Adele Neuhauser: Faltenfrei & Ungeschminkt
Posted: November 22, 2024 | Author: Jan Freitag | Filed under: 4 donnerstagsgespräch |Leave a commentMir ist das überhaupt nicht fremd

Die griechisch-bayerische Wienerin Adele Neuhauser ist nicht nur als Tatort-Kommissarin seit Jahrzehnten gut im Fernsehgeschäft. Dank ihrer burschikosen Art darf die 65-Jährige jetzt sogar die Transperson des ARD-Dramas Ungeschminkt spielen. Ein Gespräch über Rollenprofile, Vorurteile und mit wem sie sich auf ihre Josefa vorbereitet hat.
Von Jan Freitag
freitagsmedien: Frau Neuhauser, Sie spielen in Ungeschminkt eine Frau, die früher als Mann gelesen wurde. Für Leute, die sich mit den Begriffen der Geschlechteridentität nicht auskennen: Welche hat Josefa 25 Jahre, nachdem sie in ihrem Dorf alle nur als Josef kannten?
Adele Neuhauser: Dieselbe wie 25 Jahre zuvor: Josefa ist eine Frau. Transmenschen wechseln durch eine Angleichung ja nicht ihr Geschlecht, sie vervollständigen das, zu dem sie sich in der Regel seit jeher zugehörig fühlen. Weil ihr Umfeld dies allerdings nicht begriffen hätte, hat sie einst Hals über Kopf das Dorf, die Ehefrau, ihr altes Leben verlassen. Deshalb handelt Ungeschminkt auch gar nicht von der Angeleichung an sich, sondern den Verletzungen, die sie ihr und anderen zugefügt hat.
Hat der Film dabei explizites Aufklärungsbedürfnis oder nur Unterhaltungsbedürfnis?
Unbedingt auch ein Aufklärungsbedürfnis. Denn was bei der Thematisierung von Transsexualität oft vergessen wird: dass betroffene Menschen in erster Linie Menschen sind, keine Betroffenen. Trotzdem haben viele Angst vor ihnen. Dabei müssen allenfalls sie Angst vor Menschen haben, die darin irgendeine Art von Norm verletzt sehen und darauf nicht selten mit Aggressivität reagieren.
Umso mehr stellt sich die Frage, an wen genau sich der Film richtet – die Überzeugten, Eingeweihten, persönlich Betroffenen oder die Unkundigen, Schwankenden, Kritischen?
An alle, aber für letztere könnte er heilsame Wirkung haben. Weniger durch meine Figur der Josefa als durch die ihrer Freundin Antonia.
Die ihre Transidentität sehr offen lebt.
Sie erzählt viel mehr über die Aggressivität bis hin zur Gewalt, der Transpersonen ausgesetzt sind. Durch sie lernen wir, dass sich Gesellschaften immer im permanenten Wandel befinden, mit dem wir umgehen müssen – um andere Identitäten zu akzeptieren und mehr Rücksicht auf sie zu nehmen. Denn die sind ja nichts Neues, Modisches, sondern seit jeher Teil der Realität, also normal.
Dabei fällt auf, dass Uli Brée und Dirk Kummer Josefa nicht mit dem Rad ins vegane Restaurant fahren lassen, wie es Transpersonen oft unterstellt wird, sondern mit dem Auto ins Wirtshaus, wo sie zur Überraschung aller Bier und Schweinsbraten bestellt.
Ein toller Kniff, wie ich finde. Normalität ist schließlich das, was Menschen sind und machen, nicht das, was andere von ihnen erwarten. Diese Normalität zeigt sich ja auch darin, dass sie mit einem Mann – toll gespielt von Matthias Matschke – verheiratet ist, aber nicht mit erhobenem Zeigefinger durch die Gegend läuft, und Toleranz einfordert.
Der Film fordert eigentlich im Gegenteil eher Toleranz für die Intoleranten ein, oder?
Ja. Obwohl es das nicht besser macht, wenn Josefas bester Freund von früher sagt, es sei fast schon eine Mode, sich umoperieren zu lassen. Dieser flapsige Umgang mit der Persönlichkeit anderer verdient gewiss keine Toleranz, wohl aber die Unsicherheit vieler im Umgang mit gesellschaftlichem Wandel, der selbst tolerante Menschen manchmal intolerant macht. Denn die Gewöhnung an Veränderungen ist Ergebnis langer Übung. Umso intensiver habe ich mich auf diese Herausforderung vorbereitet, um ihr für alle Seiten gerecht zu werden.
Wodurch zum Beispiel?
Indem ich Dokumentationen geschaut oder Fachliteratur und Interviews gelesen habe. Um die medizinischen Aspekte der Geschlechtsumwandlung zu verstehen. Außerdem habe ich natürlich Transpersonen gesprochen.
Auch aus dem eigenen Umfeld?
Ja, ich konnte Gott sei Dank zwei, die ich gut kenne, intensiv befragen. Dennoch habe ich in meiner Darstellung bewusst darauf verzichtet, dem Publikum zu viele Vorgaben zu machen.
Ist die Geschichte eigentlich zu Ihnen gekommen oder sind Sie es zur Geschichte?
Claudia Simionescu, Redakteurin beim Bayerischen Rundfunk, die mit Faltenfrei bereits einen anderen Film von Uli Brée für mich und mit mir entwickelt hatte, wollte wieder was mit mir machen und hat sich frühzeitig auf diese Idee von Uli eingelassen.
Dachten Sie beim Lesen des Drehbuchs, na toll – jetzt muss die burschikose Adele Neuhauser mit der dunklen Stimme so eine Rolle spielen, keine Person, die wirklich trans ist wie die Darstellerin von Josefas Freundin Antonia?
Na, dafür bin ich ja Schauspielerin. Und hier habe ich zudem betroffene Menschen gefragt, ob es für sie in Ordnung sei, dass ich Josefa spiele.
Mit kultureller Aneignung, in ihrer extremem Ausprägung Blackfacing höchst umstritten, haben Sie also kein Problem?
Überhaupt nicht! Ich nähere mich jeder Rolle mit demselben Respekt, der gleichen Recherche, und habe auch bei der hier jeder Hysterie oder Überspitzung enthalten. Ich fühle mich durch solche Rollen eher herausgefordert als unbefugt.
Hat es Ihnen dabei geholfen, das Landleben aus persönlicher Erfahrung zu kennen, also das Umfeld derer, die mit Veränderungen ein bisschen überforderter sind?
Da ich lange im oberbayerischen Klosterdorf Pollingen gelebt habe, wo auch mein Sohn zur Welt gekommen ist, ist mir das überhaupt nicht fremd. Obwohl ich solche Situationen dort nie erlebt habe, fällt es mir aber nicht schwer, mich in sie hineinzufühlen. Auch, weil das Drehbuch sehr gefühlvoll und empathisch geschrieben wurde.
Könnte Josefa Ungeschminkt in den Kursen zur Transidentität also bedenkenlos als Anschauungsmaterial nutzen, die sie im Film gibt?
Ich finde sogar, er sollte permanent im Kino laufen!