Helge Schneider: Katzeklo & Klimperclown

Cello im Ruhrpottkeller

Helge Schneider ist gerade 70 Jahre alt geworden, von denen er Dreiviertel auf der Bühne steht. Die ARD hat ihm dazu ein selbstgemaltes Geburtstagsporträt gewidmet. Und The Klimperclown ist, nun ja, so sehr Helge Schneider, wie es gerade noch zu ertragen ist. Also absolut aberwitzig. Und großartig.

Von Jan Freitag

Um das Phänomen des kuriosesten aller deutschen Komiker zu verstehen, muss man kurz auf Zeitreise nach Kiel gehen. In seiner 121-jährigen Geschichte hat das Studio am Dreiecksplatz schon viel erlebt. Aber was dort um den 79. Geburtstag geschah, war selbst fürs älteste Lichtspielhaus der Stadt ungewöhnlich. Mitten im Hauptfilm verließ die Hälfte der Zuschauer den Saal, nicht wenige wutentbrannt. Das wäre indes kaum der Rede wert, hätten die verbliebenen 50 Prozent nicht vor Lachen unterm roten Mobiliar gelegen. Wenn es noch eines abschließenden Beweises dafür bedürfte, dass Humor ist, wenn man trotzdem lacht: Ende 1993 lieferte ihn Helge Schneider in Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem, als teilte Mose das Meer des schlechten Geschmacks.

Für Fans ein Revolutionär, für alle anderen Dilettant: so wie die dadaistische Westerngroteske vor 33 Jahren das Kinopublikum spaltete, wandelt ihr Autor, Regisseur, Komponist und Hauptdarsteller auch kurz vor seinem 70. Geburtstag zwischen Genie und Wahnsinn. Für diesen Balanceakt widmet ihm die ARD nun ein wahnsinnig geniales Porträt. Und weil außer ihm selbst nun wirklich niemand in Helge Schneiders Kopf zu blicken vermag, begibt er sich mithilfe seines langjährigen Bühnenpartners Sandro Giampietro persönlich auf den Grund des Unergründlichen.

Wer ein konventionelles Filmporträt erwartet, wird also enttäuscht. Wer ein unkonventionelles erwartet, allerdings ebenso. Der Klimperclown, wie es nach kurzer Kino-Auswertung ab Montag in der Mediathek auf Erwartungsflexible wartet, dekonstruiert sämtliche Konstanten klassischer Dokumentationen mit derselben Hingabe wie ihr Beobachtungsobjekt. Es beginnt, wo sonst, bei der eigenen Geburt. Schneider stellt sie mit zwei Handpuppen nach und nutzt dabei seine infantil-debile Kopf- und Gaumenstimme der Katzeklo-Ära, die FAZ-Feuilletonisten bis heute verlässlich die Fußnägel hochklappt.

Knapp 80 Minuten stolpert der Jubilar scheinbar orientierungslos durch 63 Jahre Bühnenerfahrung. Der Minderjährige musiziert bereits mit Cello und Günther in Ruhrpottkellern. Als Erwachsener vermischt er bald Comedy und Jazz zu einer Art multiinstrumentellem Nihilismus. Aus seinem gut gefüllten Fundus absurder Perücken, Anzüge, Brillen, Plateauabsätze kostümiert Schneider Kunstfiguren jenseits aller Stereotypen. Das wirklich Absurde aber ist: wie im Kieler Kinosaal lacht sich die Hälfte der Deutschen schlapp, wenn er „meine Schuhe, die lieb‘ ich sehr / ohne Schuhe, wär‘ ich nicht hier“ singt.

Wenn der Gitarrenvirtuose (und Klaviervirtuose (und Saxofonvirtuose (und Geigenvirtuose (und Schlagzeugvirtuose (und Akkordeonvirtuose))))) dazu schräge Tonfolgen zupft, belegt er das ungeschriebene Filmgesetz, nur gute Eiskunstläufer können schlechte Eiskunstläufer spielen, und lüftet nebenbei einen Teil seines Witzgeheimnisses: Niemand füllt die Leerstellen unserer Logik virtuoser mit Nichts als der Sohn eines Fernmeldemonteurs und einer Finanzbeamtin. Geboren am 30. August 1955 in Mühlheim/Ruhr, ungefähr 30 Jahre vor jener Medienrevolte, denen auch die Mauern der herrschenden Lachhaftigkeit nicht standhielten.

Mitte der 80er nämlich baut das Privatfernsehen, namentlich RTL und Tele5, drollige Brücken über den Mainstream-Frohsinn. Zwischen Dieter Hallervordens Glubschaugen-Klamauk und Dieter Hildebrandts Verkündungskabarett legen Anarchos wie Christof Schlingensief und Hape Kerkeling, Harald Schmidt und Herbert Feuerstein, Bully Herbig und Corny Littmann, also viele Männer und außer Anke Engelke kaum eine Frau den Humor ihrer Tage zugleich höher und tiefer. Alles hochkonzentriert in Texas.

In dessen „Verweigerungskomik“, schrieb damals der Filmkritiker Georg Seeßlen, sei „immer was los“, man wisse „nur nicht genau was“. Rettungslose Schönseher hätte sich vom Klimperclown da womöglich Aufklärung erhofft, was genau in den vier Fortsetzungen, sieben Kriminalromanen, elf Hörbüchern, zwei Dutzend Cameo-Auftritten und Abertausend Liedern wie Es gibt Reis, Baby los ist. Kleiner Spoiler: Statt alte Fragen zu beantworten, stellt der Film lieber ein paar neue.

Ob der ehemalige Kelly-Family-Sänger Angelo tatsächlich Helge Schneiders Schlagzeug-Roadie ist zum Beispiel und falls (höchstwahrscheinlich) nicht: Warum ihm die ARD geschlagene zwei der 82 Minuten von herausragender Belanglosigkeit beim Schlagzeugaufbau zusieht. Überhaupt: das Klimperclown-Personal… Helge Schneider holt den halben Cast früherer Filme in sein Selbstporträt und verbringt mit ihnen Zeit ohne jeden Mehrwert. Einfach nur Menschen mit Menschen beim, tja, Menschensein oder auch mal alleine mit sich, einem Handstaubsauger und Frank Sinatra im Wohnmobil.

Was an der Loseblattsammlung früher Homevideos, späterer Kinofilme, junger Konzertmitschnitte und brandneuer Dokumentaraufnahmen real oder erfunden ist, Fiktion oder Dokumentation, weiß nur Helge Schneider allein. Weit wichtiger als jede Wahrhaftigkeit ist ohnehin, dass dem kuriosesten, vor allem jedoch uneitelsten aller deutschen Komiker von Herzen egal zu sein scheint, was andere, also wir, das Publikum, von ihm denken. Diese Kaltschnäuzigkeit allein ist bereits lustiger als alle Bühnenprogramme selbsterklärter Comedians zusammen.



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