Böhse Onkelz & Zamperonis Meloni
Posted: September 18, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |Leave a commentDie Gebrauchtwoche
11. – 17. September
Constantin Schreiber hat die Schnauze voll. Weil der Nahostexperte mit Arabisch- und Ortskenntnissen für angeblich muslimfeindliche Äußerungen Shitstorms inklusive Tortenattacke erntet, will er sich in einem Zeit-Interview „zu allem, was mit dem Islam auch nur im Entferntesten zu tun hat, nicht mehr äußern“. Es gibt vom Tagesschau-Sprecher also weder Romane wie seine – auch literarisch kritisierte – Houellebecq-Kopie Die Kandidatin noch Talkshows oder Sachbeiträge.
Da mögen manche „Schampusflaschen aufmachen“, fügt er hinzu, aber ob das jetzt ein „Gewinn ist für Meinungsfreiheit und Journalismus“, sei eine andere Frage. Und um sie zu verneinen, muss man noch nicht mal dem populistischen Comedy-Lager angehören wie Dieter Nuhr, der Donnerstag mal wieder tat, was er humoristisch am besten, nein: als einziges beherrscht: abwärts zu treten wie gegen arbeitsloses Gesindel, dem Nuhr keinen Cent seines öffentlich-rechtlich erworbenen Vermögens gönnt.
Seine reaktionären Fans attackieren mittlerweile übrigens sogar Meteorolog*innen dafür, dass ihre Wettervorhersagen den Klimawandel auch nur erwähnen, wie Constantin Schreibers Redaktion von ARD-aktuell mitteilte. Gegenüber Dustin Röhl hingegen war sie vorigen Dienstag nicht ganz so kritisch. In einem Beitrag über die Bildungsmisere trug der 18-jährige Schüler ein T-Shirt der Neonazi-Band Böhse Onkelz, das die Kamera mehrfach ohne Not ins Bild rückte.
Braunes Abwasser bedarf halt gar nicht der Nuhrs oder Höckes, um in den Mainstream zu sickern. Manchmal reicht Ignoranz achtbarer Medien, die den nächsten Verlust beklagen: das Guerilla-Magazin Vice, einst Revoluzzer des klassischen Journalismus, nun im Besitz eines saudischen Staatsfonds und strikt der Hofberichterstattung verpflichtet. Was wohl der Ethos- und Stilpapst Wolf Schneider dazu sagen würde, den sein Stern als KI aufleben lässt?
Die Frischwoche
18. – 24. September
Er würde sich vermutlich ebenso neutral verhalten wie Ingo Zamperoni, dem wir neben seiner nonchalanten Art, Informationen tagesthementauglich zu machen, kluge Reportagen aus Krisengebieten wie seiner dritten Heimat USA verdanken. Heute zeigt die ARD zur besten Sendezeit eine aus seiner zweiten – und Mein Italien unter Meloni ist erneut auf objektive Art erhellend.
Ein Anspruch, den kein investigativer Journalist weniger an sich hat als Jan Böhmermann. Während sich Politik, Justiz, Querdenkende am haltungsgetriebenen Rotzlöffel reiben, erobert seine Fake-Show Lass dich überwachen am Mittwoch die ZDF-Primetime, um darin digitale Sünden des Saalpublikums aufzudecken. Wenn RTL parallel einen Satz branchenüblicher B- bis D-Promis in die Reality-Crime Die Verräter schickt, dürfte der kulturelle Mehrwert hingegen ins Negative neigen.
Aber gut – ist halt auch einfach nur Unterhaltung wie die harmlose Familienreihe Einspruch, Schatz! (Freitag, 20.15 Uhr, ARD) mit der erstaunlichen ChrisTine Urspruch als liebestolle Scheidungsanwältin. Einfach revisionistische Unterhaltung ist und bleibt auch Staffel 4 der Guido-Knopp-Gedächtnis-Serie Das Boot, die ab Samstag bei Sky statt deutscher Kollektivschuld wie immer nur drei, vier fiese Nazis in eine Seifenopern-Diktatur stellt.
Ähnlich lang und doch um so viel schöner ist da die – zugegeben schwer vergleichbare – Coming-of-Age-Serie Sex Education, die Netflix am Donnerstag endlich, endlich fortsetzt. Und wirklich gelungen ist auch die ARD-Tragikomödie Flunkyball um einen völlig vereinsamten Teenager, der plötzlich seine Traumfrau findet – und bis zum Ende angenehm offenlässt, ob es sie tatsächlich gibt.
Bleibt nur noch Hinweis auf eine Doku-Reihe mit gleich vier Traumfrauen im Fokus: The Supermodels, deutsches Porträt der Laufsteg-Legenden Linda Evangelista, Naomi Campbell, Cindy Crawford und Christy Turlington (Mittwoch, Apple TV+). Von vier Traumboys dagegen erzählt tags drauf die Arte-Doku Toronto 1969 – dem Ereignis, das angeblich zur Trennung der Beatles führte.

