Julia Becker: Funke-Group & Springer-Shelte
Posted: September 8, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 4 donnerstagsgespräch |Leave a commentEs geht mir gar nicht so um Größe

Nicht alle dürften Julia Becker (Foto: Dominik Asbach) kennen, aber als Aufsichtsratsvorsitzende der Funke Group ist sie eine der mächtigsten Verleger*innen im Land, für Qualitäts- ebenso wie für Gossenpublizistik verantwortlich, legt sich schon mal mit Springer an und will den männlichen Medienzirkus weiblich unterwandern. Zweiter Teil des journalist-Interviews über Journalismus in schwieriger Zeit.
Interview: Jan Freitag
Wo Sie Verantwortung ansprechen: Funke ist in den Top 10 der größten Medien-Unternehmen in Deutschland, als Verlagsgruppe mindestens vierter…
Wer ist denn zweiter?
Nach Axel Springer die Bauer Media Group und bei regionalen Tageszeitungen vermutlich Madsack.
Wissen Sie, es geht mir gar nicht so um Größe. Aufgrund unserer Reichweiten bei den Regionalmedien und den Zeitschriften haben wir zweifellos ein Alleinstellungsmerkmal. Das müssen und werden wir noch stärker ins Spiel bringen.
Welche Verantwortung, die daraus erwächst, ist denn größer: fürs Unternehmen, sein Publikum, die Tradition, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Demokratie und Zivilgesellschaft?
Spannende Frage. In meiner Position spricht man natürlich öfter mal über Verantwortung, und Sie dürfen mir gern glauben, dass es mein größter Anspruch ist, ihr gerecht zu werden.
Also wem gegenüber?
Dem Gesamtunternehmen inklusive Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Damit die ihre Miete zahlen können und gern für uns arbeiten, muss es allerdings wirtschaftlich sein. Die zweite Verantwortung gilt, wie es unten an der Wand steht, dem Qualitätsjournalismus aus Leidenschaft für unsere Leserinnen und Leser. Er richtet sich, dritte Verantwortung, also an eine Gesellschaft, die sich auch aufgrund unserer gut recherchierten, sachlichen, nicht polarisierenden Inhalte Meinungen bilden kann. Nur eine informierte Gesellschaft kann demokratisch agieren.
Und wie steht es mit der Tradition eines Zeitungshauses im Herzen von Deutschlands größter Metropolregion?
Ich werde häufig gefragt, ob ich die Führung eines solchen Familienunternehmens als Last empfinde, die mich bedrückt.
Im Sinne von erdrückt?
Ja. Riesige Fußstapfen einer publizistisch und wirtschaftlich erfolgreichen Vergangenheit, in denen das Geld nur so sprudelte, manche Gesellschafter aber vor lauter Sprudeln oft ein bisschen zu sehr an die eigene Tasche gedacht haben. Zusammengenommen sorgen diese Verantwortungen für eine Struktur, um das Unternehmen an die künftige Generation weiterzugeben, die ja aus fünf Kindern besteht. Ich mache es aber auch für die nächste Generation Nachrichten- oder Unterhaltungskonsumenten.
Kurzfristig hatten Sie auch Verantwortung für die Branche übernommen, als Funke wegen der ungebrochenen Unterstützung für BDZV-Präsident Mathias Döpfner aus dem wichtigsten Verlagsverband ausgetreten ist.
Wobei es dabei nicht darum ging, mich als „Anti-Döpfner“ zu inszenieren. Den Anfang hatte ja eigentlich die Aufforderung zum Gespräch über einen Springer-Skandal gemacht, den viele im BDZV allerdings als interne Angelegenheit betrachtet hatten. Über diese Doppelrolle von Herrn Döpfner als Verbands- und Springerchef habe ich – übrigens auch mit ihm – diskutiert, welche Konsequenzen es für uns alle hat, wenn wir damit nicht transparent umgehen. Als ich gemerkt habe, dass jede Bereitschaft fehlte, die Strukturen hinterm Skandal zu beseitigen und für Diversität zu sorgen, ohne die uns nicht nur Mitarbeiterinnen, sondern Leserinnen weglaufen, blieb uns nur der Rückzug. Wir haben jetzt schon Schwierigkeiten, junge Menschen für uns zu gewinnen.
Aber ja nicht, weil der BDZV so springerhörig ist?
Nein, das liegt auch an den Einstellungsvoraussetzungen zum Beispiel für ein journalistisches Volontariat: Es ist oft immer noch ein Studium und – ich übertreibe jetzt natürlich – sieben Auslandsaufenthalte und fünf Jahre freie Mitarbeit gefragt. Ein anderes Thema ist die Herausforderung, Redaktionen und Verlag deutlich diverser aufzustellen. Denn misogyne Strukturen schrecken nicht nur Bewerberinnen ab. Außerdem sind wir eine Kommunikationsbranche, die davon lebt, über andere zu berichten. Wenn wir über uns selbst Mäntel des Schweigens hüllen, sobald es schwierig wird, verstärkt es ein Glaubwürdigkeitsproblem, das ohnehin längst schwelt.
Hatten Sie die Erkenntnis schon, bevor das Machtmissbrauchssystem bei Springer publik wurde und der BDZV trotzdem an Döpfner festhielt?
Ja, aber danach habe ich mir umso mehr vorgestellt, eine meiner Töchter wäre davon persönlich betroffen. Ich war nicht damit einverstanden, dass über unsere Reformvorschläge zwar viel diskutiert, jedoch nur sehr wenig davon konstruktiv umgesetzt wurde.
Hat auch der Jahresbeitrag von 700.000 Euro eine Rolle gespielt?
Als ich 2018 Vorstandsvorsitzende wurde, haben wir BDZV und VDZ eingeladen, um zu klären, welchen Mehrwert es für uns hat, zwei Verbänden insgesamt anderthalb Millionen Euro Mitgliedsbeiträge zu zahlen, und einen Reformprozess angeregt, der das in ökonomisch komplizierter Zeit rechtfertigen könnte.
Und?
Der VDZ hat etwas gemacht, der BDZV hat nichts unternommen. Das lag allerdings gar nicht so sehr an Mathias Döpfner, der als Doppelmitglied durchaus Veränderungswillen hat; es lag an einem Verband, für den ich und meine Position aus Sicht der, nun ja, meist älteren Herren, nicht so diskussionswürdig war. Ich bin trotz klarer Haltung zur Gleichbehandlung, Gleichbezahlung, Gleichstellung keine Feministin, die das Matriarchat fordert, aber dass über meine Ideen nicht mal gesprochen wurde, hat mir den Austritt erleichtert.
Zeugt die Tatsache, dass Sie noch nicht wieder eingetreten sind, davon dass weiterhin nicht gesprochen wird?
Wir sprechen auf vielen Ebenen miteinander.
Ebenen, auf denen Sie sich nicht nur in Fragen der Diversität exponieren, sondern Qualitätsmängel und reines Gewinnstreben kritisieren. Wie steht es als Besitzerin eines Verlags, dem zuletzt im Medium-Magazin lautstark Tarifflucht, Personalabbau oder den Betrieb menschenleerer Zombieredaktionen vorgeworfen werden, mit Selbstkritik aus?
Ich schätze den kritischen Blick des Medium-Magazins auf die Branche sehr, muss aber vorweg einwenden, dass meine Geschwister und ich dem Denken, Geschäftsführungen hätten zuerst der Rendite zu dienen, damit am Jahresende Ausschüttungen und Boni stimmen, zumindest bei Funke ein Ende bereitet haben. Damit das angesichts der Übernahme von Gruner + Jahr durch RTL, das selbst funktionierende Titel einstellt, Schule macht, habe ich mich damit so aus dem Fenster gelehnt, und ja auch Lösungsvorschläge angeboten.
Nämlich welche?
Wie wär’s denn mal mit Kreativität? Wie wär’s mit Kooperationen? Wie wär’s mit Synergie? Wie wär’s mit mehr Gemeinsinn einer Branche, die keine Schrauben produziert, sondern Systemrelevanz? Um Auflagenrückgänge abzufedern, muss man vieles neu denken.
Also auch, zurück zur Frage, Entlassungen oder Einkommenseinbußen für Freelancer?
Das sind operative Entscheidungen, die unser Management auf dem Weg zum Spartenkonzern manchmal treffen muss, um den Tanker Funke wirtschaftlich auf Kurs zu halten. Ich würde mir als Freiberuflerin auch keine schlechter dotierten Verträge wünschen. Auf der anderen Seite hat freiberuflicher Content vor zehn Jahren noch ganz andere Wertschätzung und damit Monetarisierung erfahren. Dem muss die Bezahlung Rechnung tragen.
Zu dumm, dass Preise und Mieten dennoch steigen…
Es gibt aber auch Arbeitgeber, die Entlassungen in hoher Zahl vornehmen, ohne sich wie wir heute den Herausforderungen wirklich gestellt zu haben. Ich kann es nicht ändern, was in der Vergangenheit hier falsch gemacht wurde, stehe aber für eine Branche, deren Zukunft von allen schlechtgeredet wird und gerate immer dann in Diskussionen, wenn sich Menschen durch unser Unternehmen schlecht behandelt fühlen. Um die Zukunft von Funke zu sichern, haben wir zum dritten Mal Geld aus dem Familienvermögen in die Gruppe gepumpt.
Wie viel genau?
Meine Mutter hat rund 500 Millionen Euro investiert, um die Brost-Anteile zu übernehmen. Ich kann verstehen, wenn die Menschen besorgt sind, würde mir aber wünschen, dass häufiger mal anerkannt wird, mit welchem Aufwand wir versuchen, Funke eine Zukunft zu geben. . Sicher denken viele, wie gut es uns in der Lounge hoch über den Alltagssorgen anderer geht. Aber die Wahrheit reicht manchmal ein bisschen tiefer. Das Wort „fair“ jedenfalls habe ich aus meinem Wortschatz gestrichen.
Für sich oder andere?
Für Schüler und Senioren zum Beispiel, die sich mit Zeitungsaustragen etwas dazu verdienen wollen, aber nicht dürfen, weil ich ihnen Nachtzuschlag und Mindestlohn zahlen müsste, was sich schlicht nicht rentiert. Natürlich würde ich 80 Prozent gesparter Ausschüttungen, die nun ins Unternehmen fließen, gern vor allem ins Personal stecken, aber wir haben noch ganz andere Veränderungen damit zu schultern. Es ist meine Aufgabe, dieses Unternehmen so nachhaltig aufzustellen, dass Funke auch in zehn Jahren regional präsent und erfolgreich ist.
Und dafür dulden Sie dann eben auch Clickbaiting auf Reichweiteportalen wie derwesten.de oder faktenfreie Mimik-Analysen der Yellowpress?
Genau mit dieser Frage habe ich mich heute Nacht um drei bei Vollmond, der mir stets den Schlaf raubt, auch beschäftigt: Reichweitenjournalismus vs. Qualitätsjournalismus vs. Boulevardjournalismus.
Alles reichlich vertreten im Funke-Portfolio.
Das vergleiche ich mit Fußballmannschaften, wo der Stürmerstar für Aufmerksamkeit, also Reichweite sorgt, während das Mittelfeld spielerische Qualität zur Verfügung stellt und die Abwehr mit gröberen Mitteln dahinter aufräumt. Clickbaiting hingegen besteht, wenn eine Überschrift verspricht, was der Text nicht hält. Als mir bewusstwurde, dass das auf Portalen wie derwesten.de geschieht, hatte ich meine ersten Fremdschäm-Momente im Aufsichtsrat.
Mit welcher Konsequenz?
Mit der Konsequenz, dass sich Bettina Steinke als Chefredakteurin aller Reichweitenportale nun darum kümmert, dass Videos wie jenes, wo eine Frau ihrem Hund brennende Zigaretten in die Augen drückt, nicht mehr viral gehen. Für die Anzeigenabteilung waren Millionen Zugriffe ein Segen, fürs Verlagsrenommee ein Desaster.
Und der Boulevardjournalismus, der Ihnen in Gestalt des nicht als solches gekennzeichneten KI-Interviews mit Michael Schumacher in Die Aktuelle einen Shitstorm plus juristische Konsequenzen eingebracht hat?
Wissen Sie, wie der Boulevard-Journalismus entstanden ist? Ende des 19. Jahrhunderts haben sich William Randolph Hearst und Joseph Pulitzer, beide später renommierte Persönlichkeiten der amerikanischen Medienlandschaft, einen Wettstreit darüber geliefert, wer die gruseligere Berichterstattung über einen Leichenfund im Hudson River liefert. Ich weiß nicht mehr, wer gewonnen hat, aber beiden war klar, dass mehr emotionale Aufregung mehr verkaufte Zeitungen bedeutet – ein Prinzip, mit dem der Boulevard plus einfache Sprache bis heute funktioniert.
Und damit zurück zum Schumacher-Fake.
Der natürlich nicht ging. Wir haben dafür öffentlich und auch bei der Familie Schumacher um Entschuldigung gebeten und klare personelle Konsequenzen gezogen. Grundsätzlich spricht aber nichts dagegen, auch in einem Regionalmedienhaus wie unseren Boulevardjournalismus mit eigenständigen Vermarktungs- und Erlösregeln zu betreiben, solange er unseren Guidelines entspricht.
Aber wenn Sie jede beliebige Ausgabe vom Goldenen Blatt bis zur Aktuellen lesen, finden sich darin doch Dutzende spekulativer Berichte mit oder ohne Michael Schumacher, die oft schlicht erfunden sind. Wo wären da noch mal die Guidelines?
Wir wollen verantwortungsvollen Boulevardjournalismus mit klarer Grenze. Ob wir das gut genug hinkriegen, darüber lässt sich ja streiten. Aber es ist der eigene Auftrag an uns. Klatsch und Tratsch bilden als Kulturtechniken Kitt, der Gesellschaften in Zeiten von News Fatigue nochmals bessere Halt gibt und darüber hinaus – auch wenn man mit der Vokabel gerade vorsichtig sein sollte: nicht kriegsentscheidend für die Glaubwürdigkeit der Medien insgesamt ist. So gesehen hatte die Sache mit Schumacher auch ihr Gutes.
Nämlich?
Wir haben uns innerhalb einer Viertelstunde zusammengeschaltet und klargemacht, diese Art der respektlosen Herabwürdigung mittels KI künftig gemäß unseren Guidelines nicht wieder vorkommen zu lassen
Hat dieser Sinneswandel auch damit zu tun, dass Sie massiv die Frauenquote aller Führungsbereiche erhöhen, weshalb die Verlagsleitung erstmals zu drei Fünfteln weiblich ist?
Ich finde es interessant, dass Sie mich das als Mann fragen, weil es impliziert, Männer seien zu dieser Art Selbstreflexion weniger tauglich als Frauen. Also nein, es gibt viel zu viele wunderbare Männer, um ihnen generell die Bereitschaft zur moralischen, verlegerischen, journalistischen Leitplanke abzusprechen. Es geht also nicht nur darum, die Frauenquote zu erhöhen, sondern generell diverser zu werden.
Generell heißt?
Mehr Menschen mit Behinderung oder Migrationshintergrund zum Beispiel, aber auch alleinerziehende Väter. Ich vergleiche unseren Verlag da gern mit einem Linienbus, in dem unterschiedlichste Menschen mit unterschiedlichsten Geschichten sitzen, die der Fahrer ohne Ansehen ihrer Hintergründe mitnimmt. Also keine Sorge, liebe Männer: ihr fliegt nicht alle bei erster Gelegenheit raus. Wahrer Feminismus bedeutet für mich Gleichbehandlung – egal ob Mann oder Frau oder wie immer man sich definiert.