Maischbergers Nuhr & Schalkos Kafka

Die Gebrauchtwoche

TV

18. – 24. März

Ob und wie viel Rücksichtnahme, gar Pietät vonnöten ist, entscheiden empathische Gemüter meist mittig zwischen Herz und Hirn. Dort also, wo sie eigene Emotionen mit denen anderer irgendwie austarieren. Bei Boulevardmedien wie RTL dagegen gibt es weder den Begriff der Rücksichtnahme noch Pietät. Entscheidungen fallen daher grundsätzlich mittig zwischen End- und Mitteldarm. Auch jene also, ein Kate-Spezial zu zeigen.

Nur Stunden zuvor hatte die Princess of Wales ihre Krebserkrankung publik gemacht. Für Sender mit Herz und Hirn ein Moment des Innehaltens, wie er sich auch nach Fritz Weppers Tod gehört. Für Sender ohne Herz und Hirn bietet es indes die Gelegenheit, beides auszuschalten, damit das Stammpublikum einschaltet. So funktioniert nun mal die Aufmerksamkeitsökonomie, in der auch Dieter Nuhr nach Kräften mitmacht.

Umso irritierender, dass er Mittwoch bei Sandra Maischberger in einer Sendung zur Spaltung der USA gravitätisch dreinblickend die der deutschen Gesellschaft beklagen durfte, ohne dass sie ihn groß mit seiner fundamentalistischen LinksgrüngenderwokenessF2F-Feindlichkeit konfrontiert hätte. Im Gegenteil. Sie stellte den AfD-Liebling als AfD-Gegner dar, der sich entsprechend zum Opfer von, tja – was eigentlich stilisieren durfte?

Kritik ganz generell vermutlich. Die gab es vorige Woche aber auch in konstruktiver Form. Nämlich beim Deutschen FernsehKrimi-Preis, den unter anderem die Podcast-Verfilmung ZEIT-Verbrechen erhielt. Noch mehr würde sich X Filme Creative Pool zwar über eine Abspielplattform freuen, nachdem sich Paramount+ aus der deutschen Inhaltsproduktion komplett zurückgezogen hat.

Aber so eine Trophäe dürfte die Suche vermutlich befeuern. Weitere Preisträger übrigens: Allerlei mit Landkrimi oder Tatort im Label. Und apropos Label: House of Dragons, zugkräftig-lukratives Prequel im endlosen GoT-Universum kriegt ab Juni die 2. Staffel und belegt damit, was eigentlich alle längst wissen: Dass einmal zugerittene Fernsehpferde reiten müssen, bis sie sterben.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

25. – 31. März

Und manchmal sogar darüber hinaus. Deutsches Historytainment zum Beispiel ist im Grunde tot, seit Miguel Alexandre Die Frau vom Checkpoint Charlie 2007 auf 1982 bügelte. Ab Donnerstag dekoriert RTL+ nun Bochum für Disko 76 zurecht, wo Jannik Schümann den popkulturellen Aufbruch im Ruhrpott jener Tage simuliert. Die sechs Folgen à 45 Minuten sind auf so lächerliche Art überkostümiert, dass Mettigel in verbleitem Benzin bekömmlicher wärne.

Oder sagen wir: Teil 2 der Passion, die RTL am Mittwochabend durch Kassel treibt – und wieder freut sich die hauseigene Promi-Kaderschmiede auf Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, etwa für Ben Blümel als Jesus, Nadja Benaissa als Maria, Timur Ülker als Petrus, Jimi Blue Ochsenknecht als Judas und kein Scherz: der Autor dieser Zeilen als Kreuzträger-Komparse, Donnerstag nachzulesen bei DWDL.

Vorher gibt’s aber noch verblüffendes Fernsehen wie das sechsteilige Biopic Kafka. Zum 100. Geburtstag spielt der famose Joel Basman den weltweit meistverkauften deutschsprachigen Schriftsteller im Kreis eines beispiellosen Casts von Lars Eidinger bis Verena Altenberger. Wenn das Erste Dienstag/Mittwoch zwei Dreierfolgen zeigt, dürfte die Quote allerdings nicht nur wegen des morgigen Länderspiels bei RTL mies sein.

So experimentelles, originelles, herrlich wirres Historytainment wie David Schalkos nach Daniel Kehlmanns Buch ist dem Durchschnittspublikum nämlich kaum zuzumuten. Das schätzt eher Krimis wie Signora Volpe. Drei Teile lang ermittelt die britische Geheimagentin im italienischem Urlaubsidyll, und wer dachte, nur Deutsche können derart bescheuerte Ausflugsmorde lösen – hier ist der Gegenbeweis.

Empfehlenswerter ist dagegen – zumindest für Märchenfans – ab Freitag die Disney-Serie Renegade Nell um eine Engländerin mit Superkräften auf ihrer achtteiligen Flucht vor Magie und Machismo der frühen Neuzeit. Und immerhin erwähnenswert: A Bloody Lucky Day, ein zehnteilige Mystery aus Südkorea (Freitag, Paramount+) und zeitgleich bei Apple TV: STEVE!, ein zweiteiliges Porträt des Komikers S. Martin.



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