Stefan Raab: Ageism & Abschied
Posted: October 1, 2025 Filed under: 3 mittwochsporträt Leave a commentGefräßige Fernsehrevolution
Stefan Raab (Foto: RTL) hatte einst frischen Wind durchs Leitmedium linearer Tage geblasen. Sein Primetime-Comeback bei RTL zeigte vorigen Mittwoch, wie lange das her ist. Ein Appell zur drohenden Fortsetzung heute Abend, endlich abzutreten.
Von Jan Freitag
Im weitverzweigten Flussdelta der Niedertracht, dümpelt eine weithin unterschätzte Diffamierung durchs Wasser. Sie nennt sich „Ageism“ und bezeichnet abwertende Haltungen aufgrund unvermeidbarer Alterungsprozesse. Normalerweise verbietet es sich da von selbst, Menschen aufgrund der Zahl ihrer Falten und Jahre herabzuwürdigen. Bei einem allerdings machen wir an dieser Stelle schon deshalb kurz die Ausnahme, weil er sein humoristisches Arsenal eigentlich nur noch mit Diffamierungen von variierender Niedertracht munitioniert: Stefan Raab.
Stefan wer, fragen die Generationen Z bis Alpha da womöglich. Stefan, kurz zur Aufklärung, der 1993 das deutsche Musikfernsehen und sechs Jahre später die Mainstream-Comedy revolutionieren half. Wobei die Zeitspannen allein bereits andeuten, dass diese Revolution ihr frechstes Kind längst gefressen hat. Und dem anhaltenden Verdauungsprozess wohnen wir zurzeit auf RTL bei, wo der begnadete Entertainer nach drei Jahrzehnten ProSieben gerade sein Lebenswerk verfüttert.
Ein paar Appetithäppchen gab es in der Vorwoche, als Die Stefan Raab Show fünfmal 15 Minuten lang zur immer noch besten Sendezeit um 20.15 Uhr lief. Das Konzept? Tja… Grob erinnerte es an seine Comedy-Legende TV total, wo er bis 2012 das zeitgenössische Fernsehprogramm kommentierte. Gröber war es bereits zum Auftakt vor zehn Tagen eine Dauerwerbesendung für RTL-Formate oder Bully Herbigs Kinofilm Kanu des Manitu. Am gröbsten war jedoch Raabs Rap-Variante der deutschen Nationalhymne zwischendurch, bei der man sich vor Fremdscham gern in Sarah Connors Sickergrube verkrochen hätte.
Schwer zu glauben, dass die gestrige Langversion dieser Live-Zumutung noch schlimmer werden könnte als ihre viertelstündigen Teaser zuvor. Aber es wurde schlimmer. Sehr viel schlimmer. So schlimm, dass er zum Premierenthema „Bodybuilding“ fünf Muskelpakete plus Horst Lichter eingeladen hat, aber keinen Kritiker der umstrittenen Anabolika-Cocktailparty, geschweige denn einen Mediziner. Inga Lescheks Reklame für „bestes Entertainment, Humor, Neugier und die scharfzüngige Einordnung der Woche“, kam also nicht zufällig ohne Begriffe wie „Relevanz“ oder „Niveau“ aus.
Warum die RTL-Inhaltsverantwortliche „Fremdscham“ und „Inkompetenz“ vergessen hatte, lässt sich da nur mit dem Zeugnisverweigerungsrecht aller Angeklagten erklären. Umrahmt von handgezählten 750 Ähs unterschiedlicher Länge, eröffnet Raab die Show mit einer 7,5-minütigen Sketch-Attrappe darüber, wie sein Langhaarschneider bei der morgendlichen Kopfrasur versagt hat. Mangels Pointen versagte dann selbst das handverlesene Saalpublikum dem Studio-Einpeitscher die Gefolgschaft. Dabei sind geschätzt zwei Drittel der Besucher unübersehbar selbst Bodybuilder, die Raab nur in Gestalt einer Straßenumfrage mit sanfter Kritik am Körperwahn behelligt.
Der Staffelstart lässt sich deshalb nur als Verbeugung vor einer Manosphere genannten Klientel traditionsbewusster Pfundskerle deuten, die vom traditionsbewussten Pfundsmoderator mit patriarchal geprägter Folklore versorgt wurden. Dad-Jokes wie „Louis Armstrong, der erste Trompeter auf dem Mond“ stammen schließlich noch aus Stefans Köln-Sülzer Kindheit. Kalauer über Gartenzaunstreitereien, den ZDF-Fernsehgarten oder das Oktoberfest haben ebenso grauen Bartwuchs. Und wenn der Gastkomiker Robert Geiss in drei Minuten Trash-TV humoristisches Fatshaming plus Homophobie und Agism betreibt, hat Die Stefan Raab Show erfolgreich um Applaus von rechtsaußen gebettelt.
Nach furchtbar zähen 75 Minuten, in denen der Moderator keinerlei erkennbares Interesse an Thema, Gästen, der Realität, aber umso mehr an sich selber zeigte, hinterlässt Stefan Raabs Rückkehr also zwei grundsätzliche Fragen. Worum genau ging es da zwischen GZSZ und stern TV eigentlich noch mal? Und wann tritt dieser hochverdiente Bilderstürmer linearer Fernsehtage eigentlich ab? Ungeachtet der Diffamierungen Schwächerer, waren Formate wie TV total oder die Wok-WM ja doch Meilensteine des dualen Systems. Seine Liebe zur Musik stach angenehm aus dem Konservenprogramm anderer Kanäle hervor. Außer ihm konnte 1998 folglich niemand so glaubhaft den dahinsiechenden ESC retten.
Dass der NDR den Gesangswettbewerb künftig wieder ohne seinen Heilsbringer organisieren will, sollte ihm hier allerdings zu denken geben. Die sang- und klanglose Beerdigung von „Du gewinnst hier nicht die Million“ sowieso. Nur Monate nach ihrer Premiere hatte RTL im Juni schließlich die notorisch quotenschwache „Entertainment-Quiz-Competition-Show“ abgesägt. Hauptgrund: Stefan Raab hat seinen Instinkt verloren. Fürs herkunftsunabhängige Maß an Respektlosigkeit. Für schlagfertigen Humor. Letztlich also: für gute Unterhaltung.
Jimmy Kimmel kann ihn in seiner zurückgekehrten Late-Night-Show daher noch so sehr für ein drolliges Job-Angebot loben: Raab ist von vorgestern. Ein Grund mehr, übermorgen keine Sende-, also Lebenszeit mehr mit ihm zu vergeuden. Irgendwann war es irgendwie mal lustig mit dir, lieber Stefan. Aber jetzt genieß doch bitte endlich deinen wohlverdienten Ruhestand. Das ist kein Agism, sondern einfach höchste Zeit.