Antisemitismus & 7 vs. Wild
Posted: October 30, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |Leave a commentDie Gebrauchtwoche
23. – 29. Oktober
Diskriminierungsdebatten sind konjunkturabhängig. Schafft es etwa Antisemitismus nur aus der Nische ins Zentrum öffentlicher Diskurse, wenn er – siehe Bild – unseren Antiislamismus begründet, erklärt man ihn auch schon wieder zur deutschen Staatsräson. Na ja, außer natürlich beim FC Bayern, das auch Bernd Höcke aufstellen würde, brächte es ihnen Geld und Titel wie den der Champions League, wo ein Antisemit im Münchner Dress am Dienstag folglich mitkicken durfte.
Und da Amazon Prime keine Cash Cows kritisiert, tat ihnen der Reporter beim Spiel in Istanbul sogar den Gefallen, Noussair Mazraouis Terror-Kuscheln komplett zu unterschlagen. Ach, Sportberichtserstattung – so unpolitisch, so leutselig, so maskulin… Wenn ein Bundesliga-Spieler seinen Gegner „Lutscher“nennt, fällt einem von Sport1 zwar der „Kraftausdruck“ auf, aber null Homophobie. Und was fiel der Süddeutschen Zeitung auf, als während der Rugby-WM wer „White Cunt“ rief? Rassismus (gegen Weiße?), keine Misogynie (gegen Frauen!).
Manchmal wünscht man sich in dieser hasserfüllten Zeit, dass auch seriöse Medien 97 Prozent aller Inhalte vor der Veröffentlichung streichen, wie es der deutsche TikTok-Manager Tobias Henning von seiner Plattform behauptet. Was man Medien (ob seriös oder nicht) mehr wünscht, ist indes Sarah Bosetti. Ihre Late Night bei 3sat vor acht Tagen war so vielversprechend, dass es gern mehr als eine Sendung pro Monat geben dürfte – auch weil sie das Format feministisch definiert.
Umso mehr muss sie sich an Jan Böhmermann messen lassen, den Alice Schwarzer gerade zum Sexist Man Alive erkoren hat. Was angesichts des wokesten, wenn nicht einzig woken TV-Mannes in Deutschland eher gegen die Frauenrechteritterin von der trotzigen Gestalt als ihren Gegner spricht. Schon weil sein Emanzipationsgedanke anders als Schwarzers nicht mehr sklavisch am X-Chromosom klebt. Man wünscht ihre wirklich langsam mal den Ruhestand.
Was man dagegen fast niemandem wünscht, schon gar nicht dem ZDF: feige Bombendrohungen, wie sie Dutzenden von Institutionen aller Art zugingen. Beta Film wünschen wir demgegenüber echt viel (dringend nötiges) Glück beim Verkauf von insgesamt 250 Stunden Tatort Münster, Dortmund, Köln und – echt jetzt? – Bremen an den US-Streamingdienst MHz Choice.
Die Frischwoche
30. Oktober – 5. November
Wenn das klappt, könnte das ZDF ja vielleicht mal darüber nachdenken, Rosamunde Pilcher überseeisch zu verklappen – so als Idee zum 30. Geburtstag am heutigen Montag, den USA so ein Stück deutscher Lebensart zu vermitteln. Ein lustiges, obendrein lehrreiches Stück europäischer Politik ist und bleibt derweil das ARD-Juwel Parlament, dem wir heute in der Mediathek zur 3. Staffel folgen.
Ob die Sky-Serie The Gilded Age parallel Bildungsfernsehen ist, bleibt das Geheimnis der Verantwortlichen. Aber opulent ist die Geschichte der amerikanischen Klassengesellschaft am Beispiel ihrer ersten Milliardäre des 19. Jahrhunderts auch in der 2. Staffel. Bereits in die 3. geht morgen ein Netz-Format der ungewöhnlichen Art: 7 vs. Wild, wo sich wieder ein Haufen Prepper und Zocker durch die Natur schlägt, heuer nicht allein in Panama, sondern zu zweit in Kanada.
Trotz schwurbeliger, sexistischer, populistischer Verstrickungen kann man Interessierten nur raten, dienstags und freitags bei Freevee mal reinzuschauen, wie sich toxische Männlichkeit jenseits der Zivilisation so schlägt. Dort befindet sich auch Oliver Hirschbiegels Sky-Serie Unwanted, in der ein Luxusliner Freitag 28 Flüchtlinge aufnimmt und nach Libyen zurückbringen will, weshalb sie meutern.
Über acht Episoden hinweg ist das zwar leicht didaktisch, aber eindringlich und damit besser als der ZDF-Sechsteiler Die zweite Welle über Spätfolgen des verheerenden Tsunamis von 2004. Besser auch als die österreichische Splatter-Groteske Mandy und die Mächte des Bösen (Freitag, Prime Video). Aber keinesfalls besser als die Tipps der Woche: Am Mittwoch etwa bei Sky: The Lovers, eine klassenübergreifend schöne Liebesgeschichte vom Hintergrund der nordirischen Troubles in Belfast.
Oder Polar Park über einen Ritualkiller im kältesten Dorf Frankreichs, dem selbst der deutsche Titel Eiskalte Morde ab Donnerstag bei Arte nicht den skurrilen Charme nehmen kann. Tags drauf völlig anders beeindruckend: Nyad, ein Netflix-Drama mit Annette Benning als Schwimmerin, die mit 64 von Kuba nach Florida schwimmt, was ebenso verbrieft ist wie Lawman, die Story des ersten schwarzen Sherriffs Bass Reeves, dem Paramount+ ab Sonntag ein Western-Biopic widmet.

