KRANK Berlin: Medical & Realität

Wenn’s brennt, brennt’s richtig

Krankenhausserien gibt es viele, aber zumindest hierzulande war noch keine so wie KRANK Berlin – eine Realfiktion von AppleTV+ am Rande der Erträglichen, die gerade deshalb herausragendes Fernsehen ist.

Von Jan Freitag

Triage ist ein vergifteter Begriff. Während das medizinische Fachpersonal im angloamerikanischen Raum damit zunächst mal nur die Behandlungsdringlichkeit zeitgleich eintreffender Patienten vorsortiert, gilt er hierzulande seit Corona als inhumane Selektion nach Leistungsprinzip – auch und gerade bei denen, die sie vornehmen. Wenn Dr. Parker das Personal ihrer Notaufnahme zur Triage bittet, macht sich deshalb zügig Unmut breit. Allerdings weniger wegen humanistischer als pragmatischer Gründe.

Bei aller Hilfsbereitschaft bringt sie fürs überlastete Personal schließlich vor allem Bürokratieaufwand mit sich. Und den kann im KRANK, wie die namenlose Großklinik am Berliner Brennpunkt nur heißt, echt niemand gebrauchen. KRANK sind darin ja nicht nur 250 Patienten auf einmal, „wenn’s brennt“, und 300, „wenn’s richtig brennt“, wie Parkers Vorgesetzter die Neue begrüßt. KRANK ist der gesamte Organismus, von dem sie versorgt werden. Wie krank das, sehen wir von Beginn einer Serie an, die nach langer Odyssee bei Apple gelandet ist. Vor sechs Jahren hatte der englische Notarzt Samuel Jefferson mit dem deutschen Autor Viktor Jakovleski das Treatment bei Sky vorgelegt. Jetzt geht sie bei der Konkurrenz aus Cupertino als Achtteiler online.

Wobei ihr Weg nicht halb so steinig war wie der, den alle Beteiligten solcher medizinischen Durchlauferhitzer von Einlieferung und Triage bis Erstversorgung und Abschied nehmen. Im Drehbuch des achtköpfigem Writers Room wechselt Suzanna Parker (Haley Louise Jones) aus ihrer gemütlichen Münchner Geriatrie ins rastlose Krank(enhaus) nach Neukölln. Und das mag ein „fiktionales Amalgam unterschiedlichster Recherchen, Orte, Erfahrungen, Träume, Visionen“ sein, wie Producer Henning Kamm den Drehort eines verwahrlosten Ostberliner Sport- und Erholungszentrums der Achtzigerjahre beschreibt. Ähnlichkeiten mit dem Alltagswahnsinn der Charité dürften dennoch eingepreist sein.

Gleich nach ihrer Ankunft befindet sich Dr. Parker inmitten chaotischer Zustände, denen Slavko Popadićs Dr. Weber ein angemessen verwüstetes Gesicht gibt. Nach durchfeierter Nacht müsste der Unfallchirurg eigentlich seinen Rausch ausschlafen. Auch auf Partydrogen jedoch wirft er sich in einen Dienst ohne Vorschrift, der die komplette Klaviatur stationärer Krisenbewältigung zwischen Professionalität und Improvisation spielt. Zunächst bleibt somit offen, was in der Serie nun dysfunktionaler ist: das KRANK, sein Personal, dessen Kundschaft oder die Gesundheitspolitik im Ganzen.

Früher geklärt ist hingegen, dass die Regisseure Alex Schaad und Fabian Möhrke Protogonisten plus Publikum alles abverlangen. Wie 2016 in der dokufiktionalen Rettungsstelle des CBS-Blutbads Code Black oder dem gynäkologischen BBC-Realitycheck This Is Going to Hurt sechs Jahre später, könnte KRANK Berlin vom Medical wirtschaftswundervoller Bauart folglich kaum weiter entfernt sein. Eine Fernseharztgeneration, nachdem die weißen Halbgötter in George Clooneys Emergency Room erstmals blutige Kittel bekamen, haben sich Klinik- und Praxisfiktionen der Wirklichkeit zwar angenähert.

So unverblümt wie bei Apple aber hat zumindest aus deutscher Produktion nicht mal das großartige Hebammen-Porträt Push am offenen Herzen der medizinischen Mängelverwaltung operiert. Kein Wunder, dass sich Dr. Parker bereits in Minute 33 zum Schreien in eine Abstellkammer verzieht und kurz darauf zum Heulen vor die Tür. Schließlich muss sie nicht nur pausenlos den Ausnahmezustand bis hin zum Bauchschuss betreuen; ebenso schlimm ist ein Kollegium, das der Neuen mit abgebrühter Geringschätzung entgegentritt.

„Ich geb‘ ihr drei Tage“, sagt Dr. Ertan (Şafak Şengül) am Ende der Premierenschicht und weiß die Statistik von vier verschlissenen Chefärzten in zwölf Monaten hinter sich. Weil sich Kollegin Parker als stressresilienter erweist, werden es jedoch – obwohl im Neonlicht nur zu ahnen ist, ob Tage oder Jahre vergehen – volle acht Folgen. Was darin passiert, wirkt mitunter dick mit stereotyper Tinte aufgetragen. Wie üblich im Fernsehentertainment ist Suzanna Parker (Haley Louise Jones) vor etwas Privatem nordostwärts geflohen, wo Klinikchef Beck (Peter Lohmeyer) trotz dünner Personaldecke nichts Besseres zu tun hat, als ihr den Einstieg mit einer betriebsinternen Ermittlung zum Tod einer Patientin schwer zu machen, für die der schwerstabhängige Ben verantwortlich zu sein scheint.

Dass er irgendwann Müllcontainer nach Drogen durchwühlt und darin zudröhnt wegdämmert, erfolgt ebenfalls eher im Spätdienst krasser Figurenzeichnung als inhaltlicher Stringenz – vom Dauereinsatz der glaubhaften Rettungswagen-Besatzung Olivia (Samirah Breuer) und Olaf (Bernhard Schütz) auf Swinger- und Technopartys oder einem Staffelfinale im 9/11-Stil ganz zu schweigen. Für Producer Kamm indes agiert sein Team „in der gesunden Mitte aus larger than life und such is life“. Zugleich real und fiktional, plausibel und kurzweilig.

All dies ist KRANK von der ersten bis zur letzten Szene einer Serie voller Gefühl, aber ohne Sentimentalitäten. Beides machen Schaad und Möhrke mal mit halluzinierender Schnittfolge, mal mit quecksilbriger Zeitlupe, hier in fiebriger Hektik, dort in routinierter Ruhe fast körperlich spürbar. „Surreal ist nur“, sagt Henning Kamm, dass Dr. Parker „im Emergency Room gendert“. Nicht aus Konservatismus, sondern Zeitmangel. Man fühlt ihn in jedem Moment einer grandiosen Milieustudie aus dem Fegefeuer der Hölle namens Gesundheitssystem.



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