Anne Will: Sportschau & Ersatzparlament
Posted: February 15, 2024 | Author: Jan Freitag | Filed under: 4 donnerstagsgespräch |Leave a commentDanke für Ihre Ruhe

Im Dezember hat Anne Will (Foto: Marlene Gawrisch) nach 553 Ausgaben die wichtigste Talkshow der Fernsehrepublik an Caren Miosga abgegeben. Ein Interview über 16 Jahre Ersatzparlament im Ersten, den Unterschied zwischen Grillen oder Fragen und was für ein Medienland sie Branche, Land, Gesellschaft hinterlässt.
Von Jan Freitag
freitagsmedien: Frau Will, verspüren Sie sonntags zwischen Tatort und Tagesthemen mittlerweile eigentlich eine Art medialen Phantomschmerz?
Anne Will: Nein, es gefällt mir, dass der Sonntag jetzt wieder mir gehört. Ich fand es schön, dass ich vorige Woche auf dem Sofa liegend mal wieder linear den Polizeiruf gucken konnte. Wenn überhaupt, dann hatten Freundinnen und Bekannte sowas wie einen Phantomschmerz. Jedenfalls kamen so 21.46 Uhr SMS, wo ich denn bitte sei, jetzt sei doch eigentlich meine Sendung (lacht).
Kontern Sie das Ende Ihrer Talkshow da gewissermaßen mit unpolitischen Krimis?
Nein, ich habe am selben Abend auch noch Bericht aus Berlin und Berlin direkt gesehen und danach die Tagesschau. Ich muss ja jetzt nicht plötzlich vom politischen Weltgeschehen detoxen, oder sowas, im Gegenteil: Ich habe jetzt wieder Zeit, breiter, themenunabhängiger zu gucken und zu lesen. Bislang war ich Richtung Ende der Woche auf das jeweilige Thema der Sendung fokussiert und habe mit einem klaren Verwertungsinteresse gelesen. Mir fehlte manchmal schlicht die Zeit, auch noch alles links und rechts davon zu lesen.
Sie verspüren als keine News Fatigue oder gar News Avoidance nach 553 Sendungen in 16 Jahren?
Nee, das kenne ich nicht.
Was macht es eigentlich mit Mensch und Journalistin, wenn beide sich tagein tagaus an den Frontverläufen der Weltpolitik aufhalten?
Naja, das ist ja mein Job. Und Politik interessiert mich. Mir ist zu Beginn meiner Tagesthemen-Zeit aber was klar geworden, was man in diesem Job, wenn Sie so wollen, als Mensch mitbringen sollte. Nämlich: Ruhe auszustrahlen. Ich habe im April 2001 angefangen, die Tagesthemen zu moderieren, war gut ein halbes Jahr dabei, als es die Terroranschläge vom 11. September gab. Wir haben tagelang gesendet, eine Sondersendung nach der anderen. Und dann erreichten mich – damals noch per Fax – etliche Reaktionen von Zuschauerinnen und Zuschauern, die da lauteten: „Danke für Ihre Ruhe“. Da habe ich gecheckt, dass es darum also auch geht.
Das Chaos hat Sie ruhiger gemacht?
Ich bin sowieso ein ruhiger Typ. Ich habe in dem Moment nur etwas Zusätzliches über meine Rolle verstanden: Wenn ein Ereignis weltweit für derart große Verunsicherung sorgt, müssen in den Top-Nachrichten- und Politiksendungen auch Grundton und Ausstrahlung der Moderatorinnen und Moderatoren sitzen. Ich habe mir rund um 9/11 auch die Frage gestellt, ob es angemessen ist, die Sendung mit einem angedeuteten Lächeln zu beginnen oder ob das dem Ernst der Lage nicht gerecht wird. Und ich habe mich entschieden: Doch, ein freundlicher Einstieg ist richtig. Und das habe ich auch all die Jahre beibehalten. Darin sehe ich auch eine meiner Aufgaben als Moderatorin.
Aus der heraus es sowohl bei Nachrichten also auch Gesprächssendungen wichtig ist, zunächst mal eine kommunikative Wohlfühlatmosphäre zu schaffen?
Wohlfühlatmosphäre trifft es nicht. Es geht um ein leises Lächeln, einen freundlichen Eindruck, den man zu Beginn macht. Mehr nicht.
Mussten sich Lachen und Ruhe dennoch gegen die weltpolitische Krisenhaftigkeit Ihrer gesamten Laufbahn im politischen Journalismus durchkämpfen oder kam beides quasi von innen aus dem Gemüt heraus?
Weiß ich nicht so genau. Ruhe ist wichtig, Souveränität, journalistische Kompetenz und gute Vorbereitung sowieso, darüber brauchen wir nicht zu reden. Lachen, wenn es passt, und Pausen können eine gute Moderationstechnik sein, die es Zuschauerinnen und Zuschauern gestattet, wenn man so will, mitzufühlen. Dazu fällt mir ein Beispiel ein, das allerdings auch aus dem Jahr 2001 stamm…
Nur zu.
Es war ein paar Tage nach den Anschlägen vom 11. September. Wir hatten einen Beitrag über die Feuerwehrleute am Ground Zero im Programm. Und einer davon kommt total erschöpft über und über mit dieser weißen Asche bedeckt aus den Ruinen des World Trade Centers auf die Kamera zu. Es war der Tag, an dem klar war, dass die Bergungsarbeiten eingestellt werden, es also keine Hoffnung mehr gab, noch Überlebende unter den Trümmern zu finden. Und dieser Feuerwehrmann, ein großer, kräftiger Mann, kommt nun also auf die Kamera zu, und man sieht, wie er einem Kollegen in die Arme fällt und bitterlich zu weinen beginnt. Das war das letzte Bild des Beitrags, den ich vorher nicht kannte, danach war ich wieder im Bild und musste mich echt zusammenreißen, um nicht auch in Tränen auszubrechen.
Ein menschliches, aber heikles Gefühl, weil es an der journalistischen Distanz kratzt…
Genau! Ich habe dann kurz innegehalten, habe bewusst eine Pause gemacht. Einerseits, um mich zu sammeln, andererseits, um den Zuschauerinnen und Zuschauern Zeit zu lassen und damit auch der Situation Respekt zu zollen. Stille zuzulassen, Pausen zu machen, kann bei aller gebotenen Distanz ein starkes journalistisches Mittel sein, finde ich. Das habe ich auch in der Talkshow häufiger gemacht, hab‘ gewartet, wenn jemand nach Worten rang, bin nicht dazwischen geplatzt. Das kann man dann machen, wenn man der eigenen Frage traut und sicher weiß, dass der Ton stimmt.
Und wie lautet ihr Rezept, beides zu schaffen?
Na ja, indem man bei sich bleibt. Ich habe außerdem mein Team gebeten, mir sofort einen Hinweis zu geben, wenn ich daneben liege. Da hat mir im Zweifel auch mal jemand aufs Ohr gesagt: „bleib dran“ oder „guck nicht so streng“ oder „lass ihn jetzt mal raus, du hast ihn gestellt, mach weiter mit der Runde“. So ein Hinweis aus der Regie kann helfen. Zum Beispiel auch, wenn es darum geht, ob man gänzlich ungeübten Gästen mit dem richtigen Ton und der passenden Ansprache begegnet. Die muss man ja ein bisschen anders befragen als super erfahrene Spitzenpolitikerinnen.
Na?
Ich lege normalerweise Wert darauf, jeweils nur eine Frage zu stellen und nicht acht oder zwölf auf einmal. Bei ungeübten Gästen, die vielleicht noch nie in einer Fernsehsendung waren, habe ich Fragen aber oft verstolpert, um dem- oder derjenigen das Gefühl zu geben, dass es erlaubt ist, nach Worten zu suchen oder sich zu verhaspeln, dass hier lauter Leute sitzen, die Fehler machen und auch Fehler machen dürfen.
Und das ließ sich auf die Sportschau genauso anwenden wie auf die Tagesthemen oder Anne Will?
Das lässt sich immer anwenden und funktioniert formatunabhängig. Eigentlich geht es darum, jemandem den Raum zu lassen, den er oder sie braucht, um sich verständlich zu machen. Genauso wie man das in jedem anderen Gespräch außerhalb eines Fernsehstudios ja auch macht. Man lässt Platz, gibt Raum, man hört geduldig, im besten Fall empathisch zu. Nur sitzt man da halt in einer höchst unnatürlichen Situation, die nochmal mehr danach verlangt, sowas wie Sicherheit vermittelt zu bekommen.
Hatten Sie dennoch das Gefühl, ihr medienpolitischer Einfluss war im Ersatzparlament Talkshow nochmals größer als in den Tagesthemen, von der Sportschau ganz schweigen?
Ich finde ja nicht, dass Talkshows Ersatzparlamente sind, fand ich noch nie. Die Talkshow am Sonntagabend hat allerdings eine große Reichweite, die größte von allen. Da dreht man das ganz große Rad, haben wir im Team gerne gesagt und gemeint: Es hat einen Einfluss, wenn unsere Sendung drei bis fünf oder sechs Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer erreicht. Was da besprochen wird, wissen tags darauf dann mindestens so viele. Hinzu kommt: Zeitungen berichten im Nachklapp, Nachrichtensendungen zitieren daraus, das, was bei uns gesagt wird, verbreitet sich weiter. Das wussten wir und waren uns der Verantwortung bewusst. Und zwar in beiderlei Hinsicht: Dinge positiv zu beeinflussen, aber auch gehörig daneben liegen zu können.
Inwiefern?
Na ja, es ist uns auch nicht immer alles super gelungen. Aber wenn wir es gut gemacht haben, wie zuletzt mit unseren Nahost-Sendungen, dann konnte man in den Tagen darauf natürlich beobachten, wie sich der Diskurs verändert.
Haben Sie diesen Einfluss nur toleriert, weil politische Entscheidungen ja eigentlich in Parlamenten getroffen werden sollten, oder wollten Sie ihn auch aktiv nutzen?
Also, wir haben natürlich keine politischen Entscheidungen getroffen, waren uns als Redaktion aber unserer Reichweite und unseres Potentials bewusst. Das meinte ich. Die Fragen, die wir an Themen gestellt haben, sollten schon sitzen, die sollten was offenlegen, Dinge einordnen, Weltlagen verständlich machen. Wenn Sie vor Millionen Menschen live ein irrsinnig heikles Thema wie den neuen Gaza-Krieg diskutieren, dann sollten Sie das besser mal präzise machen und sauber abwägend, denn wir wissen alle um die aufgewühlte Stimmung, den Hass, den neu aufflammenden Antisemitismus weltweit und nicht zuletzt auch in Deutschland.
Ausgerechnet in Deutschland!
Da haben wir uns als Team echt viele Gedanken darüber gemacht, wie wir das Thema angehen, um zum Beispiel rhetorische Figuren wie das unsägliche „ja, aber…“ zu vermeiden. Da muss man konzentriert sein. Denn über 60 Minuten in einer Live-Sendung kann einem natürlich sprachlich immer mal was verrutschen, darf es hier aber nicht. Zumal, wenn der israelische Botschafter mit in der Runde sitzt, dem deutlich anzumerken war, wie verletzt er und sein gesamtes Land sind, aber auch wie aufgebracht und erschöpft er war. Ich wollte, dass mir da jetzt bitte kein einziger Satz missrät. Ist mir aber auch nicht passiert.
Aber wie schafft man es dann, selbst einer solchen Person kritische Fragen zu stellen?
Indem man die Fragen zum Beispiel einfühlsamer einfliegt als sonst.
Also nochmals zurück zur Frage der Bedeutung einer politischen Talkshow im Kontext einer Mediendemokratie: Muss man sich als Moderatorin solch bedeutender Debatten dennoch ab und zu mal wachrütteln und selbst versichern, nicht die Parlamentspräsidentin des Deutschen Bundestags zu sein, sondern bloß ein Talkshow-Host?
Nein. Ich weiß und wusste schon, was ich da tue und was meine Rolle und die meines Teams ist. Wir sind Journalistinnen und Journalisten. Wir sagen, was ist. Und mit dem, was ist, müssen wir kritisch umgehen. Mal knallhart, mal tastend und nach Erklärungen suchend wie zum Beispiel während der Pandemie.
Als anderthalb Jahre lang gefühlt jede Talkshow von Corona handelte.
Bei uns waren es mindestens 30 Sendungen in Folge, ich weiß es gar nicht mehr genau. Aber sie trafen durch die Bank auf riesiges Interesse. Es war halt eine Phase großer Verunsicherung, in der sich Millionen Menschen auch von uns Erklärung und Orientierung erhofft haben. Parteipolitischer Streit dagegen, den die Zuschauerinnen und Zuschauer sonst ganz gerne bei uns geguckt haben, schien völlig fehl am Platz. Die Menschen wollten wissen, wie es weitergeht, was die Virologinnen und Virologen sagen, wann der Spuk endlich mal vorbei ist. Aus dieser Wissbegierde entstand ja zum Beispiel auch der große Erfolg von Christian Drostens NDR-Podcast.
Coronavirus-Update, später mit seiner Kollegen Sandra Ciesek.
Es gab einfach ein riesiges Bedürfnis nach Aufklärung und Information, wie lange nicht mehr, weil jede und jeder unmittelbar betroffen war und irgendwie versuchte, mit der verwirrenden Situation klarzukommen.
Wobei das Durcheinander seither nur noch größer geworden. Der Titel Ihrer letzten Sendung am 3. Dezember lautete daher: „Ist Deutschland den Herausforderungen gewachsen?“
Wichtiger war uns sogar der Halbsatz davor: „Die neue Weltunordnung“ hatten wir die Sendung überschrieben, und dann: „Ist Deutschland den Herausforderungen gewachsen?“. Wobei Navid Kermani, der Schriftsteller und Friedenspreisträger, der zu Gast war, gleich gesagt hat, die Fragestellung sei jetzt nicht so rasend gut gelungen, weil sie das Grunddilemma deutscher Debatten zeige: Wir würden egal, was weltweit passiert, immer alles als deutsche Nabelschau betrachten.
Als ginge es immer nur um uns?
Ja. Ich fand den Titel trotzdem gut. Er passte, um nochmal alle losen Fäden des katastrophalen Jahres zusammenzubinden. Und wenn man dann gleichsam die Großwesire des Reiches zu Gast hat, wie eben Navid Kermani, die Zukunftsforscherin Florence Gaub und den Historiker Raphael Gross, dann kann man das machen.
Ein verblüffend unpolitischer Cast fürs Finale…
Immerhin ergänzt um Vizekanzler Habeck, der sich auf solche Überblicksthemen ja auch einlässt. Mit einer thematisch so breit angelegten Sendung aufzuhören, war natürlich riskant. Aber wir wollten fürs Finale die Latte eher zu hoch als zu niedrig legen.
Und wie würden Sie die Titelfrage nach den Herausforderungen Deutschlands ein paar Wochen nach dem Finale beantworten?
Dass Deutschland diesen Herausforderungen eher nicht gewachsen ist. Nehmen Sie die Landesverteidigung: Wenn Boris Pistorius neuerdings sagt, wir müssten „kriegstüchtig“ werden, müssten Putins Drohungen ernstnehmen und hätten noch fünf bis acht Jahre, uns als Land und NATO-Mitglied auf einen möglichen Angriff vorzubereiten, dann sagt er das, weil Deutschland alles andere als kriegstüchtig ist. Und die Lage dürfte sich weiter verschärfen, wenn die USA ihre Militärhilfe für die Ukraine zurückfahren. Dann kommt es ja nochmal mehr auf uns an. Die Lücke kann Europa aber nicht füllen, geschweige denn Deutschland alleine.
Und da wären wir noch lange nicht beim sehr viel komplizierteren Gaza-Krieg.
Tja, da müssten wir uns eigentlich fragen, was denn die vielbeschworene Staatsräson konkret bedeutet. Was wäre denn, wenn es zum Beispiel einen noch größeren Krieg etwa mit dem Iran gäbe. Enthält sich Deutschland dann nicht mehr bei UN-Resolutionen? Unterstützt es Israel mit Waffen? Und falls ja: womit genau? Wir haben dafür weder Material noch Manpower …
Es ist interessant, dass Sie auf die Frage nach den Herausforderungen Deutschlands zunächst außen- und sicherheitspolitisch antworten, statt innen- und gesellschaftspolitisch, wo es vom Klimawandel über den Fachkräftemangel bis hin zur rechtspopulistischen Gefahr mindestens ebenso große Gefahren gibt.
Das liegt sicherlich daran, dass Außenpolitik das Thema der letzten Sendung war, ist aber dennoch ein guter Hinweis. In Ihrer Auflistung fehlt nur noch der anhaltende Haushaltsstreit. Und bei keinem dieser Konfliktfelder hat man den Eindruck, Regierung oder Opposition handelten visionär oder wie aus einem Guss.
Gehen der Mensch und die Journalistin Anne Will auch damit unterschiedlich um?
Also diese Trennung, die Sie da machen, verstehe ich nicht. Wenn ich privat diskutiere, bin ich sicherlich aufgebrachter. Etwa in Sachen Unterstützung der Ukraine oder auch beim Umgang mit der Klimakrise. Da hatte ich mir von der Bundesregierung mehr versprochen als das, was jetzt auf den Weg gebracht ist. Als Journalistin bin ich da nüchterner und mache halt meinen Job: Recherchieren, analysieren, Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger konfrontieren, nachhaken.
Aber kommt jetzt denn der Mensch Anne Will stärker zum Tragen als die Journalistin, zeigen Sie mehr Gefühle, Haltung, Subjektivität?
Nee, die Journalistin wird bei dem, was ich als Nächstes mache, stärker zum Vorschein kommen als bislang in meiner Rolle als Moderatorin der Talkshow. Moderieren ist ja nur eine Spielform unseres Berufs. Da war ich schon auch sehr der Neutralität verpflichtet. Überparteilichkeit braucht es in unserem Beruf eh, das ist ja klar, aber wer eine so genannte „Rundendiskussion“ moderiert, der muss nochmal anders arbeiten. Der oder die darf sich auf keine Seite schlagen, sollte neutral bleiben, muss am besten bei jeder Frage die jeweilige Gegenposition zur Position der Befragten einnehmen, um die Diskussion in Gang zu bringen. Man darf nicht riskieren, plötzlich selbst zur Diskussionsteilnehmerin zu werden. Dann killt man die Debatte und verliert jede Steuerung.
Ihre viel jüngere, aber höchst erfahrene Kollegin Sophie von der Tann hat dazu gesagt, sie möge den Begriff Neutralität nicht und würde ihn gern durch Objektivität ersetzen.
Klug!
Ist es schwierig, neutral oder objektiv zu bleiben, wenn viele ihrer Gesprächspartnerinnen und -partner das genaue Gegenteil davon sind?
Ob schwierig oder nicht: Objektivität ist das Nonplusultra. Darum müssen sich Journalistinnen und Journalisten immer bemühen. In meiner speziellen Rolle passte das Bemühen um Neutralität den Positionen der Gäste gegenüber aber noch besser. Eine Korrespondentin wie Sophie von der Tann hat einen anderen Job. Wer über einen so aufgeladenen Konflikt mit so viel Leid berichtet, der oder die kann nicht neutral, im Sinne von: unbeteiligt berichten. Aber es gilt objektiv zu bleiben, sonst handelt man ganz schnell nicht mehr journalistisch, sondern aktivistisch. Spätestens das wäre der Punkt, an dem man den Beruf an den Nagel hängen müsste.
Und wie ist es als Moderatorin?
Das habe ich ja versucht, zu erklären. Aber mal ehrlich: Ich habe das jetzt mehr als 16 Jahre gemacht, ungefähr dreimal so lang wie jeden meiner Jobs zuvor. Jetzt ist erstmal gut mit Moderatorin einer Talkshow; ich will wieder stärker als Journalistin kenntlich sein. Darauf freue ich mich total.
Wobei man beim Querschauen ihrer Talkshows auch selten das Gefühl hatte, Sie würden allzu subjektiv agieren. Haben Sie in all den Jahren überhaupt mal jemanden richtig à la Lanz gegrillt?
Ich bin nicht sicher, ob „Grillen“ eine Technik ist, die in Journalismus-Seminaren gelehrt wird (lacht), weil dabei gern mal eine gewisse Unfairness mitschwingt. Aber wenn Sie es auf „hartnäckig nachfragen“ bringen, dann habe ich das dauernd gemacht. Man darf und muss Leute nachdrücklich zur Verantwortung ziehen für Dinge, die sie zu verantworten haben. Im Fall von Sahra Wagenknechts Russland-Bild etwa habe ich das zuletzt mehrfach getan. Und kurz, nachdem Alexander Gauland gesagt hatte, niemand wolle Jérôme Boateng als Nachbarn haben…
Während der sogenannten Flüchtlingskrise in einem FAZ-Interview.
…habe ich ihm bei mir in der Sendung den Mitschnitt einer seiner Reden vorgespielt, bei der er was Kritikwürdiges gesagt hatte. Und was behauptet Gauland? „Das hab‘ ich nicht gesagt!“ Da habe ich ihm die Stelle nochmal vorgespielt und immer wieder gefragt, er könne doch jetzt nicht behaupten, es nicht gesagt zu haben, wir hätten es ja nun alle gehört. Irgendwann platzte Heiko Maas, damals Bundesjustizminister, der Kragen, der mit in der Runde saß.
Was hat Sie als Medienkonsumentin da persönlich mehr geprägt: Kragenplatz-Pranger wie Der heiße Stuhl mit Ulrich Meyer oder einfühlsames Abtasten à la Heut‘ Abend mit Blacky Fuchsberger?
Beides hatte seine Daseinsberechtigung, lässt sich aber nicht miteinander vergleichen. Es kommt, wie ich finde, drauf an, was man gerade macht. In den Tagesthemen zum Beispiel habe ich in der Regel hart konfrontativ gefragt. Etwa den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder, der mir danach kein Interview mehr geben wollte.
Ein Ritterschlag?
(lacht) Eher ein bisschen schade; ich hätte ihn später – jetzt nicht mehr – gern wieder zu Gast gehabt, aber er hatte sich ungerecht von mir behandelt fühlte. Das war es aus meiner Sicht nicht; er hatte halt nur nicht damit gerechnet, dass ich bei einer Schalte nach Washington mit dem ungeschriebenen Gesetz breche, Kanzler bei Auslandsbesuchen nicht innenpolitisch zu befragen.
Worum ging es dabei?
Um die Vertrauensfrage, die er tags zuvor angekündigt hatte. Ich wollte wissen, ob er damit rechnet, damit durchzukommen und hab das mit der zugegeben etwas übertriebenen Behauptung begründet, 80 Millionen Bundesbürgerinnen und Bundesbürger würden das jetzt echt gern von ihm wissen. Ein Teil von denen fand es im Anschluss unbotmäßig, so mit dem Bundeskanzler zu reden, der andere Teil meinte das Gegenteil. Aber das war weder Heißer Stuhl noch Heut‘ Abend, sondern einfach kritischer Journalismus.
Dann zwei andere Referenzgrößen zur Auswahl: Michel Friedman und Reinhold Beckmann, also eher Konfrontation oder Einfühlungsvermögen?
Eher Konfrontation, aber eben auf meine Art. Ich will mich da aber gar nicht mit Kolleginnen und Kollegen vergleichen, die allesamt herausragende Fähigkeiten haben.
Hatten, haben Sie denn so etwas wie Vorbilder?
Hatte ich. Allen voran Juliane Bartel. Als ich Anfang der Neunzigerjahre volontiert habe, war sie Radio-Moderatorin bei SFB2 und neben Giovanni di Lorenzo Gastgeberin bei 3 nach 9. Ihre knallhart fragende Lässigkeit wollte ich mir abgucken. Ich erinnere mich an ein Interview mit einem Berliner Immobilienhai, der sich irgendwann nur noch bitterlich über ihre Fragen beklagte. Dann hörte man sie lange an der Zigarette ziehen, genüsslich ausatmen und dann sagen: „Ach, Herr Bendzko, mir kommen die Tränen.“ Sensationell!
Aber weder neutral noch objektiv!
Dafür sausouverän von der Palme runter auf den Boden der Tatsachen geholt.
Als Frau einer männerdominierten Zeit zumal, in der Journalistinnen generell in der Minderheit waren und auch eher mit defensiv assoziiert wurden.
Total. Schon deshalb hatte ich mir Juliane Bartel zum Vorbild genommen, bis aufs Rauchen wollte ich genauso werden. Wahnsinnsstimme, tolle Präsenz, in meinem Verständnis als 26-jährige Volontärin eine echte Vorreiterin.
Wobei Sie das auch waren. Sie haben als erste Frau die Sportschau moderiert und den prominentesten Sendeplatz der Talkshow-Landschaft übernommen.
Aber Herr Freitag, haben Sie da jetzt nicht jemanden vergessen?
Herrje – Sabine Christiansen natürlich, die auch Ihre Vorgängerin bei den Tagesthemen war. Trotzdem waren Sie früh prominent in einer Branche vertreten, die seinerzeit noch männlich dominiert war. Was war für die Gleichberechtigung da einschneidender: Ihre Rolle im Sportjournalismus oder der politischen Debattenkultur?
Wenn überhaupt, dann habe ich mit der Sportschau noch was freigekämpft. Denn da sah ich mich tatsächlich noch mal mit spießigsten Zweifeln konfrontiert, ob Frauen sowas überhaupt können. Im Politjournalismus hatte aber zum Beispiel Sabine Christiansen bereits etliche Schlachten geschlagen, die bei den Sportkommentatorinnen ja bis heute andauern.
Claudia Neumann kriegt heute noch bei jedem kommentierten Fußballspiel einen Shitstorm, als lebten wir in den Fünfzigern…
Tja, traurig, aber wahr, der Kampf um Gleichstellung ist eben längst nicht gewonnen, da muss man dranbleiben. Deshalb wollte ich auch immer möglichst viele, auch junge Frauen im Team haben – egal, mit wie vielen Schwangerschaften man dann als Arbeitgeberin umgehen muss. Das sage ich nur, weil das ja immer noch manchen Einstieg verhindert. Und ich sage es auch, weil sich in dem Zusammenhang in den zurückliegenden 16 Jahren tatsächlich was zum Besseren verändert hat.
Zum Beispiel?
Dass mittlerweile dann doch ein paar mehr Männer in Elternzeit gehen, und zwar auch mehr als die üblichen zwei Monate. Und: Manch einer kündigt so einen Plan selbstverständlich ungefragt auch schon beim Vorstellungsgespräch an. Als mir das passierte, war ich wirklich baff und fand es super. Eine meiner Mitarbeiterinnen sagte mal, wahre Gleichstellung hätten wir erst, wenn Arbeitgeber auch bei jungen Männern als erstes damit rechneten, dass sie demnächst sicher in Elternzeit gehen. Recht hat sie. So weit sind wir aber nicht. Da gibt es ja mit der neuen Elternzeitregelung eher wieder eine Form von Backlash. Umso wichtiger ist, auch an der Repräsentation von Frauen zu arbeiten. Wir hatten uns deshalb die Regel gesetzt: mindestens zwei Frauen in der Runde zu haben.
Inklusive oder exklusive Ihrer Person?
Exklusive. Und das klappt auch. Leicht ist es allerdings immer noch nicht. Denn Männer sind in Entscheidungs- und Leitungsfunktionen nun mal weiterhin in der Mehrheit. Nehmen wir die Parteien: Bei FDP und CDU/CSU kommt man da, anders als bei Grünen und SPD, schnell an Grenzen, weibliche Vorsitzende in eine Sendung einladen zu wollen.
Gibt es geschriebene oder ungeschriebene Regeln, wie genau Talkrunden zusammengesetzt sein sollten oder besser nicht, also was das Verhältnis von Männern und Frauen, Wissenschaft und Politik, Biodeutschen und Zugewanderten, Prominenten und Ottonormalverbraucherinnen betrifft?
Nein, das gibt es nicht. Besetzungen von Runden sind rein journalistische Entscheidungen. Es geht darum, unterschiedliche Positionen und Perspektiven vertreten zu sehen. Terminfragen von Wunschgästen können noch eine Rolle spielen. Mindestens zwei Frauen dabei zu haben, war halt unsere Regel. Jemand von der Regierung und der Opposition dabei zu haben, kann nicht schaden, muss aber nicht sein. In der letzten Sendung war nur ein Politiker dabei. Geht auch. Aber eine Pandemie-Ausgabe ohne Virologin oder Virologen? Schwierig! Wichtig ist, was die Person beizutragen hat, weniger wen sie repräsentiert.
Hatten Sie je persönliche Präferenzen, mit wem Sie lieber sprechen?
Am liebsten spreche ich mit eloquent argumentierenden, lebendigen, leidenschaftlichen Menschen. Da ist mir ihre Funktion erstmal herzlich egal. Menschen, die sich reinwerfen in die Thematik, denen ich sowas wie Wahrhaftigkeit abnehme und die am Ende womöglich sogar die Größe haben, sich vom besseren Argument überzeugen zu lassen.
Trifft all dies auf Laien, die verglichen mit früher zusehends häufiger in Talkshows sitzen, eher zu als auf Profis?
Da mache ich keinen Unterschied. Und so neu ist die Entwicklung hin zu Gästen ohne Kamera-Erfahrung auch gar nicht. Wir jedenfalls haben damit schon 2007 begonnen. Wir haben ihnen damals sogar einen eigenen Platz zugewiesen, der dann gleich mal geringschätzig „Betroffenensofa“ genannt wurde.
Puh.
Tja (lacht). Wir sind irgendwann davon abgekommen, in jeder Sendung eine Betroffene zu haben, und haben dann doch wieder mehr auf Multiplikatoren gesetzt. Bürgermeister zum Beispiel, Gewerkschafts- oder Städtetagvertreterinnen, die nicht nur für sich, sondern für viele sprechen können. Aber wir haben in 553 Sendungen und mehr als 1300 Gäste wirklich alle möglichen Gäste bei uns gehabt – vom zu Unrecht wegen Mordes Verurteilten bis hin zur Supermarktverkäuferin, die wegen eines angeblich geklauten Pfandbons über 20 Cent ihren Job verloren hatte.
Wen hätten Sie denn – prominent oder nicht – gern mal in Ihrer Sendung gehabt, aber nie bekommen oder es gar nicht erst versucht?
Lustigerweise habe ich mich in der Tat jahrelang darum bemüht, einmal Navid Kermani in die Sendung zu bekommen, der tatsächlich noch nie in einer Talkshow war. Sein erster Auftritt in meiner letzten – das hat mich riesig gefreut.
Und sonst so?
Na ja, da sagt man dann üblicherweise: der Papst, Joe Biden, Barack Obama. In Wahrheit habe ich aber gar nicht von grandiosen Namen, sondern von bestmöglichen Runden zu richtig guten Themen geträumt.
Könnten Sie sich vorstellen, noch mal in einer anderen Talkshow an anderer Stelle bestmögliche Runden zu richtig guten Themen zusammenzustellen?
Klar, kann ich mir das vorstellen. Ich habe meine Sendung ja gerne moderiert, rasend gerne sogar. Sonst hätte ich es auch nicht so lange gemacht. Aber das ist aktuell nicht das erste auf meiner Liste.
Wovor haben Sie denn diesbezüglich mehr Angst: Unterforderung und Langeweile oder einen Preis fürs Lebenswerk zu kriegen?
Sehr schöne Frage. Für den Lebenswerkpreis bin ich zu jung und gegen Unterforderung und Langeweile werde ich schon was tun. Bei beidem besteht also vorerst kein Grund zur Sorge.