Doom Scrolling & Kriegsgefangene
Posted: June 24, 2025 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |Leave a commentDie Gebrauchtwoche
16. – 22. Juni
Die Nachrichtenlage war schon mal besser. Zumindest im digitalen Zeitalter war sie sogar nie schlechter. Unterhaltsamer im Sinne von fesselndem Entertainment war sie hingegen nur selten. Wer morgens erwacht, hat daher die freie Auswahl zwischen der news avoidance genannten Totalverweigerung oder doom scrolling genannter Druckbetankung mit Katastrophen, Krisen, Donald Trump.
Wer noch zur gesunden Mitte neigt, hat daher womöglich mitbekommen, dass letzterer weitere 639 Angestellte amerikanischer Auslandssender entlassen ließ, die von der staatlichen Agency for Global Media (USAGM) verwaltet werden. Betroffen sind zwar auch Middle East Broadcasting, Radio Free Asia oder Office of Cuba Broadcasting. Allein auf Voice of America entfallen allerdings 600 Stellen, womit der traditionsreiche Kanal – im 2. Weltkrieg gegründet – vor der Schließung steht.
USAGM-Chefin von Trumps Gnaden, Kari Lake, kommentierte den Kahlschlag damit, eine „unverantwortlich aufgeblähte Bürokratie“ abzubauen. Sie unterschlug aber natürlich, dass der gesamte Apparat pro Jahr ungefähr den Gegenwert eines Tomahawk-Marschflugkörpers kostet, von denen Donald Trump Ende der Woche insgesamt 24 völkerrechts- und verfassungswidrig auf den Iran abfeuerte. Immerhin – auch das sorgte für das, was er unter „gutes Fernsehen“ versteht. Im Gegensatz zur laufenden Club-WM im eigenen Land.
Wer es nicht mitbekommen hat: 32 Fußball-Franchises aller Kontinente spielen da gegeneinander, und niemand will es sehen. Gut, weil Fans von Bayern München eher ökonomisch als moralisch ticken, konnte DAZN 2,5 Millionen Zugriffe des sinnlosen 10:0 gegen Auckland verbuchen. Die Stadionauslastung allerdings liegt deutlich unter 50 Prozent, und das auch nur, weil große Kontingente nahezu verschenkt werden.
Da freut man sich doch wieder auf echtes Entertainment. Die 5. Staffel 7 vs. Wild zum Beispiel, in die Amazon Prime folgende Überlebenskünstler*innen schickt: Joe Vogel, David Leichtle, Kris Grippo, AviveHD, Imke Salander, Fibii und Jeanette Michaelsen. Wem nur letztere geläufig ist, zählt schon nicht mehr zur Zielgruppe meist männlicher Gaming-Fans der Generationen Z bis Alpha…
Die Frischwoche
23. – 29. Juni
Für sie ist im Übrigen auch eine Sitcom wie Nighties um die Nachtschicht eines Mittelklassehotels, ab Freitag in der ZDF-Mediathek gedacht – eine achtteilige Clipshow situationskomischer Witzchen auf Twitch-Niveau. Für alle, also wirklich alle ist hingegen die dritte und angeblich abschließende Staffel Squid Game zeitgleich bei Netflix geplant, worüber man nun wirklich nichts mehr sagen muss.
Ebenfalls in dritter Runde ist bereits schlägt sich das das gleichnamige Historienepos durch The Gilded Age bei Sky, während The Bear ab Donnerstag bei Disney+ sogar Carmys vierte Küchenschlacht erlebt. Gibt aber auch echte Neustarts. Der 13-teilige Verschwörungskrimi Countdown etwa, seit gestern bei Prime Video. Die finnische Ermittlerin Detective Maria Kallio, parallel beim Amazon-Kanal Viaplay. Und wirklich empfehlenswert: Smoke.
In der ausgedudelten Real-Crime-Fiction jagt die US-Serie ab Freitag zwei Brandstiftern nach. Und das ist nicht nur dank der faszinierenden Bilder von Flammen aller Facetten überaus sehenswert. Gleiches gilt fürs Feuer der Liebe, das der britische Sechsteiler Alice & Jack ab heute bei Neo entfacht. Selten zuvor war ein Balztanz über sechs Folgen hinweg rührender, ohne rührselig zu werden, als dieser. Am Donnerstag startet dann noch ein vielschichtiger Sommerschwerpunkt zum Thema QUEER.
Und weil die freitagsmedien ein paar Tage unterwegs sind, hier noch drei entferntere Tipps: Am 1. Juli startet bei Sky das vielleicht ergreifendste, zugleich unsentimentalste Weltkriegsdrama überhaupt: The Narrow Road to the Deep North. Fünf Teile geht es dabei um australische Kriegsgefangene des japanischen Kaiserreichs, die unter unmenschlichen Bedingungen eine Eisenbahnstrecke errichten. Von einer vergleichbaren Katastrophe handelt parallel bei Arte Srebrenica Tape, die Suche einer Frau nach Spuren ihres Vaters im Balkan-Krieg. Und zum leuchtet Torsten Körners Doku Mädchen können keinen Fußball spielen am Freitag im Ersten die Frauenverachtung des deutschen Volkssports Nummer 1 aus.