Prime Target/Finder: Mathe & Action

Verkopfter Actionheld

In der Apple-Serie Prime Target (Foto: AppleTV) wird dröge Mathematik zur Actionfigur. Das ist auch deshalb amüsant, weil die Macken fiktionaler Genies nicht nur originell sind. Sie haben auch den sympathischen Nebeneffekt, das Selbstwertgefühl ihres Publikums ein kleines bisschen aufzuwerten.

Von Jan Freitag

Das Actionkino liebt Archetypen. Agile Schmerzensmänner wie John McLane, virile Geheimagenten wie 007, introvertierte Zombiejäger wie Daryl Dixon oder smarte Haudegen wie Indiana Jones. Für Edward Brooks ist da eigentlich kein Platz im Blutschweißundpatronen-Fach. Dabei hat er ein singuläres Talent: Der Mathematiker erkennt Muster, wo andere Chaos sehen. Seine Waffen sind weder Fäuste noch Pistolen, sondern sein Verstand. Und Primzahlen, Endgegner zahlloser Gymnasiasten, nur durch 1 oder sich selbst teilbar und darum, tja – was eigentlich?

Für Normalbegabte hat Eds Fachgebiet in etwa die Relevanz sumerischer Keilschrifttraktate. Der Cambridge-Student hingegen versucht Tag und Nacht, Struktur ins algebraische Durcheinander zu bringen. Klingt arg trocken für eine Thrillerserie? Nicht, wenn Autor Steve Thompson ihr den Titel Prime Target gibt. Weil der sich sowohl mit „primäres Angriffsziel“ als auch „Forschungsobjekt Primzahl“ übersetzten ließe, tröpfelt er akademische Theorie in die physische Praxis explosiver Action.

Ein klischeeanfälliges Genre, das auch bei Apple mit Stereotypen wuchert. Zu Beginn nämlich erschüttert ein Terroranschlag Bagdad, bevor drei Schnitte weiter acht Ruderer 5000 Kilometer nordwestlich vor idyllischer College-Kulisse das tun, was man mit Cambridge halt assoziiert. Im Osten Chaos, im Westen Kultur: Brady Hooks Achtteiler scheint früh für eurozentristische Ordnung zu sorgen – würde sich die Explosion im Irak nicht als Unfall erweisen, der etwas zutage fördert, dem das Elite-College Teile ihrer Geschichte verdankt.

Denn unterm Bombenkrater tritt das sagenhafte Haus der Weisheit zutage. Ein Ort mittelalterlicher Gelehrigkeit, der die Cambridge-Ikone Isaac Newton widerlegen könnte. Womit genau, gehört wohl eher ins Wissensressort als das Feuilleton. Nur so viel: es hat mit Primzahlen zu tun, für die sich der Cambridge-Neuling Ed (Leo Woodall) so interessiert. Und wie wir seit Dan Browns Da Vinci Code wissen, sind Altertumsfunde in Blockbustern meist Symbole globaler Verschwörungen mit Thriller-Potenzial.

Wer das Prime Target dechiffriert, kann folglich jedes Computernetzwerk kapern. Um dieses Zerstörungspotenzial im Keim zu ersticken, überwacht ein US-Geheimdienst weltweit Primzahlen-Forscher. „Mathe-Nerds“, erklärt die NSA-Agentin Taylah (Quintessa Swindell) den Aufwand, „sind vermutlich die gefährlichsten Leute des Planeten“. Also auch Ed, dessen Professor (David Morrissey) wie seine Frau (Sidse Babett Knudsen) ebenfalls unter Beobachtung steht. Und damit zurück ins Action-Fach.

Als Prof. Mallinders Student das Prime-Rätsel zu lösen droht, gehen Wissenschaft und Staat, die dubiose Spionageorganisation NSA und eine noch dubiosere namens Kaplar aufeinander los. Es gibt Verfolgungsjageden durch schicke Kulissen, Schießereien seltsam unpräziser Scharfschützen und konspirative Treffen im Kirchenschiff. Niemand traut niemandem, alle sind verdächtig, und mittendrin ein Zahlenfresser, den die zähe Taylah erst belauert, aber bald durch den Schlamassel lotst. Damit kombiniert Prime Target achtmal 45 Minuten zwei strikt getrennte Sujets.

Normalerweise haben brillante Geistesmenschen nicht die Vitalität physischer Thriller-Helden. Deshalb tut Apple gut daran, die unfreiwillige Action-Figur unheroisch auszustatten. Ed ist nicht nur leicht linkisch und soziophob. Er trägt hässliche Strickjacken, kritzelt ständig Notizblöcke voll und erklärt sein Büro ohne Computer damit, „die sind mir zu langsam“. Was zwei Nebenaspekte der Serie grundiert. Einerseits stellt sein selbstreferenzieller Wissensdrang auf derart vermintem Feld moralische Fragen danach, ob Erkenntnisgewinn per se erstrebenswert ist oder gegebenenfalls – Stichwort Kernspaltung – gefährlich.

Andererseits ziehen uns Macken Höchstbegabter, etwa der schizophrene Spieltheoretiker John Nash in Beautiful Mind aus dem Tal der Minderwertigkeitsgefühle. So ganz bei Trost sind die Klügsten der Klugen fiktional ja selten. Umgänglich schon gar nicht. Vom paranoiden Mathematiker im Experimentaldrama Pi über sozial verkrüppelte Kombinationsvirtuosen wie Sherlock und Good Will Hunting bis zum depressiven Hacker Mr. Robot: Intellektuell mögen uns Film- und Seriengenies elfenbeinturmhoch überragen; menschlich will man mit keinem davon tauschen. Das sorgt für Nähe und Distanz, Missgunst und Mitleid. Gegensatzpaare, die auch Prime Target trotz aller Klischees auf buchstäblich schlaue Art unterhaltsam machen.

Prime Target, 8×45 Minuten, Mittwoch mit einer Doppelfolge bei AppleTV+, danach jeden Mittwoch



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