Maischbergers Nuhr & Schalkos Kafka
Posted: March 25, 2024 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen | Leave a commentDie Gebrauchtwoche
18. – 24. März
Ob und wie viel Rücksichtnahme, gar Pietät vonnöten ist, entscheiden empathische Gemüter meist mittig zwischen Herz und Hirn. Dort also, wo sie eigene Emotionen mit denen anderer irgendwie austarieren. Bei Boulevardmedien wie RTL dagegen gibt es weder den Begriff der Rücksichtnahme noch Pietät. Entscheidungen fallen daher grundsätzlich mittig zwischen End- und Mitteldarm. Auch jene also, ein Kate-Spezial zu zeigen.
Nur Stunden zuvor hatte die Princess of Wales ihre Krebserkrankung publik gemacht. Für Sender mit Herz und Hirn ein Moment des Innehaltens, wie er sich auch nach Fritz Weppers Tod gehört. Für Sender ohne Herz und Hirn bietet es indes die Gelegenheit, beides auszuschalten, damit das Stammpublikum einschaltet. So funktioniert nun mal die Aufmerksamkeitsökonomie, in der auch Dieter Nuhr nach Kräften mitmacht.
Umso irritierender, dass er Mittwoch bei Sandra Maischberger in einer Sendung zur Spaltung der USA gravitätisch dreinblickend die der deutschen Gesellschaft beklagen durfte, ohne dass sie ihn groß mit seiner fundamentalistischen LinksgrüngenderwokenessF2F-Feindlichkeit konfrontiert hätte. Im Gegenteil. Sie stellte den AfD-Liebling als AfD-Gegner dar, der sich entsprechend zum Opfer von, tja – was eigentlich stilisieren durfte?
Kritik ganz generell vermutlich. Die gab es vorige Woche aber auch in konstruktiver Form. Nämlich beim Deutschen FernsehKrimi-Preis, den unter anderem die Podcast-Verfilmung ZEIT-Verbrechen erhielt. Noch mehr würde sich X Filme Creative Pool zwar über eine Abspielplattform freuen, nachdem sich Paramount+ aus der deutschen Inhaltsproduktion komplett zurückgezogen hat.
Aber so eine Trophäe dürfte die Suche vermutlich befeuern. Weitere Preisträger übrigens: Allerlei mit Landkrimi oder Tatort im Label. Und apropos Label: House of Dragons, zugkräftig-lukratives Prequel im endlosen GoT-Universum kriegt ab Juni die 2. Staffel und belegt damit, was eigentlich alle längst wissen: Dass einmal zugerittene Fernsehpferde reiten müssen, bis sie sterben.
Die Frischwoche
25. – 31. März
Und manchmal sogar darüber hinaus. Deutsches Historytainment zum Beispiel ist im Grunde tot, seit Miguel Alexandre Die Frau vom Checkpoint Charlie 2007 auf 1982 bügelte. Ab Donnerstag dekoriert RTL+ nun Bochum für Disko 76 zurecht, wo Jannik Schümann den popkulturellen Aufbruch im Ruhrpott jener Tage simuliert. Die sechs Folgen à 45 Minuten sind auf so lächerliche Art überkostümiert, dass Mettigel in verbleitem Benzin bekömmlicher wärne.
Oder sagen wir: Teil 2 der Passion, die RTL am Mittwochabend durch Kassel treibt – und wieder freut sich die hauseigene Promi-Kaderschmiede auf Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, etwa für Ben Blümel als Jesus, Nadja Benaissa als Maria, Timur Ülker als Petrus, Jimi Blue Ochsenknecht als Judas und kein Scherz: der Autor dieser Zeilen als Kreuzträger-Komparse, Donnerstag nachzulesen bei DWDL.
Vorher gibt’s aber noch verblüffendes Fernsehen wie das sechsteilige Biopic Kafka. Zum 100. Geburtstag spielt der famose Joel Basman den weltweit meistverkauften deutschsprachigen Schriftsteller im Kreis eines beispiellosen Casts von Lars Eidinger bis Verena Altenberger. Wenn das Erste Dienstag/Mittwoch zwei Dreierfolgen zeigt, dürfte die Quote allerdings nicht nur wegen des morgigen Länderspiels bei RTL mies sein.
So experimentelles, originelles, herrlich wirres Historytainment wie David Schalkos nach Daniel Kehlmanns Buch ist dem Durchschnittspublikum nämlich kaum zuzumuten. Das schätzt eher Krimis wie Signora Volpe. Drei Teile lang ermittelt die britische Geheimagentin im italienischem Urlaubsidyll, und wer dachte, nur Deutsche können derart bescheuerte Ausflugsmorde lösen – hier ist der Gegenbeweis.
Empfehlenswerter ist dagegen – zumindest für Märchenfans – ab Freitag die Disney-Serie Renegade Nell um eine Engländerin mit Superkräften auf ihrer achtteiligen Flucht vor Magie und Machismo der frühen Neuzeit. Und immerhin erwähnenswert: A Bloody Lucky Day, ein zehnteilige Mystery aus Südkorea (Freitag, Paramount+) und zeitgleich bei Apple TV: STEVE!, ein zweiteiliges Porträt des Komikers S. Martin.
Kates Bilder & GoTs Nachfolger
Posted: March 20, 2024 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen | Leave a commentDie Gebrauchtwoche
11. – 17. März
Man fragt sich angesichts der anhaltenden Debatte um falsche Fotos aus dem Buckingham Palast ja schon, was merkwürdiger ist: Dass Bilder kursieren, die nicht den wahren Zustand von Prinzessin Kate darstellen. Oder dass überhaupt jemand erwartet, es könnte Bilder von ihr geben, die etwas anderes als Fake sind, also – hüstel – der Wahrheit entsprechen. Schließlich ist es seit jeher Teil der erhabenen Wirklichkeit, genau die im Sinne profaner Ansprüche zu gestalten.
Anders gesagt: Ob mit KI, simpler Retusche oder der strikten aristokratischen Angebotspolitik – nichts, was aus Königshäusern nach außen dringt, geschieht zufällig, ist also auch nur annähernd authentisch. Schon drollig, dass selbst seriöse Medien solch ein Aufhebens um den wahren Zustand irgendwelcher Royals machen. Zumindest hierzulande ist da doch weitaus interessanter, was Peter Kloeppel macht.
Aufhören nämlich. Und das ist wirklich mal der Rede wert. Denn als der Henri-Nannen-Schüler 1993 zu RTL ging, war der Sender unseriöser als eine Peepshow unweit seiner Journalistenschule in Hamburg. Peepshows sind mittlerweile zwar verboten und der frühere Marktführer hat auch weiterhin die Seriosität einer vergessenen Unterhose im Stundenhotel. Aber Peter Kloeppel – der stand fast 30 Jahre lang fürs halbe Prozent Anspruch, den sein Arbeitgeber nur kurz mal erfüllen wollte.
Dazu passt, dass RTL dieses Jahr keinen Grimme-Preis kriegt, wie überhaupt nahezu ausnahmslos öffentlich-rechtliche Produktionen prämiert wurden. Wobei geehrt: Dass die Sieger Nichts, was uns passiert, Tamara und Sam – Ein Sachse mit der toxisch-obszönen Macho-Exkulpation Boom Boom Bruno um den Titel beste Fiktion konkurriert haben und weder das sensationelle Historytainment Deutsches Haus noch die herausragende BRD-Doku Capital B gewonnen haben, lässt gehörig am Sachverstand der Jury zweifeln.
Die Frischwoche
18. – 24. März
Umso mehr steht zu befürchten, dass die Fortsetzung der harmlos depperten Glubschaugen- Satire Miss Merkel, seit gestern bei RTL+ zu sehen, 2025 im Marler Lostopf steckt, während die Fortsetzung der abermals hinreißend originellen Coming-of-Age-Real-Groteske Oh Hell, ab Donnerstag bei Magenta TV, wohl wieder leerausgeht – und damit die letzte fiktionale Eigenproduktion des Streamingdienstes der Telekom.
Das ist wirklich schade, wird vom Konkurrenzprogramm dieser Woche allerdings an den Rand der Aufmerksamkeitsschwelle verdrängt. Parallel startet bei Netflix nämlich 3 Body Problem, und wer die chinesische Romanvorlage nicht kennt: Darin geht es acht Teile lang um fünf Physiker, die mit der möglichen Ankunft Außerirdischer konfrontiert werden. Für geschätzte 25 Millionen Dollar pro Folge wird daraus nun ein opulentes SciFi-Drama.
Wobei schon die Showrunner andeuten, welche Wucht es entfaltet: Die GoT-Macher David Benioff & D.B. Weiss haben sich des angeblich unverfilmbaren Stoffes angenommen und nicht weniger als Kino fürs Fernsehen daraus gemacht, das zum Fettesten zähl, was bislang je gestreamt wurde. Fett vor allem, weil es ein bildgewaltiges, wissenschaftsaffines, aber nie verkopftes Panoptikum zivilisatorischer Ängste entwirft, das nie in billigen Budenzauber abdriftet.
Auf kleinerer Flamme köchelt hingegen ab Freitag in der Mediathek hingegen Friedefeld, nach ARD-Angaben die „erste deutsche Animated Sitcom“. Zehnmal 25 Minuten orientiert sich die Bevölkerung des anarchistischen Zeichentrick-Städtchens um den Prokrastinierer Paul (gesprochen von David Kross) spürbar an Formaten wie Family Guy oder Bob’s Burger, erreicht zwar zu keiner Zeit deren Aberwitz, ist aber ziemlich kurzweilig.
Was auf heitere Art auch für den Comedy-Zehnteiler Palm Royale um Kristen Wiig als gewöhnliche Frau gilt, die in den Siebzigerjahren versucht, im Jet Set von Palm Springs Fuß zu fassen. Und auf ernste Art gilt es ebenso für die deutsche Doku Bittere Früchte, in der Arte in seiner Mediathek unseren irrsinnig umweltfeindlichen, weil ausschließlich egoistischen Nahrungsmittelkonsum unter die Lupe nimmt.
Oppenheimers Oscars & RTLs Reality Stars
Posted: March 11, 2024 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen | Leave a commentDie Gebrauchtwoche
4. – 10. März
Darf man das, der Unterhaltung in Zeiten globaler Krisen Priorität einräumen, im Tsunami reaktionärer Shitstorms also einfach mal arglos durchs Entertainment schippern und eskapistischer Gelassenheit nach Hollywood schalten? Darf man, kann man, muss man sogar! Schließlich sind die Oscars auf apolitische Art hyperpolitisch und dennoch gute Alltagsablenkung.
Schon weil Christopher Nolans subtiler Friedensappell Oppenheimer acht Stück gewann, der lipstickfeministische Zuckerschock Barbie dagegen nur einen für die Musik. Weil das Auschwitz-Kammerspiel The Zone of Interest doppelt prämiert wurde, aber der 75. Teil des Action-Geballers Mission Impossible ebenso oft leerausging. Weil letzteres nicht nur für Sandra Hüller gilt, sondern auch die zwei Netflix-Beiträge Nyad und Maestro.
Das Streaming-Zeitalter dürfte damit zwar nicht vorbei sein, sah aber auch schon mal glänzender aus. Was das lineare Fernsehen aber keineswegs erfreuen sollte. Dort herrscht mal wieder ideologisches Durcheinander. Was nicht nur am öffentlich-rechtlichen Umgang mit Nastassja Kinskis Vorwurf liegt, als halbes Kind zu Nacktszenen Tatort Reifeprüfung genötigt worden zu sein, was der NDR mit sabberndem Hinweis auf den Siebziger-Zeitgeist abgebügelt.
Chaotisch ist auch das Talkshow-Gebaren. Während Olaf Scholz der Legende 3 nach 9 eine furchtbar belanglose Audienz gewährte, hat Uschi Glas im Kölner Treff bei milder Intervention von Micky Beisenherz nämlich das N****-Wort benutzt. Kein gutes Omen Mario Voigts CDU-Plan, Bernd Höcke per Rededuell „zu stellen“. Zumal es in Ulf Poschardts altrechtem Jagdrevier Welt TV stattfände, der sich beim Gedanken an den Kraft-durch-Freude-Machismo à la AfD vermutlich im Porsche selbstbefriedigt.
Ob GDL-Führer Weselsky angesichts seiner Macht über Land und Leute dasselbe im ICE tut, hängt vom Streikplan ab. Der Tarifstreitgegner aber bleibt so konstant in den Schlagzeilen, dass das ZDF die Contenance verliert. Vorigen Dienstag lief eine derart voreingenommene, schlampig recherchierte, bewusst irreführende Ausgabe der Reihe Die Insider, Episodentitel Tricks hinter den Kulissen, dass sie aus der Mediathek verschwand und gern im digitalen Jenseits bleiben darf.
Die Frischwoche
11. – 17. März
Im digitalen Diesseits gibt’s ja auch so viel zu sehen. Guy Ritchies Netflix-Serie The Gentlemen zum Beispiel, eine Fortführung seines gleichnamigen Films um englische Aristokraten, die an eine Cannabis-Plantage unterm eigenen Landsitz und damit in Teufels Küche der organisierten Kriminalität geraten – was wie immer bei Ritchie routiniert zwischen Gewaltästhetik und Aberwitz kreiselt.
Zumindest letzteres bildet auch das Wesensmerkmal der vierteiligen Rocko Schamoni Supershow des Hamburger Trash-Entertainers (ab Mittwoch, ARD-Mediathek). Auf weniger charmante Art gilt es aber auch für The 50. So viele Cup-D-Promis wie Cosimo Citiolo und Cora Schumacher oder Diogo Sangre und Djamila Rowe versammelt RTL ab heute in einem Schloss zum Get-together der „bekanntesten deutschen Reality-Stars“.
Und ehrlich: das ist exakt so schrecklich, wie es klingt. Besser als alle spontanen Vorurteile, die ein Endzeit-Thriller namens Helgoland 513 um den Kampf der Überlebenden einer globalen Katastrophe auf der deutschesten aller Inseln hervorruft, ist da die siebenteilige Dystopie ab Freitag bei Sky. Weitaus schlechter gerät demgegenüber das fünfteilige Neo-Original Bauchgefühl.
Schade eigentlich. Denn Laura Berlin als abtreibungswilliger Thirty-Something, die es ab Donnerstag in der ZDF-Mediathek mit einer paternalistisch-ignoranten Gesellschaft zu tun kriegt, hat alles für ein tiefgründiges Stück über deutsche Doppel- bis Dreifachmoral. Leider klotzt sie stattdessen mit billigen Klischees. Was parallel vermutlich auch für die Anwaltsserie Mandat für Mai an gleicher Stelle gilt.
Daher noch drei ehrliche Tipps: Der Achtteiler The Brigade (Dienstag, Magenta TV) um eine extrem diverse Pariser Eliteeinheit und was die Nähe zur Kriminalität mit Kriminalitätsbekämpfenden macht. Der Siebenteiler Nach dem Attentat (Freitag, Apple TV) um die Jagd auf den Mörder von Abraham Lincoln 1865. Und Robot Chicken (Samstag, Comedy Central), eine Stop-Motion-Variation von Star Wars, die man eigentlich nur lieben kann
Florian David Fitz: Terror & Signale
Posted: March 8, 2024 | Author: Jan Freitag | Filed under: 4 donnerstagsgespräch | Leave a commentJeder gelebte Tag ist Futter für den Beruf

Florian David Fitz (Foto: Anika Molnar/Netflix) war lange der schludrige Lover vom Dienst. Seit Terror wurde er spürbar ernster – und darf jetzt den Witwer einer Astronautin im vierteiligen SciFi-Drama Das Signal bei Netflix spielen. Ein Gespräch über deutsche Mystery, die Angst vorm Fremden und ob eigentlich alles gut wird.
Von Jan Freitag
freitagsmedien: Herr Fitz, Netflix kündigt Das Signal als Science-Fiction-Mystery-Thriller an. Aber ist nicht eigentlich ein gesellschaftskritisches Familiendrama?
Florian David Fitz: Naja, das ist genau, was ich von Anfang an am Stoff mochte. Er ist beides. Das kleine Drama im großen Ganzen: das Rätsel, das die abgestürzte Astronautin der Welt hinterlässt, und das ganz kleine Drama ihrer Tochter, um die sich der hinterbliebene Vater fortan allein kümmern muss, während er versucht das Rätsel zu lösen.
Konnten Sie dafür auch ein bisschen aus ihrem Privatleben als Familienvater schöpfen?
Klar hilft das. Das ist ja das Schöne am Schauspielen. Jeder gelebte Tag ist Futter für den Beruf. Aber unsere Gefühle kleinen Kindern gegenüber, kommen doch direkt vom Stammhirn. Das kann jeder nachvollziehen. Ich musste auch mit 17 schon heulen, als Meryl Streep sich bei Sophies Entscheidung an der Rampe im KZ für eines ihrer Kinder entscheiden soll. Das lässt keinen fühlenden Menschen unberührt. Was eigene Kinder allerdings bewirken: Sie machen einen empfindlicher.
Inwiefern empfindlicher?
Jetzt kann ich mir die Szene in Sophies Entscheidung nicht mal mehr anschauen. (lacht)
Machen Kinder auch optimistischer? Ihr Sven sagt allein in der ersten Folge mindestens achtmal zu Charlie, alles wird gut, obwohl gar nichts gut wird.
Vielleicht sagt sich Sven das Mantra auch selbst vor, damit er durchkommt. Aber darum geht es in der Serie: Du kannst dein Kind nicht vor der Wahrheit schützen, indem du die Unwahrheit sagst, musst aber auch abwägen, was man ihm zumuten kann. Das ist unglaublich schwer, abzuwägen.
Sind Sie denn eher der Wahrheits- oder der Beschwichtigungstyp?
Als Vater weiß ich das noch gar nicht, dafür sind meine Kinder zu klein. Aber als Mensch bin ich definitiv kein Beschwichtigungstyp (lacht). Ich sage nie, alles wird gut, wenn es schlecht zu werden droht. Was aber nicht heißt, dass ich ein Pessimist bin. Mir kommt es in der aktuellen weltpolitischen Lage nur so vor, dass wir immer mal wieder im Dreck unserer Geschichte landen müssen, um etwas zum Besseren zu verändern. Wir müssen beim Baden im Meer den Mund voller Plastik haben, damit wir merken, davon zu viel zu produzieren. Wir haben einen klugen Kopf auf den Schultern, aber….
Holen aber nicht das Optimum raus.
Milde ausgedrückt nein. Aber vielleicht hängen wir das mit der Vernunft zu hoch. Die Vernunft kostet uns viel. Sie entspringt uns nicht unbedingt mühelos. Wir sind intelligente Tiere. Schwierige Kombination.
Transportiert die Netflix-Serie diesbezüglich Botschaften?
Was meinen Sie denn?
Eine Botschaft könnte die Angst vorm Fremden sein und wie sehr sie uns im Wege ist.
Unbedingt. Und je weiter die Serie fortschreitet, desto mehr. Verkörpert unter anderem ja von meiner Figur. Ein Zyniker, der als Geschichtslehrer nach der Maxime lebt, der Mensch ist des Menschen Wolf, während seine Frau eher der philanthropische Typ ist. Die Wahrheit liegt natürlich in der Mitte, aber es bleibt mühsam mit unserer Spezies. Und auch deshalb gibt die Serie keine Wahrheiten vor, sondern lässt ständig alle Interpretationsräume offen.
Dabei geht Das Signal angesichts der geringen Aufmerksamkeitsspanne heutzutage ein großes Risiko ein. Die Serie ist nämlich unfassbar langsam und leise.
Finden Sie? Eigentlich passiert ja ständig etwas, die Wahrheiten drehen sich dauernd auf den Kopf. Aber eben nicht unbedingt actionmäßig. Spannung und Tempo sind ja nicht dasselbe. Ich hätte Angst, wenn Sie sagen würden, es ist langweilig. Genau deshalb ist die Bildsprache leiser Science-Fiction wie Gravity oder Interstellar sinnlich, aber zugleich spannend. Und das gilt meines Erachtens auch fürs Signal.
Stand für Sie als Ko-Autor dabei je im Raum, dass Sie den Astronauten spielen und Peri Baumeister die daheimgebliebene Geschichtslehrerin?
Nee, nie. Natürlich steckt auch ein emanzipatorisches Element darin, klassische Rollenmuster aufzubrechen, aber wir wollten den unkonventionellen und damit auch interessanteren Ansatz, ohne ein Riesenthema daraus zu machen. Wobei Home-Dads ja mittlerweile ebenso wenig die absolute Ausnahme sind wie geniale Wissenschaftlerinnen.
Dafür steht bei Ihnen jetzt noch immer Astronaut auf der To-do-Liste, den sich nicht nur Jungs wünschen, wenn sie beschließen, Schauspieler zu werden…
Natürlich war ich ein bisschen eifersüchtig auf Peri, aber dafür war meine Arbeit verglichen mit ihrer auch ungleich entspannter. Was sie technisch für ihre Figur leisten musste, war extrem anspruchsvoll.
Ist ihre Umgebung im Raumschiff komplett animiert oder wurde viel Kulisse geschoben?
Obwohl bei solchen Einstellungen naturgemäß CGI im Spiel ist, war auch viel Handarbeit dabei oder eben eine Mischung aus beidem. Etwa Schwerelosigkeit dadurch zu simulieren, dass die Darsteller auf einer Wippe sitzen, Oldschool Hollywood. Witzigerweise sah das richtig gut aus. Aber alles andere hätte unser Budget aber auch gnadenlos überschritten. (lacht)
Das dennoch eher im oberen Drittel deutscher Produktionen als darunter lag, oder?
Zahlen kann ich nicht nennen, aber es war definitiv keine billige Serie. Netflix will zwar zunächst mal den lokalen Markt ansprechen, aber laut Feedback fühlt sich die Serie schon international an. Dark hat schließlich gezeigt, dass deutsche Produktionen auch im Ausland funktionieren können.
Bis Sie Mitte der Zehnerjahre Die Lügen der Sieger und vor allem Terror gemacht haben, waren Ihre Rollen oft leichter, gern auch komödiantisch. War das eine bewusste Entscheidung?
Ich weiß gar nicht, ob diese Beobachtung so pauschal stimmt, denn ich versuche auch Komödien immer mit Härte und Schmerz zu versehen. Deshalb waren meine Komödien zwar leicht, aber Leichtigkeit und Flachheit sind ja unterschiedliche Dinge. Das lag allein schon an der Themenauswahl. Ob es um Transsexualität ging, das Tourette-Syndrom oder den Tod – ich habe kaum Filme gemacht, bei denen es nicht auch ums Eingemachte ging. Humor war da oft nur der Haken, um die Leute ins Kino zu ziehen.
Gibt es dennoch eine Art Altersweisheit, die komödiantische Schauspieler ab 40 in ernstere Stoffe bringt?
Nein, denn ich habe auch früher schon ernstere Sachen gemacht, die hat nur kein Arsch gesehen. Obwohl, nicht mal das stimmt. Terror – Ihr Urteil lief sehr gut. Aber stimmt schon: seit Vincent will Meer…
Wofür Sie 2010 erstmals auch das Drehbuch geschrieben haben.
… ging es eigentlich immer um was Tieferes. Mittlerweile glaube ich, dass es gar nicht so trivial ist, was wir machen: Wir setzen die Leute 90 Minuten in ein anderes Leben, lassen sie die Erfahrungen anderer Menschen machen. Das relativiert viel in unserem eigenen Leben, und lässt uns ab und an über den Tellerrand gucken. Das empfinde ich als sehr befriedigend.
Berlinantisemitismus & Bauchgefühle
Posted: March 5, 2024 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen | Leave a commentDie Gebrauchtwoche
26. Februar – 3. März
Der Terror, so deprimierend das klingt, befindet sich gerade in Höchstgeschwindigkeit auf der Siegerstraße – das war vorige Woche nirgends so gut zu beobachten wie auf der Berlinale, wo offener Antisemitismus auf größtmöglicher Bühne so unwidersprochen blieb, dass die künstlerischen Beiträge des wichtigsten Filmfestivals der Welt komplett in den Hintergrund gerieten.
Damit haben die Schlächter der Hamas am 7. Oktober eins ihrer Ziele erreicht: so viel Zwietracht zu säen, dass Pluralismus und Demokratie wackeln wie auch beim Potsdamer Remigrationszirkel geplant. Denn während das Landgericht Hamburg dem beteiligten AfD-Intimus Ulrich Vosgerau in nur einem Punkt seiner Unterlassungsanträge Recht gab, wird Stefan Niggemeier nicht müde, das Berliner Recherche-Kollektiv anzugreifen.
Das ist sein Recht, wenn nicht gar eine Pflicht, oder um es mit Michelle Obama zu sagen: When they go low, we go high. Niggemeiers Regelpurismus jedoch verbeißt sich derart in Formfehlern, als ginge es dem revisionistischen Rand rechts der CDU/CSU um publizistische Ausgewogenheit. Angesichts dieser Autoaggressivität Geistesverwandter tat es beinahe schon wieder gut, mit Prime Video der Realität zu entfliehen.
Auf seiner Saison-PK hat der Streamingdienst am Dienstag ein Programm verkündet, das fast so eskapistisch ist wie ein paar Dutzend Influencer*innen im Berliner Westhafenloft – aber eben auch einfach nur schrecklich unterhaltsam zu sein scheint. Amazon mag in Bereichen wie Transparenz, Arbeitsrecht oder Umweltschutz katastrophal versagen; Unterhaltung kann er. So wie Johannes Boss.
Nachdem der Showrunner mit Serien von jerks bis Oh Hell bekannt wurde, gründet er mit Moritz von der Groebens „good friends“ demnächst die Entwicklungs- und Produktionsfirma „vjllage“, zu der auch die neue „Johannes Boss Storytelling Academy“ gehört. Und wer weiß – vielleicht sorgt sie ja auch bei Prime für Furore.
Die Frischwoche
4. – 10. März
Eines seiner Projekte: The Deadlines übers bizarre Leben fortpflanzungsreifer Frauen in der Multioptionsgesellschaft – der sich auch die fabelhafte ARD-Serie Sexuell verfügbar widmet. Mit Laura Tonke als feministische Trouble Makerin, die einen Investor vergewaltigt haben soll und das Patriarchat auch sonst mit jedem Mittel attackiert. Ohne mehr zu spoilern: fünf Teile ab Freitag in der Mediathek sind dafür definitiv zu wenig!
Das gilt leider nicht für die ZDF-Serie Reset, in der Katja Riemann ebenfalls eine Feministin spielt. Allerdings eine, die in einer Near Future genannten Gegenwartszukunft ihre Tochter per Zeitreise vorm Suizid bewahren will. Das ist zwar deutlich tiefgründiger als der billige Trick einer komplett irrationalen Dramaturgie, bei der sich Albert Einstein im schwarzen Loch umdrehen würde.
Bei aller Vielschichtigkeit der Abrechnung mit dem Kontroll- und Selbstoptimierungswahn unserer digitalen Gesellschaft allerdings kann sich das Drehbuch von Ingrid Kaltenegger und Mika Kallwass allerdings nicht die Klischees deutscher Mystery verkneifen. Was die Serie grundlegend von der sechsteiligen Tragikomödie Bauchgefühl mit Laura Berlin als ungewollt schwangere Großstädterin ab Donnerstag in der ZDF-Mediathek unterscheidet.
Der Rest in Stichworten:
Montag, Netflix: Supersex, die wahre Fiktion des italienischen Pornostars Rocco Siffredi, in der sieben Teile lang praktisch kein Geschlechtsverkehr zu sehen ist.
Mittwoch, Netflix: The Gentleman, Drogenkönigsmilieustudie vom Drogenkönigsmilieustudienkönig Guy Ritchie
Donnerstag, Netflix: Das Signal, vierteilige SciFi-Mystery-Serie mit Peri Baumeister als Astronautin, die besser ist als ihr Label
Samstag, Comedy Central: Robot Chicken, Stop-Motion-Variationen von Star Wars, die man eigentlich nur lieben kann





