Christian Redl, Hamburg 2009/13
Posted: June 5, 2013 | Author: Jan Freitag | Filed under: 4 donnerstagsgespräch |Leave a comment
Für Mist bin ich zu alt
Foto: Jim Rakete/photoselection
Seit Jahrzehnten liefert der Schauspieler Christian Redl stille Charakterrollen für Film und Fernsehen, meistens in tragenden Nebenrollen. Als melodramatischer Ermittler einer gefeierten Krimireihe tief im Osten der Republik brilliert der 65-jährige Schleswig-Holsteiner auch mal in einer Hauptrole. Interview mit einem unbekannten Star über seinen Kommissar in Der Tote im Spreewald (z.B. Montag, 20.15 Uhr, ZDF), deutsche Mythen, das quotensüchtige Fernsehen und die Angst vorm Verfall. Interview mit einem unbekannten Star.
freitagsmedien: Herr Redl, in Der Tote im Spreewald heißt es an einer Stelle, „Heimat kann man sich nicht wie Dreck von den Füßen wischen“. Ist das nur Zitat oder auch Appell?
Christian Redl: Beides. Man darf das nicht zu sehr aufladen, aber dieser Heimatbegriff ist ein sehr gestriger mit sehr heutigen Komponenten. Ich denke, man muss seine Heimat erst einmal in Gefahr sehen, um ein Verlustgefühl, ein Erhaltungsbedürfnis, ein Interesse daran zu entwickeln.
Spüren Sie das auch privat?
Überhaupt nicht. Meine Heimat ist meine Hosentasche. Mir ist es Wurscht, wo ich bin, so lange ich da gerne bin. Heimat ist für mich da, wo ich mich gerade aufhalte.
Die Masse verbindet weit mehr damit.
Ja, es kommt aber drauf an, in welchem politischen Lager man steht. Heimatgefühle an sich sind durchaus natürlich. Wenn sie aber zur nationalistischen Kategorie ausgestaltet werden, zum übergeordneten Zugehörigkeitsbegriff, hab ich damit meine Probleme.
Je größer das Entwurzelungsgefühl, desto größer die Sehnsucht nach Heimat.
Wo Grenzen verschwimmen, Konzerne multinational sind, Menschen den Wohnort wechseln wie ihre Hemden, wo alles haltlos wird, gewinnt der Heimatbegriff ein Stück seiner Wärme zurück. Insofern ist dieser Film zeitgemäß, weil er Menschen zeigt, die handeln, leben, fühlen wie in den Fuffzigern. Darin schwingt ohne Frage eine Sehnsucht nach Überschaubarkeit vergangener Zeiten: zurück zur Natur, zurück zu alten Werten. Nicht ohne Grund ist der Hauptdarsteller dieses Films eigentlich…
Der Wald.
… ganz genau. Er ist Stimmungsspeicher und -lieferant. Erst sind die Bäume da, dann Konflikte.
Fast ein Wagner’sches Element.
Absolut. Wie und womit ist denn unser Wald besetzt? Welche Kraft legt man ihm zugrunde? Welche Mythen, Ängste, Bilder, Albträume, Märchen verbirgt er?
Haben Sie diesen Mystizismus gespürt, als Sie darin gedreht haben.
Das sehe ich wie ein Kameramann: tolle Motive in einer Landschaft, die die Phantasie in alle Richtungen mobilisiert. Wenn man da mit einem technisch hochgerüsteten Filmteam dreht, wird er automatisch entmystifiziert. Das ist wie mit Liebesszenen. Es geht um Inszenierung – den Arm hierhin, die Hand dort hin; das ist alles andere als erotisch. Die Vorstellung, in einer natürlichen Atmosphäre bilde sich eine natürliche Magie, ist purer Romantizismus. Als Anthony Hopkins gefragt wurde, wie er sich auf Hannibal Lector vorbereitet hat, meinte er, es gäbe Kollegen, die das Method Acting so weit trieben, alle Gerüche, Bilder, Emotionen einer Rolle so lange auf sich einwirken zu lassen, bis sie zu etwas Eigenem werden. Er dagegen lerne den Text, gehe zum Set, den Rest überlasse er seiner Phantasie. Das verstehe ich unter schauspielerischer Professionalität.
Kann man dafür veranlagt sein?
Man muss lernen, sich von nichts und niemand irritieren zu lassen. De Niro spielt den Hamlet in einer vollbesetzten U-Bahn, das macht den Superstar aus, nicht seine Gage, nicht die Einspielergebnisse. Es geht um die Fähigkeit, sich selbst im hysterischen Umfeld, konzentrieren zu können. Begabung, sagt Ulrich Tukur, nützt gar nichts, wenn du sie nicht im Griff hast.
Haben Sie sie im Griff?
Mal so, mal so. Ich muss hart arbeiten, um sie zur Wirkung kommen zu lassen.
Was ist mit der Herzog-Kinski-Konstellation zweier Berserker, die aufeinander einprügeln, um spielen zu können?
So funktionieren die wenigsten Charaktere. Wobei der wirklich Irre keineswegs Kinski war, sondern Herzog mit seiner introvertierten Kälte. Er meinte ja ganz ruhig, wenn du das nicht so spielst, schieß ich dich übern Haufen. Gegen den Moment der Wahrhaftigkeit wirkten Kinskis Wutausbrüche wie lächerliches Theater. Diese reale Gefahr im Wahnsinn hat die beiden Antipoden zusammengehalten.
Ihr Spiel ist da anders: reduziert, leise, bedächtig.
Das kommt auf die Rollen an, aber ich persönlich bin eher zurückhaltend – im Leben, wie im Spielen. Ich mag Lino Ventura oder Jean Gabin, die große Stillen des Autorenkinos. Die regeln alles mit ihrer Persönlichkeit, ohne sich mit Attitüden aufzuladen. Sie stellen sich einer Rolle mit ihren Gesten, ihren Stimmen, ihrem Selbst zur Verfügung. Das versuche ich auch, was natürlich manchmal zu Lasten der Wandelbarkeit geht. Die ist nicht jedem gegeben.
Ihnen etwa auch nicht?
Doch, doch, im Theater durchaus. Aber im Fernsehen… Dass ich auch sehr komisch sein kann, kann sich beim Fernsehen offenbar niemand vorstellen. So besetzt man mich einfach nicht. Meine Visage und meine Ausstrahlung signalisieren offenbar das Bild eines Mannes mit krimineller Energie. Nach Vielseitigkeit wird nicht gefragt. Diese eindeutige Physiognomie ist Fluch und Segen zugleich. Einerseits verdiene ich damit mein Geld, andererseits finde ich mich in einer sehr ernsten, engen Kategorie wieder. Zum Glück hat sich das im Laufe der letzten Jahre verändert; den Bösewicht spiele ich nur noch ab und an.
Und dann in totaler Zurückhaltung.
Darüber hat Michael Caine ein schönes Buch geschrieben: Weniger ist mehr. Das Entscheidende im Film sei, nicht zu überzeichnen, sondern ein wenig zu untertreiben in Ausdruck und Gestaltung, sehr ökonomisch, sehr dosiert.
Der Trend geht allerdings zum mehr ist mehr.
Dabei hat Fernsehen doch diesen Riesenvorteil, dass ein einziger Blick eine ganze Geschichte erzählen kann, ein Blick, den man im Theater ab Reihe 5 nicht mehr sieht. Doch das minimalistische Fernsehen hat sich teilweise den Maximalismus der Bühne angeeignet. Paradox!
Meinen Sie, es kommt noch mal eine Phase bedächtigen, doch ausdrucksstarken Fernsehens zurück wie Berlin Alexanderplatz, Kir Royal, die Dietl-Schule?
Die 80er? Schwer zu sagen. Wir leben in einer Zeit ausgeprägter Konzentrationsunfähigkeit, einer Zeit der Reizüberflutung, in der sich die Menschen millionenfach totlachen, wenn Mario Barth Witze macht. Da kommt mir alles hoch. Da lachen sogar jene, über die auf Stammtisch-Niveau hergezogen wird: Frauen, oft ganz hysterisch. Ziemlich armselig und erbärmlich finde ich das.
Trotzdem neidisch über 70.000 Live-Zuschauer?
Überhaupt nicht, nicht mal aufs Geld. Aber wenn man so will, ist Der Tote im Spreewald da die Konterrevolution, eine kleine, bewusste Antwort auf die grelle, laute Oberflächlichkeit. Und ein Gegenentwurf zu Filmen ohne Überraschungsmomente, mit Dreiecksbeziehungen, die sich zwanghaft duplizieren, so genannten Events wie Luftbrücke oder Sturmflut, mit vorhersehbarer Dramaturgie, die sich den Werbepausen unterordnet. Die Sender befinden sich heute in einem gnadenlosen Wettbewerb, selbst ARD und ZDF nehmen ohne Not neue Ansätze wie Kommissar Süden nach zwei Folgen aus dem Programm oder versenden sie im Nirgendwo. Alles wegen der Quote!
Umso erstaunlicher, dass die bei Geheimnis im Moor gestimmt hat.
Und das, obwohl kein Quotenschauspieler dabei war.
Ist Quote für jene, die sie nicht durch bloße Anwesenheit generieren, ein Schimpfwort?
Nein, aber wenn ein Regisseur dich will, kommt nicht selten der Produzent oder Redakteur und sagt unabhängig aller fachlichen Eignung für die Rolle, er sei mangels Quotenerwartung ungeeignet. Kein Wunder, dass mir nach Tod in der Eifel zur Quote gratuliert wurde, nicht zur Leistung. Das ist wie aufm Viehmarkt; man wird zwangsverpflichtet, sich mit diesen Erwartungen auseinanderzusetzen und ich merke bereits, wie dieses Gift durch meine eigenen Adern fließt. Also Schluss jetzt mit dem Quotenthema.
Sie haben angefangen.
Stimmt, weil alle so fassungslos waren, dass etwas Zurückgenommenes, Leises, Intimes wie Geheimnis im Moor noch Quote bringt. Nur: was machen denn die 5000 Quotenhaushalte, wenn der Fernseher läuft – Zuschauen, Suppekochen, Angelngehen? Das ist alles so ungenau.
Hinzu kommt die Heisenbergsche Unschärferelation, dass die Probanden genau wissen, beim Fernsehen beobachtet zu werden.
Was zweifelsohne zu gezieltem Sehverhalten führt, aber eigentlich will das niemand so genau wissen. Keiner will das Goldene Kalb eingehend untersuchen, geschweige denn schlachten. Der Quoten-Wahn kreiert Existenzen ebenso, wie er sie vernichtet. Wer oben, wer unten steht, entscheidet ein virtueller Wert ohne empirischen Nutzen.
Wie kam es abseits der Quotenfrage zu einem so sperrigen Thema wie einem Krimi mit Minderheiten-Problematik im polnischen Grenzgebiet?
Wahrscheinlich, weil dieser merkwürdige, unheimliche, abgelegene Spreewald so völlig unverbraucht war, ohne komplett unvertraut zu wirken. Dennoch verwendet der Film diese Gegend samt ihrer Minderheit in erster Linie als Folie. Als Schauspieler ist man eigentlich dauernd auf der Suche nach einer Metaebene, auch wenn man selten fündig wird.
Nach einem soziokulturellen Bezug?
Genau. Minderheitenproblematiken in bedrohter Umwelt haben fraglos einen aktuellen Impetus. Aber als Schauspieler bin ich nur Arbeitnehmer, abhängig von Arbeitsbedingungen und dem Drehbuch. Da kann ich dann nur hoffen, dass ein bisschen mehr Sinn und Substanz in einem Landschaftsfilm wie diesem steckt, als in dem Steilküstenkitsch der Marke Pilcher. Die Konflikte der Protagonisten rühren aus der Konfrontation zwischen Tradition und Moderne.
Fürchten Sie im Erfolgsfall zum Fernsehkommissar ohne Rückfahrkarte zu werden.
Im Gegenteil: durch die Krise hat sich auch unsere Arbeitssituation verschlechtert. Die Angebotslage ist für immer mehr Schauspieler äußerst dünn, obwohl es sich langsam bessert. Das zeigt sich bei den Gagen, die inzwischen so gewaltig runtergehen, dass man beim Casting lange vorm ersten inhaltlichen Gespräch zu hören kriegt, wie wenig Geld man zu erwarten hat. Andererseits sinkt die Zahl guter Rollen. Viele Projekte werden aus purem Kostendenken zurückgehalten. Das spüre ich ganz persönlich. Insofern würde ich mich über einen dritten Spreewald-Teil freuen.
Sie waren aber nie ein Vieldreher.
Meine Auswahl orientiert sich weniger an monetären Erwägungen als an der Lebenszeit, die ich mit einer Arbeit verbringe. Wenn ich mich entschließe, mitzuspielen, sollte das Projekt im weitesten Sinne mit Qualität zu tun haben. Für Mist bin ich zu alt.
Wenn auch nicht für RTL-Blockbuster wie Schatzinsel oder Vulkan. Wo ist die Schmerzgrenze?
Wenn sich Charaktere nur aus Plattitüden zusammensetzen. Aber glücklicherweise fragt mich ja auch keiner danach, Pilcher oder irgendwelche seichten Serien zu spielen. So entgehe ich der Gefahr, über meinen Schatten springen zu müssen und doch mal etwas zu drehen, was ich mir lieber verkneifen würde.
Gerade im Alter, wo man nicht mehr so oft gebucht wird.
Ich denke, dass man mich noch eine ganze Weile gebrauchen kann. Auf mich sollte man nicht verzichten. Außerdem hätte ich mir vor 20 Jahren nicht träumen lassen, dass ich mich mit über 60 noch so wohl fühle.
Fürchten Sie sich dennoch vorm Verfall?
Schon, aber er ist ja vorhersehbar und meine Haare sind mir schon mit 19 ausgegangen. Der Kreis schließt sich und irgendwann ist es vorbei. Ich versuche schlicht und einfach, bereit zu sein. Das beugt Hysterie vor. Altern ist eine Frage der gedanklichen und physischen Vorsorge, um von dem unvermeidlichen Ende nicht allzu sehr überrascht zu werden.
Ist man am Ende allein oder gibt es Freundschaften in der Branche?
Ja, wenn man sich der Spielregeln bewusst ist. Aber unter Schauspielern gibt es keine wirkliche Solidarität. Letztlich ist sich jeder selbst der Nächste.
War das mal anders?
Ich habe in den Siebzigern an Mitbestimmungsexperimenten mitgewirkt. Es war der Versuch am Theater in Frankfurt, autoritäre Strukturen zu beseitigen. Drei Direktoren, Beirat, Vollversammlungen – morgens Probe, mittags Sitzung, abends Auftritt, nachts debattieren und trinken. Da wurde alles öffentlich ausgehandelt, selbst Besetzungen. Man musste sich vor versammelter Mannschaft anhören, für den Woyzcek womöglich doch zu wenig Ausstrahlung zu haben. Auch Einflussnahme kann schmerzhaft sein. Das zeigten sich rasch die Grenzen der Mitbestimmung in der Kunst. Wie sagte Werner Herzog: Jeder für sich und Gott gegen alle.
Interview: Jan Freitag
Das Interview ist Ende 2009 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienen: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/2.1756/christian-redl-im-gespraech-fuer-mist-bin-ich-zu-alt-1606065.html