Rechte Influencer & deutsche Medicals

Die Gebrauchtwoche

8. – 14. September

Es ist schon bemerkenswert, wie viel Anstand die Unanständigen, wie viel Humanismus die Menschenfeinde, wie viel Liebe die Hater von uns verlangen, falls einer der ihren dem Tod von der Schippe springt oder wie im Falle Charlie Kirks eben auch nicht. Hätte die Staatsanwaltschaft, von der El Hotzo für dessen Freude übers Ableben amerikanischer Faschisten angeklagt wurde, wohl auch jemanden belangt, der sich Adolf Hitlers Tod wünscht oder wem darf man öffentlich ungestraft das vorzeitige Ableben wünschen?

Die Frage ist polemisch, zugegeben. Aber wer sich die merkwürdige Verklärung des rechtsextremen Anschlagsopfers zum mal konservativen, mal Trump-nahen Influencer betrachtet, wünscht sich vielleicht ein ganz kleines bisschen mehr El Hotzo in der Tagesschau. Oder zumindest den Mut, Nazis als das zu benennen, was sie selbst angesichts der zivilisatorischen Übereinkunft, seine Gegner normalerweise nicht zu töten, halt immer noch sind: Nazis.

In diesem Sinn suchen wir bei der Verleihung der Deutschen Fernsehpreise mal nach Formaten mit Typen wie Kirk oder ihren Urahnen, werden aber nicht fündig. Selbst unter den Nominierten der Kategorie Information – null brauner Thrill von gestern, heute, morgen. Dafür viele richtige und ein paar falsche Entscheidungen. Krank Berlin als beste Dramaserie auszuzeichnen war zum Beispiel ebenso zwingend wie der für Bilal Bahadırs Drehbuch von Uncivilized.

Aber bitte – Achtsam morden soll komödiantisch besser sein als Angemessen Angry oder Tschappel? Marie Furtwängler besser geschauspielert haben als Marie Bloching, Haley Louise Jones oder Melodie Simina in Schwarze Früchte? Und Tim Mälzers klischeetriefende Herbstresidenz war allen Ernstes das beste Factual Entertainment? Dahinter stecke wie immer viel Proporzdenken – deshalb haben ARD und ZDF sieben und acht Preise gekriegt, aber von RTL (4) bis AppleTV+ (1) eben auch alle anderen mindestens einen.

Echte Überzeugung lieferte tags drauf der Deutsche Radiopreis. Auf einer selbstverliebten, aber geerdeten Gala wurde in Hamburg nicht nur, wie die Süddeutsche Zeitung urteilt, Nahbarkeit prämiert. Sondern Kreative und ihre Sendungen, die bei allem Dudelfunk täglich herzblutgetriebene Arbeit ohne Prominenzboni abliefern. Und das obendrein gern im Auftrag kleiner Provinz-Kanäle, die aufopferungsvoll gegen die Widrigkeiten unserer Zeit ansenden.

Die Frischwoche

15. – 21. September

Umgekehrt gilt das auch für öffentlich-rechtliche Mediatheken, die aufopferungsvoll gegen amerikanische Riesenportale anstreamen. Das Erste zum Beispiel, wie Evil-E zeigt. Die Doku spürt der Deutschen Eva Ries nach, die einst den Wu-Tang Clan zur festen HipHop-Größe machen half. Selbst Medicals gelingen der ARD, wenn sie online first laufen wie David & Goliath, worin die wunderbare Lou Strenger vorerst zwei Filme lang ein neues Feld betritt: als Personalpsychologin eines Essener Krankenhauses.

Ansonsten gibt es viel Neues aus den USA. Jude Law etwa als Restaurant-Betreiber der Netflix-Serie Black Rabbit ab Donnerstag. Tags drauf die klaustrophobische Kapitalismuskritik Der Milliardärsbunker in acht Teilen aus Spanien. Oder zeitgleich bei Disney+ Swiped, das Porträt der Erfinderin des Dating-Portals Tinder und ihr einsamer Kampf im Männerhaifischbecken Silicon Valley.

Ansonsten startet Mitte der Woche bei arte.tv Faithless, das sechsteilige Remake von Ingmar Bergmanns legendärem Selbstporträt Trolösa aus dem Jahr 2000. Kurz darauf macht Amazons revisionismusanfälliger Wehrmachtsfiebertraum Der Tiger vor der Prime-Ausstrahlung einen Kino-Abstecher. Und die deutsch-türkische Netflix-RomCom She Said Maybe spielt parallel witzigerweise in einer Türkei ohne Diktator.

In einem Russland mit Diktator spielt hingegen die ZDF-Doku Der Pate von St. Petersburg. Drei Teile skizziert sie ab Sonntag in der Mediathek den Aufstieg Wladimir Putins zum faschistoiden Warlord, gegen den selbst Leonid Breschnew liberal wirkt. Letzter Tipp: The Woddafucka Thing, eine Berliner No-budget-Ganoven-Komödie mit der fabelhaften Dela Dabulamanzi, die 2024 für den Deutschen Schauspielpreis nominiert war. Samstag bei One oder in der ARD-Mediathek.



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