80. Jahre Auschwitz-Befreiung

Lichter im Dunkel der Menschheit

Zum 80. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung (Foto: Wikimedia Commons, CC-BY-SA 3.0) gibt es heute ein reichhaltiges Gedenkprogramm aller Sender und Portale. Nun ja: fast aller. Eine Übersicht des Erinnerns am Bildschirm.

Von Jan Freitag

In Momenten tiefster Dunkelheit sucht der Mensch bekanntlich nach Halt, Orientierung, nach Licht. Und ausgerechnet, als seine Nacht am dunkelsten war, gab es davon besonders wenig. Bis die Rote Armee am 27. Januar 1945 das Tor des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau aufstieß und die Finsternis erhellte. Genau 80 Jahre ist dieser Tag her, an dem das nationalsozialistische Terrorregime zwar noch kein Ende fand, aber das Fenster ins Grauen seiner Verbrechen öffnete. Eine Menschenverachtung von so epochalem Ausmaß, dass die Erinnerung daran auch und gerade dem Fernsehen ungemein schwerfällt. Einigen etwas zu schwer.

Denn wer das heutige TV-Programm durchstöbert, findet dort vielerorts nichts, was dem Gedenktag auch nur ansatzweise gerecht würde. Mehr noch: Sat1 und RTL, Kabel1 und RTLzwei, aber auch ein paar Dritte wie WDR, SWR, HR, rbb, ja selbst 3sat machen 80 Jahre nach dem denkbar größten Ausnahmezustand zumindest linear business as usual. Was darin gipfelt, dass Vox, wo schon mal Schindler’s Liste ohne Werbeunterbrechung zur Primetime läuft, Goodbye Deutschland mit dem rassistischen Richter Ronald Schill zeigt und Pro7 von morgens bis abends Comedy.

Falls Humor tatsächlich ist, wenn man trotzdem lacht, hätten empathische Programmplaner vielleicht die KZ-Komödie Das Leben ist schön, Charlie Chaplins Der große Diktator oder zumindest politisches Kabarett gezeigt, aber gut – es gibt ja Alternativen. Die ARD zum Beispiel startet den Tag um 15.55 Uhr mit der Übertragung des offiziellen Festaktes im Vernichtungslager und beendet ihn mit Verfolgt – Die sieben Leben des Dany Dattel, der erst Auschwitz überlebt und später an einem Bankencrash beteiligt war.

Das ZDF überträgt am Mittwoch die Gedenkstunde aus dem Bundestag und zeigt zwei Tage zuvor zwei erstaunliche Fiktionen zum Thema: um 22.15 Uhr die Erstausstrahlung One Life mit Anthony Hopkins als Judenretter im besetzten Prag, gefolgt vom Gegenwartsdrama Am Ende kommen Touristen um Hilfskräfte der polnischen Gedenkstätte aus Deutschland. Öffentlich-rechtliche Staatsauftragserfüllung eben, die in der Mediathek ihre Fortsetzung findet. Dort verhilft das Zweite Widerstandskämpfern (Nicht wie Lämmer zur Schlachtbank), Befreiern (Roadtrip 1945) oder Antisemiten (80 Jahre nach Auschwitz) zu Aufmerksamkeit.

Während sogar die Sendung mit der Maus beim Kinderkanal (Thema Stolpersteine) mehr Erinnerungsvermögen beweist als alle kommerziellen Sender zusammen, läuft der vielleicht wichtigste Beitrag (natürlich) bei Arte. Abseits vom Themenschwerpunkt, den der Kulturkanal bereits seit sechs Tagen online streamt, stellt das gefilmte Theaterstück Die Ermittlung heute (22.45 Uhr) den ersten Auschwitzprozess von 1962 nach. Damit sorgt er vier Stunden lang mit einer Vielzahl prominenter Darstellerinnen und Darsteller um Rainer Bock als Richter für ein ebenso bedrückendes, wie furioses Mahnmal der Schande deutscher Nachkriegsverdrängung.

Interessant dabei ist, dass dieses Meisterwerk im Stil von Eric Friedlers Geschichtsexperiments Aghet, wo der NDR den Völkermord der Türkei an ihrer armenischen Minderheit erzählen lässt, auch bei Wow zu sehen ist. Abgesehen vom History Channel, der Dokumentationen wie das bewegende Dachau-Porträt Heute ist das Gestern von morgen aus Überzeugung zeigt, betreibt ansonsten kein Streamingdienst sichtbares Erinnern. Der des Bezahlsenders Sky dagegen hat ein ganzes Paket geschnürt. Darunter die Erstausstrahlung Der Schatten des Kommandanten, wo Hans Jürgen Höß versucht, sich seinem Vater Rudolf anzunähern.

Als halbfiktionale Version steht der Auschwitz-Leiter (Christian Friedl) neben Gattin Hedwig (Sandra Hüller) auch im Mittelpunkt der oscarprämierten Alltagsstudie „Zone of Interest“ und spielt im Sky-Original The Tattooist of Auschwitz oder Spielbergs Schindlers Liste zumindest Nebenrollen. Im Rahmen eines erweiterten NDR-Kultur-Journals nennt ihn das Kinodrama Aus einem deutschen Leben um 22.45 Uhr zwar Franz Lang. Der Weg des Weltkriegsveteranen zum Massenmörder mit Götz George war 1977 allerdings fast körperlich spürbar. Zeitgleich weicht der BR leicht ab vom üblichen Erinnerungspfad und zeigt die Doku Kunst im Todeslager, während der MDR 35 Minuten zuvor in alter DDR-Tradition das tragikomische Ghetto-Märchen Jakob, der Lügner (CSSR, 1975) zeigt.

Und zum Abschluss noch ein Abschied: Die ZDFinfo-Reihe Auschwitz. Überleben in der Hölle sammelt Geschichten von Opfern und Tätern, deren Wege sich im Vernichtungslager kreuzen. Darunter Häftlinge, ein heimliches Liebespaar, Josef Mengele – und womöglich zum letzten Mal am Bildschirm: die Auschwitz-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch. Auch mit fast 100 Jahren noch ein strahlendes Licht im Dunkel der Menschheit.


One Comment on “80. Jahre Auschwitz-Befreiung”

  1. […] 80. Jahre Auschwitz-Befreiung → […]


Leave a comment

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.