GNTM: 20. Geburtstag & Männerausgabe
Posted: February 18, 2025 Filed under: 3 mittwochsporträt Leave a commentSexismus, Baby, Sexismus
Genau 19 Jahre nach dem Start geht Germany’s Next Topmodel (Foto: Rankin/ProSieben) am 13. Februar in die 20. Staffel. Über ein fernsehgeschichtsträchtiges Format, das bis heute polarisiert – und verstört.
Von Jan Freitag
Das sonnige Sommermärchenjahr 2006 war ein folgenschweres, und nein: es hatte wenig mit Fußball zu tun, noch weniger mit der Eröffnung des Berliner Hauptbahnhofs und am allerwenigsten mit Plutos Degradierung zum Zwergplanet. Um gegen sexualisierte Gewalt zu protestieren, ersann die amerikanische Frauenrechtlerin Tarana Burke Mitte Oktober den Kampfbegriff #MeToo, und das ist fast 20 Sonnenumrundungen später nicht nur so beachtlich, weil sie es auf einem Netzwerk namens – Ältere erinnern sich – MySpace verbreitete. Mindestens ebenso interessant ist, welcher Fixstern der Fernsehunterhaltung ihr neun Monate zuvor in den Rücken gefallen war.
Am 26. Januar hatte Heidi Klum die Casting-Show ihrer US-Kollegin Tyra Banks importiert. Und zehn Mittwochabende lang sorgte Germany’s Next Topmodel fortan nicht für gewaltige Resonanz auf allen, damals noch meist analogen Kanälen. Ein Dreivierteljahr nach Tarana Burkes öffentlicher Anklage erbrachte ProSieben damit auch den Beweis, dass Sexisten zwar größtenteils Kerle sind, aber keinesfalls sein müssen. Denn geringschätziger als von der Bergisch-Gladbacher TV-Domina, wurden ihre Geschlechtsgenossinnen nur selten behandelt.
Ein Dutzend makelloser, teils minderjähriger Frauen, das die strenge Heidi aus 11.637 Bewerberinnen oberflächlich selektiert hatte, gab jahrzehntelang erstrittene Freiheiten bereitwillig an der Garderobe ab. Mindestens 172 (später 176) komplett körperfettfreie Zentimeter groß, strahlendweiß und wohlgefällig, setzten sich anfangs zwölf Finalistinnen bei aberwitzigen Challenges fortan der Bewertung einer Jury aus, die bis zur 14. Staffel 2019 mal abgesehen von Heidi Klum ausnahmslos aus Männern bestand. Wobei das Urteil von Bruce Darnell, Peyman Amin oder Armin Morbach oft weniger mit Modeln als Voyeurismus, Fremdscham, Quälerei zu tun hatte.
Als „Male Gaze“ berüchtigt, wurden bis heute also annähernd 500 „Mädels“, zu denen die Organisatorin ihr Frischfleisch nicht nur sprachlich degradiert, exakt dem ausgesetzt, was diverse Emanzipationsbewegungen eigentlich beendet hatten: Weiblichkeit als Ware maskuliner Gebrauchs- und Geschäftsinteressen. Bei Heidi Klum trafen die verklemmten Fünfziger ungemein rentabel auf die freizügigen Nullerjahre und griffen dem reaktionären Backlash der rechtspopulistischen Gegenwart (hoffentlich unfreiwillig) voraus. In dem bestand allerdings nicht die einzige Grundsatzkritik an GNTM.
Als die 17-jährige Lena Gehrke am 29. März 2006 vor fast fünf Millionen Zuschauern – überwiegend weiblich und schwer pubertierend – zu Heidi Klums erstem Topmodel gewählt wurde, verlor besonders das gehobene Feuilleton die Contenance. Dabei musste man gar nicht wie Roger Willemsen zum Start der 4. Staffel sinnbildlich „sechs Sorten Scheiße aus ihr herausprügeln“, um Heidis misogynes Zuchtgestüt anzuprangern. Sachlichere Tadel reichten von Sadismus, Zynismus, Rassismus über Verstöße gegen Jugend-, Arbeits-, Medienrecht bis zum „Sexismus in Reinkultur“, den die Philosophin Catherine Newmark 2015 im Deutschlandfunk beklagte.
Daran ändert ein Sinneswandel wenig, der im Weinstein-Skandal Ende 2017 einsetzte. Drei Jahre später gewann die Transperson Alex Peter zwar eine Staffel, in der weder Konfektions- noch Körpergröße normiert waren, bevor ein Jahr drauf erst die Altersgrenze, dann das Männerverbot fiel. Parallel aber haben abermillionenfach geklickte Videos von STRG-F oder Rezo Klums angebliche Läuterung mithilfe zahlreicher Kronzeuginnen früherer Ausgaben als Diversitäts-Washing entlarvt. Dazu passt, dass ein Gericht Lijana Kaggwa größtenteils Recht gab als die 22er-Finalistin von Manipulation, gar psychischer Gewalt sprach und von ProSieben wegen Bruchs der Verschwiegenheitserklärung angeklagt wurde.
Bevor am 13. Februar die 20. Staffel mit paralleler Version männlicher Models startet, hätte man von Hannes Hiller bei aller legitimen Freude übers quotenstarke Format da gern ein paar Worte sachlicher Reflexion über seine Cashcow gehört. Auf Anfrage hat der Senderchef „Selbstkritik“ allerdings mit „Selbstbetrug“ verwechselt und die Königin der „modernen Cinderella-Story“ mit „höchster Glaubwürdigkeit und Kompetenz“ bei „großer Akribie und Leidenschaft“ umschrieben. Fehlt nur noch dynastisches Denken. Nach Heidis Schwager Bill agiert diesmal schließlich Tochter Leni als Jurorin.
Ein Sozialist, wer hier Trumpismus wittert. Bleibt zu hoffen, dass beide mehr anhaben als in ihrer ebenso hüllen- wie würdelosen Dessous-Kampagne. Denn für den Erfolg tut Heidi Klum, die 1992 bei einem RTL-Casting des übergriffigen Thomas Gottschalk entdeckt wurde und hernach fürs „gebärfreudige Becken“ geschmäht, fast alles. Nur so konnte sie den Umsatz nach Forbes-Schätzungen 2020 in drei Jahren auf 34,8 Millionen Euro verdoppeln. Vor allem dank Germany’s Next Topmodel. Ein Goldesel, der den Zusatz by Heidi Klum trägt, aber von Papa Günther gemanagt wird und damit seit 20 Jahren Erfolg hat. Mehr zumindest als die Topmodels selber.
Langfristig laufen viele ja eher auf Zweitverwertungsrampen als Laufstegen, und falls sie im Casting-Beruf tätig sind, dann meist für Günther Klums Modelagentur ONEeins. Analog zu Bohlens wesensverwandten Superstars sind von Klums Topmodels eigentlich nur drei der ersten vier Staffeln erinnerlich. Nach Lena Gehrcke, Barbara Meier, Sara Nuru brechen die Wikipedia-Einträge vieler Epigoninnen zwei Jahre nach dem Sieg ab. Vielleicht hat Bruce Darnell dieses Scheitern ja geahnt, als er vor 19 Jahren „Drama, Baby, Drama!“ forderte. Um viel mehr ging es bei Germany’s Next Topmodel eigentlich nie.
Germany’s Next Topmodel, 20. Staffel, seit 13. Februar (Frauen), ab 18. Februar (Männer), ab 27. März gemeinsam, dienstags und donnerstags um 20.15 Uhr bei ProSieben