Televisionale: Messingbarock & Female SciFi

Die Herrschaft des Krimis ist vorbei

1701444359_televisionaleSeit ihrem Führungswechsel stellt sich die Televisionale der Zukunft einer Branche im Dauerkrisenmodus. freitagsmedien und DWDL waren auf einem Festival dabei, das nicht nur Film und Serie prämieren, sondern das Fernsehen revolutionieren will.

Von Jan Freitag

Filmemachen ist, selbst wenn es Fachleute bewerten, Geschmackssache. Handwerkliche Fehler wirken zwar objektivierbar. Museale Kostüme jedoch bleiben museale Kostüme. Schlampige Continuity ist schlampige Continuity. Miese Drehbücher sind miese Drehbücher. Wenn zwei Tatort-Kommissare daher zum 87. Mal an der Currywurstbude stehen, dürfen sie sich nicht wundern, auch auf dieser TeleVisionale zu fehlen.

Im Kurhaus Baden-Baden wird schließlich über Geschmacks- und andere Sachen herausragender Serien und Filme diskutiert. Während Filmjurypräsidentin Julia Jentsch zum Beispiel Kamera, Ausstattung, Musik von Kalt zu kühl findet, hält Regisseur Stephan Lacant entgegen, das bedrückende ARD-Drama um ertrunkene Kinder trage seinen Titel nicht zufällig. Während Serienjurorin Roshanak Khodabakhsh am RTL-Sechsteiler Luden historische Unwuchten moniert, hält ihr Neuesuper-Produzent Rafael Parente „wir sind keine Journalisten, wir sind Filmemacher“ entgegen.

Womit am Beispiel zweier Diskurse schon viel über eine Leistungsschau deutschsprachiger Fernsehfilme und -serien gesagt ist, dessen Preisgerichte – echtes Alleinstellungsmerkmal – öffentlich tagen und dabei hitzig, aber gesittet über alles diskutieren, was fiktionale Feierabendgestaltung betrifft. Zum 54. Mal wurden gestern Nacht Preise verliehen, die nach jahrelanger Wanderschaft seit 1989 im badischen Heilbad zuhause sind. Und das hat Festivalleiter Urs Spörri vor zwölf Monaten mit einer kleinen Revolution erschüttert.

Denn endlich (endlich (endlich!) endlich!!))) wurden 2022 auch Fortsetzungsfiktionen prämiert. Während das säulengesäumte Kurhaus am Schwarzwaldrand unverdrossen Vergangenheitsfolklore ausstrahlt, ist das Geschehen dahinter somit in der Zukunft angekommen und fühlt sich dort sichtlich wohl. Vor allem, weil Urs Spörri sich wohlfühlt und daran fünf nasskalte Novembertage nie Zweifel lässt.

Absolut alles, was er im Brustton Dutzender Festivalmoderationen ankündigt, bewege sich zwischen „wunderbar“ und „mutig“, meist beides. „Ambivalenz“ und „Diversität“ lauten zwei Zauberworte, an denen sich die Preisgerichte vor, mit, im Publikum ergänzt um Studierende namhafter Hochschulen ihre sechs Köpfe heißreden. Wobei der leicht legendäre Fernsehdoyen Lothar Mikos im Seriengremium ebenso verlässlich Spiegelgefechte gegen Gleichgesinnte austrägt wie Regisseur Kilian Riedhof unter Filmbewertenden.

Nur die Nachwuchskreativen der vier Beiträge zum MFG-Star erhalten vom Weltstar Caroline Link notorisch Welpenschutz – was allerdings auch am experimentellen Niveau von Christina Ebelts ästhetisch, technisch, dramaturgisch makellosem Meisterwerk Monster im Kopf oder dem siegreichen Drama Elaha um eine Kurdin im Jungfräulichkeitskrieg liegt, dessen ambivalente Diversität im Grenzbereich der Perfektion verzaubert.

Schon dass dieser Fernsehpreis nicht mal klingende Namen wie Panther, Lola, Bambi oder Goldene Kamera/Henne/Europa hat, spricht halt dafür, dass es in Baden-Baden um mehr geht als Trophäen. Es geht der Branche seit jeher schon ums Ausloten von Gemeinsamkeiten, die Urs Spörri 2023 so zentral zwischen Wettkampf und Verleihung packt, dass die letzten zwei der fünf Tage zusehends im Zeichen der Fernsehvölkerverständigung stehen.

Schon vorher wird zwar oft grundsätzlich gestritten. Das Podium nimmt die fabelhafte Kirmesmilieustudie Zwischen uns die Nacht zornig zum Anlass, dem ZDFeind Feigheit vor der Primetime vorzuwerfen, was Mainzer Pensionsberechtigte mit verschränkten Armen trotzig weggrummeln. Nach „Sörensen fängt Feuer“ ereifern sich die Filmstudierenden so flammend über heteronormative Klischees, dass selbst Bjarne Mädels Charme kaum deeskalierend wirkt. Und wenn ein greiser Gast der „Female SciFi“ getauften Liebesroboter-Utopie Tender Hearts Männerhass attestiert, bläst der weiße Mainstream Abertausender Jahre mild belächelt zum letzten Volkssturm gegen die Moderne.

Doch erst als die Praxis ab Donnerstagmittag der Theorie weicht, wird Urs Spörris Televisionale zu dem, was der dauereuphorisierte Conférencier „Deutschlands wichtigsten Branchentreff“ nennt. In Panels zur „geschlechtsspezifischen Gewalt“ oder „Zukunft des fiktionalen Films“, diskutieren Oscarpreisträger (Edward Berger) mit Netflix-Chefinnen (Sasha Bühler) oder Programmverantwortliche (Christine Strobl) mit FDP-Fossilen (Gerhart Baum) über Dinge, die ein Meeting der Allianz Deutscher Produzenten auf den Punkt bringt: „Weniger Produktionen? Mehr Qualitätsfernsehen!“

Ihr Wort in Kai Gniffkes Ohr… Denn der ARD-Vorsitzende ist wie sein halber SWR 100 Kilometer aus Stuttgart westwärts gereist oder deren drei vom Baden-Badener Funkhaus ostwärts, wer weiß… Die unprätentiöse Weltregisseurin Caroline Link schlendert unterdessen eher wie reingeschneit durchs Kurhaus. Und während „Mr. Grimme“ Ulrich Spies darin nach eigener Aussage „Kombattanten“ zur Rettung seiner noch bedeutenderen Fernsehpreise sucht, feiert Urs Spörri die weniger wichtigen, wahnsinnig familiären von Baden-Baden nach wirklich jeder Aufführung als „Qualitätsdiskurs, den wir unbedingt führen wollen“.

Etwa mit den Verbänden Regie und Drehbuch, die im Spiegelsaal jenes Manifest zur konzertierten Aktion Kurskorrektur vorstellen, das sie voriges Jahr an gleicher Stelle skizziert hatten. Im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ kritisiert die einflussreiche „Tatort“-Autorin Dorothee völlig zu Recht, dass „nicht ein einziger Vertreter der Öffentlich-Rechtlichen zugesagt“ habe. Vielleicht ist es da ja die Rache der Entrechteten, dass der Wettbewerb 2023 praktisch ohne Polizeiermittlungen auskommt.

In der Sektion Serie gewinnt demnach folgerichtig Safe, während die Studierenden Sam bevorzugten und Zwischen uns die Nacht bei jung wie alt obsiegte. Drei Formate also ohne Ermittler in zentraler Position also. „Die Herrschaft der Krimis ist vorbei“, meint Urs Spörri, fordert „mehr U im E oder umgekehrt“ und will relevante Themen dafür „divers, aber nicht didaktisch“ kreieren, weil das Publikum es „verdient, herausgefordert zu werden“. Qualität, das zeigt die Televisionale in ihrer künstlerischen Bandbreite mit großem Mut zum Stilbruch, ist eben alles Mögliche, aber keine Geschmackssache.



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