Maren Kroymann: Kabarett & Televisionale

Natürlich wollte ich auch gemocht werden

Maren Kroymann

Seit 40 Jahren geht Maren Kroymann lächelnd dahin, wo es besonders Männern wehtut. Ab heute leitet die feministische Kabarettistin das Fernseh-Festival Televisionale in Baden-Baden. Ein DWDL-Gespräch über kollegiale Kritik, weibliche Komik und Altersmilde vs. Jugendwut.

Interview: Jan Freitag

freitagsmedien: Frau Kroymann, Sie haben bei der TeleVisionale den Vorsitz der Film- und Fernsehjury, ist das Neuland für Sie?

Maren Kroymann: Neuland nicht. Jurytätigkeit habe ich schon einige Male gemacht, und mache das auch gerne. Zum Beispiel beim Hessischen Filmpreis oder bei der Berlinale in einer Nebenjury. Aber dass die Jury vor Publikum debattiert, und das in Gegenwart der Nominierten, das gibt’s sonst nur beim Bachmann-Preis. Da setzen wir uns als Kritiker*innen ja auch selbst der Kritik aus, das bringt auch eine gewisse Spannung rein.

Und idealerweise Entertainment?

Deshalb haben die mich genommen, meinen Sie? Fürs Entertainment!?

Ach, das konnte Ihr Vorgänger Dominik Graf auch; vor 200 Leuten im Podium blühte der auf!

Das ist schön, das glaube ich sofort. Es sind ja auch vorwiegend Fernsehinteressierte im Publikum. Nicht unbedingt Spezialisten, aber vorgebildet, ohne akademisch zu sein. Da reicht es wenn man ganz normal redet, da geht es ja nicht um Performance, sondern um Argumente.

Hält man sich als Kritikerin der eigenen Branche zurück oder im Gegenteil voll drauf?

Auf Kolleg*innen halte ich nicht voll drauf, nein. Als Satirikerin entdecke ich beim Fernsehen zwar Dinge, an die ich kritisch rangehe, aber draufhalten kann ein Böhmermann, der nicht zugleich Schauspieler ist, besser. Außerdem bin ich grundpositiv und gegen übertriebene Konkurrenz, besonders unter uns Frauen.

Bringen es aber dennoch zum Ausdruck, wenn Ihnen ein Format missfällt?

Ja klar. Mein Anspruch wäre, nicht rumzueiern, aber ohne Häme und Schärfe.

Sind Sie denn selber kritikfähig oder als Komikerin mit der Qualifikation zuzuspitzen gar kritikfreudig?

Kommt drauf an, ob man etwa Freunde oder Fremde kritisiert, Starke oder Schwache, privat oder öffentlich. Aber ich finde, gepflegtes Lästern kann zur qualifizierten Meinungsbildung gehören, fast eine Quintessenz von Kabarett und Comedy, das absolut seine Existenzberechtigung hat.

Jetzt haben Sie als Absenderin, nicht Empfängerin von Kritik geantwortet. Können Sie nur austeilen oder auch einstecken?

Natürlich ist positive Kritik angenehmer, aber da ich relativ früh in eine Männerdomäne vorgedrungen bin, konnte ich 40 Jahre üben, auch negative Kritik auszuhalten. Als Mädchen der Fünfziger wurde ich konditioniert, gemocht werden zu wollen. Das hat nach meinem Coming-out überhaupt nicht geklappt, wo viele mich plötzlich ziemlich blöd fanden. Aber eine Satirikerin muss ja auch aushalten nicht von allen Zustimmung zu bekommen. Vor allem nicht von denen, die ich selber angreife.

Also lautet die Antwort „ja“ – Sie können beides?

Mittlerweile kann ich beides oder zumindest viel an mir abprallen lassen, was in Zeiten ständiger Shitstorms überlebenswichtig ist, aber meiner Generation von Frauen zumindest nicht als erstes beigebracht wurde. Außerdem ist Kritik ja manchmal auch berechtigt.

Ist das weibliche Fell automatisch dicker, weil die Kritik an Frauen oft unberechtigt ist?

Es setzt ja viel früher an, dass mangelndes Selbstbewusstsein viele Frauen daran gehindert hat oder hindert, etwas zu tun, für das sie überhaupt kritisiert werden könnten. Diese Herausforderung mussten wir ja erst mal annehmen und uns nicht hinter der Option verstecken, die die Gesellschaft damals noch für uns vorsah – Hausfrau und Mutter zu werden. Ich spreche von den 50er Jahren. Ich fand es schon mit 18 am US-College grauenvoll, wie Frauen das Beliebtsein bei Männern als Wert an sich eingebläut wurde. Zum Glück waren meine Brüder da weiter. Der zweitälteste, Burkhard, meinte mal, dieses Appreziiert-werden-wollen kannste dir mal abgewöhnen.

Appreziiert?

Von appreciate im Englischen, unbedingt wertgeschätzt werden zu wollen.

Hat das bei Ihnen zum Gegenteil geführt, gar nicht wertgeschätzt werden zu wollen, gar nicht mehr nett, gar nicht mehr hübsch oder sympathisch?

Überhaupt nicht. Natürlich wollte ich auch gemocht werden. Meine Aufstandsphase in den Sechzigern nahm sich nur deutlich gemäßigter aus als etwa die der Punks in den Siebzigern. Ich habe die Taktik entwickelt, äußerlich nett zu sein, aber inhaltlich hart. Das ist vielleicht sogar mein Stilmittel als Kabarettistin. Bis heute.

Es gab also weder Jugendwut noch Altersmilde?

Die Rebellion meiner Generation hat sich halt stark über die Musik definiert. Flächendeckend rabiater aufgetreten sind erst die 68er. Als ich 1967 Abitur gemacht habe, sagte unser Lehrer: Sie waret die letschte nedde Klasse. Schön unpolitisch, keine Drogen, so wie es sich aus seiner Sicht gehörte für junge Menschen. Dass Ungehorsam interessant sein könnte, musste ich mir erst später erarbeiten.

Wobei sich Ihre kabarettistische Renitenz in fast allem, was man heute noch im Internet findet, vor allem gegen das Patriarchat und seine Protagonisten richtet.

Sogar im Mainstream wie Oh Gott, Herr Pfarrer – im Grunde die erste feministische Fernsehserie mit komplett eigenständiger Ehefrau. Dafür mussten wir viel Kritik einstecken. Für mich war die Serie ein Segen; ich hatte Fernsehen vorher gar nicht auf dem Schirm und das Medium tendenziell verachtet. Als bildungsbürgerliche Familie in Tübingen hatten wir gar keins. Mich hat es erst interessiert, als ich anfing dafür zu arbeiten, 1985 im Scheibenwischer, 1988 die Pfarrer-Serie, 1993 Nachtschwester Kroymann.

Als die Sie sich fast ausnahmslos an Ungleichheit und Emanzipation abgearbeitet haben.

Das waren – anders als Männer im Kabarett, die sich vor allem Politiker vornahmen – meine Themen. Auch die gemischten Ensembles, zum Beispiel mit der von mir hochverehrten Lore Lorentz, machten das so. Sogenannte Frauenthemen sprachen vielen Frauen aus der Seele, von vielen Männern wurden wir gedisst, weil das ja kein richtiges Kabarett sei, sondern nur Frauenkabarett. Geschlechterverhältnisse galten seinerzeit als unpolitisch.

Haben Sie denn einfach nur eine Marktlücke besetzt oder sich sozusagen als humoristische Botschafterin der Gleichberechtigung verstanden?

Ich wollte zunächst nur meine Sicht der Gesellschaft zeigen, als Feministin. Als ich angefangen habe, dem Patriarchat lächelnd vors Knie zu treten, konnte ich viele mitnehmen. Das Subversive kommt bei mir auch manchmal in Gestalt des Trivialen daher. Damit erreiche ich nebenbei auch ein anderes Publikum. Was ich immer gut konnte: die Position einer Minderheit für die Mehrheit verständlich machen, egal ob Feminismus oder LGBTIQ+-Rechte. Und ja: Ungleichheit und Emanzipation sind Themen, die sich durch mein gesamtes Leben ziehen.

Da müsste es Ihnen doch sauer aufstoßen, wenn man sich die Televisionale betrachtet. Bei drei der zehn Filmbeiträge stammen die Bücher von Frauen und ganze zwei führen Regie. Sind das nur Zahlen oder Symptome?

Symptome, aber durch Zahlen belegbar. Die MaLisa-Stiftung rechnet Ungleichheit seit Jahren vor und kommt nach wie vor zu Ergebnissen, die wir nicht akzeptieren können.

Werden Sie das als Jury-Präsidentin anprangern?

Das wird wahrscheinlich zur Sprache kommen, wenn wir als Jury die Gespräche führen. Aber mein Thema in Baden-Baden sind ja die Serien.

Bei denen das Verhältnis viel besser ist – zwei von fünf wurden von Frauen geschrieben, bei drei Regisseurinnen…

Schon mal super.

Hat das Massenphänomen Serie den Spielfilm emanzipatorisch abgehängt?

Serien wurden lange verachtet. Und in weniger wertgeschätzten Bereichen haben Frauen traditionell eher die Chance Fuß zu fassen. Aber ich will da nicht vorschnell urteilen. Nach drei Staffeln Babylon Berlin hat sich zum Beispiel was verändert, jetzt sind zwei Autorinnen dabei. Es fällt mittlerweile negativ auf, wenn im Abspann einer so großen Produktion nur Männernamen stehen.

Wobei man es Männern großer Produktionen auch kaum zum Vorwurf machen kann, nicht freiwillig auf Angebote zu verzichten, um Frauen den Vortritt zu lassen. Wie kriegen wir die Strukturen dahinter denn gleichberechtigter?

Indem es nicht mehr als selbstverständlich gilt, Frauen den Intellekt abzusprechen, wie es immer noch geschieht. Gerade im Humorbetrieb. Als Anke Engelke Harald Schmidts Late Night übernommen hat, war das weder eine gute Idee noch eine gute Sendung, aber das wär’s auch bei keinem Mann gewesen, weil Harald Schmidt nicht zu ersetzen war. Dennoch hat eine seriöse Tageszeitung gefragt: Wollen wir uns die Welt nach 23 Uhr wirklich von einer Frau erklären lassen?

Heute undenkbar!

Hoffentlich. Deshalb müssen wir Frauen Inhalte und Themen bestimmen und von Drehbuch über Regie bis Redaktion und Produktion Schlüsselpositionen besetzen. Dafür bin ich auch schon früh Pro Quote Film beigetreten. Bis auf Fußball, wo Claudia Neumann weiterhin für jedes kommentierte Spiel fertiggemacht wird, bewegt sich ja was. Und natürlich ist Claudia Neumann eine Pionierin, die auch Entwicklungen auslöst.

Würden Branche, Publikum, Kritik mit einer Serie wie Klimawechsel, in der Sie 2010 das Tabuthema Wechseljahre humortauglich gemacht haben, heutzutage eigentlich besser oder schlechter klarkommen?

Ich glaube wir sind weiter als damals. Das Klimakterium ist heute sehr viel mehr und offensiver Thema, die nächste Generation Frauen will diese gravierenden Veränderungen nicht mehr verstohlen wegwedeln. Abgesehen davon hat die Serie polarisiert. Es gab Menschen beiderlei Geschlechts die not amused waren über unsere bisweilen gnadenlose Art uns über uns selbst lustig zu machen. Sich selber als Thema in die Satire einzubeziehen, finde ich ja hohe Kunst und eine Voraussetzung dafür, intellektuell ernstgenommen zu werden. Als Doris Dörrie später eine Fortsetzung machen wollte, hat das ZDF abgelehnt – obwohl die Serie wirklich Denkprozesse ausgelöst hatte.

Glauben Sie, das Fernsehen kann nicht nur Denk-, sondern auch Handlungsprozesse anstoßen?

Ich glaube vor allem, dass wir als Fernsehschaffende Handlungsprozesse auslösen können, in dem wir uns weigern, überkommene Rollenbilder zu erfüllen.

Sind Sie guter Dinge, dass das Fernsehen 2033 ein gleichberechtigterer Ort ist als 2023?

Ja. Wobei es viele Baustellen gibt. Die Frage der Repräsentation, von alten Menschen etwa, insbesondere Frauen, für die Rollen, aber auch Inhalte, bislang rar gesät sind. Aber auch das wird diverser. Auch dank der Bewegung Let’s change the picture. Der ARD-Film neulich, in dem Corinna Harfouch eine ältere Frau spielte, begann mit deren Orgasmus mit dem jüngeren Freund. Früher ausgeschlossen, heute darstellbar. Aber wir müssen uns aktiv dafür einsetzen.

Und tun Sie das 2033 auch noch auf der Bühne?

Da ich mit den Mitteln des Entertainments kämpfe, bei denen die Leute den Kampf manchmal gar nicht bemerken: ja. Das Frauenthema bleibt mir, bis ich tot umfalle.


Gottschalks Shitstorm & Dritte Staffeln

Die Gebrauchtwoche

TV

20. – 26. November

Ach Tommy, du reflexiver Narziss mit Talent zur eitlen Selbstironie – jetzt bist du als Showmaster ebenso Geschichte wie ab Ende des Jahres der unselige Hass- und Hetzkanal Bild-TV und fasst es in Sätze, die niemand schmissiger schmettern könnte. „Bevor der Aufnahmeleiter hin und herläuft und sagt, du hast wieder irgendeinen Shitstorm hergelabert“, sprach der ewig blonde Gottschalk beim letzten Wetteinsatz am Samstag zwölf Millionen aus dem Herzen, „dann sag‘ ich lieber gar nix mehr“.

Kurz darauf holt Mike Krüger ihn mit dem Bagger aus der Offenburger Mehrzweckhalle in den Sonnenuntergang, der um 23.18 Uhr zwar schon sechs Stunden her ist, aber Historisches beleuchtet. Denn auch wenn Wetten, dass…? keinen Grimme-Preis gewonnen hat, war es die Quintessenz deutscher TV-Unterhaltung. Ob es je in Marl triumphiert, könnte allerdings weniger am potenziellen Nachfolger als schlichtweg Kohle liegen.

Wegen unklarer Finanzen steht das Institut vorm Aus und damit die wichtigste Fernseh-Auszeichnung. National zumindest. International ist es der Emmy, den aus Deutschland dieses Jahr die Netflix-Serie The Empress aka Sisi erhalten hat, während beim heutigen Beginn der Televisionale in Baden-Baden hoffentlich Caroline Links Safe oder Laura Lackmanns Luden gewinnt, aber bittebitte nicht die 826. Staffel Babylon Berlin oder der Nachwende-Fasching Sam – Ein Sachse.

Der kriegte es als erster schwarzer DDR-Polizist kurz vorm Mauerfall mit Nazis seiner Gegend zu tun, die 30 Jahre danach von Elon Musks X aka Twitter mit Propaganda versorgt werden. Noch. Denn der selbsterklärte Meinungsfreiheitskämpfer bekämpft alle Meinungen, die seiner eigenen widersprechen, so massiv, dass ihm massenhaft Reklame wegbricht, weil viele nicht im Umfeld brauner Hetze werben wollen.

Konsequenz: Musk verklagt die Organisation Media Matters for America dafür, genau dies publik gemacht zu haben. Was handelsübliche KI wohl daraus macht, wenn man sie fragt, wer der größere Vulgärkapitalist ist – Musk oder Sam Altman, den sein eigenes Unternehmen OpenAI erst rausgeworfen hat und dann wieder einstellen musste, als er zu Microsoft ging um seine Agenda skrupelloser Profitmaximierung durch künstliche Intelligenz fortzusetzen.

Die Frischwoche

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26. November – 1. Dezember

Richtige Intelligenz braucht man vorerst noch, um so gute Serien wie Reservation Dogs, Die Wespe, Sisi oder Slow Horses zu machen. Trotzdem fragt sich manchmal, ob es nicht ein bisschen zu routiniert ist, wie solche Fiktionen fortgesetzt werden. Bei Disney+, Sky, RTL+ und Apple jedenfalls gehen die hinreißende Coming-of-Age-Story um vier prekär-trotzige native americans und Florian Lukas als runtergerockter Darts-Profi, die ewige Kaiserin oder ein ebenso desperates Team englischer Spione in dritte Staffeln.

Und, tja – kann, darf, mag, muss abgesehen von den Reservat-Trotzköpfen aber auch nicht. Ähnlich wie das Comedy-Duo Jokah & Tutty, das am Donnerstag als erstes deutsches Original beim Amazon-Ableger Freevee startet. Was unbedingt und ganz dringend muss, ist A Friend of the Family. Die Klammer True Crime schreckt zwar ein wenig ab. Die neunteilige Rekonstruktion der doppelten Entführung eines amerikanischen Teenagers in den Siebzigerjahren ist allerdings ästhetisch, dramaturgisch, schauspielerisch und atmosphärisch absolute Extraklasse.

Mittelklasse liefert, was jetzt gar nichts Schlechtes bedeuten muss, der Sechsteiler Die Saat – trotz Heino Ferch, dessen deutscher Polizist ab Freitag in der ARD-Mediathek seinen verschwundenen Sohn sucht und dabei nahe Nordpol einen Pharma-Skandal aufdeckt, dessen Player nicht zufällig an den Pestizid-Multi Monsanto erinnert. Kann, muss aber so wenig wie der Weihnachtsfilm Candy Cane Lane mit Eddie Murphy zeitlich bei Prime.

Für Kids der 90er dagegen ein Must-see ist Die VIVA-Story, in der das Erste ab Freitag online 30 Jahre nach seiner Gründung dem Musikkanal huldigt – was zum ebenfalls dreiteiligen Porträt der VIVA-geförderten Band Echt um den Erzähler Kim Frank passt – gerade in Kombination grandioses Zeitgeschichtsdokutainment. Und damit verabschieden wir aufs Herzlichste: Anne Will, die am Sonntag letztmals im Talkmobiliar thront.


Culk: Hedonismus & Verzweiflung

Sollen wir uns um alles kümmern?!

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Die Wiener Shoegazer Culk erweitern das Pop-Spektrum Österreichs um einen Sound, der so politisch wie melancholisch die Bürden ihrer Gen/ zum Ausdruck bringt. Das zweite Album heißt daher nicht umsonst Generation Maximum und ist eine kraftvolle Mischung aus Trotz und Verzweiflung, über die Sängerin Sophie Löw und Gitarrist Johannes Blindhofer hier sprechen.

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Sophie, Johannes – eigentlich ganz schön, dass ihr beide hier sitzt und lächelt. Auf Bildern, die von euch online kursieren, tut ihr das praktisch nie. Hat das was mit dem Konstrukt der Band dahinter zu tun oder euren Mentalitäten?

Johannes: Keine Sorge, es gibt Bilder von uns, auf denen wir lächeln.

Sophie: Besonders auf Instagram.

Johannes: Aber wenn das dein Eindruck war, ist er nicht Teil irgendeiner gewünschten Ästhetik, sondern schlicht Zufall.

Sophie: Andererseits passt dieser Ausdruck natürlich auch zu dem unserer Musik.

Spiegelt die daher gar nicht unbedingt euch als Personen wider?

Sophie: Doch, doch. Weil sich die meisten Musiker*innen mit ihrer Musik persönlich ausdrücken, ist sie entsprechend ja auch Teil ihrer Persönlichkeiten.

Schön wär’s, oder?

Sophie: Ich jedenfalls arbeite beim Schreiben eher aus dem Bauch als dem Kopf heraus, habe aber in Österreich Kunst studiert, insbesondere Fotografie und Grafik. Was mich betrifft, ist daher auch das Visuelle intuitiv, entspringt also ebenfalls meiner Persönlichkeit.

Johannes: Wir sind definitiv alle eher dem Grübeln zugeneigt, was allerdings überhaupt nicht ausschließt, uns nicht auch ironisieren zu können.

Sophie: Während man die Melancholie im Alltag gern von sich wegschiebt, um alles schaffen und dennoch Spaß dabei haben zu können, bietet die Musik Ventile dafür, was uns politisch oder gesellschaftlich ansonsten überwältigen würde.

Mit dem Ziel, auch eurem Publikum Ventile zu bieten?

Sophie: Ja.

Als Teil der Generation Z habt ihr es da mit zwei Polen zu tun: radikalem Aktivismus, etwa in Gestalt der Last Generation, und radikalem Hedonismus als Versuch, sich die Katastrophe schön zu feiern. Ist eure Melancholie da sozusagen ein vermittelndes Element zwischen Konfrontation und Verdrängung?

Johannes: Vor allem ein beobachtendes, würde ich sagen.

Sophie: In unserer Generation und der danach ist so oder so ein Gefühl von Ohnmacht verankert, einer Zukunft entgegenzusehen, die nicht bright ist und auch kaum noch beeinflussbar. Da ist es kein Wunder, dass ihr Humor zunehmend schwarz oder gar sarkastisch wird und die Stimmung melancholisch oder eskapistisch.

Aber was genau beschreibt darin denn dann euer Albumtitel Generation Maximums?

Sophie: Dass ein Zenit erreicht wurde, über den es nicht mehr hinausgeht.

Johannes: Und dass von unserer Generation dennoch zu viel verlangt wird, irgendwie darüber hinaus zu kommen. Als Frage formuliert: Sollen wir uns eigentlich um alles kümmern?

Also auch den Mist, den das bedingungslose Wachstum vorheriger Generationen euch jetzt hinterlassen?

Johannes: Genau. Zugleich werden wir damit komplett allein gelassen. Wir sollen den ganzen Mist aufräumen. Wir sollen materiellen Verzicht leisten. Wir sollen uns selbst um unsere psychische und physische Gesundheit kümmern. Dem kollektiven Versagen wird unser individuelles Handeln verordnet.

Sophie: Wir befinden uns in einem Zustand permanenter Überforderung.

Johannes: Den man oft nur noch mit Galgenhumor erträgt.

Umso mehr fällt auf, dass die Platte eher trotzig als deprimiert klingt.

Johannes: Unbedingt. Resignation hilft auch nicht weiter, um ein solidarischeres Miteinander zu erreichen. Wir wollen uns ja aufbäumen, da ist Trotz angebrachter als Hedonie.

Ein Begriff, den ihr auch auf der Platte verwendet.

Sophie: Um dem des Hedonismus andere Dringlichkeit zu verleihen.

Gleich zu Beginn singst du in 2000 die Zeile „alles zu viel und alles zu wenig“.

Sophie: Die Idee dazu kam mir, als ich auf Tour eine Doku übers letzte Silvester vorm neuen Jahrtausend gesehen habe. Damals lag überall Hoffnung in der Luft. 23 Jahre später ist davon keine Spur.

Johannes: Die Vorfreude auf das, was kommt, ist vollständig verloren gegangen.

Sophie: Interessanterweise profitieren jüngere Generationen in Europa weiterhin vom Wohlstand, den ihre Eltern mit der massiven Ausbeutung des Planeten erzielt haben. Trotzdem haben gefühlt alle jungen Menschen das Gefühl, die Welt geht zugrunde, und zu wenig Zeit, noch was daran zu ändern.

Spielen Culk entsprechend für die?

Sophie: Das schon, aber umso schöner wäre es, Ältere würden mal reinhören und dadurch vielleicht Verständnis für Jüngere zu gewinnen. Am Ende bringt es aber doch nur zum Ausdruck, was ich fühle.

Was euch aber nicht zu einer unpolitischen Band macht.

Johannes: Nein.

Sophie: Wir sind eine politische Band. Geworden.

Johannes: Allerdings schnell geworden.

Sophie: Als ich das erste Mal gespürt habe, welche Resonanz unsere explizit politischen Lieder kriegen, wurde mir schnell bewusst, dass wir strukturelle Themen ansprechen, aber auf eine persönliche, individuelle Ebene bringen wollen.

Kanntet ihr euch denn schon aus politischen Zusammenhängen?

Johannes: Nein, wir waren einfach befreundet.

Und wurdet dabei von der fast schon gespenstisch kreativen, einflussreichen Musikszene Österreichs geprägt?

Johannes: Definitiv. Es gab schon bedeutend schlechtere Zeiten, um in Wien mit Musik anzufangen. Da wird von außen zwar vieles hineinprojiziert, aber die Fülle toller Musiker*innen ist einerseits groß, andererseits so überschaubar und familiär, dass alle davon inspiriert werden.

Sophie: Gerade in Wien allerdings – correct me if I’m wrong – geht es weniger ums richtige Vermarkten als darum, sein eigenes Ding zu machen.

Johannes: Wenn du in Deutschland Musik machst, kann es dir relativ schnell passieren, dass du in den großen Studierendenstädten vor ein paar Hundert, wenn nicht gar Tausend Leuten spielst und eine Weile ganz gut davon leben kannst. Das gibt der markt einfach her. Der österreichische tut das nicht, weshalb es vielen von Beginn an um Inhalte geht, nicht deren Rentabilität.

Mit der Konsequenz, dass sich österreichische Musiker*innen eher als Community verstehen?

Sophie: Man kennt sich untereinander schon schnell und häufig.

Johannes: Gerade in Wien, die zwar eine Riesenstadt ist. Aber man trifft sich trotzdem ständig an denselben Spots. Und weil es einen auf Dauer auch nicht weiterbringt, sich an den immer gleichen Wiener Orten totzuspielen, waren wir von Beginn an viel in Deutschland auf Tour. Kleine Städte in Deutschland sind anders als österreichische immer noch groß genug für alternative Szenen.

Es geht also auch mit der neuen Platte auf Deutschland-Tour.

Beide: Ja.


Dschungel-Merz & Deutschland-Ingo

Die Gebrauchtwoche

TV

13. – 19. November

Nachdem CDU/CSU mit ihrer erfolgreichen Klage gegen die Zweckentfremdung von 60 Milliarden Euro aus dem Corona-Fonds seit Tagen sämtliche Sender und Portale dominieren, folgt nun der nächste Paukenschlag: Die Union klagt direkt gegen den Klimawandel. Konrad-Adenauer-Haus und Bayerische Staatskanzlei zeigten sich zuversichtlich, dass er vom Bundesverfassungsgericht letztinstanzlich verboten wird.

„Damit wäre der rot-grün-woke Klimaterror endgültig vom Tisch“, meinte Parteichef Friedrich Merz vor seiner Abreise zum Brexit-Berserker Nigel Farage ins britische Dschungelcamp, und wer vorige Woche New Avoidance betrieben hat, darf mal raten, was davon fake ist, was wahr. Gleiches gilt hierfür: Die thüringische AfD hat den Monitor vom Landesparteitag ausgeladen. Begründung: Beim ARD-Magazin könne „nicht mehr von einer journalistischen Berichterstattung die Rede sein“.

Hubert Seipel hat hingegen einen VIP-Ausweis inklusive Parteibuch von Bernd Höcke erhalten, als publik wurde, dass der preisgekrönte NDR-Reporter jahrelang neben der gesamten NSDAP-Nachfolgepartei im Arsch von Wladimir Putin steckte, der Seipel seit 2016 für Gefälligkeitsgutachten und Stiefelleckereien offenbar Hunderttausende Euro zukommen ließ. Ein herzliches Heil Hitler Hubert, für deine Abbrucharbeiten an der Demokratie.

Herzlichen Dank auch ans Erste, sein Zukunftspotenzial abermals voll auszuschöpfen und statt neuer Ideen ein Spin-Off von Liebling Kreuzberg zu drehen, was die ARD vermutlich schon deshalb für progressiv hält, weil Anwalt und Assistenz von Frauen verkörpert werden. Während diese zwei Infos belegbar sind, muss sich der Wahrheitsgehalt folgender Neuigkeit erst erweisen: Am Samstag moderiert Thomas Gottschalk zum letzten Mal Wetten, dass…?. Wer’s glaubt…

Die Frischwoche

0-Frischwoche

20. – 26. November

… glaubt vielleicht auch, dass es nach Staffel 5 von Fargo Mittwoch bei Magenta, die erneut bizarre Entführungsfälle in Minnesota zeigt, nicht mit der Coen-Serie weitergeh oder dass die Impro-Sause Discounter parallel dazu bei Prime Video mit der 2. Fortsetzung endet. Als gesichert darf in des gelten, dass die Echt-Show-Variante von Squid Game zeitgleich bei Netflix Abermillionen Zuschauer*innen anlockt, obwohl sie ein ziemlich erwartbarer Abklatsch ist.

So richtig innovativ ist das Angebot also auch abseits der ARD nicht dieser Tage. Und daran ändert auch wenig, dass der dänische Achtteiler Elvira ab Freitag bei Neo eine Bordell-Empfangsdame zur Hobbydetektivin macht. Tihi. Weniger zum Schmunzeln ist The Suspect um einen Londoner Psychologen, der vorm Wochenende fünf Teile in der ARD-Mediathek gegen Parkinson und den Verdacht ankämpft, in einen Mordfall verwickelt zu sein.

Schon tags zuvor handelt die deutsche Paramount+-Serie Eine Billion Dollar von jemandem, der eine Erbschaft mit zwölf Nullen antritt und damit sechs Folgen lang klarkommen muss, was trotz dieser surreal hohen Summe irgendwie realistischer wirkt als die Serienadaption von Baz Luhrmans Historienmelodram Australia mit Nicole Kidman und Hugh Jackman ab Sonntag bei Disney+.

So richtig real wird es allerdings doch wieder öffentlich-rechtlich. Schon heute bereits, wenn Arte in Die letzte Stunde der Welt aufzeigt, welche Verantwortung skrupellose Ölkonzerne am Klimawandel haben. Und ein bisschen weniger apokalyptisch lässt es ab Mittwoch dann Ingo Zamperoni angehen. In einer Art Fortschreibung vom Bürgerparlament sitzen Die 100 – nämlich Normalmenschen aller Schichten, Gruppen, Klassen – mit dem Nachrichtenmann im Kasseler Studio, um herauszufinden, was Deutschland bewegt.

Ob dabei auch erörtert wird, wie populismusanfällig Elemente direkter Mediendemokratie sind, wird sich zeigen. Aber der Versuch, mit dem Mainstream ins Gespräch zu kommen, ist natürlich zunächst mal absolut löblich


Os Barbapapas, MMHT, Danny Brown

Os Barbapapas

Man fragt sich ja gelegentlich, etwa beim Zappen durch Kulturradios, warum klassische Musik immer und immer und immer noch wiedergekäut wird, hundertjähriges Zeug, tausendfach interpretiert, Beethovens 9. zum 9999. Mal. Oder Jazz, für Eingeweihte vielschichtig, für Außenstehende eintönig, für Os Barbapapas ein Quell vielschichtiger Klassik, die alles andere als wiedergekäut klingt. Im Gegenteil.

https://www.youtube.com/watch?v=FwmdAqfSpng

Denn das selbsternannte “Tropicalia-Space Age-Jazz-Quartett” aus São Paulo entlockt seinem Fachgebiet Harmonien und Töne, die nostalgisch und futuristisch klingen, ohne jetzt gleich Spinett mit Techno zu unterlegen. Enigma ist eher afrikanisch angehauchter Spelunken-Soul mit Marimba und Glasharfe, der nach Schwarzweißfilmmusik klingt, aber nicht zuletzt dank Barbara Mucciollos fantastischem Schlagzeug auf jede Festivalnebenbühne passt.

Os Barbapapas – Enigma (Fun in the Church)

MMTH

Ostfriesland ist nicht grad die Keimzelle kultivierter Kunst. Scooter kommt von der Nordsee oder Otto, ansonsten Krabbenpuler, Nutzvieh, Sturmböen, aber flächenbasierter Garagenrock, der es spielend mit den bayerischen Vorbildern Slut oder Instrument aufnehmen kann? Genau das schaffen MMTH und wirken dabei zu keiner Zeit so bemüht wie viele Provinzkapellen, die es partout aus dem Schatten der Großstadt schaffen wollen.

Das zweite Album Infinite Heights, das englische Texte andeutet, aber strikt instrumental bleibt, scheppert sich durchs Labyrinth krautumwucherter Endlosgänge und legt es mit Gitarrenteppichen von virtuos breiiger Knotendichte aus. Kein Wunder, dass die Platte nur sechs Stücke enthält, denn jedes davon walzt so kraftstrotzend um sich selbst, dass die 31 Minuten wie drei Stunden klingen und dabei kurzweilig sind.

MMHT – Infinite Heights (Poly Unique)

Danny Brown

Kurzweilig, das trifft es auch für Danny Brown. Zehn Jahre nach seiner ersten Platte, seinerzeit zu einem der besten HipHop-Debüts ever gewählt, versagt sich der Rapper aus Michigan zugunsten unbedingter Kreativität noch immer jedem Mainstream-Appeal. Und das ist auch auf dem siebten Album Quaranta oft hart an der Grenze des Erträglichen, bleibt aber dennoch so furios, dass man den Mund kaum zukriegt.

Mit blecherner Angriffsstimme peitscht der 42-Jährige seine Verachtung für alles Gewöhnliche durch elf Tracks von ausgesuchter Unzugänglichkeit, die den Gesang wie sonst selten heutzutage ins Zentrum stellt und dennoch Rundreisen durch Musikstile aller Art unternehmen. Jazz vor allem, der sich nicht zu ernst nimmt und dennoch filigran ist. Bisschen wenig Bass manchmal vielleicht, aber das gleicht Quaranta durch Frickelei aus.

Danny Brown – Quaranta (Warp)


Fernseharbeit & Deutsches Haus

Die Gebrauchtwoche

TV

12. – 18. November

Eigentlich soll man ja gehen, wenn es – der verstorbene Hans Meiser hatte das vorgemacht – am schönsten ist. Linda Zervakis & Matthias Opdenhövel haben da einen etwas anderen Ansatz und gehen, wenn’s am schlimmsten ist. Ihr missratenes Infotainment endet am Jahresende und hinterlässt ProSieben als das, was es zuvor bereits war: oft sehr unterhaltsam, aber – sofern Joko & Klaas unbeteiligt sind – selten gehaltvoll.

Völlig andere, absolut erschreckende Ursachen hat hingegen der Rückzug von Deborah Middelhoff. Die Chefredakteurin der Kulinarik-Magazine im Hamburger Jahreszeiten Verlag wie Feinschmecker geht 2024 ins Ausland und begründet es damit, dass sie sich als Jüdin in Deutschland nicht mehr sicher fühlt. Es sind fürchterliche Zeiten für Menschen, die nicht ins rechte Weltbild passen. Haltungsstarke Frauen zum Beispiel wie Gilda Sahebi.

Weil sie Friedrich Merz im Zuge der Migrationsdebatte bei Markus Lanz rassistisch nannte, fuhr Bild eine gewohnt menschenverachtende Schmutzkampagne gegen die deutsch-iranische Journalistin des Jahres 2022, was den wohlkalkulierten rassistisch-misogynen Shitstorm im Netz nach sich zog. Da hat der neue DJV-Vorsitzende Mika Beuster ja gleich mal einiges zu tun.

Wobei das Blatt gerade eher mit sich selbst zu tun – interessiert seine TV-Kampagne doch nachweislich keine noch so braun-blaue Sau. Wo ohnehin kein Bild-Spot zu sehen war, ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Primärziel von Axel Springers Journalismus-Karikaturen, die folgende Zahlen vermutlich ignorieren: Gemeinsam nämlich tragen ARD, ZDF und Deutschlandradio stolze acht Milliarden Euro zum Bruttoinlandsprodukt bei.

Mehr als sie über Gebührengelder einnehmen. Außerdem schaffen sie laut einer Studie des WifOR-Instituts sender- und systemübergreifend gut 77.000 Arbeitsplätze. Wenngleich schon längst keine mehr mit der Lindenstraße, die ihren Fans allerdings frohe Kunde zu vermelden hat: das Online-Portal ARD+ zeigt ab Donnerstag sämtliche Folgen der abgesetzten Endlosserie, insgesamt immerhin 1765 Stück.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

13. – 19. November

So viele dürften es aller Voraussicht nach selbst bei The Crown oder Yellowstone werden, die ab Donnerstag bei Netflix und Paramount+ immerhin auch schon in ihre jeweils fünfte Staffel gehen. Erstere angeblich sogar mit Lady Di, die den Windsors als Geist erscheint. Ein paar mehr als fünf Episoden hätten es hingegen bei der konkurrenzlosen Überraschung dieser Woche sein dürfen.

Sie heißt Deutsches Haus und dürfte angesichts von Titel, Genre, Plattform zunächst mal Skepsis erzeugen. Die reale Zeitgeschichtsfiktion verfilmt den gleichnamigen Roman der Drehbuchautorin Annette Hess, die für solides, aber museales Historytainment à la Ku’damm 53-59 verantwortlich war. Jetzt nimmt sie sich der Auschwitz-Prozesse von 1963 an – und das auch noch ab Mittwoch bei Disney+.

Wider Erwarten aber ist die Erzählung einer teilrealen Frankfurter Gastwirtfamilie, deren Tochter zur Dolmetscherin des Verfahrens gegen frühere SS-Verbrecher wird, mit gehörigem Abstand das Beste, was dieses Metier jemals hervorgebracht hat und damit mehr als eine Empfehlung. Die darf man abzüglich irgendwelcher Relevanzkriterien auch für die Magenta-Serie Lucky Hank aussprechen.

Ab Freitag kämpft Better Call Saul Goodman darin achtmal gegen seine Midlifecrisis an einem mittelmäßigen College im amerikanischen Rust-Belt – und wie Bob Odenkirk den zynisch-melancholischen Literatur-Professor spielt, das ist einfach großartig. Großartiger jedenfalls als der nächste Versuch, mit dem FC Bayern Kasse zu machen, wie es deren Wachstumsfiktion Gute Freunde tags drauf bei RTL+ plant.

Und sonst? Kommt Sebastian Lege heute bei Vox auf den Geschmack, läuft parallel das ZDF-Drama Die Whistleblowerin, startet Disney+ Dienstag den Gen-Z-Serienkrimi A Murder at the End of the World, glänzt Emma Stone Mittwoch in der bizarren Paramount-Beziehungskiste The Curse, startet Warner Donnerstag die Spionage-Romanze Spy/Master, steht Freitag die achtteilige Coming-of-Age-Mystery The Messenger auf der ARD-Mediathek und Sonntag die deutsch-belgische Homecoming-Crime Juliet in der des ZDF.


Förderprogramme & Margot Friedländer

Die Gebrauchtwoche

TV

30. Oktober – 5. November

Die Entscheidung der ARD ist gefallen: Weil der FC Bayern am Mittwoch in einem denkbar öden Pokalkick kurz vor Schluss ausgeschieden ist, überträgt sie am 5. und 6. Dezember keine der Achtelfinal-Partien. Wie Sportschau-Chef Karl Valks mitteilt, wolle man ausschließlich Münchner Spiele zeigen, selbst wenn sie ereignislos und langweilig seien, „sonst kriegen wir Ärger mit Uli Hoeneß“.

Okay, das Zitat ist erfunden oder könnte einer KI entstammen, die fünf Jahrzehnte Fußball-Übertragungen ausgewertet und dabei das gebührenfinanzierte Förderprogramm für den Serienmeister herausgefunden hat, demzufolge natürlich auch das – bis zur 96 Minute völlig einseitige – Match in Saarbrücken gezeigt wurde, während sportlich originellere wie Dortmund – Hoffenheim oder St. Pauli Schalke keine Extra-Kohle aus Köln wert waren.

Und damit zur Politik, die mit Fußball meist nur zu tun hat, wenn die Fifa mal wieder ihre gierigen Finger ausstreckt. Der Rest? Ist Schweigen. Ein Schweigen, dass Deniz Yücel zu Recht für alle einfordert, die nicht bereit sind, sich öffentlich zu äußern, womit der PEN-Vize auf die Hamas-Attacken am 7. Oktober anspielt. Was er nicht sagt: wie laut das (auch und grad linke) Schweigen über den islamistischen Terror verglichen mit dem globalen Protest gegen Israels Selbstverteidigung ist.

Ein Brüllen, dass zum Glück mehrere US-Film- und Fernsehgewerkschaften anprangern. Was nochmals verdeutlicht, wie leise Deutschlands Kreative diesbezüglich bleiben. Die einzig gute Nachricht daher zum Schluss: Seit Elon Musks Übernahme hat sich der Wert von Twitter aka X auf weniger als 19 Milliarden Euro praktisch halbiert, was immer noch 18,99 Milliarden zu viel sind, aber immerhin.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

6. – 12. November

Immerhin Hoffnung auf bessere Zeiten macht Margot Friedländer, der das ZDF am Dienstag sein beeindruckendes Dokudrama Ich bin! zum 102. Geburtstag schenkt – und damit uns allen. Das realfiktionale Leben der Holocaust-Überlebenden eignet sich geradezu perfekt als filmisches Monument, wie man dem Bösen trotzt, ohne jemals wütend zu werden. Herzlichen Glückwunsch!

Den wir hier ausdrücklich nicht die ARD aussprechen. Denn wo Showrunnern Michaela Taschek die ausgezeichnete Brigitte Hobmeier da ab Donnerstag zunächst in der Arte-Mediathek reinquatschen konnte, das ist mit Theaterdonner noch naturalistisch umschrieben. Im Mystery-Thriller Schnee spielt sie eine Wiener Ärztin, die in düstere Vergangenheitsbewältigungen eines Tiroler Skigebiets mit Umweltschutz-Ärger gerät. Das strotzt sechs zähe Folgen so düster vor Effekthascherei, dass man sich zum Retreat in eine 100-Watt-Birne wünscht.

Dann doch lieber die günstiger produzierte ARD-Online-Serie Wer wir sind mit Lea Drinda als Umweltaktivistin, die Freitag in einen Strudel aus politischer Radikalisierung und Racial Profiling gerät. Das ist nicht nur schauspielerisch, sondern auch thematisch intelligenter als (wenngleich nicht halb so opulent kostümiert wie) die Apple-Serie The Buccaneers um heiratswütige Damen in der englischen Upper-Class des 19. Jahrhunderts, die ab Mittwoch sehr offensichtlich an Bridgerton erinnert.

Was sonst noch bemerkenswert werden könnte: Der großartige Michael Fassbender als Titelfigur im Netflix-Thriller The Killer ab Freitag. Parallel bei Neo das achtteilige belgische Medical-Drama Sense of Tumor aus Belgien, das also ebenso wie Mit Herz und Holly am ZDF-Sonntag im medizinischen Fiktionsfach spielt. Oder Nadja Uhl als Die Jägerin ähnlich Krimineller tags drauf in der ZDF-Mediathek.

Bereits Mittwoch startet ein vierteiliges Netflix-Porträt von Robbie Williams. Und irgendwie bisschen außer Konkurrenz sachlich bewertbarer Formate: Good Luck Guys, eine Art 7 vs. Wild für Reality-Weltstars wie Aurelia Lamprecht, Dominik Brcic oder Zoe Saip, die bei joyn in karibische Container ziehen, also Big Brother vermutlich näher sind als echter Herausforderung.


Sarah Bosetti: Haltung & Late Night

Demokratie bedeutet, gut zu streiten

Die haltungsstarke und damit polarisierende Sarah Bosetti (Foto: ZDF) sticht nicht nur durch ihre feministischen Kampfgedichte aus dem Humorbetrieb hervor. Bei 3sat kriegt sie nun ihre Late Night. Ein Gespräch über Bullshit-Buttons, Anke Engelke und das Privileg der Nische.

Von Jan Freitag

Sarah Bosetti, haben sie kurz vorm Start Ihrer Late Night Show eigentlich schon Ihren Nachlass geregelt?

Sarah Bosetti: Sie rechnen also damit, dass ich noch während der Sendung sterbe? Das würde der ersten Folge zumindest die gebührende Dramatik verleihen.

Weniger physisch als empirisch. Besonders für Frauen ist dieses Genre schließlich ein Friedhof der Fernsehtiere.

Ich lege an mich als Frau keine anderen Maßstäbe an, als wenn ich ein Mann wäre. Und unabhängig vom Geschlecht sterben zum Glück nicht die Moderator*innen, sondern allenfalls ihre Sendungen, wenn es nicht gut läuft. Und mit einer Sendung zu scheitern, ist nicht das Schlimmste, was Menschen widerfahren kann.

Schon gar nicht, wenn es mit Würde geschieht. Anke Engelke allerdings wurde vor fast 20 Jahren alles andere als würdevoll aus ihrer Late Night kritisiert.

Dennoch war sie vorher wie nachher eine wahnsinnig erfolgreiche Frau, und zwar zu recht. Ihre Sendung mag also gescheitert sein, aber Anke Engelke ist es weder als Mensch noch als Bühnenfigur. Außerdem weiß ich nicht, wieso ich mich ausgerechnet mit Anke Engelke vergleichen sollte. Bloß, weil wir beide Frauen sind? Ich bin, auch was diese Sendung betrifft, höchstens in der Hinsicht aufgeregt, dass sie wirklich gut werden soll.

Aufgeregt also nicht im Sinne von ängstlich?

Nein, voll freudiger Erwartung und hochmotiviert. Ich mag ja meine Arbeit sehr, und wenn ich so zielgerichtet auf etwas hinarbeiten kann, bin ich selbst dann glücklich, wenn es stressig ist. Man kann vor so vielen Dingen Angst haben. Einsamkeit, Krankheit, Tod. Aber doch nicht vor einer Fernsehsendung…

Wenn Sie sagen, diese hier solle gut werden – bezieht sich das dann auf die Formaterfordernisse oder die der Moderatorin?

Es geht mir schon sehr um meine eigenen Ansprüche. Aber Schreiben, Bühne und Fernsehen sind Formen von Kommunikation. Natürlich möchte ich auch Menschen erreichen.

Das klingt ein bisschen, als wäre Ihr Konzept eher nachfrageorientiert und würde nicht dem eigenen Anspruch, sondern dem des Publikums folgen.

Eigentlich nicht. Gelungene Kommunikation lässt sich nie nur auf Sender oder Empfänger reduzieren. Natürlich gilt das auch für die Kunst.

Zum Auftakt reden Sie mit Marlene Engelhorn, Tijen Onaran und Nikita Miller. Drei Gäste, die zwar Wikipedia-Einträge haben, aber bei den meisten kein Klingeln im Ohr auslösen.

Selbst, wenn das stimmt: Fürs Thema soziale Gerechtigkeit sind es spannende Gäst*innen. Und in der zweiten Folge kommen Luisa Neubauer und Marc-Uwe Kling; da klingelt es vielleicht bei einigen lauter. Mir ist es vor allem wichtig, Leute nicht wahllos nach Popularität einzuladen, sondern danach, ob sie spannende Dinge zum Thema zu sagen haben.

Und mit welchem Gesprächsablauf geht es weiter, wenn die Gäste erstmal da sind?

Ach, das möchte ich nicht vorwegnehmen. Ein bisschen Überraschung sollte da noch bleiben.

Sprechen Sie denn – Ihr Markenzeichen – gelegentlich in Reimen?

(lacht) Verrate ich Ihnen auch nicht.

Okay, letzter Versuch: Folgt die Sendung der klassischen Late-Night-Metrik aus Stand-up, Schreibtisch, Gastgesprächen?

Die, so viel vorab, ist uns völlig egal.

Aber witzig wird’s schon?

Auf jeden Fall wird es auch witzig. Und traurig. Im Idealfall beides zugleich.

Was wollte 3sat denn von Ihnen? Immerhin steht Late Night drüber…

3sat war tatsächlich sehr gnädig und hat mir bislang viel Freiheit in dem Projekt gewährt.

Das Privileg der Nische!

Das sind jetzt Ihre Worte. Inhalt und Qualität sind bei 3sat sicherlich wichtiger als die Quote, aber erstens ist 3sat ja für alle Menschen im linearen Fernsehen zugänglich, und zweitens steht Bosetti Late Night auch in der ZDF-Mediathek und bei Youtube, wo man auch Bosetti will reden findet. Und das hat eine höchst treue und diskussionsfreudige Community hinter sich.

Darf man sich Ihre Late Night demnach interaktiver als andere vorstellen?

Ja. Am Mittwoch vor der Show bitte ich das Publikum auf dem Sendeplatz von Bosetti will reden darum, uns Meinungen und Fragen zum jeweiligen Thema zu schicken, die wir dann in die Show einbinden. Und das Studiopublikum hat gleich zwei Elemente, um sich einzubringen: einen Bullshit-Button für den Fall, dass das Publikum der Meinung ist, auf der Bühne werde Unsinn geredet…

Was allerdings die Gefahr mit sich bringt, dass ständig in der Sendung die Buzzer tröten.

Deshalb trötet er auch nicht laut, sondern treibt einen Zähler hoch, den meine Gäst*innen sehen und reagieren können, damit die Zahl wieder sinkt. Das zweite Element ist ein Talk-Pult, an das sich die Leute im Studio bei Bedarf stellen und etwas zur Debatte beitragen können. Mein Ziel ist aber nicht, künstlichen Streit zu erzeugen; wenn niemand drückt, drückt niemand. Und wenn sich niemand ans Talk-Pult stellt, dann macht’s halt niemand. Es soll ja konstruktiv sein.

Aber schon mit feministischer, politisch durchaus konfrontativer Haltung?

Ich werde nicht den neutralen Host spielen. Ich finde, diese Rolle hat absolut ihre Berechtigung, aber ich glaube, ich könnte das gar nicht.

Also im Zweifel parteiisch.

Für Empathie und Menschlichkeit, klar. Ich möchte ehrliche Unterhaltungen, in denen auch ich ehrlich sein darf.

Auch streitbare Unterhaltungen, indem Sie auf der Gästeliste Kontrapunkte setzen?

Natürlich ist es langweilig, wenn alle einer Meinung sind. Zugleich muss es auch nicht immer das größtmögliche Konfliktpotenzial sein. Spannend finde ich, wenn sich in einem Gespräch unterschiedliche Perspektiven auf ein Thema finden. Deshalb müssen sie aber nicht entgegengesetzt sein.

Wie in Ihrer ersten Gesprächsrunde?

Genau: Marlene Engelhorn ist Millionenerbin, die Reiche höher besteuern will. Tijen Onaran hat sich nach oben gearbeitet und das kapitalistische Leistungsprinzip zu Eigen gemacht. Die werden sich kaum die Köpfe einschlagen, haben aber verschieden Ausgangspositionen zum selben Thema. Außerdem lassen wir diverse Armutsbetroffene zu Wort kommen. Nichts gegen Streit, aber gut muss er sein. Bei „Bosetti Late Night“ geht es vor allem darum, wie über wichtige Themen gesprochen wird. Demokratie bedeutet, gut zu streiten. Schlechter Streit gefährdet sie. Und wir müssen gerade ein bisschen auf unsere Demokratie aufpassen.