TikTok-Terror & Theaterdonner

Die Gebrauchtwoche

TV

9. – 15. Oktober

Das Licht am Ende des Tunnels ist einem misanthropisch heiteren Sprichwort zufolge oft kein Hoffnungsschimmer, sondern ein heranrasender Zug. Wer also irgendwann, zwischen Mauerfall und Barack Obama dachte, die Zivilisation befände sich auf dem Weg in bessere Zeiten, wurde seither allerdings selten so brutal aus allen Träumen gerissen wie vor neun Tagen, als die Hamas Israel mit infernalischem Terror überzogen hat.

Der ersten Traumatisierung folgte allerdings flugs die zweite, als antisemitischer, aber auch antiislamischer Hass Plattformen von TikTok bis X geflutet haben – selbstverständlich ohne, dass dem deren Inhaber etwas Nennenswertes entgegengesetzt hätten. Die dunkle Seite der Macht ist eben stark unter den Empathie-Befreiten. Das mussten zeitgleich auch die Beteiligten der ZDF-Serie Clashing Differences erleben.

Als Experiment über die Vielgesichtigkeit von Diversity aus queerfeministischer Sicht in die Nische des Zweiten programmiert, ergoss sich ein dicker brauner Strom unreflektierter Verachtung übers Format von Merle Fromme, das im Gegensatz zu den Hatern alles Mögliche für sich reklamiert, aber keinen Wahrheitsanspruch. Und damit zur Spiegelung eigener Vorurteile, die RTL gerade perforiert.

Dessen Reality-Gameshow Die Verräter hat freitagsmedien nämlich einfach mal ignoriert. Ein Fehler. Denn der kriminalistische Escape-Room nach holländischem Vorbild ist auch, aber nicht nur dank Sonja Zietlow ungeheuer fesselnd. Unfreiwillig komisch ist hingegen die Nachricht, dass derselbe Sender 2024 Big Brother ohne Promi-Beteiligung ins Hauptprogramm zurückholt.

Genau unser Humor.

Ungefähr wie die Personalentscheidung, dass Münchens Vize-Bürgermeisterin Katrin Habenschaden in den Vorstand der Deutschen Bahn wechselt. Kannste dir genau so wenig ausdenken wie jenen Betrag, den Google laut einer Spiegel-Meldung für Verlagsinhalte an deutsche Pressehäuser überweist: 3,2 Millionen Euro. Wohlgemerkt: Allen Verlagen zusammen, und zwar nicht pro Stunde, Tag oder Woche, wie es angemessener wäre. Nein: im Jahr.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

16. – 22. Oktober

Was ungefähr so irre ist wie das selbstverliebteste Ego der an selbstverliebten Egos nicht gerade armen Internet-Bubble für Konsumgewinner: Jeremy Fragrance. So heißt ein Parfüm-Influencer, dem Sky ab heute ein fünfteiliges Porträt widmet, und wer es bis zum Ende durchhält, versteht ein bisschen besser, warum unsere Zivilisation gerade mit Vollgas gegen die Wand fährt.

Ebenso erhellend, wenngleich auch intelligente(re) Art und Weise ist die Low-Budget-Fiktion Aufgestaut, ab Mittwoch bei Neo. Sechsmal runde 15 Minuten lang schauen wir vier Umweltaktivist*innen dabei zu, wie sie die Frage nach richtig & falsch, gut & böse, schwarz & weiß der Debatte ums Klima-Kleben in einem Kleinstraßenkammerspiel unterschiedlich Betroffener stellen, ohne sie zu beantworten.

Mit mehr Geld, Zeit, Klischees geht zwei Tage später ein Sechsteiler bei RTL+ online, dessen depperter Titel (Was wir fürchten) mit abgenudeltem Thema (Mystery) ums Ende der Niveautabelle kämpft, den der glaubhafte Cast zweier Coming-of-Age-Stränge nicht verdient hätte. Besser ist eine ZDF-Serie, die trotz Deppentitel (Quellen des Bösen) mit Nudelthema (Ritualmorde) zur klugen Milieustudie verblühender Nachwendelandschaften ohne jeden Theaterdonner wird.

Also das genaue Gegenteil der Fortsetzung eines „Kultfilms“ derselben Epoche Mitte der Neunziger ist. Damals schrieb sich Hape Kerkeling mit Club las Piranjas einen bitterbösen Kommentar auf den Pauschaltourismus. Jetzt versetzt RTL+ seinen Animateur Edwin nach Mauritius, wo er mit ähnlichem Personal nicht mehr das System, sondern die Kundschaft verächtlich macht und dabei vieles ist, aber vier Teile lang nie, wirklich niemals witzisch.

Das Gegenteil verspricht Deutschlands politischste Dichterin Sarah Bosetti ab Sonntag in ihrer gleichnamigen Late Night Show, was zwei andere Premieren in einer besseren Welt an Aufmerksamkeit überflügeln würde: Die Fortsetzung der lausigen Polizeireihe Jenseits der Spree mit Jürgen Vogel, Freitag im ZDF. Und parallel John Le Carrés Apple-Thriller Der Taubentunnel.



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