Club-Mausoleum: Golden Pudel (1995-2016)
Posted: February 21, 2016 Filed under: 6 wochenendreportage Leave a commentBurning Bretterbude
Ein liebevoll verwahrlostes Heim, so widerständig wie stilbildend: Der Golden Pudel Club (Foto: JOTO) ist abgebrannt – und mit ihm ein Stück Hamburg, das im Grunde nie eines war. Ein Club-Mausoleum aus gegebenem, todtraurigem, womöglich endgültigem Anlass.
Von Jan Freitag
Worum es sich in unserem Kulturkreis aufrichtig zu trauern lohnt, dafür gibt es gesellschaftlich definierte Regeln. Menschen verdienen selbst dann ein Höchstmaß an Hochachtung und Pietät, wenn ihr Leben kein ganz so vorbildliches war. Bis auf ein paar Tote der Sorte Hitler habe man demnach nur Gutes über sie zu berichten – oder eben nichts. Danach wird es komplizierter: Der abgehauenen Freundin nachtrauern, drei Punkten beim Heimspiel, gar einer verpassten Folge Game of Thrones? Schwierig, als Außenstehender da ordentlich Anteil zu nehmen. Das ist mit Gebäuden seltsam ähnlich.
Das gilt besonders für jene Stadt, die heute womöglich eine Abrissbirne zum Wahrzeichen hätte, wenn es es nochmal neu vergeben werden würde: Hamburg. Hier fallen Verluste an Bausubstanz weniger ins Gewicht. Diese Stadt gönnt sich ein Denkmalschutzamt, dessen vornehmste Aufgabe darin besteht, den rasanten Abriss des steinernen Gedächtnisses lieber larmoyant zu beklagen als zu verhindern. Was weg muss, muss weg, lautet seit dem Stadtbrand anno 1842 die Devise der Pfeffersäcke.
Zwischen Eppendorf, St. Pauli und Barmbek werden noch die schönsten, solidesten Altbauquartiere für seelenlose aufgereihte Rauputzquader geopfert, ohne dass Widerstand lautstark vernehmbar wäre. Was soll da schon der Ausfall einer kleinen Holzbaracke mit Elbblick auslösen. Doch genau um die trauert zurzeit nicht gerade ganz Hamburg, aber doch ein weithin hörbarer Teil. Der Golden Pudel Club ist abgebrannt, eine Immobilie, dessen pittoreske Pracht rein architektonisch allenfalls zwischen Fachwerkimitat und Fahrradhäuschen zu verorten ist. Für den Musikstandort Hamburg jedoch ist seine Bedeutung größer als die hier zelebrierte Beatles-Nostalgie oder ein neues Opernhaus.
Samstagnacht, davon waren die digitalen Netzwerke, aber auch analoge Medien bis weit über die Landesgrenzen hinaus in Echtzeit voll, fing der Dachstuhl Feuer. Die Polizei spricht von Brandstiftung. Bei einer derart morschen Bausubstanz kommt das bei allem gebotenen Optimismus der Vorstufe eines Planierungsauftrags gleich. Nach gut zwei Jahrzehnten am selben, kapitalumtosten Standort ist somit eine Legende zerstört, die so eigentlich nie hätte entstehen dürfen und gerade deshalb so wunderbar ist, war, puhh. Dass ihr materielles Ende zum Heulen ist, wäre mit “untertrieben” demnach geradezu fröhlich umschrieben.
Nirgends sonst in der zusehends durcheventisierten Musical-Metropole voller Beatles-Memorabilien hatte der independente Eigensinn ein liebevoller verwahrlostes Heim mit liebevoller verlotterten Sitten und liebevoller hochmütigem Selbstbewusstsein. Als elektropunkiger Resonanzkörper für die hedonistische Bohème links der Verwertungsmechanik entstanden, war der frühere Schmugglerknast aus dem 19. Jahrhundert Sub- und Leitkultur in einem.
Kultureller Underground und Mainstream, so widerständig wie stilbildend, irgendwie Rot-Grün im Idealzustand. Alles mit den Overground-Anarchisten Rocko Schamoni und Schorsch Kamerun in prominenter Herbergsvaterfunktion, als befänden plötzlich Asylbewerber in der Ausländerbehörde über Aufenthalt oder Abschiebung.
Zum zukunftsfähigen Sound elaborierter Trash
Pudel, das war die Verkehrung der freien Marktwirtschaft. Bier unter zwei Euro. Auf dem Klo besser nicht hinsetzen. Und morgens nach dem Rauswanken noch mal mit der Bürste unter die Fingernägel. So roch, klang, wirkte ein Ambiente entspannter Arroganz im lebenden Denkmal alternativer Freizeitgestaltung, das in der Geschichtsschreibung bekanntlich gern etwas wunderbarer verklärt wird, als die Wirklichkeit gestattet. So hob es sich ab aus der Masse selbst erklärter Clubs mit mehr Substanz als einem Link auf Hamburgs Marketing-Seiten.
Die synchron übereinandergeschlagenen Beine angemessen affektierter Stammgäste auf der Bank am Eingang, das demütige Abwarten des Bedienungsgesprächs an gähnend leerer Theke, der unvergleichliche Mix zeitgenössischer mit rückwärtsgewandter Popkultur zum zukunftsfähigen Sound elaborierten Trashs – all dies wird es so nicht mehr geben, weil dem Wachsen allerorten längst ebenso wenig Zeit gelassen wird wie in den PR-Kulissen von Berlin und München.
Ob Freizeitpark mit Dino oder verklärte Clubkultur: Das Leben, lehren uns Realität und Fiktion, findet seinen Weg. Es wird also auch diesmal ersatzweise irgendwo etwas Unbequemes, Ungeputztes, Unformatiertes entstehen. Ein Refugium auf Zeit, das die Rendite auf Dauer eine Weile bestehen lässt, um es dann aufzufressen wie einen drögen Keks. Und auch wenn der Verdacht handelsüblicher Warmsanierung angesichts der Rechts-, Besitz- und Logiklage hier nicht greift – die Investorenschlange bei der Zwangsveranstaltung im April dürfte angesichts der erledigten Bretterbude auf dem Filetstück nicht kürzer sein. Dann, so war es bislang zumindest angekündigt, soll der Pudel verkauft werden, weil sich die zwei Besitzer Rocko Schamoni und Wolf Richter zu sehr zerstritten haben, als dass sie ihn zusammen betreiben können.
Egal, was aus dem Gelände wird: Es werden viele davor stehen und um ein Stück Hamburg trauern, das im Grunde nie und gerade deshalb eines war. Tschüss, Pudel. Im Herzen bürsten wir weiter.
Der Text ist vorab auf ZEIT-Online erschienen