Gottschalks Schritt & Schwarze Früchte
Posted: October 14, 2024 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |Leave a commentDie Gebrauchtwoche
7. – 13. Oktober
Es waren aber auch komplizierte Zeiten auf großen Sofas, so vor 25 Jahren. Da locken wenige Zentimeter vom eigenen Schritt entfernt zwei nackte Frauenschenkel, und ein Mann im Zenit seiner Lendenkraft darf nicht zupacken? Völlig undenkbar für einen wie Thomas Gottschalk – auch wenn er seine Übergriffigkeit im Spiegel-Interview als beruflich deklariert und beim Kölner Treff präzisiert, erst zu denken, dann zu handeln, sei für den Mittsiebziger „schlimm“.
Weil seine Selbsteinweisung ins Paläozoikum aufgeklärter Männlichkeit so offensichtlich der PR seiner Autobiografie dient, belegt er im Aufmerksamkeitsringkampf der überprivilegiert Unterbelichteten allerdings nur den 1. Platz. Vorne rangiert Jürgen Klopp, der den Abstieg vom Olymp basisdemokratischer Anerkennung in die Hölle der vulgärkapitalistischen Dosen-Monarchie Red Bull auch noch sportlich erklären wollte und sich damit nur noch unglaubwürdiger macht.
Den 3. Platz eroberte Sahra Wagenknecht, als sie vorigen Mittwoch bei Welt TV gegen Alice Weidel ins Rennen um die dunkelste Schwarzmalerei ging und trotz ähnlicher Ideologie mit drei Längen Vorsprung vor ihrer rechtsextremen Diskutantin ins Ziel ging. Die wiederum machte nur einmal auf sich aufmerksam: durchs irre Lachen bei ihrer (selbst für AfD-Verhältnisse bizarren) Lobeshymne auf Donald Trump.
Dessen Gegnerin kämpft derweil nicht nur mit ihm, sondern Medien, die fast verbissen nach Haaren in der demokratischen Suppe suchen. Platz 4 nehmt daher die liberale Presse ein, in der Kamala Harris aktuell fast noch schlechter wegkommt als ihr faschistoider Konkurrent. Platz 5 gebührt Stefan Raab, dem in mittlerweile vier Folgen DGHNDMBSR kein einziger Witz eingefallen ist, der woanders als nach unten tritt.
Oder wie es die Süddeutsche Zeitung formuliert: Während die Unterhaltung von Joko & Klaas dafür sorgt, dass sich andere besser fühlen, fühlt sich Raabs Publikum nur besser als andere. Und damit zu Deutschlands bis heute erfolgreichsten TV-Export: Derrick, der am 18. Oktober 1974 debütierte. Obwohl sein Darsteller Horst Tappert als SS-Scherge gar nicht ins ZDF, sondern Gefängnis gehört hätte, gratulieren wir herzlich zum 50. Geburtstag.
Die Frischwoche
14. – 20. Oktober
Zum Beispiel mit dem einmaligen Ausflug des Tatort-Kommissars Murot in Tapperts Biotop unverzeihlicher Menschheitsverbrechen. Auf der Suche nach maximaler Absurdität schickt ihn der HR diesen Sonntag zum Ermitteln ins 1000-jährige Reich, was Konservative vermutlich ebenso auf die Zinne bringen wird, wie das erstaunlichste, vor allem aber beste Format dieser Woche: Schwarze Früchte.
Der Filmemacher Lamin Leroy Dibba hat sich dafür eine Figur auf den Leib geschrieben, die ab Freitag als schwuler Schwarzer ins Vorurteilsgestrüpp der heteronormativen Mehrheitskultur seiner Heimatstadt Hamburg gerät. Das Einzigartige am ARD-Achtteiler ist aber, dass sich Lalo wie seine Freundin Karla nicht auf sexuelle Identität oder Hautfarbe reduzieren lässt. Nur so wird die Dramedy zum besten Stück Selbstermächtigung im Bereich postmigrantischer Queerness seit langem.
Alles andere sind da allenfalls Zugaben – wenngleich oft sehenswerte wie Taylor Sheridans zwölfteiliges Drama Landman, parallel bei Paramount+, aus dem Bohrloch der amerikanischen Ölindustrie. Oder zeitgleich die Historyserie Rivals um zwei Alphatiere der Achtzigerjahre (Neil Tennant & Alex Hassell), deren Kampf um Privilegien Freitag bei Disney+ acht Teile lang eskalieren darf.
Bereits Dienstag läuft Staffel 2 der Western-Serie Billy the Kid bei Magenta an. Und zum Schluss zwei Dokus: Am Sonntag begegnet ZDFinfo Siggi the Hacker, einem Computer-Nerd, der es von Island aus in die Inner Circle digitaler Macht geschafft hat. Und bereits online: DJ Mehdi, ein fünfteiliges Porträt des viel zu früh verstorbenen Visionär des French Touch in der Arte-Mediathek und schon wegen der Live-Aufnahmen unbedingt sehenswert.

