Antisemitismus & 7 vs. Wild

Die Gebrauchtwoche

TV

23. – 29. Oktober

Diskriminierungsdebatten sind konjunkturabhängig. Schafft es etwa Antisemitismus nur aus der Nische ins Zentrum öffentlicher Diskurse, wenn er – siehe Bild – unseren Antiislamismus begründet, erklärt man ihn auch schon wieder zur deutschen Staatsräson. Na ja, außer natürlich beim FC Bayern, das auch Bernd Höcke aufstellen würde, brächte es ihnen Geld und Titel wie den der Champions League, wo ein Antisemit im Münchner Dress am Dienstag folglich mitkicken durfte.

Und da Amazon Prime keine Cash Cows kritisiert, tat ihnen der Reporter beim Spiel in Istanbul sogar den Gefallen, Noussair Mazraouis Terror-Kuscheln komplett zu unterschlagen. Ach, Sportberichtserstattung – so unpolitisch, so leutselig, so maskulin… Wenn ein Bundesliga-Spieler seinen Gegner „Lutscher“nennt, fällt einem von Sport1 zwar der „Kraftausdruck“ auf, aber null Homophobie. Und was fiel der Süddeutschen Zeitung auf, als während der Rugby-WM wer „White Cunt“ rief? Rassismus (gegen Weiße?), keine Misogynie (gegen Frauen!).

Manchmal wünscht man sich in dieser hasserfüllten Zeit, dass auch seriöse Medien 97 Prozent aller Inhalte vor der Veröffentlichung streichen, wie es der deutsche TikTok-Manager Tobias Henning von seiner Plattform behauptet. Was man Medien (ob seriös oder nicht) mehr wünscht, ist indes Sarah Bosetti. Ihre Late Night bei 3sat vor acht Tagen war so vielversprechend, dass es gern mehr als eine Sendung pro Monat geben dürfte – auch weil sie das Format feministisch definiert.

Umso mehr muss sie sich an Jan Böhmermann messen lassen, den Alice Schwarzer gerade zum Sexist Man Alive erkoren hat. Was angesichts des wokesten, wenn nicht einzig woken TV-Mannes in Deutschland eher gegen die Frauenrechteritterin von der trotzigen Gestalt als ihren Gegner spricht. Schon weil sein Emanzipationsgedanke anders als Schwarzers nicht mehr sklavisch am X-Chromosom klebt. Man wünscht ihre wirklich langsam mal den Ruhestand.

Was man dagegen fast niemandem wünscht, schon gar nicht dem ZDF: feige Bombendrohungen, wie sie Dutzenden von Institutionen aller Art zugingen. Beta Film wünschen wir demgegenüber echt viel (dringend nötiges) Glück beim Verkauf von insgesamt 250 Stunden Tatort Münster, Dortmund, Köln und – echt jetzt? – Bremen an den US-Streamingdienst MHz Choice.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

30. Oktober – 5. November

Wenn das klappt, könnte das ZDF ja vielleicht mal darüber nachdenken, Rosamunde Pilcher überseeisch zu verklappen – so als Idee zum 30. Geburtstag am heutigen Montag, den USA so ein Stück deutscher Lebensart zu vermitteln. Ein lustiges, obendrein lehrreiches Stück europäischer Politik ist und bleibt derweil das ARD-Juwel Parlament, dem wir heute in der Mediathek zur 3. Staffel folgen.

Ob die Sky-Serie The Gilded Age parallel Bildungsfernsehen ist, bleibt das Geheimnis der Verantwortlichen. Aber opulent ist die Geschichte der amerikanischen Klassengesellschaft am Beispiel ihrer ersten Milliardäre des 19. Jahrhunderts auch in der 2. Staffel. Bereits in die 3. geht morgen ein Netz-Format der ungewöhnlichen Art: 7 vs. Wild, wo sich wieder ein Haufen Prepper und Zocker durch die Natur schlägt, heuer nicht allein in Panama, sondern zu zweit in Kanada.

Trotz schwurbeliger, sexistischer, populistischer Verstrickungen kann man Interessierten nur raten, dienstags und freitags bei Freevee mal reinzuschauen, wie sich toxische Männlichkeit jenseits der Zivilisation so schlägt. Dort befindet sich auch Oliver Hirschbiegels Sky-Serie Unwanted, in der ein Luxusliner Freitag 28 Flüchtlinge aufnimmt und nach Libyen zurückbringen will, weshalb sie meutern.

Über acht Episoden hinweg ist das zwar leicht didaktisch, aber eindringlich und damit besser als der ZDF-Sechsteiler Die zweite Welle über Spätfolgen des verheerenden Tsunamis von 2004. Besser auch als die österreichische Splatter-Groteske Mandy und die Mächte des Bösen (Freitag, Prime Video). Aber keinesfalls besser als die Tipps der Woche: Am Mittwoch etwa bei Sky: The Lovers, eine klassenübergreifend schöne Liebesgeschichte vom Hintergrund der nordirischen Troubles in Belfast.

Oder Polar Park über einen Ritualkiller im kältesten Dorf Frankreichs, dem selbst der deutsche Titel Eiskalte Morde ab Donnerstag bei Arte nicht den skurrilen Charme nehmen kann. Tags drauf völlig anders beeindruckend: Nyad, ein Netflix-Drama mit Annette Benning als Schwimmerin, die mit 64 von Kuba nach Florida schwimmt, was ebenso verbrieft ist wie Lawman, die Story des ersten schwarzen Sherriffs Bass Reeves, dem Paramount+ ab Sonntag ein Western-Biopic widmet.


Sparkling, Duran Duran, Botticelli Baby

Sparkling

Größenwahn ist nicht die schlechteste Voraussetzung für großartige Musik, und wenn er dann noch unter der Dachzeile “Funkeln” läuft, sowieso. “We’re here to make you feel good / we’re here to make you feel bad” singt die Kölner Powerpop-Brigade Sparkling und fügt unbescheiden “we’re here to make you feel love / we’re here to make you feel sad” hinzu. Das kann man peinlich finden – oder einfach so grandios wie ihr neues Album.

We Are Here To Make You Feel heißt es zusammenfassend, nimmt sich Eighties-Bands wie Boytronic zum Vorbild, beschleunigt sie ein bisschen auf Twenties-Tempo und macht aus traditionellen Synth-Sounds Überwältigungswave der Gegenwart, der spielend Brücken baut und Gräben füllt. Wenn sich das deutsche Trio jetzt noch sein preußisch intoniertes Dictionary-Englisch verkneift, macht es richtig Spaß.

Sparkling We Are Here To Make You Feel (Moshi Moshi)

Duran Duran

Aber wenn wir hier schon in die 80er zurückkehren, dann bitte richtig. Mit einem der damaligen Abräumer schlechthin: Duran Duran. Wer die vier Briten seither etwas aus den Augen verloren hat: Sie machen seit jeher sporadisch, aber regelmäßig neue Platten, spielen noch immer und abermals in Originalbesetzung, garnieren ihr Werk auch auf der sechsten im neuen Jahrtausend damit, was die Birmingham-Boys groß gehalten hat.

Glam-Wave der eleganten Sorte, so schweißtreibend wie intellektuell. Auf Danse Macabre unterstützt von Fans wie Nile Rodgers, die gemeinsam mit den Old Romantics Simon Le Bon, Nick Rhodes, Rodger Taylor und trackweise dessen Namensvetter Andy Altes aufmöbeln, Neues auf alt machen und dafür auch mal Billie Eilish covern. Resolut: dunkel funkelnde Retronostalgie, die auch 2023 wenig von ihrer Anziehungskraft verliert.

Duran Duran – Danse Macabre (Tape Modern)

Botticelli Baby

Und damit zurück in die sogenannte Gegenwart, in der sich Botticelli Baby eher retrospektiv wohlfühlen und daher tief durch die sogenannte Vergangenheit auf der Suche nach Erlösung wühlen. Dass dieses Septett sinfonischer Virtuosen aus Essen stammt, liegt dabei zwar nicht unbedingt auf der Hand, zeugt aber davon, dass Jazz keine Grenzen kennt, wenn er sich genreübergreifend mit Punk, Funk, Balkan paart.

Und genau das tut aber tun Boticelli Baby mit ihrer wuchtigen Horn-Section überm Standardrock-Instrumentarium von Gitarre bis Keyboards. Der Gesang ist dabei durchaus ausbaufähig. Manchmal zu dünn für die raumgreifenden Arrangements, zu schüchtern fast. Im Gegensatz zum Albumtitel Boah, der perfekt zum Ausdruck bringt, was rappelvolle Clubs beim Durchdrehen vermutlich kollektiv brüllen.

Boticelli Baby – Boah (Unique Records)


Jan Böhmermann: Royale & Überraschung

Ich bin nur ein dummer Clown

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In weniger als zehn Jahren Fernsehpräsenz hat sich Jan Böhmermann (Foto: Jens Koch) zur umstrittensten Figur des deutschen Infotainments zwischen Comedy und Kabarett gemausert. Im großen Interview, vorab im Medienmagazin journalist/in erschienen, erzählt er, wie es dazu kommen konnte und ob das so bleibt.

Interview: Jan Freitag

freitagsmedien: Jan Böhmermann, ich habe vorm Interview einen Reality-Check mit meinem Sohn – fast schon Generation Alpha – gemacht und gefragt, ob er Jan Böhmermann kennt.

Jan Böhmermann: Aha, und?

Nicht nur das. Er meinte noch ZDF-Neo, woker Typ, gegen die AfD und gendert immer.

Spektakulär. Zumal mir das Gendern erst vor einem Dreivierteljahr von der Bundesregierung, Klimaklebern und George Soros befohlen wurde. Eine ziemlich aktuelle Anamnese also.

Und damit die Zielgruppe ihrer ZDF-Show Lass dich überwachen beschrieben, die Sie nach drei Jahren Pause wieder moderieren?

Nein, denn Lass dich überwachen holt alle Zuschauerinnen und Zuschauer dort ab, wo sie sich im Alltag am liebsten aufhalten und Spuren hinterlassen, ohne genau zu wissen, was damit geschieht: im Internet. Sorglos und unreflektiert im Netz ist aber nicht die Generation Ihres Sohnes, eher Millennials abwärts bis tief in den Boomerbereich – was dem ZDF natürlich gut gefällt. Stichwort: Kernzielgruppe. Während jüngere Menschen viel bewusster mit Informationen im Internet umgehen und sich anonymisierte Online-Avatare zulegen, löst die Sendung bei den digital immigrants vermutlich noch stärkere Adrenalinschübe aus.

Damit wäre das Publikum beschrieben. Wie steht es um die Studio-Gäste, denen Sie ihre Online-Geheimnisse um die Ohren hauen – wissen die, was auf sie zukommen könnte?

Nein, unser Studiopublikum denkt, es käme zur Aufzeichnung einer Jubiläumsfolge des ZDF-Magazin Royale. Aus den knapp 3000 Bewerbungen für die Tickets haben wir gut 200 ausgewählt, die – was absolut üblich ist – dafür Name, Geburtstag, Wohnort angegeben haben. Auf Grundlage dieser Datensätze haben wir unser Studiopublikum dann mehrere Monate digital ausspioniert und zusammenzutragen, was im Internet und den sozialen Netzwerken öffentlich verfügbar ist. Daraus machen wir lustige Geschichten, von denen niemand im Studio etwas ahnt – bis das rote Licht angeht und die Kameras laufen.

Leute digital auszuspionieren und die Resultate in einer großen Fernsehshow zu veröffentlichen, klingt allerdings nicht nur lustig, sondern nach datenschutzrechtlich bedenklichem Cyber Mobbing.

Wir wollen Fernsehunterhaltung machen, bei der ganz normale Menschen im Mittelpunkt stehen und keine Promis – und für alle unsere Kandidatinnen und Kandidaten gibt es natürlich immer ein Happyend und tolle Überraschungen. Der Moment, wo jene, die völlig ahnungslos vor laufender Kamera realisieren, dass jetzt aus dem Internet im Fernsehen Wirklichkeit wird, der ist schon magisch. Das kommt zwar für viele sichtlich überraschend, aber wir versuchen uns anhand der Informationen natürlich ein gutes Bild der Leute zu machen, ihre Belastungsgrenzen auszuloten, den richtigen Tonfall zu treffen, die richtige Dosis Humor und Empathie.

Und dass Sie es dann nochmals nachveröffentlichen, dafür geben die Betroffenen hinterher Einverständniserklärungen ab?

Natürlich. Wer das – aus welchem Grund auch immer – nicht will, wird rausgeschnitten, das ist doch Ehrensache. Die Aufzeichnung für Lass Dich Überwachen hat fünfeinhalb Stunden gedauert, gezeigt werden 90 Minuten. Das zeigt doch schon, wie viel rausgeflogen ist. Diese Show ist nur begrenzt planbar.

Führt die Show also eher das System der selbstoptimierenden Aufmerksamkeitsökonomie vor als Individuen, die sie darin sich bewegen?

Es ist zunächst mal nur Fernsehunterhaltung. Aber wir arbeiten eben mit den veränderten, gegenwärtigen Lebenswirklichkeiten. Wer zeitgemäße Unterhaltung machen will, schaut sich um, wo die Menschen sind und wie ihr Alltag aussieht. Am Ende aber bleibt es eine Überwachungsshow, die an Rudi Carells Lass dich überraschen! vor über dreißig Jahren angelehnt ist und vor allem Spaß machen soll. Mit ganz normalen Leuten übrigens, nicht den üblichen Promis, die bei Quizshow Spendengelder erspielen.

Dennoch klingt es ein bisschen nach Deppen-Shaming all derer, die das Informationsmarketing der großen Digitalkonzerne nicht verstehen oder ignorieren…

Ach, was heißt Deppen? Zu Deppen werden wir doch alle, wenn jemand unsere Online-Persona im real life mal hinterfragt. Warum nicht gemeinsam drüber lachen? Wir haben in der Show zum Beispiel einen Kandidaten, der bei TikTok gerne Videos von TikTokerinnen mit eigenen Videos kommentiert. Da haben wir uns erlaubt, eine dieser Frauen einzuladen und neben ihn zu setzen. Was er den ganzen Abend nicht gemerkt hat, bis wir’s ihm gesagt haben. Das ist natürlich ein bisschen gemein, zeigt aber auch gut, wie weit Wirklichkeit und Selbstdarstellung in den sozialen Medien auseinandergehen, wer im Internet groß scheint, ist in der Realität vielleicht ganz klein oder andersrum. Das ist nach drei Jahren Pandemie und sozialer Vereinzelung nochmals deutlicher geworden.

Aber folgt dieses Prinzip nicht der Harald-Schmidt-Schule, Dinge zu tun oder sagen, die eigentlich tabu sind, und damit die Grenzen des Mach- und Sagbaren zu verschieben?

Unsere Sendung ist ein großes Fernsehunterhaltungsexperiment, um 20.15 Uhr in der ZDF-Primetime, keine nischige Late-Night-Show. Aber, helfen Sie mir bitte auf die Sprünge, wer war noch mal Harald Schmidt?

Ein Veteran des dualen Systems, der früher mal wirkmächtiges Fernsehen gemacht hat, sich aber heute Richtung antiwoker Weltkriegsopa bewegt.

Ach, Sie meinen den Moderator, dessen beste Witze ich jahrelang ganz alleine geschrieben habe?

Genau den. Ist ein Infotainer wie Jan Böhmermann ohne Harald Schmidt Vorarbeit, die seinerzeit den unterhaltsam informativen Grenzübertritt mainstreamtauglich gemacht hatte, überhaupt denkbar?

Kulturarbeit bedeutet immer standing on the shoulder of giants. Den Aberwitz des Lebens in lustige Formen zu gießen, das ist natürlich eine Verbindung zu Harald und allen anderen, die vor mir, nach mir, mit mir vor Kameras standen und stehen. Ich finde es immer schön, wenn Entertainment etwas Bedeutsames beinhaltet und Menschen nicht nur berührt, sondern auch betrifft. Kunst muss sich der Wirklichkeit verpflichtet fühlen. Harald kotzt bei solchen Sätzen, ich nicht. Ich halte sie aus.

Das klingt berufsethisch einwandfrei. Wenn Wikipedia Sie als Entertainer, Satiriker, Fernseh- und Radiomodertor, Musiker, Autor, Filmproduzent und Journalist bezeichnet – ist das in dieser Reihenfolge dann korrekt?

Na, wenn Wikipedia das sagt, wird es ja wohl stimmen. Ich bleibe lieber beim Sammelbegriff Kunst. Klar, ich bin gelernter Journalist und finde es auch spannend Unterhaltung zu machen, die juckt. Ob ich mich heute mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik beschäftige oder früher mit dem Mittelfinger von Yanis Varoufakis.

Ein Bild, mit dem der griechische Finanzminister vor acht Jahren inmitten der Euro-Krise für Aufsehen sorgte, weil Sie behauptet haben, es sei ein Fake von Ihnen.

Und der Spaß lag natürlich darin, eine spielerische Kritik an der Aufmerksamkeits- und Medienindustrie zu formulieren. Witzig, dass sich Deutschlands Austeritätspolitik gegenüber Griechenland auf einen Stinkefinger für Günther Jauch und die Bild-Zeitung reduzieren lässt – von dem heute keiner mehr weiß, ob es ihn überhaupt jemals gegeben hat oder doch nur ein Fake war. Die kommunikationstheoretische Analyse ist der Spaß vorher und das Herausschleudern der Aktion in die Praxis ist die Kunst. Und am schönsten und lustigsten sind Sendungen, die auch politisch spannend sind, neue Perspektiven aufzeigen und Frischluft bringen.

Und die sind seit ihrem Wechsel von Neo ins Hauptprogramm ausgeprägter?

Der Wunsch unseres Kernteams inklusive meines Egos jedenfalls bestand darin, bei der Neuaufstellung im ZDF mindestens ebenso relevant zu bleiben, aber formell berechenbarer zu werden, um nicht jeden Montag aufs Neue zu überlegen, womit man die Sendung am Freitag füllt. Da war es eine pragmatische Entscheidung, das auszubauen, worin wir ohnehin stark waren und neue, starke Kolleginnen und Kollegen mit ins Team zu holen.

Nämlich welche?

Hanna Herbst und Nora Nagel leiten die journalistische Redaktion, Tim Wolff die humoristische, Julia Thiel, Susi Engelmann, Alex Hesse und Constantin Timm sind für die Produktion verantwortlich und Lorenz Rhode leitet das einzige wöchentlich sichtbare Rundfunkorchester Deutschlands. Und getragen wird alles von einer schlagkräftigen Redaktion, Juristinnen, der Postproduktion, Ausstattung, Kostüm, Maske und Technik-Crew. Im ZDF Magazin Royale arbeiten sehr viele mutige, starke und schlaue Menschen, die jede Woche auf Augenhöhe verhandeln, wie man Fernsehen relevant, zeitgemäß und unterhaltsam macht.

Sind Sie demnach bereits durch die Varougate genannte Mittelfinger-Affäre oder erst beim Wechsel ins ZDF zum Investigativ-Satiriker geworden?

Och, ich bin und bleibe Unterhaltungskünstler, betrachte die Welt eher ganzheitlich und am Ende gilt immer der alte Leitsatz von Tocotronic: Pure Vernunft darf niemals siegen. Aus meiner Sicht reicht das journalistische Handwerk nicht, um die Vielgestaltigkeit der Welt voll zu erfassen. Zum Abschluss unserer Montagskonferenz muss jede Woche eine Kollegin oder ein Kollege ein Gedicht vortragen, das befreit sehr. Aber nennen Sie mich, wie Sie wollen, labeln Sie mich ruhig weiter!

Gut, dann mit „Feuilleton-Jäger“, der vom Hochsitz der Hochkultur das waidwunde Wild der restlichen Gesellschaft anvisiert und gegebenenfalls erlegt.

Wenn eines Tages rauskommt, dass ich einfach nur ein einigermaßen normaler, nachdenklicher, freundlicher und empathischer Typ bin, der Unrecht und Konflikte hasst, kann ich einpacken.

Gibt es unabhängig vom Label einen Jagdtrieb in der Redaktion, wenn nicht gar Jagdfieber?

Schon bei Neo galt die Warnung: niemals den Drachen jagen! Niemals auf Projektionen reinfallen, nicht auf die eigenen und nicht die anderer. Glaube niemals die dir unterstellte Wichtigkeit, im Guten wie im Schlechten. Das ZDF Magazin Royale will tatsächlich gar nichts auslösen, sondern unser breit gefächertes Interessensspektrum, die Themen, die wir spannend finden, unterhaltsam bearbeiten.

Ist es für einen Entertainer, dessen Unterhaltung vielfach auf harter journalistischer Recherche beruht, dennoch hilfreich, sich auf den Sockel einer gewissen Überlegenheitsarroganz zu stellen?

Dafür sind die Arbeitsabläufe bei uns einfach zu simpel und nachvollziehbar. Das ZDF Magazin Royale hat eine sehr große, starke Redaktion, die sich regelmäßig in Konferenzen trifft, wo jede und jeder Themen vorschlagen kann, auch nicht-inhaltlich arbeitende Gewerke. Und aus allen Themenvorschlägen versuchen wir, gemeinsam die Themen der gesamten Staffel zu finden. Daran ist nichts abgehoben, das ist ganz normaler Arbeitsalltag. Vielleicht mit einem Trick: wir sind sehr genau und versuchen immer zeitgemäße Perspektiven auf die Wirklichkeit zu finden.

Welcher Perspektive worauf zum Beispiel?

In unserer Sendung über Bosnien-Herzegowina haben wir uns zum Beispiel die merkwürdige Konstruktion des Hohen Kommissars angeschaut. Bei der Recherche wurde uns schnell klar: die Perspektive junger, pro-europäischer, muslimischer Bosnierinnen- und Bosnier ist in der der bisherigen Berichterstattung in Deutschland komplett unterrepräsentiert. Also haben wir da thematisch unseren Schwerpunkt gesetzt. Das war dann natürlich ein Schlag ins Gesicht des FAZ-Korrespondenten, der seit 25 Jahren vom Balkan berichtet, sich regelmäßig mit dem bosnisch-serbischen Nationalisten Milorad Dodik zur Sliwowitz-Verkostung verabredet und die Handynummer des CSU-Politikers Christian Schmidt im Kurzwahlspeicher hat. Oder nehmen Sie die „Cyberclown“-Ausgabe zu Arne Schönbohm.

Damals Chef des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, den Nancy Faeser infolge Ihrer Sendung über dessen Russland-Verstrickung entlassen hat.

Wir beschäftigen uns seit 2018 immer wieder mit Fragen der Cyber-Sicherheit. Was im Bundesinnenministerium los ist, war für uns schon immer wichtig. Und da haben wir uns Hans-Georg Maaßen als Verfassungsschutzchef ebenso angesehen wie seinen Parteigenossen Arne Schönbohm beim BSI. Nach Russlands Angriff auf die Ukraine erschien es uns besonders berichtenswert, welche merkwürdigen Beziehungen der von Schönbohm mitgegründete, private Lobbyverein für Cyber-Sicherheit so zu Russland und russischen Nachrichtendiensten pflegt. Manchmal wird ein bekanntes Thema eben erst interessant, wenn sich die äußeren Umstände ändern.

Und gab es wie bei jeder investigativen Verdachtsberichterstattung auch in Ihrer Redaktion den Ablauf Recherche, Konfrontation, raus damit?

Die Sendung zum BSI-Fall ging sogar noch einen Schritt weiter, denn es ging darin gar nicht um Verdachtsberichterstattung; dass wir den BSI-Chef für nicht sonderlich kompetent halten und sein Urteilsvermögen und seine Amtsführung kritisieren, ist ja kein Verdacht. Es ist Tatsache, dass ein langjähriger Lobbyist unterm CDU-Innenminister de Maizière zum Amtsleiter aufgestiegen ist. Nach Kriegsbeginn haben wir das Amt und ihn also ganz seriös mit unseren Rechercheergebnissen konfrontiert.

Und kommt in der Sendung selbst zu Wort?

Natürlich. Alles, was wir darin behandeln, stützt sich auf bekannte Vorkriegs-Recherchen von Zeit oder dem RBB-Magazin Kontraste und unsere eigenen Recherchen, die seriös, ausreichend belegt und handfest sind. Die Sendung steht seit einem Jahr unbeanstandet, wahrheitsgemäß und faktisch korrekt online – und wird jetzt politisch motiviert zum Komplott verschwurbelt. Nach einem Jahr! In Medienzeitrechnung eine Ewigkeit.

Die allerdings juristische Folgen bis hin zur Redaktionsdurchsuchung haben könnte.

(lacht) Da bringen Sie die Shitstorms durcheinander. Das mit der angeblich drohenden Redaktionsdurchsuchung war die Sendung über „Organisierte Rituelle Gewalt“, bei der unsere Recherche zu den fragwürdigen Praktiken einer Psychotherapeutin dazu führte, dass wir anonym angezeigt wurden und der polizeiliche Staatsschutz und die Staatsanwaltschaft instrumentalisiert wurden, um unsere Sendung zu verhindern oder wenigstens zu diskreditieren.

Sind die ZDF-Justiziare demnach von Beginn an am Prozess solcher Geschichten beteiligt wie Christian Sell bei Axel Springer?

ZDF-Justiziare nur zuallerletzt. Wir haben natürlich unsere eigenen Juristinnen und Juristen, die bei Verdachtsberichterstattungen oder Investigativ-Recherchen in die Entstehungsprozesse und Recherchen involviert sind. Von der ersten Idee bis zur letzten Abnahme sind außerdem noch mindestens zwei Redakteurinnen und Redakteure des ZDF in jedes Detail eingebunden. Und am Ende lassen wir uns die Sendung dann noch vom Papst und dem Dalai Lama abnehmen und auch die Illuminaten gucken zur Sicherheit nochmal drüber. Dass ich im ZDF Magazin Royale irgendetwas ungeprüft rausblubbere oder wir eine satirische Sendung um einen falschen Tatsachenkern bauen – da muss ich mit aller Überlegenheitsarroganz widersprechen.

Ihr ZDF-Kollege Markus Lanz allerdings hat ungefähr das kritisiert, als er sinngemäß sagte: Sie zündeln und drücken sich dann durch den Notausgang Satire vor der Verantwortung.

Ich kann Markus Lanz intellektuell leider nicht immer folgen. Markus Lanz ist Podcaster, ich bin nur ein dummer Clown.

Aber was darf denn – Podcastclownspaß beiseite – Satire, was Journalismus abgesehen vom lustig sein nicht darf oder kann oder sollte?

Wenn wir im ZDF Magazin Royale mit Humor versuchen, den wahren Kern einer Sache zu ergründen, dann darf der Humor den wahren Kern nicht verfälschen oder verstellen. Wir denken uns unsere Witzobjekte doch nicht selber aus, das wäre viel zu viel Arbeit. Und ehrlich: für ein satirisches Produkt, reicht es inzwischen oft aus, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen.

Zum Beispiel?

Wenn der CDU-Vorsitzende öffentlich sagt, seine Partei sei die Alternative für Deutschland mit Substanz und ich daraus ohne größeren Kunstgriff schlussfolgere: ach so, die CDU sieht sich jetzt also als Alternative für Nazis mit Substanz? Genau das hat Friedrich Merz zwar sagen, aber nicht aussprechen wollen. Also habe ich das freundlicherweise für ihn erledigt.

Stimmt denn der Vorwurf an den politischen Humor insgesamt, dass er sich – Stichwort Monika Grubers Heizhammer-Demo mit Hubert Aiwanger – aktuell öfter auf die Seite der großen Tiere stellt, anstatt sie zu kritisieren?

Diese saudumme gedankliche Verrenkung wird seltsamerweise stets von großen Tieren geäußert, die dafür aber bitte nicht kritisiert werden wollen. Es wird immer Menschen geben, die alles lieber gern so hätte, wie es schon früher nicht war. Mich persönlich langweilt das endlos. Aber niemals, niemals dürfen Meinungsdifferenzen dazu führen, das Menschliche zu verlieren.

Ach was…

Wenn der AfD-Fascho Stephan Brandner in der ICE-Toilette kollabiert, bricht man die Tür auf und hilft ihm – egal, wo man politisch steht.

Stephan Brandner hier offen AfD-Fascho zu nennen, spricht jedenfalls dafür, dass Sie keine Angst vor Tieren jeder Art haben, wie auch ihr Gedicht über Recep Tayyip Erdogan zeigte, das weltpolitische Komplikationen nach sich zog. Hat Sie das damals beruflich, gar menschlich verändert?

Ach, wenn man so lange fürs Fernsehen arbeitet wie ich, ist da unter der Oberfläche doch sowieso nicht mehr viel Leben übrig. Wenn Sie den Begriff „AfD-Fascho“ abdrucken und Herr Brandner das hier liest, wenn er aus dem Krankenhaus zurückkommt und ein ostdeutscher Amtsrichter zu dem Schluss kommt, dass Herr Brandner gar kein „AfD-Fascho“ sei, sondern einfach nur ein harmloser Nationalsozialist, der die Freiheitlich Demokratische Grundordnung von Herzen verachtet, machen Sie sich übrigens presserechtlich möglicherweise mithaftbar. Sie merken: all die Aufregungen machen einen entspannter, was weitere betrifft.

Entspannter oder abgebrühter?

Entspannter. Wenn die Polizei oder die Staatsanwaltschaft anrufen, da hätte ich vor vier Jahren drei Wochen schlecht geschlafen. Heute sage ich: Ach, moin Thomas, hallo Manfred, Ihr schon wieder! Was gibt’s dieses Mal? Davon abgesehen: Der klassische Promifaktor verändert meiner Erfahrung nach Menschen persönlich viel mehr und drastischer. Wenn du in Berlin-Schöneberg nicht mehr Falafel kaufen gehen kannst, ohne dass alle dich erkennen: „Hach, das bin ja ich da auf dem Plakat!“ Irgendwann hältst du dann deine neue Gucci-Tasche in die Instastory, verwandelst den Motor deinen Schaffens – lebenslange Unsicherheit plus Außenseiterhaftigkeit – inpassiv-aggressive body positivity und dann ist es vorbei. Dann willst du dazugehören. Dann hast du gegen dich selbst verloren.

Gibt es da Rückzugstendenzen, so was wie ein spätes Cocooning zuhause?

Auch wenn es am Bildschirm nicht so aussieht, suche ich außerhalb der Arbeit die Öffentlichkeit bekanntlich weniger. Ich habe auch keinen Stapel Autogrammkarten in der Tasche. Am Ende gehe ich einfach jeden Tag zur Arbeit, von der am Ende eben manchmal richtig viele Menschen etwas mitbekommen.

2016 hat das GQ-Magazine Sie zum wichtigsten Meinungsmacher Deutschlands gekürt. Was war daran peinlicher: GQ, Meinungsmacher oder Deutschlands?

Sie sprechen mit dem amtierenden Playboy-Mann des Jahres 2022. Mir ist offensichtlich gar nichts peinlich. Journalist*innen wollen oft irgendetwas sein, was sie nicht sind. Mir ist das wirklich, ganz ehrlich, nicht so wichtig. Ekelhaft, oder? Mir ist wichtig, dass mein Team und ich meinem öffentlichen Ich weiterhin ins Gesicht gucken können.

Mit Schwerpunkt auf sich oder dem Team?

Fernsehsendungen entstehen immer kooperativ. Aber sagen Sie das bitte niemandem, sonst müssen weite Teile der deutschen Fernsehgeschichte neu geschrieben werden. Am schönsten ist es doch, in guten Diskussionen von guten Argumenten niedergerungen zu werden.

Was aber nicht heißt, dass Sie uneitel sind?

Dazu möchte ich mich nicht weiter erklären, um die geheimnisvolle Umnebelung meiner öffentlichen Person nicht zu entmystifizieren.

Wenn man in diesen Nebel hineinsticht und sagt, Jan Böhmermann sei so etwas wie der deutsche Jimmy Fallon – empfinden Sie das als Schmeichelei oder Affront?

Da ich nicht weiß, ob Sie den öffentlichen Jimmy Fallon meinen oder den Jimmy Fallon, der hinter den Kulissen seinem Team verbietet, ihm in die Augen zu schauen, der seine Kolleginnen und Kollegen legendär schlecht behandelt und heftige Alkoholprobleme hat, möchte ich mich auch bei dieser Frage nicht auf eine Antwort festlegen.


Prechts Juden & Daums Skandale

Die Gebrauchtwoche

TV

16. – 22. Oktober

Niemand erwartet, dass alles Leben abrupt einfriert im Moment entfesselter Gewalt. Dass die Welt auf Dauer in den Modus kollektiver Anteilnahme schaltet, wenn der Terror mal wieder neue Dimensionen erreicht. Auch nach 9/11 haben die Menschen ferngesehen, und nicht nur Nachrichten. Aber ob die ARD nach einem Brennpunkt über den Angriff der Hamas auf Israel wirklich Verstehen Sie Spaß? senden musste?

Schwer zu sagen, entscheiden, beurteilen im Angesicht einer barbarischen Horde, die an vormoderne Zeiten erinnert, als das Brandschatzen, Vergewaltigen, Entvölkern eroberter Landstriche weithin anerkannte Kriegspraxis war. Was hingegen leichter zu sagen ist: nicht jeder selbstgerechte Bullshit, den telegene Philosophen gelegentlich von sich geben, ist schon antisemitisch, nur weil er antisemitische Klischees verwendet.

Trotzdem war es – wie die vorschnelle Einordnung der offenbar fehlgeleiteten Hamas-Rakete auf ein palästinensisches Krankenhaus als „israelischer Beschuss“ – nicht bloß fahrlässig, was Richard David Precht im Podcast mit Markus Lanz über die Berufswahl orthodoxer Juden (irgendwas mit Geld und Diamanten) unverdaut ausgeschieden hat; seine alterstoxische Logorrhöe zeugt vom Beharrungswillen tradierter Vorurteile, die eine seriöse Berichterstattung ebenso reflektieren sollte wie, sagen wir, misogyne Stereotypen.

Warum nur, fragt sich im aufgeklärten Jahr 2023 b.c., wird die Opferartigkeit der zivilen Opfer bei Krieg und Terror noch immer durch Frauen, Alte und Kinder gekennzeichnet? Weil erstere so wehrlos sind wie letztere? Seriously? Selbst die fraglos emanzipierte Zeit kann sich diesen Dreiklang aus vormoderner Zeit brandschatzender Horden nicht verkneifen. Wie soll man das da von der Bild erwarten?

Erst recht, wenn sie Redakteure wie angekündigt durch elegant Large Language Model genannte KI ersetzt, deren Algorithmus Springer-Populismus wiederkäuen, Gleichberechtigung also für Gedöns halten dürfte. Ob die Bild ihre Führung der kombinierten Print- und Online-Reichweite, wie sie die Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse gerade ermittelt hat, so halten kann? Leider ja.

Gut zwölf Millionen User täglich, mehr als die Plätze 3-20 (Rang 2: Welt) zusammen: Hass und Hetze, Lügen und Blödsinn mit oder ohne PR rechnen sich halt noch immer bestens. Stefan Raab hat indes nur mit letzterem total TV-Geschichte geschrieben. Stets im Rücken: die Produktionsfirma Brainpool. Jetzt verkauft er nach 25 Jahren seine Anteile und beendet damit eine Fernsehära, die neben allerlei Unsinn Großes bewirkte.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

23. – 29. Oktober

Wenngleich nichts auch nur annähernd so überdimensional Gewaltiges wie Everything Now. Die Netflix-Mischung aus Euphoria und Sex Education mit Spuren von My Name is Al erzählt von der anorektischen Mia, die nach monatelanger Therapie an ihre Londoner Schule zurückkehrt und in Windeseile zwei Jahre Jugend aufholt. Ein sensationelles Panoptikum der Pubertät, dieser bizarren Lebensphase, in der alles anziehend und abstoßend, schön und schrecklich, zu groß, zu klein, zu alles ist.

Und Sophie Wilde spielt sie mit einem fragilen Trotz, der Zuschauende acht Teile lang zwischen Aberwitz und Wahrhaftigkeit, Lachen oder Weinen hin und her schleudert. Da können aktuelle Neustarts naturgemäß kaum mithalten. Zumal es abgesehen von der Krimi-Serie Polar Park vom kältesten Ort Frankreichs fiktionale nur wenig zu berichten gibt – in diesem Fall vor allem der denkbar dusselig deutsche Titel „Eiskalte Morde“, ab Mittwoch in der Arte-Mediathek.

Das Onlineportal der ARD startet zwei Tage später die bayrische Katholiken-Comedy Himmel, Herrgott, Sakra, während das ZDF seiner Milieu-Studie Doppelhaushälfte parallel ein Zombie-Special verpasst. Fragt sich, ob der wahre Halloween-Horror nicht zwei Tage zuvor bei Paramount+ läuft, das dem popkulturellen Schulterpolster-Fakeduo Milli Vanilli eine Doku beschert. Aus ähnlicher Epoche im selben Land stammt hingegen einer, der fast 20 Jahre den Boulevard zweier Nationen gefüllt hat: Christoph Daum.

Das Sky-Porträt Triumphe & Skandale skizziert die Achterbahnfahrt des Fußballtrainers durch ein Gebirge aus Titeln, Koks, Affären und Krebs ab Freitag in einer Intensität, die zu wirr um wahr zu sein ist. Während Ulrike Krieners Kommissarin Lucas am Samstag nach 20 Jahren ZDF Abschied nimmt, leitet uns die wunderbare 3sat-Doku Deutschlandlieder derweil durch die Musik zugewanderter Türkinnen und Türken – die der Rapper Eko Fresh und sein Vater zu einem unfassbaren Konzert versammeln.


TikTok-Terror & Theaterdonner

Die Gebrauchtwoche

TV

9. – 15. Oktober

Das Licht am Ende des Tunnels ist einem misanthropisch heiteren Sprichwort zufolge oft kein Hoffnungsschimmer, sondern ein heranrasender Zug. Wer also irgendwann, zwischen Mauerfall und Barack Obama dachte, die Zivilisation befände sich auf dem Weg in bessere Zeiten, wurde seither allerdings selten so brutal aus allen Träumen gerissen wie vor neun Tagen, als die Hamas Israel mit infernalischem Terror überzogen hat.

Der ersten Traumatisierung folgte allerdings flugs die zweite, als antisemitischer, aber auch antiislamischer Hass Plattformen von TikTok bis X geflutet haben – selbstverständlich ohne, dass dem deren Inhaber etwas Nennenswertes entgegengesetzt hätten. Die dunkle Seite der Macht ist eben stark unter den Empathie-Befreiten. Das mussten zeitgleich auch die Beteiligten der ZDF-Serie Clashing Differences erleben.

Als Experiment über die Vielgesichtigkeit von Diversity aus queerfeministischer Sicht in die Nische des Zweiten programmiert, ergoss sich ein dicker brauner Strom unreflektierter Verachtung übers Format von Merle Fromme, das im Gegensatz zu den Hatern alles Mögliche für sich reklamiert, aber keinen Wahrheitsanspruch. Und damit zur Spiegelung eigener Vorurteile, die RTL gerade perforiert.

Dessen Reality-Gameshow Die Verräter hat freitagsmedien nämlich einfach mal ignoriert. Ein Fehler. Denn der kriminalistische Escape-Room nach holländischem Vorbild ist auch, aber nicht nur dank Sonja Zietlow ungeheuer fesselnd. Unfreiwillig komisch ist hingegen die Nachricht, dass derselbe Sender 2024 Big Brother ohne Promi-Beteiligung ins Hauptprogramm zurückholt.

Genau unser Humor.

Ungefähr wie die Personalentscheidung, dass Münchens Vize-Bürgermeisterin Katrin Habenschaden in den Vorstand der Deutschen Bahn wechselt. Kannste dir genau so wenig ausdenken wie jenen Betrag, den Google laut einer Spiegel-Meldung für Verlagsinhalte an deutsche Pressehäuser überweist: 3,2 Millionen Euro. Wohlgemerkt: Allen Verlagen zusammen, und zwar nicht pro Stunde, Tag oder Woche, wie es angemessener wäre. Nein: im Jahr.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

16. – 22. Oktober

Was ungefähr so irre ist wie das selbstverliebteste Ego der an selbstverliebten Egos nicht gerade armen Internet-Bubble für Konsumgewinner: Jeremy Fragrance. So heißt ein Parfüm-Influencer, dem Sky ab heute ein fünfteiliges Porträt widmet, und wer es bis zum Ende durchhält, versteht ein bisschen besser, warum unsere Zivilisation gerade mit Vollgas gegen die Wand fährt.

Ebenso erhellend, wenngleich auch intelligente(re) Art und Weise ist die Low-Budget-Fiktion Aufgestaut, ab Mittwoch bei Neo. Sechsmal runde 15 Minuten lang schauen wir vier Umweltaktivist*innen dabei zu, wie sie die Frage nach richtig & falsch, gut & böse, schwarz & weiß der Debatte ums Klima-Kleben in einem Kleinstraßenkammerspiel unterschiedlich Betroffener stellen, ohne sie zu beantworten.

Mit mehr Geld, Zeit, Klischees geht zwei Tage später ein Sechsteiler bei RTL+ online, dessen depperter Titel (Was wir fürchten) mit abgenudeltem Thema (Mystery) ums Ende der Niveautabelle kämpft, den der glaubhafte Cast zweier Coming-of-Age-Stränge nicht verdient hätte. Besser ist eine ZDF-Serie, die trotz Deppentitel (Quellen des Bösen) mit Nudelthema (Ritualmorde) zur klugen Milieustudie verblühender Nachwendelandschaften ohne jeden Theaterdonner wird.

Also das genaue Gegenteil der Fortsetzung eines „Kultfilms“ derselben Epoche Mitte der Neunziger ist. Damals schrieb sich Hape Kerkeling mit Club las Piranjas einen bitterbösen Kommentar auf den Pauschaltourismus. Jetzt versetzt RTL+ seinen Animateur Edwin nach Mauritius, wo er mit ähnlichem Personal nicht mehr das System, sondern die Kundschaft verächtlich macht und dabei vieles ist, aber vier Teile lang nie, wirklich niemals witzisch.

Das Gegenteil verspricht Deutschlands politischste Dichterin Sarah Bosetti ab Sonntag in ihrer gleichnamigen Late Night Show, was zwei andere Premieren in einer besseren Welt an Aufmerksamkeit überflügeln würde: Die Fortsetzung der lausigen Polizeireihe Jenseits der Spree mit Jürgen Vogel, Freitag im ZDF. Und parallel John Le Carrés Apple-Thriller Der Taubentunnel.


The Screenshots, Allah-Las, Smile

The Screenshots

Auf der Suche nach den besten Bandnamen der Welt, erlebt man ja selten so tolle Überraschungen wie Postmodern Talking oder Voodoo Jürgens, und Wunderwerk Mensch hätte es da bestimmt auch in die Top 500 geschafft, ist aber leider nur der Name des neuen Albums von The Screenshots, was definitiv ein öder Bandname ist – ganz im Gegensatz zu ihrer zweiten Platte mit dem anthroposophen Label.

Der Titelsong allein schon erklärt da einiges: “Mach’s dir gemütlich / im Wunderwerk Mensch”. Irgendwie, als hätten zwei, drei Kreativpole des Austropop eine Zeitreise zur NDW-Hochphase der frühen Achtziger nach Köln gemacht, schrägscheppert sich das Trio durch den Dadaismus ihrer Funpunk-Attitüde, die sich nicht allzu ernst nimmt, aber dennoch ganz schön filigran klingt für so viel Selbstironie.

The Screenshots – Wunderwerk Mensch (Musikbetrieb R.O.C.K.)

Allah-Las

Ein bisschen, aber nicht allzu viel ernster ist das neue Album der kalifornischen Großstadttropenrocker Allah-Las, die einer mehr sind als The Screenshots und keine Frau am Bass haben, aber nur unwesentlich weniger Augenzwinkern im Gitarrensound. Obwohl auch der auf ihrer neuen Platte mit dem schönen Titel Zuma 85 wie in den 15 Jahren zuvor wieder mal sehr durchdacht und kompetent dargeboten wird

Erneut klingt das Quartett um Sänger Miles Michaud, als hätten die Beach Boys seinerzeit ähnliche Skills, aber besseres Gras gehabt. Alles fuzzig verwaschen, alles dadurch angenehm unaufgeregt, uneitel, trotz selbstreferenzieller Gitarren-Soli also überhaupt nicht so maskulin, wie dieser Westcoast zwischenzeitlich mal war. Man wünscht sich einfach mit Marimba und Daiquiri an den Strand von L.A. – relaxen, zuhören, wegnicken, reicht schon.

Allah-Las – Zuma 85 (Innovative Leisure)

Smile

Und damit das hier nicht zu drollig wird, sondern den Zeichen der Zeit angemessen zumindest ein wenig dystopisch, schenken wir an dieser Stelle dem Debütalbum der Postpunker Smile unsere Aufmerksamkeit und danken ihr dafür, schlechte Laune mit Niveau zu verbreiten. Price Of Progress heißt sie und manchmal scheint es, als entsteige da ein aufgemöbelter Geist von Anne Clark aus der Gluthitze von Albuquerque.

Latent übellaunig, aber experimentierfreudig patzt Sängerin Rubee True Fegan ihren Sprechgesang – nicht Rap! – durch atonale Gitarren ihrer rechtsrheinischen Band und zerkratzt beides zu melodischem Noise, bei dem man ständig aufmerksam bleiben sollte, wo sich originelle Riff oder vertrackte Breaks verstecken, um aus dieser deutsch-amerikanischen Freundschaft mehr zu machen als missmutige Twentysomethings, sondern “optimistic traitors”, wie Fegan in Stalemate singt.

Smile – Price of Progress (Siluh Records)


Agitproppresseclubs & Schinkenstraßen

Die Gebrauchtwoche

TV

2. – 8. Oktober

Über politische Auswirkungen sozialer Medien wird seit Jahren vorerst ergebnisoffen diskutiert, aber ein Tweet von Elon Musk auf seiner Plattform namens whatever hat nun gezeigt, dass der unermesslich reichste Internet-Troll direkt in deutsches Regierungshandeln intervenieren kann. Kurz nachdem er deutsche Staatsgelder für Seenotrettungsorganisationen angeprangert hat, fühlte sich Bundeskanzler Scholz bemüßigt, diese Praxis beenden zu wollen.

Dass mediale Kampagnen sogar für politische Erdbeben verantwortlich sind, zeigen derweil beide Landtagswahlen. Ohne die Bild, Twitter-, RTL-, aber auch SZ-befeuerte Pauschalkritik an der rotgelbgrünen Regierungspolitik, kulminierend im Furor gegen alles Fremde, vulgo: Ausländer, wäre die AfD gestern in Bayern und Hessen kaum so erfolgreich zu werden. Umso drolliger, wie wendig der Agitproppresseclub von Axel Springer wird, wenn sein Gesinnungswechsel Profite generiert.

Ohne rot zu werden wirbt dessen Frontblatt deshalb jetzt, kein Scherz, für die Volks-Wärmepumpe. Nach mehrmonatiger Heiz-Hammer-Dresche für den grünen Erzfeind ist das selbst für Bild-Verhältnisse dreist und erschwert die Solidarität mit einem Team der Welt ungemein, das bei einer Straßenumfrage zum Terrorangriff auf Israel in Berlin bedroht wurde. Ein Glück für Caren Miosga, dass sie sich damit seit ihrem Abschied am Donnerstag nicht mehr täglich in den Tagesthemen befassen muss.

Pech hingegen, dass populistische Windfähnchenhalter der Aufmerksamkeitsindustrie ihr als Nachfolgerin von Anne Will demnächst in Deutschlands wichtigste Talkshow folgen. Die zweiälteste hinter 3 nach 9 dagegen feiert derweil gewaltiges Jubiläum mit noch gewaltigerer Gästeliste. Am Freitag läuft die 1000. NDR Talk Show, die Promis von Günther Jauch über Carolin Kebekus und Ina Müller bis Mario Barth zwar weniger staatstragend machen wie sonntags nach dem Tatort, aber auf unterhaltsame Art bedeutsam.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

9. – 15. Oktober

Das teilt sie mit einer Serie, die es spielend auf alle Best-of-Listen 2023 schaff: Nackt über Berlin. Axel Ranisch verfilmt darin den eigenen Bestseller um zwei Außenseiter, die ihren Schuldirektor (Thorsten Merten) in dessen Smart Home kidnappen und damit, so scheint es, die Chance auf Rache und Selbstermächtigung ergreifen. Anfangs Coming-of-Age, entwickelt der Sechsteiler mit jeder Folge mehr soziokulturellen Sprengstoff und wird ab Donnerstag bei Arte zur Seriensensation.

Das wollte definitiv auch Last Exit Schinkenstraße sein, neuester Streich vom Milieustudienberserker Heinz Strunk.  Wie in Fleisch ist mein Gemüse flieht er darin als gescheiterter Kirmessaxofonist vor der Realität, diesmal nach Malle. Dummerweise verliert Strunk als Ballermann-Barde von RTL+ den warmherzigen Respekt für Unterprivilegierte und verliert sich in – zugegeben oft lustigen, musikalisch brillant untermalten – Kalauern.

Die hagelt es ab Freitag bei Paramount+ auch im Reboot der Neunziger-Serie um den Radio-Psychiater Frasier. Ansonsten jedoch startet die Woche ernster. Heute (23.05 Uhr) mit dem vierteiligen ARD-Porträt des kriminellen Cops Lubi. Morgen mit der Mediathek-Reihe Legendäre Experimente, zum Auftakt: das machtmissbräuchliche im Stanford Prison. Und Mittwoch zur besten Sendezeit im 2. Teil von Bjarne Mädel als Sörensen fängt Feuer.

Zwischendurch beleuchtet Arte ab Dienstag online das unselige Zusammenspiel Die USA und der Holocaust, bevor das ZDF auf seinem Digitalportal Füxe skizziert, das dubiose System deutscher Burschenschaften. Und damit zum Fiktionalen. Seit Freitag schon bei Netflix: vier Geschichten von Roald Dahl, die der unvergleichliche Wes Anderson zum unvergleichlichen Kurzfilmvierteiler Ich sehe was, was du nicht siehst und Der Rattenfänger, dazu Gift und Der Schwan macht.

Freitag bringt uns Mike Flanagan dann an gleicher Stelle zum Gruseln, wenn er den Untergang des Hauses Usher zum Niedergang einer US-Pharmadynastie aktualisiert, dabei allerdings diverse Gruselstücke von Edgar Alan Poe verarbeitet. Zeitgleich dockt AppleTV+ beim Damengambit an. Eine Frage der Chemie zeichnet acht Teile die Karriere von Elizabeth Zott, die in den frauenfeindlichen Fünfzigern versucht, als Wissenschaftlerin Fuß zu fassen – was in seiner inszenatorischen Zurückhaltung einfach großartig ist.


Get Jealous, Spilif, A. Savage

Get Jealous

Neid ist bekanntlich kein konstruktives Gefühl, geht anders als die Missgunst aber nicht zulasten anderer. Man darf den Namen einer ziemlich neuen Band daher als Aufforderung verstehen, es einfach nach- oder vorerst wenigstens mitzumachen. Get Jealous zaubern sich nämlich das, was sie selber Riot Pop nennen, ein wenig wie Moldy Peaches auf Speedkoksesprosso für die LGTBTQA+++-Community und alle anderen.

Kreuz und quer durch den unbedingt lebensbejahenden Gesang von Frontmensch Otto ohne Pronomen, brettert das Debüt des niederländischen Trios mit Sitz Hamburg ein Pogo-Empowerment ins Gemüt, das Mareks Schlagzeug und Marikes Bass allen Ernstes noch beschleunigen, als gäbe es in 13 bedingungslos diversen Tracks weder gestern noch morgen, nur Hier und Jetzt. Musikalische Selbstermächtigung war selten kämpferischer fröhlich.

Get Jealous – Casually Causing Heartbreaks (corner.company)Heartbreaks

Spilif

Rap ist bekanntlich ein selektives Genre. Ob Sprechgesang nun emo ist, aggro oder was dazwischen: viel Bass, viel Beat, meistens digital, selten instrumentiert – darauf kann man sich als Grundkonsens einigen. Und dann kommt da die Innsbruckerin Spilif, rührt wie Käptn Peng echte Musik unter den HipHop und was kommt heraus? Grandioses Pop-Empowerment für alle, LGBTQA+++-Community inklusive.

Auf ihrer neuen Platte Irgendetwas, das du liebst, erklärt sie sogar selbst, warum der Titel stimmt: “Rap ist broke as fuck / oder scheiße viel verdien’ / Rap ist Idiotie, Utopie und Wahnsinn / doch das Klügste und Genialste, wenn die echten Heads am Start sind”. Und die echten Heads sind definitiv am Start, wenn Spilifs DJ Rudi Montaire Analogie zu einer Art hochbeschleunigtem Voodoo Jürgens simuliert. Selten war HipHop entspannter variabel.

Spilif – Irgendwas, das du liebst (unserallereins)

A. Savage

Und dann wäre diese Woche noch ein Wilder im Angebot, der sich A. Savage nennt, womöglich Andrew oder Ahmed mit Vornamen heißt und sich ohnehin jeder Kategorie ungefähr so entzieht, wie er sich der hyperkultivierten Musikszene New Yorks durch Flucht nach Europa entzogen hat. Hier hätte er nun weniger verschrobenes Zeug machen können wie mit seiner langjährigen Band Parquet Courts.

Macht er aber nicht. Stattdessen tingelt sein zweites Soloalbum Several Songs About Fire angenehm ziellos durch Americana und Alternative, Urban und Classic Folk, Pop und Popartigem, bis sein schiefer Gesang über seine Gemütsbrüche und die passenden Klebstoffe klingt, als sei das alles genauso gewollt, ihn aber dennoch bloß irgendwie widerfahren. Das Ergebnis: retrofuturistischer Garagenfunk für Lagerfeuerfans.

A. Savage – Several Songs About Fire (Rough Trade)


Fernsehpreise & Diversityclashes

Die Gebrauchtwoche

TV

25. September – 1. Oktober

Der Deutsche Fernsehpreis, sagen Fachleute, sei unter all den Trophäen der Branche schon deshalb bedeutend, weil ihn die Sender selbst verleihen. Zugleich allerdings ist er der unwichtigste, weil ihn – man ahnt es – die Sender selbst verleihen. Im Streaming-Zeitalter führt das zum Glück führt das zwar nicht mehr zu den Proporz-Verteilungen früherer Jahre. Trotzdem folgten die Auszeichnungen für den ZDF-Schund Der Schwarm oder ein Tagesthemen-Special zum Ukraine-Krieg den üblichen Verteilungsschlüsseln.

Andererseits zeugt eine guter Regalmeter Glas-Obelisken für Netflix (Kleo, King of Stonk, Die Kaiserin) und immerhin ein halber für Prime Video (Luden, Joko) oder Sky (Erfundene Wahrheit) davon, dass die Platzhirsche ihre Lorbeeren längst nicht mehr alleine verkochen und Sat1 nicht mal mehr durch Mitleidspreise beruhigen. Mitleid verdienen ohnehin nur all jene, die der dortigen Übertragung volle viereinhalb Stunden gefolgt sind – so banal und öde war die Show ohne Barbara Schöneberger.

Unterhaltsamer war da Susanne Daubner, als sie einen Tagesschau-Beitrag über die Energiepreis-Debatte der Bundesregierung mit Chemieunternehmen vor Lachen kaum moderieren konnte. Immerhin unfreiwillig komisch zeigt sich hingegen weiterhin der RBB. Während dessen Rundfunkrat die Novellierung des Staatsvertrags durch die Senatskanzleien Berlin und Brandenburg heftig als Angriff auf die Prorammautonomie kritisiert, könnte die Wahl der neuen Intendantin Ulrike Demmer unrechtmäßig gewesen sein.

So trist das Angebot der Dritten auch dank ausgedehnter Spar- und Kürzungsrunden oft ist – der Streit über die Strukturen dahinter wird niemals langweilig. Wobei auch Sprachlosigkeit ergreifend sein kann. Als ein Anrufer die unterschiedliche Gewichtung von Flüchtlingen der Ukraine und afrikanischer Staaten im ARD-Presseclub anging, herrschte kurz mal brüllendes Schweigen. Das immerhin könnte mittelfristig in den USA abgewendet worden sein.

Das Ende des Autorinnen-Streiks ist zwar noch nicht schriftreif; ein spürbares Entgegenkommen der Produktionsseite in Sachen Arbeitsverträge und KI sorgte jedoch immerhin dafür, dass demnächst wohl wieder Scripte entstehen – was auch Deutschlands Programmverantwortliche erleichtern dürfte. Und damit einen Glückwunsch zum Schluss: Das Auslandsjournal feiert am Mittwoch 50. Geburtstag im ZDF.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

2. – 8. Oktober

Das ist auch bitter nötig. Ansonsten nämlich gibt es im Zweiten ebenso wenig Beglückwünschenswertes wie im Ersten. Der ARD-Freitagsfilm Einfach Nina müht sich immerhin redlich, das Thema Transgender degetotauglich zu verarbeiten, bleibt aber ein bisschen zu gefällig. Und dass Heike Makatsch am Sonntag zum letzten Tatort-Einsatz bittet, ist ja auch die beste Nachricht seit ihrem ARD-Debüt.

Und damit zu öffentlich-rechtlich Empfehlenswerterem abseits der Hauptkanäle. Die Web-Serie Clashing Differences zum Beispiel experimentiert ab Donnerstag bei Arte überaus erfolgreich damit, einer queerfeministischen Frauenkonferenz mangelnde Diversität zu unterstellen – und verknotet die Fallstricke selbstauferlegter Vielfalt ebenso originell wie lehrreiche. Nur importiert, aber absolut brillant ist das norwegische Neo-Drama About Saturday.

Zwölf Teile lang kämpft ein Opfer sexueller Gewalt darin ab Freitag gegen falsche Scham und Schuldgefühle darum, ins Leben zurückzukehren – was auf fast schon wispernd leise Art raumgreifend wirkt. Gelungen ist auch die französische Politkomödie Unter Kontrolle, tags zuvor sechsmal 30 Minuten bei Arte, wo ab morgen die Milieustudie Capital B läuft, in der Florian Opitz fünf Folgen lang untersucht, wie Berlin nach 1989 mithilfe machtgeiler Kreise in CDU und SPD zur Beute skrupelloser Immobilienspekulanten wurde.

Sein eigenes Spekulationsobjekt ist demgegenüber David Beckham, dem Netflix am Mittwoch ein vierteiliges PR-Porträt schenkt. An gleicher Stelle hoffen wir, die 3. Staffel Lupin hält das Niveau der ersten zwei, was auch für die Fortsetzung der Antisuperheldenserie Loki 2 bei Disney+ ab Freitag gilt. Paramount+ zeigt derweil gen Wochenende ein Remake von Steven Kings Friedhof der Kuscheltiere und das sechsteilige Kammerspiel Bargain um die Folgen eines südkoreanischen Erdbebens. Vom Greenwashing der Pro7-Aktionswoche Save the Planet wollen wir dagegen lieber schweigen.