übernommen und Funke in den alleinigen Besitz der Nachfahren von Jakob Funke mit ihr als Mehrheitseignerin gebracht. Darauf folgte im zweiten Schritt die Etablierung des Aufsichtsrats, gefolgt von der Umbenennung und zuletzt dem Springer-Deal, das gehörte alles zusammen. Es waren schwierige, aber wichtige Prozesse, unterschiedliche Persönlichkeiten zu integrieren und damit das bis dahin vorherrschende Verlagsdenken zu überwinden.
Das worin bestand?
Neue Akquisitionen unter den Hut alter Strukturen zu pressen und zu hoffen, alle seien dankbar fürs traditionsreiche Unternehmen, dem man nun angehören darf. Neues Denken versucht Synergie-Effekte dagegen eher durch ein gemeinsames Verständnis dessen zu erlangen, was der eine vom anderen hat. Und dieses Verständnis muss prozesshaft wachsen, weshalb es bis heute noch individueller Nachjustierungen bedarf, um sich wirklich als Teil eines Ganzen zu verstehen. Redakteure und Redakteurinnen des Hamburger Abendblatts fühlen sich ja nicht ausschließlich durch die Besitzverhältnisse einem Essener Unternehmen zugehörig. Das muss man pflegen. Soll ich Ihnen mal eine Geschichte erzählen, die mich bis ans Ende meiner Laufbahn verfolgen wird?
Nur zu!
Wir hatten damals die Idee eines Get-togethers, um das alte mit dem neuen Personal bekannt zu machen, und dafür eine Scheune außerhalb Essens organisiert, die so ein bisschen rustikal-ländlich dekoriert war. Alles sehr unkompliziert. Jeder bekam eine Flasche Bier in die Hand – ehrlich, robust, von Herzen, Ruhrpott eben. Wenn da einer sagt, komm her du Arsch, ist das nett gemeint.
Und dann kamen die Hamburger?
Und dann kamen die Hamburger (lacht)! Wenn denen einer sagt, komm her du Arsch, klingt da halt weniger nett gemeint als hier. Und robustes Bier fanden auch nicht alle so toll. Vorbehalte existierten allerdings auch umgekehrt. Ich erinnere mich, dass meine Mutter gar nicht so sehr beim Kaufpreis geschluckt hatte, sondern weil die Goldene Kamera nun zu uns käme. Rote Teppiche waren so gar nichts für sie.
Aber was ist bei alledem denn nun das wichtigere Motiv der Funke-Gruppe, sich durch Käufe und Neugründungen breiter aufzustellen – Diversifikation, Wachstum, beides?
Der wichtigste Treiber war 2012 – vor der heutigen Aneinanderreihung pausenloser Krisen – ein strategischer. Nämlich Größe am Markt gleich Sicherheit. Funke hatte seinerzeit praktisch nirgendwo Führungsrollen in der deutschen Medienlandschaft. Dennoch folgte die Erweiterung keiner Eitelkeit, sondern dem Bedarf, neben wirtschaftlichen und publizistischen auch unsere Vermarktungs- und Vertriebsmöglichkeiten zu verbessern. Nur so sind wir in eine Liga aufgestiegen, die aus eigener Kraft unerreichbar gewesen wäre. Wissen Sie, was immer das liebste und aus seiner Sicht beste Blatt meines Großvaters Jakob Funke neben der WAZ war?
Es gab für ihn etwas auf Augenhöhe der WAZ?!
Ja, das Hamburger Abendblatt. Er hat es immer als Paradebeispiel für guten Lokaljournalismus hochgehalten und sogar in Essen täglich gelesen. Deshalb hatte es auch so emotionale Bedeutung für den Verlag und mich, da hat sich ein Kreis geschlossen.
Aber haben 920 Millionen Euro für ein Bündel Papiermedien die Digitalisierung des Unternehmens nicht eher gebremst?
Im Gegenteil. Wir haben diese analogen Titel auch und wegen ihrer Online-Expertisen geholt. Damals allerdings weniger im Hinblick auf digitale Abos, sondern technische und personelle Kompetenzen. Denn um ehrlich zu sein, hatten wir in Essen noch aufs Internet geschaut, wie wir es jetzt auf KI tun: alle ahnen, das wird wichtig, aber was genau wir damit anfangen, muss sich erst noch zeigen.
Die seinerzeit auch eher noch in Homepages mit Print-Inhalten bestand als selbstständiger, geschweige denn profitbringenden Online-Auftritten.
Was haben wir da aus dem Gefühl heraus, bisher habe es doch auch analog immer gereicht, an Zeit vertan, um Dinge anzugehen, die eigentlich längst alle auf dem Tisch lagen. Da muss ich allerdings unsere Geschäftsführung in Schutz nehmen; in Unternehmensstrukturen zweier Eigentümer, die sich eher gegenseitig blockieren als sachorientiert unterhalten, war es schwer, grundlegende Innovationen voranzutreiben.
Gibt es auch unter Ihrer Führung, wo Gewinne nicht mehr an die Familie, sondern das Unternehmen ausgeschüttet werden, noch immer eine nostalgische Verbundenheit zum alten Printgeschäft mit der WAZ als Flaggschiff?
Wir feiern bald Free-Funke-Tag, an dem zwei Jahre zuvor die letzten Minderheitsanteile durch die Übernahme durch meine Geschwister und mich – und meine Mutter hält ja auch noch ein Prozent – in den Besitz einer Familie übergegangen sind. Es war ein echter Game Changer, strategische Entscheidungen fortan einvernehmlich treffen und ihre Umsetzung einfordern zu können. Bis 2021, das muss man sich mal vorstellen, gab es wegen der Ausschüttungspraxis nahezu null Spielraum für Digitalstrategien.
Das zu verändern, war Ihre ganz persönliche Entscheidung.
Ja, denn sonst – und damit zurück zu Ihrer Frage – wären wir tatsächlich weiter ein Print-Verlag mit Online-Zweitverwertung geblieben. Das hat sich zum Glück geändert. Aber weil uns klar ist, dass wir die Mittel zur Digitalstrategie unserer jahrzehntelang treuen Magazin- und Zeitungskundschaft verdanken, sind wir alle überzeugt davon, mit beidem in die Zukunft zu gehen. Das Analoge aufzugeben, wäre ebenso falsch wie zuvor die Vernachlässigung des Digitalen war.
Aber wie passt es dazu, dass Sie im Verbreitungsgebiet der Ostthüringer Zeitung, wo die physische Zustellung kaum noch kostendeckend ist, eine Kampagne zur Umwandlung analoger in digitale Abos unternehmen?
Wissen Sie – was wir in dieser logistisch schwierigen Region machen, hat doch bislang noch kein Verlag vor uns getan. Wir nötigen den Menschen, die seit Jahrzehnten OTZ lesen, nichts auf, sondern versuchen sie von unseren digitalen Produkten, vor allem den E-Papern, zu überzeugen.
Mit welchem Ergebnis?
Zugegeben – mit ernüchterndem, aber auch motivierendem. Ein Drittel der Leserinnen und Leser haben Digital-Abos abgeschlossen. Das ist nicht genug, aber ein Anfang, den der Verlag vor Free-Funke wohl nach kühler Kosten-Nutzen-Abwägung kaum fortgesetzt hätte. Wir haben diesen Aufwand trotzdem gerne betrieben, weil wir ihn Marken schuldig sind, die wir den Menschen, aber auch ihrer Region unbedingt erhalten wollen.
In einer ländlichen Region, wo das Durchschnittsalter Ihrer Kundschaft bei 60+ liegt…
Ehrlicherweise liegt es sogar bei 70+ und drüber. Das war eine Erkenntnis unserer Aktionen vor Ort. Aber die gute Nachricht ist, mit welcher Leidenschaft sie erklären, warum ihr Print-Abo so wichtig ist. Solche Basis-Informationen braucht ein Verleger manchmal mehr als so manches Digitalisierungskonzept, in dem die Liebe zur Haptik gedruckter Zeitungen oft gar nicht vorkommt. Wenn das Vorhaben, Journalismus ins Digitale zu transformieren, misslingt, dann liegt die Versuchung oft nahe zu sagen, der Markt, die Technik oder eine Chefredakteurin/ein Chefredakteur ist schuld. Dabei hat es womöglich auch mit dem Bruch des Vertrauens zu tun, das die Leserschaft in uns hatte.
Bleibt Ihr Dilemma, dass diese Leserschaft buchstäblich ausstirbt.
Und eben deshalb ist unser Anspruch, nicht ebenfalls zu sterben, sondern vor Ort mit der und für die Marke im Austausch mit denen, denen sie etwas bedeutet, Überzeugungsarbeit zu leisten. Das Vertrauen derer, die glauben, wir hätten morgens ein Briefing mit der Bundesregierung, um unsere Artikel zu diktierten und der Rest sei gelogen, ist vermutlich längst verloren. Für alle anderen aber müssen wir lernen, auf der Straße für unsere Sache zu kämpfen: verlässlichen Qualitätsjournalismus.
Und wenn der Kampf um den Wechsel ins Digitale misslingt?
Es gibt – und das haben wir bei unserem Pilotprojekt ja gemerkt – Leserinnen und Leser, die aus den verschiedensten Gründen nicht auf digital umstellen wollen oder können. Und dann finden sich auch irgendwie Wege. Die OTZ zum Beispiel stellen wir dort, wo sich Austragen nicht lohnt, auf Wunsch auch später mit der Post zu.
Machen Erstellung, Druck und Vertrieb solche Medien dann zu Zuschussgeschäften?
Wir haben – bedingt auch durch Corona, Krieg, Inflation, Papier- und Energiemangel – sicher Herausforderungen. Aber von Zuschussgeschäften zu reden, von denen wir weit entfernt sind, sendet ein völlig falsches Signal nach außen, als gehe es nur um Anzeigen oder Logistik. Wir müssen über Qualität, Service, Inhalte sprechen und erst dann über Erträge oder Verbindlichkeiten, die wir Banken gegenüber natürlich haben. Dafür benötigen wir intensive Datenauswertungen, um herauszufinden, was die Leute bei uns lesen wollen.
Das wäre allerdings nachfrageorientierter Journalismus.
Nicht, wenn unser Anspruch zugleich lautet, auch dunkle Ecken der Gesellschaft zu beleuchten, auf Missstände aus seriösen Quellen, die vielleicht nicht so gut klicken wie Promi-Geschichten, aber unserem journalistischen Selbstverständnis entsprechen. Darauf konnten wir uns, genauso wie auf die Strategie digital first, trotz aller internen Querelen schon 2018 einigen. Deshalb bin ich auch optimistisch, dass wir unser Ziel erreichen, mit Regionalmedien bis 2025 eine Million Abos zu erreichen, die Hälfte davon digital.
Puh, klingt ehrgeizig…
Aber machbar. Denn es gibt auf dem Weg dorthin ja viele positive Signale. Zuletzt haben wir zum Beispiel das 100.000 ePaper gefeiert.
Im gesamten Portfolio?!
Im gesamten Portfolio der Regionalzeitungen, ja. Aber es ist ein Schritt nach vorn, der undenkbar gewesen wäre, als wir ohne Digitalstrategie auch noch untereinander zerstritten waren. Die Lage war 40 Jahre so verfahren, dass es keine einheitlichen Lösungswege gab. Digital first kam daher spät, aber rechtzeitig genug, um das Ruder noch rumzureißen. Hätten wir es nur unwesentlich verschoben, wäre uns Corona in die Quere gekommen.
Woran genau zum Beispiel?
Nehmen Sie den „Orden wider den tierischen Ernst“ für Marie-Agnes Strack-Zimmermann im letzten Karneval. Früher hätte es von ihrem Dracula-Kostüm ein Bild gegeben, Text dazu, fertig. In den digitalen Produktenkönnen wir jetzt mit Videos zeigen samt Schwenk aufs Gesicht von Friedrich Merz und damit eine Emotionalität erzeugen, die sich dann zusätzlich auch bei Tiktok oder Instagram verwerten lässt. Diese Tools können und müssen wir zwar noch viel besser vermarkten, merken aber schon jetzt, wie sie greifen. Damit werden wir unserer Verantwortung für Personal und Publikum auf zeitgemäße Art und Weise gerecht.
Fortsetzung am 31. August