Hollywoods Prozesse & Schalkos Milieus

Die Gebrauchtwoche

9. – 15. Juni

Strafprozesse gelten als Randaspekte der Presseberichterstattung. An der Schnittstelle von gesellschaftlicher Theorie und juristischer Praxis gelegen, sind sie zwar medial durchaus bedeutsam, oftmals aber auch zu akademisch, um allgemeinverständlich zu sein. Auch, was gerade zwei New Yorker Gerichte ein paar Blocks voneinander entfernt verhandeln, wirkt sonderbar abstrakt, obwohl die Sache eigentlich sonnenklar erscheint.

Sean Combs aka P. Diddy und Harvey Weinstein, ehemaliger Hollywoodmogul, haben ihre Machtpositionen zur Misshandlung einflussloser Frauen benutzt. Ersterem droht dafür lebenslange Haft, letzterer hat seine Berufung gegen ein ähnliches Strafmaß gerade größtenteils verloren. Gemeinsam stehen sie für eine Mischung aus Sensationslust und Chronistenpflicht, die den Boulevard auf 180 bringt, seriöse Redaktionen indes unter Rechtfertigungsdruck.

Denn wie viel Aufmerksamkeit die Täter verdienen, ohne ihre Opfer erneut zu verletzen, ist schwer zu justieren. Noch komplizierter wird es hingegen bei der Presseberichterstattung über den drittwichtigsten Prozess mit politischer Stoßrichtung: Aktuell wird in Karlsruhe entschieden, ob Nancy Faesers Verbot des Faschismus-Fanzine Compact Bestand haben darf. In einer perfekten Welt würde das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung der damaligen Innenministerin bestätigen.

In einer dystopischen wie unserer jedoch sollte es derlei aktionistischen Eifer schleunigst revidieren. Vernunftbegabte müssen sich inhaltlich mit der Ignoranz auseinandersetzen. Das gilt für Jürgen Elsässers Blut-und-Boden-Geschwurbel ebenso wie für den Umgang mit Donald Trumps Versuch, die USA in eine Diktatur zu verwandeln. Seine Heimatschutzministerin Christi Noem hat schon mal geübt und den demokratischen Senator Alex Padilla mit Gewalt aus ihrer Pressekonferenz warf.

Weit bedenklicher ist hingegen, dass ihr Monarch die Armee gegen Demonstrierende aufmarschieren lässt. Und zwar aus zweierlei Hinsicht: Weil es die Demokratie mit Springerstiefeln tritt. Und weil beide Seiten die Ereignisse auf Social Media so verdrehen, dass am Ende niemand mehr weiß, was wahr ist und was Propaganda.

Die Frischwoche

16. – 22. Juni

Und damit zur Club-WM von Gianni Infantinos Gnaden auf DAZN … über die wir auch an dieser Stelle kein weiteres Wort verlieren außer zwei: Nicht ansehen! Dann schon lieber das neueste Werk von David Schalko. Am Freitag startet in der ARD-Mediathek die sechsteilige Anthology-Serie Warum ich? Und wenn die starbesetzte Nummernrevue implodierender Mikromilieus wie bereit bei Braunschlag oder Kafka alle Sehgewohnheiten schreddert, ist der österreichische Regisseur nach eigenem Drehbuch in seinem Element.

Dem Irrsinn der Wahrhaftigkeit. Dafür ist hierzulande auch Schalkos Bruder im Geiste gut. Und in der Tat: seine Politgroteske Ein ganz großes Ding mit Silke Bodenbender als ehrgeizige Bürgermeisterin, die es aus ihrer Provinz ins Kanzleramt schaffen will, aber schon am Busverkehr scheitert, ist tags zuvor im Zweiten für hiesige Verhältnisse boshaft, ohne gemein zu sein. Das gilt auch für Till Reiners, dem der gleiche Kanal tags drauf die nächtliche Talkshow Till Tonight schenkt.

Ansonsten ist und bleibt das Angebot zum Sommerbeginn gewohnt übersichtlich. Bei Netflix geht die Doku-Reihe Trainwreck weiter, in der es am Dienstag um den Chaos-Bürgermeister Rob Ford geht, der unerwartet an die Spitze von Toronto gewählt – und ebenso fix wieder gestürzt – wurde. Und am Mittwoch startet die Bestseller-Verfilmung We Were Liars um stinkreiche Privatinselbesitzer bei Prime Video, bevor am Donnerstag eine Fischerei-Dynastie in der Netflix-Serie The Waterfront ums Überleben kämpft.



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