Weimers Einfluss & Riefenstahls Erbe
Posted: November 24, 2025 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |Leave a commentDie Gebrauchtwoche
17. – 23. November
Nein, Wolfram Weimer wird in diesem Staatssekretärsleben sicher kein Freund linksliberaler, interessanterweise aber auch nicht rechtsradikaler Medien mehr werden. Nachdem das AfD-Fanzine Apollo News skandalisiert hatte, der wirtschaftspolitische Gipfel seiner eigenen Media Group verspreche Teilnehmenden „Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger“, ging das Thema durch abseits aller Schützengräben durch die Presse – und hat dazu geführt, dass Weimer die 50 Prozent an seiner eigenen NGO verkauft hat.
Fast drängt sich der Verdacht auf, konstruktive Kritik könne konservatives Verhalten nachhaltig beeinflussen. Kaum jedenfalls, dass Andres Veiels Kino-Porträt Riefenstahl in der Fernsehzeitschrift unter ARD aufgetaucht ist, erkennt der filmwirtschaftliche Dachverband SPIO Goebbels-Günstlingen wie Leni Riefenstahl oder Heinz Rühmann die Ehrenmitgliedschaft ab. Und kaum, dass ein Rechercheteam aus SZ, WDR, NDR den Liedermacher Konstantin Wecker als (mutmaßlich) Pädokriminellen entlarvt, entbrennt eine Debatte über toxische Männlichkeit in der Musikbranche.
Im Mackerbusiness Profisport hat Paramount+ dank der unerschöpflichen Mittel des Oracle-Gründers Larry Ellison den Testosteron-Kanal DAZN ausgestochen und überträgt die Champions League ab Sommer 2027 gemeinsam mit Prime Video, während Sky und RTL überhaupt keine europäischen Spiele mehr zeigen – also ausgerechnet jene zwei Sender, die sich gerade vereinigen. Bisschen zynischer Übergang vielleicht, aber Alice und Ellen Kessler – der halben Welt als Kessler-Zwillinge bekannt, sind nach 81 Jahren gemeinsam aus dem Leben geschieden.
Ihr geplanter Suizid hat eine hochinteressante Diskussion übers Recht auf den eigenen Todeszeitpunkt ausgelöst, die dadurch neue Dynamik entwickeln könnte. Bei der Gelegenheit, etwas untypisch, noch ein weiterer Nachruf: freitagsmedien trauert um Udo Kier – einen der bemerkenswertesten Schauspieler überhaupt. Gestern ist er mit 81 gestorben, nachdem seine blauen Augen mehr als 200 Filme selbst in kleinster Nebenrolle geprägt haben.
Die Frischwoche
24. – 30. November
Und damit zurück zu Leni Riefenstahl, die 2003 im biblischen Alter von 100 Jahren gestorben war. Warum man Hitlers Lieblingsregisseurin damals wie heute echt keine Träne nachweinen sollte, zeigt Andres Veiel in der ARD-Mediathek. Riefenstahl, produziert von Sandra Maischberger, ist die brillant montierte, kunstvoll entlarvende Dekonstruktion der Legende einer NS-Karriere ohne Schwefelgeruch. Und sie sagt dabei auch noch einiges über die Schuldverdrängung des deutschen Tätervolks.
Tags drauf stellt sich Riefenstahls Gesinnungsgenosse Jan Fleischhauer ins Rampenlicht der ZDF-Mediathek. Keine Talkshow heißt eine Talkshow, in der er sich das neurechte Sturmgeschütz mit Andersdenkenden einsperren lässt. Zum Auftakt: Reyhan Şahin aka Lady Bitch Ray. Und das ist mutig. Vom ZDF. Von Fleischhauer. Von Şahin. Ob der Start in dieser Konstellation mit dem Orange Day gegen geschlechtsspezifische Gewalt zu tun hat, den das Zweite parallel mit einer breiten Programmpalette begleitet, bleibt aber Spekulation.
Zwei Tage später jedenfalls geht das nächste Empowerment-Format in der ZDF-Mediathek online: House of Bellevue. Die Serie taucht sechs Teile lang fiktional in Berlins queere Partyszene ein und verschafft ihr damit nicht nur dringend nötige Sichtbarkeit. Ähnlich wie in seiner grandiosen Milieustudie Schwarze Früchte schafft es Co-Autor Leroy Lamin Gibba erneut, Abweichungen vom heteronormativem Mainstream in ihrer vollumfänglichen Alltäglichkeit zu zeigen.
Alltag anders ist auch das Thema des fabelhaften Episodenfilms I Am The Greatest, in dem Nicolai Zeitler und Marlene Bischof zeitgleich bei Arte sieben sehr gewöhnliche Menschen im Fleischwolf der Gegenwart skizzieren. Zur Vervollständigung noch zwei sehenswerte Dokumentationen: am Donnerstag porträtiert die ARD-Mediathek in ihrer Being-Reihe fünf Teile lang Katharina Witt und tags zuvor über 90 Minuten hinweg den Telegram-Gründer Pawel Durow.
Zwei polarisierende Figuren der Zeitgeschichte, die demselben System entstammen, aber sehr unterschiedlich daraus hervorgegangen sind. War noch was? Ach ja – Stranger Things geht Donnerstag ins Serienfinale – wenngleich, wie bei Großprojekten mittlerweile üblich, über drei Staffel gestreckt.