Politisches Schweigen & Häuser aus Glas

Die Gebrauchtwoche

TV

11. – 17. Dezember

Sparvorschläge aus München: Florian Herrmann, bayrischer Staatskanzleichef und Medienminister, fragt sich bei Horizont, ob man alle Rundfunkanstalten brauche und schlägt gleich mal vor, BR und SWR zusammenuzul… Ach nee – der CSU-Mann sieht natürlich nur nördlich der Weißwurstgrenze Kostenersparnisse. Na, dann eben Vorschläge aus Frankfurt.

Christian Lindners Oberschichtbereicherungsbeauftragte Gerda Hofmann, offiziell als Ministerialrätin für Erb-, Grund- und Vermögenssteuer bezahlt, hat – wie Jochen Breyers ZDF-Doku Die geheime Welt der Superreichen mit versteckter Kamera zeigt – auf einer Veranstaltung für die Titelhelden Herrschaftswissen aus dem Finanzministerium ausgeplaudert, um Superreiche am Fiskus vorbei noch viel superreicher zu machen. Und Lindners Ressort? Schweigt auf Anfrage das Schweigen der Schuldbewussten.

Ebenso wie Jeremy Fragrance, der nicht nur ein dunkles Licht im Leuchter menschlicher Intelligenz ist, sondern offenbar auch ein braunes. Was von beidem dazu führte, dass sich der selbstverliebte Parfüm-Influencer lachend unter Nazis präsentiert hat, kann nur dieses duftende Maskottchen der Ignoranz beantworten, aber lässt es selbstredend lieber sein.

Derlei Diskretion in eigener Sache galt lange Zeit auch für Netflix. Nun gibt das Portal Zahlen für 1800 Eigenproduktionen heraus und siehe da: deutsche sind selbst weltweit ungeheuer zugkräftig. Wobei die Daten mit Vorsicht zu genießen sind – misst der Streamingdienst Erfolg doch in Stunden, nicht Zugriffen. Weshalb kaum Filme im oberen Drittel landen und als erste Serie von Belang: Wednesday an vierter Stelle.

Richtig klar und offen geäußert hat sich auch Frank Plasberg nicht über Louis Klamroth. Dass er Hart, aber fair jedoch nicht mehr produzieren wird, spricht Bände über seine Haltung zum Nachfolger im Ersten. Im Zweiten ist derweil nur wenig zu spüren vom Erbe, das ihm Dieter Stolte einst hinterlassen hat. Stolze 20 Jahre war er ZDF-Intendant und hat den Sender dabei nicht nur als konservatives Flaggschiff durch Helmut Kohls geistig-moralische Wende manövriert.

Vor seinem Abtritt 2002 gehen auch zahlreiche Neugründungen von ZDF-Kultur bis Phoenix aufs Konto des unionsnahen Medienmanagers. Jetzt ist er mit 88 gestorben und hinterlässt dem Mainzer Lerchenberg ein zwiespältiges Erbe. Auch darum landet in den letzten Zügen 2023 nichts Bemerkenswertes von dort in der Frischwoche, dafür aber umso mehr aus der ARD.

Die Frischwochen

0-Frischwoche

18. Dezember – 7. Januar

Dort steht seit Montag die Doku Trans*Teens in der Mediathek. Mit ein paar zu viel Ich-Botschaften vielleicht, aber angemessen objektiv, reist Reporterin Kerstin Klein darin 45 Minuten durch die USA und trifft Konservative, die Transgender-Menschen das Leben zur Hölle machen. Auf andere Art sehenswert ist das sechsteilige Biopic Power Play an gleicher Stelle.

Ab 29. Dezember zeichnet es das politisch bewegte Leben von Gro Harlem Brundtland nach, die 1981 nicht nur Norwegens erste Ministerpräsidentin war, sondern auch danach eine Vorreiterin weltbewegender Bereiche von Emanzipation über Gesundheit bis Abrüstung. Übers ARD-Weltkriegsexilepos Davos wollen wir an dieser Stelle zwar den Mantel konventionellen Historytainments hüllen.

Dafür belegt eine Koproduktion mit Arte in dessen Mediathek die öffentlich-rechtliche Kraft, große Geschichten ohne viel Firlefanz zu erzählen. Nach Esther Bernstorffs grandiosem Drehbuch versucht ein Unternehmer (Götz Schubert) zwischen den Jahren seinen Nachlass im Haus aus Glas verschiedenster Traumata aller vier Kinder zu regeln, was unter der Regie von Alain Gsponer trotzt Thriller-Finale einfach nur tolles Fernsehen ist. Dasselbe gilt für Bradley Coopers Interpretation von Leonard Bernstein.

Sein Biopic Maestro porträtiert nach kurzer Kino-Auswertung bei Netflix eher den bisexuellen Ehemann als die Dirigenten-Legende. Parallel dazu kriegt auch der griechisch-amerikanische Halbgott Percy Jackson bei Disney+ eine Frischzellenkur, die weit über zwei aufgeblasene Blockbuster hinausgeht. Netflix zeigt derweil noch ein Spin-Off von Haus des Geldes mit Fokus auf den Gangster Bérlin, bevor wir uns mit dem Artus-Bombast The Winter King ab 1. Januar bei MagentaTV ohne viel Wehmut von 2023 verabschieden. Bis auf Film & Fernsehen kann 2024 ja eigentlich alles nur noch besser werden.


Langmaack/Graf: Hanne & Der Falke

Ich schreibe Drehbücher, keine PR-Texte

inga-ehrenberg-findet-ausgleich-in-der-falknerei-100~_v-varxl_f9d210Wenn Filme Mein Falke heißen, drohen öffentlich-rechtliche Tierliebesschmonzetten. Es sei denn, Dominik Graf verfilmt Skripte von Beate Langmaack – dann kommt ein leises Meisterwerk heraus, in dem Anne Ratte-Polle (ARD, 20.15 Uhr und Arte-Mediathek) als Rechtsmedizinerin (Foto: NDR/Frédéric Batier) beim Versuch, ihre Einsamkeit mithilfe eines Wildvogels zu zähmen, so brilliert, dass der Film den Grimme-Preis kriegen dürfte. Ein Gespräch mit Regisseur und Autorin über Werk und Umstände.

Interview: Jan Freitag

Frau Langmaack, Herr Graf, die Traumdeutung kennt drei Interpretationen von nächtlichen Begegnungen mit Falken: Neben Jagdglück, von dem wohl nur wenige noch träumen, feindliche Umgebung und Akte der Selbstbefreiung. Waren diese Metaphern Basis von Mein Falke?

Beate Langmaack: Höchstens unterschwellig, aber ich nehme alle drei gern, danke. Wichtiger war aber die Tatsache, dass die Hauptfigur als Naturwissenschaftlerin in Materie hineinblickt und der Vogel von oben drauf. Dieses Spannungsfeld fand ich über alle Befreiungsmetaphern hinaus interessant.

Dominik Graf: Als ich erstmals mit dem Stoff zu tun bekam, gab es bereits ein fertiges Drehbuch.

Langmaack: Zumindest ein sehr konkretes Exposé.

Graf: Schon deshalb war die Traumdeutung für mich metaphorisch eher nebensächlich. Über den Falken mussten wir allerdings nie diskutieren, weil er mich von Anfang fasziniert hatte – und zwar nicht nur erzählerisch, sondern taktil; schon die Körperhaltung von Annes Inga, dieses Gerade, Erhabene: toll! Mit einem Falken am Arm sieht man echt gut aus…

Wer ist denn in der Stoffentwicklung zu wem gekommen – die forensische Biologin zum Vogel oder umgekehrt?

Langmaack: Die Einsamkeit der Frau war zuerst, das Ventil des Falken als Ersatz menschlicher Nähe kam danach.

Und wer ist bei der Umsetzung zu wem gekommen – Sie zu Herrn Graf oder Herr Graf zu Ihnen?

Langmaack: Beide gleichzeitig. Es stand von Beginn an fest, dass wir zusammenarbeiten. Zum Glück!

Führt das angesichts der eigensinnigen Bildsprache Ihres Regisseurs dazu, ihm gewissermaßen nach der Kamera zu schreiben?

Langmaack: Im Gegenteil. Weil wir bei Hanne bereits miteinander gearbeitet hatten, fühlte mich sehr frei in allem, was ich tat. Mir war klar, dass ich alles erstmal aufschreiben und bei Bedarf hinterher konstruktiv mit ihm besprechen kann. Auch die Redaktion meinte, lass‘ die erstmal machen; das ist selten.

Graf: Hanne hat ein tiefes gegenseitiges Vertrauen bei uns, aber auch der Auftraggeberseite hinterlassen. Mir ist bis heute schwerverständlich, wie man Drehbücher für Regisseure schreiben kann, von denen man noch gar nichts weiß. Je näher, länger, genauer ich die Leute kenne, desto besser kann ich mit ihnen arbeiten. Deshalb finden Sie in meinem Werk Menschen aller Gewerke, mit denen ich öfter, teils regelmäßig arbeite.

Ist das nur Ihre Herangehensweise oder eine Regel für gutes Filmemachen?

Graf: Das ist individuell. Es gibt Teams, die stoßen aus dem Nichts zusammen und alles passt perfekt. Aber das Vertrauen in Beate ist für mich unbezahlbar. Was das an Debatten erspart!

Langmaack: Am Anfang bin ich am liebsten ganz allein.. Es kann durchaus stören, wenn Regisseure und Regisseurinnen mich bei der Stoffentwicklung mit eigenen Ideen impfen wollen.

Können Sie ihr Buch dennoch loslassen, wenn es fertig in der Hand anderer liegt?

Langmaack: Bei Dominik schon, ohne dieses Vertrauen, würde ich es ihm gar nicht erst überantworten. Aber wenn ich Vertrauen gefasst habe, lasse ich komplett los. Ich bin nie am Drehort. Was soll ich da?

Graf: Trotzdem habe ich dir früh schon erste Schnittversionen gezeigt, oder?

Langmaack: Stimmt. Und die waren schon sehr lang.

Graf: Dass wir trotz enger Formatvorgaben der ARD über 100 Minuten lang sind, war ungeheuer wichtig für den Film, der durch seine langen Einstellungen lebt. Aber auch da wusste ich, das ist in Beates Sinne.

Das betrifft offenbar auch die Figuren ihrer beiden Filme, in denen es um Frauen mittleren Alters an Weggabelungen ihrer Existenzen geht.

Langmaack: Obwohl sich Hanne mit dem eigenen Tod auseinandersetzt und Inga mit dem Tod anderer, sind es aber dennoch komplett unterschiedliche Typen, die den Tod auf jeweils eigene Art in den Hintergrund persönlicher Geschichten rücken.

Graf: Mein Falke ist mehr als Hanne ein zutiefst stofflicher, haptischer Film, in dem es um die Varianten des Todes in ihrer chemischen Zusammensetzung bis hin zu Zwangsarbeitern der Vierzigerjahre geht.

Ist der Boom forensischer Formate wie CSI schuld, dass auch Sie jetzt so einen Stoff machen können?

Graf: Es war jedenfalls nicht hinderlich. Wir haben lange überlegt, ob die Kamera an Maden vorbei in faulige Wundkanäle fahren sollte, um den Tod plastisch zu machen (lacht); filmtechnisch hätte mich das durchaus gereizt. Innerhalb dieses schlichten Filmes wäre es aber eine Nummernrevue geworden.

Langmaack: Mir ging es schließlich nicht um den Tod an sich, sondern vordergründig um Bindung, teilweise über 80 Jahre hinweg. Das hat Dominik einfach verstanden. Uns geht’s ums Leben!

Umso mehr fällt auf, dass beide Filme Frauen in Lebensphasen um die 50 aufwärts skizzieren, in denen sie – besonders, was Film und Fernsehen betrifft – langsam verschwinden. Das ließe sich als Plädoyer für mehr Sichtbarkeit lesen.

Langmaack: Ist aber keins, sorry. Ich schreibe Drehbücher, keine PR-Texte (lacht).

Graf: Filmen hat für mich keine soziale Funktion. Ich will keine gesellschaftlichen Fehlentwicklungen geradebiegen. Nicht mal im Subtext. Ich wäre auch gar nicht auf den Gedanken des Verschwindens von Frauen im Alter von Anne Ratte-Polle und Iris Berben gekommen, weil sie bei mir ständig Hauptfiguren sind. In Zeiten, wo die Leute beinah ewig leben, finde ich es da umso interessanter, was sie nach kaum der Hälfte für Kämpfe austragen.

Langmaack: Während wir hier über zwei Filme mit Frauen mittleren Alters reden, hatte mich nie jemand gefragt, warum die Ermittler meiner „Polizeirufe“ und „Tatorte“ ähnlich alte Männer waren.

Weil der Ausnahmezustand interessanter ist als der Normalfall?

Langmaack:  Zwei Frauen hintereinander ist schon ein Ausnahmezustand?

Graf: Wobei man es unabhängig vom Geschlecht schon auch so schreiben können muss wie Beate, um Altersfragen zu thematisieren, ohne sie in den Vordergrund zu rücken.

Mindestens ebenso ungewöhnlich ist der Drehort von Mein Falke. Steht Wolfsburg für irgendwas oder ist es einfach eine Stadt irgendwo im Nirgendwo?

Graf: Eigentlich wollten wir wie Hanne in Wilhelmshaven drehen. Aber erstens war unklar, wohin der LNG-Terminal kommt. Was zweitens sämtliche Hotels ausgebucht hätte. Und drittens hat unser Ausstatter irgendwann Wolfsburg ins Spiel gebracht, weil das wegen des Handlungsstrangs nationalsozialistischer Zwangsarbeiter bei VW naheliegender als Wilhelmshafen war. Außerdem kannte ich Andreas Weizsäcker.

Den Sohn von Richard von Weizsäcker.

Graf: Der vor seinem viel zu frühen Tod Baumschnitzereien ehemaliger Zwangsarbeiter entdeckt und das Thema damit erstmals in Wolfsburg publik gemacht hatte. Das hat mich enorm fasziniert.

Werden Drehorte durch so etwas zu Protagonisten?

Graf: Drehorte sind immer Protagonisten, und meistens mit seltsamer Persönlichkeit. Wolfsburg war zwar Führerstadt, ist aber im Grunde gar keine Stadt, sondern Ortskerne um Fabriken herum.

Planen Sie, wo auch immer, nach Ihrer zweiten gemeinsamen Arbeit eigentlich bereits an der dritten?

Graf: Von mir aus sehr gerne.

Langmaack: Von mir aus auch. Und wir können dann ja mal einen Mann in den Mittelpunkt stellen, Dominik.

Graf: Ach, muss nicht sein. Obwohl es mittlerweile auch schon wieder heikel ist, wenn Männer Frauen inszenieren.

Langmaack: Dürfen Frauen umgekehrt dann auch keine Männer inszenieren? Langsam wird’s schwierig…


Presseratschläge & Weihnachtsabenteuer

Die Gebrauchtwoche

4. – 10. Dezember

Respekt, Hubert Aiwanger. Nachdem der Presserat sämtliche Vorwürfe gegen die Süddeutsche Zeitung wegen publizistisch unsauberer, womöglich gar falscher Berichterstattung zum Stapel Nazi-Propaganda im Schulranzen des späteren Vize-Ministerpräsidenten Bayerns abgewiesen hatte, nahm der Hubsi, wie ihn seine Fans nur nennen, den Vorwurf einer Schmutzkampagne zurück und zollte dem liberalen Blatt…

Ach nee.

Seit das Selbstkontrollgremium deutscher Medien zwar wie immer zahllose Rügen an Springer-Blätter ausgesprochen, deren Münchner Qualitätskonkurrenz allerdings freigesprochen hatte, kam exakt – nichts. Kein Kommentar, kein Einlenken, geschweige denn eine Entschuldigung, also nullkommanull Abrücken vom demokratiezersetzenden Konfrontationskurs des regierenden Rechtspopulisten aus Rottenburg an der Laaber.

Den publizierenden Rechtspopulisten von Welt.de war es dagegen mindestens herzlich egal, tendenziell sogar sehr recht, dass Carola Rackete dort aufs Übelste verunglimpft wurde. Selbst die widerlichen Kommentare übers Äußere der linken Seenotretterin wurden nicht gelöscht. Dass der Presserat auch Bild.de mit Verurteilungen überhäufte, empfindet Springer indes als Ritterschlag im Kampf gegen Demokratie und Pluralismus.

Im Kampf um die absolute Alleinherrschaft im europäischen Fußball, ist die Premier League derweil einen Schritt weitergekommen. Bis 2027 erhält die erste englische Liga künftig pro Saison knapp zwei Milliarden Euro für die Fernsehrechte, ungefähr das Doppelte der Bundesliga. Und die Auslandsvermarktung – vorzugsweise im Duett mit Diktaturen aller Art – trägt nochmals die Hälfte bei. Sport war gestern. Es lebe das Fußball-Business.

Die Frischwoche

11. – 17. Dezember

Dessen Manager noch mal kurz die letzten Spiele vor der Winterpause austragen, bevor sie das Podium voll und ganz dem Wintersportgeschäft überlassen. Motorsport gibt es zwischendurch auch noch, wenngleich vor allem als Rückblick: In Being Michael Schumacher lässt die ARD-Mediathek ab Donnerstag fünf Folgen lang das Leben des klimaschädlichen Multimillionärs Revue passieren, als wäre absolut alles an ihm liebenswert.

Das ist es nicht, aber auch ein bisschen egal, da sich selbst Macker mit Benzin im Blut mangels deutscher Erfolge nur noch am Rande für haltungsstarke Autoraser wie Schumi interessieren. Außerdem rücken die Festtage näher. Mit einer Überraschung: die ARD-Komödie Abenteuer Weihnachten, das ein Starensemble um Maria Furtwängler und Juergen Maurer ab Mittwoch im Chaos zerstrittener Eltern schreddert, was trotz aller Klischees bisweilen tief gründet.

Stereotypen, die Jan Georg Schüttes Improvisationsbrigade beim Fest der Liebe Mittwoch auf gleicher Plattform vier Teile lang realsatirisch überzeichnet. Linear läuft parallel Dominik Grafs Familiendrama Mein Falke, worin Anne Ratte Polle nach Drehbüchern von Beate Langmaack ihre Beziehungsunfähigkeit mit einem Greifvogel aufzuarbeiten versucht. In seiner Ereignislosigkeit einfach nur brillantes Fernsehen.

Und während das Netflix-Sequel der Knetfiguren-Reihe Chicken Run oder die Apple-Serie The Family Plan mit Mark Wahlberg als Ex-Killer mit Kind-und-Kegel-Existenz konventionellere Kost liefern, verdienen drei deutsche Formate erhöhte Aufmerksamkeit. In der Mockumentary Olaf Jagger entdeckt Olaf Schubert, dass er der uneheliche Sohn des Stones-Sängers ist, was auf die pullundrige Art des Comedians ab Sonntag bei Magenta TV sehr, sehr lustig ist.

Zeitgleich startet Sarah Bosetti abends bei 3sat in die zweite Folge ihrer Late Night, deren Auftakt vier Wochen zuvor ungeheuer verheißungsvoll war. Und keinesfalls verpassen sollte man(n) die ARD-Doku Mythos Jungfernhäutchen am Mittwoch, die das Hymen genannte Schleimzeug im Innern der Frau analog zur MFG-Star-Gewinnern ELAHA als Erfindung patriarchaler Machtverhältnisse entlarvt.


Shirins Feminismus & Beckers Sexismus

Die Gebrauchtwoche

TV

27. November – 3. Dezember

Interessanter Gedanke, den Horst Bredekamp am Samstag in der Süddeutschen Zeitung geäußert hat: Analog zum Verbot kinderpornografischer Bilder, fordert der renommierte Kunsthistoriker, auch Besitz und Verbreitung kriegs- oder terrorverherrlichender Darstellungen unter Strafe zu stellen. Solche des islamistischen Angriffs auf Israel zum Beispiel, dessen Footage sich weiterhin abertausendfach auf Foren wie X oder Telegram findet.

In derselben Ausgabe fordert die Kolumnistin Jagoda Marinic einen kritischeren Umgang mit dem Lipstick Feminismus und wählt sich dafür ausgerechnet Thomas Gottschalk als Kronzeugen. Bei seinem Wett-Finale nämlich hatte er Shirin David gefragt, was am sexpositiven Pornstyle der Rapperin aus emanzipatorischer Sicht progressiv sei. Der greise Knietatscher im Operetten-Outfit hat das zwar weder so progressiv formuliert noch gemeint.

Schon angesichts der zweiten Frau mit Pin-Up-Potenzial auf dem Sofa, muss die Frage allerdings erlaubt sein. Denn kurz darauf schoss Helene Fischers Duett von Atemlos mit Shirin David auf Platz 1 der deutschen Charts, und es zeigt sich: beiden ist Gleichberechtigung offenbar herzlich egal, solange die Rendite ihrer Selbstentblößung stimmt. Und damit zu einer Frau, die wirklich was dafür getan hat, jetzt aber weg vom Fenster der öffentlichen Aufmerksamkeit ist.

Anne Wills Abschied von ihrer gleichnamigen Talkshow am Sonntag war zwar nicht anders zu erwarten unspektakulär und sachlich. Genau das aber stand für eine Form von weiblicher Selbstermächtigung im Männerfernsehzirkus Maximus, der mehr Spuren hinterlässt als alle lippenstiftfeministischen Vollbäder in Hyaluronsäure. Die Fußstapfen für Caren Miosga sind also groß. Ob sie zu groß sind, wird sich im Januar zeigen

Die Frischwoche

0-Frischwoche

4. – 10. Dezember

So richtig groß werden die Fußstapfen vollumfänglich glaubhafter, also echter Nachwuchsfeministinnen sein, wenn ältere Rolemodels wie Maren Kroymann abtreten. Das allerdings könnte noch etwas dauern, denn auch mit 74 Jahren ist sie geradezu hyperaktiv, heute zum Beispiel mit dem zweiten Teil der vielschichtigen ZDF-Komödie Mono & Marie an der Seite von Ulrike Kriener.

Wer ebenfalls nicht so bald abtreten wird, ist einer, der auch schon ewig dabei zu sein scheint: Ben Becker. Seit jeher ein Schauspieler mit Eigensinn und Courage, aber auch gehörigem Testosteronüberschuss, macht er sein Ding und landet Donnerstag bei Warner TV leider in einer sechsteiligen Western-Persiflage. Als Boom Boom Bruno spielt Bumm Bumm Becker einen Cop der ganz alten, macho-misogynen, durch und durch gewalttätigen Schule.

Was wohl ironisch gemeint sein soll, dockt jedoch so unverblümt am neurechten Ideal allmächtiger Männer an, dass die Serie einen Warnhinweis bräuchte: Achtung, AfD-affin. Ein Publikum, dass auch mit der Real-Life-Influencer-PR Forsthaus Rampensau, ab Freitag bei joyn+, gut versorgt werden dürfte. Eher GenZ- bis Alpha-affin ist dagegen die deutsche Verfilmung der Mysteryroman-Trilogie Silber, ab Freitag bei Amazon-Prime.

Parallel dazu startet Netflix mit dem Spielfilm Leave the World Behind, worin Julia Roberts und Ethan Hawke Teil eines klaustrophobischen Bungalow-Dramas werden. Tags zuvor verwandelt Sky die reale Hacker-Fiktion 23 von 1998 in eine gleichnamige Doku über den leibhaftigen Computer-Crack aus Hannover. Und bereits Mittwoch huldigt Geddy Lee bei Paramount+ vier Folgen lang einer hintergründigen Popkultur-Spezies: Bassisten und Bassistinnen. Und zeitgleich erklärt uns der elitäre KT Guttenberg bei RTL+ Die Macht der Kirchen.


Televisionale: Messingbarock & Female SciFi

Die Herrschaft des Krimis ist vorbei

1701444359_televisionaleSeit ihrem Führungswechsel stellt sich die Televisionale der Zukunft einer Branche im Dauerkrisenmodus. freitagsmedien und DWDL waren auf einem Festival dabei, das nicht nur Film und Serie prämieren, sondern das Fernsehen revolutionieren will.

Von Jan Freitag

Filmemachen ist, selbst wenn es Fachleute bewerten, Geschmackssache. Handwerkliche Fehler wirken zwar objektivierbar. Museale Kostüme jedoch bleiben museale Kostüme. Schlampige Continuity ist schlampige Continuity. Miese Drehbücher sind miese Drehbücher. Wenn zwei Tatort-Kommissare daher zum 87. Mal an der Currywurstbude stehen, dürfen sie sich nicht wundern, auch auf dieser TeleVisionale zu fehlen.

Im Kurhaus Baden-Baden wird schließlich über Geschmacks- und andere Sachen herausragender Serien und Filme diskutiert. Während Filmjurypräsidentin Julia Jentsch zum Beispiel Kamera, Ausstattung, Musik von Kalt zu kühl findet, hält Regisseur Stephan Lacant entgegen, das bedrückende ARD-Drama um ertrunkene Kinder trage seinen Titel nicht zufällig. Während Serienjurorin Roshanak Khodabakhsh am RTL-Sechsteiler Luden historische Unwuchten moniert, hält ihr Neuesuper-Produzent Rafael Parente „wir sind keine Journalisten, wir sind Filmemacher“ entgegen.

Womit am Beispiel zweier Diskurse schon viel über eine Leistungsschau deutschsprachiger Fernsehfilme und -serien gesagt ist, dessen Preisgerichte – echtes Alleinstellungsmerkmal – öffentlich tagen und dabei hitzig, aber gesittet über alles diskutieren, was fiktionale Feierabendgestaltung betrifft. Zum 54. Mal wurden gestern Nacht Preise verliehen, die nach jahrelanger Wanderschaft seit 1989 im badischen Heilbad zuhause sind. Und das hat Festivalleiter Urs Spörri vor zwölf Monaten mit einer kleinen Revolution erschüttert.

Denn endlich (endlich (endlich!) endlich!!))) wurden 2022 auch Fortsetzungsfiktionen prämiert. Während das säulengesäumte Kurhaus am Schwarzwaldrand unverdrossen Vergangenheitsfolklore ausstrahlt, ist das Geschehen dahinter somit in der Zukunft angekommen und fühlt sich dort sichtlich wohl. Vor allem, weil Urs Spörri sich wohlfühlt und daran fünf nasskalte Novembertage nie Zweifel lässt.

Absolut alles, was er im Brustton Dutzender Festivalmoderationen ankündigt, bewege sich zwischen „wunderbar“ und „mutig“, meist beides. „Ambivalenz“ und „Diversität“ lauten zwei Zauberworte, an denen sich die Preisgerichte vor, mit, im Publikum ergänzt um Studierende namhafter Hochschulen ihre sechs Köpfe heißreden. Wobei der leicht legendäre Fernsehdoyen Lothar Mikos im Seriengremium ebenso verlässlich Spiegelgefechte gegen Gleichgesinnte austrägt wie Regisseur Kilian Riedhof unter Filmbewertenden.

Nur die Nachwuchskreativen der vier Beiträge zum MFG-Star erhalten vom Weltstar Caroline Link notorisch Welpenschutz – was allerdings auch am experimentellen Niveau von Christina Ebelts ästhetisch, technisch, dramaturgisch makellosem Meisterwerk Monster im Kopf oder dem siegreichen Drama Elaha um eine Kurdin im Jungfräulichkeitskrieg liegt, dessen ambivalente Diversität im Grenzbereich der Perfektion verzaubert.

Schon dass dieser Fernsehpreis nicht mal klingende Namen wie Panther, Lola, Bambi oder Goldene Kamera/Henne/Europa hat, spricht halt dafür, dass es in Baden-Baden um mehr geht als Trophäen. Es geht der Branche seit jeher schon ums Ausloten von Gemeinsamkeiten, die Urs Spörri 2023 so zentral zwischen Wettkampf und Verleihung packt, dass die letzten zwei der fünf Tage zusehends im Zeichen der Fernsehvölkerverständigung stehen.

Schon vorher wird zwar oft grundsätzlich gestritten. Das Podium nimmt die fabelhafte Kirmesmilieustudie Zwischen uns die Nacht zornig zum Anlass, dem ZDFeind Feigheit vor der Primetime vorzuwerfen, was Mainzer Pensionsberechtigte mit verschränkten Armen trotzig weggrummeln. Nach „Sörensen fängt Feuer“ ereifern sich die Filmstudierenden so flammend über heteronormative Klischees, dass selbst Bjarne Mädels Charme kaum deeskalierend wirkt. Und wenn ein greiser Gast der „Female SciFi“ getauften Liebesroboter-Utopie Tender Hearts Männerhass attestiert, bläst der weiße Mainstream Abertausender Jahre mild belächelt zum letzten Volkssturm gegen die Moderne.

Doch erst als die Praxis ab Donnerstagmittag der Theorie weicht, wird Urs Spörris Televisionale zu dem, was der dauereuphorisierte Conférencier „Deutschlands wichtigsten Branchentreff“ nennt. In Panels zur „geschlechtsspezifischen Gewalt“ oder „Zukunft des fiktionalen Films“, diskutieren Oscarpreisträger (Edward Berger) mit Netflix-Chefinnen (Sasha Bühler) oder Programmverantwortliche (Christine Strobl) mit FDP-Fossilen (Gerhart Baum) über Dinge, die ein Meeting der Allianz Deutscher Produzenten auf den Punkt bringt: „Weniger Produktionen? Mehr Qualitätsfernsehen!“

Ihr Wort in Kai Gniffkes Ohr… Denn der ARD-Vorsitzende ist wie sein halber SWR 100 Kilometer aus Stuttgart westwärts gereist oder deren drei vom Baden-Badener Funkhaus ostwärts, wer weiß… Die unprätentiöse Weltregisseurin Caroline Link schlendert unterdessen eher wie reingeschneit durchs Kurhaus. Und während „Mr. Grimme“ Ulrich Spies darin nach eigener Aussage „Kombattanten“ zur Rettung seiner noch bedeutenderen Fernsehpreise sucht, feiert Urs Spörri die weniger wichtigen, wahnsinnig familiären von Baden-Baden nach wirklich jeder Aufführung als „Qualitätsdiskurs, den wir unbedingt führen wollen“.

Etwa mit den Verbänden Regie und Drehbuch, die im Spiegelsaal jenes Manifest zur konzertierten Aktion Kurskorrektur vorstellen, das sie voriges Jahr an gleicher Stelle skizziert hatten. Im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ kritisiert die einflussreiche „Tatort“-Autorin Dorothee völlig zu Recht, dass „nicht ein einziger Vertreter der Öffentlich-Rechtlichen zugesagt“ habe. Vielleicht ist es da ja die Rache der Entrechteten, dass der Wettbewerb 2023 praktisch ohne Polizeiermittlungen auskommt.

In der Sektion Serie gewinnt demnach folgerichtig Safe, während die Studierenden Sam bevorzugten und Zwischen uns die Nacht bei jung wie alt obsiegte. Drei Formate also ohne Ermittler in zentraler Position also. „Die Herrschaft der Krimis ist vorbei“, meint Urs Spörri, fordert „mehr U im E oder umgekehrt“ und will relevante Themen dafür „divers, aber nicht didaktisch“ kreieren, weil das Publikum es „verdient, herausgefordert zu werden“. Qualität, das zeigt die Televisionale in ihrer künstlerischen Bandbreite mit großem Mut zum Stilbruch, ist eben alles Mögliche, aber keine Geschmackssache.