AppleTV+: Smoke & Feuerteufel
Posted: July 3, 2025 Filed under: 3 mittwochsporträt Leave a commentKatharsis im Funkenflug
In der großartigen Serie Smoke (Foto: AppleTV+) jagt die Polizei einer amerikanischen Stadt einen, womöglich gar mehrere Serienbrandstifter. Klingt nach der üblichen Feuerwehr-Stuntshow im RTL-Stil, ist aber verblüffend eigensinnig und vor allem grandios fotografiert.
Von Jan Freitag
Seit der Homo Erectus vor mindestens einer Million Jahre das Feuer zu nutzen begann, ist die Sorge des Menschen vorm Übergreifen der Flammen über alle Epochen hinweg ungebrochen. Wer ihn davor schützt, genießt daher bis heute höchstes Ansehen. Höher sogar als ähnlich angesehene Hebammen, Verfassungsrichter, Pflegekräfte. Das gilt also auch für Umberland im Nordwesten der USA. Unweit von Kanada, wo gerade mal wieder die größten Waldbrände der Geschichte wüten, sollte man sich daher nicht mit Fire Fighters anlegen, wie Feuerwehrleute im Land apodiktischer Heldenverehrung heißen.
Dass Michell Calderon (Jurnee Smollett) es dennoch tut, hat daher zwei gute Gründe: die Tatort-Expertin der Polizei von Columbia ist ebenso furcht- wie vorurteilsfrei. Und es gibt Hinweise darauf, dass eine Reihe verheerender Brandstiftungen im Distrikt des zuständigen Sonderermittlers Dave Gudson (Taron Egerton) aufs Konto von einem seiner Ex-Kollegen der örtlichen Feuerwehr gehen. Nur: davon will sie natürlich nichts hören. Von einer Frau zumal, die obendrein schwarz ist.
„Beweise sind relativ“, wirft ihr einer der 3468 Fire Fighters im Verhör entsprechend zornig an den Kopf. „Nein, Beweise sind Beweise“, schießt Michell ungerührt zurück, worauf der Befragte fragt: „Sind Ihre Beweise denn auch Beweise oder eine Agenda?“ Uniformierte, da unterscheidet sich die US-Feuerwehr kaum vom bayerischen Schützenverein, machen bei Angriffen von außen schnell dicht. Die Omertà, sie lautet: Corpsgeist. Im fiktiven Umberland vermischt er sich mit Rassismus und Misogynie zu einem Giftcocktail, den Apple TV+ gute acht Stunden ins Publikum tröpfelt. Klingt lang, lohnt sich!
Denn Smoke, wie die Verfilmung des erfolgreichen Podcast „Firebug“ über den real existierenden Feuerteufel John Leonard Orr heißt, lässt nicht nur wegen der Gefahrenlage niemanden kalt; auch die wachsende Zahl an Tatverdächtigen dehnt den Spannungsbogen. Mitte der ersten Folge etwa präsentiert uns Dennis Lehane, als Autor der horizontalen HBO-Revolution The Wire ein bisschen legendär, den desperaten Koch einer Fastfoodkette als potenziellen Brandstifter. Und im Laufe der Zeit gesellen sich dazu noch weitere. Ermittler inklusive.
Weil er das Wissen über ihre Tatbeteiligung selten künstlich verknappt, erspart uns der Showrunner jedoch die üblichen Abläufe kokelnder Who-Dunnit-Krimis. So sticht sein Neunteiler ein Stück weit heraus aus dem Einerlei der gefühlt 3468 Film- und Fernsehfiktionen mit (auch äußerlich siedend heißen) Feuerwehrleuten vom RTL-Getöse 112 – Sie retten dein Leben bis Chicago Fire oder Station 19. Zumal Kari Skogland und Joe Chapelle der Serie auch ästhetisch ein paar Alleinstellungsmerkmale hinzufügen.
Zum trübschönen Titelsong des Radiohead Thom Yorke, vollführen die beiden Regisseure eine Art visueller Meditation übers Feuer an sich. Ob Grill, Großbrand, Kippe oder Kamin: In Zeitlupen, die mal wie Kerzenlicht flackern, mal wie Präriebrände rasen, aber nie einfach nur brennen, gehen sie der exothermen Sauerstoffreaktion geradezu philosophisch auf den Grund. Schließlich sei „nicht nur ein Element“, wie der Sprecher anfangs heiser aus dem Off flüstert. „Feuer ist ein Organismus.“
Wenn der Brandstifter am Rande eines hektischen Feuerwehreinsatzes andächtig still im Funkenflug seiner Rache steht, inszenieren ihn die Filmemacher folglich wie den strafenden Gott unserer Sünden. Mitunter hart an der Grenze zum Pathos, erschafft Dennis Lehane so ein kathartisches Meisterwerk menschlicher Urängste. Wie die zwei Cops währenddessen mit den Geistern ihrer Vergangenheit ringen, mag da ebenso zum Standardrepertoire handelsüblicher Krimis zählen wie ihre Attraktivität.
Dass sich die schöne Michell bei jeder Gelegenheit auszieht, um sich im sexy Tanktop am anders gepolten Partner zu reiben, ändert aber wenig daran, was Smoke bis tief ins Tarantino-hafte Serienfinale vom Mainstream unterscheidet. „Falls dein Schwanz länger ist als meiner, könnte ich ihn abreißen“, droht die ranghöhere Polizistin gleich beim ersten Kompetenzgerangel. „Er ist nicht allzu groß“, räumt ihr Kollege für Alphatiere ungewöhnlich da ein. „Eher Durchschnitt.“ Ganz im Gegensatz zu dieser ungewöhnlichen Feuerwehrserie.
Smoke, 9×50 Minuten, seit 27. Juni bei Apple TV+
