The Handmaid’s Tale: Fiction & Reality
Posted: April 11, 2025 Filed under: 3 mittwochsporträt Leave a commentSchlussstrich unters Horrorszenario
Mit der sechsten Staffel in fast acht Jahren endet die verstörende Zukunftsdystopie The Handmaid’s Tale bei MagentaTV. Und zwar ausgerechnet in einer Zeit, wo ihre Fiktion Realität zu werden droht. Fazit einer Serie, die anfangs zu schrecklich war, um wahr zu sein. Lange her…
Von Jan Freitag
Kanada ist, wer würde dies bestreiten, eine topografisch spektakuläre, international geachtete, politisch selbstbewusste, allem Anschein nach standhafte Nation. Sie lässt sich daher von niemandem so leicht unterkriegen. Auch nicht unterm Druck der weltgrößten Militär- und Wirtschaftsmacht, die das Rückgrat des zweitgrößten Landes grad einem Belastungstest aussetzt, dem beileibe nicht jedes widerstehen würde. Wer ihm dabei aus sicherer Entfernung zusieht, hält es da durchaus für denkbar, wie Kanada sich ab heute zum letzten Mal bei MagentaTV zeigt.
Als Hort liberaler Ideale nämlich, der dem aufkeimenden Faschismus im Süden trotzt. Und nein, damit ist nicht Donald Trumps Zoll-Regime gemeint. Es geht um Gilead. Benannt nach einem Reich biblischen Ursprungs, haben christliche Fundamentalisten die USA in dieses postapokalyptische Patriarchat verwandelt, das den letzten Rest fruchtbarer Frauen zu Gebärmaschinen degradiert. Ein misogynes Horrorszenario, das bei der Premiere 2017 ähnlich undenkbar schien wie die Rückkehr der Taliban oder fünf Jahre später Trumps Rückkehr.
Wenn The Handmaid’s Tale nun mit Staffel 6 endet, zeigt sich also das prophetische Potenzial der Hauptverantwortlichen dieser aufsehenerregenden Serie. Kurz, nachdem Margaret Atwood 1985 den zugehörigen Roman geschrieben hatte, versprach Francis Fukuyama im Licht des Mauerfalls das Ende der Geschichte und meinte damit auch Gegner von Liberalismus, Marktwirtschaft, Demokratie. Als Bruce Miller den Besteller dann 2016 zur Serie aufbereiten ließ, schien der schwarze US-Präsident Barack Obama dem Showrunner trotz aller Finanz- und Staatskrisen sogar Recht zu geben.
Leider hat sich dieser Optimismus vorm Start der letzten acht von 68 Folgen in Luft auflöst. Schließlich wird nicht nur das Gilead-Territorium gerade von einer Clique antipluralistischer Frauenfeinde regiert. In aller Welt befinden sich die Errungenschaften jahrhundertelanger Befreiungskämpfe auf dem Rückzug. Nur Teile Europas halten dem rechtspopulistischen Sturm noch Stand. Und Kanada, versteht sich, das nächstgelegene Refugium. Dorthin zog es folglich auch die Hauptfigur June (Elisabeth Moss), nachdem sie ihr Dasein zwei Staffeln lang als lebender Brutkasten gefristet hatte.
Nach furchtbarer Irrfahrt durch Herrenhäuser und Frauenkäfige Gileads, verhalf sie 86 Kindern zur Flucht ins gelobte Land nordwärts. Mehr noch: mit Ehemann Luke (Olatunde Fagbenle), der Verbündeten Moira (Samira Wiley) und dem Kollaborateur Tuello (Sam Jaeger) baute June in Kanada eine Form feministischer Widerstandsbewegung entflohener Mägde gegen das alttestamentarische Regime im Süden auf. Ein Gottesstaat, dessen Religiosität nur als Feigenblatt männlicher Machtgelüste dient. Doch zu Beginn der finalen Staffel ist auch dieser Rückzugsort bedroht.
Da Kanada Flüchtlinge wie sie wieder ausweist, sitzt June mit Baby und gebrochenem Arm plötzlich neben der verhassten Witwe (Yvonne Strahovski) ihres alten Besitzers im Zug nach Süden, wo der Kampf gegen die Unterdrückung weitergeht. Wie genau, wird hier nicht verraten. Was die Serie in den ersten vier Staffeln allerdings faszinierend machte, findet auch jetzt seine Fortsetzung. Denn abgesehen von der grundbösen Aufseherin Lydia (Anne Dowd), leiden Opfer und Täter, Sklavinnen wie Halter gleichermaßen an der retrofuturistischen Steinzeittyrannei.
Selbst Profiteuren gewährt sie wenig Freude an ihrer schönen neuen Welt. Und genau darin besteht die Faszination einer zeitlosen Near-Future-Serie, deren Ästhetik zugleich anzieht und abstößt. Beides perfekt verkörpert von Elisabeth Moss, die Junes Achterbahnfahrt von untertäniger Demut über aufkeimende Renitenz bis zur entfesselten, aber kontrollierten Wut mit ihrer Mimik allein Ausdruck verleihen kann wie kaum eine Schauspielerin sonst. Wenn ihr Ringen um Selbstbehauptung für sich und ihre Schicksalsgenossinnen im Rachefeldzug gipfelt, haben sich einige der Eskalationsspiralen zwar abgenutzt.
Sie entfalten allerdings auch weiterhin einen Sog, dem man sich anders als bei der auserzählten Referenzgröße The Walking Dead schwer entziehen kann. Das liegt wohl auch an der bedrückenden Atmosphäre und ihrer fabelhaften Ausstattung. Zwischen Darth Vaders tiefschwarzem Helm (Star Wars) und Uma Thurmans dottergelbem Overall (Kill Bill) zieren die blutroten Kutten unter schneeweißen Hauben schließlich längst das Museum ikonischer Filmaccessoires. Ihre Wirkung lässt sich bestens im Showdown von Handmaid’s Tale bestaunen.
Wenn die unverwüstliche Hauptfigur darin mit ihrer kleinen Armee aufsässiger Mägde während einer hochherrschaftlichen Hochzeit in retrofuturistischer Cyberpunk-Ästhetik aufmarschiert und dabei „lieber Gott, gib uns die Kraft diese gottverdammten Motherfucker zu töten“ zischt, schaltet das Format ein letztes Mal in jenen Überwältigungsmodus, der es so unvergleichlich macht. Und zieht – was zusehends kritische Bewertungen auf Portalen wie Metacritics oder Rotten Tomatos unterstreichen – rechtzeitig einen Schlussstrich. Möge er den machtversessenen Missbrauch der Religion bei aller guten Unterhaltung niemals so weit kommen lassen wie in dieser wegweisenden Serie.