Mischkes Männlichkeit & Matsutanis Hameln
Posted: December 30, 2024 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |Leave a commentDie Gebrauchtwoche
23. – 29. Dezember
Wann ist ein Mann ein Mann? Das hat Thilo Mischke 2010 In 80 Frauen um die Welt beantwortet. Ein Buch, für das er möglichst viele Frauen flachlegen wollte; und sei es mit einer sexuellen Überzeugungstechnik, die er an anderer Stelle „urmännlich“ nannte: Vergewaltigung. Wie infantil, toxisch, misogyn der Endzwanziger war, wirft neue Fragen auf. Die wichtigste: Wann ist ein Moderator ein Moderator?
Da Mischke Mitte Februar Titel, Thesen, Temperamente von Dieter Moor übernimmt, wird er von seiner schmutzigen Vergangenheit eingeholt und zum Deckhengst der Grundsatzdebatte, wie viel Vergebung Menschen zusteht, die sich läutern. Zumal der Guerilla-Journalist seit Jahren solide Brücken über gewaltige Krater zwischen U und E, Jung und Alt, Hoch- und Popkultur baut. Unser Tipp: ein richtiges Mea Culpa würde viel Druck vom Debattenkessel nehmen, lieber Thilo. Und immer schön nach oben treten.
Dorthin also, wo Gegenwehr zu erwarten ist. Das zeigte sich zuletzt am Beispiel Arne Schönbohms, der genügend Zeit, Geld, Kontakte hat, um gegen die Vorwürfe von Jan Böhmermanns ZDF Magazin Royal vorzugehen, als Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik habe er die Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Das Landgericht München hat Böhmermann dafür zwar nicht zu Schadenersatzzahlungen verurteilt, aber die Verwendung von vier der fünf Vorwürfe gegen Schönbohm verboten.
Ein Sieg für den Beklagten, der die Sicherheit seines früheren Sicherheitsobjektes allerdings doch gefährdet, indem er sagte, „das ZDF hat Fakenews verbreitet“ und den Rücktritt von Intendant Norbert Himmler fordert. Einen Sender mit AfD-Vokabular für Fehler eines Einzelnen in Sippenhaft zu nehmen: das ist Wasser auf die Mühlen der Demokratiefeinde und damit ein Sicherheitsrisiko. Schade, dass er von nichts Wichtigem mehr zurücktreten kann.
Deshalb richten wir diese Forderung hier lieber an Ulf Poschardt und Jan Phillipp Burgard. Der neofeudale Welt-Chef mit Porsche und sein designierter Nachfolger mit #MeToo-Historie haben Elon Musk zum Gastkommentar gebeten, in dem er – hoppla – zur AfD-Wahl aufruft. Damit erweist sich Springer erneut als demokratiefeindlicher Steigbügelhalter, der sogar Eva Marie Kogel zu weit rechts steht. Die stockkonservative Welt-Meinungschefin hat ihre Kündigung eingereicht. Hut ab!
Die Frischwoche
30. Dezember -5. Januar
Hut drauf bleibt bei Stefan und Bully gegen irgendson Schnulli. Die RTL-Show war kurz vor Weihnachten nicht mal mehr ein billiger Abklatsch von Schlag den Raab, dauerte dafür aber fünfeinhalb bauschaumzähe Stunden und blieb zu Recht wenige Quotenmillimeter über der Messbarkeitsschwelle. Welten darüber lag einst ein Komiker, dem Prime am Montag das sehenswerte Porträt Mein Name ist Otto widmet. Und auch die zwei Folgen der ARD-Reihe Kurzschluss hatten bessere Quoten.
Im dritten Teil sind Anke Engelke und Matthias Brandt heute um 20.15 Uhr im Ersten auf einem Hochhausdach gefangen, während ihnen das Feuerwerkt einer eiskalten Silvesternacht um die Ohren fliegt. Das ist wie immer so irrsinnig gut geskripted, gespielt und gedreht, dass man sich fragt, warum Bjarne Mädel partout nicht mehr als Regisseur dieser öffentlich-rechtlichen Fernsehperle erscheinen möchte.
Vielleicht eine Art personal cancel culture, mit der sich das ZDF am Neujahrstag weit weniger belastet, wenn es eine Filmreihe mit Klassikern von Edgar Wallace bis zum Edelwilden Winnetou startet. Nominell neu, aber noch staubiger ist das Historytainment, mit dem die ARD traditionell ins Frühjahr startet. Levi Strauss und der Stoff der Träume stellt den Werdegang des bayerischen Tuchhändlers zum Jeans-Verkäufer vierteilig nach, was aber nicht nur konventionell, sondern sterbenslangweilig ist.
Aufregender ist Rainer Matsutanis ZDF-Serie Hameln. Wie man ein Gruselmärchen derart lächerlich in den Sand setzt, bleibt aber das schmutzige ZDF-Geheimnis des deutsch-japanischen Horrorfans. Besser macht es ein Format, das bereits kurz vor Weihnachten gestartet ist. Wenn Netflix die Vulkan-Insel La Palma explodieren lässt, wird vom Wüstenrufer bis zur Familienzusammenführung zwar jeder Katastrophenfilm-Twist rekapituliert. Trotzdem ist die Serie aus Norwegen auf feinfühlige Art fesselnd.

