Gottschalks Shitstorm & Dritte Staffeln
Posted: November 27, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |Leave a commentDie Gebrauchtwoche
20. – 26. November
Ach Tommy, du reflexiver Narziss mit Talent zur eitlen Selbstironie – jetzt bist du als Showmaster ebenso Geschichte wie ab Ende des Jahres der unselige Hass- und Hetzkanal Bild-TV und fasst es in Sätze, die niemand schmissiger schmettern könnte. „Bevor der Aufnahmeleiter hin und herläuft und sagt, du hast wieder irgendeinen Shitstorm hergelabert“, sprach der ewig blonde Gottschalk beim letzten Wetteinsatz am Samstag zwölf Millionen aus dem Herzen, „dann sag‘ ich lieber gar nix mehr“.
Kurz darauf holt Mike Krüger ihn mit dem Bagger aus der Offenburger Mehrzweckhalle in den Sonnenuntergang, der um 23.18 Uhr zwar schon sechs Stunden her ist, aber Historisches beleuchtet. Denn auch wenn Wetten, dass…? keinen Grimme-Preis gewonnen hat, war es die Quintessenz deutscher TV-Unterhaltung. Ob es je in Marl triumphiert, könnte allerdings weniger am potenziellen Nachfolger als schlichtweg Kohle liegen.
Wegen unklarer Finanzen steht das Institut vorm Aus und damit die wichtigste Fernseh-Auszeichnung. National zumindest. International ist es der Emmy, den aus Deutschland dieses Jahr die Netflix-Serie The Empress aka Sisi erhalten hat, während beim heutigen Beginn der Televisionale in Baden-Baden hoffentlich Caroline Links Safe oder Laura Lackmanns Luden gewinnt, aber bittebitte nicht die 826. Staffel Babylon Berlin oder der Nachwende-Fasching Sam – Ein Sachse.
Der kriegte es als erster schwarzer DDR-Polizist kurz vorm Mauerfall mit Nazis seiner Gegend zu tun, die 30 Jahre danach von Elon Musks X aka Twitter mit Propaganda versorgt werden. Noch. Denn der selbsterklärte Meinungsfreiheitskämpfer bekämpft alle Meinungen, die seiner eigenen widersprechen, so massiv, dass ihm massenhaft Reklame wegbricht, weil viele nicht im Umfeld brauner Hetze werben wollen.
Konsequenz: Musk verklagt die Organisation Media Matters for America dafür, genau dies publik gemacht zu haben. Was handelsübliche KI wohl daraus macht, wenn man sie fragt, wer der größere Vulgärkapitalist ist – Musk oder Sam Altman, den sein eigenes Unternehmen OpenAI erst rausgeworfen hat und dann wieder einstellen musste, als er zu Microsoft ging um seine Agenda skrupelloser Profitmaximierung durch künstliche Intelligenz fortzusetzen.
Die Frischwoche
26. November – 1. Dezember
Richtige Intelligenz braucht man vorerst noch, um so gute Serien wie Reservation Dogs, Die Wespe, Sisi oder Slow Horses zu machen. Trotzdem fragt sich manchmal, ob es nicht ein bisschen zu routiniert ist, wie solche Fiktionen fortgesetzt werden. Bei Disney+, Sky, RTL+ und Apple jedenfalls gehen die hinreißende Coming-of-Age-Story um vier prekär-trotzige native americans und Florian Lukas als runtergerockter Darts-Profi, die ewige Kaiserin oder ein ebenso desperates Team englischer Spione in dritte Staffeln.
Und, tja – kann, darf, mag, muss abgesehen von den Reservat-Trotzköpfen aber auch nicht. Ähnlich wie das Comedy-Duo Jokah & Tutty, das am Donnerstag als erstes deutsches Original beim Amazon-Ableger Freevee startet. Was unbedingt und ganz dringend muss, ist A Friend of the Family. Die Klammer True Crime schreckt zwar ein wenig ab. Die neunteilige Rekonstruktion der doppelten Entführung eines amerikanischen Teenagers in den Siebzigerjahren ist allerdings ästhetisch, dramaturgisch, schauspielerisch und atmosphärisch absolute Extraklasse.
Mittelklasse liefert, was jetzt gar nichts Schlechtes bedeuten muss, der Sechsteiler Die Saat – trotz Heino Ferch, dessen deutscher Polizist ab Freitag in der ARD-Mediathek seinen verschwundenen Sohn sucht und dabei nahe Nordpol einen Pharma-Skandal aufdeckt, dessen Player nicht zufällig an den Pestizid-Multi Monsanto erinnert. Kann, muss aber so wenig wie der Weihnachtsfilm Candy Cane Lane mit Eddie Murphy zeitlich bei Prime.
Für Kids der 90er dagegen ein Must-see ist Die VIVA-Story, in der das Erste ab Freitag online 30 Jahre nach seiner Gründung dem Musikkanal huldigt – was zum ebenfalls dreiteiligen Porträt der VIVA-geförderten Band Echt um den Erzähler Kim Frank passt – gerade in Kombination grandioses Zeitgeschichtsdokutainment. Und damit verabschieden wir aufs Herzlichste: Anne Will, die am Sonntag letztmals im Talkmobiliar thront.

