Oppenheimers Oscars & RTLs Reality Stars
Posted: March 11, 2024 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |Leave a commentDie Gebrauchtwoche
4. – 10. März
Darf man das, der Unterhaltung in Zeiten globaler Krisen Priorität einräumen, im Tsunami reaktionärer Shitstorms also einfach mal arglos durchs Entertainment schippern und eskapistischer Gelassenheit nach Hollywood schalten? Darf man, kann man, muss man sogar! Schließlich sind die Oscars auf apolitische Art hyperpolitisch und dennoch gute Alltagsablenkung.
Schon weil Christopher Nolans subtiler Friedensappell Oppenheimer acht Stück gewann, der lipstickfeministische Zuckerschock Barbie dagegen nur einen für die Musik. Weil das Auschwitz-Kammerspiel The Zone of Interest doppelt prämiert wurde, aber der 75. Teil des Action-Geballers Mission Impossible ebenso oft leerausging. Weil letzteres nicht nur für Sandra Hüller gilt, sondern auch die zwei Netflix-Beiträge Nyad und Maestro.
Das Streaming-Zeitalter dürfte damit zwar nicht vorbei sein, sah aber auch schon mal glänzender aus. Was das lineare Fernsehen aber keineswegs erfreuen sollte. Dort herrscht mal wieder ideologisches Durcheinander. Was nicht nur am öffentlich-rechtlichen Umgang mit Nastassja Kinskis Vorwurf liegt, als halbes Kind zu Nacktszenen Tatort Reifeprüfung genötigt worden zu sein, was der NDR mit sabberndem Hinweis auf den Siebziger-Zeitgeist abgebügelt.
Chaotisch ist auch das Talkshow-Gebaren. Während Olaf Scholz der Legende 3 nach 9 eine furchtbar belanglose Audienz gewährte, hat Uschi Glas im Kölner Treff bei milder Intervention von Micky Beisenherz nämlich das N****-Wort benutzt. Kein gutes Omen Mario Voigts CDU-Plan, Bernd Höcke per Rededuell „zu stellen“. Zumal es in Ulf Poschardts altrechtem Jagdrevier Welt TV stattfände, der sich beim Gedanken an den Kraft-durch-Freude-Machismo à la AfD vermutlich im Porsche selbstbefriedigt.
Ob GDL-Führer Weselsky angesichts seiner Macht über Land und Leute dasselbe im ICE tut, hängt vom Streikplan ab. Der Tarifstreitgegner aber bleibt so konstant in den Schlagzeilen, dass das ZDF die Contenance verliert. Vorigen Dienstag lief eine derart voreingenommene, schlampig recherchierte, bewusst irreführende Ausgabe der Reihe Die Insider, Episodentitel Tricks hinter den Kulissen, dass sie aus der Mediathek verschwand und gern im digitalen Jenseits bleiben darf.
Die Frischwoche
11. – 17. März
Im digitalen Diesseits gibt’s ja auch so viel zu sehen. Guy Ritchies Netflix-Serie The Gentlemen zum Beispiel, eine Fortführung seines gleichnamigen Films um englische Aristokraten, die an eine Cannabis-Plantage unterm eigenen Landsitz und damit in Teufels Küche der organisierten Kriminalität geraten – was wie immer bei Ritchie routiniert zwischen Gewaltästhetik und Aberwitz kreiselt.
Zumindest letzteres bildet auch das Wesensmerkmal der vierteiligen Rocko Schamoni Supershow des Hamburger Trash-Entertainers (ab Mittwoch, ARD-Mediathek). Auf weniger charmante Art gilt es aber auch für The 50. So viele Cup-D-Promis wie Cosimo Citiolo und Cora Schumacher oder Diogo Sangre und Djamila Rowe versammelt RTL ab heute in einem Schloss zum Get-together der „bekanntesten deutschen Reality-Stars“.
Und ehrlich: das ist exakt so schrecklich, wie es klingt. Besser als alle spontanen Vorurteile, die ein Endzeit-Thriller namens Helgoland 513 um den Kampf der Überlebenden einer globalen Katastrophe auf der deutschesten aller Inseln hervorruft, ist da die siebenteilige Dystopie ab Freitag bei Sky. Weitaus schlechter gerät demgegenüber das fünfteilige Neo-Original Bauchgefühl.
Schade eigentlich. Denn Laura Berlin als abtreibungswilliger Thirty-Something, die es ab Donnerstag in der ZDF-Mediathek mit einer paternalistisch-ignoranten Gesellschaft zu tun kriegt, hat alles für ein tiefgründiges Stück über deutsche Doppel- bis Dreifachmoral. Leider klotzt sie stattdessen mit billigen Klischees. Was parallel vermutlich auch für die Anwaltsserie Mandat für Mai an gleicher Stelle gilt.
Daher noch drei ehrliche Tipps: Der Achtteiler The Brigade (Dienstag, Magenta TV) um eine extrem diverse Pariser Eliteeinheit und was die Nähe zur Kriminalität mit Kriminalitätsbekämpfenden macht. Der Siebenteiler Nach dem Attentat (Freitag, Apple TV) um die Jagd auf den Mörder von Abraham Lincoln 1865. Und Robot Chicken (Samstag, Comedy Central), eine Stop-Motion-Variation von Star Wars, die man eigentlich nur lieben kann

