Bauernregeln & letzte Tabus
Posted: February 12, 2024 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |Leave a commentDie Gebrauchtwoche
5. – 11. Februar
Qualitätsjournalismus unterscheidet sich vom Boulevard vor allem darin, dass ersterer echte Realitäten nüchtern beschreib, letzterer gewollte dagegen emotional. Umso mehr fällt auf, wenn seriöse Medien boulevardesk wirken. Nach Plagiatsvorwürfen gegen die Süddeutsche-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid, wurde sie erst verteufelt, dann vermisst, schließlich gefunden. Alles ganz schön deftig.
Was neovölkische Beobachter wie Julian Reichelt ebenso lieben wie die AfD, deren Talkshow-Präsenz mal wieder im Fokus steht. Markus Lanz Gestammel neben Tino Chrupalla zeigte zuletzt, wie wenig Rechte das wohlfeile Aufzählen ihrer Tabubrüche juckt. Besser wären da konkrete Antworten, ob und wie sie auf dem Weg zum Führerstaat Verwaltung, Justiz, das Wahlsystem und nicht zuletzt: die Medien umgestalten.
Dafür brächte Reichskanzler Höcke flugs alle Bahnhofsbuchläden in Parteibesitz, damit Elsässers Stürmer compact dort wieder erhältlich wäre. Danach ließe er Putins Hofberichterstatter Tucker Carlsen wohl Gefälligkeitsgutachten erstellen. Und zur ermächtigungsgesetzlichen Absicherung könnte die AfD noch jene um Hilfe bitten, denen sie zuvor sämtliche Subventionen gestrichen hätte.
Weil sie ihnen zu unbotmäßig berichten, haben wütende Bauern Redaktionen wie die Allgäuer Zeitung oder die Druckerei von Bild und Abendblatts bei Hamburg blockiert. Für diese Pluralismusverachtung hat Markus Raffler sogar Verständnis. „In Summe“, so der AZ-Redaktionsleiter, „waren die Bauern wohl ein wenig hilflos, wie sie mit uns ins Gespräch kommen“. Wollen wir mal hoffen, dass er seine Verteidigung der Angriffe auf die Pressefreiheit ironisch meint.
Und damit zum Sport. Dort haben sich praktisch alle Fußball-Reporter geeinigt, dass nun aber mal gut sei mit Fan-Protesten gegen DFB-Deals. So werden drei Pfiffe beim Zweitligaspiel gegen Tennisball-Würfe zur absoluten Stadionmehrheit umgedeutet, denen solche Spielunterbrechungen zu weit gehe. Wenn man Sky sein teures Premiumprodukt madig macht…
Die Frischwoche
12. – 18. Februar
Da könnte man erwähnen, dass Chefredakteurin Juliane Eßling mangels Erfolg entlassen hat. Aber Sat1 ist mittlerweile so egal, dass hier wie immer kein Format empfohlen wird. Empfehlenswerter ist stattdessen Manfred Oldenburgs spielfilmlange Doku Das letzte Tabu, worin er Dienstag bei Prime Video einen Skandal aufdeckt: Der globale Fußball bringt es bei 500.000 Profis auf sieben aktive homosexuelle Kicker. Sieben… Also noch nicht mal der deutsche Talking Head Thomas Hitzlsperger, der sein Coming-Out nach dem Abschied hatte. Umso wichtiger ist die Milieustudie von der ersten bis zu 90. Minute.
So lange dauert auch die Aufwärmphase der österreichischen Horror-Groteske Beasts like us, Mittwoch auf gleichem Portal. In den ersten drei Folgen erreicht die Komödie um paarungswillige Mittzwanziger in einer Stadt voll alltäglicher Vampire, Zombies, Mutationen bestenfalls Schultheater-Niveau. Mit der Zeit aber entwickelt sich der Achtteiler zum Kommentar auf rechtspopulistische Bewegungen, was ihn trotz Pipikackapimmel-Witzen soziokulturell durchaus originell macht.
Weder mit Politik noch Pennälern will die Netflix-RomCom Liebeskümmerer zu tun haben. Gut so. In freudloser Zeit erinnert die Lovestory einer beziehungsgestörten Paartherapeutin (Rosalie Thomass) mit Laurence Rupps Macho alter Schule angenehm harmlos an Romanzen der 90er, als die Welt noch in Ordnung schien. Weitere 40 Jahre zurück reicht das Biopic The New Look, in dem Apple ab Mittwoch neunmal Haute Couturiers wie Coco Chanel und Christian Dior porträtiert.
Erschreckend gegenwärtig ist das Courtroom-Drama Sie sagt. Er sagt. Nach Motiven Ferdinand von Schirachs kämpft Ina Weisse ab Freitag in der ZDF-Mediathek 100 Minuten gegen Godehard Gieses potenziellen Vergewaltiger. Wie so oft bei Matti Geschonnek entsteht daraus ein totenstilles, lauthals brüllendes Kammerspiel, das Stellung bezieht, ohne Stellung zu beziehen und deshalb einfach nur brillantes Fernsehen wird.

