Kranke Wahl & KRANK Berlin
Posted: February 24, 2025 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |Leave a commentDie Gebrauchtwoche
17. – 23. Februar
Die AfD hat gestern, fear fact, zwar zwei Prozent weniger, aber 43 Sitze mehr erzielt als ihre Ahnen der NSDAP, als sie am 13. September 1931 letztmals nur zweitstärkste Reichstagspartei geworden war. Die einzigen Gewinner der Bundestagswahl sind da abseits der ganz Linken und ganz Rechten zwei Überraschungssieger: Die Demoskopie, die das amtliche Endergebnis analog zur 18-Uhr-Prognose mit gespenstischer Präzision vorhergesagt hatte. Und der sachorientierte Journalismus, mit dem ARD und ZDF Goebbels Wiedergänger behandeln.
Selbst in der Elefantenrunde, dank offener Mehrheitsverhältnisse auf absurde acht Parteien angeschwollen, sind Bettina Schausten und Oliver Köhr entwaffnend nüchtern mit Alice Weidel umgegangen. Der publizistischen Objektivitätspflicht haben auch Markus Preiss im Ersten und Shakuntala Banerjee im Zweiten damit zwar einen Dienst erwiesen. Weil die Normalisierung rechtsextremer Kräfte in Gesellschaft, Medien, Politik zur Abschaffung der pluralistischen Demokratie führen könnte, war es allerdings ein Bärendienst.
Nach gefühlt 239 millionenfach eingeschalteten Duellen und Quadrellen, Kreuzverhören und Fragerunden – zuletzt mit Olaf Scholz und Friedrich Merz bei den Springer-Propagandisten Marion Horn und Philipp Burgard – ohne Thematisierung relevanter Themen abseits von Migration, Militär und Wirtschaft, gibt es demnach zwei Fernsehwahlkampferkenntnisse: Privatsender sollten die Finger von lassen. Und nächstes Mal vielleicht doch auch mal jemandem unter 40, sagen wir Rezo, damit beauftragen.
Was ansonsten noch haftenbleibt von dieser epochalen Wahlkampfperiode mit Urnenschock? Jan Böhmermanns fatalistisch-heitere Replik auf Elon Musks Einmischung in der digitalen New York Times. Und vielleicht noch, dass ProSiebenSat1 bereits fleißig am eigenen Grab schaufelt und kurz vor der Wahl massive Stellenstreichungen verkündet hat, weil man auch in Unterföhring künftig lieber auf Social Media als Redaktionen setzt.
Die Frischwoche
24. Februar – 2. März
Manchmal könnte man meinen, unsere Medien sind mindestens so KRANK wie die Notaufnahme der gleichnamigen Neuköllner Klinik, in der AppleTV+ Mittwoch Fernsehgeschichte schreibt. Unter der Regie von Alex Schaad und Fabian Möhrke ersteht aus den Trümmern des deutschen Gesundheitssystems nämlich ein Emergency Room auf, der acht Teile auf derart plausible Art unterhaltsam und umgekehrt ist, dass es bei allem Entertainment noch mehr schmerzt als die Dresche einer großartigen Dramaserie bei Disney+.
A Thousand Blows schildert zwölf Teile lang Boxerinnen im London der 1880er Jahre und schafft damit ein antipatriarchales Action-Format, das alle Aufmerksamkeit verdient. Deutlich mehr jedenfalls als die Blockbuster der Woche. Allen voran die Prunksitzungen des anbrechenden Karnevals, den das ZDF am Donnerstag zur besten Sendezeit aus Köln überträgt und die ARD 24 Stunden später aus Mainz. Was allerdings alles nicht halb so jeck ist wie die neue Staffel Big Brother.
Vor 25 Jahren bei RTL2 gestartet und anfangs ein Quotengarant, interessieren sich ab heute allerdings nicht mal besoffene Faschingsfans fürs Gossen-TV von Sat1. Ob für Amazon Prime etwas anderes gilt, bleibt abzuwarten. Donnerstag startet dort die wuchtige Bibel-Fiktion House of David über den israelitischen Religionsgründer, während der unvermeidliche Gamer Knossi tags drauf an gleicher Stelle zur Mission Unknown bittet – eine Art Dschungelcamp auf dem Atlantic.
Parallel startet bei Paramount+ das RomComRoadMovie Drive Me Crazy, während Arte tags zuvor Philippe Faucons vierteiliges Empowerment-Drama Nismet über eine junge Frau (Emma Boulanour) im Kampf mit dem Patriarchat zeigt. Und als sachliches Schmankerl macht die ARD-Mediathek Fans gesundheitsfördernder Drogennutzung mit der Doku Magic Mushrooms gegen Depressionen Mut.